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ENDE!


Moritz August von Thümmel:
Reise in die mittäglichen
Provinzen von Frankreich ...
Zehnter Theil.  1805



 

 

Agde.


Den 1sten März.

 

Wie hoch kommt Ihnen die Berline zu stehen?“ fragte mich der Postmeister in Montpellier zu seinem Fenster heraus, als ich eben abfahren wollte. – „Ach – das –“ antwortete ich – „kann ich erst dann berechnen, wenn sie mich an unsern gemeinschaftlichen Geburtsort gebracht haben wird.“ „Wie?“ – fing er meine Worte auf, – „so wäre der Herr, wenn ich recht verstehe, wohl gar ein Landsmann Friedrichs des Großen?“ „Ja, ja“ – unterbrach ich ihn – „ich kann es nicht läugnen, mich aber noch weniger deshalb hier aufhalten lassen. Hätte der Herr Postmeister nach dem merkwürdigen Passagier sich umsehen mögen, der nun seit einer langweiligen Stunde seine Berline geschaukelt hat, wahrscheinlich würde er ihm von dem Sieger bei Roßbach viel erwünschteres erzählt haben, als der Pariser Publiciste, der in jedem Blatte sein nahes Ende ankündiget, um, denke ich, in den folgenden sich noch oft aufs Maul zu schlagen, so Gott will. Lebe der Herr wohl!“

 

     Der Name meines Wagens fiel mir, aus dem Munde des Franzo­sen, zum erstenmal sonderbar ins Gehör – erinnerte mich an den geschickten Sattler, der ihn so tüchtig gebaut hatte, daß er unter mei­nem Reisegeräthe gewiß das einzige Stück ist, das dem Auslande keinen Sous für Reparatur abgeworfen hat und so ganz deutsch wie­der zurückkommt, als ich kaum von mir selbst zu rühmen wage.

 

     Es ist wohl nichts der Aufmerksamkeit auf Reisen so sehr entge­gen, als ein heimischer Gedanke, so unbedeutend er auch seyn mag; die Station, wo er sich anhängt, ist gewiß für unsere Bemerkungen verloren. Dies war der Fall wenigstens bei mir. Ich gab über meinen braven Sattler, weder auf den Weg, der vor mir lag, noch auf die Eigenheiten der Landschaft, oder sonst etwas Acht, und griff mei­nem körperlichen Einzuge in Berlin mit einer so geistigen Abwe­senheit vor, daß ich, wie ein electrisches Fluidum, die mehr als hun­dert Meilen dahin in einem Augenblick zurücklegte und mich auf einmal an dem Brandenburger Thore befand. Der wachhabende Of­ficier stand kerzengerade vor mir, forderte mir meine Signale ab und ich schickte ihm dagegen die Frage zu, wie sich unser geliebter Kö­nig befände? Er gab mir die besten Nachrichten, freute sich übri­gens meiner Bekanntschaft und entließ mich.

 

     Mit lachendem Herzen fuhr ich nun die Gasse hinauf, warf einen freundlichen Blick bald aus dem rechten, bald aus dem linken Schlag, nach diesem oder jenem Fenster meiner Freundinnen und Freunde und – Halt! rief ich, halt! sobald ich den Giebel meiner Wohnung ansichtig ward. Wie flog ich zu der Haustür hinein – die Treppe hinauf, und wie herzlich begrüßte ich nun die wiedereroberte klei­ne Welt meines Zimmers.

 

     Ich hatte kein geringes Vergnügen, als mir mein Wandspiegel jetzt eine ganz andere Figur, als jene gekrümmte und hohläugige zurückwarf, die vor fünf Monaten, seufzend seiner verrätherischen Ober­fläche vorbeizitterte. Der neue Kunstschnitt meines Haars – das air aisé – das je ne sais quoi – die ich über den Rhein her mitbrachte, hielten mich so lange fest auf meinem reitzenden Standpunct, bis Bastian mit meinen Kisten anrückte. Das Ausschälen, Abstecken, Aufschnüren und Entwickeln – nimm es in einem Sinn, in welchem du willst – hat mir von jeher unendlichen Spaß gemacht. Es hängt eine gewisse innige Erwartung daran, die das Gemüth oft angeneh­mer bewegt, als es die Herrlichkeiten selbst thun, wenn sie ausge­packt da liegen.

