Agde.
Den 1sten März.
„Wie hoch kommt
Ihnen die Berline zu stehen?“ fragte mich der Postmeister in Montpellier zu
seinem Fenster heraus, als ich eben abfahren wollte. – „Ach – das –“ antwortete
ich – „kann ich erst dann berechnen, wenn sie mich an unsern gemeinschaftlichen
Geburtsort gebracht haben wird.“ „Wie?“ – fing er meine Worte auf, – „so wäre
der Herr, wenn ich recht verstehe, wohl gar ein Landsmann Friedrichs des
Großen?“ „Ja, ja“ – unterbrach ich ihn – „ich kann es nicht läugnen, mich aber
noch weniger deshalb hier aufhalten lassen. Hätte der Herr Postmeister nach dem
merkwürdigen Passagier sich umsehen mögen, der nun seit einer langweiligen
Stunde seine Berline geschaukelt hat, wahrscheinlich würde er ihm von dem
Sieger bei Roßbach viel erwünschteres erzählt haben, als der Pariser
Publiciste, der in jedem Blatte sein nahes Ende ankündiget, um, denke ich, in
den folgenden sich noch oft aufs Maul zu schlagen, so Gott will. Lebe der Herr
wohl!“
Der Name meines
Wagens fiel mir, aus dem Munde des Franzosen, zum erstenmal sonderbar ins
Gehör – erinnerte mich an den geschickten Sattler, der ihn so tüchtig gebaut
hatte, daß er unter meinem Reisegeräthe gewiß das einzige Stück ist, das dem
Auslande keinen Sous für Reparatur abgeworfen hat und so ganz deutsch wieder
zurückkommt, als ich kaum von mir selbst zu rühmen wage.
Es ist wohl
nichts der Aufmerksamkeit auf Reisen so sehr entgegen, als ein heimischer
Gedanke, so unbedeutend er auch seyn mag; die Station, wo er sich anhängt, ist
gewiß für unsere Bemerkungen verloren. Dies war der Fall wenigstens bei mir.
Ich gab über meinen braven Sattler, weder auf den Weg, der vor mir lag, noch
auf die Eigenheiten der Landschaft, oder sonst etwas Acht, und griff meinem
körperlichen Einzuge in Berlin mit einer so geistigen Abwesenheit vor, daß
ich, wie ein electrisches Fluidum, die mehr als hundert Meilen dahin in einem
Augenblick zurücklegte und mich auf einmal an dem Brandenburger Thore befand.
Der wachhabende Officier stand kerzengerade vor mir, forderte mir meine Signale ab und ich schickte ihm dagegen
die Frage zu, wie sich unser geliebter König befände? Er gab mir die besten
Nachrichten, freute sich übrigens meiner Bekanntschaft und entließ mich.
Mit lachendem
Herzen fuhr ich nun die Gasse hinauf, warf einen freundlichen Blick bald aus
dem rechten, bald aus dem linken Schlag, nach diesem oder jenem Fenster meiner
Freundinnen und Freunde und – Halt! rief ich, halt! sobald ich den Giebel
meiner Wohnung ansichtig ward. Wie flog ich zu der Haustür hinein – die Treppe
hinauf, und wie herzlich begrüßte ich nun die wiedereroberte kleine Welt
meines Zimmers.
Ich hatte kein
geringes Vergnügen, als mir mein Wandspiegel jetzt eine ganz andere Figur, als
jene gekrümmte und hohläugige zurückwarf, die vor fünf Monaten, seufzend seiner
verrätherischen Oberfläche vorbeizitterte. Der neue Kunstschnitt meines Haars –
das air aisé – das je ne sais quoi – die ich
über den Rhein her mitbrachte, hielten mich so lange fest auf meinem reitzenden
Standpunct, bis Bastian mit meinen Kisten anrückte. Das Ausschälen, Abstecken,
Aufschnüren und Entwickeln – nimm es in einem Sinn, in welchem du willst – hat
mir von jeher unendlichen Spaß gemacht. Es hängt eine gewisse innige Erwartung
daran, die das Gemüth oft angenehmer bewegt, als es die Herrlichkeiten selbst
thun, wenn sie ausgepackt da liegen.
Wie zitterten
meine Hände, als sie das Kästchen mit den so merkwürdigen Fensterscheiben
öffneten und ich sie nun unbeschädiget in meine Sammlung einschichten und den Handelscontract
mit dem Glaser der Bastille dazu legen konnte! Weit länger und ängstlicher sah
ich mich nach einem sichern Ort in meinem Weichbilde für die Criminalacten des
heiligen Fiacres um, ehe ich mich an das geheime Fach meines Schreibtisches
erinnerte, in welchem – ach! meine eigenen ehemaligen Liebes=Documente
verwahrlich niedergelegt sind, und eben wollte ich, damit nicht etwan ein
Unberufener dazwischen käme, und meine Schleifwege entdeckte, die Thüre verriegeln
– als mir Agde – der Golf von Lion und nicht weit von seinem Ufer ein Bollwerk
ins Gesicht schimmerte, das über einem schäumenden Strudel hervorragte. „Wie
heißt jene Burg?“ war das erste Wort, das ich an den Postillion verlor, und es
verzinste sich gut. „Brescau,“ antwortete er, „Sie haben doch wohl von den berühmten
Leckerbissen der dortigen Muscheln gehört?“ Ich schüttelte den Kopf – „Nun so
werden Sie diesen Abend mit großem Behagen ihre Bekanntschaft machen. Der
Felsen, um welchen diese Schalthiere einheimisch sind, versorgt die
Wirthshäuser in Agde überflüssig damit, denn ihrer Zartheit wegen können sie
nur an Ort und Stelle genossen und keine Meile weit verschickt werden.“ „So?“
sagte ich verwundert – „Dies Product macht also von vielen andern der
französischen Natur eine ganz eigene Ausnahme. – Die Gebäude da oben sind
sonach wohl Fischerhütten?“ „Wollte Gott, sie wären es!“ erwiederte mein Führer
– „Nein, mein Herr, es sind Wachthäuser einiger Invaliden, die den bequemsten
Ehrenposten von der Welt, die Aufsicht nemlich über das Staatsgefängniß haben,
das in jene Felsenmasse gehöhlt ist. Ein Wink des Monarchen – mehr braucht es
nicht – sondert hier vornehme Schuldige, wohl auch, wofür Gott sey, unschuldig
Verdächtige, von der Gemeinschaft mit der übrigen Welt ab, und gewiß kann die
Natur in ihrem Umkreis keine bessere Gelegenheit darbieten, um jedes Leben in
Vergessenheit zu bringen. Gott erbarme sich der armen Verkerkerten, die hier in
der Tiefe des Meeres athmen.“ „In der Tiefe des Meeres, sagst du? Ich will doch
nimmermehr hoffen, daß die dort anprallenden Wellen an ein menschliches Ohr
schlagen?“ „Nicht anders, mein Herr! Der Gefangene, sobald er jenen Gipfel
erreicht hat, wird gleich darauf so tief herab, als er hoch gestiegen ist, an
Seilen, wie in einen Schacht, heruntergelassen und seine Laufbahn ist geendet.
Niemand kann Zahl und Namen dieser Versunkenen angeben, die weiß nur der
König, vielleicht auch nicht, aber nach den Nahrungsmitteln, die täglich einer
von der Besatzung aus dem Bürgerspital abholt, können ihrer nicht so gar wenig
seyn.“
„Im Frühling
vorigen Jahres traf sichs´ daß ich eben hier vorbeikam, als ein solcher
Unglücklicher aus der Welt gestoßen wurde. Der Policey=Wagen hielt nicht weit
vom Ufer; zwei von der Wache öffneten ihn und übernahmen den Gefangenen.“
„Verkappt und
gefesselt brachten sie ihn in ein Fahrzeug. Der Herr Engelländer, dem ich
vorgespannt hatte, befahl mir zu halten, stieg aus und näherte sich der Scene
mit seinem Fernglas. Ich brauchte das nicht, um den Vorgang eben so deutlich zu
bemerken als Er. In ohngefähr zehn Minuten landete der Kahn zwischen den zwo
Klippen, die dort – sehen Sie? - den Platz zum Einlaufen bilden, und nun kam
uns der Verhüllte noch fünfmal auf der Freytreppe, die rund um den Felsen in
einer Spindellinie bis zu seiner Spitze aufsteigt, ins Gesicht. Es lief mir
eiskalt über die Haut, als ich ihn den letzten Schritt thun und bald nachher
von der Oberfläche der bewohnten Erde verschwinden sah. Mein englischer
Pässagier ballte voll Ingrimm die Faust gegen den Policey=Wagen, als er, vor
uns her, nach der Chausse´e lenkte, setzte sich fluchend in den seinen und ließ
mich nicht zu Athem kommen, bis ich jenen eingeholt und ihm aus den Augen
gebracht hatte; ich aber betete indeß ein Ave Maria für den armen Verstoßenen,
und die heilige Jungfrau hat mir´s vergolten.“
„Wie so? lieber
Freund!“ fragte ich neugierig. „Weil ich,“ antwortete der brave Kerl, „von der
Stunde an ein ganz anderer, viel besserer Mensch geworden bin, als ich sonst
war. Denn während ich bey dem Fort vorbey meine müden Pferde wieder nach Hause
ritt, ein gutes Trinkgeld in der Tasche hatte, und meinen Kittel von der lieben
Abendsonne vergoldet sah, – ach! wie hoch schlug mir das Herz, wie viel gute
Entschließungen faßte – und wie verdammte es nicht die gottlose
Unzufriedenheit, die sich sonst immer mit mir auf den Gaul setzte! Ich habe
seitdem mein Tagewerk lieb gewonnen, so mühsam es auch seyn mag, und will mir
ja einmal mein trockenes Brot nicht zu Halse, so brauche ich nur, um es mir
schmackhaft zu machen, an den armen Herrn zu denken, der kein besseres im
Grunde des Meeres verschlucken muß. Wie mag er die vielen freundlichen Stunden,
die indeß über seiner Finsterniß verlaufen sind, in welcher Seelenangst mag er
sie nicht verseufzt haben! Wie würde er Gott loben und danken, wenn er an
meiner Stelle – ach an der Stelle meines Sattelpferds wäre!“ Hier zog er sein
Schnupftuch heraus, wischte sich die Augen und schwieg. ,,Bitte“ – zischelte
ich Bastianen zu – „den guten Menschen diesen Abend bey dir zu Tische, und laß
ihm nichts abgehen,“ ihn aber bat ich, einige Augenblicke zu halten, weil ich
aussteigen und doch das Fort aufnehmen wolle, wo die seltenen Muscheln gefunden
würden. „Thun Sie, was Ihnen gefällig ist,“ war seine Antwort, „ich mag nichts
davon wissen, doch nehmen Sie Sich in Acht, daß die Abzeichnung Ihnen an der
Grenze keinen Verdruß zuzieht.“ Ich ging, setzte mich, der Feste gegen über,
auf den Rasen, und trug den Abriß von ihr auf ein Pergamentbiatt meiner
Schreibtafel über. Als ich damit fertig war, und zu meiner Berline zurückkam,
zeigte ich den beiden Zurückgebliebenen meine artistische Arbeit, ich weiß
eigentlich selbst nicht warum? denn Kunstverstand konnte ich doch wohl bey
keinem voraussetzen. Der Postknecht drehte das Pergament nach allen Seiten.
„Nein,“ gab er mir es zurück, „die Zeichnung brauchen Sie nicht versteckt zu
halten, die wird die Festung nicht verrathen.“ Mein Kammerdiener benahm sich
schon feiner. „O ja,“ sagte er, nach vieler Ueberlegung, „Ihre Abbildung“,
indem er einigemal nach dem Original hinblickte, „dächt´ ich, wäre sehr
richtig. Das hier, nicht wahr? stellt den Strudel – jenes das Wachthaus, diese
Linie den Weg, und diese Striche den Gefangenen und seine Begleiter vor? Als
ein Avant la lettre
bringen Sie das Blatt ganz sicher über die Grenze – denn ein solches – wer
versteht es? aber nachher – ja, da würde ich selbst für den Schlag Menschen als
unser Postillion,“ – raunte er mir listig in´s Ohr – „zu einer schriftlichen
Erklärung rathen.“ „Laß es gut seyn, Bastian!“ lachte ich ihm ins Gesicht; doch
benutzte ich seinen Wink, sobald ich in´s Wirthshaus kam, und setzte die paar
Zeilen unter meinen Entwurf:
Stolz steigt der Fels in die Luft, trotzt, in dem Orkus
gegründet,
Dem um ihn tobenden Meer, dem ihn umkreisenden Blitz;
Sein kahler Gipfel, bekränzt von Nebelwolken, verkündet
Verlassen von der Natur, der Rache scheußlichsten Sitz.
Ein ehern Schneckengewind des steilen Stufengangs schraubet
Zu seinem ernsten Gericht den Ausgestoßnen hinan,
Den unter wüthender Angst, der letzten Hoffnung beraubet,
An ihrem furchtbaren Thron die Eumeniden empfahn.
Einst unser Bruder – und jetzt, von seinem bösen Geschicke
Belastet, schwankt er einher, zum Missethäter entstellt,
Weint und verzweifelt und wirft noch drey entsetzliche
Blicke
Gen Himmel – über das Meer und in die Lauben der Welt;
Dann stürzt des Herrschers Gebot mit der Vergessenheit
Fluche
Ihn in die Bergkluft hinab und mitternächtlicher Graus
Umschlingt als Leichentuch ihn, und löscht im freundlichen
Buche
Des Lebens seinen Vertrag mit Zeit und Menschenglück aus.
Jetzt, da ich
meine poetische Beschreibung überlese, die läst einem Bau=Anschlag gleich
sieht, sollte mir wohl banger um sie werden, als um meinen Grundriß, denn jene
könnte eher als dieser einen von unsern ruhmbegierigen Architekten auf den
Einfäll bringen, sich durch Erfindung eines ähnlichen Gefängnisses – Spandau
etwa gegen über, – ein bleibendes Verdienst um den Staat zu erwerben. Nur
wüßte ich nicht, was er dort den Vorbeyreisenden, zur Besänftigung ihres
empörten Gefühls, an die Stelle der gepriesenen Muscheln vorsetzen könnte, die
mich diesen Abend ziemlich der Natur wieder näherten, mit der, als Vermittlerin
der ausgesuchtesten Tyranney, ich schon drauf und dran war zu zanken.
Erklärte es der
Hunger nicht einigermaßen, der, seit dem Frühstück mit der kleinen Margot, mir
immer heftiger zusetzte, so wäre es unbegreiflich, wie eine Leckerey aus der
Nähe einer solchen Marterkammer den schreckhaften Eindruck derselben in dem
Grad schwächen konnte, daß mir auf die letzt die armen Menschen, die dort
schmachten, nur noch als entfernte Freunde vorschwebten, auf deren Gesundheit
man sich leicht einen Rausch trinkt, da unser machtloses Bedauern, wenn sie
auch noch so unglücklich wären, ihre Thränen nicht abtrocknen, und unsre
strengste Kasteyung ihre Leiden nicht heben kann.
Beziers.
Den 2ten März.
Wie freute ich mich, als ich diesen
Morgen Agde verließ, auf den Ort, den ich nun erreicht habe.
Jeder unsrer Geographen, die ich über
meine Reise zu Rathe zog, zeichnet ihn durch eine Sentenz aus, die, wäre sie
erwiesen, Jerusalem und alle Hauptstädte der Welt demüthigen müßte. Wenn Gott,
sagen sie, auf Erden wohnen wollte, würde er Beziers zu seinem Aufenthalt
wählen. Die Herren, welche in ihre auf gut Glück zusammengestoppelten
Nachrichten diese französische Hyperbel mit deutscher Arglosigkeit aufnahmen,
können sie, in den neuen Ausgaben ihrer Handbücher, auf mein Wort weglassen.
Ich
erkläre sie geradezu für eine Gotteslästerung, indem ich nicht nur dem höchsten
Wesen alle die Eigenschaften, die ihm unser Catechismus beilegt, sondern auch
guten Geschmack in einer Vollkommenheit zutraue, die so sehr, als jeder andere
Gedanke von seiner Größe, weit über unsere Vernunft geht.
Langmüthiger!
vergieb dem kleinstädtischen Gesindel ihren Bürgerstolz, so einfältig sie ihn
auch an den Tag geben.
Der
Weg, den ich von meinem Nachtlager bis zu dem wackeligen Schreibtisch
zurückgelegt habe, vor dem ich alleweile auf einer breternen Bank sitze,
verdient jedoch eine ehrenvolle Erwähnung.
Die treffliche Chausse´e, die sich durch
eine dürre undankbare Landschaft schlängelt, kommt dem Reisenden – Fußgänger
nehm´ ich aus – aufs beste zu Statten. Er hat nicht Zeit, Langeweile zu haben.
Sein fortrollender Wagen hat schon alle unangenehme Gegenstände überflogen, ehe
das Auge sie fassen kann. So gelangt er – zwar mit drehendem Kopfe, doch ehe er
sich umsieht, an das Stadtthor, das nicht nur gerade nach dem zweiten, zu dem man
wieder hinausfährt, sondern auch nach dem einzigen Wirthshause hinweist, das
Fremde aufnimmt. Diese kluge Anlage befördert die Uebersicht des schönen Ganzen
in einem Augenblick. Meine Neugier war auch schon vollkommen befriediget, als
ich den Gasthof zum Ortolan am Ende des Städtchens erreicht hatte.
Hier
lag nun die Aussicht auf den fortlaufenden Steinweg der nächsten Station zu
offen da, um mir nicht Lust zu machen, meine Morgenreise sogleich fortzusetzen.
Da
rückte mich aber der Wirth aus meiner bequemen Lage und lud mich zum Frühstück
auf einen Spieß der seltenen Vögel ein, von denen einer auf seinem Schilde
gemalt stand. So etwas läßt sich nun freilich nicht ausschlagen. Der Mund lief
mir voll Wasser. Ich stieg aus und bestellte die Postpferde nach Verlauf einer
Stunde. Diese Eile, kann ich mir nicht anders vorstellen, muß den
spitzbübischen Kerl beleidiget haben, denn ohne zu entscheiden, ob er mir
Sperlinge oder Finken vorgesetzt hat, wollte ich doch, wenn es Noth hätte, vor
Gerichte beschwören, daß es keine Ortolane waren. Ich hatte an dem Versuche
eines einzigen Flügels genug, schob die Schüssel mit Ekel von mir und, „Glaubt
der Herr Wirth,“ fuhr ich ihn an, als er mit schrumpfigen Mandeln zum Nachtisch
hereintrat, „daß man einem Deutschen alles weiß machen kann? Hol´ Euch dieser
und jener mit Euren Ortolanen und Eurem gotteslästerlichen Städtchen!“ Ich
hätte gern meine Worte wieder zurückgehabt, denn kein elender Scribler, der
heißhungrigen Lesern unter dem Titel eines komischen Romans ein Buch in die
Hände spielt, bei dem ihnen das Lachen vergeht, kann sich ungeberdiger gegen
die gelehrten Verräther seines Betrugs benehmen, als sich der Mann gegen meine
unpartheiische Recension seines Geflügels auflehnte.
Nun
setzt wohl nichts mehr die Galle in Bewegung, als wenn solch ein Unverschämter,
dessen elende Kost wir eben erprobt haben, den Stein, der ihn treffen sollte,
nach uns zurückschleudert und zu seiner Rechtfertigung unsern Geschmack
verdächtig zu machen sucht, wie es sich dieser Sudelkoch gegen meine feine
Zunge herausnahm. Bitter und böse über seine so beleidigende Gegenrede, wollte
ich eben Bastianen rufen und noch einmal auf die Post jagen, als ich in der
Thüre einem Quidam entgegen rennte, der im Begriff war, anzuklopfen. „Um Vergebung
– ich habe mich geirrt,“ stotterte er, „ich sah vor dem Hause eine Berline
stehen und dachte, sie gehöre einem Herrn zu, den ich täglich und stündlich
erwarte, dem Secretär des Herzogs von Bedfort, für dessen Gallerie ich ihm –
Lassen Sie Sich nicht stören, mein Herr! – einen Titian verkauft habe.“
„Ich
weiß nicht, was ich von seinem Ausbleiben denken soll. Er hat mir nichts auf
den Handel gegeben und die Zahlungs=Frist ist nun schon vor drei Wochen
verlaufen.“ Meine runzlige Stirn klärte sich auf. „Treten Sie doch näher, mein
Herr!“ nöthigte ich ihn in das Zimmer, „mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen?
Handeln Sie mit Gemälden?“ „Nein,“ sagte der freundliche Mann, „ich bin hier
geschworner Notarius.“ „Einen Titian sagen Sie?“ – „Ja,“ erwiederte er, »eine
Venus von ihm und sicher aus seiner besten Zeit. Sie ist als Fideicommiß auf
mich gekommen; ob sie aber, nach einer alten Tradition, dieselbe ist, vor der
Karl der Fünfte den Pinsel aufhob, will ich nicht mit Gewißheit behaupten,
ohnerachtet schon mehrere Kenner die warme Stelle haben angeben wollen, wo er
dem Maler von allzustarkem Enthusiasmus entschlüpft sey.“ „Der erste Umstand,“
sagte ich lächelnd, „würde für den Werth des Bildes auch wenig beweisen. Große
Herren heben oft Pinsel aus dem Staube, die es nicht verdienen, und lassen
bessere liegen, die sie aufheben sollten.“
„Das sind zufällige Dinge, auf die sich
ein wahres Genie nichts zu Gute thut, und die selbst als Anekdote in der
Geschichte der Kunst von keinem Belang sind. Die Gemüthsbewegung des Künstlers
hingegen, von der Sie sprachen, wäre schon bedeutender. Aber dürfen Sie denn,
mein Herr! ein Fideicommiß veräußern?“
„Die
Verbindlichkeit seiner Erhaltung,“ erklärte er mir etwas weitschweifig, „hört,
den Gesetzen gemäß, bei dem letzten Nachkommen des Erblassers auf. Nun kann ich
zwar die Familie noch nicht für erloschen ausgeben, da mir eine Tochter
geblieben ist, die den besten Willen hätte, sie fortzusetzen, wäre ihrem Freier
nur mit einer bloß gemalten Ausstattung gedient. Indem ich aber von dem wenigen
Meinen, außer diesem Kunstwerke, durchaus nichts entübrigen kann, so tritt die
Rechtsfrage ein, ob ein Vater in meinem Falle seine einzige Tochter der Gefahr,
ihren Bräutigam zu verlieren, aussetzen, oder ihrem nicht unbilligen Verlangen
nachgeben soll, das Bild der Liebe der Wirklichkeit aufzuopfern? Ich habe den
Zweifelsknoten als Rechtsgelehrter erst auf allen Seiten betrachtet und ihn
endlich als ein zärtlicher Vater gelöst.“
„Denn
kann auch, sage ich, das herrliche Gemälde nach seinem Verkauf nicht auf die
künftigen Leibeserben meiner Tochter übergehen, so müßten sie doch, sage ich,
vor den Kopf geschlagen seyn, wenn sie mich deßhalb in Anspruch nehmen wollten,
da ich doch ehrlicher Weise ihnen zu ihrem Daseyn nicht anders verhelfen kann.“
Ich
machte dem schwatzhaften Mann so viele schmeichelhafte Complimente über die
Bündigkeit seiner Deduction, und wußte zugleich meine in Geheim aufsteigenden
Wünsche so geschickt durch die sehr wahrscheinlichen der bedrängten Schönen zu
unterstützen, daß ich ihm bald genug die Erklärung, an der mir am meisten lag,
abgelockt hatte: „er wolle nun auch keinen Tag länger auf den saumseligen
Bezahler lauern, wenn sich ein Liebhaber fände, der in seinen Kauf träte.“ „Und
auf wie hoch, wenn ich fragen darf, haben sie ihn abgeschlossen?“ „Auf tausend
kleine Thaler,“ erwiederte er, »eine mäßige Summe für einen Titian, der so gut
erhalten ist, als es ein Fideicommiß nur seyn kann; aber, wie gesagt, die bängliche
Lage meines armen Kindes“ = = = „O, diese“
fiel ich ihm ins Wort, „könnte wohl selbst einen so zärtlichen Vater vermögen,
noch etwas von jenem Preise nachzulassen, wenn er baares Geld sieht. Nicht
wahr?“ Er zuckte mit den Achseln. „Nun darüber,“ fuhr ich fort, „läßt sich noch
sprechen, wenn Sie mir erlauben, Ihnen und der Venus meine Aufwartung zu
machen.“ „Viel Ehre für beide!“ verneigte er sich. „So darf ich Ihnen wohl
folgen?“ fragte ich, „denn länger, als eine gute halbe Stunde kann ich mich
hier nicht aufhalten.“ „Das thut mir leid,“ entgegnete er, „und ich kann sonach
Ihnen nur noch eine glückliche Reise wünschen, weil ich vor drei Uhr nicht
wieder zu Hause seyn kann – nöthiger Geschäfte wegen.“ „Das,“ besann ich mich,
„läßt sich wohl noch vergleichen. Die meinigen sind nicht so dringend, um
darüber einen schönen Anblick aufzugeben. Ich darf ja nur die Postpferde später
bestellen. Nach drey Uhr also, lieber Herr Notar, will ich mich einstellen.“
Er
nickte mir bloß mit dem Kopfe zu, ergriff verdrüßlich seinen Hut und ging.
Unter der Thür drehte er sich noch einmal nach mir um. „Wenn Sie lange Weile
haben, und wollen unterdeß, bis ich zurückkomme, meiner Tochter zusprechen, so
steht es bei Ihnen. Die Venus aber kann Ihnen freilich ein Mädchen nicht
aufdecken. Der Kellner weiß, wo wir wohnen.“ Er war schon auf der Treppe, ehe
ich antworten konnte. Das ist ein wunderlicher Heiliger, dachte ich; erst so
gesprächig und nun so kurz abgebrochen! Sollte er denn aus den paar Worten, die
ich über den Preis seines Gemäldes fallen ließ, einen Knauser in mir vermuthen,
der erst den Vater treuherzig gemacht hätte, um durch jüdischen Handel die
Verlegenheit der Tochter zu benutzen, und ihren ohnehin geringen Brautschatz
noch zu schmälern? Das möchte, wohl bei andern Käufern der Fall seyn. Nein, ich
will nicht zur Ungebühr so preßhafte Personen noch mehr pressen. Das schwör´
ich bei dem Andenken des unsterblichen Titian.
Es
wäre doch drollig, Eduard, wenn das abgeschmackte Beziers mir zu einem Kleinod
verhülfe, nach welchem ich, seit ich denken und fühlen kann, vergebens geangelt
habe. Zum Glück – auch in dem Falle sogar, wenn die mißlichen Umstände eines
einzigen Sprößlings den Vater auch nicht zu einem Sous Nachlaß bewegen könnten,
– bleibt meiner Kasse noch hinlänglich Kraft, den gebannten Geist des großen
Malers aus dem verfallenen Bau des Notars zu erlösen, ohne daß mir, wie
gewöhnlich den Schatzgräbern, weitern Fortkommens wegen bange seyn darf. Reiche
ich mit meiner Baarschaft nur bis Leyden! Bei einem Freunde, wie mir Jerome
ist, habe ich keine Verlegenheit zu fürchten, wenn ich ihm nichts leereres
verrathe, als meine Geldbörse!
Wie
hat mich doch in diesem Augenblick eine Post=Chaise erschreckt, ehe ich sahe,
daß sie durchfuhr!
Es
müßte aber auch wunderlich zugehen, wenn der Zufall eben jetzt den erwarteten
Secretär in die Quere brächte. Sein Termin ist verlaufen. Es hat drei
geschlagen; ich fliege nun meiner Schutzgöttin entgegen.
* * *
Beziers.
* * *
Den 3ten März.
Du siehst mich immer noch hier, Eduard,
und kannst leicht denken, daß sich, außer meinem wichtigen Handel von gestern,
noch andere Dinge eingemischt haben müssen, die meine Abreise von diesem
fatalen Ort verzögerten. Die Sache hängt so zusammen. Ich fand den Notar und
seine einzige Tochter vor einem großen Topf Chokolate à
double Vanille, zu
meiner Bewillkommnung. Die Liebesgöttin lauschte hinter einem grünlichen
Vorhang, gerade über dem abgenutzten Sopha, auf welchem die Braut saß, deren
Jugend und Farbe mir einen sehr billigen Kauf versprach, wenn ich ja in
Versuchung käme, bei einem Meisterstücke der Kunst an gute Wirthschaft zu
denken. Das gute Kind, bemerkte ich mit heimlichem Vergnügen, hatte ihre
Blüthenzeit schon so weit hinter sich, daß es toll und thöricht vom Vater wäre,
wenn er noch einen Tag anstände, vermittelst des älteren Fideicommisses dem
jüngern Luft zu machen.
Die
gar zu höflichen Leutchen verschwendeten einen Schwall ihres Getränkes an mich,
das ich, während meine Gedanken hinter dem Vorhange schwebten, aus Zerstreuung
hinunter – und dagegen in allem meinem Geäder eine gewaltige Hitze aufjagte.
Um
indeß dem Strom einigermaßen entgegen zu arbeiten, der mich, seiner Natur nach,
mit jeder Tasse viel weiter nach Paphos zu treiben drohte, als es für den
Vortheil meines vorhabenden Geschäfts gut war, benutzte ich jede Gelegenheit,
dem vergilbten Mädchen das Glück der Ehe und die Seligkeit verbundener Seelen
aufs reizendste vorzumalen. Meine Poesie blieb nicht ohne Wirkung. Ihre Wangen
flammten stärker noch, als die meinigen, und sicher ließ sie in ihrem pochenden
Herzen jedesmal hundert Livres von dem geforderten Preise nach, so oft ich mich
geneigt fühlte, mein Gegengebot um funfzig zu erhöhen. Dieser stillschweigende
Handel um ein verdecktes Gemälde ward mir jedoch je länger, je lästiger. Ich
mußte alle meine Artigkeit zusammennehmen, um im Beiseyn der verschämten Braut
den Vorhang nicht ein wenig zu lüften. Endlich – auf einen bittenden Wink des
Vaters, setzte sie die Tasse aus der Hand, rückte den Tisch und entschloß sich,
die beiden Herren mit der Venus allein zu lassen. Ich hätte sie, und das will
viel sagen, umarmen mögen, als sie mit der dritten und letzten Verbeugung an
der Thür, meiner Ungeduld ein Ende machte. Welch eine Erwartung, welch ein
köstlicher Augenblick! Der Notar ergreift die Schnur – ich zittere am ganzen
Leibe – der grüne Vorhang fliegt seitwärts – meine feurigen Augen, wie Lichter,
die schnell in das Dunkle treten, stürzen nach und umfassen nun mit Erstaunen
das Gebild, das mich so lange durch seine schamhafte Verhüllung gequält hat. Es
liegt vor mir in seiner ganzen weitläuftigen Nacktheit. Und ich – wie vor den
Kopf geschlagen stehe ich da, habe nicht das Herz, noch einmal hinzublicken,
lache bitter und befrage mich:
Dies
wäre Sie, die jedes Herz erweichet,
Den
Wachenden entzückt, den Schlafenden erweckt,
Die
Göttin, die mir noch den besten Kelch gereichet,
Nachdem
ich alle durchgeschmeckt? –
Bei
allen Heiligen, die jemals mich geneckt,
Bei
Lady Baltimor, die der Madonna gleichet,
Bei
Margots Reiz, der sich nicht minder unbefleckt,
Gleich
einer Lilie, die Zephyr aufgedeckt,
Stolz
aus dem Nebel hebt, der nach den Thälern streichet,
Schwör´
ich – Es ist die Braut! vielleicht nur zu korrekt
Nach
der Natur gemalt, – denn was hier strotzt und bleichet,
Hält
Venus zu Florenz mit scheuer Hand versteckt;
Die
Braut ist´s, die im Drang, der aus der Brust ihr keuchet,
Matt
wie der Tauben Paar, das ihr zu Füßen schleichet,
Die
Arme nach Erlösung streckt.
Getroffner
hat noch nie mich ein Portrait verscheuchet
Und
ein Original erschreckt.
Doch,
daß verständlicher noch die Verlockung werde,
Winkt,
so wie ehedem dem Wandrer zur Gefährde,
Zu
ihrem Räthselspiel, die frevelhafte Sphinx,
Hier
zu fast gleichem Zweck mit listiger Geberde
Ein
blinder Junge dir, dem links
Die
Rüstung Amors liegt – und nun mit gelber Erde
Gleich
drunter: Titianus pinx.
