Aus einem Gespräch zwischen Arnfrid Astel und Gerd Schäfer

GS: Fichte bezieht sich gegen Ende seines Essays ebenfalls auf Schickel, der, wenn man ihm glaubt, mehrere Jahrzehnte an der Übersetzung gearbeitet hat. Es handelt sich bei Sappho um hundert Originalseiten. Wobei die Passagen selbst lediglich durch Gewährsleute überliefert sind. Beispielsweise durch einen gewissen Maximus von Tyros; und genau von diesem Mann leitet sich der Titel der »Maximus Poems« von Charles Olson ab, einer Gedichtsammlung, die den »Cantos« von Ezra Pound gleichgestellt wird. Olson hat schon sehr früh, nach dem Zweiten Weltkrieg, lyrische Huldigungen auf Sappho geschrieben, wie auch der nicht hoch genug zu schätzende William Carlos Williams. Williams kommt hierbei auf etwas Besonderes zu sprechen, »skill in composition« nennt er es, die Fertigkeit im Aufbau von Lyrik. In dieser Zeit ist Fichte aufgewachsen, in dieser Zeit wurde er zum Schriftsteller. Schickel war, nebenbei bemerkt, Redakteur beim NWDR, dem Vorläufer des NDR, als Fichte zum jugendlichen Radiosprecher ausgebildet wurde. Es ist ein Übermaß von Traumpfaden, mit denen sich ein nachgeborener Spurenleser abzumühen hat.
 
AA: Das sind die Beziehungen, die zählen. Wie auch die Beziehung zwischen Olson und Rainer Maria Gerhardt, dem ersten deutschen Pound-Übersetzer. Und dann das Interesse von Helmut Salzinger an Gerhardt und an den Amerikanern, an der Literatur Chinas und Japans. Wodurch dann eine ideogrammatische Literatur quasi entdeckt wurde; der beobachtete Gegenstand soll durch Buchstaben buchstäblich evoziert werden, als Gedankenbild.
 
GS: Salzinger hat übrigens Fichtes Palette besprochen. Und in Detlevs Imitationen »Grünspan« gibt es lange Ausführungen zum Ideogramm.
 
AA: Ich denke aber, daß es nicht nur literarische Traditionen sind. Durch literarische Spuren wird eine menschliche Spur festgehalten. Und diese menschliche Spur gibt es natürlich in allen Zeiten. Die Literatur bewahrt, wenn sie gelingt, manchmal auch wenn sie mißlingt, eine anthropologische Konstante. Man sollte sich um Kultur- oder Geistesgeschichte nicht um ihrer selbst willen kümmern, sie sind eher Beweise dafür, daß Menschliches, Menschen schon vorher da waren. Und diese großen Denker, Archilochos und Sappho, sind Gewährsleute für das, was wir als Spätlinge auch wollen. Es geht dabei nicht nur um den Menschen selbst, sondern auch um den menschlichen Ausdruck.
 


Zitiert aus: Arnfrid Astel im Gespräch ... mit Gerd Schäfer über Archilochos, Sappho, Martial, Empedokles, Ezra Pound und Hubert Fichte; in: Schreibheft Nr. 63, Essen 2004, Seite 177.

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