Thomas M. Scheerer:
La sangre y el papel.
Eine Vorstudie zur Lyrik des Argentiniers Juan Gelman
Editorische Notiz

Bei dem folgenden Text handelt es sich um meine am 22. Juli 1985 an der Universität Augsburg gehaltene Antrittsvorlesung. Sie wurde veröffentlicht als Heft 3 (1985) von MESA REDONDA, der Schriftenreihe des Instituts für Spanien- und Lateinamerikastudien (ISLA). Das Heft ist seit einiger Zeit vergriffen. Da es sich wohl um den ersten öffentlichen akademischen Vortrag über Gelman in Deutschland handelte und da mich gelegentlich Anfragen erreichen, stelle ich den Vortrag hier zum Ausdrucken zur Verfügung. Obwohl der Text in jenen Passagen, die sich auf zeitgeschichtliche Umstände in Argentinien beziehen, nicht mehr aktuell ist und in der Sache ergänzungsbedürftig wäre, bleibt er aus dokumentarischen Gründen unverändert. - Eine aktuelle Darstellung des Gesamtwerks von Juan Gelman bereite ich vor für: Kritisches Lexikon der Romanischen Gegenwartsliteraturen (KLRG), hrsgg. von Wolf-Dieter Lange u.a., Tübingen: Gunter Narr Verlag. -

Augsburg, im August 2000, TMS

Die Dichter sterben vor Scham, / kein Erlaß verbietet, / kein Radio verleumdet sie, / Die Dichter sterben vor Scham

"Mit diesem Gedicht wirst du die Macht nicht ergreifen," sagt er / "Mit diesen Versen wirst du die Revolution nicht machen," sagt er / "Mit Tausenden von Versen wirst du sie nicht machen," sagt er / setzt sich an den Tisch und schreibt

Die böse Versuchung, das Gedicht / das sich mit seinem Armengesicht hinstellt / und um ein mildtätiges Erbarmen bettelt / will nie etwas anderes, als / dich wieder einmal in die Enge treiben / zwischen Blut und Wand / zwischen Schwert und Papier / zwischen Blut und Papier

Kaum ein Gedichtband aus dreißigjährigem Schaffen (1), in dem Juan Gelman nicht so oder ähnlich von der Nutzlosigkeit des Dichtens spricht, mehr den Zwang zum Schreiben beklagt als je dessen Chancen bekräftigt, die "verfluchte Lust am Singen" (2) mit der Unfähigkeit des Sängers zu politischer Wirkung in einen grellen und schmerzlichen Kontrast bringt. Und doch hat er sich in bis heute mehr als zweieinhalbtausend Gedichten geäußert, hat sich - freilich nicht nur und nicht einmal vorwiegend in der Literatur - engagiert, bis er die eigenen Belanglosigkeitsklagen auf furchtbare Art widerlegt sah, bis seine Gedichte verboten wurden, Todesdrohungen ihn ins Exil trieben, man seine Familie entführte und er bis heute, aus noch zu erklärenden Gründen, nicht nach Argentinien zurückkehren kann.

Methodisch gesehen befinden wir uns in einem der heikelsten Bereiche der Literaturwissenschaft, denn als Gegenwartslyriker gehört Gelman in jenes notwendig amorphe letzte Kapitel, an dem die Literaturhistoriker gerade schreiben (3), ohne sich immer gegebener Kategorien bedienen zu können. Zudem verpflichtet ein engagierter Autor wie er uns, die Wirklichkeitsbezüge seines Schaffens sogleich mitzubedenken, also einige Fakten der argentinischen Zeitgeschichte als Folie präsent zu halten. Und schließlich wären wir ei-gentlich genötigt, uns auf das in bekannte Aporien führende Problem einzulassen, wie ästhetische Qualität und politische Intention sich zueinander verhalten (4), schiene es nicht vordringlich zu sein, erst einmal in skizzenhafter Form jene sensible Integration historischer, sozialpsychologischer, gattungspoetischer und sprachlich-formaler Art anzustreben, der sich eine moderne Literaturwissenschaft ohnehin verpflichtet sehen sollte. Ich werde also zu zeigen versuchen, wie die Entwicklung der Lyrik Gelmans in typischer Weise vom Spannungsfeld zwischen Politik und Poesie geprägt ist. Da man natürlich Dutzende ebenfalls typischer und ähnlich produktiver Lyriker in Lateinamerika aufspüren könnte, will ich gerne zusätzlich gestehen, was mich bewegt, ausgerechnet über den bei uns fast unbekannten Gelman (5) zu sprechen: Die Vermutung ist wohl gerechtfertigt, seine letzten argentinischen Gedichte und das Exilwerk könnten einmal zur besten hispanischen Lyrik unseres Jahrhunderts gezählt werden (6).

I.

Gleich mit seinem ersten Gedichtband hat Gelman einen Ton angegeben, der die bis dahin herrschenden Spätformen avantgardistischer Formexperimente ablösen und für eine große Zahl argentinischer Lyriker der 60er Jahre verbindlich werden sollte (7). Ein realistischer Blick richtet sich in gewollt sachlicher Ausdrucksweise auf Alltagssituationen und konkrete Lebensumstände; Themen und Sprache werden der städtischen Welt von Buenos Aires entnommen; die Verpflichtung gegenüber großen Vorbildern verliert an Bedeutung, während die sozialen und politischen Verhältnisse in den Vordergrund treten. Dieser neue Realismus ist allerdings nicht frei von Sentimentalität (8). denn statt philosophischer oder politischer Analyse gibt eine gefühlsintensive Wendung zu den Lebensproblemen einfacher Städter die Grundstimmung an. Man hat zutreffend beschrieben, daß dies ein Produkt politischen Unbehagens nach dem Sturz Peróns 1955 gewesen sein kann: Die in ihrer Mehrzahl linken Intellektuellen sahen sich aus der Kommunistischen Partei ausgestoßen oder verließen sie, um dann eine wachsende Zersplitterung einflußloser Gruppen und den Einfluß von Militärs auf das öffentliche Leben zu erfahren (9). Es ist nicht schwierig, Ausdrücke der Frustration in den ersten Gedichten zu finden:

Ließe man mich wählen, dann wählte ich / die Gesundheit, zu wissen, daß wir sehr krank sind, / das Glück, so unglücklich zu leben.

Ließe man mich wählen, dann wählte ich / die Unschuld, nicht unschuldig zu sein / die Reinheit, in der ich für unrein gelte.

Ließe man mich wählen, dann wählte ich / die Liebe, mit der ich hasse / die Hoffnung, welche sich von Hoffnungslosigkeit nährt.

Es ist eben so, meine Herren, daß ich mich um den Tod spiele (l0).