Hätte
mich nicht Zeit und Erfahrung gelehrt, Meister meiner ersten Hitze und meines
spanischen Rohrs zu werden, ich weiß nicht, wie es dem geschwornen Notar
ergangen wäre. So aber ließ ich es bei einem verächtlichen Blicke bewenden, den
ich von der Betrachtung dieser untergeschobenen Venus ausdrücklich für ihren
leiblichen Vater aufgehoben hatte. Der Betrug ist zwar grob, berechnete ich in
der Geschwindigkeit, den der Unverschämte dir zu spielen gedachte, dafür ist er
aber auch, genugsam zwar noch lange nicht, durch den Aufwand von der theuern
Chocolate bestraft, um die er sich nun aufs kläglichste in seiner
Bettelwirthschaft geprellt sieht. Wohl gar, ging mir ein schreckliches Licht auf,
stellte er dir nur darum frey, einige Stunden allein mit dem verschossenen
Original zuzubringen, um gegen ein tüchtiges Schaugeld die Aehnlichkeit der
Kopie desto besser vergleichen zu können; denn der Kerl ist gewiß jeder Bosheit
fähig. In zornigem Stillschweigen nahm ich meinen Hut von der Wand, stäubte ihn
ab, während er, ohne daß ich darauf achtete, den Kaufpreis seines Ungeheuers
von einem Tausend Livres zum andern heruntersetzte, und eilte, weniger über
seinen doppelt mißlungenen scheußlichen Versuch, als über meine
Leichtgläubigkeit aufgebracht, die Treppe hinab, denn ich hätte mir doch wohl
vorstellen können, daß unsere Stubengelehrten ein solches Fideicommiß, wenn
eins hier vorhanden gewesen wäre, wenigstens eben so gern einer Anzeige würden
gewürdiget haben, als jene ruchlose Sentenz. Am längsten schlug sich meine
bittere Laune mit dem Tüncher herum, der sich erfrecht hatte, den Namen jenes
glorreichen Malers auf seinen Schmierlappen zu prägen.
„Du,“ rief ich mit geballter Faust in die
Luft:
Du, der des Löwen Haut gleich jenem Esel
stahl,
Der
dennoch blieb, was er gewesen,
Du
Schöpfer meiner Augenquaal,
Wird
je dein Name laut, so sey´s im Hospital,
Wo
du für dein Gebild die Farben aufgelesen.
Es
leihe als Symbol von ihrem Hochzeittag
So
lange Trost der männertollen Dirne,
Bis
ein verschobenes Gehirne
Den
ekeln Brautschatz heben mag.
Erwarte
nicht, o Thor! daß deine kranken Tauben,
Die
man zu gut an ihren Federn kennt,
Ein
Körnchen je des süßen Weihrauchs rauben,
Der auf dem Herd der Liebe brennt!
Wird
wohl ein Wurm wie du, der nach Cytherens Insel
Verweht,
ein welkes Blatt aus ihrem Kranz erschleicht,
Ein
Genius, dem gern und aus Gefühl vielleicht
Sein
Kaiser tief gebückt, den leicht entschlüpften Pinsel
Zum
letzten Schattenstrich des Kleinods wieder reicht,
Das alle andre hebt, wenn's gleicht? –
That
ich wohl klug, daß ich noch Galle zu dem Höllengetränke mischte, mit dem der
Fidei=Commissar und seine, zu einigem Trost der Durchreisenden, einzige Tochter meine Augen zu
bestechen hofften?
Mein
armes, dießmal wider Verschulden, gepeitschtes Blut war darüber in eine Wallung
gerathen, die mir keine Ruhe verstattete.
Schon
seit einer Stunde außer dem Thore meiner unglücklichen Einfahrt hatte ich
bereits einen halben Cirkel um das dumme Städtchen geschlagen, als ich gegen
alle Erwartung auf einen Punkt stieß, der mich fest hielt.
Ein
großer menschlicher Gedanke mit genialischer Kraft ausgeführt – eins der vielen
Wunder des Canals von Languedoc, lag gerade vor mir. Ich sah ein Postschiff
unter meinen Füßen anschwimmen, das, um seinen Lauf in der höhern Landschaft
fortzusetzen, zwei und siebenzig Ellen bis zu meinem Standpuncte heraufsteigen
mußte, welches durch sieben Schleußen, die das Wasser zu so viel Stufen
anschwellten, in wenig Minuten bewerkstelliget wurde. Während ich nun zusah,
wie viele verdrüßliche Gesichter die Barke aussetzte und wie vergnügt die
schienen, die sie dagegen einnahm, und bei einem Hinblick auf die Stadt, das
eine wie das andere Phänomen sehr begreiflich fand, fuhr mir die Frage durch
den Kopf, ob ich nicht auch klüger thäte, die Verdauung der doppelten Vanille
auf einem schaukelnden Schiffchen, als in einer Kneipe abzuwarten, wo man
Sperlinge für Ortolane giebt? Ich hatte nichts triftiges dawider einzuwenden,
als etwa die Besorgniß Bastians, wenn ich über Nacht ausbliebe.
Indem
streckte mir ein armer in Ruhe gesetzter Soldat seine dürre Hand nach einem
Allmosen entgegen. Sein altes, offenes, ehrliches Gesicht brachte mich auf den
Gedanken, ihn zu meinem Botschafter zu brauchen. Nun war er freilich auch lahm
dabey, aber nicht so sehr, um einen Weg nach dem Wirthshause zu scheuen; denn
er übernahm meinen Auftrag sehr gern und um so williger, da ich auf einer
Visiten=Karte, von der ich ohnehin weit entfernt war in Beziers Gebrauch zu
machen, für den Ueberbringern einen gleich zahlbaren Wechsel von vier und zwanzig
Sous auf meinen Cammer=Cassirer trassirte.
Ich habe schon größere für kleinere Bemühungen
an weit lahmere Geschäftsträger ausgestellt, ohne nur halb so viel Provision
dabei zu gewinnen, als dieser mir abwarf. Das freundliche dankbare Auge des
armen Invaliden für den geringen Verdienst, den ich ihm zuwendete, leitete auch
das meine gen Himmel zu jenem großen Banquier, bei dem ich ja, mit Allem, was
ich habe – mit dem reichlichen guten Brote, das ich verzehre, so wie mit dem
wenigen schwarzen, das ich dem Hungerigen breche, in Schuld stehe.
Diese
vorüberfliegende Empfindung, die eigentlich jeden Heller und Groschen begleiten
sollte, den wir ausgeben, machte mich in diesem Augenblick reicher und froher,
als wenn mir jemand die ächte Venus geschenkt hätte, vor der ein Beherrscher
der Welt den Rücken bog. Das Fahrgeld für die erste Station nach Somailles
betrug, selbst den Wechsel dazu gerechnet, so wenig, daß ich schwerlich eine
andere siebenstündige Zerstreuung wohlfeiler hätte erkaufen können. Meine
Unterhaltung in der ersten Stunde möchte ich gern, wenn es nicht zu eitel
klänge, auch für die beste halten, denn sie entspann sich in mir selbst. Die
mitschiffende Gesellschaft – aus Lappen von verschiedener Güte und Farbe
zusammen gesetzt, und die Du mir wohl nicht zumuthen wirst in eine Musterkarte
zu bringen, warf dem Ausländer, ehe sie ihn angriff, erst Leuchtkugeln in das
Nest, um ihn aufzujagen. Jedes reichte aus seinem Vorrath dem andern ein
Stückchen gefärbtes Glas oder Rauschgold zu, um den Ehrenkranz des
gemeinschaftlichen Vaterlands noch höher zu schmücken.
Ich
gab für die Lust, die sie dadurch mir machten, ihnen dagegen auch gern mein
Erstaunen zu ihrem Spielwerke preis, und so war mit wenig gesellschaftlicher
Falschheit beiden Theilen geholfen.
Ein
jubilirter Fähndrich eines längst verschollenen Freikorps war der erste, der mir
auf der Bank mit dem Uebelgeruch seiner hörnernen Dose und einem Mißklang
deutscher Worte näher rückte; die einzigen Ueberreste seiner Beute aus dem
siebenjährigen Kriege. Trotz ihrer Verstümmelung gaben sie mir doch, so gut als
Gresset´s Vert-vert, und
bestimmter als es der Redner wohl selbst glaubte, den gesellschaftlichen Ton
seiner großen Verbindungen in
Deutschland so treu wieder zurück, daß mir die Ohren weh thaten.
Er
gedächte noch mit Entzücken, schwor er mir zu, seiner Rasttage zu Meißen,
Dresden, in dem Plauischen Grunde und auf dem weißen Stein. Desto unerwarteter,
obgleich sehr lieb, war es mir, von jemanden, der die Vergleichung machen
konnte, zu erfahren, daß ich mich ganz in der Nähe einer Augenweide befände,
die nicht nur jene, wie er sich ausdrückte, nicht übeln Gegenden meines
Vaterlands, sondern die prächtigsten sogar seines eigenen, weit hinter sich
ließe, die malerische nemlich – unglaublich schöne Aussicht, die ein Bischof
von Beziers auf der Terrasse seiner herrlichen Residenz genösse. „Das ist viel
gesagt,“ entwischte mir, indem ich im Geiste jene Prunkgefilde der Natur und
mein unvergeßliches Sonnenthal überblickte. „Nun so gebe ich mich,“ erklärte er
mit militärischem Anstand, »nicht eher zufrieden, bis Sie mir Ehre und Augen
verpfänden, daß Sie Sich selbst überzeugen wollen, wie viel zu wenig ich noch
gesagt habe.“ Um so ein Versprechen lasse ich mich nicht lange bedrohn. Ich
wiederholte es ihm in der Folge noch einmal, weil mir sein fortwährender
Bombast über denselben Gegenstand in der Länge verdrießlich ward. „Morgen, wenn
ich von meiner Spazierfahrt zurückkomme,“ sagte ich, „soll gewiß mein erster
Gang nach der bischöflichen Burg seyn.“ „Setzen Sie ihn nur noch einen Tag weiter
hinaus,“ suchte er mich zu bereden, „so bin auch ich wieder zu haben, begleite
Sie, und besuche zugleich den dortigen Castellan, meinen leiblichen Vetter, der
sein Trinkgeld sauer verdienen soll, dafür stehe ich.“ Es that mir wohl leid,
daß mir meine ohnehin zu lange verschobene Abreise von Beziers nicht erlaubte,
sein höfliches und so vortheilhaftes Erbieten anzunehmen; beinahe aber thut es
mir noch weher, der schönen Natur eine neue Gunstbezeugung abzulocken, die den
Eindruck aller jener verwischen soll, an denen mein Herz noch jetzt mit der
treuesten Leidenschaft hängt; indeß tröste ich mich mit meinen unersättlichen
Augen, die noch überdieß zu Pfand stehen. Williger stimmte ich in die Lobrede
ein, die der Schwätzer dem Canal hielt, gab gern zu, daß Deutschland
dergleichen nicht aufzuweisen habe, und fand wirklich die Stellen, die er mir
im voraus mit Wortgepränge ankündigte, trotz der dadurch gestörten
Ueberraschung, jedesmal merkwürdiger noch, als ich erwartete. Das erste Wunder,
das ich anstaunte, war ein ausgebrochener Felsen, Malpas genannt, über dessen
Rücken Lastwagen rasselten, während die Barke unter seinem kühlen, dämmernden,
hohen Gewölbe hundert und zwanzig Toisen auf das lieblichste fortschlüpfte.
Einige Stunden nachher warf sich ein reitzendes Thal, wie eine große Smaragd=Schaale,
meinen frohen Blicken entgegen. Aus seiner Tiefe stiegen drey ungeheure
Bogenmauern in die Höhe, die das Schiff und den Canal gleichsam in der Luft
forttrugen, indeß senkrecht unter uns ein Fluß rauschte, eine Heerde Schafe an
seinem Ufer weidete, und eine Gruppe lustiger Mädchen sich, ohne Furcht vor
unsern Ferngläsern, zum Baden anschickte.
Das süße Lebensgefühl, das in dem Herzen eines
auch noch so Unempfindlichen aufwallen muß, der dieß fortlaufende reiche Natur=
und Kunstgemälde zum erstenmal erblickt, und das jetzt glänzend aus meinen
Augen hervorleuchtete, machte mir die ganze Gesellschaft geneigt, so wenig
meine Bewunderung auch Bezug auf sie hatte. Alle setzten bei mir voraus, daß
ich von Barke zu Barke bis nach Toulouse fahren, und auf der Route bey St.
Feriol aussteigen würde, um den größten bekannten Trichter der Welt zu
betrachten. Er schwebe, erklärten sie mir, zwischen drey Bergen, wie aus Felsen
gegossen, und enthalte anderthalbmal die ganze Masse Wassers des, vierzig deutsche
Meilen durchfließenden Canals, um ihn nach den sechs Ablaß= und Feier=Wochen,
die man jährlich seiner Reinigung und Ausbesserung widme, wieder zu füllen.
Diese Mittheilung werde mit Hülfe dreyer metallnen Hähne bewerkstelliget, die,
wie an einer Thee=Urne, sich aufdrehen ließen, und jenem Wasser=Magazin der
erlittene Abgang durch mehrere ihm zugeleitete Bäche in einigen Tagen wieder
ersetzt. „Und wer,“ fragte ich, „war der Erfinder und Schöpfer dieses
erstaunlichen Menschenwerks?“ „Ein Landsmann und Zeitgenosse des berühmten
Pelisson, und nicht nur zur Ehre, sondern auch zum glücklichen Gewinnst für
uns,“ riefen sie alle mit innigem Wohlbehagen, „ein gemeiner Gärtner von
Beziers, denn der brave Mann ließ absichtlich den Canal einen Umweg nehmen, um
seiner Vaterstadt ein großmüthiges Andenken zu hinterlassen. Wäre er gleich
nicht in Narbonne geboren worden, werfen ihm die dortigen neidischen Einwohner
vor, so konnte er doch als Bürger des Staats, dem er zuerst angehörte, ihm
mehrere Millionen ersparen, wenn er dem Wasser, das er in Beziers gezwungen war
durch Kunst in die Höhe zu treiben, ein neben uns, schon von den alten Römern
hierzu eingerichtetes Flußbette angewiesen hätte. Das ist wohl wahr, stimmten
sie alle ein, aber was geht einen Bezierser der Staat an?“ „Ach!“ seufzte ich
heimlich, „so hat denn auch jenes große Genie, das nur zufällige Geburt in
diesen Winkel verschlug, der kleinstädtischen Denkungsart untergelegen, die
hier local ist! – Auch Fauquets Freund – ist es möglich, verwunderte ich mich
etwas zu laut, der rechtschaffene Pelisson wäre hier geboren?“ „Ja wohl,“ übernahm
der Fähndrich die Antwort, „das hiesige Clima scheint ganz besonders geeignet,
vorzügliche Menschen zu entwickeln.“ Ich sah ihn bedenklich an, dachte an den
Notar, an den Wirth zum Ortolan, und schwieg.
Desto
tiefer bückte sich mein zagender Genius vor jenem Muthigen, der diesen
künstlichen Strom ausgoß. Der Gedanke an den Umfang, an die Schwierigkeiten
seines herrlich ausgeführten Plans, spannte meine Neugier nur noch höher auf
diesen seltenen Sterblichen. Der Freybeuter empfahl sich dadurch sehr bey mir,
daß seine geläufige Zunge mir so viel von dessen Geschichte, als er nur selbst
wußte, mittheilte. Wie rührte es mich, alle die Kräfte in dem Kopfe eines
Mannes ohne gelehrte Erziehung vereinigt zu sehen, die erforderlich waren, um
das Zutrauen des klugen behutsamen Colbert zu diesem ungeheuern Unternehmen –
die Zustimmung des Königs zu zwanzig Millionen Aufwand, und einen so
vollkommenen Sieg über ein Heer von Gegnern und Neidern zu gewinnen. Der
Edelsinn Ludewigs erhob mir das Herz, der den Erfinder nicht würdiger zu
belohnen wußte, als mit dem vollendeten Werke selbst, das seinen Nachkommen,
den jetzigen Grafen von Caraman, jährlich eine halbe Million Einkünfte abwirft.
Dieß
thatenvolle Leben beschäftigte meinen Enthusiasmus selbst noch in Somailles, wo
wir zur gesetzten Zeit anlangten.
Es
segne, es segne sein dankbares Land
Den Namen Riquet – und Welt und Nachwelt
verehre
Den
Helden, dessen wohlthätige Hand
Zwei
ferne, fremde, tobende Meere
Friedlich mit einander verband!
Die
aufgeschreckte Natur warf mit gigantischem Zorne
Felsen,
Wälder und Seen in seine romantische Bahn;
Das
scheue Chor der Oreaden entrann,
Als er das große verworrene
Räthsel zu lösen begann.
Auf
dreyßig Stufen vom Manne zum Greise
Erschritt er den letzten entscheidenden
Tag,
Er
rief dem Wasser – es kam, es floß im sichersten Gleise,
Und
Gondeln flogen zum Ziel der neu erfundenen Reise,
Berg
auf und Berg unter, dem Boot ihres Anführers nach.
Da
blickte sein Auge zu Gott, und sieh! dem menschlichen Fleiße
Ward göttlicher Lohn; es blickte noch einmal, und brach.
Ja,
Freund, es brach, kurz nachher, als er von seiner ersten Probefahrt
zurückgekommen war, und die meinigen feuchteten sich an, als ich´s hörte.
Sollte
wohl für Reisende irgendwo in der Welt besser gesorgt seyn, als auf diesem
prächtigen Canal? Ich glaube kaum. Denn ungerechnet, daß man hier keinen Staub
zu verschlucken, für grundlose Wege kein Pflastergeld zu bezahlen, die
Grobheiten der Postknechte, den Umsturz des Fuhrwerks und Langeweile so wenig
zu befürchten hat, als Zeitverlust, so irrt noch überdieß Dein Auge, wie in
einer Gallerie von Claude Lorrain, von einer schönen Landschaft zur andern.
Dein Körper schwimmt in dem behaglichsten Gefühl. Für Deinen Gaumen wird schon
von weitem das beste Geflügel mürbe gekocht, und geistiger Balsam für Deine
arme Seele. Jeder Schuh Wasser, über welchen die vor Wind und Wetter geschützte
Barke sanft hingleitet, scheint zu dem Wege, den sie zurücklegen soll, so genau
berechnet zu seyn, als die Kette einer Minuten=Uhr.
Wenn
Du früh abfährst, siehest Du Dich in eine, zu einem Zweck vereinte, oft sehr
gemischte, aber immer muntere Gesellschaft eingereiht, bist der Sorge für den
Mittag überhoben, des Empfangs eines freundlichen Wirths an einer schon
gedeckten Tafel für festgesetzten mäßigen Preiß, und bei der Landung am Abend,
außerdem noch, eines reinlichen Bettes gewiß. Vom Anfang bis ans Ende der Fahrt
harren in den Wirthshäusern, bey denen Du anhältst, nicht nur körperlich
frische Pferde zum Ziehen des Schiffs – sondern auch untergelegte, geistige,
ehrwürdige Kapuziner, die beordert sind, Gott für Deine glückliche Ueberkunft
zu danken, und für Dein weiteres Fortkommen bis zur nächsten Kapuzinade Messe
zu lesen.
Höher,
als bei dieser, ist wohl in keiner öffentlichen Post=Anstalt die Vorsorge
getrieben worden. Auch bewies mir der Mönch, der unserm heutigen Abendmal
vorstand, die Wirksamkeit des angeordneten Gebets durch einen längeren als
hundertjährigen glücklichen Erfolg; denn, sagte er, obschon der Canal täglich
und stündlich hin= und herwärts befahren wird, so hat man doch kein Beyspiel,
daß auch nur ein Boot seitdem verloren gegangen sey, da hingegen unzählige
Schiffe verunglückt sind, als sie noch genöthiget waren, ihren Lauf durch die
Straße von Giberaltar, aus dem Aquitanischen – in das Mittelmeer zu nehmen. Ich
erregte nicht den geringsten Zweifel dagegen. Die Bewirthung hier gefällt mir
so wohl, daß ich den Ortolan keinen Augenblick vermisse.
* * *
Somailles.
* * *
Den 4ten März.
Meine Aergerniß über den Notar, seine
orangenfarbene Tochter und ihr Hochzeitgemälde ist verschlafen, und Bastian,
wenn ich auch nicht mit der Frühbarke abgehe, klug genug, die wahre Ursache
meines längern Außenbleibens nothdürftig zu errathen. Ich liebe ganz besonders
dergleichen unruhige und doch wohl eingerichtete Wirthschaften, wie ich hier
finde. Die Zeit wird mir keinen Augenblick lang. Ich sehe dem Aus= und
Einsteigen der Ankommenden und Abgehenden, wie einer Theater=Veränderung
mit Vergnügen zu – verplaudere mit jenen
einige Stunden, ohne es sehr zu achten, wenn mir diese aus den Augen verschwinden. – Geschichte des menschlichen
Lebens in einem gedrängten Auszuge! – Ich darf mir nur noch den Fortgang der
Welt mit immer neu aufgepackten Zeitgestalten unter dem Sinnbilde eines Canals
vorstellen, so habe ich eine moralische Betrachtung, so gut, als eine mit
Kupfern. Zufrieden indeß mit der kleinen Probe, die ich gemacht habe, ist mir,
nach ruhigem Nachdenken, die Lust vergangen, des edeln Riquet Erfindung, außer
eben jetzt zu meiner Rückreise, für das weitere zu benutzen.
Ich
verkenne zwar keinen der Vortheile, die sie Reisenden, unter andern Umständen,
als den meinigen, gewährt; für mich aber, der keine Fracht zu verfahren hat,
als die unbedeutende seines eignen Selbsts – der sich ungern an den
Glockenschlag bindet, und immer mit Helvetius fürchtet, daß uns schon dadurch
ein Mensch verhaßt werden könne, wenn man ihm lange gegen über sitzt, taugen
alle Fahrzeuge um so weniger, je richtiger sie ihre Stunden halten, und je
bunter sie besetzt sind. Da ich vollends gelegentlich erfahren habe, daß die
Postschiffe zehn Tage auf denselben Weg verwenden, den ich zu Lande in dreyen
zurückzulegen hoffe, so thue ich ohne weiteres Bedenken Verzicht auf die Ehre,
mit dem Wasserbecken zu Feriol und dem größten Trichter auf Gottes Erdboden
Bekanntschaft zu machen. Man käme schon von einem Frühlings=Spaziergange in
seinem Leben nicht nach Hause, wenn man nicht manches Merkwürdige vorbeyzugehen
gelernt hätte.
Mit
der Terrasse des bischöflichen Sitzes ist es etwas anders; diese liegt mir, so
zu sagen, unter den Händen. Ich brauche ja nur ausgeruhte Füße und helle Augen,
um diesen Solitär nach allen seinen Facetten zu betrachten. Kein Kenner des
Wahren, Schönen und Großen, sagte der Fähndrich im Romanenstyl, kann ihn
unbesehn lassen, ohne ein Majestäts=Verbrechen gegen die wundervolle Natur zu
begehen. Ach, seitdem mich die Puppenspieler von Agathens Seite aus St.
Sauveurs Landsitze versprengten, habe ich das Seelenbedürfniß des Anschauens in
seinem ganzen Umfange entbehrt. Desto wohlthätiger werden mir morgen meine
Frühstunden verstreichen. Ein halber Tag länger in Beziers ist freilich ein
hoher Kaufpreis; wer wollte aber ein Juwel deßwegen, weil es schlecht gefaßt
ist, vernachlässigen? Indem sah ich, daß mich das Gebet des Mönchs glücklich an
den Ort meiner Abfahrt gebracht hatte. Möchte es mir doch eben so glücklich von
ihm wieder forthelfen! Kaum war ich aus der Barke gestiegen, so stürzte mir
Bastian mit einem „Gott sey gelobt,“ an den Hals, „daß Ihnen der Schrecken,
nichts geschadet hat!“ „Was für ein Schrecken?“ fragte ich. »Nun? mit dem
tollen Hunde,« erwiederte er, »hier herum muß ja wohl die Stelle seyn, wo er,
so glücklich für Sie, mein guter Herr, noch zur rechten Zeit den Schlag vor den
Kopf erhielt.“ „Hast du deinen verloren?“ spöttelte ich und ging meinen Weg
nach dem Gasthofe zu, ohne weiter auf sein Gewinsel zu hören. Hier aber begann
es von neuem: „Der ehrliche Invalide! Welche Dienste muß er nicht ehemals dem
Vaterlande geleistet – was für einen Säbel geführt haben, da er jetzt noch mit
seiner Krücke so gut trifft!“ Ich blickte den Schwätzer mit großen Augen an.
„Sie hätten aber auch nur,“ fuhr er fort, „die innige dankbare Freude des armen
Graukopfs sehen sollen, als ich ihm nach Ihrer Anweisung das Goldstück
einhändigte.“ „Nach meiner Anweisung?“ fragte ich, „weise sie doch her!“ Ich
drehte mich mit meiner Visiten=Karte nach dem Fenster, sah mit Verwunderung
meine eigenhändige Schrift vor mir, und trällerte, um Bastianen keine
Verlegenheit merken zu lassen – Gott weiß was für ein Liedchen – das aber
sicherlich keins zum Lobe Beziers und der Physiognomik war, denn – kannst Du
denken! der lahme bettelnde Soldat, dessen offenes Gesicht mich gestern so
weich machte, hatte meine ihm zum Botenlohn verschriebene Schuld von vier und
zwanzig Sous mit derselben dürren Hand, die er mir zitternd entgegenstreckte,
und einer Geschicklichkeit ohne Gleichen, in so viel Livres verfälscht, die der
arglose Bastian und mit tausend Freuden, wie er mir versicherte, auszahlte, ja
nebenher noch eine Flasche Wein auf die Gesundheit des geretteten
Menschenverstandes seines armen Herrn mit dem Helden ausleerte. „Daran hast du
sehr wohl gethan!“ sagte ich, – „warum batst du ihn nicht auch noch heute zum
Abendessen; denn käme er mir jetzt unter die Augen, ich wollte ihm wohl meine
Erkenntlichkeit noch thätiger beweisen. Hier hast du deinen Rechnungs=Beleg
wieder. Ich hoffe, es soll keiner dergleichen mehr vorkommen.“ „Dazu gebe ja
der Himmel seinen Segen!“ seufzte Bastian, indem er mir das Schreibzeug zurecht
setzte.
Will
ich auch des lieben Gottes nicht weiter erwähnen, der Beziers, das wiederhole
ich dem Herrn Hübner und Krebel zum letztenmal, so wenig, wie ich, zu seinem
irdischen Aufenthalt wählen wird – so wohnt doch immer ein Statthalter von ihm,
ein Bischof da, der, dächte ich, wohl vor allen Dingen seiner diebischen
Gemeine das siebente Gebot näher, als es das Ansehen hat, an´s Herz legen
sollte; aber eben erfahre ich vom Wirth, mit Nebenumständen, die mich so giftig
machen, als ob mich wirklich ein toller Hund inoculirt hätte, daß der Hirte
dieser räudigen Heerde seine schöne Terrasse sogar, nie als einige Tage zur
Frühlingszeit in Amts=Verrichtungen besucht, die seine Gegenwart erfodern.
„Der Zutritt zu jenem Weltwunder,“
erzählte er weiter, „wäre zwar gegen ein Gratial jedem Durchreisenden vergönnt,
aber nur nicht vor zehn Uhr des Morgens; so lange schlafe der gnädige Herr in
Paris und sein Castellan hier.“ „Nun, Herr Wirth,“ schrie ich ihm dagegen in
die Ohren, „so bestelle er mir die schon einigemal recht schändlich abgesagten Postpferde
auf Morgen desto pünctlicher mit Anbruch des Tages, denn ich mag in diesem mir
höchst fatalen Ort keinen weiter verlieren.“ Nach dieser, wie ich glaube,
deutlichen Erklärung flüchtete ich, ohne mich weiter so wenig um ihn, als um
die bischöfliche Burg und meine verpfändeten Augen zu bekümmern, voll Bosheit
ins Bette.
* * *
Beziers.
* * *
Den 5ten März.
Und stehe jetzt in einer zehnmal
ärgeren – in einer wahren ruchlosen Stimmung wieder auf; denn ich möchte mich
gern dem Teufel übergeben, um mich von hier wegzubringen, wenn ich so gut
Freund mit ihm wäre, als Doctor Faust.
„Warum
hätte ich denn Sie und Ihren Cammerdiener,“ überschrie der Kerl meine Flüche,
als er nach neun Uhr vor mein Bette trat, „um nichts und wieder nichts aus dem
süßen Schlafe rütteln sollen, da, so hören Sie doch mir! vor Nachmittags keine
Postpferde zu haben sind. Was verlieren Sie denn dabey? Sie sind ja hier gut
aufgehoben, und können nun die Residenz, die Bilderkammer, den Hausschmuck und
die Terrasse von Monseigneur nach aller Bequemlichkeit besichtigen; denn ehe
Sie mit Ihrem Frühstücke und Anzuge fertig werden, ist der Castellan munter.“
Der Mensch blieb mir unausstehlich, er
mochte vorbringen, was er wollte. Ich wies ihm die Thür, ging dreymal die Stube
auf und ab, und wiederholte, wie jener Kaiser, das A. B. C. um über meinen
Ingrimm Herr zu werden. Ich ward es, und machte mich um zehn Uhr auf den Weg.
Alleweile, da ich zurückkomme, ist es zwey Stunden über Mittag. Mein
aufgewärmtes Essen habe ich dahin gewiesen, wo es herkam; denn ich mag nicht
eher wieder essen, trinken und mich sonst nach einer Freude umsehen, als in
Castelnaudari. Dort in dem trefflichsten Gasthause der ganzen französischen
Monarchie, wie die Kenner behaupten, hoffe ich wieder Freundschaft mit mir
selbst zu stiften und während eines herrlichen Frühstücks Dir den Pallast, die
Terrasse, die Zimmer und Gemälde des Bischofs und seine persönlichen
Amtsverrichtungen so poetisch zu beschreiben, als sie es verdienen. Habe ich
doch über den heutigen halben Tag und die folgende ganze Nacht zu gebieten, um
in meiner lieben heimlichen Berline, die ich eben nach langem Stillstand wieder
begrüßen und nicht eher, als vor dem Thore jenes berühmten Hotels verlassen
werde, meine schönen Rückerinnerungen in Musik zu setzen.
* * *
Castelnaudari.
* * *
Den 6ten März.
Keiner von allen mir bekannt gewordenen
Wegen der Welt ist mir weniger langweilig, reitzender und ebener vorgekommen,
als der mich aus dem Fegfeuer zu Beziers in das Paradies, das ich nun glücklich
erreicht habe, gebracht hat.
Ich
ward in den funfzehen Stunden, die mich, ungeachtet meiner elastischen Chaise,
umsonst in den Schlaf zu wiegen suchten, immer munterer, je mehr sich der eine
Ort entfernte, der andere näherte. Ach wie wünsche ich mir die drey letzten
Tage zurück, um sie meinem dermaligen freundlichen Aufenthalte zulegen zu
können! Mein sinnlicher, so lange unbefriedigter, nun desto begehrlicherer
Mensch, wie festlich wird er nicht sein Heute verleben!
Das
moralische Ich soll hoffentlich zusehen, und ihm, wie der ältere Bruder dem jüngern,
seine kindische Freude nicht mißgönnen.
Hätte
mir auch nicht Phöbus seine abgeschnallten Flügel zum Rückflug nach jenem
Prälaten=Sitz nur für die vergangene Nacht geliehen, diesen Morgen gäbe ich sie
ihm ohnehin wieder; denn so umringt von den köstlichsten Leckereien, mein
Tagebuch vor mir auf einem Tische von Purpurholz, wie könnte ich mich mit einer
Zeile mir befassen, die das geringste Nachdenken – einen Gran Menschenverstand
mehr erforderte, als den – eines Abschreibers.
Ich
nasche bald von diesem, bald von jenem Gerichtchen meines auserlesenen
Frühmals, während es meine Feder allein ist, die Dir erzählt und den Wohlklang
unverändert zurücktönt, den ich unter dem Mondschein der schnell verflogenen
Nacht meinem Silberstifte einblies.
Ich
zog einen großen Thaler aus dem Beutel, um mir freien Zugang in das geistliche
Storchsnest zu erkaufen. Unterweges kam mir zwar einigemal die Lust an, ihn
wieder einzustecken, und lieber meinen Besuch dem Posthalter zu machen, mit dem
ich immerfort in Gedanken über seine schlechten Anstalten zankte. „Bist du
nicht hier,“ redete ich mir ins Gewissen, „schon auf das erbärmlichste in
deinen Erwartungen getäuscht worden, und kannst dennoch deine Wetterfahne aufs
neue dem Winde eines Großsprechers preis geben, der wohl nicht ohne Ursache
abgedankt, vielleicht hoffte, mit deinem Trinkgelde näher noch verwandt zu
werden, als er es mit dem Castellan ist. Unglückliche Neugier, die, sogar bei
dem Betruge, den sie ahndet, sich nicht abhalten läßt, ihn aufzusuchen!“ –
Unter diesem fortwährenden Tadel eines jeden Schritts, den ich that, erstieg
ich nichts desto weniger die Anhöhe, stand noch eine Weile unentschlossen vor
dem verriegelten Thore, ehe ich anklopfte. Endlich – verzeih' es Freund, wenn
mir jetzt ein gemeiner, kahler Soldatenfluch entfuhr, »der Teufel!« hob ich an,
Verzeih´
es, Freund, wenn mir jetzt ein gemeiner kahler
Soldatenfluch
entfuhr. „Der Teufel!“ hob ich an,
Gleich
einem Korporal, der nach der Kegelbahn
Den
Rest der Löhnung trägt, „der Teufel hol den Thaler!«
Und
schlug mit ihm an´s Thor. Kaum war es aufgethan,
So
streckt´ auch schon ein Kerl, der einem trunknen Prahler
Mehr
glich, als einem Kastellan,
Die
hohle Hand darnach. So schnell als er voran,
Trabt´
ich nun hintennach. Mercuren selbst, im Wandern
Geübter
doch als ich, zog nicht sein Schlangenstab
Zum
Ida schneller hin, als nun Trepp´ auf Trepp´ ab
Von
einer Gallerie zur andern,
Bald
zu des Bischofs Thron, bald zu des Bischofs Grab
Mich
dieser Unhold zog. An allem blieb er kleben,
Was
je die Pracht mit ihrem Vogelleim
Bestrich,
was je Geschmack und feine Art zu leben
Der
Armuth nimmt, um es dem Stolz zu geben;
Und
kein Gemach war so geheim,
Er
ließ nicht ab, trotz meinem Widerstreben,
Den
letzten Umhang aufzuheben.