 

     Wie zitterten meine Hände, als sie das Kästchen mit den so merk­würdigen Fensterscheiben öffneten und ich sie nun unbeschädiget in meine Sammlung einschichten und den Handelscontract mit dem Glaser der Bastille dazu legen konnte! Weit länger und ängstlicher sah ich mich nach einem sichern Ort in meinem Weichbilde für die Criminalacten des heiligen Fiacres um, ehe ich mich an das gehei­me Fach meines Schreibtisches erinnerte, in welchem – ach! mei­ne eigenen ehemaligen Liebes=Documente verwahrlich niedergelegt sind, und eben wollte ich, damit nicht etwan ein Unberufener da­zwischen käme, und meine Schleifwege entdeckte, die Thüre ver­riegeln – als mir Agde – der Golf von Lion und nicht weit von seinem Ufer ein Bollwerk ins Gesicht schimmerte, das über einem schäumenden Strudel hervorragte. „Wie heißt jene Burg?“ war das erste Wort, das ich an den Postillion verlor, und es verzinste sich gut. „Brescau,“ antwortete er, „Sie haben doch wohl von den be­rühmten Leckerbissen der dortigen Muscheln gehört?“ Ich schüt­telte den Kopf – „Nun so werden Sie diesen Abend mit großem Behagen ihre Bekanntschaft machen. Der Felsen, um welchen diese Schalthiere einheimisch sind, versorgt die Wirthshäuser in Agde über­flüssig damit, denn ihrer Zartheit wegen können sie nur an Ort und Stelle genossen und keine Meile weit verschickt werden.“ „So?“ sagte ich verwundert – „Dies Product macht also von vielen andern der französischen Natur eine ganz eigene Ausnahme. – Die Gebäude da oben sind sonach wohl Fischerhütten?“ „Wollte Gott, sie wären es!“ erwiederte mein Führer – „Nein, mein Herr, es sind Wachthäuser einiger Invaliden, die den bequemsten Ehrenposten von der Welt, die Aufsicht nemlich über das Staatsgefängniß haben, das in jene Felsenmasse gehöhlt ist. Ein Wink des Monarchen – mehr braucht es nicht – sondert hier vornehme Schuldige, wohl auch, wofür Gott sey, unschuldig Verdächtige, von der Gemeinschaft mit der übrigen Welt ab, und gewiß kann die Natur in ihrem Umkreis keine bessere Gelegenheit darbieten, um jedes Leben in Vergessen­heit zu bringen. Gott erbarme sich der armen Verkerkerten, die hier in der Tiefe des Meeres athmen.“ „In der Tiefe des Meeres, sagst du? Ich will doch nimmermehr hoffen, daß die dort anprallenden Wellen an ein menschliches Ohr schlagen?“ „Nicht anders, mein Herr! Der Gefangene, sobald er jenen Gipfel erreicht hat, wird gleich darauf so tief herab, als er hoch gestiegen ist, an Seilen, wie in ei­nen Schacht, heruntergelassen und seine Laufbahn ist geendet. Nie­mand kann Zahl und Namen dieser Versunkenen angeben, die weiß nur der König, vielleicht auch nicht, aber nach den Nahrungsmit­teln, die täglich einer von der Besatzung aus dem Bürgerspital ab­holt, können ihrer nicht so gar wenig seyn.“

 

     „Im Frühling vorigen Jahres traf sichs´ daß ich eben hier vorbei­kam, als ein solcher Unglücklicher aus der Welt gestoßen wurde. Der Policey=Wagen hielt nicht weit vom Ufer; zwei von der Wache öffneten ihn und übernahmen den Gefangenen.“

 

     „Verkappt und gefesselt brachten sie ihn in ein Fahrzeug. Der Herr Engelländer, dem ich vorgespannt hatte, befahl mir zu halten, stieg aus und näherte sich der Scene mit seinem Fernglas. Ich brauchte das nicht, um den Vorgang eben so deutlich zu bemerken als Er. In ohngefähr zehn Minuten landete der Kahn zwischen den zwo Klippen, die dort – sehen Sie? - den Platz zum Einlaufen bilden, und nun kam uns der Verhüllte noch fünfmal auf der Freytreppe, die rund um den Felsen in einer Spindellinie bis zu seiner Spitze aufsteigt, ins Gesicht. Es lief mir eiskalt über die Haut, als ich ihn den letzten Schritt thun und bald nachher von der Oberfläche der bewohnten Erde verschwinden sah. Mein englischer Pässagier ballte voll Ingrimm die Faust gegen den Policey=Wagen, als er, vor uns her, nach der Chausse´e lenkte, setzte sich fluchend in den seinen und ließ mich nicht zu Athem kommen, bis ich jenen eingeholt und ihm aus den Augen gebracht hatte; ich aber betete indeß ein Ave Maria für den armen Verstoßenen, und die heilige Jungfrau hat mir´s vergolten.“

 