Noch im Modus der Irrealität wird eine in Paradoxien gefangene Hoffnung formuliert, die auszusprechen der Dichter als einziges Mittel empfindet, um nicht völlig verstummen zu müssen, um nicht wenigstens mit dem Protokoll des Unbehagens gegen die drohende Selbstaufgabe anzugehen. Als positive Setzung findet sich in diesen frühen Gedichten ein einziges Motiv, das jedoch bis ins Spätwerk hinein durch alle Wandlungen eine Konstante von Gelmans Weltbild bezeichnet wird:

Mich haben die Menschen gemacht, die unter dem Weltenhimmel wandeln / die den Glanz des anbrechenden Morgens suchen / das Leben wie ein Feuer hüten,

heißt es in einem "Angaben zur Person" (11) betitelten Gedicht, und:

Dann lache ich, wenn ich meinen Nachnamen bedenke und mein Gesicht im Spiegel betrachte / ich weiß, daß sie mir nicht gehören

Das entworfene Ich empfindet sich nicht allein als Bestandteil der Menge, sondern will nur in dieser definiert sein. Zwischen dieser Dichter-Instanz und der Person Gelmans trennen zu wollen, würde übrigens schwierig werden: Gelman steht als Name in den Texten, und mit Vorliebe vor allem der Vorname, weil Juan auch umgangssprachlich den Allerweltmenschen bezeichnet (12). Alles Selbstbewußtsein, auch die Ruhe der vorgetragenen Überzeugungen gewinnt der in den Gedichten Sprechende aus der Gewißheit, daß des Menschen natürlicher Handlungs- und Empfindungsraum eben jene horizontale Gleichheit ist, der die vertikalen Beziehungen (von Herrschaft und Unterdrückung) als Wesensbestimmung gegenstandslos sind, wenn sie auch seine jeweils historischen Lebensumstände usurpieren. Ein ausgedehntes Motivrepertoire (dem gesondert nachzugehen wäre) gestaltet diese konkrete Idealität, die man einen sentimentalen Kollektivismus nennen könnte. Auch die Sprachauffassung wird von der Vorherrschaft des Konkreten geprägt. In Gelmans bildlicher Ausdrucksweise heißt das: Eine Möglichkeit der Gleichheit liegt allein in "el fuego de las palabras" – -im "Feuer der Wörter", also gesprochener Sprache in unvermittelter Kommunikation, während künstlerische Sprache als inaktiver, ausgebrannter Rest des Handelns erscheint. Der Dichter hält ihn lediglich pflichtgemäß, fast gegen seine Absicht als Gedanken- und Sprachrest der Menge fest:

Unter den vielen Ämtern, die ich ausübe [verpflichtet mich dieses] das nicht das meine ist, Tag und Nacht zu arbeiten [...]. Auf dieses Amt verpflichten mich die Leiden anderer [...]. Nie war ich Herr über meine Aschen, meine Verse (13).

Im Jahrzehnt zwischen "Velorio del solo" (1961) und "Fabulas" (1971) verfestigt sich die genannte Einstellung auf Einzelmenschen und Alltagssituationen: Ein Arbeitsunfall, Bettler auf der Straße, eine Überschwemmung im Arbeiterviertel, der Tod politischer Freunde sind typische Anlässe für diese realistisch-sentimentalen Gelegenheitsgedichte. Wer nach Allgemeinerem forscht, nach möglichen Reflexen aus differenzierter politischer Analyse, wird außer einer allgegenwärtigen Scheidung von Oben und Unten, Böse und Gut, Macht und Hoffnung nur andeutendes Schweigen wie am Ende des Gedichts "Auszeichnungen" (14) finden:

Sie haben den Herrn General ausgezeichnet / haben den Admiral ausgezeichnet / den Brigadier, meinen Nachbarn / den Polizeisergeanten // und irgendwann wird man den Dichter auszeichnen / weil er Wörter als Feuer benutzt hat / als Sonne, als Hoffnung / in so viel Menschenelend / ohne das weiter auszuführen.

Die Hoffnung heißt, es werde dem Dichter einmal gelingen, mit Lyrik etwas zu bewirken ("Wörter wie Feuer" zu benutzen); die schließende Andeutung bezeichnet jedoch jenen Leerraum, an dem sich an die Stelle geleisteter Analysen, Anklagen, Handlungsweisen, Tendenzen das Kollektivitätsideal zu setzen pflegt. Dessen genaueren Ausdruck, fast schon ein sozialhistorisches Credo, formuliert ein einziger Text, der ebenfalls das einfache Gegenüber zur argumentativen Grundstruktur hat:
Die Geschichte studierend, / Daten, Schlachten, in Stein geschriebene Dokumente, / berühmte Sätze, hohe, heilig strahlende Persönlichkeiten, / nehme ich nur unbekannte Hände wahr / von Sklaven, Metallarbeitern, Minenarbeitern, Webern, / sie schufen den Glanz, die Abenteuer der Welt; / sie kamen um - und noch wachsen ihnen die Krallen (15).

Solange die Bedürfnisse der vielen nicht erfüllt, die Leistungen nicht anerkannt sind, reicht natürlich ein solches unspezifisches Ideal der Kollektivität (16) als argumentatives Grundmuster für engagierte Literatur aus. Deswegen ist es nur die halbe Wahrheit, wenn ein Kritiker (17) argwöhnt, Gelman habe seine politischen Stoffe in diesen Jahren wohl im Ausland gefunden, habe den Blick lieber nach China (l8) Cuba (19) oder Algerien (20) gerichtet. Wer die Beispiele prüft, stellt jedoch fest, daß Gelman geradezu im Gestus der Abwehr all dessen über Mao, Castro oder Che Guevara spricht, was über diesen sentimentalen Kollektivismus hinausginge. Es wird vor allem deutlich, daß nicht analytische Unfähigkeit, sondern die Absicht einer literarisch-politischen Wirkung vorliegt. Ein Beispiel nur: Der lange Nekrolog auf Ernesto Che Guevara (21) wird nicht aufschlußreich, weil er einem Gescheiterten gilt, sondern weil sich das politische Gedicht im Zwiegespräch mit dem kubanischen Freund Roberto Fernández Retamar (der Gelman um diesen Text gebeten hatte) erneut zum poetologischen Gedicht wandelt:

Was willst Du von mir / das ich wirklich schreibe. Ich gebe Dir Nachrichten aus meinem Herzen, nicht mehr / Weiß jemand tatsächlich / was die Nachrichten aus meinem Herzen sind? [...] / ich will sagen, daß dieses Gedicht, oder Sache, der man mißtrauen muß / an die man glauben muß / nicht auf diesen Seiten endet. / Lieber Leser, ich bitte Sie / daß Sie die Nachrichten der Zeitungen verfolgen.

Es zeigt sich, daß Gelman, der Journalist und Lyriker, die Rollen klar verteilt, aslo für Faktisches auf die Presse verweist, in der Lyrik aber ein resignatives Ich als Figura entwirft, als projiziere er alle Ungewißheit und Enttäuschung in diese eine Instanz, die damit eine Art Schnittpunkt für unsichere Perspektiven, Fokus aller Frustrationen wird. Lyrik ist ihm weder der Platz für Analysen noch Mittel zum Kampf: in ihr schlägt sich als Handlungs- und Gedankenrest eine Grundstimmung (22) nieder, eine sozusagen ur-politische und ur-poetische Überzeugung: das Recht der vielen, die Möglichkeit gesellschaftlicher Unschuld, die gleichma-chende Kraft der Liebe, die Hoffnung auf den Sieg der Schönheit.