Vorzüglich
aber schien der schmucke Bildersaal,
Sobald
er ihn betrat, sein Kunstgefühl zu wärmen.
Die
großen Worte: Ideal,
Helldunkel,
Schmelz und Kraft, die leider überall,
Von
Leipzig bis Paris, uns um die Ohren schwärmen,
Durchwirbelten
die Luft, vom nächsten Wiederhall
Zum
fernsten, wie ein Feuerlärmen.
Mein Auge galt ihm nichts, es mußte
nach dem Staar
Des
seinen duldsam sich bequemen,
Hier Venus und Adon für unser
Aeltern-Paar,
Dort das verbuhlte Weib des Königs
Potiphar
Für
ein Marienbild zu nehmen.
Zog
Herrmanns Schlacht und Sieg, von Rubens deutsch und frey,
(Gleich
unsrer Nation, in halb verschoßnem Lichte)
Dem
Kenner ausgestellt – zog wie ein Schandgedichte
Die
Nacht des Bluts und der Verrätherey
Des
niedrigsten gekrönter Bösewichte,
Als
Gegenstück mein wüthend Auge bey,
So
fragt´ er mich, ob eine Weltgeschichte
Von
überschwenglicherm Gewichte
Als
Galliens Annalen sei?
Zog
dort auf Heinrichs Stirn das
himmlische Entzücken,
Ein
Volk, das ihn verwarf, vergebend zu beglücken –
Zog
Ludwigs *) edle Bildung hier,
___________________
*) Ludwig
der Funfzehnte, den man als le roi des
ponts des chaussées pries. ___________________
Der
sein ererbtes Reich, (ihm lohne Gott dafür!)
Statt
mit Trophäen es zu schmücken,
Mit
festen Straßen, – schönen Brücken
Verherrlichte,
des Auges Neubegier,
Auf
ihre Glorie zu blicken:
So
jauchzte mein Kompan, und sein Gehirn kam schier
In
die Gefahr sich zu verrücken,
So
sagte mir sein Händedruck, wie gut
Ihm
der Gedanke that, die Schelsucht eines Deutschen
Durch
den, einst nur dem Ruhm und nur dem Heldenmuth
Geweihten
Lorbeerhain der Gallier zu peitschen,
In
dessen Schauer jetzt, abschreckend wie die Brut,
Die
nur von Moder lebt, der Ahnen=Dünkel ruht.
Kraft
seiner Eigenschaft, das Schöne zu bemerken,
Sah
er mich höhnend an, wenn ich der Schwermuth Hang
Mich
überließ, die sanft aus Poussin´s Meisterwerken
Dem
Mitgefühl entgegen drang,
Und
bot mir seine Hand, um mich zum Uebergang
Nach
Watteau´s Maskenball zu stärken,
Und
kroch drauf mit Lebrün dem Dragonaden=Zug
Des
Feldherrn nach, der, glaub´ ich, aberklug
Vom
Sonnenstich, im Namen Gottes
Den
Nußstrauch um die Spur der Ketzerei befrug,
Und
die sein Schwert nicht traf, mit Wünschelruthen schlug; *)
___________________
*) Le Maréchal de Montrevel avoit fait
venir de Lyon un homme, qui devoit découvrir les Camisards par le moyen de la
baguette divinatoire. Cette baguette tourna sur dixhuit personnes, qui furent
amenées à Alais. Dan quel état est le peuple, lorsque lw Gouvernement emploie
les manoevres d´un fourbe, et que le soupçon devient la preuve du crime ?
Histoire abregée de la Ville de Nimes.
pag. 127.
___________________
Indeß
von ihm gewandt, im Zauberkreis des Spottes
Mein
Blick den Raum durchstrich, wo Coypels Dichterflug
Die
traurige Gestalt des bessern Donquixotes
Ins
Pantheon der Narren trug.
Schon
sah ich über mir den halben Tag verschwunden
Und
fiel, dem Ueberdruß der Kunst kaum losgewunden,
Mit
jedem weitern Schritt in neuen Ueberdruß;
Denn
dieser Peiniger, den mir des Schicksals Schluß
An
meine Fersen festgewunden,
Ach
dieser Brutus meiner schönen Stunden
Berauschte
sich, wie´s schien, in meinem Ungenuß.
Gott,
welch ein Trauerspiel! Bald fiel es in das Grasse.
Denn,
war vor Ihm in meinem Hasse
Gleich
noch so hoch kein Sterblicher gedieh´n,
Hatt´
ich doch, wie Linnée, den Tiger in die Classe
Der
Katzen nur gesetzt, ihm Krallen nur verliehn.
Jetzt
stieg Er schwärzer auf in meinen Phantasien.
Denn,
als nach manchem Saal, im prächtigen Gelasse
Der
Ritterzeit – nach manchem Baldachin,
Die
Ihn so blendeten, daß er den Hut zu ziehn
Nicht
widerstand, nun endlich die Terrasse,
Nach
der ich längst geseufzt, erschien,
Denk
mein Entsetzen Dir, dann erst
erkannt ich Ihn
Für
Jenen, den mein Mund beym Eintritt von der Gasse
So
frevelhaft citirt. Glüht nicht dem Satanasse
Mein
Aufgelb in der Hand? Was sollt' ich thun? Entfliehn?
Zu
spät, Er hielt mich fest, warf schreckliche Vergleiche
Mir
in den Weg, wies mir den Unterscheid
Von
mir zu seinem Herrn – geweiht und nicht geweiht
Fürst
oder nichts zu seyn – und zeigte mir die Reiche
Der
Welt und ihre Herrlichkeit.
Leis
rief ich: „Hebe dich von hinnen! Ich gelobe
Dir
nichts als meinen Fluch.“ Da wirbelte die grobe
Verworfne
Faust zwo Stiegen mich hinab
Zu
der, dem Pallium, dem Kreuz, dem Hirtenstab
Und
Bischofshut geweihten Garderobe.
Und
als ich seinem Wink mich dennoch nicht ergab,
Zog
er mein schwächstes Theil, mein Herz noch auf die Probe.
Zwei
Flügel sprangen auf. Ein Duft von Rosen brach
Aus
einem Himmelbett, grün, wie ein Laubedach,
Zu
räumig nur für einen einzeln Christen.
„Ist
hier der Hain,“ rief ich, „wo Amors Tauben nisten?
Wohin
bin ich versetzt?“ Und der Versucher sprach:
„In
des Prälaten Schlafgemach!“
Hier,
wo die Grazien nicht nur in Marmor=Büsten,
Nein,
Töchter auch des Lands in jungfräulichem Licht
Zur
Zeit der Firmelung sich ihm entgegen brüsten,
Stürzt
Er – nicht wie ein Spatz auf Kirschen nur erpicht,
Die
keinem andern Spatz den Schnabel schon versüßten –
Er
stürzt – wie Jupiter mit göttlichen Gelüsten
Zur
Ruh auf Ledens Schooß durchs Empyreum bricht –
Aus
seinem Wolkenbett. Nach schlauer Uebersicht
Der
holden Kinderchen, die aus dem Schlaf ihn küßten
(Dieß
ist ihr Eingangs=Zoll ins Prälatur=Gericht)
Wählt
Er ein Gänschen aus, mit Schwingen, die noch nicht
Sich
so heroisch blähn, als ob sie längst schon wüßten
Nie
sie mit wogendem, dankbarem Gleichgewicht
Den
Segen seiner Hand gerührt erwiedern müßten.
Je
mehr ihr Wellenspiel ihm in die Augen sticht,
Je
höher schlägt sein Puls, und schnell begeistert spricht
Sein
Mund: Gegrüßt seyd mir, die mich zuerst begrüßten,
Die
keinem Laien noch, aufs Irdische erpicht,
Ins
Reich der Finsterniß den breiten Weg versüßten.
Als
Seraph´s Fittige treibt mich jetzt Hirtenpflicht,
Sie
für das Paradies bischöflich auszurüsten.
Zum
Schwung fehlt ihnen nichts, als etwa Unterricht
Im
hohen Lied – Mein Kind, kennst du dies Lehrgedicht?
Sie
nickt. „Verstehst es auch?“ Er hört mit Wohlbehagen
Ihr
kindisch Nein – er hört, daß vor den Ostertagen
Sie
schon der Ruth´ entwuchs, und drum der Schul´ entfloh.
Weil
der Präceptor dort – – Sie hab´ es Scheu zu sagen,
Wenn
sie im Lesebuch ein A mit einem O
Vertauscht
– „Still!“ fällt er ein, „Laß lieber, statt zu klagen,
Mich
deine Augen sehn – Scheust du sie aufzuschlagen,
Weil
sie zu feurig sind? Ich bin ja nicht von Stroh.“
„Nun
dabey,“ lächelt sie, „habt Ihr nicht viel zu wagen.“
Sie
läßt drey Blicke los – nur drey – und lichterloh
Brennt
schon sein Hirtenstab, sein Hermelin am Kragen,
Und
jede Trottel brennt an seinem Domino.
„Jetzt,“
lallt er, „wird es Zeit, den Seraphs nachzujagen.
Du
weißt nicht wie? Wohlan, sieh dich nur um, wie froh
Auf
jener Schilderey ein Gänschen ohne Zagen
Den
Götterschwan umhalst, sieh, wie es seine zwo
Schwungfedern
spreitet, um … um über alle Plagen
Der
Welt sich stracks mit ihm in´s Paradies zu tragen,
Auf
welches Mensch und Thier, gebildet oder roh,
Ein
jedes Weltgeschöpf mit Herzen, Kopf und Magen
Gleich
hohen Anspruch hat.“ Erschrocken fragt sie, „Wo
Liegt
denn – wo sucht Ihr denn das Pa…“ und sinkt im Fragen
Mit
einem Laut als säng sie ein Adagio,
Sanft
in sein Schwanenbett, wo Klügere schon lagen,
Die
jetzt, als Heilige, weit über andre ragen.
„Ach
Hoch – ehr – würdger Herr,“ stöhnt sie, „beym Salomo
Bitt
ich – beschwör ich Euch – wollt Ihr mich denn zernagen?
Ist´s
möglich! Firmelt Ihr denn alle Mädchen so?“
Doch
wird ihr Gänsgeschrey allmälig durch das süße
Und
hohe Lied des Schwans gedämpft und überstimmt,
Kaum
fühlt sie, wie die Welt ihr aus dem Blcik verschwimmt,
Als
sie an seinem Hals den Flug zum Paradiese
Nicht
scheuer als ein Seraph nimmt.
„Gott strafe den Tartüf!“ rief ich. Durch
diese Worte
Erschreckt,
hob der Verführer sich
Schwarz,
wie der Dampf aus einer Gift=Retorte,
Von
mir hinweg, zugleich umglänzte mich
Ein
Strahl von obenher. Mit Beben zwar, durchschlich
Mein
Fuß die grause Burg, doch bald an offner Pforte,
Schlug
ich ein Kreuz vor und entwich.
* * *
Wie
ich athemlos in meine Stube trat, schlug Bastian die Hände über den Kopf
zusammen. „Ach mein Herr!“ schrie er laut auf, „was ist Ihnen begegnet? Blaß
wie eine Leiche, und die Stirne – voller kalten Schweißtropfen!“ „Laß das“ –
schöpfte ich nach Luft – „gut seyn – Nur geschwind frische Wäsche und einen
andern Rock! Durchräuchere die ausgezogenen, und mache um des Himmels Willen,
daß wir fortkommen! Ich habe – Gott, wie zittere ich! – Ihn, dem ich mich heute
zu deiner großen Aergerniß mehr als einmal übergab – ja, Bastian, ich habe den
leibhaften Teufel gesehn.“ „Ach lieber Herr!“ trat mir Bastian näher, „wie
könnten Sie? – – Sie waren ja in der Wohnung eines Prälaten!“ „Thut nichts,“
antwortete ich mit heiß´rer Stimme, „den ganzen Morgen, kannst du mir glauben,
bin ich in seiner Gewalt gewesen!“ „Nun so erbarme sich Gott!“ jammerte der
arme Schelm, und schmiegte sich mit klappernden Zähnen so fest an mich, als ob
der böse Geist hinter ihm, und er vor dem Bilde seines Schutzpatrons stände.
Genug, Eduard, ich so wenig, als mein abergläubischer Kammerdiener, wurden
unsere Rückenschauer eher los, als da wir, von unserer fortrollenden Berline
aus, die Thurmspitzen von Narbonne erblickten.
Hier
erfuhr ich beym Umspannen, daß seit vier und zwanzig Stunden keine Post weder
hin- noch herwärts, und auch eben so lange, gab mein Führer sein Wort dazu,
kein Pferd in Beziers aus dem Stalle gekommen wäre. Ein neuer, aber
überflüssiger Beweis von der Wahrheitsliebe und Redlichkeit des Ortolan=Wirths;
denn seine, für nicht genossene Gerichte, für nicht getrunkene Weine mir
zugeschnellte Rechnung, die ich noch warm in meiner Tasche, so wie er mein Geld
dafür in der seinigen hatte, sprachen ohnehin laut genug. Aus wahrem Vaterlands=Gefühl
warne ich meine Mitbürger, die etwa nach mir diese Gegend bereisen, sich ja,
weder durch unsere deutschen Wegweiser – durch das anlockende Schild der
Herberge – durch Fideicommisse und ehrliche Gesichter, noch durch die
bischöfliche Terrasse zu einem längern Aufenthalt in diesem blasphemischen
Städtchen verführen zu lassen, als etwa der Postwechsel nöthig macht; und
besonders die Bespannung ihres Fuhrwerks selber zu bestellen, damit sie
geschwinder, als ich armer Betrogener, in das Castell des Wohllebens gelangen,
dessen Vorzüge vor allen andern Kosthäusern des Reichs ich, mit Deiner
Erlaubniß, stillschweigend und in meinem Tagebuche zum erstenmal, gleich einer
zarten Empfindung, die sich nur fühlen, aber nicht beschreiben läßt, übergehe.
Der Ehrenmann, in der weitesten Bedeutung des Worts, der in der Kürze eines
halben Tages der herrlichsten und wohlfeilsten Bewirthung das Dankgefühl meines
Daseyns höher hinaufgetrieben hat, als alle die Summen, die ich von Jugend an darauf
pränumerirt habe, wie freundschaftlich greift er mir nicht, selbst bey unserer
Trennung, unter die Arme, wie verschieden von jenem Sudelkoch, dem die
unverschämteste Lüge glatt über die Zunge ging, um mich noch einen Tag länger
rupfen zu können. Hier trat der Fall wirklich ein, den jener nur vorgab;
Bastian hatte sich diesmal mit eignen Augen überzeugt, daß der Poststall leer
stände. Da trat aber mein heutiger Wirth auf das edelste dazwischen, um die
Schwierigkeit zu beseitigen, und seine Vermittelung half mir nebenbei zu der
unverhofften Bekanntschaft eines für mich sehr merkwürdigen Orts.
„Wenn Sie,“ sagte er, „einen geringen Umweg,
und das Nachtlager auf einem Dorfe nicht zu sehr scheuen, so biete ich Ihnen
meine eigenen vier tüchtigen Wallachen an – denn es sind Normänner, – die Sie
auf einem viel bequemern Wege, als die Poststraße über Carcassone ist, morgen
bey guter Zeit nach Toulouse bringen sollen.“
„In
Ihrem Hause, lieber Mann,“ antwortete ich, wie es mir um´s Herz war, „wollte ich
ganz geduldig selbst noch einige Tage auf die Zurückkunft der Postpferde
warten; aber auf der andern Seite möchte ich doch nicht gern darüber auf
bessern Weg und vier Normänner Verzicht thun. Wo meinten Sie, daß ich übernachten
soll?“ „In einem zwar unansehnlichen kleinen Dörfchen, das aber,“ erklärte er
mir, „das Stammguth eines zu seiner Zeit berühmten Schriftstellers war, und
auch seinen Namen führt, Montesquieu.“ – Das war doch einmal ein Wort, Eduard,
das sich hören ließ. Kaum war es ihm über die Lippen, so dachte ich weiter
nicht an mein körperliches Wohlbehagen, und nahm seinen Vorschlag mit
herzlicher Freude an. Er verließ mich, um sogleich Anstalt zu machen, indeß ich
meine Landcharte aus einander schlug, und meine Augen in der Gegend nach dem
anziehenden Orte herumschickte. Ich fand einige, als Zollstätte, mit einer
Fahne, – andere, als bischöfliche Residenzen, mit einem Sternchen, und einen
mit zwey sich kreuzenden Schwerten zum Merkmal bezeichnet, daß in seiner Nähe
eine Schlacht vorgefallen sey; dem Ort aber, wo der große Mann geboren war,
lebte und schrieb, hatte mein geographischer Handlanger nicht einmal seinen
Platz auf dem Erdboden gelassen, geschweige ihn eines Ehrenzeichens gewürdiget.
Der jovialische Hausherr ließ mir nicht Zeit, mich darüber lange zu ärgern.
„Hier bringe ich Ihnen,“ trat er ein, „zum Abschied noch eine Flasche des guten
Weins, der auf den Bergen zu Montesquieu reift; sonst kauften ihn die Engländer
aufs theuerste uns vor dem Munde weg, aber seit dem Tode des gelehrten Präsidenten
fragen sie nicht mehr darnach; jetzt steht er um die Hälfte im Preis, ob er
schon noch immer von derselben Güte ist.“ „Das thut mir leid um die Engländer,“
sagte ich, und nahm ihm das volle Glas ab. „Sie sollen,“ trank ich ihm die
Gesundheit zu, „zum Vergnügen aller Reisenden, noch lange leben, Herr Wirth von
Castelnaudari! Sie wissen nicht, wie elend es mir drey Tage nach einander
gegangen ist, ehe ich hier ankam. Sie haben mich mit einem einzigen Frühstück
vollkommen wieder hergestellt, und wären Sie nicht klüger, als meine Landkarte,
so hätte ich, wie andere, auf der ordinairen Poststraße fortrumpeln müssen,
ohne nur zu ahnden, daß der Geburtsort des Mannes, den ich vor allen andern
schätze und liebe, mir auf dem Seitenwege in der Nähe lag. Wenn man von
gottesvergessenen Menschen so mürbe gemacht wird, als ich in Beziers, wie
empfänglich ist dann nicht unser Herz für alles Gute, das uns bessere zufließen
lassen!“
Ich
schüttete gegen meinen heutigen Wohlthäter alle mögliche Floskeln des Danks um
so verschwenderischer aus, als er mir es in wenig Stunden von mehr als einer
Seite her geworden war, und bestieg dann meine Berline mit einer gewissen
stolzen Selbstzufriedenheit, da ich sie zum erstenmal mit vier prächtigen
Normännern, die keinem königlichen Einzuge Schande machen würden, bespannt sah.
Dergleichen erborgte Empfindungen halten indeß bey einem verständigen Jünglinge
nicht lange an, der die vergangene Nacht über guten oder schlechten Versen
verwachte, einen Feldweg, wie von grünem Sammt bezogen, vor sich, kühlende
Zephyrs im Gesicht, ein weiches Kissen unter seinem Kopf liegen hat, und auf
Stahlfedern sitzt. Auch war meine heutige Reise ganz dem süßen Taumel ähnlich,
mit dem vormals das Wiegenlied einer lieben Amme meine Kindheit beseligte, und
der nicht eher verging, als da der Kutscher Abends sieben Uhr mit dem Zuruf:
Herr, wir sind in Montesquieu! vor einem Schindelhäuschen still hielt.
Wie
lieblich schlägt solch ein Klang an jedes gute menschliche Ohr! Er erweckt, wie
eine Kirchenglocke, Gedanken der Andacht – erinnert an die Veredlung unsers
Geschlechts – an den wohlthätigen Geist der Gesetze – an öffentliches und
häusliches Glück.
Das
wohl! aber wenn man, wie hier der Fall war, nur ein verödetes, elendes Dörfchen
mit solch einem Namen beprägt sieht, möchte man ihm dann nicht lieber einen aus
Westphalen genommenen beylegen, der weniger stolz klänge und sich besser zu
seinem Schmutz paßte? so wie man nur zu oft in vornehmen Gesellschaften den
verdorbenen Sprossen eines edeln Stammes, wo nicht vernichten, – doch umtaufen
möchte. Nie hätte mir ahnden können, in dem Stammguthe des Philosophen dieses
Namens einen solchen Mangel an Ordnung, Reinlichkeit und Policey, unter dem
Bettlerhaufen, der ihn bewohnt, anzutreffen, als ich leider mit Augen sah. Zur
Entschuldigung sagte mir zwar der alte Bauer, der hier den Wirth macht, daß
dieser einst wohlhabende Ort im letzten Religions=Kriege so herunter gekommen
wäre. Er sey vorher und so lange mit fleißigen, redlichen, aber freylich calvinistischen
Einwohnern sehr reich besetzt gewesen, bis die Verbreiter der reinen Lehre
alles ketzerische Unkraut ausgerottet, Kirchen und Schulen verbrannt und keine
Hütte verschont hätten, außer der seinigen, der Einkehr und des Weinschanks
wegen. Der nachherige gelehrte Herr des Dorfs habe sich zwar durch Rath und
That bemüht, seiner verfallenen Besitzung wieder aufzuhelfen, aber zu solch
einem Unternehmen reiche ein
Menschenalter nicht hin, und man könne doch auch nicht verlangen, daß der
Nachfolger wie der Vorfahr denken und seinen Unterthanen Frohnen und Zehenden
erlassen solle, ob es gleich das einzige Mittel wäre, dem Uebel ihrer
drückenden Armuth zu steuern. „So will ich Gott danken,“ fiel ich ihm in die
Rede, „daß ich in seinem, wie ich sehe, dreyeckigen Gastzimmer, lieber Mann,
wenigstens vor Religionsverbreitern sicher übernachten kann, wenn es auch vor
Ratten nicht seyn sollte. Schlafe er wohl, und lasse er es ja meinen schönen
Miethpferden an nichts abgehen, ich
bedarf nur Ruhe.“ „Ueberhaupt,“ setzte ich nun die Unterredung mit mir allein
fort, „darf ich, ohne mich eben mit der erstiegenen Höhe unserer Cultur breit
zu machen, doch mit frohem Herzen zu den weit niedern Stufen derselben
herunterblicken, auf welchen noch vor hundert Jahren die Vorlebenden standen.
Wie viele gute Köpfe haben nicht erst, entweder wegen ihres zu schwachen, oder
zu starken Glaubens über das Henkerschwert springen müssen, ehe ich in dem
meinigen mit Sicherheit eine freie Denkungsart herumtragen konnte. Selbst dir,
guter Montesquieu, sammt deiner persischen Maske, würde es nicht besser
ergangen seyn, als deinem Erbe, wenn du nicht durch den Tempel von Gnidos einen
leichtern Weg zu der steilen Sorbonne und in deinen aufgefangenen Briefen aus
dem Serail ein so bewährtes Erweichungsmittel jener religiösen Felsenherzen
entdeckt hättest, daß jeder, dessen Hand nur geschickt genug ist, es
aufzulegen, der weitläuftigen dogmatischen Prozesse mit dem Scheiterhaufen
überhoben und gewiß seyn kann, für rechtgläubig erkannt zu werden: denn ein
Maler, der die Entzückungen der Liebe mit so feinen, und nur desto kräftigern
Farben zu schildern versteht, als du, hat alle Bischöfe auf seiner Seite.“
Es
war, als ich kaum einige Stunden der Ruhe gepflogen hatte, zwar nur mein Camin=Schlot,
der diese Nacht durch ein Bündel dürrer Weinreben, die so wenig wissen konnten,
als ich, daß er seit vielen Jahren nicht gefegt war, in Brand gerieth. Dies
hinderte aber nicht, daß ich den größten Theil meines schönen Schlafs darüber
verlor – der Lärm im Hause mir die Hand lähmte, da ich eben den Vorhang eines
persischen Serails zu lüften versuchte, und mich zugleich im selben Augenblick
eine Najade, die, leichter bedeckt, als es selbst das erste Schrecken erlaubt,
mit ihrem Löschgeräthe in mein Zimmerchen gestürzt kam, weiter von Gnidos
entfernte, als es einem träumenden Jünglinge lieb ist. Gütiger Himmel! in was
für eine wilde Wirthschaft kann man nicht gerathen, wenn man der Spur eines
berühmten Mannes nachgeht! Sollte denn der gelehrte Präsident, der so große
Sorge für Monarchien trug, sein Dorf nicht einmal mit einer Feuer=Ordnung
beschenkt haben? Welche erbärmliche Anstalten! Statt einer Schlangenspritze
führte man in Prozession einen jungen Mönch auf, der die Flamme, wie sie es
nannten, besprach, die auch nur noch einige Minuten knisterte, sich dann senkte
und verlosch.
Während
dieser geistlichen Gaukeley trieb das Sturmglöckchen – mißtönend wie eine
blecherne Klingel, des gaffenden nackten Gesindels eine größere Menge mir unter
die Augen, als sie zu ertragen vermochten; aber schon mächtig genug, jagte der
stinkende beißende Rauch, der die Hütte durchzog, mich und meine normännischen
Wallachen aus unseren Buchten. Sie stellten sich von selbst vor den Reisewagen,
so instinktmäßig, als sich mein matter Körper hineinwarf, und schnauften, wie
ich, nach reinerem Aether. Blitzschnell drängte sich nun der verstörte
Schenkwirth herbey, forderte nicht, sondern bettelte – erst um sechs Livres für
unsere Beherbergung – dann um drey zur Vergütung der Unruh, die mein
allzufrostiges Temperament veranlaßt hätte, und noch um eben so viel für den
geistlichen Beschwörer.
Mittlerweile
ich diesem Bettler die Geldstücke zum Schlage heraus seiner vorgehaltenen
rußigen Nachtmütze zuschleuderte, stand jener in einem so dichten weiblichen
Kreis, als wären hundert alte und junge Busen an einander geschnürt, und dankte
mit funkelnden Augen Gott für die sichtlich frommen Bewegungen, in die das eben
geschehene Wunder sie alle, besonders die jüngern, versetzt hatte. Ernster, näher
und andächtiger, als er diese besprach, sah´ ich es ihn selbst vor der
brennenden Esse nicht thun, und es freute mich gar sehr, zufällig wieder einmal
auf einen Klosterbruder zu stoßen, der es mit der heranwachsenden Jugend gut
meint. Der falsche Schein der Morgenröthe, die hinter einem dunkeln Gewölke
hervordämmerte und, nach Versicherung des Kutschers, den baldigen Durchbruch
eines dahinter versteckten desto rosigern Tages versprach, breitete über jene
nächtliche Gruppe einen so magischen Schimmer, wie ihn Schalken seinem
herrlichen Gemälde der klugen und thörichten Jungfrauen zu geben gewußt hat,
und lenkte meinen Seherblick auf einen Gegenstand, der mir zu einer ganz neuen
Vergleichung verhalf. Die Spiele der Natur, am Himmel und auf der Erde, sind bei
ihrer Mannigfaltigkeit so verschieden von einander, daß jeder Dichter bemüht
seyn sollte, auch den entferntesten Berührungspunkt unter ihnen aufzufassen.
Eins der blassen Mädchengesichter, die den Wunderthäter umgaben, hatte sich aus
zu dringender Andacht seinem langen braunen Barte so sehr genähert, daß ich
diese Zierde seines Standes eine ganze Weile für den Schleyer des Gesichtchens
nahm, das durchschien, bis ich den optischen Betrug entdeckte.
Siehe, Bastian, rief ich dann wie inspirirt, dort
ist auch ein rosiger Tag hinter dunkeln Wolken im Durchbrechen! aber sein
prosaisches Gehirn verstand das Treffende meines Ausrufes nicht. Ich traue
meinen Lesern höhere Gaben zu, denn wer keine Aehnlichkeit zwischen den Objecten,
die ich hier einander gegen über stellte, finden könnte, müßte sich schlecht
auf Gleichnisse verstehen, keinen Wahrsagergeist und so wenig poetischen Sinn
haben, als mein Cammerdiener. Beym Abfahren warf ich noch einen launigen
Seitenblick auf den Geburtsort des gepriesenen Geists der Gesetze, an dessen
Stelle nur zu sichtbar einer der schmutzigsten Poltergeister getreten ist.
Ehrlicher
Montesquieu! redete ich seinen Schatten an, wie wenig – ach wie so gar nicht
haben die Balsamstauden deines eingezogenen Lebens, die, wunderbar genug, auf
diesem Mistbeete zur Reife kamen, ihren eigenen Grund und Boden veredelt und
besämt! Wahr! aber hat denn ihr Blumenkelch sich befruchtender über die
Wirthschaften ergossen, die von unser Einem Respect fordern? Wo? – ich sehe
mich so weit um, als mich die Augen tragen – sind denn Absenker dieser
Edelgewächse besser gediehen? Schlingen sich nicht statt dieser bescheidenen – noch
immer Gift- und Schmarozer=Pflanzen in frechem Wachsthum an die Schlösser der
Könige, an die Palläste der Großen, an die Säulen und Stützen der Armen hinauf,
und tödten durch schädlichen Aushauch alle lebendige Kraft der Staaten, den
Muth, die Arbeitsamkeit – die natürlichen Rechte der Unterthanen und ihren
freien Gehorsam für gesetzliche Ordnung?
Stehen
nicht deine lehrreichen Schriften in allen fürstlichen Bibliotheken, die ich
kenne, wie vertrocknete Saamenkapseln, nur noch zur Schau da? Und wo gäb´ es
ein Land oder Ländchen, dessen Minister nicht weit klüger wären als du, und um
hundert Procente bessere Regierungsplane entwerfen könnten, als die deinigen
sind? – –
Gott
weiß, wie lange ich noch unter meiner Reisemütze so über die Schnur gehauen
hätte, wäre mir nicht, sobald ich auf meinem gestrigen Plätzchen wieder fest
saß, der Beschwichtiger aller heillosen Grillen – der Besänftiger jedes
empörten Bluts – – mein, von einer bösen Stunde verscheuchter Freund, treu, wie
gewöhnlich, zu Hülfe gekommen.
Ich
vertraute meinen erschlafften Körper ihm und meinen getiegerten Miethlingen
sorgenlos an, die in dem Tumulte des Feuers und Rußes nichts von ihrem
angestammten Muthe und gefälligen Aeußern verloren hatten.
Der
Weg, der ihnen heute mit mir zu thun übrig blieb, mochte wohl eben so gut und
sammetartig seyn, als der gestern zurückgelegte.
Mit
Gewißheit kann ich es jedoch so wenig behaupten, als der Schläfer zu meiner
Linken, neben dem ich in einem so komisch=tragischen Traum verfallen lag, als
mir je einer vorkam. Er, ein wilder Abkömmling meiner politischen
Nachtgedanken, trat mit Würde einem andern voraus, der von weitem ihm
nachschlich, und aus allen Elementen zusammengeknetet keinen vornehmern
Ursprung hatte, als den Bart eines Mönchs.
Ich
weiß wohl, daß Du dergleichen mark= und saftlosen Erzählungen nie hold gewesen
bist, da es aber so selten glückt, daß man diesen Zerrbildern der Seele, bis zu
den Nebeln ihres ersten Vordämmerns, auf die Spur kommt, und ich ohnehin vor
Sonnenaufgang keinen klärern Stoff zu verarbeiten habe, so mußt Du mir schon
vergeben, wenn ich Dir den einen und den andern mit gleicher Gesprächigkeit
entwickele, als Deine Tante die ihrigen. Es währte vielleicht nach dem sanften
Stillstand meiner äußern Sinne keine drey Minuten, als ich, altdeutsch
gekleidet, mich in Gesellschaft der sieben Churfürsten auf die Kaiserwahl nach
Frankfurt am Main verirrte. Im Schlafe weiß man weder von Ceremoniel noch Calender.