     „Wie so? lieber Freund!“ fragte ich neugierig. „Weil ich,“ antwor­tete der brave Kerl, „von der Stunde an ein ganz anderer, viel besse­rer Mensch geworden bin, als ich sonst war. Denn während ich bey dem Fort vorbey meine müden Pferde wieder nach Hause ritt, ein gutes Trinkgeld in der Tasche hatte, und meinen Kittel von der lie­ben Abendsonne vergoldet sah, – ach! wie hoch schlug mir das Herz, wie viel gute Entschließungen faßte – und wie verdammte es nicht die gottlose Unzufriedenheit, die sich sonst immer mit mir auf den Gaul setzte! Ich habe seitdem mein Tagewerk lieb gewonnen, so müh­sam es auch seyn mag, und will mir ja einmal mein trockenes Brot nicht zu Halse, so brauche ich nur, um es mir schmackhaft zu ma­chen, an den armen Herrn zu denken, der kein besseres im Grunde des Meeres verschlucken muß. Wie mag er die vielen freundlichen Stunden, die indeß über seiner Finsterniß verlaufen sind, in welcher Seelenangst mag er sie nicht verseufzt haben! Wie würde er Gott loben und danken, wenn er an meiner Stelle – ach an der Stelle meines Sattelpferds wäre!“ Hier zog er sein Schnupftuch heraus, wischte sich die Augen und schwieg. ,,Bitte“ – zischelte ich Bastianen zu – „den guten Menschen diesen Abend bey dir zu Tische, und laß ihm nichts abgehen,“ ihn aber bat ich, einige Augenblicke zu halten, weil ich aussteigen und doch das Fort aufnehmen wolle, wo die seltenen Muscheln gefunden würden. „Thun Sie, was Ihnen gefällig ist,“ war seine Antwort, „ich mag nichts davon wissen, doch nehmen Sie Sich in Acht, daß die Abzeichnung Ihnen an der Grenze keinen Verdruß zuzieht.“ Ich ging, setzte mich, der Feste gegen über, auf den Rasen, und trug den Abriß von ihr auf ein Pergamentbiatt meiner Schreibtafel über. Als ich damit fertig war, und zu meiner Berline zurückkam, zeigte ich den beiden Zurückgebliebenen mei­ne artistische Arbeit, ich weiß eigentlich selbst nicht warum? denn Kunstverstand konnte ich doch wohl bey keinem voraussetzen. Der Postknecht drehte das Pergament nach allen Seiten. „Nein,“ gab er mir es zurück, „die Zeichnung brauchen Sie nicht versteckt zu hal­ten, die wird die Festung nicht verrathen.“ Mein Kammerdiener be­nahm sich schon feiner. „O ja,“ sagte er, nach vieler Ueberlegung, „Ihre Abbildung“, indem er einigemal nach dem Original hinblick­te, „dächt´ ich, wäre sehr richtig. Das hier, nicht wahr? stellt den Strudel – jenes das Wachthaus, diese Linie den Weg, und diese Stri­che den Gefangenen und seine Begleiter vor? Als ein Avant la lettre bringen Sie das Blatt ganz sicher über die Grenze – denn ein sol­ches – wer versteht es? aber nachher – ja, da würde ich selbst für den Schlag Menschen als unser Postillion,“ – raunte er mir listig in´s Ohr – „zu einer schriftlichen Erklärung rathen.“ „Laß es gut seyn, Bastian!“ lachte ich ihm ins Gesicht; doch benutzte ich seinen Wink, sobald ich in´s Wirthshaus kam, und setzte die paar Zeilen unter meinen Entwurf:

 

Stolz steigt der Fels in die Luft, trotzt, in dem Orkus gegründet,

Dem um ihn tobenden Meer, dem ihn umkreisenden Blitz;

Sein kahler Gipfel, bekränzt von Nebelwolken, verkündet

Verlassen von der Natur, der Rache scheußlichsten Sitz.

Ein ehern Schneckengewind des steilen Stufengangs schraubet

Zu seinem ernsten Gericht den Ausgestoßnen hinan,

Den unter wüthender Angst, der letzten Hoffnung beraubet,

An ihrem furchtbaren Thron die Eumeniden empfahn.

Einst unser Bruder – und jetzt, von seinem bösen Geschicke

Belastet, schwankt er einher, zum Missethäter entstellt,

Weint und verzweifelt und wirft noch drey entsetzliche Blicke

Gen Himmel – über das Meer und in die Lauben der Welt;

Dann stürzt des Herrschers Gebot mit der Vergessenheit Fluche

Ihn in die Bergkluft hinab und mitternächtlicher Graus

Umschlingt als Leichentuch ihn, und löscht im freundlichen Buche

Des Lebens seinen Vertrag mit Zeit und Menschenglück aus.