Man darf vermuten, der Erfolg dieser Ich-Projektion sei Indiz dafür, daß Gelman eine verbreitete Zeitstimmung getroffen hat (die Lyrik seiner Zeitgenossen wäre daraufhin einmal zu überprüfen); angesichts der von fruchtlosen Konflikten zerrissenen Innenpolitik dieser Jahre, der Skepsis hinsichtlich erfolgreicher Handlungsmöglichkeiten, lagen die einfachen Muster dann nahe, wenn eine Wirkungsabsicht sich auf die Übereinstimmung möglichst vieler richtete: Nur die weiten Formeln (23) sichern Konsens unter zersplitterten Gruppen, Richtungen, Tendenzen. Ein kurzer Seitenblick auf die politische Entwicklung kann die Funktion der Kollektivitätslyrik verdeutlichen: Um die Mitte der 60er Jahre bildete sich eine denkwürdige Sammlungsbewegung heraus, in der ehemalige Kommunisten, sozialistische Revolutionäre, Katholiken, Nationalisten und Unpolitische in einem gemeinsamen Hoffen auf nationale Erneuerung und soziale Stabilität die Rückkehr von Juan Domingo Perón anstrebten. Man kann bis heute schwer nachvollziehen, was den Inhalt des eklektischen neuen Peronismus, einer sich bald auf den europäischen Faschismus, bald auf die kubanische Revolution und später gar auf die Pariser Studentenrevolte berufenden Ideologie, ausmachte. Innerhalb der populistischen Bewegung stellten die seit 1968 auftretenden Montoneros (24) wiederum eine - stark untergliederte - Jugendorganisation zunächst nicht-militanter Linksperonisten dar. Gelmans Arbeit für die Montoneros konnte eine internationalistische mühelos mit einer nationalen und peronistischen Perspektive (25) vereinen. Nicht nur strukturell also entspricht die ideologische Haltung des Ich in seiner Lyrik dem Populismus der Jahre vor der zweiten Regierung Perón. Die Verweigerung politischer Analyse hat ihre Funktion als Identifikationsmuster: Wo Übereinstimmung im einzelnen fehlt, sichert die sentimental besetzte Kollektivität eine unspezifische, aber breite Zustimmung.

Nach dem bisher Gesagten konnte Gelman die eine Seite des Problems (wie vermittelt Poesie politische Botschaft?) durch den Rückgriff auf einfache Muster lösen. Ungleich größere Schwierigkeiten bereitete ihm die Bewahrung eines überhaupt politisch aussagefähigen Ich. In der Tat schreibt er zunächst Dutzende sentimentaler Gedichte von selbstquälerischer Larmoyanz, weit weg von allem, was ein Begriff von "engagierter" Literatur noch aufnehmen könnte. Im Rückblick erklärt er diese Phase aus dem Schock des politischen Heimatverlustes (Austritt aus der als reaktionär durchschauten Kommunistischen Partei) und dem Rückfall auf ein isoliertes, jeder weiteren Bindung entbehrendes Ich:

Alle Dichtung ist subjektiv, aber die Intimität ist eine Zone dieser Subjektivität; keineswegs ist sie die ganze Subjektivität. [...] Das Ich allein, nur die so verstandene Intimität, ist eine sehr armselige Sache (26).

Doch was tun? Gelman fand eine verblüffende, genauer betrachtet aber gar nicht so abwegige Lösung.

[Der Intimismus] bereitete mir eine Art Beklemmung; ich fühlte mich sehr schlecht. Bis ich mich eines Tages entschied, einen Engländer zu erfinden, der Gedichte schrieb [...]. Natürlich sprach ich weiterhin von mir, es gelang mir sogar "Ich" zu sagen, aber damit schon nicht mehr von mir zu sprechen. [...] Als ich mit dem Engländer begann, wollte ich mich tatsächlich entfremden von etwas, das mir zustieß. (27)

Es entstanden drei Bände solcher Selbstübersetzungen. In "Traducciones I" spricht der Brite John Wendell, im zweiten Band der Japaner Yamanokuchi Ando, im dritten der Nordamerikaner Sidney West. Aus vielerlei Gründen wurde die Wahl der Heteronyme, mit ihren klar zu unterscheidenden Stileigentümlichkeiten, zum befreienden Glücksfall. Sie waren zunächst eine publikumssoziologische Meisterleistung: Der Griff nach ausländischen Büchern, so hatte Gelman wohl erkannt, war bei argentinischen Bürgern mindestens so verbreitet wie die Reiselust (28) und oft deren Ersatz. Wenn er also je einem größeren Publikum bekannt wurde, dann als Übersetzer von Sidney West. Weniger vordergründig kann man die Idee als eine gattungsspezifische Übung werten, denn das Übersetzen europäisch-nordamerikanischer Lyrik hat unter den Poeten Lateinamerikas bereits Tradition und entwickelte sich zu einer Art hochmoderner Imitatio, deren Rolle im Spiel der Kulturkontakte noch einmal zu untersuchen wäre. Und schließlich bieten die Heteronyme aufgrund der formalen Möglichkeiten Halt gegen die Beliebigkeit des Intimismus: Die Aussagen des Ich im Zitat oder im Zitat des Zitats können nur in freier Wahl objektiviert oder relativiert werden. Denn wer spricht eigentlich in Texten, die den Titel tragen: "Die Gedichte des Dom Pero (geschrieben in dem Spanisch, das man lesen wird, und von John Wendell ei-nem gewissen Dom Pero Gonçalvez zugeschrieben" (29)? Ungewißheit über den Urheber markiert nun alle Aussagen und die sich zögernd wieder einstellenden politischen Zusammenhänge. Politisch sind diese freilich nur im Sinne der genannten Kollektivitäts- und Solidaritätssehnsucht zu verstehen. In der Form elegisch erzählender Klagelieder wird Rückblick auf das unscheinbare Leben kleiner Leute, ihre kleinen Skurrilitäten und Hoffnungen gehalten - Hoffnungen, die dem vordergründig Erzählten alsbald allegorischen Charakter verleihen. Die Wirkung der Übersetzungsfiktion kann man leicht am Beispiel der "Klage um die Turteltaube von Butch Butchanam" (30) zeigen. Es macht einen Unterschied, ob man über Solidarität und die Hoffnung auf ein Überleben der eigenen Sehnsüchte bei den Nachgeborenen theoretisiert, oder ob Gelman angeblich aus Sidney West eine Geschichte übersetzt, die vom alten Butch Butchanam und seiner Treue zu einer blinden Taube handelt, von seiner Bitte, man möge ihn mit dem Rücken zum Himmel beerdigen und von der Wahrnehmung des Verstorbenen, daß die Leute seine Taube köpfen, braten und verzehren. Und es macht strukturell denselben Unterschied, wenn ein bei Gelman unerwartet direkter Satz wie "Alle Poesie ist Feind des Kapitalismus" (31) eben aus den bildungs-bürgerlich feingesponnenen Gedanken des Briten John Wendell mitgeteilt wird. Daß der wirkliche Urheber diesen Satz später im Interview (32) erklärend hin- und herwendet, belegt am kleinen Beispiel die List des ganzen Verfahrens. Gelman hatte, um bis hierher zu resümieren, am Ende der 60er Jahre Stadien der Selbstdefinition und der Erarbeitung formaler Möglichkeiten durchlaufen, die für unseren Problemkreis aufschlußreich sein mögen. Und dennoch erscheint die politische Substanz, gewiß aus guten Gründen, als verschwommen, bleibt das Ich ein merkwürdig theoretisches, das seine Repräsentativität für andere eher behauptet, als sie sinnfällig zu machen. Es ist genau diese Entwicklung zur Aufnahme repräsentativer Erfahrungen, die mit zunehmender Verschärfung der politischen Lage, mit wachsender persönlicher Bedrohung eintritt und im zweiten Hauptteil skizziert werden soll.

II.