Ich hielt mich, wie Du siehst, bloß an den Codex der güldenen Bulle, die an
dieser Zahl eben genug hatte, um sie als Erbfeinde der sieben Todsünden
aufschwören zu lassen. Ob sich diese in der Folge der Zeit in gleichem
Verhältniß mit den erstern vermehrt haben, oder ob für die mehr entstandenen
Erbämter keine weiter zu erdenken sey, ist eine Frage, deren Beantwortung den
Lehrern der neuern Statistik zusteht. Mir konnte sie nicht in den Sinn kommen.
Ich fühlte nur meine glückliche Lage, und fragte mich einmal über das andere:
Kann man wohl vornehmer und sicherer reisen, als Du?
Meine
Begleiter waren recht artige, höfliche und lustige Herren. Auch gelangte ich
durch ihren mächtigen Einfluß in das Wahlgeschäft zu einem Ehrenposten, dessen
ich mich am wenigsten versah. Ich stand, ganz außer mir – rathe einmal wo?
Ich stand, geschmückt als Herold, nächst
den Stufen
Des Kaiserstuhls an seinem Krönungstag,
Die Volksvertreter aufzurufen
Zum neuen Ritterschlag.
Kaum ward ich laut, als mich, in einer
fremden
Antiquen Pracht, ein großer Junker=Troß
Mit Fahnen, Spießen, Panzerhemden
In seine Mitte schloß.
Die Herren, vest, gestreng und freygeboren,
Ergriffen mich, wie ein gemeines Lamm,
Und schleppten mich bei beiden Ohren
An ihren Heldenstamm.
Was soll ich hier? schrie ich. „Hier sollst
du sehen
Kraft deines Amts, daß wir von Kind zu Kind
Aecht, und aus ebenbürt'gen Ehen
Geborne Ritter sind.“
Mich überfiel ein bürgerliches Grauen,
Weh dir, seufzt' ich, wenn dich dein
Ehrenamt
Zum Tugendrichter todter Frauen
An diesen Pfahl verdammt!
Und perlt denn wohl im Amazonen=Flusse
Ein
Tröpfchen noch des Quells, der ihn ergoß?
Folgt Treue dem Verlobungskusse
Nur in ein Ritterschloß?
Drückt Amor nicht den Stempel edler Wappen
Manchmal in Bley? Beschien der Abendstern
Nicht oft schon in dem Arm des Knappen
Die Braut des Pannerherrn?
Sie prahlten fort: „Wir sind an
Krönungstagen
Bestimmt, der Majestät uns anzureihn,
Und den Churfürstlichen Gelagen
Getreu und hold zu seyn.
Aus Männermuth mit Weibertreu verschmolzen,
Im reinsten Gold, das keinen Fleck
verträgt,
Hat uns die Zeit zu diesen stolzen
Schaumünzen ausgeprägt.“
Mein Ohr erlag dem Schrey so vieler Kräher,
Verdruß und Scham durchströmten mein
Gesicht,
Ich fühlte angstvoll, zum Verdreher
Der Wahrheit taug´ ich nicht;
Zum Thoren nicht, der auf ein Feld von
Aehren
Jedweden Korn= und Strohhalm Zoll für Zoll
Vergleichen, messen und gewähren,
Nur nicht enthülsen soll.
Staub nur entsteigt den treusten
Ahnenproben,
Dem ält´sten Stammbaum modriger Geruch;
Drum wünscht´ ich mein Geschäft verschoben
Bis nach des Kaisers Spruch.
Mein Wunsch gelang. Denn eh´ ich, gleich
der Motte,
Nur einen morschen Adelsbrief durchschlich,
Sah ich die Matador der Rotte
Selbst uneins unter sich.
Blutdürstig fiel, gleich Wilden, ihr
Geschwader
Von Haut zu Haut, auf seine Vettern her,
Und einer schlug dem andern Ader
Mit seinem Probespeer.
Der Erste
schrie: Wer geht mir vor an Adel?
Mein
Ahnherr war bey Fürsten angenehm,
Mann ohne Furcht und ohne Tadel,
Wie Bayard ehedem.
Des Zweiten
Schild zum höhern Standsbeweise
Führt ihm das Jagdroß Carls des Großen an,
Das, wie bekannt, die erste Reise
Ins Aachner Bad gethan. – *)
___________________
*) Siehe Memoires de la Curne de Ste Palaye, nach der Uebersetzung des Herrn
Klüber im 3ten Bande pag. 146.
___________________
Doch gleich hatt´ ihn aus eines Dritten
Munde
Ein noch weit ältrer Ahnherr überschrien;
Der saß einst an der Tafelrunde
Des Zauberers Merlin.
Den Andern blieb, so mächtig überboten,
Kein Nachsatz mehr für ihre Forderung,
Und keiner that ins Reich der Todten
Noch einen Rittersprung.
Denn, wer es weiß, daß selbst kein Purpur
Schelme
Veredeln kann, vermeidet den Versuch
Und wünschet eher sich statt Helme
Ein ehrlich Leichentuch.
Doch kam noch mancher einzeln angekrochen
Und übergab als Einlaßkarte mir
Bald einen grauen Ritterknochen
Bald ein gemalt Visier.
Ein Preuße schwor, von väterlicher Seite
Hab´ er auch einen Helden ausgespürt,
Der einst im Faustkrieg das Geleite
Von Nürenberg geführt.
Ein Schwabe rief: Ob mich schon mancher
schlaffe
Heraldikus nicht für ganz ächt erkennt,
Trag' ich doch die antikste Waffe
Bei unserm Contingent.
Ein Hesse, der nach Mönchs= und
Nonnenkutten
Sein lahm Geschoß mit lahmer Faust
gespannt,
Vertraute mir, er sey mit Hutten
Und Berliching verwandt.
Ein Bayer wies mir seinen Helm; den habe,
Prahlt' er, mit Blut gefüllt, aus einer
Schlacht
Beym
Kreuzzug nach dem heil'gen Grabe
Sein Ahnherr mitgebracht.
Ein Reichsbaron frug ihn mit Hohn und
ballte
Die
Faust: Bist du darum von besserm Schrot
Und Korn? – – Zu beider Glück erschallte
Des Kaisers Machtgebot:
Legt eure Panzer ab, stellt ohne Fahnen
Vor meinen Thron euch dar und hört mich an!
Was hat dieß Heergeräth der Ahnen
In eurer Hand gethan?
Wer hat die Säulen unsres Reichs gestützet
Und treu dem Schwur, der ihm zum Erbtheil
fiel,
Das werthe Vaterland beschützet
Im ernsten Waffenspiel?
Wer unternahm den Brennstoff unsrer Zeiten,
Den Blitz des Kriegs, den Funken des
Verraths
Mit treuer Einsicht abzuleiten
Als Genius des Staats?
Vermehrtet Ihr durch eure Heldennamen
Des Bürgers Wohlfahrt oder seine Last?
Meßt euch, ob wohl in euern Rahmen
Ihr großes Vorbild paßt!
Und wißt, wer sich des deutschen
Erbvertrages
Der Ehr´ entzog, sein ihm vertrautes
Schwert
Verrieth, ist auch des Ehrenschlages
Des meinigen nicht werth.
Der Tapfre nur, der aufgeklärte Seher
Im Fürstenrath, tret', als ein ächter Sohn
Des Ahnherrn, unserm Throne näher
Und ernte gleichen Lohn.
Der Kaiser schwieg. Ich aber trug im Kreise
Der Horchenden sein Aufgebot herum.
Schnell ward ihr Stahlgeklirr ganz leise
Und aller Zungen stumm.
Und
blieben stumm. Doch bald getröstet zogen
Die Junker ab, stolz, frech und
aufgeschwellt
Von Dünsten, wie der Regenbogen,
Der mehr verspricht, als hält.
Denn, wie dieß Zeichen von des Himmels
Gnade
Erst, wenn der Sturm des Landmanns Fleiß
zerstört,
In optisch täuschender Parade
Sich vornehm zu uns kehrt;
So zeigen sie nie lieber sich gerüstet
Und brüstender mit ihrer Ahnen Muth,
Als bis das Land, vom Feind verwüstet,
Statt ihrer Buße thut.
Nicht Einer war so sehr um sich verlegen,
Daß er sich nicht hinaus zum Rittersaal
Trotz lachend, wie die Kinder pflegen,
Zu seinen Bauern stahl.
Bald jauchzt er dort, daß ohne Ihn der
Schrecken
Des Dorfs verflog, das den Gestrengen nährt,
Und, wo nicht Ihn, doch Helm und Decken
Des edeln Vorfahrs ehrt.
Ich sah mich um, und da ich keinen weiser
Und tapferer als meinen Schatten sah,
Rief ich erstaunt wie unser Kaiser:
Ist denn kein Dalberg da?
Kaum flog dieß Wort des Jammers von der
Lippe,
So schien es mir, es trät´ in Trauerflor
Der Vorzeit drohendes Gerippe
Aus seiner Gruft hervor.
An Helden leer, an Redlichen noch leerer,
Schien mir der Staat nur einer Wüste
gleich;
Sein Glanz ging unter, und der Mehrer
Des Reichs fiel wie das Reich.
Den Boden, der sonst einen Kranz von Eichen
Und Lorbern trug, bedeckte dürrer Sand,
Auf dem nur noch als Todeszeichen
Die Thränenwaide stand.
Blaß blickt´ ich, wie ein Monument beym
Flimmern
Des Nordlichts, in ein weit gedehntes Grab,
Und warf zuletzt zu jenen Trümmern
Auch meinen Heroldsstab.
* * *
Sobald
mein Ohr – denn darauf kam alles an – sein verschobenes Kissen wieder gefunden
hatte, vernahm es von diesem gräulichen Lärm der Verwüstung keinen Laut mehr.
Meine gedrückte Seele lüftete sich, hüpfte leicht, wie eine Grille, über den
kostbaren Schutt und über das ungebührliche Schattenbild hinweg, das so sehr
die edle Kaste beleidigt hatte, der anzugehören von Kindesbeinen an mein Stolz
war. Flucht war hier das Beste; denn ungerechnet daß schon seine bürgerliche
Abkunft mein Ritterschwert in der Scheide zurück hielt, wäre es auch überdieß
ein Donquixoten=Streich gewesen, mich mit meinem eigenen Traume zu schlagen.
Das Vorgefühl der erwachten Natur pickelte mir an die geschlossenen
Augenlieder, öffnete aber, wie es schien, nur die kleinste Fallthüre ihres
weitläuftigen Tempels, aus welchem mir die heiterste Morgenerscheinung in jener
schlanken weiblichen Gestalt entgegen schwebte, die meinen Geist so gerne
besucht, wenn er träumt. „O du kommst wie gerufen, liebe Julie!“ faßte ich sie
bei der Hand, „denn eben will ich eins der Phänomene belauschen, deren du schon
manche im Stillen mit mir bewundert hast. Sieh´ nur, liebe Kleine, wie kindisch
die himmlische Aurora sich wendet und sträubt, ehe sie dem ungeduldigen Tage
ihre weißen Lilien Preis giebt. Ich möchte wohl wissen, ob jenes jugendlich
blasse Landmädchen in diesem Augenblicke nicht auch“ – – Es war wohl kein
Wunder, daß Sie – die ich schon wachend mit der Morgenröthe verglichen hatte,
mir zwey Stunden nachher im Traume und gerade so wieder vor die Augen trat, wie
ich sie auf einem der vorigen Blätter stehen ließ. Daß ich aber auch nicht
einmal nöthig hatte, es meiner Zuhörerin vorzulesen, um mich ihr verständlich
zu machen, läßt sich wohl sehr gut, glaube ich, durch das, was schon so vieles
ins Klare gesetzt hat – durch den, allen Fantomen eigenen electrischen
Zusammenhang mit unserer Maschine erklären.
Ihm
sey, wie ihm wolle; genug das meinige war so vollständig als ich, Du und meine
übrigen Leser mit der nächtlichen Situation der Dorfschöne bekannt, und wäre es
nun nicht sehr albern von mir gewesen, in Gegenwart einer Dame, die doch auch
nur mit Aether bekleidet war, darüber zu spötteln? Es ward mir viel weniger
schwer, der Unschuld das Wort zu reden, und den Mönch zu entschuldigen. „Wenn
solch einem, aus dem ersten Schlaf aufgeschreckten Kinde, dem Anschein nach von
funfzehn hiesigen Jahren, auf einmal ein nie gesehenes bärtiges Meteor aus
einem heiligen Hause in den Gesichtskreis tritt, meinst du nicht auch, gute
Julie, daß es über seinem eigenen Erstlings=Erstaunen leicht übersehen kann,
wie hingegeben es einem andern, eben so neugierigen, bloß stehet, und würde
nicht selbst ein warnender Wink, den ein erfahrner Moralist der Unbefangenen
zuwürfe, weit mehr Unheil anrichten, als Gutes?“ Meine luftige Freundin
lächelte mir Beyfall zu. „Dir aber besonders,“ fuhr ich in männlicher Begeisterung
fort, „dir armen nur bis zu Sonnenaufgang deinem Kerker entlassenen Jüngling,
dir gönne ich vollends die vorüberfliegende Freude des Anschauens von ganzem
Herzen. Ich würde eher den Kopf dazu schütteln, wenn du, wie Tartüffe während
seines Sermons, deiner Zuhörerin ein dichteres Halstuch umhängen wolltest, als
dein Bart ist.“
„Wirf
immer deine entfesselten Neulings=Blicke, so weit ihnen der Horizont offen
steht, auf jene Höhen und Tiefen des paradiesischen Freistaats, in die reitzende
Gegend, die sich dir, ohne eine Feuersbrunst bei Nacht, ohne deine
beneidenswerthe Gabe des Löschens, – ach, die sich dir nie würde entdeckt
haben, hätte nicht mein Glaube an einen großen Namen mich bis an den Krater
eines ungekehrten Kamins verirrt.“
„Die
beste Entschuldigung des armen Mönchs, liebe Julie, liegt in meinem Herzen und
in deinem Busen. Jener, der auch ihm so jugendlich unter Staub und Asche
entgegen wallte, erschien ihm als die reinste Perle, die in der großen Schnur,
die ihn umgab, alle andere verdunkelte. Sie war der einzige Brennpunkt, der,
was ganz besonders für ihn spricht, nur seine zerstreuten Blicke und das braune
seidene Gewebe anzog, das über seine Brust herabfloß, und dem er unmöglich
wehren konnte, um eine andere zu spielen, die weicher, lockender, erhabener und
ihm tausendmal lieber war, als sein Kinn. Es steht zu hoffen, daß der arme
Klosterbruder sich seines Funds mit desto beseelterm Gefühl werde gefreut
haben, je länger die Trauer um ihn seyn wird, in die ich ihn jetzt im Geist
zurücktreten sehe. Ich begleite ihn mit wahrem Mitleiden. Das Bild, das mich
selbst im Traume so angenehm beunruhigt, wird ihn in alle Betstühle und Capellen
verfolgen. Er wird glauben, er habe, wie gewisse Insecten, nur eine Stunde
gelebt. Welch ein leidiger Trost für ein menschliches Herz!“
„Ach, theurer Schatten!“ drückte ich ihr
mit diesen Worten einen zwar nur geträumten, aber warmen Kuß auf die Hand, „wie
wenig, ich fühle es nur zu sehr, ersetzt die geistige Beschauung eines ehemals
genossenen Glücks seinen Verlust!“ Das schöne Fantom zitterte, seufzte,
erröthete und verschwand.
Meine
Blicke folgten ihm nach bis unter die Sterne und Wandelsterne. Da ich aber dort
weder sie, noch ein anderes Mädchen fand, das mir zuhören konnte, klammerte ich
mich, wie ein ausgemachter Schwätzer, an den ersten, besten Gegenstand, der mir
aufstieß. Könnte, redete ich in die Luft, einer von Euch Cometen denken und
fühlen, und weiß ich denn, ob er es nicht kann? und ich setze den möglichen
Fall, es begegnete ihm auf seiner regellosen Bahn zum erstenmal die volle
Scheibe des Monds – welcher von unsern moralischen Zeichendeutern dürfte ihm
einen schärfern Text lesen, als der meinige ist, wenn er überwältigt von süßem
Gefühl und bis in seinen brennenden Schweif erschüttert, den kleinen lieblichen
Wunderball so lange anstaunte, als er wolkenlos unter ihm schwebt? Wer möchte
ihn tadeln, wenn er die Secula, die seiner leiblichen Beschauung die Wiederkehr
verbieten, so tief in den Abgrund des ewigen Nichts verwünschte, als
wahrscheinlich der junge Mönch die Schaarwächter seiner Clausur, und als ich,
fuhr ich fort und blinzelte nach dem Lichte, den Mörder verwünschen würde, der
mich jetzt meiner Sehkraft beraubte. Denn bei dem wachen Bewußtseyn, mit dem
ich endlich an meinen Schreibtisch gelangt bin, und spöttisch auf die
erbärmliche Kleinigkeit herabsehe, die meinen unsterblichen Geist über eine
Stunde beschäftigen konnte, schwöre ich Dir zu, lieber Eduard, daß, in so viele
poetische Gleichnisse sich auch mein Traum über die Zufriedenheit der beiden
Augen=Paare verbreitet hat, die vergangene Nacht an einander geriethen, ich mir
doch zu behaupten getraue, daß keines von ihnen herrlicher überrascht und in
gleich hohem Grade glücklich seyn konnte, als es die meinigen waren, als sie
nun der erste Stral der Sonne aufzog. Eine ganze Weile glaubte ich noch
fortzuträumen. Mir war, als sey ich in einen vornehmen englischen Park
versetzt, in welchem blühende Bäume mit frisch begossenem Rasen, das Blöken der
Lämmer mit fröhlichen Singstimmen abwechselten, die aus unzählichen
Vogelhäusern wirbelten. Meine geborgten norrmännischen Füße, die, wie Räder einer
Wassermühle, mir keine Secunde Zeit ließen, nur einen der vorbeiströmenden
Gegenstände fest zu halten, verwickelten meine Sinne noch mehr in ihren Irrthum
In der süßesten Betäubung fing ich zu lallen an:
Welch holdes Traumgesicht, welch
unabsehlich freyes
Mit Segen überströmtes Land!
Lob sey dem Herrn, der mir dieß Bild des
Mayes
Auf meinen Schlaf herabgesandt!
Doch nein, ich bin erwacht, ich seh´
erstaunt im Glanze
Des Morgens, den mein Auge grüßt,
Wie die Natur mit einem Kranze
Zu einem wahren Hochzeittanze
Zahllose Wachende umschließt.
Hier laden tausendfache Sprossen,
In süßer Hoffnung zum Gedeihn,
Des Lebens traute Mitgenossen
Von einem Fest zum andern ein.
Um mich herum, auf jungen Aesten
Beblümter Stauden schaukelt sich
Ein muntres Heer von bunten Gästen,
Die ein geheimer Hang nach Westen
Aus Norden gängelte, wie mich.
In diesem heiligen Gewühle
Unschuld'ger Freuden, o wie
rein
Und selig müssen die Gefühle
Der Hirten dieser Fluren seyn!
–
Doch die Thürme von Toulouse
Schimmern meinen Augen schon,
Und das Harfenspiel der Muse
Fällt in einen Trauer=Ton.
Rücksicht ins Vergangne störet
Ihre frohe Phantasey,
Zitternd horcht sie auf und
höret,
Calas, Deines Bluts Geschrey.
Hilft in schwarzem Traum dem
biedern
Matten Greis um Mitleid flehn,
Sieht ihn mit zermalmten
Gliedern
Seines Todes Kampf bestehn.
Siehet Blut die Gattin weinen,
Blut bei jedem Keulenschlag,
Dem, als Bein von ihren Beinen,
Ihr Vertrauter unterlag.
Zählet der Verwaisten Thränen
Und des kindlichen Gefühls
Volle Pulse bey den Scenen
Dieses grassen Trauerspiels.
Thron des Aberglaubens! Wehe
Deinem rauchenden Altar,
Bis der Greis verjüngt erstehe,
Der Dein Todtenopfer war;
Bis Gott zu den Flammenstufen
Seines ernsten Richterstuhls
Auch den letzten vorgerufen
Deiner frechen Capitouls.
Und Du, Dulder, ihrer Strafen,
Wenn Du längst der Erde Last,
Alle Menschenangst verschlafen
Und den Traum gesegnet hast
Wenn zu jenem großen Tage
Die Erforschungsstunde schlägt,
Die auf unberührter Wage
Deiner Unschuld Leiden wägt;
Und dann fern von Dir Voltaire
Muthlos bangt, indeß Dein Licht
Stralen wirft, ach, dann
verkläre
Auch ein Stral sein Angesicht!
Anwald in der großen Sache
Der beleidigten Natur,
Schwor er Deinen Mördern Rache,
Und er hielt den edlen Schwur.
Rief die Weisen auf, zu
streiten
Gegen Priester, Wuth und Wahn,
Und schlug mächtig an die
Saiten
Aller bessern Herzen an.
Er verwandelte in Ehre
Deine Schmach, und schaffte Ruh
Deiner Asche. Dafür kehre
Gott auch ihm sein Antlitz zu!
Dafür werde seiner Ränke
Nicht gedacht! der Cherubim
Himmlischer Vergebung schwenke
Seine Fahne über ihm.
* * *
Toulouse.
* * *
Den 6ten März.
Diese trüben Gedanken begleiteten mich
in den Gasthof, wo ich einkehrte, der von unten bis unter das Dach mit allen
Lockungen der Sinnlichkeit versehen, nicht umsonst dem stolzen Capitolium
gerade gegen über lag; denn eine der vielen, Trepp auf, Trepp ab, wie
Liebesgötter in einem Venustempel, herumschwebenden Aufwärterinnen, die mich
anwieß, erzählte mir, die Herren Capitouls frühstückten gewöhnlich hier, ehe
sie zu Gericht gingen. „Das ist keine üble Gewohnheit,“ antwortete ich, „denn
nichts stimmt menschliche Herzen mehr zum Mitleid für andere, als eigener
Lebensgenuß, und für den scheint mir in diesem Hause vortrefflich gesorgt. So
eingerichtet war es wohl noch nicht, als Calas gerädert wurde?“ „O nein,“ sagte
sie, „damals war der Platz noch unbebaut und gehörte, glaub´ ich, der schwarzen
Brüderschaft zu.“
„Wohl Schade!“ erwiederte ich, „denn hätte
eine so weise Schwesterschaft, als ich jetzt hier vereinigt finde, den
Frühstücken seiner Richter vorgestanden, die Mehrheit der Stimmen wäre gewiß zu
seiner Lossprechung ausgefallen.“ Sie lächelte bedeutend und fragte nur noch,
ob ich hier übernachten würde? Ich zuckte mit den Achseln. „Nicht wohl,“ sagte
ich, „denn ich gedenke mit der Wasserdiligence nach Bordeaux abzugehen. Wie
lange habe ich da noch Zeit?“
„Ungefähr zwei Stunden,“ berechnete sie
und entschlüpfte.
Vor
allen schickte ich nun Bastian dahin ab, um Plätze für uns und meinen Wagen zu
bestellen, verriegelte darauf mein Zimmer, um ohne weitere Störung meine
heutigen Morgengedanken so warm niederzuschreiben, als sie mir auf dem Herzen
lagen. Ich setzte mich neben ein offenes Erkerfenster, aus welchem mir der
majestätische Pallast jener Mordgehülfen gerade vor den Augen lag. Dieser
zweckmäßige Standpunkt meines Schreibtisches, konnte ich doch wohl glauben,
würde mich über meine gewöhnliche Darstellungsgabe erheben; als ich aber das
beschriebene Blatt überlas – wie kraftlos kamen mir die Abdrücke meiner innern
Empfindungen vor. Ich blickte verdrießlich weg, fing mich an vor meinen Lesern
zu schämen, und wollte eben, um mich mehr zu befeuern, wie sich gewisse
Schauspieler heimlich in den Arm kneipen, wenn ihre Rolle Ausdruck des
Schmerzes verlangt, nach der grassen eisernen Kerkerthür hinsehen, aus der man
den matten, schuldlosen, siebenzigjährigen Greis zum Richtplatz geschleppt hat;
als mich ein ungestümes herrisches Klopfen nach der meinigen hinzog. Das ist
doch ein höchst unbescheidenes Benehmen, fuhr ich laut auf, denn wie konnte ich
mir einbilden, daß es Pocher gäbe, die das Recht dazu hätten, ohne für grob
gehalten zu werden, bis es mir ein Mann zeigte, der, schwarz gekleidet, mit
fliegenden Haaren hereintrat und mir durch das Schreckenswort de par le roi, das alles gleich macht, meine
Glieder lähmte. Die Feder, die ich noch naß in der Hand hielt, entfiel mir, und
ich habe erst einige zwanzig oder dreißig Meilen darnach reisen und das Gebiet
einer fremden Macht gewinnen müssen, ehe ich ihr heute wieder ihren freien Lauf
lassen konnte.
Auf
meine ehrerbietige Frage: was zu seinem und des Königs Befehl sey? antwortete
er befehlend: „Gedulden Sie Sich!“ Noch war ich weit entfernt, zu muthmaßen,
daß es meine Bagage wäre, auf die er mich warten ließe, bis ich sie von vier
Lastträgern ihm vor die Füße setzen sah. Nächst ihnen traten zwei andere, eben
so schwarze ominöse Figuren, mit Federn hinter den Ohren herein, als ob sie mir
an der Fortsetzung meines Tagebuchs helfen wollten. Ach sie haben es nur zu
gewiß durch den traurigen Bericht gethan, den ich Dir, lieber theilnehmender
Freund, über die bösen Stunden abzulegen habe, die mir ihre werthe
Bekanntschaft verursacht hat. Derjenige, dem ich den ersten Schrecken verdanke,
und der auch, den andern gegen über, den obersten Platz an meinem Schreibtische
einnahm, belehrte mich nun mit gerichtlichem Anstand, daß sie – und ich glaubte
in die Erde zu versinken – Capitouls, und beauftragt wären, mich über gewisse
Artikel zu vernehmen. Was mögen das für welche seyn? dachte ich zitternd nach.
Unmöglich können doch die Herren von ihrem Richthaus herüber durch das Fenster
erspäht haben, was ich schrieb; Gott gebe nur, daß sie es jetzt nicht
entdecken, und ich hätte für keinen Preis einen Blick auf den heutigen Heft
meiner Handschrift geworfen, der auf das unverschämteste neben dem Vorsitzenden
lag, um ihn nicht auf die Spur meines Anathems zu bringen. Der Mann am
Protokoll lauerte und jener begann seinen Vortrag: „Sie werden, mein Herr, im
Namen des Königs zum wahren Geständniß aufgefordert – wer Sie sind und was die
Absicht Ihrer Bereisung seines Reichs ist?“ Diese königliche Neugier konnte
mich nun wohl in keine Verlegenheit setzen. Ich antwortete frisch weg: „Ich bin
einer der getreuesten Unterthanen Friedrichs, wenn Sie erlauben – des Großen,
ein Berliner, sowohl meiner Geburt, als Krankheit nach, die mich viele
schwermüthige Jahre hindurch am Verdauen und Lachen verhindert hat. Die
dortigen Aerzte haben mich in die mittägliche glückliche Provinz Ihres Königs,
den Feldhühnern, Ortolanen und was sie sonst noch etwa meiner Diät für
zuträglich hielten, besonders aber der guten Laune nachgeschickt, die in deutschen
Apotheken nicht officiell ist. Die Cur ist mir vortrefflich bekommen. Ich kann
jetzt die leckersten Bissen vertragen und die Stimmung meines Gemüths hat sich
über alle Erwartung verbessert, so daß ich alles wiederum meiner Jugend gemäß,
ja sogar – sage ich, jedoch mit schuldiger Ehrerbietung – mein heutiges Verhör
nur auf der lachenden Seite betrachte. Protocolliren Sie, mein Herr, daß ich
meine frohe Herstellung nur ganz allein der großmüthigsten, liebenswürdigsten,
scherzhaftesten und tolerantesten Nation der Welt verdanke.“
„Haben Sie bei Ihrer Gesundheits=Reise sonst
keine Nebenabsicht gehabt?“ fuhr der Präsident mit einer kleinen Verbeugung für
mein Compliment – und ich um vieles beherzter gegen ihn fort: „Nur noch eine,
die ich aber nicht erreicht habe.“ „Welche war diese?“ „Die Verbesserung meines
Verstandes und Herzens.“ „Das ist wohl nur Scherz, mein Herr, vor Gericht jedoch
sehr zur Unzeit angebracht.“ Ich bückte mich für seinen schmeichelhaften
Verweis eben so bescheiden, als er vorhin bei meinem Lobe auf die französische
Nation. „Sind Sie nicht auch vor kurzem in dem Kloster zu Cotignac gewesen?“
Hier schoß mir das Blatt, doch war ich nicht einfältig genug, es zu läugnen. „Was
hat Sie zur Reise dahin veranlaßt?“ „Indigestion.“ Der Examinator blickte mir
ernst ins Gesicht. „Und,“ setzte ich noch hinzu, „die ungestümen Bitten meines
ehemaligen Zeichenmeisters, der die unerreichbare Notre Dame de graces zu kopiren versuchen wollte.“ „Wie lange verweilten Sie im
Kloster?“ „Von einigen Frühstunden an bis kurz nach dem Mittag, als der Stümper
mit seiner Abzeichnung fertig war.“ So wechselten unschuldige und verfängliche
Fragen, anderthalb Bogen durch, mit einander ab, bis mein Tauschhandel mit dem
Pater Andree klar am Tage lag. Die Deputirten waren von meiner kalten Küche,
der Berauschung meiner Gäste, unserer unklösterlichen Lustigkeit, kurz von
allem bis auf die Zahl der Flaschen unterrichtet, die wir geleert, und der
vollen, die ich außerdem noch dem ehrlichen Pater auf den Gastwirth zu
Marseille angewiesen hatte. Die folgende Frage: „Ob ich nicht wichtige Urkunden
dagegen bekommen?“ zog mir beinahe die Kehle zu, doch erholte ich mich nach
einem kleinen Hüsteln. „Das ich nicht wüßte. Der Mönch zwar, – – der mit einem
Heiligen verwandt seyn will, machte mir, seiner Einbildung nach, ein
bedeutendes Geschenk mit dessen gedruckter Legende, und gab mir noch eine Rolle
ganz unleserlicher Belege darein. Es ist die Frage, ob sie mein Bedienter nur
mit eingepackt hat.“ „Und zwar die entscheidendste von allen,“ entgegnete der
Vorsitzende mit einem ernsten, recht häßlichen Blick, „denn außerdem müßte sein
Herr sich gefallen lassen, so lange hier unter strenger Aufsicht zu bleiben,
bis sie beigeschafft wären.“
Jetzt
wurde Bastian gerufen; dem befahlen sie, Koffer und Kasten zu öffnen, und das,
was sie enthielten, ihnen stückweis vor Augen zu legen. Der Kerl benahm sich so
außer Fassung dabey, als wenn der Teufel von Beziers hinter ihm stände. Ich sah
mich genöthigt, den Handlanger zwischen ihm und den Deputirten zu machen, damit
sie nur nicht sein verstörtes Gesicht, dem ich selbst in diesem Augenblick die
schwersten Verbrechen hätte zutrauen können, bemerken möchten.
Sobald
die Rolle mit den heiligen Documenten zum Vorschein kam, recognoscirte und
überreichte ich sie den Bevollmächtigten. Ungefordert legte ich ihnen auch
meine Rechnungen und andern Papiere vor, um mich recht weiß zu brennen. Dank
meiner gelehrten Hand! Bey dem flüchtigen Blick, den einer der Beisitzer darauf
warf, übersah er sogar meinen Contrakt mit dem Glaser der Bastille, der mir
doch ein sichtbares Herzklopfen verursachte, als ich seiner ansichtig ward. Sie
hielten sich ganz allein an die Rolle des Pater Andree, gaben ihr, ohne sie zu
entwickeln, einen neuen Umschlag, den sie mit ihren drey Petschaften
versiegelten und mich anwiesen, als Zeichen, daß ich den königlichen Willen
nach Ehre und Gewissen befolgt habe, meinen offenen Ritterhelm darneben zu
drücken.
Ich
sah die Sache nun für geendigt an. Schon hatten die Commissairs Bastianen
erlaubt, meine Habseligkeiten wieder an ihren Ort zu bringen, und ich wollte
ihm mit den glücklich abgefertigten Papieren mehrerer Sicherheit wegen eben
mein Tagebuch noch zureichen, als der jüngste Deputirte – denke Dir, wie mir zu
Muthe ward – es unterweges mit der Erklärung anhielt: Er habe sich lange in
Wien aufgehalten und wolle doch sehen, ob er Deutsch noch so fertig lesen
könne, als ehemals. Glück über Glück, daß er nicht lange suchte, und etwan die
niedlichen Bruchstücke aus dem Briefwechsel der Königin Anna mit ihrem
Liebhaber aufstörte. Was würden die Herren von meinem Ritterhelm gedacht haben,
wenn sie jene Abschriften gefunden hätten! Gott sei gelobt, daß er sich nur mit
dem letzten Heft beschäftigte, nicht etwan weil es für mich weniger gefährlich
– ach im Gegentheil! sondern weil der poetische Fluch auf ihn und seines
Gleichen, den er vor den Augen hatte, kein Wiener Deutsch war.