 

     Jetzt, da ich meine poetische Beschreibung überlese, die läst einem Bau=Anschlag gleich sieht, sollte mir wohl banger um sie werden, als um meinen Grundriß, denn jene könnte eher als dieser einen von unsern ruhmbegierigen Architekten auf den Einfäll bringen, sich durch Erfindung eines ähnlichen Gefängnisses – Spandau etwa ge­gen über, – ein bleibendes Verdienst um den Staat zu erwerben. Nur wüßte ich nicht, was er dort den Vorbeyreisenden, zur Besänf­tigung ihres empörten Gefühls, an die Stelle der gepriesenen Mu­scheln vorsetzen könnte, die mich diesen Abend ziemlich der Natur wieder näherten, mit der, als Vermittlerin der ausgesuchtesten Tyranney, ich schon drauf und dran war zu zanken.

 

     Erklärte es der Hunger nicht einigermaßen, der, seit dem Frühstück mit der kleinen Margot, mir immer heftiger zusetzte, so wäre es unbegreiflich, wie eine Leckerey aus der Nähe einer solchen Mar­terkammer den schreckhaften Eindruck derselben in dem Grad schwächen konnte, daß mir auf die letzt die armen Menschen, die dort schmachten, nur noch als entfernte Freunde vorschwebten, auf deren Gesundheit man sich leicht einen Rausch trinkt, da unser machtloses Bedauern, wenn sie auch noch so unglücklich wären, ihre Thränen nicht abtrocknen, und unsre strengste Kasteyung ihre Lei­den nicht heben kann.

 

 

Beziers.

 

 

Den 2ten März.

 

Wie freute ich mich, als ich diesen Morgen Agde verließ, auf den Ort, den ich nun erreicht habe.

 

     Jeder unsrer Geographen, die ich über meine Reise zu Rathe zog, zeichnet ihn durch eine Sentenz aus, die, wäre sie erwiesen, Jerusalem und alle Hauptstädte der Welt demüthigen müßte. Wenn Gott, sagen sie, auf Erden wohnen wollte, würde er Beziers zu seinem Aufenthalt wählen. Die Herren, welche in ihre auf gut Glück zusammengestoppelten Nachrichten diese französische Hyperbel mit deutscher Arglosigkeit aufnahmen, können sie, in den neuen Ausgaben ihrer Handbücher, auf mein Wort weglassen.

 

     Ich erkläre sie geradezu für eine Gotteslästerung, indem ich nicht nur dem höchsten Wesen alle die Eigenschaften, die ihm unser Catechismus beilegt, sondern auch guten Geschmack in einer Vollkommenheit zutraue, die so sehr, als jeder andere Gedanke von seiner Größe, weit über unsere Vernunft geht.

 

     Langmüthiger! vergieb dem kleinstädtischen Gesindel ihren Bürgerstolz, so einfältig sie ihn auch an den Tag geben.

 

     Der Weg, den ich von meinem Nachtlager bis zu dem wackeligen Schreibtisch zurückgelegt habe, vor dem ich alleweile auf einer breternen Bank sitze, verdient jedoch eine ehrenvolle Erwähnung.

 

     Die treffliche Chausse´e, die sich durch eine dürre undankbare Landschaft schlängelt, kommt dem Reisenden – Fußgänger nehm´ ich aus – aufs beste zu Statten. Er hat nicht Zeit, Langeweile zu haben. Sein fortrollender Wagen hat schon alle unangenehme Gegenstände überflogen, ehe das Auge sie fassen kann. So gelangt er – zwar mit drehendem Kopfe, doch ehe er sich umsieht, an das Stadtthor, das nicht nur gerade nach dem zweiten, zu dem man wieder hinausfährt, sondern auch nach dem einzigen Wirthshause hinweist, das Fremde aufnimmt. Diese kluge Anlage befördert die Uebersicht des schönen Ganzen in einem Augenblick. Meine Neugier war auch schon vollkommen befriediget, als ich den Gasthof zum Ortolan am Ende des Städtchens erreicht hatte.

 

     Hier lag nun die Aussicht auf den fortlaufenden Steinweg der nächsten Station zu offen da, um mir nicht Lust zu machen, meine Morgenreise sogleich fortzusetzen.