In den frühen 70er Jahren arbeitet Gelman als Mitherausgeber der politisch-literarischen Zeitschrift "Crisis", dann als Chefredakteur der 1974 unter Isabel Perón verbotenen Tageszeitung "Noticias". Wenn er 1971 im schon zitierten Interview die Hoffnung geäußert hatte, ein zurückkehrender Perón werde dem Druck von unten gerecht werden, soziale Reformen beginnen und der terroristischen Gewalt die Grundlage entziehen (33), dann formulierte er eine Erwartung vieler Argentinier. Wie man weiß, wurde sie nicht nur für die Linke, aber besonders für diese, rasch und bitter enttäuscht. Perón grenzte die kritisch-fordernden Gruppen aus und stützte sich im wesentlichen auf Polizei und Militär, die aber weder Interesse noch Fähigkeit bewiesen, das extrem polarisierte politische Leben zu ordnen. Ein Schlaglicht auf die Mißverständnisse wirft seine Pressekonferenz vom Februar 1974: Als eine Journalistin den Präsidenten fragt, was er gegen die Mordanschläge der ultrarechten Parallelpolizei unternehmen werde, befiehlt Perón, die Personalien der Fragestellerin festzustellen und sie für die bloße Behauptung zur Rechenschaft zu ziehen, es gebe solche Todesschwadronen. Auf den Einwurf der Fragenden, sie sei seit vielen Jahren Peronistin, reagiert der Präsident sichtlich verwirrt: "Hombre, que lo disimula bien" - "Mensch; das verbergen sie aber gut" (34). Ein Schlaglicht nur, aber es beleuchtet, wie sehr heute unbezweifelte Tatsachen geleugnet wurden und wie gefährlich es war, sie in die Öffentlichkeit zu bringen. Den Umstand gar, daß in den Gefängnissen dieser Zeit gefoltert wurde, wird man aus der zeitgenössischen Presse nur unvollkommen belegen können. Es liegt mir zwar fern, Gedichte auf zeitgeschichtliche Dokumente zu reduzieren. Doch sind Gelmans Texte aus den Jahren 1971 bis 1973 eben auch das: Belege für das Ausmaß der Unmenschlichkeit, für konkrete, nicht erfundene Szenen der Barbarei. Das 1973 in "Relaciones" veröffentlichte Gedicht "Briefe" (35) führt näher als die meisten an diese Einsicht heran. Es sei zugleich ein Beispiel für jene Sicherheit, die Gelman gewonnen hat, unter Einsatz seiner literarischen Mittel Fakten so auszusprechen, daß jener Reflexionsraum offengehalten wird, den sprachlich und argumentativ zu schaffen er vorher mühsam angestrebt hatte:

CARTAS

entre tus brazos y mis brazos ¿es como si hubiese una
tela de fuerzas contrarias perros célebres vientos una tela de amor donde
alguien avisa que las bestias estaban en algún lugar de la oscuridad coceando sombras coceando impacientes o como ciegas

o ciegas de verdad o sin ojos? ¿ o una tela
donde la camarada escribe "el día 20 de abril a las 20,05 nació 
el chiquito que esperé cuidé defendí tanto tiempo contra" escribe 
contra la oscuridad que está en algún lugar de las bestias contra

la oscura bestia la picana los golpes al vientre donde el
"que defendí tanto tiempo" escribe "con la colaboración de todas 
ustedes mis compañeras y amigas" escribe y cuando el dia 24 (lunes) 
lo acostó por la noche y lo pasó a su cunita

"sus ojitos no se abrían ni lo harían jamás" escribe 
actalectasia pulmonar hemorragias dijeron los médicos "los 
golpes la picana la violación la cárcel de su madre" escribe
el niño "fue testigo y mártir de la causa y héroe" escribe? ¿o una tela de amor

donde tanto dolor ya durmió bastante y quiere 
saber dónde están los caballos? ¿o demasiado 
hemos hecho esperar a los ángeles? ¿hay
una lamparita que hizo esperar demasiado a los ángeles una lamparita humana suave?

¿ hay caballos para derrotar al enemigo? el que vivió 5 dias ¿no es 
un caballo para derrotar al enemigo? ¿no convirtió sus
manitas en un caballo para derrotar al enemigo? ¿ no está 
galopando o corriendo ahora entre tus brazos y mis brazos amada?

¿no está acaso corriendo o galopando entre tus brazos y mis brazos ahora?
¿asi tiemblan nuestros amores nuestras dichas? 
¡oh noche que todo lo cubrís!
¿asi chirrian los goznes oxidados de nuestra gracia?

 -
BRIEFE

Zwischen meinen und Deinen Armen, gäbe es da ein / Gewebe widerstreitender Kräfte, toller Hunde, Stürme, ein Liebesgewebe / in dem / jemand mitteilt, daß die Untiere sich irgendwo in der Dunkelheit befanden / mit den Hufen nach / Schatten tretend oder ungeduldig tretend oder wie blind
oder tatsächlich blind oder ohne Augen? Oder ein Gewebe / auf das die Genossin schreibt "am 20. April um 20.05 Uhr kam / der Kleine zur Welt, den ich so lange erwartet habe, gehütet habe, beschützt habe gegen" schreibt / gegen die Dunkelheit, die irgendwo bei den Untieren herrscht, gegen

das dunkle Untier, die Elektrofolter, die Tritte in den Bauch, wo er / "den ich so lange beschützt habe" schreibt / "mit der Hilfe von Euch allen / meinen Begleiterinnen und Freundinnen" schreibt, und als sie ihn am 24. (Montag) / zur Nacht legte und in seine Wiege brachte

"öffneten seine kleinen Augen sich nicht und werden es nie wieder tun" schreibt / pulmonare Aktalektasie, Hämorragien sagten die Ärzte "die / Schläge, die Elektrofolter, die Vergewaltigung, die Gefangenschaft der Mutter" schreibt / das Kind "war Zeuge und Märtyrer der Sache und Held" schreibt? Oder ein / Liebesgewebe,

in dem so viel Schmerz schon genug geschlafen hat und wissen / will, wo die Pferde sind? Oder wir zu lange / die Engel haben warten lassen. Gibt es / ein kleines Licht, das die Engel zu lange warten ließ, ein / mildes menschliches Licht?

Gibt es Pferde, um den Feind zu vernichten? Ist nicht er, der 5 Tage gelebt hat / ein Pferd, um den Feind zu vernichten? Hat er nicht seine / kleinen Hände in
ein Pferd verwandelt, um den Feind zu vernichten? Galoppiert / und rennt er nicht jetzt zwischen Deinen und meinen Armen, Geliebte?

Rennt und galoppiert er jetzt nicht etwa zwischen Deinen und meinen Armen? / So zittern unsere Liebe, unser Glück? / Oh Nacht, die Du alles zudeckst! / So also knarren die verrosteten Scharniere unserer Gewohnheit?
 

Umschlossen und durchdrungen von Fragen, die eingangs geheimnisvoll und unsicher, am Ende agressiv und resignierend zugleich die Wirkung der Botschaft reflektieren, wird diese selber in der Form fragmentarischer Briefzitate mitgeteilt: der Tod des Kindes einer gefolterten Mutter im Gefängnis. Fragmentcharakter und Zitatform fordern dem Leser ein intensives Nachforschen schon nach der bloßen Begebenheit ab, der einerseits die Distanz des von anderen Mitgeteilten eignet, die andererseits in der Wirkung auf das sprechende Ich und die angesprochene Geliebte evoziert wird. Gelmans Bildersprache bedient sich weiterhin denkbar einfacher Elemente: gegen die "Untiere"der Repression stellt er das "Pferd" der Hoffnung, gegen die herrschenden "Feinde" die noch nicht gewonnenen "Engel", gegen die unauffindbare "Dunkelheit" der Folterzellen das noch gesuchte "kleine menschliche Licht". Drei Ebenen der Mitteilung öffnen Perspektiven der Wirklichkeitswertung: Das Faktum selber, das Briefzitat (mit Aussagen der Mutter und der Ärzte), schließlich die Anrede der Geliebten als Sprechsituation. Leicht vollzieht man die Wirkung der Zitattechnik am einzigen Versatzstück politischen Vokabulars: Das Kind sei "Märtyrer für die Sache und Held" - einerseits ausgesprochen, andererseits fast schon distanzierend zurückgenommen als Gefühlsreaktion der Briefschreiberin. Ähnlich der mit Fragen geöffnete Reflexionsraum der Sprechsituation: Erträgt die Liebe der beiden Genannten die Erinnerung, wird Handeln gegen das Unrecht möglich? Kein Apell zu konkretem Tun, keine "Tendenz" in der Formulierung genauerer Folgen. Eher schon die Ambivalenz von Zweifel und Hoffnung: Jenes Pferd der Befreiung steht im Modus der Vielleicht-Frage und es soll - fast wie gefangen - zwischen dem Ich und dem Du galoppieren. Trotz dieser Ambivalenzen oder wohl besser: ihretwegen ein Frontalangriff gegen Inhumanität und die Gleichgültigkeit ihr gegenüber.