Er
starrte das Blatt einige Minuten an und legte es mit einem „Nicht wahr ein
Wäschzettel?“ zu den übrigen. Wer war froher als ich! Hinter mir hörte ich ein
Kofferschloß nach dem andern zuschnappen, und der Vorsitzende entließ meinen Cammerdiener
mit einem gebieterischen Wink nach der Thüre, den er sich nicht zweimal geben
ließ. Mir aber ging es noch nicht so gut. Ich mußte noch zur Schlußformel
meines Verhörs die Tortur seiner Beredtsamkeit aushalten. „Mein Herr,“ wendete
er sich mit Würde zu mir, „Ihro allerchristlichste Majestät erlauben zwar
großmüthigst jedem Fremden, Ihre Staaten zu bereisen, gönnen ihm gerne die Luft
– den gesellschaftlichen Umgang und die fröhlichste Theilnahme an den
physischen und moralischen Vorzügen Ihres Reichs. – Sie werden aber hoffentlich
selbst begreifen, mein Herr, daß diese Vergünstigung sich nicht bis auf die
Ausfuhr und Entwendung alter Urkunden und Briefschaften erstrecket und
erstrecken kann. Das Unvorsätzliche – das Ungefähr, wie ich glauben will,
wodurch sie Ihnen in die Hände geriethen – indem Ihre, ad protocollum
gegebene Erläuterung dieser verwickelten Sache mit der uns mitgetheilten
Aussage des Pater Andree zur
Genüge übereinstimmt – kommt Ihnen in so weit zu Statten, mein Herr, daß Ihr
sonderbarer Tauschhandel mit ihm, den Wir von Gerichts wegen, unter Vorbehalt
Ihres Regresses an jenen Trunkenbold, für null und nichtig erklären, weniger
auffällt. Die Willfährigkeit und gute Art, die Sie bey der Zurückgabe der zum
Leben des heiligen Fiacres gehörigen Belege bewiesen haben, wird Zweifels ohne
den hohen Senat vermögen, Sie, als eine keinem weiteren Verdachte unterworfene
Person, frey zu lassen.“ Hier ward der Redner durch den Eintritt dreyer
weiblicher Engel unterbrochen, die jedem der Herren, wahrscheinlich zur
Stärkung in ihrem Berufsgeschäft, eine Tasse Chocolate überreichten. Während
sie solche einschlürften, durfte ich ja wohl diesen unerwarteten Zwischenact zu
dem Vergnügen benutzen, einer Hebe um die andere auf das tiefste in die Augen
zu sehen.
Als
sie abtraten, blitzten ihnen die meinigen noch so funkelnd nach, daß der Herr
Vorsitzende seine Stimme erheben mußte, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sich
zu lenken. „Zwar,“ diese Sylbe schob
er vorerst ein, als er den abgerissenen Faden seines Vortrags auffaßte, „zwar frey zu lassen; jedoch wird zugleich
einstimmig von Uns verlangt, daß Sie, mein Herr, je eher, je lieber, und sobald
ich Ihnen den Paß zuschicken werde, Ihre Abreise von hier beschleunigen.“ –
Warum denn eben das? dachte ich. O Herr Präsident, seyn Sie ruhig! Ihre schönen
Mädchen hätten mich ohnehin nicht aufgehalten – „zu der wir übrigens
insgesammt,“ endigte er seine Rede, „Ihnen von Herzen alles erforderliche Glück
wünschen.“ Ich würde gern zu der Feierlichkeit gelacht haben, mit der er die
Sitzung aufhob, hätte sie mich nicht um alles gebracht, was mir noch
einigermaßen meinen Ausflug über die Gränze zu einer nützlichen merkwürdigen
Reise stempeln konnte. Jetzt bringe ich meinen Landsleuten doch in der
Gotteswelt nichts mit, das der Mühe lohnte. Welcher Leser wird an meine historische
wichtige Entdeckung glauben, da ich sie mit keinem Original=Document zu belegen
vermag. Mein Wort? Das Vidimus meiner eigenen Abschriften? Ja!
damit darf man einem deutschen Gelehrten wohl kommen! – Indeß wär´ ich doch
heilfroh gewesen, als ich den Blutrichtern des armen Calas nun über die Gasse
nachsah – hätte ihre Bekanntschaft meiner Einbildungskraft nicht Schattenbilder
zurückgelassen, die beinahe noch fürchterlicher waren, als sie selbst. Was kann
noch aus dir werden, fing ich schauerlich zu berechnen an, wenn die Mehrheit
der Stimmen dir dein Absolutorium verweigerte – wenn die ältern Capitouls,
klüger als die abgegangenen jüngern, auf den natürlichen Einfall geriethen,
deine Aussage mit deinem Tagebuche zu vergleichen, wenn sie es einem Translator,
der Oden nicht für Wäschzettel nimmt, übergäben, du in deinem Jammer, so lange
bis es in französischer Sprache eben so geradebrecht wäre, als ihr Homer,
warten, und nachher, Gott erbarme sich! alle die Stellen verantworten müßtest,
deren sie nur zu viele, als criminell, oder als unverständlich, mit rother
Tinte anstreichen würden. Verwünscht sey der Prior zu Cotignac mit seinen Conventualen!
denn nur sie, die nicht mittranken, nur ihr Neid über ein Geschenk, an dem sie
keinen Theil hatten, können allein diese Verrätherei an dir und dem lustigen
Pater Andree begangen haben. O
die heillosen Mönche! – Mitten in diesem Selbstgespräch vermehrte ein
Gerichtsbothe, der dazwischen trat, mein Herzklopfen, ehe ich sah, daß es der
liebe erwartete Erlaubnißschein zu meiner Abreise war, den er mir einhändigte.
Der
große Thaler, den ich ihm für seinen Gang in die Hand drückte, ging ungleich
leichter von mir, als jener, den ich dem teuflischen Castellan zu Beziers
opferte. Meine Freude war aber nur augenblicklich. Unter allen Bewegungen der
Seele ist keine, die der Phantasie mehr zu schaffen macht – einem männlichen
Geiste überlästiger, mit einem Worte keine, die demüthigender, alberner und
peinigender ist, als die Furcht. Mir kamen die schauderhaftesten Beispiele aus
einer Menge Criminalacten wie zugeflogen, an die ich sonst in meiner Unschuld
gar nicht zu denken gewohnt bin, und die ich meinem Zustande doch jetzt so
anpassend fand, als ein eingebildeter Kranker jede grasse Sectionsgeschichte
dem seinigen.
Ich überlas
meinen Freypaß wohl zehnmal mit äußerstem Mißtrauen. Jeder Punkt und Strich,
den ein Unbefangener gar nicht bemerkt, kann ja, dachte ich, ein abgeredtes
Zeichen mit Polizeydienern seyn, an die man in voraus weiß, daß du gerathen
mußt. Spielen nicht oft boshafte Jungen mit einem armen Vogel, um ihn sicher zu
machen? Kann er weiter fliegen, als der Faden lang ist, den sie ihm
heimtückisch um den Fuß schlangen, und kann ein so guter Kerl, wie du, nicht
schon tagelang auf der Diligence in engem Verhaft sitzen, und immer in dem
süßen Wahn stehen, er reise nach seinem Vaterlande, bis seine Auflaurer für gut
finden, ihm solchen zu benehmen? Kaum hatte ich von allen diesen schreckhaften
Möglichkeiten eine abgefertiget, als gleich eine andere an ihre Stelle trat.
Einmal versuchte ich trotzig zu thun. Possen, sagte ich, die Originalschriften
sind ja den königlichen Bevollmächtigten überliefert. Wer kann mir beweisen,
daß ich sie gelesen habe, außer – stockte ich ganz auf einmal niedergeschlagen
– dein unseliges Tagebuch. Nun – fuhr ich schnell besonnen fort, was hindert
dich denn, es zu vernichten, ehe es wider dich zeugt? Die eine Hälfte liegt
schon in der Asche – lege die andere dazu! Ja, wenn nicht die väterliche Liebe
zu dem Nestling gewesen wäre, die sich geradezu gegen den grausen Gedanken
sträubte. Endlich kam ich – was gewinnt man nicht durch Nachdenken! – auf einen
Einfall, der mir in meiner ängstlichen Lage als der beste Nothhelfer so
genialisch erschien, daß ich ihn sogleich auf das herzhafteste ausführte. Ich
unterwarf nämlich mein Buch der Operation des Origenes. Die ausgeschnittenen
gefährlichen Blätter theilte ich wieder in zahllose Dreiecke, die ich an einem
gewissen staubigen Orte verbarg, dem sich nicht so leicht ein schwarz
gekleideter Commissair nähern wird. Ich will den Inquisitor loben, der ihn als
verdächtig anspricht, oder auch die Papier=Schnitzel ohne meine Hülfe in ein
lesbares Ganze zusammensetzt.
Nach
solchen genommenen klugen Maßregeln, sollte wohl jeder Vernünftige glauben,
müsse mir das verzagte Herz gewachsen seyn. Nichts weniger. Der Schrecken war
mir einmal ins Blut getreten und stieg mir immer höher zu Kopfe.
Wird es denn der König, warf ich die Frage
auf, wohl für wahrscheinlich halten, daß jemand seine Ahnen=Probe vierzehn Tage
in der Tasche haben kann, ohne sie zu untersuchen? und ist nicht der königliche
Glaube an die Möglichkeit allein schon hinlänglich, ihn par raison d'Etat
in das erste beste Gefängniß so gut mit einem Maulkorbe zu stoßen, als mit
einer eisernen Maske? Heiliger Fiacre! schütze mich, daß ich nicht um
deinetwillen auf die Brescauische Austerbank, der du glücklicher entgangen
bist, als du verdientest, zu liegen komme! Hier unterbrach mich Bastian mit der
Nachricht, die Wasserkutsche sey sammt dem Daraufgelde für den guten Platz
während meines Verhörs ab und davon gefahren. „O desto besser,“ rief ich, „die
Gesellschaft, die man auf einem Toulouser Postschiff erwarten darf, würde sich
ohnedieß sehr schlecht mit meiner gegenwärtigen Stimmung, und die langweilige
Fahrt noch schlechter mit einem geschwinden Fortkommen vertragen, an dem mir
mehr noch gelegen seyn muß, als den Herren Capitouls, die hier frühstücken. Auf
der Landseite entkommen wir ja diesem Drachenneste um vieles geschwinder. Habe
ich doch meinen Freypaß, was warten wir? Mache dich auf die Beine, Bastian, und
schaffe mir ohne Verzug vier tüchtige Pferde vor den Wagen, oder lieber sechse.
Hörst du?“ Das war ihm eben recht.
Es
verging keine Viertelstunde, so stand alles zu meiner Flucht in Bereitschaft.
Die glücklichsten Umstände trafen zusammen, sie zu befördern.
Ich
sah meine Berline mit sechs Pferden bespannt, die vor Ungeduld stampften, wie
ich. Eins zog wie das andere, denn ihre Führer waren, wie sie mir bald
vertrauten, Zwillingsbrüder, calvinischen Glaubens, und meinten es überhaupt
ehrlich.
Sie
drückten mir nicht nur auf das herzlichste die Hand für mein freigebiges
Trinkgeld am Ende der Station, nein sie zeigten es allen ihren Cammeraden, um
sie aufzumuntern, ein gleiches zu verdienen. Die Wege waren vortrefflich, der
Abend ruhig, wie ein gutes Gewissen, und die Nacht hell, wie bei uns ein
Frühlingstag. Nie hat mir der Klang der Posthörner mehr Freude gemacht. Nach
der Eile, mit der ich an den berühmten Garküchen des Perigords vorbey rollte,
hätte kein Mensch errathen, welchen Werth ich auf ihre kalten Pasteten setze.
Ich ließ mich durch keine aufhalten, denn ich kam mir selbst wie eine
Waldschnepfe vor, die alle ihre Federn anstrengt, um dem Unglück, in einer nach
Holland oder Deutschland verschickt zu werden, zu entfliehen.
So
erreichte ich zwar durch Gottes Hülfe und ohne den mindesten Anstoß schon den
siebenten März, einige Stunden nach Mittag, das schöne weinreiche Bourdeaux –
aber die lange Strecke Wegs, die ich noch bis in mein Vaterland vor mir sah,
erlaubte mir nicht, durch irgend einen Genuß Zeit zu verlieren.
Wie
hätte ich Lust haben können, meinem Körper gütlich zu thun, den ich bey weitem
noch nicht außer Gefahr glaubte, und der sich, wie Du noch hören wirst, bey
allem, was ihm aufstieß, recht linkisch benahm.
Jetzt,
nach einer ruhigen fröhliche Stunde, und nachdem ich glücklich über die
Strickleiter weg bin, die sie mir ersteigen half, steht es freilich ganz anders
um Deinen Freund, lieber Eduard.
Ich
werde nicht zum letztenmal über die wilden Blicke lachen, die ich umher warf,
als ich nicht weit von La Trompete, der hiesigen Festung, aus dem Wagen stieg. Alle Augen, alle Canonen,
glaubte ich, wären auf mich gerichtet. Ich sah in jedem Vorbeigehenden – ärger
als Rousseau auf seinen Spaziergängen – nur einen Spion, der meine Ankunft der
Polizey anzeigen werde. Ich ging nicht, nein, ich zitterte von weitem meiner
Chaise nach, die ich Bastian allein überließ auf die Post zu bringen und
bespannen zu lassen – aber die Gasse dahin wollte kein Ende nehmen. Indem
stürzte ein Trupp Matrosen, denen man es deutlich ansah, daß sie sich so wenig
um mich, als um die ganze Welt bekümmerten, mir aus einer Taberne in den Weg.
Sie schwenkten ihre runden Hüte und jauchzeten einmal über das andere mit
stammelnder Zunge: Es lebe Catharina die Zweite! Der Name dieser großen Frau
fiel mir kaum in die Ohren, so vergaß ich Cammerdiener und Wagen, und überließ
mich blindlings dem Zuge meines dunkeln aber mächtigen Zutrauens. Ich schloß
mich dicht an die lustige Bande an, und so oft ich mich bemerkt glaubte,
schwenkte auch ich meinen Hut und mischte herzhaft mein Vivat in das ihrige. So
taumelte ich in ihrer Gesellschaft zwey Straßen durch bis vor die Stadt an den
Hafen, wo sie auf einmal Halt machten. Eine schöne gebietende Gestalt stand vor
ihnen, dämpfte mit einem Wink ihr tobendes Geschrey und wies sie auf das
Schiff, von welchem der Name ihrer Monarchin in goldenen Buchstaben mir über
die Wellen entgegenglänzte, und dem sie sogleich auf einem Boote zuruderten.
Wie
sich das Gedränge der grünen Jacken um mich her verloren hatte, stand ich nun
einzeln, aber ziemlich außer Fassung, vor dem Capitain, der, wahrscheinlich ein
wenig verwundert, einen reinlichen Ueberrock unter seiner Mannschaft zu sehen,
mich von Kopf bis zu Fuß mit ernsten Augen betrachtete. Da ich nicht von der
Stelle wich und bei dem geringsten Geräusch scheu hinter mich blickte, fragte
er mich endlich: ob etwas für mich hier zu thun sey? Ich trat näher, nannte mit
leiser Stimme meinen Namen, der zum Glück für mich ihm nicht ganz fremd war,
und bat aus gewissen Ursachen, die ich ihm schon noch entdecken wolle, vor der
Hand nur um Schutz – – „Aber gegen wen denn?“ fragte er ungeduldig – „Gegen die
wollüstigen und grausamen Capitouls zu Toulouse,“ zischelte ich ihm zu, „und
ihre hiesigen Spione.“ Nach einem kurzen Besinnen gab mir der brave Mann einen
Wink, ihm auf das kleine Fahrzeug zu folgen, das bereit war, ihn überzusetzen.
O
wie gern gehorchte ich! Hätte Bastian nicht besser Acht auf mich gehabt, als
ich auf ihn, so wären wir vielleicht so bald nicht wieder zusammen gekommen. Er
schrie vom Ufer uns nach, bat und erhielt die Erlaubniß, mit einzusteigen. Wie
geschwind verzog sich meine bisherige Brustbeklemmung. In welche Freude ging
sie nicht über, als ich bald nachher mich in der Cajüte meines Beschützers,
zwar nur auf Bretern, die aber mit dem Gebiet einer mächtigen Monarchin
zusammen hingen, allen und jeden Nachstellungen des festen Landes entrissen
sah. Dieses schöne Gefühl entwickelte zuerst die heroische Frage in mir, ob es
nicht möglich und mir am besten gerathen wäre, unter Russisch=Kaiserlicher
Flagge allen gesetzlichen Ungeheuern des französischen Labyrinths zu
entwischen. Ich legte diesen Wunsch am Ende meiner Geschichtserzählung dem
lieben Capitain aus Herz. Er hörte meinen Vortrag mit gütiger Aufmerksamkeit an
– schwieg ein Weilchen, schien aber den Zusammenhang der Sache sehr wohl
begriffen zu haben. „Wohin wollen Sie denn eigentlich?“ fragte er. „Ja, mein
Gott, nach Leyden,“ antwortete ich, „wenn anders Ihr Weg Sie da vorbei führt.
Ich bin auf dem Meere nicht ganz orientirt.“ Es war dem lieben Manne Ernst, nur
zu helfen. Das sah ich ihm an. Er ging einigemal nachdenkend mit langsamen Schritten
auf und ab in der Cajüte, ehe er mir Antwort gab, die aber auch nun desto
bestimmter und erfreulicher ausfiel. „Ich sehe zwar, mein Herr,“ wendete er
sich freundlich zu mir, „Ihre Lage nicht für so gefährlich an, als Sie; damit
Sie jedoch nicht sagen können, Sie hätten Ihr Zutrauen vergebens auf einen
Russen gesetzt, so will ich es, so gut ich kann, zu verdienen suchen. Wenn Sie
mit Kost und Quartier auf meinem Schiffe zufrieden seyn wollen, so lassen Sie
nur heute noch Ihre Bagage an Bord bringen. Es hat seine völlige Ladung, und
würde bereits auf der hohen See seyn, wenn ihm der Wind so günstig gewesen
wäre, als er für Sie zu werden scheint; denn sollte er diese Nacht sich nur
noch um einige Grade verstärken, so kann ich vielleicht schon morgen aus dem
Hafen laufen, und will gern Ihrem Wunsche gemäß meine Segel nach der
Holländischen Küste richten, um Sie dort ans Land zu setzen. Auf dem offenen
Meere giebt es für uns andere keinen Umweg. Das ist kurz und gut meine
Erklärung.“ Seine menschenfreundliche Großmuth rührte mich bis zu Thränen. Es
ist so selten, unter den sogenannten Weltleuten auf einen zu stoßen, der an
unserm Schicksale thätigen Antheil nimmt. Ich ergoß mich in so wortreiche
Danksagungen, daß er mich vor Ungeduld mit der Frage unterbrach: „Ob mir sonst
noch etwas zu wünschen übrig sey?“ „Nicht das mindeste,“ antwortete ich, „als
daß es mir lieb wäre, da mir der Wind noch Zeit dazu läßt, wenn ich
mittlerweile die Stadt besehen, die Bourdeauxer Weine durchkosten und noch eine
und andere Einrichtung zu meiner Seereise machen könnte. Darf ich mich aber
wohl mit Sicherheit an das französische Ufer wagen?“ „Ueber mein Schiff
hinaus,“ erwiederte er, „reicht zwar meine Gewalt nicht, doch will ich gleich
eine Mittelsperson zu Hülfe rufen.“ Auf seinen Wink trat nun sein Commißschneider
mit einem Pack grüner Uniformen herein. Er brauchte nicht lange zu messen, denn
die kleinste darunter, die er meinem Körper anpaßte, saß nach seinem
Kunstausdrucke wie angegossen. Es machte mir eine kindische Freude, mich im
Angesichte des freien Weltmeers zu einem Russischen Seeofficier eingekleidet zu
sehen.
Ich
stellte mich mit stolzem Anstand vor den Spiegel, und warf mich nicht schlecht
gegen das intolerante Frankreich in die Brust. „Jetzt fehlt Ihnen,“ sagte der
scherzhafte Kapitain, „um dem ganzen Toulouser Capitol die Spitze zu bieten,
nichts als ein Blatt Papier zu Ihrer Legitimation in der Tasche – ein Patent,
das ich Ihnen als Schiffs=Lieutenant ausfertigen will.“ „Doch nur titular?“
fiel ich ihm erschrocken in die Rede. „Nicht anders!“ versetzte er lachend. „Denken
Sie denn, daß ich den Dienst so schlecht verstehe, dem ersten, besten Passagier
das Commando am Steuerruder anzuvertrauen? Man kann mit einer gewissen Portion
Eigendünkel eher wohl die Segel eines kleinen Fürstenthums dirigiren, wenn es
auch hier und da leck ist, als das geringste Schiff, das dem Russischen Staat
dient.“ Er warf bey diesen Worten einen Blick, den ich mir merken will, in die
Ferne, der viel zu sprechend war, um ohne Bedeutung zu seyn. „Wen traf dieser
Blick, Herr Capitain,“ fragte ich, „wenn ich es wissen darf?“ „Warum nicht? Er
galt wohl gar einem Ihrer Bekannten –“ erwiederte er. „Doch gewiß,“ schob ich
geschwind ein, „keinem meiner Freunde, das will ich im voraus beschwören.“
„Einem,“ fuhr er fort – – –
Aber
o Ihr, die Ihr mich bis zu dieser Zeile geduldig auf meinen Spazier= und
Irrgängen begleitet habt, Euch, meine vortrefflichen Leser, muß ich jetzt
einige Augenblicke still zu stehen bitten, denn ich selbst stehe zum erstenmal
in meinen Wanderungen vor einem Oha, über das ich nicht wegzukommen weiß. Ein
heimtückischer Zufall hat mir die meisterhafte Zeichnung meines Russischen
Freundes entrissen, und den lustigsten Text von der Welt durch eine Lücke
unterbrochen, die ich leider! jetzt nur mit einer kläglichen Note auszufüllen
im Stande bin.
Diese Verlegenheit thut mir doppelt wehe, weil sie mich zugleich
nöthigt, ein Geheimniß auszuplaudern, das ich mit mir ins Grab zu nehmen
gedachte. Das Schicksal, scheint es, will mir nicht vergönnen, das Geringste
vor Euch auf dem Herzen zu behalten. Es liegt, ich weiß es, manches
Räthselhafte noch in meinem Tagebuche, das Eurer Aufmerksamkeit wohl schon oft
anstößig gewesen seyn mag; doch davor darf mir nicht Angst seyn, denn in
einigen Tagen, hoffe ich, wird Euch auch das Widersprechendste unzweideutig und
klar, wie die Wahrheit, vor Augen stehen.
Ob
aber die kräftige Schilderung des Unbekannten je wieder an das Licht kommen
werde, das sie so sehr verdient, muß ich, ohne es ganz zu bezweifeln, allein
der künftigen Zeit überlassen, denn die meinige ist, – und das eben war, wie
ihr alleweil hören sollt, mein Autorgeheimniß, – verlaufen.
War
es ein Anfall von Eitelkeit, falsche Scham eines jungen flüchtigen Gesellen,
oder Nachahmungssucht – ich lasse es unentschieden, die mich, nach meiner
Zurückkunft in Berlin, auf den tollen Einfall brachte, meine
Selbstbekenntnisse, wie Jean Jaques die seinigen, unter Schloß und Siegel zu
legen, und, gleich ihm, zu verordnen, daß mein Erbe ihnen erst zwanzig Jahre
nach meinem Ableben Luft mache.
Ein
Augenblick Ueberlegung brachte mich, wie ich denke, auf einen klügern
Entschluß. Wärest du, sagte ich mir, auch nothdürftig zu entschuldigen,
Possenspiele mit deinen Zeitgenossen zu treiben, die es nicht mir längst an
dich gebracht, sondern auch das Wiedervergeltungsrecht noch immer in Händen
haben, so sähe es doch einer Poltronnerie sehr ähnlich, wenn du dich erst aus
dem Staube machen und der Nachwelt gleichsam hinterrücks deine Schneebälle aus
einer Entfernung in das Gesicht werfen wolltest, in der sie dich nicht mehr
erreichen kann. Und ist es denn nicht, fuhr ich ernsthafter fort, mehr als zu
bekannt, wie pflichtvergessen der Freund, dem der große Mann die Herausgabe
seiner Confessionen übertrug, die strenge Frist verkürzt hat, die Rousseau der
Neugier seiner Hinterbliebenen auflegte? Aber gesetzt auch, eine solche Untreue
wäre mit den deinigen nicht zu befürchten, bleibt es denn nicht noch immer die
Frage, ob die klugen Leute, denen du die Vollstreckung deines letzten Willens
in einer Zeitperiode zuwälztest, die sich wahrscheinlich von der gegenwärtigen
durch den geläutertsten Geschmack auszeichnen wird, – ob sie, sage ich, dein
Testament nicht als inept erklären und deinen armen entsiegelten Papieren,
statt ihnen den kostbaren Weg in das Gebiet der Makulatur zu eröffnen, den weit
kürzern hinter den Herd anweisen würden? Solche vornehme Wagstücke, gestand ich
mir offenherzig, sind nicht für einen Schriftsteller, wie du bist.
Diese
vielseitigen Ansichten der Sache brachten mich endlich auf einen Ausweg, bei
dem ich stehen blieb. Wäre es denn nicht sicherer, zischelte ich mir ins Ohr,
gemächlicher für dich und ehrlicher gegen deine Mitbürger gehandelt, wenn du
ihnen, während du noch auf ebenem Boden mit ihnen wandelst, die offenherzigen
Berichte von der übeln Wirthschaft ablegtest, die du, jedoch zum Glück nur
wenige Monate, in einem sittenlosen Lande mit deiner Zeit getrieben hast? und
um sie nicht auf einmal zu erschrecken, die zwanzig Hungerjahre, zu denen
Rousseau im Laufe seiner Unsterblichkeit das lesende Publicum verdammte, auf
das jugendliche Spielwerk ausdehnest, das du ihm preis zu geben gesonnen bist?
Dadurch bekommen deine Begleiter nicht nur Zeit zu verschnaufen, sondern der
Stern deiner Autorschaft zugleich einen hübschen Spielraum, den Cometen, die
inzwischen an dem litterarischen Himmel aufbrausen, und ihn leicht in ihren
Schweif verwickeln könnten, ehrfurchtsvoll und so lange aus dem Wege zu treten,
bis sie ihre blendende Laufbahn durchschnitten haben. Wirklich habe ich durch
diese kluge Wendung seinen völligen Untergang aufgehalten. Wie viele prächtige
Meteore sind nicht in diesem langen Zeitraum durch den Aether gezogen,
verschwunden und vergessen, und das meinige blinkt noch in der zwanzigsten
Leipziger Messe, tritt noch einmal aus dem Nebel hervor, in welchen es sich oft
hüllte, und lächelt noch hier und da einem alten Bekannten so freundlich ins
Auge, als ehemals meinem nun längst verewigten Freunde Eduard, dem seine ersten
Stralen gewidmet waren.
Mit
welchem wehmüthigen Vergnügen sehe ich auf jene Morgenstunden zurück, wo ich
ihm das Votivgemälde vorhalten konnte, das ich in der Ferne aus tausend
heterogenen Farben für Ihn zusammengesetzt hatte. Es war eine freundschaftliche
Beschäftigung, eine augenblickliche Zerstreuung in der bänglichsten Zeit, die
je über Berlin geschwebt hat – in der Krankheits=Epoche unsers großen
Monarchen. So saß ich denn auch, gerade vier Wochen vor seinem völligen
Verlöschen, nach einem mäßigen Frühstück meinem Freunde gegen über, und langte
von den letzten Heften meiner Reise, die hinter meinem Sitze auf einem
Ecktischchen lagen, einen nach dem andern mir zu, wie ihn die Reihe traf. Meine
Vorlesung war bis auf gegenwärtigen, und bis zu der Zeichnung vorgerückt, die
ich kurz vorher meinem Zuhörer, der sich auf dergleichen Malereien besonders
verstand, als ein Meisterstück angekündigt hatte; aber kaum waren ihm die
ersten Grundlinien davon sichtbar geworden, so erhob sich ein Wirbelwind in dem
größten Ungestüm von der Gasse, der Thüren und Fenster aufriß, und indem ich
eben nach diesem, noch übrigen Abschnitt meines, unserer heutigen Unterhaltung
gewidmeten Vortrags greifen wollte, mir ihn unter den Händen wegnahm. Hätte ich
nicht zum Glück den Ueberrest meiner Handschrift zu Hause gelassen, es wäre ihm
nicht besser ergangen, und mir nichts übrig geblieben, als meine Boutique zu
schließen.
Kein
spielendes Kind, dem sein papierner Drache entwischt, kann bestürzter ihm
nachblicken, als ich meinen fliegenden Blättern. Ich sah sie über die Dächer
hin, bald an diesen, bald an jenen Schornstein anprallen, sinken und steigen,
und endlich ganz aus meinem Gesichtskreis verschwinden. Während meines
vergeblichen Hinstaunens in den leeren Raum, hatte Eduard, thätiger und
gefaßter als ich, alle dienstbaren Geister seines Hauses aufgeboten, den
politischen Steckbriefen nachzueilen. Ihr erzeigt allen ehrlichen Leuten den
wichtigsten Dienst von der Welt, wenn ihr sie auffangt, schrie er ihnen nach.
Umsonst! nach einer Stunde kamen die Abgeordneten athemlos, beschmuzt und mit
leeren Händen zurück.
Der
Wind, – entschuldigten alle ihre mißlungene Hetze – wäre zu arg. Dem hätte er
die Kappe, jenem den Athem genommen, und allen so viel Staub in die Augen
gestreut, daß ihnen Hören und Sehen vergangen sey. Wir schickten sie demohnerachtet,
sobald das tobende Wetter vorbey und die Luft rein war, zum zweitenmal aus,
ließen überall in den Häusern der Gesandten, in den Trödelbuden, in den
Kramläden, und in dem königlichen Schlosse den verlornen Papieren nachstellen,
aber mit gleich wenigem Erfolg, und eben so vergebens habe ich in den zwanzig
Jahren, die zwischen jenem Tage und dem heutigen liegen, auf den glücklichen
Zufall gelauert, der sie mir zeitig genug wieder bringen sollte, um sie meinen
guten Lesern noch mittheilen zu können. Welchem staubigen Winkel mögen sie
zugeflogen seyn? Ach vielleicht doch verwahrt sie das Pult eines ehrlichen
Finders, der sie wohl längst ihrem rechtmäßigen Eigenthümer zugestellt hätte,
wäre er ihm nur bekannt gewesen. Freilich käme jetzt jedes Einschiebsel zur
Vollständigkeit meines armen Tagebuchs zu spät, das, wie ich meinen Lesern
schon vertraut habe, mit der dießjährigen Ostermesse sein Ende erreicht.
Da
indeß diese merkwürdige Zeichnung auch an jedem andern Orte der Ausstellung
immer noch werth bleibt, so kann ich um so viel mehr dieß Original, das sich
selbst mit Hülfe des Windes vogelfrey gemacht hat, allen Journalisten und
Sammlern fliegender Blätter, wenn es ihnen vorkommen sollte, zu einem nicht
gemeinen Lückenbüßer empfehlen. Die Zeit hat ja schon manches Document ans
Licht gebracht, was man Jahrhunderte hindurch für verlohren erklärte.
Irre
ich nicht, so ist ja ein Brief des Cicero ad familiares durch den
Pergament=Band eines alten Calenders und eine mangelhafte Stelle in dem Petron
durch den Umschlag einer päbstlichen Bulle ergänzt worden, und kann ich mich
denn nicht auf meine eigene Erfahrung berufen? Hätte sich der französische Hof
wohl träumen lassen, daß die Briefe der Königin Anna an ihren Beichtvater
irgendwo noch versteckt lägen und nach Verlauf eines Säculums einem Reisenden
in die Hände gerathen würden, der an sie am allerwenigsten dachte. – – – –
Wenn
er nur wüßte, – – – fährt meine Handschrift fort; – – – aber indem fing die Schiffsuhr
zu schlagen an. Der Capitain verließ mich, um seine Befehle für die laufende
Stunde auszugeben. Um keiner beschäftigten Hand im Wege zu stehen, setzte ich
mich auf das Verdeck, machte mir einen Sitz von Tauen und Segeln zurechte und
zog, um mir in Ermangelung besserer Gesellschaft die Zeit mit meiner eigenen zu
vertreiben, den gangbaren Heft meines Tagebuchs aus der Tasche. In diesem
Portefeuille deiner Erfahrungen, lächelte ich es an und schlug die Hand darauf,
hast du nun schon eine ziemliche und mehr als hinlängliche Sammlung
medicinischer und philosophischer, theologischer und artistischer Windbeutel
niedergelegt. Zu ihrer Vollständigkeit fehlte dir nur noch ein politischer. Den
hat dir nun unerwartet ein unpartheyischer Mann in die Hände geliefert. So
flüchtig auch seine Zeichnung seyn mag, (ach wäre sie nur nicht gar verflogen!)
so sticht doch der Dünkel des Portraitirten mit zu vieler Wahrheit vor, um
nicht ähnlich zu seyn. Warum wolltest du sie nicht in deinem Bilderbuche
aufnehmen, das, nach deinen eigenen Menschlichkeiten, nichts so deutlich zur
Schau stellt, als die, allen Gauklern gemeine Physiognomie des Hochmuths, die,
wie es scheint, meinem vornehmen Capitain so widerlich ist, als meiner Wenigkeit.