 

     Da rückte mich aber der Wirth aus meiner bequemen Lage und lud mich zum Frühstück auf einen Spieß der seltenen Vögel ein, von denen einer auf seinem Schilde gemalt stand. So etwas läßt sich nun freilich nicht ausschlagen. Der Mund lief mir voll Wasser. Ich stieg aus und bestellte die Postpferde nach Verlauf einer Stunde. Diese Eile, kann ich mir nicht anders vorstellen, muß den spitzbübischen Kerl beleidiget haben, denn ohne zu entscheiden, ob er mir Sperlinge oder Finken vorgesetzt hat, wollte ich doch, wenn es Noth hätte, vor Gerichte beschwören, daß es keine Ortolane waren. Ich hatte an dem Versuche eines einzigen Flügels genug, schob die Schüssel mit Ekel von mir und, „Glaubt der Herr Wirth,“ fuhr ich ihn an, als er mit schrumpfigen Mandeln zum Nachtisch hereintrat, „daß man einem Deutschen alles weiß machen kann? Hol´ Euch dieser und jener mit Euren Ortolanen und Eurem gotteslästerlichen Städtchen!“ Ich hätte gern meine Worte wieder zurückgehabt, denn kein elender Scribler, der heißhungrigen Lesern unter dem Titel eines komischen Romans ein Buch in die Hände spielt, bei dem ihnen das Lachen vergeht, kann sich ungeberdiger gegen die gelehrten Verräther seines Betrugs benehmen, als sich der Mann gegen meine unpartheiische Recension seines Geflügels auflehnte.

 

     Nun setzt wohl nichts mehr die Galle in Bewegung, als wenn solch ein Unverschämter, dessen elende Kost wir eben erprobt haben, den Stein, der ihn treffen sollte, nach uns zurückschleudert und zu seiner Rechtfertigung unsern Geschmack verdächtig zu machen sucht, wie es sich dieser Sudelkoch gegen meine feine Zunge herausnahm. Bitter und böse über seine so beleidigende Gegenrede, wollte ich eben Bastianen rufen und noch einmal auf die Post jagen, als ich in der Thüre einem Quidam entgegen rennte, der im Begriff war, anzuklopfen. „Um Vergebung – ich habe mich geirrt,“ stotterte er, „ich sah vor dem Hause eine Berline stehen und dachte, sie gehöre einem Herrn zu, den ich täglich und stündlich erwarte, dem Secretär des Herzogs von Bedfort, für dessen Gallerie ich ihm – Lassen Sie Sich nicht stören, mein Herr! – einen Titian verkauft habe.“

 

     „Ich weiß nicht, was ich von seinem Ausbleiben denken soll. Er hat mir nichts auf den Handel gegeben und die Zahlungs=Frist ist nun schon vor drei Wochen verlaufen.“ Meine runzlige Stirn klärte sich auf. „Treten Sie doch näher, mein Herr!“ nöthigte ich ihn in das Zimmer, „mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen? Handeln Sie mit Gemälden?“ „Nein,“ sagte der freundliche Mann, „ich bin hier geschworner Notarius.“ „Einen Titian sagen Sie?“ – „Ja,“ erwiederte er, »eine Venus von ihm und sicher aus seiner besten Zeit. Sie ist als Fideicommiß auf mich gekommen; ob sie aber, nach einer alten Tradition, dieselbe ist, vor der Karl der Fünfte den Pinsel aufhob, will ich nicht mit Gewißheit behaupten, ohnerachtet schon mehrere Kenner die warme Stelle haben angeben wollen, wo er dem Maler von allzustarkem Enthusiasmus entschlüpft sey.“ „Der erste Umstand,“ sagte ich lächelnd, „würde für den Werth des Bildes auch wenig beweisen. Große Herren heben oft Pinsel aus dem Staube, die es nicht verdienen, und lassen bessere liegen, die sie aufheben sollten.“

 

     „Das sind zufällige Dinge, auf die sich ein wahres Genie nichts zu Gute thut, und die selbst als Anekdote in der Geschichte der Kunst von keinem Belang sind. Die Gemüthsbewegung des Künstlers hingegen, von der Sie sprachen, wäre schon bedeutender. Aber dürfen Sie denn, mein Herr! ein Fideicommiß veräußern?“

 

     „Die Verbindlichkeit seiner Erhaltung,“ erklärte er mir etwas weitschweifig, „hört, den Gesetzen gemäß, bei dem letzten Nachkommen des Erblassers auf. Nun kann ich zwar die Familie noch nicht für erloschen ausgeben, da mir eine Tochter geblieben ist, die den besten Willen hätte, sie fortzusetzen, wäre ihrem Freier nur mit einer bloß gemalten Ausstattung gedient. Indem ich aber von dem wenigen Meinen, außer diesem Kunstwerke, durchaus nichts entübrigen kann, so tritt die Rechtsfrage ein, ob ein Vater in meinem Falle seine einzige Tochter der Gefahr, ihren Bräutigam zu verlieren, aussetzen, oder ihrem nicht unbilligen Verlangen nachgeben soll, das Bild der Liebe der Wirklichkeit aufzuopfern? Ich habe den Zweifelsknoten als Rechtsgelehrter erst auf allen Seiten betrachtet und ihn endlich als ein zärtlicher Vater gelöst.“

 