Das Gelmans Gedichte nach dem Putsch von 1976 verboten wurden, bedarf sicher keiner Begründung mehr. Hier einige für den weiteren Zusammenhang wichtige Fakten. Nach dem Putsch werden Tausende von Priestern, Anwälten, Journalisten und Schriftstellern von (para-)militärischen Kommandos ermordet oder entführt. Die bekanntesten Opfer unter den Schriftstellern waren Francisco Urondo, Rodolfo Walsh und Haroldo Conti.
Gelman wird von einer parapolizeilichen Organisation mit dem Tode bedroht und geht als Sprecher der Untergrund-Montoneros im Mai 1976 ins römische Exil (36). Im September desselben Jahres werden in Buenos Aires aus Rache an ihm seine Tochter, sein Sohn und dessen schwangere Frau entführt. Von den Angehörigen fehlt bis heute jede Nachricht. Da Gelman unter den Montoneros für ein Ende des Militarismus eintritt, trägt er im Februar 1979 zur Spaltung der Organisation bei und wird nun auch von den ehemaligen Freunden bedroht (37).

Wie kann jemand, den ohnehin eine Ahnung von der Nutzlosigkeit des Dichtens verfolgte, aufgrund solcher Erfahrungen nicht verstummen? Sind sie in ihrem Kern nicht künstlerischer Gestaltung entzogen? Begeht nicht sogar Verrat an der Ungeheuerlichkeit des Geschehens, wer es einer Gestaltung in Termini der Schönheit anvertraut? Dieses Mißtrauen gegenüber dem im Exil geschriebenen Zyklus "Si dulcemente" löst sich vielleicht auf, sobald man ihn in allen Einzelheiten der ästhetischen Gestalt als Beispiel für einen repräsentativen Vorgang zu verstehen lernt, den Sigmund Freud (38) als "Trauerarbeit" beschrieben hat. Stadien des Trauerns als Normalaffekt (der gegen die zur Apathie führenden Melancholie abzugrenzen wäre) sind die anfängliche Überbesetzung des Verlorenen bei völligem Desinteresse für die Außenwelt; damit ein Verlust der Fähigkeit, etwas oder jemanden anderes zu lieben; die Unfähigkeit zu jedem Handeln, das nicht mit dem Verlorenen in Verbindung steht. Eine solche Fixierung steht im Konflikt mit der Realität, welche vom Trauernden Anerkennung fordert und ihm gegen alles Sträuben nahelegt, die alte Bindung zu lösen, sich neuen Gegenständen der Liebe zuzuwenden. Erst wenn das Ich diese Lösung im erinnernden Durchdenken vollzogen hat, gewinnt es sein Selbstgefühl und neue Handlungsfähigkeit wieder. Der knapp zitierte Verlauf kann in "Si dulcemente" in allen Stadien und bis in sprachliche Einzelheiten hinein nachvollzogen werden. Ich begnüge mich mit wenigen Beispielen. Als äußeres Zeichen der anfänglichen Fixierung nehme man, daß Gelman die Namen der verlorenen Freunde und Familienangehörigen in den Text hineinschreibt und unablässig wiederholt. Es herrscht jenes Desinteresse für die Außenwelt, dem alle beschreibenden oder erzählenden Elemente buchstäblich "zuviel" sind, weil das Ich mit der Erinnerung, der Zwiesprache mit den Freunden, den für sie gefundenen Bildern und mit dem Verlust der Selbstsicherheit alleine bleibt:

Was mache ich mit den Tausenden ich / toter Gefährten? töte ich mich langsam selber / fürchte ich euch vielleicht Geliebte? / Fürchte ich vielleicht Dich Paco / Gesicht wie ein menschliches Freuen?

ich fracre, was heute wäre / mit Rodolfos Schönheit / dieser langsam schwebenden Schönheit / die seine Augen in Brand setzte (39).

Unfähigkeit zu anderen Gedanken äußert sich als Abwehr jeder Spekulation über das einstige politische Handeln:
ich spreche nicht von den Fehlern / die uns den Zusammenbruch brachten / für jetzt / spreche ich nicht vom Hochmut / von Blindheit / vom militaristischen Delirium der Führung / ich sage, jeder Gefährte trug ein Stückchen Sonne / das ihm das Gesicht erhellte (40).

Zugleich werden Erinnerung und Realität in jene zwiespältige Beziehung gebracht, die Freud als Konflikt zwischen der ver-lorenen Liebe und den Forderungen der gegenwärtigen Wirklichkeit beschrieben hat.

Erinnerung, fehlt ihr Realität? / Realität, fehlt ihr Erinnerung? / Was tun mit der Erinnerung, mit der Realität auf halbem Wege zwischen Zusammenbruch oder Seele? (41)

Es ist verblüffend zu sehen, wie die Situation des Trauernden der Sprache neue Formen abnötigt, wie Wandlungen der Morphologie und der Wortkategorien das ernste Spiel mit der Erinnerung und dem Lösungsgedanken erst ermöglichen. Besonders die dem Sohn gewidmeten Gedichte entwickeln eine eigene Morphosernantik der Vater-Sohn-Beziehung:

hablarte o deshablarte / dolor mio 
manera de tenerte / destenerte

Zu dir sprechen oder dich im Sprechen zerstören / mein Schmerz : eine Art, dich zu haben / Dich im Haben zu entbehren (42).

Wenige weitere Beispiele können den Umfang der Spracharbeit andeuten: Eine unübliche, transitive Form "desesperarte" vereint "desesperarse" (die Hoffnung aufgeben) und "esperarte" (Dich erwarten). Aus "padre" (Vater) und "padecimiento" (Leiden) entsteht ein neues "padrecimiento", das mit "Vaterleid" kläglich übersetzbar wäre, weil es neben "padre" auch "cimiento" (das Wort für Fundament, Grundlage, Ursprung) evoziert. Man findet Neubildungen wie "desmorirte'' (Dich entsterben), "despadrar" (aus dem Vatersein lösen oder entlassen), "deshijándote" und "deshijándome" (Dich vom Sohnsein lösend, mich vom Sohn haben lösend). Lösung ist ja ein wichtiges Ziel der Trauerarbeit; und in der Tat erscheint schon am Ende des ersten Teils ein neues Du, das möglich wird, weil die Ausschließlichkeit des Erinnerungszwanges hinter dem Sprechenden liegt:

vor dem Zusammenbruch, dem strengen Gesetz / verstand meine Seele den Respekt zu verlieren / ich liebe Dich (43).

Und gleich darauf:

Geliebte Gefährten / gestorben / im Kampf oder getötet von Verrat oder Folter / ich vergesse euch nicht / auch wenn ich eine Frau liebe / ich vergesse euch nicht, weil ich eine Frau liebe / wie einst ihr geliebt habt / Erinnert ihr euch / daß ihr schön einhergingt/ und kämpftet? (44).