Die Nilratze kann unmöglich eine stärkere Antipathie gegen Crocodille haben,
als ein natürliches, mit edlem Stolze begabtes Herz gegen aufgeblasne Menschen.
Man kann doch gewiß nichts geringeres seyn, als ich jetzt bin, aber auch in mir
schlägt ein solches Herz und ich vertauschte es nicht, selbst gegen den Zepter
nicht eines königlichen Prahlers. Meinem Capitain sah man es an der Stirne an,
daß er seinem wichtigen Posten eben so gewachsen war, als er ihm mit
Bescheidenheit vorstand. Er wußte nicht nur zu befehlen, sondern auch zu
lenken. Dafür aber genoß er auch Achtung und Zutrauen vom Höchsten bis zum
Geringsten.
Sein
Schutz gab mir Zuversicht, seine Herablassung erhielt mich in Demuth, seine
Freundschaft erhob mich. Er, ein Sprosse des edeln Geschlechts von Kosodawlew,
das dem Staate schon manchen klugen Kopf und brauchbaren Diener gezogen, flößte
mir eine so große Liebe zu seiner Nation, so tiefe Ehrfurcht für seine
Monarchin ein, daß, hätte ich nicht gehörige Rücksicht auf mich genommen, mir
wohl auch der Schwindel über meinen neuen unverdienten Titel hätte zu Kopf
steigen können.
Als
ich jenes Bild in meine Gallerie aufgehängt hatte, blieb mir für heute nichts
zu besorgen übrig, als Abschied von der großen Nation zu nehmen. Ich steckte
mein Patent ein, setzte mich auf einen Fischerkahn, und stieg mit festem Muth
ans Land. Eine der schönsten Städte Frankreichs breitete sich nun vor meinen
Blicken aus, ich gab aber weniger auf ihre Häuser und Plätze, als mit
heimlichem Lächeln auf die Huldigung Acht, die alle Vorübergehenden meiner
Uniform erzeigten. In meinem Leben ist der Hut nicht so oft vor mir gezogen
worden. Die allgemeine Verbeugung vor der großen Frau, der ich zu dienen den
Anschein hatte, machte mir es begreiflich, wie manche ihrer wirklichen Diener,
wenn sie andere Höfe und Länder besuchen, auf Stelzen einhertreten, und ich
möchte sie beinah entschuldigen, wenn es mir möglich wäre, der Schwachheit des
Stolzes das Wort zu reden, oder sein Vordrängen auf meinen geraden einfachen Lebensgang
mit Gleichmuth zu ertragen.
Ich
gehöre, wie sich das so ziemlich aus meinem lachenden Hinstaunen in die Welt
ergiebt, gewiß nicht zu der Klasse der Friedensstörer; wer mich aber aus
Ursache seines Eigendünkels beleidigt – jede andere kann ich eher vergeben –
mir, um mich zu hänseln, Wasser in meinen Wein mischt, darf sich nicht wundern,
wenn ich, ohne lange daran zu schlucken, den unreinen Trank ihm in das
Fratzengesicht sprudele. Nicht etwa erst als russischer Titular=Schiffs=Lieutenant,
sondern schon längst habe ich in meinen häuslichen, politischen und
litterarischen Verhältnissen das System angenommen, das meine anscheinende
Gebieterin zur Sicherung der ihrigen erfunden hat – das System der bewaffneten
Neutralität. Es ist von allen, die ich kenne, gewiß das beste. Wir sind beide,
wenn ich meine Kleinheit neben ihre Größe setzen darf, zu gutmüthig, um nicht
jedem seine Sturmhaube, oder seine Schellenkappe zu gönnen, so lange er seinen
eigenen Spaß damit treibt; aber niemand in der großen Welt darf seine Lanze
gegen sie, und in der kleinen seine Peitsche gegen mich aufheben, wenn ihm
seine Haut lieb ist.
Du
siehst, Eduard, daß ich in dieser Rücksicht meinem Officiershute so viel Ehre
mache als Sie ihrer Krone.
Während
ich mich aus einer Gasse in die andere drehte, als wenn ich sie der Länge und
Breite nach ausschreiten wollte, die Weinhändler, die hier jeden Fremden schon
von weitem als einen Einkäufer anlächeln, durch mein Gesicht voll Würde in ihre
Kellerstuben zurückschreckte, und den Policei=Dienern, ohne daß sie es
ahndeten, in Gedanken Trotz bot, besorgte Bastian meine letzten Geschäfte mit
vieler Einsicht.
Er
kaufte für mein Bedürfniß, wie er glaubte, Lord Ansons Reise um die Welt, und
ein paar englische Halbstiefeln, und verhandelte meine gepriesene Berline, als
unnöthig zur See, an den Miethkutscher des Preußischen Consuls, unter der
Bedingung, meine Habseligkeiten noch umsonst bis an das Ufer zu fahren. Er
selbst ging mit meinem Puderbeutel in der Hand voran, den ich seiner besondern
Sorgfalt um deßwillen empfohlen hatte, weil er, wie ich Dir wohl jetzt
vertrauen kann, einen Schatz für mich, die Schnittlinge nemlich meines in der
Uebereilung der Furcht castrirten Tagebuchs enthält. Sonach verlasse ich nicht
nur um vieles leichter, als ich gekommen bin, sondern auch ungleich einiger mit
mir selbst, ein Land, von dem, genau besehen, ich nichts mitnehmen möchte, als
das Sonnenthal und Agathen. – Die Dämmerung erinnerte mich zur rechten Zeit an
den Vergang meines militairischen Urlaubs. Ich schüttelte, wie ein Apostel, mir
den Staub von den Schuhen, wendete beim Eingang des Hafens noch einmal mein
zufriedenes freies Gesicht nach der größten der unzähligen Trompeten dieses, in
allen Dingen, hoch trabenden Reichs, nach der Vestung der Stadt, als nach dem
letzten Gränz- und Markstein, den ich nicht sowohl zwischen mir und dem
prahlerischen Gallien, als vielmehr in stiller Hinsicht auf mein künftiges
Leben, zwischen dem französischen Leichtsinn und dem deutschen Ernst setzte.
Ach welche reuige Empfindungen, gutmüthige Gefühle und meines Vaterlands
würdige Vorsätze bewegten mein Herz, indem ich über die auf dem kräuselnden
Strom gebrochenen Stralen des Abendsterns, den ich reiner und freundlicher
nirgends erblickt habe, zurück nach meiner Garnison fuhr.
Es
war mir, wie einem, der seiner Besinnung lange beraubt, ihrer nun seit kurzem
mächtig geworden, und mit freudigem Zittern, in der Hoffnung, nie wieder zu
kommen, dem Tollhause entschleicht.
Das
erste Wort meines Befehlshabers, als ich in seine Cajüte trat, wo er so
tiefsinnig über einer Seekarte schwebte, als ein Denker über einem moralischen
Werke, war ein Lob auf den herrlichen Wind. Als Schiffs=Lieutenant, glaubte
ich, müßte ich Ehren halber mit einstimmen; es schien aber, der gute Mann
errieth mich. Er zeigte mir auf der Karte den Weg nach Petersburg und sprach so
gleichgültig davon wie von einer Spazierfahrt, tröstete mich freilich dadurch
über meinen Katzensprung nach Holland, aber nur halb, denn es lief mir schon beim
Anblick des leer gelassenen Papiers der Meeresfläche, das doch gewiß mehr
Unfälle bedeckt, als alle angränzende Länder, die mir grün und gelb vor den
Augen flimmerten, ein kalter Schauer über den Leib. Ich berechnete die
entsetzliche Tiefe und daß ich nur waten, aber nicht schwimmen könne. Das große
kaiserliche Schiff verkleinerte sich in meinem Gehirne zu einer zerbrechlichen
Schachtel – die mich – als wenn es in meinem täglichen Bette viel anders wäre,
– nur im Schweben zwischen Zeit und Ewigkeit hielt. Denke nur: mitten in diesen
ernsten Gedanken fällt mir noch, zu meinem Unglück, der gräßliche Sturm ein,
den der Anspachische Theodor in seinem wirbligen Kopf erregt hat. Ein
schlechtes, lächerliches Vorbild, ich weiß es, das sich aber dennoch meine Phantasie
nicht wehren läßt so täuschend auszumalen, als es nur ein Stück von Vernet seyn
kann. Wenn das Schiff stranden sollte – ach, ich fände kein Bret, worauf ich
mich, oder meinen Namen retten könnte; denn auf Votiv=Tafeln, den Schutz der
Heiligen und auf die Gebete der Mönche darf ich, wie es wohl andere thun, am
wenigsten rechnen. Ich habe es nicht um sie verdient. Hat mich nicht schon das
bloße Bild des einen zu Cotignac in die Toulouser Händel und in das Wagstück
verwickelt, dem ich mich jetzt preis gebe? Mein Gott! wie ich zittere und
schwatze; aber setze Dich nur, lieber Freund, einen Augenblick an meine Stelle.
Ich weiß ja nicht, wie ich mich anders über den ungewohnten Lärm betäuben soll,
der auf dem Schiff herrscht. Welcher Unterschied zwischen meinem heutigen Abend
und jenem Mittag auf der Fregatte des Voltaire.
Dort
hörte ich nur Witz sprudeln und lachte über das denkende Wesen an meiner Seite.
Hier hingegen gellen mir die Ohren von nie gehörten Kommando=Wörtern – von
Matrosen=Flüchen, Hämmern, Klirren und Poltern, bald über, bald unter mir. Was
das alles für Anstalten sind, um bis zu einer Holländischen Treckschüte zu
gelangen! So muß der arme Mensch überall dulden, harren und mit Unruhen
kämpfen, ehe er ein häusliches langweiliges Glück erreicht.
Sähe
ich nur schon die großen Augen meines Jerom, wenn ich ihn in meinem Seecostüm
überfalle. Was wird er denken, ehe er erfährt, daß nichts solides dahinter
steckt! Es sind noch nicht fünf Monate, seit er auf dem Münster zu Straßburg
meinen Glauben an den thierischen Magnetismus so spöttisch behandelte. Ach wie
viel unglaublichere Charletanerien habe ich nicht in der kurzen Zwischenzeit
erfahren! Ich höre im Geiste sein Gelächter, wenn ich sie ihm erzählen werde.
Erzählen? Ich ihm? O ich armer, geplünderter, halb verbrannter, halb
verschnittener Autor! Woher sollte mir der Stoff – und was meiner
Vergeßlichkeit zu Hülfe kommen? Der kleine Rest meines Tagebuchs? die
Haarwickel in meinem Puderbeutel Ist es wohl der Mühe werth, daß sie sich über dem
Wasser halten? Ach, mag sie doch meinetwegen der Rachen eines Wallfisches
verschlingen, wie den ehrlichen Jonas. Ich verlange nicht einmal, daß er sie
wieder ausspeie, sobald sie mich nur nicht nachziehen. Doch eben höre ich den Capitain
befehlen, daß die Mannschaft sich schlafen lege, die nicht angestellt ist.
Das
gilt auch mir. Ich gehorche.
* * *
Am Bord des Schiffs
Katharina die Zweyte,
den 8ten März.
Mein erster Versuch mit der Hangematte
ist glücklicher abgelaufen, als ich glaubte. Geist und Körper fühlen sich
gesund, und mit meinem Wohlbehagen ist auch mein Muth gestiegen.
Der
Wind – Ich würde ihm zwar nicht trauen, aber mein Capitain sagt – und das ist
mir genug – er wäre so gut, als ein Seemann ihn wünschen könne. Schon werden die
Seegel gespannt, die Anker gehoben und das Steuer=Ruder von der erfahrnen Hand
eines Seehelden gefaßt, dessen edle bescheidene Miene schon Ehrfurcht und
Vertrauen einflößt, der das Leben und Glück der Menschen zu schätzen weiß, die
seiner Leitung überlassen sind, seinem wichtigen Beruf ohne Großsprecherey als
ein ehrlicher Mann vorsteht, manchen Sturm mit Festigkeit und Klugheit bekämpft
hat, ohne ihn in Journalen zu beschreiben, oder mit so grellen Farben zu
schildern, wie der Anspachische Schmierer hinter seinem Dachfenster das
berühmte Revolutions=Gemälde, das zwey Ellen und einen Daum groß, aber schlecht
erfunden und keinen Heller werth war. O welch ganz anderes Colorit hat die
Wahrheit, und wie glücklich ist ein Passagier, der, wie ich, einen scharfsichtigen
Capitain am Compaß – einen erfahrnen Steuermann am Ruder weiß! Sei es ein
Kriegs= oder Kauffartheyschiff, sie bringen es gewiß glücklich in den Hafen. In
solchen hoffnungsvollen Gedanken ruhte mein Blick auf dem ehrlichen Gesichte
des alten Schiffers, der sie mir eingab, als Kosodawlew bey uns vorbey in seine
Cajüte eilte, um das Signal zur Abfahrt zu geben. Er nahm mich bei der Hand mit
sich. Munter, munter, Herr Lieutenant! sagte er scherzend. Mein dirigirender
Minister dort nimmt es mit allen Winden der Erde, und meine große Kaiserin mit
allen Schutzheiligen in der Legende auf. Und ich, während er veranstaltet, daß
man Ihre Flagge aufstecke, sitze andächtig an meinem schwankenden
Schreibpultchen, und bete es ihm nach:
Vom Borysthen bis zur Garonne,
Vom Wolgastrom bis an den Belt
Durchschwebt Ihr Name wie die Sonne
Wohlthuend jeden Theil der Welt,
Und angelacht von Ihrem guten
Gestirn, ruft mir mein Vaterland:
Verlaß ein Reich, das Rauch und
Tand,
Um Gott zu blenden – Wünschelruthen
Zum Richtscheid der Gesetz´ erfand,
Das einen Greis dem Grab´ entwand,
Um auf dem Rade zu verbluten.
Schon hebt Aurorens Rosenband
Mein freyes Schiff, schon fliegt der
Strand,
Wie Cäsar stürz´ ich in die Fluthen
Mein liebes Tagbuch in der
Hand.
* * *
Leyden.
Den 25sten März.
O wie hat die große Frau meinen Glauben
an ihr glückliches Gestirn und Kosodawlew mein Vertrauen zu ihm und seiner
Kenntniß gerechtfertigt, die noch weit über Compaß und Seekarte hinausreicht!
War es doch, als ob Wind und Wetter ihm so gehorsam als die Matrosen – und die
Wellen des Meeres nur Stahlfedern wären, die auf weichen Polstern uns hüben und
forttrügen. In welcher Glorie ist mir die Natur erschienen, und wie freuten
sich meine Augen an jedem wiederkommenden Morgen, daß sie noch nicht, verloren
für die Anbetung Gottes, in des Grabes Moder versunken waren! Ich glaubte in
jenem Blumenthal, das Agathen umschließt, den Sonnenkörper in seiner größten
ätherischen Pracht besungen zu haben, ach ungleich poetischer sah ich ihn in
der feyerlichen Geburtsstunde des Tages über den Horizont hervor wallen und
mein Erstaunen verstummte. Wer den Mond und die Sterne nur über dem Dunstkreise
des Erdballs funkeln sah, denke ja nicht, daß er ihren wahren Glanz kenne, und
niemand behaupte, sein eigenes Herz zu verstehn, der seinen Freund oder seine
Geliebte noch nicht zwischen Wasser und Himmel umarmt hat. Breitete sich das
eine immer so sanft und geschmeidig unter uns, der andere über unsere Häupter
eben so wolkenlos aus, als auf dieser meiner ersten Seereise, ich wüßte wohl,
welchem Elemente ich mein irdisches Glück anvertrauen würde, denn nirgends
fühlt man das kostbare Geschenk des Lebens dankbarer und inniger, als auf
diesen schwimmenden Bretern und nirgends reicht uns der Tod näher, schmerzloser
und gaukelnder die Hand, als bey der Punschschale, die unsere Abende begeistert
und von der wir nicht eher, als mit dem letzten Tropfen, in süßer Betäubung
nach unserer Hangmatte taumeln, ohne darauf zu achten, wie sehr sie einem
Leichentuche ähnlich sieht. Wer möchte nicht lieber in dem freyen Weltmeere
begraben seyn, als in einem verschlossenen Sarge unter einer drückenden Erde, –
dem Spielplatz aller bösen Neigungen, künstlicher Bedürfnisse und Laster. Wie
verächtlich erscheint einem Beschiffer des Oceans die übrige Welt mit ihren
Eitelkeiten und Freuden.
Der
glücklichste Monarch kann nicht zufriedener von seinem glänzenden Throne gen
Himmel blicken, als ein Seemann von dem Verdecke seines Schiffs. Die stärkende
Seeluft, die physische Abgezogenheit von dem Beginnen der Menschen entwickelt
die schönste moralische in seiner Seele. Großherzig und neidlos belächelt er in
seiner philosophischen Cajüte das Wettrennen des Hochmuths nach Rang, Ehrentitteln
und nach den Gängelbändern widersinniger Orden, und ärgert sich über gelehrte
Flugschriften, lügenhafte Zeitungen und das summende Geschmeiß, das seine
faulen Eier hineinlegt, nicht eher, als bis er gelandet hat.
Dann
erst, in der Nähe geistiger und leiblicher Apotheken von einem Sprach= oder
Spiel=Zimmer, von einem Tanz= oder Spiegelsaal in den andern getrieben und
verfolgt von dem Zungengeräusch der guten Gesellschaft, verläßt ihn sein
glücklicher Gleichmuth. Er sehnt sich ermattet zurück in seine schwebende
Klause, und will lieber um verdiente heitere Tage und vorwurfsfreie sternhelle
Nächte mit Sturm und wilden Fluthen kämpfen, als mit den schmeichelnden
Zephyren und den glatten Herzensergießungen der großen Welt um die Zerrbilder
ihrer erdichteten Empfindungen, mit denen sie gegen die verwahrlosten
Naturkinder, die ohne Anspruch auf Glanz edel nur denken und handeln, so gern groß
thut. Ich schwöre Dir bei allen Winden, die uns von dem Hafen zu Bourdeaux aus
bis an die Holländische Küste trieben, daß während meines Herüberschwebens mir
nicht eine unmuthige Stunde, kein trüber Augenblick in den Flug kam, außer da
ich mit Anbruch des letzten Morgens meines Volontair=Dienstes, von dem Hurra
des Schiffsvolks geweckt, ein Land aus dem Nebel hervorleuchten sah, das ich
beim Schlafengehen noch hundert Meilen entfernt glaubte, und da bald nachher
ich, indeß mein Coffer, Tagebuch und Puderbeutel in ein kleineres Fahrzeug
geladen wurden, das wie ein Sarg auf mein Hineinsteigen wartete, thränend an
der Brust meines guten Capitains, vor Schmerz kaum ein abgebrochnes Lebewohl
stammeln konnte. Ich athmete noch schwer, als ich schon am Ufer stand, wußte
vor Betäubung nicht, wie viel oder wie wenig ich den beyden Matrosen, die mich
herüber gerudert hatten, als Beitrag zur allgemeinen Trink=Casse aus meiner
Geldbörse in den Hut warf, und winkte mit dem meinen so lange noch dem lieben
Schiffs=Patron zu, bis mich ein anderer Führer sehr verschiedenen Ansehens in
einen räderlosen Wagen nöthigte und wie einen armen Sünder zum Richtplatz von
Schevelingen nach Haag und von da mit einem untergelegten Pferde nach der
Leydener Dreckschüte hinschleifte.
In
diesem langweiligen Fahrzeuge fand ich Muße genug, dem Trübsinn, den ich
mitbrachte, mit aller Bequemlichkeit nachzuhängen. Ich stützte den Kopf auf den
Arm. O! seufzte ich, warum können doch jene Menschenseelen, die der meinigen so
theuer geworden sind, mich nicht auf der Wallfahrt durchs Leben immer als treue
Schutzgeister umflattern und bis an das einsame Grab begleiten. Wenn Eduard,
setzte ich hypochondrisch den Fall, den ich selbst bei unsrer ersten Entfernung
durch meine ihm täglich abgelegte Rechenschaft meines Thuns und Treibens fest
hielt, zum Ueberschwung in jene unbekannte Sphären früher reifte, als ich, o
wie verlassen würde ich dann in meiner Heimath herumirren. Wie wenig heitert
mich die Hoffnung auf, meinen Jerom bald, bald an das pochende Herz zu drücken;
denn das Vorgefühl naher Trennung wird sich nur zu schmerzhaft unter meine
feurigsten Umarmungen mischen. Werden mich wohl je wieder die freundlichen
Augen St. Sauveurs begrüßen, wenn, was doch Gott nicht wolle, Agathe mit den
ihrigen die Pforten meiner schönsten Erwartung verschließen sollte? Und nun
schickte ich noch einen Thränenblick dem edlen Russen über die See nach. Mit
welcher Freude verband ich ihn Eurem Kleeblatt, denn er ist dieses Vorzugs
werth. Mit demselben Goldstempel, den die Natur Euch vertraute, hat auch Er die
Stiftungstage unserer auf dem Meere geschlossenen Freundschaft mir so tief in
das Herz geprägt, daß der Rost der Zeit sein liebes Bild so wenig daraus zu
verlöschen vermag, als das Eure. Glaubt nicht, daß mein Maß für den Umfang
dieses Losungswortes zu kurz sey, denn in dem engen Bezirk eines Schiffs, wo
kein Schwankender dem andern höflich aus dem Wege treten kann, beweisen
vierzehn frohe Tage einer gemeinschaftlichen Seereise mehr für die Einigkeit
der Herzen, als eine gleiche Anzahl Probe=Jahre auf dem festen Lande, wo alles
fest steht, – ausgenommen seine Bewohner.
* * *
Leyden.
* * *
Den 28sten März.
Zwey Tage habe ich nun schon in der
süßesten Träumerey an der Seite meines geliebten Jerom verlauscht. Ein Glück
für Dich, daß sie zu reichhaltig an unbeschreibbar schönen Empfindungen des
Wiedersehens waren, als daß ich mich nur einen Augenblick nach meinem
schwatzhaften Tagebuche hätte umsehen mögen. Heute verschafft mir bloß die
Bleicolik eines Mäklers einige Muße, mit dem entfernten Freunde so lange zu
plaudern, bis der nähere mich vom Schreibtisch abruft.
Wenn
ich mich kurz fasse, kann ich Dir viel erzählen. Der gute friedsame Holländer!
Er konnte mich durchaus nicht länger in meiner militärischen Maske ausstehen, sobald
der erste Schrecken vorbey war. Ich nahm so geschwind als ein Chamäleon die
Lieblingsfarbe des Landes durch einen schwarzen Rock an, den ich nach Ablegung
meines unschuldigen Ehrenkleides anzog.
Jetzt
erst stand ich mit dem philosophischen Arzte wieder auf dem sonstigen
vertraulichen Fuß. Er nahm mich nun schon etwas herkömmlicher und beinahe
neugieriger als ein Pater seine Beichttochter, in Untersuchung. So willig ich
auch zu dem aufrichtigsten Bekenntnisse war, so wollte es doch nicht recht
damit fort.
Ich
stockte alle Minuten und warf das hinterste zu vorderst. Man ist nun einmal
mündlich nicht nur weniger bestimmt, als schriftlich, sondern auch viel scheuer
in seinem Vortrage; und da der Theil meiner Reise bis Marseille dort verbrannt
und mein Gedächtniß viel zu ohnmächtig war, den Staub jener Ereignisse aufs
neue zu beleben, so mußten – besonders die zu Avignon nothwendig an Klarheit
verlieren; dennoch schüttelte mein Zuhörer mehr als einmal den Kopf zu meiner
Erzählung. Als ich mir endlich, so gut es gehen wollte, bis zu meiner
gefährlichen Krankheit fortgeholfen hatte, und nun aufstand, um die nachher
niedergeschriebenen und ziemlich gut erhaltenen Protokolle meines weiteren
Verhaltens beizuholen, glaubte er, daß nun die Reihe an ihm sey zu sprechen. „Bleiben
wir für heute, lieber Wil´m, bei Deinem Krankenlager stehen, das Du, wie ich
nun selbst von Dir gehört habe, durch muthwillige Bestürmung der Natur, um den
Ausdruck zu mäßigen, nur zu wohl verdient hast.“ „Wie Jerom?“ fiel ich ihm in
die Rede, „Du nennst meine Lebens=Versuche Bestürmung der Natur, um nicht etwas
ärgeres zu sagen? Warst Du es denn nicht, der mir zuerst eine leichtsinnigere
Behandlung des moralischen Menschen gegen den Hypochonder empfahl, als er mich von
meiner Berliner Studierstube aus schon eine ganze Strecke über den Rhein gejagt
hatte? Waren es nicht Scherz und Liebe, die Du mir in dem Gasthofe zu Straßburg
als die besten Hülfsmittel gegen meinen drückenden Ernst vorschriebst?“ „Großer
Gott!´“ schlug er seine Augen in die Höhe, „wir armen, so oft mißverstandenen
Aerzte! Verordnen wir einem Schlaflosen zweý Tropfen Opium, so nimmt er den
folgenden Abend das Doppelte, freut sich des angenehmen Traums, in den er
verfällt, leert zuletzt das ganze Glas und taumelt in die ewige Nacht.“
„Hätte nicht schon Sabatier, von dem ich den
traurigen Ausgang Deiner Lebensweise nur zu umständlich erfahren habe, Dir das
Verständniß über die unglaublichen Mißdeutungen eröffnet, mit denen Du meinen
gutgemeinten Rath verunstaltet hast, Du würdest jetzt eine viel derbere Lection
von mir bekommen. Der liebe Mann, der Dir in der höchsten Noth zu Hülfe kam,
überbrachte mir, auf seiner Hinreise nach Edinburg, Deinen kurzen Empfehlungs=Brief,
der für ihn ganz unnöthig war, und verweilte einige Tage bei mir. Da ward denn
Deiner und Deiner Vergehungen gegen körperliche und geistige Diät mit aller der
Mißbilligung gedacht, die sie verdienen. Ich will wünschen, daß die gemachten
Erfahrungen Dich vor künftigen Rückfällen besser schützen mögen, als das Packt
Recepte, das er mir für Dich zurückließ. Ich dächte, ein größeres könnte ich
nicht in Jahr und Tag in unserm Hospital zusammenschnüren. Ich habe es Deinem Cammerdiener
zugestellt, um es zu Deinen übrigen Kostbarkeiten zu packen, denn hier bin ich
Dir Arztes genug. Daß Sabatier Dir, nach seiner Entfernung, nicht mehr zur
Seite seyn konnte, machte mich Anfangs sehr um Dich besorgt; denn hatte ich
nicht alle Ursache zu fürchten, daß Deine Wiederkehr in die gesunden Tage so
keck und ungestüm seyn würde, als es bei schlaffen Seelen nur zu gewöhnlich und
von den schrecklichsten Folgen ist? Zu meiner Beruhigung aber hörte ich, er
habe Deine Unbedachtsamkeit in die strenge Aufsicht eines andern rechtschaffenen
Freundes gegeben, der“ – – – „Ach damit,“ unterbrach ich ihn, „hat er den edlen
St. Sauveur gemeint. Ja, theurer Jerom, diesen Mann kann ich zum Glück dich in
seiner ganzen Vortrefflichkeit aus dem Ueberreste
meines Tagebuchs kennen lehren, ohne daß ich die Schnittlinge in meinem Puderbeutel dazu ziehe, denn diese betreffen
bloß die Genealogie Ludewigs des Vierzehnten.“ „Was in aller Welt willst Du
damit sagen?“ fragte er. „Hast Du denn bei Deiner Unordnung ein Tagebuch
gehalten? und welche Gemeinschaft hat es mit Deinem Puderbeutel?“ Aber kaum
ertheilte ich ihm, nothdürftig, Erläuterung über die beiden unterstrichenen
Worte, so drang er in mich, die abgerissenen Glieder zur Ergänzung meines
Skelets aus ihrer jetzt unnöthig gewordenen Verborgenheit zu ziehen, schlug
alle meine Einwendungen nieder und lief in die Nebenstube. „So höre doch nur,
ungeduldiger Mensch!“ rief ich ihm nach; er aber eben so geschwind nach
Bastian, der auf seine Anweisung bald darauf mit meinem Portefeuille zu mir
hereintrat und den diplomatischen Puderbeutel neben mir auf den Schreibtisch
setzte. Was blieb mir übrig, als meinem Wirth zu gehorchen, ob es schon keine
leichte Aufgabe ist, eine so zerrüttete Biographie wieder in einen klugen
Zusammenhang zu bringen. Das erste Blatt ward mir blutsauer, ehe es, in Ordnung
geschoben, zum Abschreiben vor mir lag. Ich mußte den Athem an mich halten, um
die oft winzigen Zerstückelungen der Toulouser Scheere nicht auch noch auf dem
Stubenboden auflesen zu müssen, oder eine aus ihrer Lage zu verrücken; dafür
bin ich aber nun sicher, daß ich der Königin Anna nicht um einen Buchstaben
Unrecht gethan habe.
Je
mehr sich die Anzahl der kleinen Bruchstückchen in dem Puder verminderte, je
geschwinder ging es mir von der Hand. Ich kam nach Maßgabe der Schwierigkeit
mit meiner musiven Arbeit immer noch bald genug zu Stande, wenn Du überlegen
willst, daß ich oft ein Blatt, das Du jetzt in einer Viertelsekunde umwendest,
stückweise vielleicht zweihundertmal umwenden mußte, um auf die andere Seite zu
kommen. O, wie würde unsern Autoren das Schreiben verleidet werden, wenn sie
sich, oder andere, so abschreiben müßten. Meine große Geduld muß mir bey
jedermann zur Ehre gereichen, der das Handwerk versteht.
Der
holprige Weg lag nun glatt und eben wieder vor mir, und freudig pochte ich an
Jeroms Thüre. Zu hastig im Hereintreten, flogen ihm alle die aufgehäuften
Originalschnittchen meiner Handschrift wie Mücken und Sommervögel um den Kopf
und schüttelten ihren weißen Staub ab.
Er
blies sich einen Weg durch die Wolke, trat aus ihr heraus, wie ein Apoll,
setzte sich mir gegenüber und hörte nun der Vorlesung meiner mannichfaltigen
Abenteuer mit gutmüthiger Aufmerksamkeit zu. In meiner Krankheits=Geschichte,
die ich, wie Du weißt, nach Bastians Anzeige niederschrieb, kam ihm nichts so
merkwürdig vor und beschäftigte sein Nachdenken mehr, als der stärkende ruhige
Schlaf nach dem Delirio, in welchem ich die Hälfte meines Tagebuches zerriß und
zum Kaminfeuer beförderte. „Du nahmst,“ sagte er, „ohne Dir es deutlich bewußt
zu seyn, Gerechtigkeit an dir selbst, und die nachfolgende wohlthätige Crise
läßt sich ganz wohl erklären.“ Ueber den Wahrsagergeist des heiligen Fiacre
neun Monate vor der Entbindung der Königin Anna spottete er wie ein
medicinischer Freigeist, lachte aus vollem Herzen über mein Verhör zu Toulouse,
so wie über die Furcht, die mich auf die See trieb, und fing nun selbst an zu
bedauern, daß die erste Abtheilung meiner Reise in der Asche lag.
O!
es wird allen Lesern der zweiten so gehen, dachte ich.
* * *
Leyden.
* * *
Den 26sten März.
Sei aufmerksam, Eduard, ich bitte Dich.
Als ich gestern Abends mit dem heisern Hals eines Fastnachtspredigers in mein
Zimmer trat, fiel mir das mächtig große Packet in die Augen, das Sabatier für
mich bei Jerom niedergelegt hatte. Nun Gott erbarme sich deiner! stemmte ich
beide Arme in die Seite, wenn der gute Mann dir so viele Krankheiten zutheilt,
als dieser Haufen Recepte voraussetzt. Mein Körper, das gebe ich zu, bedarf
freilich mancherlei Nothhülfe, aber Jerom hat Recht mit dem Hospital.
Nein,
das sind sicher, besann ich mich, die zwey Quartanten mit Kupfertafeln, die der
gelehrte Arzt vor kurzem über die Anatomie herausgegeben, und sollen
wahrscheinlich ein Geschenk für deine Bibliothek seyn. Sehr artig von ihm! Nur
ist das keine Lektüre im Bette. Die Ansicht eines Menschengewebes befördert
unter keinerlei Umständen den Schlaf, und vollends zergliedert verursacht es
mir allemal Krampf. Bleibt mir vom Leibe, sagte ich, indem mich ein Schauer
überlief, stieg schnell zu Bette und weiß nun meiner Vorsicht nicht genug zu
danken. Denn, als ich heute früh, beim Hin= und Wiedergehen am Theetisch, den
Bündel nicht länger so vor mir sehen konnte, ohne zu wissen, was er unter
seinem Siegel verbarg, hätte mir wohl kein anatomischeres Werk in die Hände
fallen und keins mich mehr erschüttern können, als das ich eben auspackte.