     „Denn kann auch, sage ich, das herrliche Gemälde nach seinem Verkauf nicht auf die künftigen Leibeserben meiner Tochter übergehen, so müßten sie doch, sage ich, vor den Kopf geschlagen seyn, wenn sie mich deßhalb in Anspruch nehmen wollten, da ich doch ehrlicher Weise ihnen zu ihrem Daseyn nicht anders verhelfen kann.“

 

     Ich machte dem schwatzhaften Mann so viele schmeichelhafte Complimente über die Bündigkeit seiner Deduction, und wußte zugleich meine in Geheim aufsteigenden Wünsche so geschickt durch die sehr wahrscheinlichen der bedrängten Schönen zu unterstützen, daß ich ihm bald genug die Erklärung, an der mir am meisten lag, abgelockt hatte: „er wolle nun auch keinen Tag länger auf den saumseligen Bezahler lauern, wenn sich ein Liebhaber fände, der in seinen Kauf träte.“ „Und auf wie hoch, wenn ich fragen darf, haben sie ihn abgeschlossen?“ „Auf tausend kleine Thaler,“ erwiederte er, »eine mäßige Summe für einen Titian, der so gut erhalten ist, als es ein Fideicommiß nur seyn kann; aber, wie gesagt, die bängliche Lage meines armen Kindes“ = = =  „O, diese“ fiel ich ihm ins Wort, „könnte wohl selbst einen so zärtlichen Vater vermögen, noch etwas von jenem Preise nachzulassen, wenn er baares Geld sieht. Nicht wahr?“ Er zuckte mit den Achseln. „Nun darüber,“ fuhr ich fort, „läßt sich noch sprechen, wenn Sie mir erlauben, Ihnen und der Venus meine Aufwartung zu machen.“ „Viel Ehre für beide!“ verneigte er sich. „So darf ich Ihnen wohl folgen?“ fragte ich, „denn länger, als eine gute halbe Stunde kann ich mich hier nicht aufhalten.“ „Das thut mir leid,“ entgegnete er, „und ich kann sonach Ihnen nur noch eine glückliche Reise wünschen, weil ich vor drei Uhr nicht wieder zu Hause seyn kann – nöthiger Geschäfte wegen.“ „Das,“ besann ich mich, „läßt sich wohl noch vergleichen. Die meinigen sind nicht so dringend, um darüber einen schönen Anblick aufzugeben. Ich darf ja nur die Postpferde später bestellen. Nach drey Uhr also, lieber Herr Notar, will ich mich einstellen.“

 

     Er nickte mir bloß mit dem Kopfe zu, ergriff verdrüßlich seinen Hut und ging. Unter der Thür drehte er sich noch einmal nach mir um. „Wenn Sie lange Weile haben, und wollen unterdeß, bis ich zurückkomme, meiner Tochter zusprechen, so steht es bei Ihnen. Die Venus aber kann Ihnen freilich ein Mädchen nicht aufdecken. Der Kellner weiß, wo wir wohnen.“ Er war schon auf der Treppe, ehe ich antworten konnte. Das ist ein wunderlicher Heiliger, dachte ich; erst so gesprächig und nun so kurz abgebrochen! Sollte er denn aus den paar Worten, die ich über den Preis seines Gemäldes fallen ließ, einen Knauser in mir vermuthen, der erst den Vater treuherzig gemacht hätte, um durch jüdischen Handel die Verlegenheit der Tochter zu benutzen, und ihren ohnehin geringen Brautschatz noch zu schmälern? Das möchte, wohl bei andern Käufern der Fall seyn. Nein, ich will nicht zur Ungebühr so preßhafte Personen noch mehr pressen. Das schwör´ ich bei dem Andenken des unsterblichen Titian.

 

     Es wäre doch drollig, Eduard, wenn das abgeschmackte Beziers mir zu einem Kleinod verhülfe, nach welchem ich, seit ich denken und fühlen kann, vergebens geangelt habe. Zum Glück – auch in dem Falle sogar, wenn die mißlichen Umstände eines einzigen Sprößlings den Vater auch nicht zu einem Sous Nachlaß bewegen könnten, – bleibt meiner Kasse noch hinlänglich Kraft, den gebannten Geist des großen Malers aus dem verfallenen Bau des Notars zu erlösen, ohne daß mir, wie gewöhnlich den Schatzgräbern, weitern Fortkommens wegen bange seyn darf. Reiche ich mit meiner Baarschaft nur bis Leyden! Bei einem Freunde, wie mir Jerome ist, habe ich keine Verlegenheit zu fürchten, wenn ich ihm nichts leereres verrathe, als meine Geldbörse!

 

     Wie hat mich doch in diesem Augenblick eine Post=Chaise erschreckt, ehe ich sahe, daß sie durchfuhr!