Im dritten und letzten Teil weicht die Rechtfertigungshaltung schließlich der Ruhe gewonnener Zuversicht. Der Dialog mit den erinnerten Verlorenen ist beendet, sie treten in die Rolle von dritten Personen und stehen jetzt hinter einem "Wir", welches sie nicht mehr mit einschließt:

sie verlangen nichts für sich / sie gehen nackt / sie bluten Welt / schweigen von den Schmerzen / bewundernswert / hoffen, daß wir noch einmal beginnen (45).

Man mag einwenden, daß wir ein Erklärungsmodell ohne Rücksicht auf dessen innere Stimmigkeit oder historische Bedingtheit benutzt und mögliche Sachunterschiede vernachlässigt haben. Dies sei zugestanden, weil Gelman einerseits nicht zum psychologischen Fall reduziert werden darf, andererseits die Seite der ästhetischen Bewältigung nicht beleuchtet wurde. Die trauernde Arbeit ist mit der Zusammenstellung eines Gedichtzyklus längst abgeschlossen, allein ihr Ergebnis wird zum Gegenstand der ästhetischen Präsentation. Das geht aus vielen Kompositionsdetails hervor, von denen ich hier (46) das gröbste, den äußeren Aufbau des Bandes mitteilen kann: Nicht die intimste Trauererfahrung steht am Anfang, sondern die Erinnerung an die politischen Freunde; erst auf sie folgen die Gedichte der Vater-Sohn-Beziehung, wobei der Titel "Carta abierta" (Offener Brief) den Intimismus als eine in die Öffentlichkeit getragene, entäußerte und damit schon nicht mehr intime Haltung vorstellt. Der dritte Teil ("Si dulcemente") schließlich versinnbildlicht die gewonnene Synthese ebenfalls auf äußere Weise. Die Schlußzeile eines jeden Textes bildet den Eingang des jeweils folgenden, so daß ein langes Reihengedicht von der nochmals aufgenommenen Erinnerung an einen Verlorenen bis zum Ausdruck neuer Entschlossenheit führt - von der Anfangszeile "so zart zogen durch deinen Kopf die Wellen dessen, der sich ins Meer stürzte" bis in den Schluß: 

Wir werden den Kampf noch einmal aufnehmen / der Feind / ist klar und werden wieder beginnen [...] / gegen den großen Zusammenbruch der Welt / Freunde, die nie versiegen / oder die wie Feuer im Gedächtnis brennen / noch einmal / noch einmal / noch einmal (47).

Lassen Sie mich zum Ende hin ein winziges Indiz in diesem Band zum Anlaß nehmen, noch einmal den Bogen in die argentinische Gegenwart zu schlagen und die Perspektive versuchsweise in die Sozialpsychologie zu wenden. Am Ende des Offenen Briefes an den Sohn findet sich eine kurze persönliche Notiz über die Entführung. Sie endet mit den Worten: "wie in zehntausenden anderer Fälle hat die Militärdiktatur diese 'Verschwundenen' nie offiziell zugegeben. Sie sprach von 'für immer Abwesenden'. Bis ich nicht ihre Leichen sehe oder ihre Mörder, werde ich sie nie für tot halten" (48). Der ganze Gedichtband spricht freilich gegen diese letzte Weigerung; nur wer den Verlust endgültig als Tatsache anerkannt hat, kann überhaupt auf eine erfolgreiche Trauerarbeit zurückblicken, deren Ziel ja genau diese Anerkennung ist. Daß Gelmans Lyrik dementiert, was ihr Autor selber behauptet, ist ein  verständlicher Widerspruch, den man in diesen Tagen in Buenos Aires ebenso beobachtet. Wie Sie wissen, hat die von der Regierung Alfonsin berufene "Nationale Kommission über das Verschwinden von Personen" im Dezember 1984 ihren Bericht über die Verbrechen der Militärdiktatur vorgelegt. Auf seiner Grundlage wurden die gegenwärtigen Gerichtsverfahren möglich, wird ebenso ein großer Teil der politischen Diskussionen in Argentinien geführt. Wir haben nun zwar keinerlei Anlaß, die von einer Gesellschaft bewiesene "Fähigkeit zu trauern" (49) durch Kritik am Detail zu schmälern. Doch gerade der Respekt vor der kollektiven Trauerarbeit erlaubt es, eine Reaktion Betroffener besonders zu bedenken. Wie Sie ebenfalls wissen, versammeln sich die Mütter der Verschwundenen seit Jahren zu stummem Protest auf der Plaza de Mayo. Ihnen ist zum guten Teil die nun geleistete Dokumentation zu verdanken. Kaum war sie erschienen, weigerten die Madres de Plaza de Mayo sich jedoch, die mehr oder weniger deutliche Aussage zu akzeptieren, die Verschwundenen hätten für ermordet zu gelten (50).  Über den Anschlagtafeln mit den Bildern Verschwundener liest man weiterhin "Con vida los queremos" - "Lebend wollen wir sie". Und der Journalist Osvaldo Bayer unterstellt dem Leiter der Kommission Ernesto Sábato, er leiste Vorschub zur Verleugnung historischer Tatsachen (51). Anerkennen wir, daß "die Einzeldurchführung des Realitätsangebots so außerordentlich schmerzhaft ist" (52), bedenken dazu, daß politische Kraft aus dieser Weigerung hervorgeht (nämlich die Forderung nach weiterer Aufklärung und Bestrafung). Dennoch ist die Gefahr nicht zu übersehen, daß die Madres de Plaza de Mayo, führen sie ihre Verleugnung sehr lange fort,  in eine "halluzinatorische Wunschpsychose" (53) verfallen, womit der Weg in eine kollektive Melancholie, in den Selbstverlust einer dann zu politischem Handeln unfähigen Gruppe angedeutet wäre. Gelmans zitierte Bemerkung steht im Zusammenhang dieses Emfindens. Alles an seiner Exil-Lyrik beweist, daß Trauerarbeit gegen Verleugnung möglich ist, daß sie gar im Ästhetischen aufgefunden und nachvollzogen werden kann. Daß Gelman dies ohne Kenntnis der Freudschen Erklärungen (54) gelungen ist, spricht für die Authenzität der Erfahrung wie für die vollendete Verfügung über seine Ausdrucksmittel.

Ein letztes Mal Psychologie, ein weiterer Blick in die Politik und abschließend eine dichtungstheoretische Bemerkung: "Tatsächlich wird aber das Ich nach der Vollendung der Trauerarbeit wieder frei und ungehemmt." Freuds Feststellung (55) gilt für den Einzelnen wie mutatis mutandis -gewiß auch für Gesellschaften. Der Dichter hatte seinen Willen zum neuen Handeln ja formuliert; der politische Mensch Juan Gelman - von seinem Dichter-Ich hier wohl nur unter theoretischem Zwang trennbar - hätte Handlungswillen zurückgewonnen. Daß er weiterhin im Exil bleibt, erklärt sich aus tagespolitischen Umständen. Da die Regierung wegen des Prozesses gegen die Militärs um den Bestand der demokratischen Entwicklung fürchten muß, wird gegenwärtig die Möglichkeit einer Amnestie diskutiert (56). Durchzusetzen wäre sie wohl nur, wenn nicht der Eindruck einer einseitig den Militärs zugutekommenden Aktes entstünde. Da aber eine hinreichende Anzahl anderer politischer Gefangenen nicht existiert, wurde eine Liste solcher Personen erstellt, die vor einem möglichen Amnestiegesetz noch zu verhaften und zu verurteilen wären. Der prominente Linksperonist Juan Gelman wird aus dieser Liste öffentlicht zitiert (57).