Die
fabelhafte Wiedergeburt des Vogels Phönix versinnlichte sich hier vor meinen
Augen. Freudiger könnte er wohl nicht aus seiner Asche aufflattern, als das
klopfende Herz in meiner Brust – Erstaunter könnte er schwerlich sein neu
entwickeltes Gefieder lüften, als ich einen Heft nach dem andern meines, bis
jetzt zerrissen und verbrannt geglaubten Tagebuchs an das Licht hob. Ich zählte
diese bunten Federn meiner Flügel durch – es fehlte nicht eine und mein
Aufschwung zur Unsterblichkeit war nun nicht mehr zweifelhaft. Lange blieb ich,
stumm wie eine Bildsäule, vor ihnen stehen, ehe ich zur Besinnung kam, mich
nach dem mächtigen Schutzgeist umzuschauen, dem ich ihre wunderbare Erhaltung
zu verdanken hätte.
Welcher
könnte es wohl anders seyn, als der Retter meines Lebens – der verständige
Sabatier. Er versteckte dem Wickelkinde das spitzige Spielwerk, um es ihm, wenn
es größer und klüger seyn würde, väterlich lächelnd zurückzugeben. Unter diesen
Gedanken öffnete ich seinen Brief, aber wie heftig war auch nun der Gegenstoß,
den meine Erwartung erhielt, als ich folgendes las: „Lernen Sie endlich, an der
Gränze Ihrer Gesundheitsreise, den barmherzigen Bruder kennen, der mich mit
sechs Pferden von Montpellier abholen ließ, als Sie zu Marseille mit dem Tode
rangen, mich mit rührender Beredtsamkeit beschwor, Ihnen beizustehen, und mir
das zufällige Glück Ihrer Herstellung fürstlich belohnte. Er war es, der Ihre Handschrift
der Vernichtung entriß, indem er statt derselben Ihnen aus einer alten
Postille, die nach einem gewöhnlichen Schicksal, das Sie vielleicht nie treffen
wird, zu Makulatur geworden, in der Nähe lag, die Anzahl Bogen zureichte, die
Sie in der Fieberhitze verlangten. Sie zerschlitzten mit sichtbarem
Wohlgefallen einen nach dem andern, und bezeigten, da sie im Camin aufloderten,
so viel Freude, als bei einer guten Handlung. Diese glückliche Täuschung hat
nicht nur Ihr Tagebuch, sondern auch eben so gewiß den Erkrankten gerettet, der
es schrieb. Sie kühlte sein Blut, beruhigte seine aufgeschreckte Phantasie und
verschaffte ihm jenen erquickenden Schlaf, den alle meine Opiate nicht bewirken
konnten, und der die Heftigkeit seines Fiebers brach. In der Anlage wird er
sich Ihnen selbst, und zwar nicht bloß als den seltensten Menschenfreund,
sondern als den strengsten Beurtheiler Ihrer Selbst=Bekenntnisse zu erkennen
geben. Er las sie, mit Thränen, hinter dem Vorhang Ihres Bettes, indem er bey
jeder – vergeben Sie mir den Ausdruck – leichtsinnigen Aeußerung mitleidige
Blicke auf Ihr Krankenlager warf, und Ihre verlaufenen und verschleuderten Tage
mit den gegenwärtigen trostlosen Stunden verglich, die, wie wir uns beide nicht
verhehlen konnten, von jenen nur zu gewiß abstammten.“ Dieser Vorbericht benahm
mir beinahe die Lust, mit dem barmherzigen Bruder, auf dessen geweihtes Haupt
ich übrigens allen Seegen vom Himmel erbitte, in nähere Bekanntschaft zu
treten. Wie es scheint, hat er meinen vorliegenden Text nur deßwegen aus dem
Feuer gerettet, um eine Strafpredigt darüber zu spannen, die vermuthlich an
Erbaulichkeit die alte Postille übertreffen sollte, die er mir zum Zerreißen
preis gab; denn welcher geistliche Redner traut sich nicht mehr Beredtsamkeit
und Salbung zu, als seinem Confrater. Ich kratzte mich lange hinter den Ohren,
ehe ich mich entschließen konnte, sie meinem frömmelnden Tadler zu öffnen; aber
kaum, daß ich seinen dickleibigen Brief entsiegelt und den ersten Blick auf die
Unterschrift geworfen hatte, so fiel er mir auch vor Herzklopfen aus der Hand.
O diese letzte, schrie ich laut auf, ist auch deine schönste Ueberraschung,
mein, mehr als alle barmherzige Brüder, mein theuerster St. Sauveur. Nur mit
zitternden Händen konnte ich den Brief wieder aufheben, küßte und legte ihn
mehrmal in seine alten Brüche, ehe ich ihn aus einander schlug und mich
andächtig genug gestimmt fühlte, ihn zu lesen.
Welche
Bewunderung hat er mir nicht seitdem schon abgenöthiget, in welches Entzücken
mich versetzt und wie viel süße Thränen der Dankbarkeit meinen Augen entlockt.
Ich schreibe Dir ihn nicht ab, lieber Eduard, nicht bloß deßhalb, weil er für
die Kürze der mir zugemessenen Zeit zu lang, sondern auch, weil dieß
Meisterstück an Schönheit des Vortrags, wahrer und doch schonender Freundschaft
mein armes Tagebuch gar zu sehr in Schatten stellen würde.
Wenn
wir nach unserer frohen Zusammenkunft uns erst einige Abende hindurch an diesem
matt gelesen – der leidenschaftlichen Sophistereien – der bösen Beispiele und
der schlüpfrigen Bilder, die es hier und da enthält, genug haben und unsere
Herzen welk fühlen; dann wollen wir uns der Ergießungen dieser reinen Quelle –
dieser edeln, großen und fühlenden Seele, als eines stärkenden Labetrunks nach
vielen erschlaffenden schwülen Tagen, mit desto innigerer Wollust freuen und
ohne den Schreiber, der jene nur allzutreuen Gemälde einer unsittlichen Welt
abstahl, in die Hölle zu verdammen, dem frohen, festen Sinn seines gutmüthigen
Tadlers für Tugend und Menschenwürde, vorzüglich aber den geheimen
verschlungenen Wegen nachspüren, die ihn zu dem Gipfel, von dem er nun auf uns
herabsieht, erhoben und die wir, trotz unsrer Scharfsichtigkeit, lieber Eduard,
beide noch nicht entdeckt haben. O warum kann ich ihm nicht in diesem Augenblick
für den hohen Genuß seiner sanften Belehrung dankend zu Füßen fallen! Wie, um
Gottes willen, ging es zu, daß ich nicht schon aus der zarten Behandlung meiner
bis zum Zerbrechen gesunkenen Maschine, den Freund errieth, der allein
Menschenkenntniß genug besaß, sie wieder in ihre physischen und moralischen
Fugen zu zwingen. Mußte ich erst aus seinem Briefe den Retter meines Tagebuchs
kennen lernen?
Wen
– außer Ihm, hätte ein so feiner Takt leiten können, die Nachwehen eines sich
selbst vernichtenden Autors zu fassen – das Unglück, das er seinen
Geisteskindern drohte, abzuwenden und seine lebenslängliche Trauer über
aufgeopferten Nachruhm in ein wahres Auferstehungsfest zu verwandeln? Wie
konnte ich zu Marseille, und auch hier noch, fuhr ich immer staunender zu
fragen fort, einem unbekannten Mönche jene Ehrfurcht für einen Weltmann, die
brüderliche Sorgfalt an meinem Krankenbette, die uneigennützige
Verzichtleistung auf Kosten=Ersatz – Belohnung und Dank – wie konnte ich ihm
einen Augenblick zutrauen, daß er an einen sterbenden Ketzer wichtigere
Geschenke wagen würde, als einen geruchlosen Rosenkranz und die letzte Oelung?
Wie
ging es zu, – schlug ich mich zuletzt noch vor die Stirne, daß keiner meiner
Wächter und Wärter mir das Geheimniß verrieth? Bastian half mir aus dem Traum.
„Wir,“ sagte er, „so viel unser waren, sahen diesen Abgesandten des Himmels nur
schwarz gekleidet vor Ihrem Bette und nach seiner Verschwindung kein einzigmal
wieder.“ Jetzt begriff ich, warum der Schlaue, aller französischen Höflichkeit
entgegen, mich nie mit einem Gegenbesuche beehrte, – nie zu einer
gemeinschaftlichen Spazierfahrt abholte, und so fremd mit meiner Haushaltung
that, als habe er in seinem Leben kein Wort von dem alten Maler Sperling und
den beiden Puppenspielern gehört, ob ihm schon ersterer eine fast verlorne
Erbschaft und die andern ihre Befreiung von Tortur und Galgen zu verdanken
hatten.
Hochgepriesen sey mir sein System. Noch hat kein anderes meine Seelen=Kräfte
so auf einmal, wie durch einen electrischen Schlag zu erschüttern vermocht, als
seine heutige Ueberraschung. Gleich dem sokratischen Genius leitete mich seine
unsichtbare Hand bis zu dieser seligen Stunde der Erkenntniß. O daß sie, rief
ich kleinmüthig aus, für die höchste meiner Lebensfreuden mit demselben
Gelingen fortwirke! – stellte mich an das Fenster, blickte, Thränen der
Zärtlichkeit in den Augen, gen Himmel und dachte eine ganze Weile noch an Ihn
und Agathen, ehe ich meinen großen Fund unter den Arm nahm und nach Jeroms
Studierzimmer eilte. „Hier bringe ich Dir,“ trat ich vor seinen runden
philosophischen Drehstuhl und Arbeitstisch, „meine weitläuftige
Krankheits-Geschichte nebst allen dazu gehörigen Belegen an Heilungs= und
Präservations=Mitteln. Untersuche doch, ob sie des Aufhebens werth sind. Dein
Ausspruch soll entscheiden.“ „Gut, lieber Wil´m,“ wendete er sein ernsthaftes
Gesicht von seiner Schreiberei ab gegen mich, „das hat aber Zeit bis auf den
Abend. Jetzt habe ich mein Nachdenken für preßhaftere Personen nöthig, als Du
bist. Allen Respekt,“ staunte er mein Packet an, „für den gelehrten Sabatier,
aber was will er mit diesem Schwall von medizinischen Verordnungen? Der Arzt,
glaube mir, kann so gut, als der Moralist, seine Lebensregeln auf eine Quart=Seite
bringen – Doch lege nur einstweilen Deine Gegenbeweise,“ streckte er ungeduldig
seine Feder einem Lesepult zu, „dorthin neben Zimmermanns Erfahrungen, und wenn
Du nichts besseres vorhast, so besuche indeß so lange unsere Hörsäle,
Professoren, Kirchen, Armen=Anstalten, oder was Du sonst willst, bis ich Dir
wieder zu Diensten seyn kann.“ „Du bist heute kurz angebunden, lieber Jerom,“
erwiederte ich. Statt zu antworten, reichte er mir, mit einem Blick, der mir
ans Herz ging, die Namen=Liste aller der Leidenden hin, die auf Strohsäcken und
seidenen Betten nach baldigem Trost aus seinem Munde ächzten, tunkte seine
Feder frisch ein und schrieb weiter. Ich erschrak über dieß übernächtige
schwarze Register so sehr, daß ich, wie von Gespenstern verfolgt, aus seinem
Museo nach dem unerträglich leeren meinigen flog. Hier, nach einem kurzen
Besinnen, versuchte ich das möglichste, um mich aufzuheitern, aber es ging
nicht. Umsonst durchbilderte ich eben so zaghaft
meine leicht zerbrechliche historische Scheiben=Sammlung, als mit poetischer Dreistigkeit
jene noch im Archiv der Liebe verschlossene, von Agathens Reitzen; aber auch
diese so oft erprobte Linderung wollte nicht anschlagen. Fort dann, rief ich,
in die freie Luft! und machte mich mit meinem verstimmten Instrumente auf den
Weg, spannte die Saiten aufs höchste, brachte aber doch nichts, als Mißtöne
hervor. Nach einem irrenden Spaziergang längs dem Canal, schlenderte ich
verdrossen auf den Marktplatz, und, nachdem ich hier und dort lange genug
andern im Wege gestanden und von dem Vorgesehn
der Lastträger, die den geraden ihrigen gingen, erschreckt worden war,
flüchtete ich, einfältig genug, dem deutschen
Caffee-Hause vorbey in das holländische.
Da hatte ich es vollends getroffen! An der Vaterlandsche
Courant, die man mir
hinschob, war mir so wenig gelegen, als an einem Glas Genever, das man mir
vorsetzte, und bey der schwatzenden Gesellschaft, die sich in langsamer
Bewegung durchkreuzte, verunglückte mir jede höfliche Annäherung. Meine Wetter=Beobachtungen
und andere dergleichen unschuldige Einleitungen zum Gespräch, mit denen ich in
Berlin recht gut durchkomme, machten hier nicht den geringsten Eindruck. Ein
kurzes ja woel myn heer war
der ganze Weihrauch, den mir hier und da einer aus seiner Pfeife unter die Nase
blies. In Avignon, Marseille und andern artigen französischen Städten sah ich
mich oft noch Stundenlang von einer hübschen Aufwärterin, oder einem
gesprächigen Marqueur aufgehalten, wenn ich schon meinen Hut von der Wand
gelangt hatte. Hier bekümmerte sich keine Seele darum. Man ließ mich ruhig über
die Schwelle, sobald ich mein Doppelchen für die Ansicht des mir zugemutheten
Aquavits auf den Teller gelegt hatte.
Schmollend,
ohne recht zu wissen, ob über die hiesige oder meine gewohnte Lebensweise,
schlug ich einen längern Umweg durch schnurgerade Gassen, nach – wie soll ich
es nennen? nach einem leidlichern Gefühl ein, und gerieth, als wenn heute ein
böser Geist sein Spiel hätte – unvermuthet an das Eckhaus, wo ich ehemals gewiß
bequemer wohnte, als Peter der Große während seiner Studien des Schiffsbaues zu
Sardam. Ein struppiger Tituskopf streckte sich jetzt aus demselben Schubfenster
vor, aus welchem ich sonst mit gekräuseltem Haar über die vier Facultäten
hinweg in die offene Welt lachte. Noch immer, wie zu meiner Zeit, verzierten
japanische Blumentöpfe das Ruheplätzchen des Erkers, wo ich so oft Jerom die
Schweißtropfen von der Stirne trocknete, wenn er ermüdet aus dem botanischen
Garten zurückkam. Die drey Universitäts=Jahre, die ich als Miethmann neben
seiner Studierstube – ach, ich mag es einkleiden, wie ich will, – gedankenlos,
– aber das muß auch wahr seyn, – sehr jovialisch vertändelte, gaukelten mir in
der lebhaftesten Erinnerung vorüber. Dennoch ward es mir auf einmal so
unheimlich in der Nachbarschaft dieser meiner Jugend-Herberge, daß ich mir den
Sporn gab und mit dem immer beibehaltenen Eifer für die Naturgeschichte, den
Meerwundern auf dem Fischmarkt einen fliegenden Besuch machen wollte; aber kaum
war ich um den Laternen=Pfahl herum, so stieß ich – da ich es in dieser
Prüfungs=Stunde gerade am wenigsten wünschte, – auf meinen lieben Schulfreund,
den in allen Gassen beschäftigten Jerom. „Wo kommst Du her?“ warf er mir im
Fortgehen die Frage vor. „Von
der
Betrachtung“ – rieb ich mir die Stirn – „unserer ehemaligen Wohnung, und Du?“ –
„Aus der Marterkammer,“ erwiederte er, „einer zum erstenmal gebährenden, – aber
nun mit dem frohsten Erstaunen belohnten Mutter, der ich eben die Ausbeute
eines schönen Jungen zu Tage gefördert und an die bebende Brust gelegt habe.
Jetzt gehe ich, wenn Du mit willst, in das Arbeitshaus, um ein wenig auszuruhn
– und dann in der Nähe dort, zu dem ungeduldigsten Domine von der Welt, um ein
ihm sehr dienliches Quartanfieber zu bewillkommen, das – er sah nach der Uhr –
in Zeit einer halben Stunde eintreffen wird.“ „Wohl bekomme Dir, lieber Jerom,“
hing ich mich gähnend an seinen Arm, „Deine Visite beym Domine und deine
Ruhestunde im Arbeitshause. Dazu wäre mir eine Bilder=Gallerie lieber, wenn
eine da wäre.“ „Das ist Dir zu glauben,“ lächelte er, „leider nur sind
dergleichen Asyle des Müssiggangs – das mußt Du ja von Alters her wissen – bei
uns nicht hergebracht. Wir benutzen unsere Säle zu nothwendigern Dingen – nicht
aus Geringschätzung der Kunst und des Geschmacks,“ antwortete er meiner spöttelnden
Miene – „denn wie viele unserer wohlhabenden Einwohner besitzen nicht
Sammlungen von den schönsten Gemälden, aus denen man eine größere, als die
Düsseldorfer ist, zusammensetzen könnte.“ „Ja, ja,“ nickte ich mit dem Kopfe, „wohl
Schade um die Meisterstücke der niederländischen Schule, – um Eure Rembrands. –
van Dyks – Gerhard Dauws – Wouvermanns und de Wit's, deren so viele noch in den
Achter- und Binnenkammern und Comptorchen
gemeiner Bürger, unverantwortlich zerstreut und dem ehrsamen Publicum versteckt
sind. Herkömmlicher Weise? sagst Du. Nun ja! aber ich möchte auch wohl wissen,
was es in Holland nicht wäre? von seinen Gesetzen und Sitten an, bis auf die
Physiognomie seiner Gärten, Dörfer und Städte. Der Genius der Zeit vermag
nichts über das ewige Einerley Eures mit Recht bewunderten Landes, wenn man es
nemlich zum erstenmal sieht; käme aber auch ein Reisender wieder nach hundert
Jahren zu Euch, ich wette, er findet weder eine modische noch ästhetische neue
Anlage, oder eine merkwürdige Erscheinung unter Euerm Horizont, die vorher noch
nicht da war.“ „Das will ich Dir,“ endigte Jerom unser Gassen=Gespräch, „nächsten
Tages durch den Augenschein widerlegen,“ und so trennten wir uns am Thore des
Werkhauses, bis uns der Mittag wieder zusammen brachte. In einer holländischen
Stadt tritt er pünktlich – fast so spät, als in Regensburg, aber, als Nothhülfe
der, aufs genaueste berechneten, physisch errungenen Erschöpfung, so reich
ausgestattet, als dort, ein, schreitet abgemessenen Gangs von einer nahrhaften Schüssel
zur andern fort, bis unter den zusammenfließenden Nebeln des Thees, Tabaks und
der Canäle die Stunde der Verdauung und gesellschaftlichen Unterhaltung über
die Ernte=Tabellen der Börse, protestirten und acceptirten Wechsel, geglückten
oder mißlungenen Speculationen, anbricht. Da ist es denn kein Wunder, wenn
während dessen unser Eins sich nach den ganz andern Zeitverkürzungen in Berlin
zurück sehnt.
* * *
Leyden.
* * *
Den 27sten März.
„Und
wenn Du nun,“ sagte Jerom, als ich beim Frühstück des Heimwehs, das mich
gestern befiel, und der Bewegungsgründe erwähnte, die es auch heute noch, laut
genug, unterstützten, „jene Zeitkürzungen erreicht hast, – die ich Dir wohl so
fein zergliedern wollte, als den unnatürlichen Auswuchs eines schwammigen Körpers
– wirst Du Dich darum in Deiner speculativen Schlafkammer, – wie ich sie
einstweilen so nennen will – glücklicher und großherziger zu Bette legen, als
ein betriebsamer Spediteur allgemeiner Bedürfnisse – ein Banquier von Credit –
ein thätiger Negociant in der seinigen? wirst du von deinem Ausflattern in den
leeren Raum der vornehmen Welt weniger ermüdet und zufriedener zurückkommen,
als jene von den Schiffswerften, – den Packhäusern und der Börse? Kannst Du aus
Deiner erhabenen Sphäre – können alle, die Dir gleichen, wohl das Herz haben,
mit Stolz auf unsere Demuth – mit Neid auf unsern Erwerb – mit Spott auf unsere
einfachen Erholungen herunter zu sehen? Gesetzt sogar, lieber Wil´m, laß uns
immer einmal ernstlich darüber sprechen, Du könntest Deine viel bedürfende
Weichlichkeit in Allem befriedigen und stiegest nur an Blumen=Geländern, erst
nach einem Seculo, wie Fontenelle, ins Grab, würde Dein langgedauertes Daseyn,
bei allen genossenen Freuden, verdienstlicher, als das unsere, und die Erde Dir
darum leichter werden, als uns und allen und jeden dienstbaren Bienen an dem großen
Honigstocke der Welt? – –“
Dergleichen Hohlspiegel lasse ich mir nun nicht gerne lange vor´s
Gesicht halten, drum drückte ich dem Redner, als wenn es aus dankbarem Gefühl
geschähe, stillschweigend die Hand und ließ ihn, um nicht als Raub=Biene seinen
Stachel zu reitzen, so viel Wachs, Saft oder Wasser, als er fortschleppen
konnte, den Zellen seiner summenden Mitgehülfen zutragen. „Ich gönne,“ murmelte
ich hinwärts nach meinem Schreibtisch, „dem fleißigen Gewürm seine Freude von
ganzem Herzen. Mehr kann ich, mehr kann ein Cammerherr nicht thun. Unsere zwar
schön vergoldeten Schlüssel – übrigens aber, das wissen wir alle, von dem
schlechtesten Metall, können freilich weder Vorraths= noch Werkhäuser öffnen,
denn sie öffnen gar nichts und schließen nirgends, müssen jedoch, wie alles in
der Welt, zu etwas nütze seyn, weil sie da sind.“ Bei dieser tiefsinnigen
Ausrede ließ ich es einstweilen bewenden.
* * *
Leyden.
* * *
Den 30sten März.
Es war mir die paar Tage her ganz
unlustig zu Muthe, und dabey recht Angst, daß Jerom mit Untersuchung meiner
handschriftlichen Beichte nicht so geschwind fertig werden möchte, als ich
abzureisen wünschte, denn er erwähnte derselben bis heute Morgen mit keiner
Sylbe. Er habe, führt´ er zur Ursache an, in meinem Prozeß mit der Moral – ein
sonderbarer Ausdruck – manche Seiten mehrmal überlesen müssen, um meine
Sophistereyen ins klare zu setzen, und sein Endurtheil doch auch nicht eher
abgeben mögen, bis er nicht erst selber darüber mit sich einig geworden wäre,
müsse aber zu seiner Schande gestehen, daß es ihm damit nicht besser geglückt
sey, als den meisten Facultisten mit Criminalakten. „Meines Dafürhaltens,“ fuhr
er fort, „thust Du am klügsten, Du stellst deine Sache der öffentlichen Meinung
und der Mehrheit der Stimmen anheim. Hätte dem Vagabonden, werden nun Wohl die
meisten Leser mit mir übereindenken, immer ein Arzt, wie Sabatier, ein Mentor,
wie St. Sauveur, zur Seite gestanden, seine Reisebeschreibung wäre Zweifels
ohne nicht minder erbaulich und nützlich für unsere Kinderstuben ausgefallen,
als weiland die Fenelons vom Telemach; denn sich selbst überlassen, belehrt uns
sein Tagebuch nur zu deutlich, kommt er in allem Guten eher zurück als
vorwärts.“ Ich schickte mich an, meine Einwendung dagegen vorzutragen, aber,
„Auf den Abend“ unterbrach er mich, „wenn mein Tagewerk vollbracht seyn wird,
das Weitere davon!“ entfernte sich und läßt mich sonach noch immer über seine
endliche Entscheidung in Ungewißheit.
* * *
Seit
der Theestunde ist meine Angst vorbei. Mein Tagebuch – kann ich Dir nicht eilig
genug zu wissen thun, – hat die letzte Probe, die ich noch erwartete, hat nun
mit der seinigen die Kritiken zweier gleich großen Welt= und Menschenkenner,
als es nicht leicht nach ihnen einer wieder vor die Brille nehmen wird,
überstanden. Wie viele deutsche Bücher mögen wohl dieselbe Aufmunterung vor
sich, und einen so schönen Beruf haben, ihre Wurzeln auf dem vaterländischen
Boden weiter zu schlagen. Nur nicht so verwundert gethan, mein lieber Eduard!
Du wirst doch wohl nicht immer meinen Autor=Kitzel für Scherz gehalten haben,
wenn ich mit lachendem Munde davon sprach, denn kann man denn wohl von diesem
Jucken sprechen, ohne selbst darüber zu lachen? Ich unterliege ihm jetzt
vollends, so schwach als ein Kind. Weder Dein Ernst, noch Dein Spott darüber
sollen mich anfechten, denn wenn uns, sage ich mir, ein längst todt geglaubter
Freund nach unendlichen überstandenen Gefahren zu Wasser und zu Lande, auf
einmal, frisch erhalten und lustig in die Stube gepoltert kommt – laß ihn
selbst schmutziger erscheinen, als den verlornen Sohn in der Bilderbibel, wie
verschränkt müßte das Herz seyn, das nicht in der unaussprechlichen Freude des
Wiedersehens, wenigstens seine Hausnachbarn, Blutsfreunde und andere liebe
Bekannte, zusammen trommelte? Und ist das nicht ganz der Fall mit mir, meinem
Tagebuche und seinen Lesern? Freilich – kann ich nicht läugnen – hätten seine
beiden ersten Besichtiger gern verschiedene der Malereien, die es mitbringt,
retouchirt, einige verschliffen, andere wohl gar, in der andächtigen Stimmung
des verstorbenen Herzogs von – – – – vernichtet, um den Hofdamen kein Aergerniß
zu geben. Was sagen aber auch die Freunde der Kunst zu seiner Bilderstürmerey?
Er verschonte so wenig die Unschuld der Bathseba, als den trunkenen Lot mit
seinen Töchtern, von van der Werft – weder Rubens fleischige Grazien, noch die
schlankesten badenden Nymphen von Albano – ließ von seinem Cabinetsmaler alle academische
Nuditäten in der väterlichen Verlassenschaft, je reizender sie waren, desto
eher, aufs neue grundiren und erbaulichere Figuren darauf setzen. Nun sah es
freilich kein Mensch dem König David mit der Harfe, den Prinzessinnen des
Hauses, oder andern Familien=Portraits an, was hinter ihnen steckte, und der
Teufel konnte sein Spiel so wenig damit treiben, als der Herzog selbst, denn er
starb ohne Kinder.
Meinen armen Zeichnungen wäre es, wie gesagt, nicht besser ergangen,
hätte es nur ohne Nachtheil des Zusammenhangs so leicht geschehen können, als
in jener fürstlichen Bilder=Kammer.
Aber
St. Sauveur, der sie aus dem Feuer riß, ließ seine, zum Versuch des Ausbesserns
erhobene Hand so gut sinken, als Jerom, der mir mein Portefeuille nach dreytägiger
Durchsicht mit einer Erklärung so eben wieder zurück gebracht hat, die ich
lieber verschwiege, wenn ich etwas zu verschweigen gewohnt wäre. „Hier, Wil´m,“
trat er mit einem Lächeln, das mir nicht gefiel, in mein Zimmer, „hast du Deine
– wie Du sie zu nennen beliebst, – Recepte wieder. Als Arzt weiß ich gar nichts
damit anzufangen.“ – „Gar nichts?“ fiel ich ihm in die Rede. „Das ist arg!“
„Und als Philosoph,“ fuhr er ächt holländisch fort, „eben so wenig.“
„Gieb
Dein Werk aus, für was Du willst, nur nicht für ein moralisches Vehiculum –
dazu ist und bleibt es verdorben. Das wenige Gute, was hier und da darin,
gleich Waizenkörnern unter Spreu, verstreut liegt, würde keine Hand voll
dienlicher Aussaat betragen, wenn man sich auch die undankbare Mühe geben
wollte, sie von ihrem Unrath zu sichten. Und wem könnte am Ende auch wohl auf
einem Erdstrich, der von Cultur so strotzt, wie Dein Vaterland, mit solch einer
Kleinigkeit gedient seyn?“ Ich runzelte die Stirn und schlug die Augen zu
Boden. „Deine Offenherzigkeit“ fuhr er nach einer zwar kleinen, aber doch immer
sehr demüthigenden Pause fort, „und die Wahrheit Deiner Ohrenbeichte, ob sie
schon der neugierigste Sündenerforscher weniger treu wünschen würde, verdient
indeß –“ ich schöpfte wieder Athem – „einige Schonung. Es steht vielleicht zu
hoffen, daß sie manchen Verstockten, der sich vor Priestern und Leviten weiß
brennt, zum erstenmal schamroth mache – Gott gebe, daß es nur nicht auch in
weiblichen Engeln das Blut hebt! – und ist beinahe das einzige, was mich abhält,
auf gänzliche Unterdrückung Deiner buntscheckigen Selbstbekenntnisse zu
stimmen. Möglich auch, daß sie andere, der Sittlichkeit noch schädlichere Schriften
– sophistische Romane – casuistische Betrügereien – aus den Lesezirkeln verdrängen,
und so kann man freilich nicht wissen, ob Du nicht zufällig der Welt wohl gar
noch einen Ritterdienst leistest.“
„Die
scharfe Lauge, welche Kunstrichter,“ setzte er ironisch hinzu, „über den
Verfasser ausgießen werden, soll es übrigens wohl verhindern, daß dieser
nützlichen Tagebücher nicht zu viele entstehen, denn ihre Vervielfältigung
könnte leicht ein anderes Unglück anrichten, das den, ohnehin zweydeutigen
Werth des Deinigen weit überwöge, nemlich“ – ich horchte hoch auf – „daß
leichtsinnige, kurzsichtige Jünglinge die Fehltritte, deren Du auf Deiner
paarmonatlichen Reise so viele begingst, und unbefangener, als nöthig war,
eingestehst, für den, allen vernünftigen Menschen gewöhnlichen Fortgang zur
Erkenntniß hielten, und aus Furcht, eine Ausnahme zu machen, immer weiter von
der rechten Straße abkämen.“ Ich war heilfroh, daß der liebe Strafprediger
abgerufen wurde, aber er kam nur zu bald, und zugleich auf seinen verlassenen
Text wieder zurück. „Da haben wir,“ warf er ingrimmig seinen Hut in die Ecke, „die
Folgen eines unbewachten Lebens in terminis. Eben komme ich von dem Bette des Elends eines jungen Mannes,
der mit der langwierigsten aller Todesarten – mit der Schwindsucht kämpft, und
Vergehungen an der wohlthätigen Natur mit der Rückendarre büßen muß. Wehmüthig
hängen seine hohlen – an den großen blauen, thränenden Augen einer ihm seit
kurzem unverdient zu Theil gewordenen liebenswürdigen Gemalin, deren Umarmung
ich ihm als einen Meuchelmord untersagt habe, durch den er die Schuld seiner Selbstentleibung
– es ist schrecklich zu denken – noch in der Verwesung bis zum Greuel seines
Andenkens vergrößern, und über seinen Grabhügel eine Saat von Nesseln
verbreiten würde.“
„Die einst so frischen Bilder seiner, der
Wollust geopferten Tage umgaukeln jetzt als verzerrte Masken sein Lager, und
jene grausamen Spielwerke seiner tändelnden Hand – jene der Unschuld
abgelockten Schleyer, fallen jetzt, als so viele drückende Leichentücher, über
sein brennendes Haupt. Bange, schlaflose Stunden treten an die Stelle
verlaufener flüchtiger Freuden, und verkümmern ihm, gleich unbarmherzigen
Gläubigern, die Schlußrechnung seines vergeudeten Lebens. Aerzte, Philosophen
und Priester stehen niedergeschlagenen Gesichts vor dem nach Beruhigung
Aechzenden; denn welche Kunst und Wissenschaft vermöchte solch ein
Verschmachten – diese Seelen=Angst – dieß Grausen vor der Zukunft zu heben?“
„Halt ein, lieber Jerom,“ unterbrach ich ihn, „solche schauderhafte Gemälde
kann nur ein Arzt, wie Du, kann nur ein Zergliederer entwerfen, der eines schneidenden
Messers gewohnt ist.“ „Nein,“ erwiederte er, »ich stelle Dir nur eine von den
täglichen Erfahrungen für jeden Beobachter entgegen, der seine Augen gebrauchen
will. Dir selbst sind ähnliche Trauergestalten auf Deinen Schleifwegen
begegnet, Du hast sie oft treu genug abgezeichnet, aber ihren Eindruck immer
wieder durch schnellen Uebergang zu andern leichtfertigen Bildern geschwächt.