 

     Es müßte aber auch wunderlich zugehen, wenn der Zufall eben jetzt den erwarteten Secretär in die Quere brächte. Sein Termin ist verlaufen. Es hat drei geschlagen; ich fliege nun meiner Schutzgöttin entgegen.

 

*  *  *

 

Beziers.

 

*  *  *

 

Den 3ten März.

 

Du siehst mich immer noch hier, Eduard, und kannst leicht denken, daß sich, außer meinem wichtigen Handel von gestern, noch andere Dinge eingemischt haben müssen, die meine Abreise von diesem fatalen Ort verzögerten. Die Sache hängt so zusammen. Ich fand den Notar und seine einzige Tochter vor einem großen Topf Chokolate à double Vanille, zu meiner Bewillkommnung. Die Liebesgöttin lauschte hinter einem grünlichen Vorhang, gerade über dem abgenutzten Sopha, auf welchem die Braut saß, deren Jugend und Farbe mir einen sehr billigen Kauf versprach, wenn ich ja in Versuchung käme, bei einem Meisterstücke der Kunst an gute Wirthschaft zu denken. Das gute Kind, bemerkte ich mit heimlichem Vergnügen, hatte ihre Blüthenzeit schon so weit hinter sich, daß es toll und thöricht vom Vater wäre, wenn er noch einen Tag anstände, vermittelst des älteren Fideicommisses dem jüngern Luft zu machen.

 

     Die gar zu höflichen Leutchen verschwendeten einen Schwall ihres Getränkes an mich, das ich, während meine Gedanken hinter dem Vorhange schwebten, aus Zerstreuung hinunter – und dagegen in allem meinem Geäder eine gewaltige Hitze aufjagte.

 

     Um indeß dem Strom einigermaßen entgegen zu arbeiten, der mich, seiner Natur nach, mit jeder Tasse viel weiter nach Paphos zu treiben drohte, als es für den Vortheil meines vorhabenden Geschäfts gut war, benutzte ich jede Gelegenheit, dem vergilbten Mädchen das Glück der Ehe und die Seligkeit verbundener Seelen aufs reizendste vorzumalen. Meine Poesie blieb nicht ohne Wirkung. Ihre Wangen flammten stärker noch, als die meinigen, und sicher ließ sie in ihrem pochenden Herzen jedesmal hundert Livres von dem geforderten Preise nach, so oft ich mich geneigt fühlte, mein Gegengebot um funfzig zu erhöhen. Dieser stillschweigende Handel um ein verdecktes Gemälde ward mir jedoch je länger, je lästiger. Ich mußte alle meine Artigkeit zusammennehmen, um im Beiseyn der verschämten Braut den Vorhang nicht ein wenig zu lüften. Endlich – auf einen bittenden Wink des Vaters, setzte sie die Tasse aus der Hand, rückte den Tisch und entschloß sich, die beiden Herren mit der Venus allein zu lassen. Ich hätte sie, und das will viel sagen, umarmen mögen, als sie mit der dritten und letzten Verbeugung an der Thür, meiner Ungeduld ein Ende machte. Welch eine Erwartung, welch ein köstlicher Augenblick! Der Notar ergreift die Schnur – ich zittere am ganzen Leibe – der grüne Vorhang fliegt seitwärts – meine feurigen Augen, wie Lichter, die schnell in das Dunkle treten, stürzen nach und umfassen nun mit Erstaunen das Gebild, das mich so lange durch seine schamhafte Verhüllung gequält hat. Es liegt vor mir in seiner ganzen weitläuftigen Nacktheit. Und ich – wie vor den Kopf geschlagen stehe ich da, habe nicht das Herz, noch einmal hinzublicken, lache bitter und befrage mich:

 

Dies wäre Sie, die jedes Herz erweichet,

Den Wachenden entzückt, den Schlafenden erweckt,

Die Göttin, die mir noch den besten Kelch gereichet,

Nachdem ich alle durchgeschmeckt? –

Bei allen Heiligen, die jemals mich geneckt,

Bei Lady Baltimor, die der Madonna gleichet,

Bei Margots Reiz, der sich nicht minder unbefleckt,

Gleich einer Lilie, die Zephyr aufgedeckt,

Stolz aus dem Nebel hebt, der nach den Thälern streichet,

Schwör´ ich – Es ist die Braut! vielleicht nur zu korrekt

Nach der Natur gemalt, – denn was hier strotzt und bleichet,

Hält Venus zu Florenz mit scheuer Hand versteckt;

Die Braut ist´s, die im Drang, der aus der Brust ihr keuchet,

Matt wie der Tauben Paar, das ihr zu Füßen schleichet,

     Die Arme nach Erlösung streckt.

Getroffner hat noch nie mich ein Portrait verscheuchet

     Und ein Original erschreckt.