Die Dichter sterben vor Scham, / kein Erlaß verbietet, / kein Radio verleumdet sie; / Die Dichter sterben vor Scham - man versteht vielleicht, daß die vorher allgegenwärtige Belanglosigkeitsklage des Dichters in seiner jüngsten Lyrik verstummt ist.
 


Anmerkungen:

l. Die im folgenden als OP zitierte Obra poética (Buenos Aires: Ediciones Corregidor, 2. Aufl. 1984) enthält Violin y otras cuestiones (1956) , El juego en que andamos (1959) , Velorio del solo (1961), Gotán (1962), Cólera buey (Gedichte 1962-1968, ersch. 1971), Traducciones III. Los poemas de Sidney West (1969), Fábulas (1971) und Relaciones (1973). Danach erschienen: Hechos y relaciones (Barcelona: Editorial Lumen, 1980), Si dulcemente (ebd., 1980) und Citas y comentarios (ebd., 1982), Exilio, con Osvaldo Bayer (Madrid/Buenos Aires/México: Editorial Legasa 1984). - Die einleitend zitierten Gedichte finden sich in OP, S. 96, 379, 144. - Alle Übertragungen ins Deutsche, wenn nicht anders angegeben, vom Verfasser.

2. Vgl. "este maldito gozo de cantar", in: "Oficio" (OP, S. 33). Die metapoetischen Gedichte Gelmans würden eine eigene kleine Studie rechtfertigen. Weitere typische Beispiele für die Wirkungslosigkeitsthematik wären "Diez" (OP, S. 105), "Traducciones III: No XI" (OP, S. 256), "Hechos" ( in Hechos y relaciones , S. 69) .

3. Außer den üblichen Nachschlagewerken und Anthologien ent-halten folgende Arbeiten kurze Ausführungen über Gelman: César Fernández Moreno, La realidad y los papeles. Panorama y muestra de la poesia argentina contemporánea, Madrid: Aguilar 1967. - Aldo Pellegrini, La poesía argentina contemporánea. In: Davar 123 (Buenos Aires 1970), S. 14-19. - Raúl Gustavo Aguirre, Apuntes para una introducción a la poesia argentina actual. In: Revista Nacional de Cultura 233 (Caracas 1977) S. 87-101. - Alicia Borinsky, Interlocución y aporía. Notas a propósito de Alberto Girri y Juan Gelman. In: Revista Iberoamericana 49/125 (1983) S. 879-887. - Etelvina Astrada (Hrsg.), Poesía política y combativa argentina. Madrid 1978, S. 79 ff. - Michèle Goldstein, Notes sur la vie et l' uvre de Juan Gelman. In: J.G., Le silence des yeux. Traduit de 1'argentin par M.G. Edition bilingue, Paris: Ed. du Cerf 1981, S. 15-18 (dazu Gerard de Cortanze, Un poète contre la dictature. In: Le Monde 15.1.1982). Haroldo Conti läßt den Dichter am Ende der Erzählung "A la diestra" auftreten (In: Casa de las Americas 107, 1978, S. 102-110) .

4. Eine Auswahl deutscher Übertragungen liegt vor u.d.T.: So arbeitet die Hoffnung. Lyrik des argentinischen Widerstandes. Übertragung und Nachwort von Wolfgang Heuer und Miguel Salí. Mit einem Geleitwort von Eduardo Galeano. Berlin: Oberbaumverlag 1978 (dazu R.M., Gedichte des argentinischen Widerstands. Fußball und Folter. In: Die Zeit 23, 2.6.1978).

5. Zur Dokumentation dieses Problemkreises sei hier nur hingewiesen auf Peter Stein (Hrsg.), Theorie der politischen Dichtung. München: Nymphenburger 1973. Darin insbesondere Walter Hinderer, Von den Grenzen moderner politischer Ly-rik. Eine theoretische Überlegung (1971), S. 167-180.

6. "Meiner Ansicht nach ist er einer der besten zeitgenössischen Dichter der spanischen Sprache." Eduardo Galeanos Urteil (in Heuer/Salí, a.a.0., S. 8) mag man in dieser allgemeinen Form anzweifeln, zumal das Wohlwollen womöglich von der Solidarität des politischen Freundes beflügelt wird. Das jüngere Werk (von "Relaciones" bis "Citas y comentarios") scheint dem Verf. so hohes Lob jedoch zu rechtfertigen.

7. Vgl. Alfredo Andrés, El 60. Buenos Aires: Editores Dos 1969, S. 7-24.

8. Daniel Barros nennt die Haltung zutreffend eine "acti-tud criticosentimental" (Poesía sudamericana actual. Madrid 1972, S. 78).

9. Andrés, a.a.0., S. 11.

10. OP, S. 58.

11. OP, S. 66.

12. Vgl. z.B. in "Oficio": "quien me manda, te digo, siendo juan, / un juan tan simple con sus pantalones, / sus amigotes, su trabajo y su / condenada costumbre de estar vivo" (OP, S. 33). "Juan" als Chiffre für den Alltagsmenschen zu benutzen, ist zudem eine Reverenz an Raúl González Tuñón (Caprichos de Juancito Caminador, 1943).

13. OP, S. 78.

14. OP, S. 103.

15. OP, S. 85. - Dt. Fassung nach Heuer/Salí, a.a.0., S. 29.

16. Zum Kollektivitätsgedanken bei Gelman vor allem Santiago Bullrich, Poesía y realidad en la obra de Juan Gelman. In: Casa de las Americas II (1962) 33-44; wieder in ders., Recreación y realidad en Pisarello, Gelman y Vallejo. Buenos Aires: Jorge Alvarez 1963, S. 23-46.

17. "el tema estrictamente político lo toca Gelman al referirse a otras realidades" (Daniel Barros, a.a.0., S. 82).

18. Vgl. "Desfile popular del 11  aniversario de la R.P. China" ( OP,  S. 92) .

19. Vgl. die Gedichtgruppe "Cuba sí" in Gotán (OP, S. 107 ff.).

20. Vgl. "Argelia" (OP, S. 156). Das ist freilich eine weitere Variation des Kollektivitätsideals ohne spezielle politische Thematik. Das Gedicht schließt mit einem Hommage an Rimbaud.

21. "Pensamientos" (OP, S. 235-244).

22. Dieser Gestus wäre als typisches Kennzeichen einer ganzen Reihe engagierter Lyriker zu beschreiben. Bei Paul Eluard, Louis Aragon, Miguel Hernández oder Blas de Otero, um nur wenige zu nennen, dürften ähnliche Verfahren zu finden sein.

23. Positiv gewendet: Gelman vermeidet es, mit einer Richtung identifiziert zu werden, um sein Ideal möglichst vielen nahebringen zu können. Barros, a.a.0., S. 81: "no viene a hacer mala poesia por medio de la política. Al contrario, su poética busca iluminar su ubicación política, generalmente dada sin partidismo anacrónico." Es versteht sich, daß genau diese Haltung dem peronistischen Populismus entspricht.

24. Für Einzelheiten der Geschichte und inneren Organisation vgl. Richard Gillespie, Soldiers of Perón. Argentina's Montoneros, Oxford: Clarendon Press 1982.

25. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die seit Nr. 5 (September 1973) von Gelman mitredigierte Zeitschrift Crisis, in der die Verehrung Peróns und die Aneignung von Positionen europäischer Linksintelellektuellen (Bert Brecht, Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberger) auf eine im Rückblick geradezu fremdartig anmutende Weise in eins gehen.