Das ist der größte Vorwurf, den ich Deiner Art zu malen mache, ob ich Dich
gleich zu gut kenne, um Dir eine gottlose Absicht dabei Schuld zu geben.“
„Kannst Du, zum Beispiel, bei der
öffentlichen Ausstellung, die Du vorhast, und zu der sich, wie gewöhnlich,
gewiß mehr neugierige, unerfahrne Müßiggänger drängen werden, als unbestechbare
Kenner, jenen Avignonischen Zeichnungen ihre verführerische Wirkung benehmen?“
„Ja, das kann ich,“ hielt ich ihn beim Aermel, da ihn eben ein Billet von einer
kritzelnden weiblichen Hand, bei dessen Durchlesen er die seine einigemal an
die Stirne, und die Augen mit sichtbarem Entsetzen in die Höhe schlug, schnell
auszugehen nöthigte, „wenn Du mir erlaubst, nur diesen einzigen Fall Deiner
Praxis in mein Tagebuch einzutragen, ich will Dich auch gern nicht über den
Brief noch abhören, der Dich eben so gewaltig erschreckt hat. Für meine Kunden
wird schon dieser Erguß Deines empörten menschlichen Herzens hinlänglich und
der beste Temperirtrank seyn, den ich ihnen neben jenen französischen Philters
vorsetzen kann, die ich an der Gränze gegen deutsche Quacksalbereien eintauschte.
Es müßte doch wunderlich zugehen, wenn sie nicht ihre eigene Vernunft über den
Gebrauch des einen und den Mißbrauch der andern verständigte.“ „Meinst Du?“
brach er die Unterredung kurz ab, nahm seinen Hut und überließ mich meinem
Protokolle.
Und
so möge denn meine Hoffnung zu Euch, Ihr meine jungen, leicht zu befangenden,
oft allzugefälligen Leser nicht fehlschlagen!
Vorstehendes
Gespräch mit einem der ehrlichsten Laboranten guter Tisanen für Körper und
Geist, das ich Euch so frisch hinreiche, als jene Frühlings= und Herbstblumen,
die ich, ein bloßer Dilettant in der Botanik, mit Kletten und Disteln, bunt
durch einander, wie sie mir auf meinen Wanderungen in die Augen fielen, zu
einem Strauß band, ist mir, ich gestehe es, schwer über die Feder gegangen.
Dafür
aber auch, dachte ich, muß diese heroische Verläugnung der Eigenliebe am Schluß
eines Tagebuchs in allen guten Seelen eine ganz andere Rührung bewirken, als
der Eingang der Selbst-Bekenntnisse meines großen Vorgängers. Gutmüthiger – fühle ich mit innerer
Zufriedenheit, hat sich wohl nie ein deutscher Autor gegen seine Leser – und
weniger schlau gegen die Recensenten
benommen. Ja, selbst wenn jene – ich
erstaune über die männliche Entschlossenheit meines Herzens – auch noch St.
Sauveurs Brief einzusehen, und diese,
die sich auch damit nicht abfertigen lassen, eine Geiselung von meinen eigenen
Händen verlangen, die bis auf's Blut geht. Auch das! Man lasse mich nur erst
Berlin und meine Studierstube wieder erreicht haben.
* * *
Leyden.
* * *
Den 1sten April.
Heute also, Nachmittags, will Jerom
mich mit der Seltenheit seines Landes, auf die er mich vorgestern vertröstete,
bekannt machen, die wir selbst, setzte er jetzt noch hinzu, während unserer academischen
Lehrjahre, wo uns doch kaum etwas unglaublich vorkam, nicht für möglich würden
gehalten haben, und bis jetzt noch in keinem bekannten Erdstrich, außer Italien,
zur Reise gediehen wäre. „Im Freyen?“ fragte ich. Er bejahete es. „Nun so wird
es Zuckerrohr, Ananas – oder wohl gar die beste Frucht der Welt, die Mangostine
seyn, die ich auf St. Sauveurs Hochzeit, eingemacht nur, schon über allen Ausdruck
vortrefflich fand.“ Er ging von mir, ohne zu antworten, bestellte die Mahlzeit
eine Stunde früher und zugleich den Ruf für uns beide allein auf der
Amsterdamer Treckschüte.
Mag
es doch seyn, was es will! Nil admirari war Rousseaus Devise und soll auch
von heute an die meinige seyn.
* * *
Wenn
Du etwan dachtest, ich sey zur Feier des heutigen Tages in April geschickt worden,
so hast Du zu früh gelacht, guter Freund. Nein, ich habe heute – an dem letzten
Abend meines Hierseyns und sonach recht zur gelegenen Zeit einen in der That
höchst merkwürdigen Schlußstein für das Gewölbe meines Tagebuchs nach Hause
gebracht und lasse nunmehr der patriotischen Behauptung Jeroms volle
Gerechtigkeit widerfahren. Für die unserer Maschine so nöthige Erholung nach
einer guten Mahlzeit kenne ich doch nichts zweckmäßigeres, als eine
holländische Treckschüte. Unsere Fahrt wie auf Oel, von Leyden bis zu einem der
nächsten Dörfchen, dauerte etwa Dreiviertel=Stunden.
Nachdem
wir zwischen den freundlichen Gestaden des Canals, wie an den Säumen eines
aufgerollten Atlasbandes, vielen kaufmännischen Ruhepunkten zum Natur=Genuß
eines Tages in der Woche, mehrern hölzernen Landungs=Plätzen am Rande –
unzähligen Warnungstafeln vor Fußangeln – den Schlangenstäben manches Merkurs,
der als Hausgötze von seinem Hochaltar über die Hecken blickte – und allen den
thönernen Fama´s, die zu blasen drohten – glücklich vorbei, kraft eines
Enterhakens an einen Fußsteig ausgesetzt wurden, der hundert Schritte davon
einem kleinen Flecken zuführte, – stand Jerom auf einmal bei einer
freiliegenden Bude, gleich einer Laterne, still, aus der uns, unter einem
Aufbau lieblicher Blumen und Früchte, ein noch anlockenderes Mädchen=Gesicht
entgegenfunkelte.
Die
Schöne, als hätte sie unsern Besuch erwartet, öffnete – und ich blickte
verwundert auf meinen Anführer – ihre Glasthüre.
Er
trat mit mir ein, schob den Nachtriegel vor, ließ die flohrnen Vorhänge an den
Fenstern herunter und versetzte uns in eine künstliche Dämmerung, vor der ich
beinahe erschrak. „Wie gefällt Dir,“ raunte er mir nun halb laut in´s Ohr, dieß
liebe Kind?“ und reichte ihr vertraulich die Hand. Ach mehr als zu wohl, dachte
ich, aber zu einem Natur=Wunder gehört doch noch mehr, als ein paar blaue
schmachtende Augen, ein lächelnder rosiger Mund und Grübchen – zum Versinken
des Kusses – in den verschämten Wangen. Er schien der Entwickelung meiner Gedanken,
Schritt vor Schritt, wie ein in der Gegend einheimischer abgefeimter Spion zu
folgen und brach sein listiges Stillschweigen endlich mit der verfänglichsten
Gewissensfrage: „Du hast, lieber Wil´m, ich weiß es, vieles Schöne und
Ausgezeichnete in der weiblichen Welt, – aber hast Du wohl je mehr anspruchlose
Grazie, eine unverstecktere reine Seele in einer fröhlichern jungfräulichen
Bildung gesehen, als die, mit der ich heute einen so lüsternen Reisenden, als
Du bist – in April schicke?“ Ob ich je etwas reizenderes gesehen habe? fing ich
heimlich seine Frage auf – O ja! Margots Jugend blühte einem noch reichlichern
Erntefeste entgegen – Clärchen konnte die Augen noch sittsamer niederschlagen,
ohne daß sie mich in April schickte – und o mein Gott! vollends Agathe – – aber
wie kann der ehrliche Mann ein unschuldiges Mädchen – gleich einem Sclavenhändler
zu Tunis, so in´s Gesicht loben! Die Kleine konnte vor Verlegenheit kaum
athmen, ob sie schon an solche Ausstellungen einigermaßen gewöhnt schien. Ich
fühlte immer mehr Mitleiden mit ihrer beleidigten Bescheidenheit, je länger ich
das bängliche Steigen und Sinken ihres mouselinenen Halstuchs verfolgte. „Nun,
lieber Wil´m,“ weckte mich endlich Jerom aus meiner tiefen Betrachtung, „Du
willst ja ein Physiognomist seyn; erräthst du noch immer nicht? – – – „Was soll
ich denn errathen?“ staunte ich schweigend bald ihn, bald die räthselhafte Blumenhändlerin
an. „So wisse denn,« zog er mich nach einer peinlichen Weile, durch die er
meine Zweifelsucht von vorgestern nur zu sehr bestrafte, aus meiner
lächerlichen Ungewißheit, „daß unter dieser jugendlich kostbaren Hülle –
erröthen Sie nur nicht zu sehr, gutes Kind – ein noch größerer Vorzug verborgen
liegt, der nicht für so national, als jene, sondern für eine, unter unserm
Horizont ganz unerhörte Seltenheit gelten muß – eine – warum wirst du so
unruhig, Wil´m? – eine ländliche Muse, eine holländische Improvisatorin.“ – „Du
willst scherzen,“ zischelte ich ihm mit ganz sonderbar beklemmter Brust in´s
Ohr. „Nichts weniger,“ antwortete er laut. „Du hast doch Pergament und
Bleistift bei Dir? Nicht wahr, liebe Emilie, Sie erlauben diesem ungläubigen
Herrn, die Probe mit Ihnen zu machen?“ Diesen Ausgang hatte das schöne
Landmädchen vermuthlich besser vorausgesehen, als ich. Daher ihre vorige
schamhafte Verlegenheit und ihr jetziges freundliches Nachgeben. „Ich würde es
nicht wagen,“ stotterte sie in angenehmer Verwirrung – „meinen Waldgesang einem
Ohre vorzutönen, das durch große Virtuosen so verwöhnt ist, als ein deutsches –
aber mein Arzt, mein Beschützer, verlangt es, und ich bitte Sie, mein Herr, mir
ein beliebiges Thema anzugeben, aber ja nur eins, das mir nicht fremd ist, und
keinen Tiefsinn verlangt.“ „Nun bei Gott!“ – erwiederte ich und schlich in der
Tasche meiner Schreibtafel nach, „wenn es Ernst ist, so wüßte ich kein
schicklicheres vorzuschlagen, als Ihr eigenes schönes Gewerbe, das für die
phantasirende Dichtkunst wie gemacht ist,“ mit einem freundlichen Hinblick
setzte ich scherzend hinzu, „auf Ihren ausländischen Zuhörer, denn er handelt
auch mit Blumen und Früchten wie Sie.“ „Ja,“ fiel mir der ironische Jerom in´s
Wort, „nur mit dem Unterschied, daß die seinigen Sprößlinge einer verdorbenen
Einbildungskraft und in den österreichischen und andern erbaren Staaten Conterband
und verboten sind.“ Das unschuldige Landmädchen stutzte und ich war höchst
ungehalten auf den Schwätzer, der jedoch auf das artigste wieder einlenkte. „So
sprechen wenigstens,“ lächelte er, „geschworne Fiskale – verunglückte Spediteurs
verlegener und im Preiß gefallener Spezereien – Krämer, Höken und Aufkäufer,
die gern den Alleinhandel auf dem Markte mit geschmacklosem Confect und dürrem
Obste forttrieben und scheelsüchtig ihren alten Kunden nachblicken, wenn sie ihren
prahlenden Magazinen vorbey, der natürlichen Gottesgabe zuströmen, die der
junge Herr sich nicht einmal die Mühe giebt, etwan durch bezahlte Zettelträger
auszurufen und anzupreisen, um ihnen Abgang zu verschaffen.“
Ich
wußte nicht recht, wie ich mit dem Redner dran war. Er traf zwar meine Gedanken
so ziemlich, aber ich stehe doch nicht dafür, ob seiner fein gedrehten
Erläuterung nicht eine neue Spötterei unterlag. Die kleine allerliebste Actrice
nahm jetzt eine ganz andere – recht malerische Stellung an. Nach der Bewegung
ihrer niedlichen Hände gegen die Strohkörbchen voll Erdbeeren, Schoten und
frühzeitigen Pfirsichen – nach der Wendung ihrer bescheidenen Augen gegen die
chinesischen Vasen mit Rosen und Hyacinthen – und nach andern kleinen erlaubten
Kunstgriffen zu urtheilen, schien sie sich einen Schwarm Marktleute
vorzustellen, von denen die meisten aus Leckerey, einige aus Neugier, die
wenigsten aus eigentlichem Bedürfniß die Bude umringten. Aus ihrem Mienenspiel
ließ sich ohne Schwierigkeit errathen, daß sie die einen beizulocken, die
andern zu entfernen, und wenn neidische Aufpasser darunter wären, ihnen im
Vorbeigehen einen Kirschkern auf die Nase zu schnellen, im Sinn hatte.
Holländische Volkslieder sind nicht leicht ins Deutsche zu übertragen,
doch bin ich nach Möglichkeit der jungen Blumen=Verkäuferin auf ihrem
poetischen Ausflug so treu nachgeschwebt, als ich es auf ihrem prosaischen
Lebensgang thun würde, wenn es nur meine Zeit und Agathe erlaubten. Ich theile
Dir, lieber Eduard, von dem Erguß ihres freispielenden Geistes so viel mit, als
meine schwere deutsche Bleifeder nur auffassen konnte. Hätte sie aber auch
keinen Tropfen unterweges verschüttet, so würden dem schönen Ganzen doch immer
noch die Apostrophen ihrer Augen, ihre sonorische Stimme und die rednerischen Uebergänge
ihres belebten Busens fehlen, um auf andere Ohren denselben Eindruck zu machen,
als auf die meinigen. O daß doch in meinem Vaterlande eine gewisse gleich
liebenswürdige Emilie, die, obgleich des erhabenen Ossians Freundin, doch auch
in Etwas die meine ist, es in einer warmen Sommerstunde versuchen möchte, meine
Orangen und Amathus=Aepfel auszurufen. Ich wette auf Leib und Leben, sie fänden
in allen Häusern Eingang und Käufer unter dieser Bedingung.
Unbefangen, wie ein gutes Kind, lächelte die kleine Holländerin,
hüstelte ein wenig und stimmte an:
Behagten Euch nur solche Waaren,
Wie sie, gestempelt und verzollt,
Minervens Polterkarn von Jahren
Zu Jahren auf die Märkte rollt;
So, Freunde schlüpftet Ihr
vergebens
In meine Bude. Ein Gericht
Zur Stärkung auf dem Gang des
Lebens
Ist höchstens, was sie Euch
verspricht.
Ich hab' auf meinen Rasentischen
Nur Näschereien ausgelegt,
Die mir, den Wandrer zu erfrischen,
Mein Gärtchen leicht zusammen
trägt.
Ist gleich mein Blumenkranz kein
Zeichen
Für eine Modehändlerin,
So lockt er doch, denn bei ihm
streichen
Der Fahrweg und der Fußsteig hin.
Auch graut der Morgen kaum, so
halten,
Wie Wetter, Wind und Zufall will,
Oft unerwartete Gestalten
An meiner Tonnen=Nische still.
Wie viele nähern meinem Zaune
Sich nicht um eine Hand voll Schleen,
Wenn Bücher=Ueberdruß und Laune
Mit ihrem Geist ins Grüne gehn.
Den Richter, der mit krauser Stirne
Zu einer Ehescheidung trabt,
Hat manchmal eine Jungferbirne
Aus meinem Weidenkorb gelabt.
Aus meinem thönernen Pokale
Berauschte jüngst ein Priester
sich,
Als er nach seinem Filiale,
Mit Schweiß betröpft, vorüber
schlich.
Dem Mädchen, das, vom Stadtgewürze
Erhitzt, aufs Land nach Kühlung
läuft,
Hab´ ich, zu Pfunden, oft die
Schürze
Mit Mirabellen angehäuft.
Bald find ich eine Federspule,
Bald eine Musterschrift im Gras,
Die ein Entlaufener der Schule
Im Morgenschmauß bei mir vergaß.
So oft sich meine Körbchen leeren,
Rück´ ich mit neu gefüllten vor,
Mein Contobuch? – – kann ich
beschwören
So gut, als Rousseau seins
beschwor.
Um vieles zwar säß´ ich bequemer,
Wohl gar am Rathhaus unter Dach,
Ahmt´ ich dem Proteus unsrer Krämer
In seinen Handelskünsten nach;
Der bald mit Perlen ferner Flüsse,
Mit Gold aus Ophir Wucher treibt,
Sein Salz und seine tauben Nüsse
Nur aus Elysium verschreibt;
Bald Engelsreinigkeit den Narben
Gefallner Unschuld unterschiebt,
Glanz dem Betrug und Rosenfarben
Verblühten Wangen wiedergiebt;
Bald auf dem Wollen=Raub der Herde,
Die ihn umblöket, eingewiegt,
Im Traum die mütterliche Erde
Bis an den Himmel überfliegt,
Und wohl noch wähnt, vom nächsten
Sterne
Herabgeschneuzt und fortgeschnellt,
Er sey die größte Blendlaterne,
Die je das Weltall aufgehellt.
Doch, was ein Irrwisch aufgekläret,
Bleicht bald am Lichte der Natur;
Was sie erzeugt, ist nur bewähret,
Was sie bewährt, erhält sich nur.
* * *
Ich
will Dir nicht zumuthen, Eduard, diese Verse für so geist= und gedankenreich zu
halten, als die Schillerschen und Vossischen sind, muß aber auch billig
eingestehen, daß es weniger die Schuld des Originals, als der Uebersetzung ist.
Trotz seines verwischten Kolorits denke ich doch, soll es als Impromtu
eines jungen holländischen Landmädchens immer noch die Ehre des Drucks so gut
verdienen, als so manches in unsern poetischen Wäldern.
Ich
bin mit Jerom völlig einverstanden, daß, wenn auch unter der Torfasche dieses
Moorlandes hier und da ein Funken dichterischen Feuers glimmen sollte, zu
selten doch einer davon in Flammen schlägt, als daß nicht die ihrige für ein
Meteor gelten müsse; und ich kann es keinem ihrer Mitbürger verdenken, der im
Vorbeigehen sich einige Minuten von seinen Geschäften abmüßigt, bei ihr
einspricht, um nur wundershalber zu sehen, wie sich ein roher gemeiner Gedanke
poliren läßt. Wer wollte der kleinen Poetin nicht gern ihre Gartengewächse
zehnfach theurer bezahlen, als einer prosaischen Hökin, zumal da jeder ohne große
Speculation berechnen kann, daß sie durch diesen Handel, dem, so gering er scheint,
doch auch kein drückender Capital unterliegt, als das ihr Flora und Pomona
vorstrecken, und Clio verzinst, schnurgerade der wahren holländischen Ehre
entgegen steigt, reich – eine, wie man es nennt, gute Partie, und zuletzt wohl
gar eine bedeutende Person in der Republik zu werden. Läßt sich's denn nicht
erwarten, daß ein junger speculativer Kopf auf dem romantischen, immer offenen
Gange nach ihrem Comtor, gelegentlich auf den klugen Gedanken gerathen könne,
die schöne Sängerin sammt ihrem jungfräulichen Erwerb in das seine zu
verlocken? Er widme, wäre in diesem Falle mein unmaßgeblicher Rath, nur sechs –
sieben Abendstunden der Woche zur Erholung nach gethaner Arbeit ihrem Besuche,
lege zur Einleitung seines Kaufgeschäfts ihrer Muße erst eine unbedeutende
laue, dann eine wärmere, darauf eine heißere und zuletzt täglich eine immer
brennendere Empfindung nach der andern, ohne die entfernteste Hindeutung auf
Sie, bloß zum Spielwerk ihrer dichterischen Ausbildung vor, und finde keine
hinwelkende Blume, die seine Vorgänger am Tage übrig ließen, am Abend zu
theuer, um sie nicht zu ihrem Andenken nach Hause zu tragen. Das gute Kind, das
nichts gefährlicheres dahinter versteckt glaubt, als woran es, seitdem sie zwei
Worte zusammen reimen kann, gewöhnt ist, wird es, wie eine gereizte Nachtigall,
immer schöner zu machen suchen und macht es immer schöner, bis sich ihre Federn
sträuben und ihr das Herzchen darüber selbst zu pochen anfängt.
Ach
ich müßte mich sehr irren, wenn die sanfte, unmerkliche Verschmelzung stündlich
wachsender männlicher Baßnoten mit melodischem weiblichen Diskant, nicht
zuletzt auf der Tonleiter des Lebens einen Einklang hervorbrächte, der nur
einer mondhellen Nacht bedarf, um in das beredte Flüstern des Verlobungskusses
überzugehen. Alsdann? Nun mein Gott, wäre es alsdann wohl so etwas unerhörtes,
wenn in der Folge der merkantilische Umtrieb der einzelnen Groschen und Thaler,
die sie ohne große Mühe und Kosten ersang, ihre Stroh=Körbchen, irdenen Aesche
und Vasen in Tonnen Goldes verwandelte, die freilich einen ganz andern Respect
einflößen, als alles, was sie uns dermalen noch aus dem Gebiete der Natur
Schönes und Gutes auftischt. Welche frohe Zukunft kann sich diese holländische Karschin nicht versprechen! wenn sie
einst nicht mehr nöthig hat, an der Landstraße auf neugierige Käufer zu lauern
– ihnen Rede zu stehen und jeden schalen Gedanken, den sie auskramen, in Verse
umzusetzen, die, ihre heutigen ausgenommen, noch nie eine Druckerpresse
erreicht haben. Dann erst wird sie sich fühlen und gebieten lernen – ihren
eigenen guten Einfällen folgen und, indem sie mit heiterer Laune den
glücklichen Erdstrich segnet, der den Keim ihres Talents als eine Wunderpflanze
in Nahrung setzte, mit mitleidigem Lächeln auf unsere deutschen Witzkrämer und
ihre Ladenhüter herabsehen. Sogar auf der Börse, wo Apoll und seine Anhänger
sonst wenig Credit haben, werden die vielen Nieten, die zum großen Loose ihres
Heirathsguts beitrugen, den jungen Anfänger beneiden, dem es zufiel. Und doch,
Eduard, würde mir das liebe Kind in der vornehmen Lage, in der ich zur Zeit
noch keine der Musen sah, trotz der vollen Beutel, die Merkur ihr in den Schooß
schüttet, schwerlich besser gefallen, als jetzt mit fliegendem Haar, ländlichem
Mieder unter ihren Blumen und Früchten. Ich wählte mir aus jenen ein freundliches Rosenknöspchen, der Aehnlichkeit ihrer
Lippen, und ein Noli me tangere,
der Unschuld wegen, die darauf ruhte, aus diesen
aber ein paar tetons de Venus,
die Linnée unter allen Pfirsichen für die schmackhaftesten hält. Höher sind mir
aber auch in meinem lüsternen Leben keine zu stehen gekommen. Die liebe
unbefangene Verkäuferin erröthete selbst über meine unmäßige Freigebigkeit und
Jerom schüttelte den Kopf dazu. O hätten nur beide gewußt, woher sie entsprang.
Sie hatte solche, im Vertrauen gesagt, weder dem Vorüberflug ihrer funkelnden
Augen, noch den gleich vergänglichen Tönen ihres Mundes, – sondern den
Lorberblättern zu verdanken, die ich in meiner Schreibtafel aus ihrem Glashause
mitnahm, um das Monument meiner Jugendreise damit zu krönen. Ja, Eduard, der
anspruchlose Waldgesang der liebenswürdigen Emilie beschließe mein Tagebuch.
Hört man nicht alle möglichen Epiloge am liebsten aus dem Munde eines schönen
unschuldigen Kindes, und kann man ein Concert wohl artiger endigen, als mit
einer unverdorbenen weiblichen Singstimme?
Wohl
wahr! und doch ist es dem menschlichen Herzen eigen, daß keins, je behaglicher
es auf dem Musikstrom fortschwimmt, ohne Unruhe an den letzten Bogenstrich, der
ihn dämmt – ohne Verdruß an die sterbende Note denken kann, unter der sich ein
sanftes Andante auflöset. Der wahre Virtuose fürchtet, wie seine lauschenden
Zuhörer, im voraus die Todenstille des Saals, die nachfolgt, und so sah auch
ich im Vorgefühl meines baldigen Verstummens dem lieben epilogirenden Kinde mit
traurigem Nachdenken in das niedliche Gesicht; Jerom mußte mich mehr als einmal
an das Fortgehen erinnern, und doch zögerte ich, bis das Glöckchen=Geläute der
letzten abgehenden Treckschüte mir durch alle Glieder fuhr, und als ich nun in
überströmender Zärtlichkeit dem guten Mädchen noch einmal meine Hand bot, ward
mir so weinerlich zu Muthe, als ob ich von ihrem ganzen lieblichen Geschlecht,
sammt den neun Musen ewigen Abschied nähme. So lange ich auf der Rückfahrt das
schmucke Tempelchen noch in der Abendsonne blinken sah, war es mir nicht
möglich, meine Augen nach einer andern Seite, – meine Fantasie auf einen
geringern Gegenstand, als auf die Nymphe zu richten, die es bewohnte. Ich
schrieb ihrer Jugend, Schönheit, Unschuld und ihrem poetischen Talente so viele
Festtage zu Gute, daß ich bis ans Leydener Thor nichts zu thun hatte, als sie,
wie ein Mönch das Bild seiner Heiligen, aus= und anzukleiden, und mich vor
ihrer Nische auf die Knie zu werfen. Ich erbat ihr allen Segen des Himmels zu
ihrem jungfräulichen Gewerbe, das doch gewiß, man sage auch, was man will, ohne
Vergleich edler, erlaubter und schmeichelhafter für ihre Kunden ist, als jenes,
das ehemals die Harlemer Wirthin zum schwarzen Bock, und was sie etwan sonst
noch, um Gäste beizulocken, im Schilde führte, auf eine Art trieb, die der
lieben kleinen und, auf allen Seiten betrachtet, gewiß zehnmal reitzendern
Emilie nicht im Schlaf einfallen würde. Das soll aber auch das letzte Wort für
Dich und meine zukünftigen Leser seyn. Morgen mit dem frühesten verlasse ich
meinen Jugend= und Schulfreund, den würdigen Jerom. Er begleitete mich gern
eine Strecke Weges, aber seine Kranken halten ihn bei dem Aermel. In einigen
Tagen hoffe ich – ach welcher freudenvolle Gedanke, Eduard! Dich an mein Herz
zu drücken. Denn da mich die himmlischen Gestirne während meiner Seereise um
den Tag, auf dem ich zur Hochzeit des Märkischen Barons geladen war, eben so
richtig gebracht haben, als sich durch ihren Einfluß der Weltumsegler Anson bei
seiner Landung an der vaterländischen Küste, zu seiner großen Verwunderung, um
einen in der laufenden Woche verkürzt sah; so kann mich nichts mehr, weder das
Calenderfest jenes schätzbaren Mannes, noch sonst ein Abweg auf meinem geraden
Fluge in Deine Arme aufhalten.
Mein
Glückwunsch zu der schlau verzögertern Besitznahme seiner Caroline soll das
erste Geschäft an meinem Schreibtisch zu Berlin seyn; übrigens mögen immer noch
Jahr und Tage hingehen, ehe ich meinen versprochenen Besuch bei ihm nachhole,
da sich indeß auch wohl sein System vom ehelichen Glück mehr aufgeklärt haben
wird, um es ruhiger und richtiger beurtheilen zu können, als in den ersten
Probetagen Es soll mir lieb seyn, wenn sein schönes Weib, ein saugendes Kind an
der Brust, das durch den Aufschub seines Daseyns während des Herumstreifens des
Vaters nichts verloren hat – wenn sein mit den kostbarsten Bruchstücken des
Alterthums und der neuern Erfindungen der Bequemlichkeit zusammengesetzter
ländlicher Pallast, glänzende Säle, die den Geist aller Nationen vereinigen –
Wände mit den Meisterwerken der Titiane und Raphaele verziert – wenn täglich
erneuerte Wunder der Kochkunst, fröhliche Gärten und im Ganzen genommen die
Benutzung der freigebigen Natur zur Veredlung menschlicher Bedürfnisse – wenn,
sage ich, diese Bedingungen schwesterlich vereint in einander greifen, um die
sonderbare Propheten=Epistel des wirthschaftlichen Landjunkers auf das
kräftigste zu widerlegen. Warf dieser Eiferer gegen die Wohlthaten des guten
Geschmacks seinem reisenden Feldnachbar wohl aus einer wichtigern Ursache jene
Spitzfindigkeiten in den Weg, als weil solcher nach einer andern Rechnung ein
Drittheil seines Lebens verwendete, um dessen Ueberrest mit den möglichsten
Annehmlichkeiten zu verschönern, die unser Planet darbietet? Darf aber auch die
fleißigste Ameise den Adler, der über ihr in die Wolken steigt, tadeln, daß
nicht auch er auf dem Erdhaufen, der ihrer Zufriedenheit genügt, die seinige
sucht? Du findest irgendwo in meinem Tagebuche den Eingang seines Pamphlets und
die Fortsetzung bringe ich Dir auch mit. O ich werde mich gern, ohne mich an
sein Geschwätz zu kehren, dem Versuche hingeben, ob man nicht auf dem
geschmackvollen Landsitze eines unter so verständigen Rücksichten gereisten
Freundes den Lauf der Stunden besser als im Auslande erheitern, das Glück des
Schlafs geschwinder als mit Postpferden erreichen, und sein kaltes Blut, so
viel als zuträglich ist, in dem Strale der dunstfreien Sonne oder vor einem Camine
erwärmen kann, dem nichts belebteres gegen über lauscht, als das Ideal einer
Hebe oder Clärchens Bildniß mit seinen ach! so mannigfaltigen Erinnerungen.
Jetzt lacht mir nun von weitem die königliche Hauptstadt und Dein
Assembleesaal unter den anlockendsten Versprechungen in die Augen. Sie werden
eine Weile Wort halten, aber auf die Länge traue ich ihnen doch nicht. Was soll
ich nun, in dem gesetzten Fall, mit mir anfangen, wenn Ueberdruß an dem ewigen
Zirkelschlag Eurer Gesellschaften und Schmäuse, Langeweile an den Spieltischen
und Mißmuth über den unnützen Vergang meiner bessern Kräfte sich aufs neue
meiner Seele bemeistern? Zur Wiederholung der Thorheit, die mir vier Bände
böser Erfahrungen eintrug, ist mir auf immer die Lust vergangen, und auf meine
Studierstube darf ich vollends nicht rechnen, denn das unbelohnte Bebrüten
fremder Gukguks=Eyer ist mir zum Ekel geworden, viele andere Irrthümer
ungerechnet, die mich gar sehr gewitzigt haben.
Der
Freuden der Welt, sagt man zwar, gäbe es viele, aber wo ist denn eine, die
nicht durch den täglichen Gebrauch uns unter den Händen verwelkte? und wo
findet man immer einen Freund, wie St. Sauveur, der uns damit auf eine so
systematische Art zu überraschen versteht, daß sie uns neuen Genuß gewähren? Was
bleibt nun, da zu selten zwey gleichgestimmte Menschen auf ihrem Gange zusammentreffen,
die hierin einander die Hände zu bieten Willen und Kraft haben, noch übrig, als
daß jeder selbst die Mühe übernehme, auf Abwechselung
seiner Kinderspiele zu denken, so gewiß auch dabey die Hälfte jenes
bemächtigenden Reizes verloren geht. Wohlan! So zeichne denn sie mir den Plan meiner künftigen
Lebens=Ordnung vor, zu dem ich mir nur noch Agathens Unterschrift wünsche.
Weder an einen Ort, an ein Amt, noch an Pflichten gebunden, die ich mir
nicht selbst als Weltbürger auflege, soll mir der Spielraum des Vaterlandes, wo
nicht zum Schauplatz meiner merkwürdigen Thaten – doch zu einem Spaziergang
dienen, auf dem ich bald hier bald da eine Handvoll Saamenkörner edler
wohlthätiger Gefühlpflanzen ausstreue, sollten sie auch dann erst keimen und
gedeihen, wenn ich schon längst in seiner heiligen Erde, unter dunkeln
Ahndungen und unaufhörlichem Rufen nach Licht, die letzte Leitersprosse zum
Austritt in jene Warte seliger Zukunft gewonnen – an ihrer hellen Pforte meinen
Staubmantel abgeworfen und nicht, wie hier, zu befürchten habe, ein Brandopfer
der Langenweile zu werden. Denn dort –
Wenn aufgeschwungen aus dem
Schlamme
Des Irdischen, mein freyer Geist,
Ein Lichttheil in der
Schöpfungsflamme,
Das Unermeßliche bereist,
Mit Schwanenlust im Aetherstrome
Reingeistigen Bewußtseyns schwimmt,
Von einem zu dem andern Dome
Der Sterngebäude weiter glimmt,
Im Drang, die Feder zu entdecken,
Die dieß geheime Uhrwerk dreht,
Mit immer freudigerm Erschrecken
Zu neuen Wundern übergeht –
Dort sey mein Tagebuch der Lehre
Abwechselnder Zufriedenheit,
Mein Wandelgang zu jeder Sphäre
Der Ueberraschung
nur geweiht;
Denn ohne sie wie schmucklos wäre,
Bei stetem Kreislauf, mir die Ehre
Einförmiger Unsterblichkeit!
* * *