26. Mario Benedetti, Juan Gelman y su ardua empresa de matar la melancolía. In ders., Los poetas comunicantes. Montevideo 1972, 223-249, hier S. 235. Es handelt sich um ein Interview aus dem Jahre 1971.

27. Ebd., S. 229.

28. Zu deren sozialer Indikationsfunktion vgl. Peter Waldmann, Ursachen der Guerilla in Argentinien. In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 15 (1978) S. 295-345, hier S. 308. - Die Technik des Exotismus und ihren Erfolg hat man zutreffend so charakterisiert: "mediante la invención de he-terónimos (...) amplió el campo de sus indagaciones verbales al poder trasladarse geográficamente gracias a sus desdoblamientos, uno de los cuales, el de Sidney West, obtuvo un notable exito, y tal vez se trate de su mejor libro" (Diccionario de autores iberoamericanos. Dirigido por Pedro Shimose, Madrid 1982, S. 187).

29. OP, S. 227 ff. - Dt. Übertragung des ersten Gedichts aus dieser Gruppe bei Heuer/Salí, a.a.0., S. 33.

30. "Lamento por la tórtola de Butch Butchanam" (OP, S. 273) .

31. OP, S. 212.

32. Benedetti, a.a.0., S. 225 f.

33. "Acá la burguesía, la oligarquía, piensan que con eso [i.e. un eventual retorno de Perón] se va a frenar el camino revolucionario. Pero depende, eh? a lo mejor se acelera. Es muy dificil decir desde ahora, muy taxativamente, que va a ser favorable. (...) es que los peronistas, en su mayoria, son clase obrera, y formulan, a traves del peronismo, una serie de reivindicaciones de clase. Si Perón vuelve, se va a encontrar con exigencias muy serias, en un sentido favorable. Se va a sentir muy apretado por eso" (Benedetti, a.a.0., S. 249).

34. La Nación 9.2.1974. Zit. nach Gerardo López Alonso, Cincuenta años de historia argentina, 1930-1980. Una cronología básica, Buenos Aires: Editorial de Belgrano, 3. Aufl. 1982, S. 287 f.

35. OP, S. 404. Wieder in Hechos y relaciones, a.a.0., S. 56. Eine von der unseren leicht abweichende deutsche Übertragung liegt vor in Heuer/Salí, a.a.0. - Wie Kenntnisse von der Folteranwendung in argentinischen Gefängnissen zur Zeit des zweiten Peronismus (und davor) die Öffentlichkeit erreichten (über Presse im In- und Ausland, ephemere Zeitschriften, Flugblätter, engagierte Gelegenheitstexte, erzählende Literatur usw.) müßte eine kommunikationssoziologische Studie erklären. Hier sei nur angedeutet, daß Lyrik (als ein kurzes, vielförmig mitteilbares, auch zur Kamouflage fähiges Medium) dabei eine Rolle gespielt haben kann. Gelman nimmt das Thema der Folter noch öfter auf. In "Somas" (OP, 273; dt. in Heuer/Salí, a.a.0., S. 53) stellt er z.B. den angelsäch-sisch-zurückhaltenden Ton bloß, in dem die "Times" offen-bar darüber sprach.

36. Das Datum folgert man aus den kurzgefaßten biographischen Angaben in der verfügbaren Sekundärliteratur. Das Impressum von Crisis nennt Gelman allerdings schon vor dem Putsch (März 1976) in der Nr. 6 (Juni 1975) als Korrespondenten in Italien.

37. Seit September 1974 befanden die Montoneros sich im bewaffneten Widerstand. Zu Gelmans späterer Haltung vgl. Gillespie, a.a.0., S. 266 u. 268. Vgl. auch die kurze Erklärung Gelmans aus Anlaß der Fußballweltmeisterschaft (Fußball und Folter in Argentinien 1978. Hg. v. Ulrich Pramann u.a., Reinbek b. Hamburg 1978, S. 117). - In einem italienischen Interview wird die Lage des Dichters, der heute als Übersetzer bei der UNESCO in Paris tätig ist, wie folgt zusammengefaßt: "L'uscita dal Movimento Montonero con una pubblica dichiarazione di dissidenza verso la linea imposta dai capi - prima scissione di una serie che avrebbe successivamente ridotto il gruppo di vertice - procurò a Gelman una condanna a morte. 'Pericoloso sovversivo' per il regime militare, 'traditore' per una parte degli ex compagni" (Joaquín Sokolowicz, Il Messagero 26.9.1982).

38. Vgl. "Trauer und Melancholie" in Sigmund Freud, Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Zehnter Band: Werke aus den Jahren 1913-1917. Hg. v. Anna Freud, London 4. Aufl. 1967, S. 427-446.

39. "Si dulcemente", a.a.0., S. 17 u. S. 19.

40. Ebd., S. 28.

41. Ebd., S. 40.

42. Ebd., S. 47.

43. Ebd., S. 39.

44. Ebd., S. 40 .

45. Ebd., S. 101.

46. Einer späteren Untersuchung muß eine genauere Erörterung dieser Fragen überlassen bleiben: Wieweit läßt sich Trauerarbeit hier "klinisch" rekonstruieren; welche Verwandlungen, Akzentverlagerungen, Verdrängungen o.ä. geschehen auf dem Wege der ästhetischen Gestaltung? Welche besonderen Chancen der Trauerarbeit bietet letztere, welches sind die sprachlichen Ausdrucksmittel der Trauererfahrung; wie verhalten sich die bewußt angeordneten Gedichte in ihrer thematischen Abfolge zu den Phasen des Normalaffekts (den sie transzendieren); erlaubt der Vergleich mit ähnlichen (Exil-)Autoren Rückschlüsse auf Gelmans literarische Qualitäten?

47. Si dulcemente, a.a.0., S. 73.

48. Ebd.

49. Die hiermit benannte Parallele zur Situation im Nachkriegsdeutschland soll nicht fugenlose Vergleichbarkeit der Vorgänge suggerieren. Es geht vielmehr um zweierlei: Der Vergleich wird zum einen in Argentinien selber häufig als politisches Argument für die Notwendigkeit des Prozesses herangezogen. Zum zweiten kann er in der Tat einen sozialpsychologischen Musterfall bezeichnen. Was Alexander und Margarete Mitscherlich anhand der bundesrepublikanischen Gesellschaft als die "Unfähigkeit zu trauern" (München 1967) beschrieben, könnte für die argentinische Gesellschaft als der "Versuch zu trauern" beschrieben werden.

50. Raquel Angel, Las trampas del Nunca Más. In: Madres de Paza de Mayo I/2 (enero 1985), S. 7.

51. Osvaldo Bayer, La verdad a medias, no. In: Madres de Plaza de Mayo I/2 (enero 1985), S. 5.

52. Freud, a.a.0., S. 430.

53. Ebda.; auch S. 421 ff. - Mitscherlich, a.a.0., S. 36 ff ., 56 f .

54. Brief an den Verf. vom 24.5.1985.

55. Freud, a.a.0., S. 430.

56. Der Amnestiegedanke wird seit längerem diskutiert. Während der Generalstab des Heeres ihn öffentlich befürwortet (La Nación. Ed. internacional, 3.9.1984, S. 1), dementiert ihn die Regierung (ebd., S. 8). Von Vorbereitungen berichtet aber die Anwaltsvereinigung CELS (vgl. Mona Moncalvillo, Jorge Baños. Abogado del CELS. In: Humor 147, marzo 1985, S. 53-58). Zum Stand der Diskussion vgl. Alberto Guilis, A los militares amnistiando y con el olvido gobernando. In: Madres de Plaza de Mayo I/5 (marzo 1985 ) , S. 4.


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