Doch, daß verständlicher noch die Verlockung werde,

Winkt, so wie ehedem dem Wandrer zur Gefährde,

Zu ihrem Räthselspiel, die frevelhafte Sphinx,

Hier zu fast gleichem Zweck mit listiger Geberde

     Ein blinder Junge dir, dem links

Die Rüstung Amors liegt – und nun mit gelber Erde

     Gleich drunter: Titianus pinx.

 

     Hätte mich nicht Zeit und Erfahrung gelehrt, Meister meiner ersten Hitze und meines spanischen Rohrs zu werden, ich weiß nicht, wie es dem geschwornen Notar ergangen wäre. So aber ließ ich es bei einem verächtlichen Blicke bewenden, den ich von der Betrachtung dieser untergeschobenen Venus ausdrücklich für ihren leiblichen Vater aufgehoben hatte. Der Betrug ist zwar grob, berechnete ich in der Geschwindigkeit, den der Unverschämte dir zu spielen gedachte, dafür ist er aber auch, genugsam zwar noch lange nicht, durch den Aufwand von der theuern Chocolate bestraft, um die er sich nun aufs kläglichste in seiner Bettelwirthschaft geprellt sieht. Wohl gar, ging mir ein schreckliches Licht auf, stellte er dir nur darum frey, einige Stunden allein mit dem verschossenen Original zuzubringen, um gegen ein tüchtiges Schaugeld die Aehnlichkeit der Kopie desto besser vergleichen zu können; denn der Kerl ist gewiß jeder Bosheit fähig. In zornigem Stillschweigen nahm ich meinen Hut von der Wand, stäubte ihn ab, während er, ohne daß ich darauf achtete, den Kaufpreis seines Ungeheuers von einem Tausend Livres zum andern heruntersetzte, und eilte, weniger über seinen doppelt mißlungenen scheußlichen Versuch, als über meine Leichtgläubigkeit aufgebracht, die Treppe hinab, denn ich hätte mir doch wohl vorstellen können, daß unsere Stubengelehrten ein solches Fideicommiß, wenn eins hier vorhanden gewesen wäre, wenigstens eben so gern einer Anzeige würden gewürdiget haben, als jene ruchlose Sentenz. Am längsten schlug sich meine bittere Laune mit dem Tüncher herum, der sich erfrecht hatte, den Namen jenes glorreichen Malers auf seinen Schmierlappen zu prägen.

 

     „Du,“ rief ich mit geballter Faust in die Luft:

 

     Du, der des Löwen Haut gleich jenem Esel stahl,

Der dennoch blieb, was er gewesen,

Du Schöpfer meiner Augenquaal,

Wird je dein Name laut, so sey´s im Hospital,

Wo du für dein Gebild die Farben aufgelesen.

Es leihe als Symbol von ihrem Hochzeittag

So lange Trost der männertollen Dirne,

Bis ein verschobenes Gehirne

Den ekeln Brautschatz heben mag.

Erwarte nicht, o Thor! daß deine kranken Tauben,

Die man zu gut an ihren Federn kennt,

Ein Körnchen je des süßen Weihrauchs rauben,

     Der auf dem Herd der Liebe brennt!

Wird wohl ein Wurm wie du, der nach Cytherens Insel

Verweht, ein welkes Blatt aus ihrem Kranz erschleicht,

Ein Genius, dem gern und aus Gefühl vielleicht

Sein Kaiser tief gebückt, den leicht entschlüpften Pinsel

Zum letzten Schattenstrich des Kleinods wieder reicht,

     Das alle andre hebt, wenn's gleicht? –

 

     That ich wohl klug, daß ich noch Galle zu dem Höllengetränke mischte, mit dem der Fidei=Commissar und seine, zu einigem Trost der Durchreisenden, einzige Tochter meine Augen zu bestechen hofften?

 

     Mein armes, dießmal wider Verschulden, gepeitschtes Blut war darüber in eine Wallung gerathen, die mir keine Ruhe verstattete.

 

     Schon seit einer Stunde außer dem Thore meiner unglücklichen Einfahrt hatte ich bereits einen halben Cirkel um das dumme Städtchen geschlagen, als ich gegen alle Erwartung auf einen Punkt stieß, der mich fest hielt.

 

     Ein großer menschlicher Gedanke mit genialischer Kraft ausgeführt – eins der vielen Wunder des Canals von Languedoc, lag gerade vor mir. Ich sah ein Postschiff unter meinen Füßen anschwimmen, das, um seinen Lauf in der höhern Landschaft fortzusetzen, zwei und siebenzig Ellen bis zu meinem Standpuncte heraufsteigen mußte, welches durch sieben Schleußen, die das Wasser zu so viel Stufen anschwellten, in wenig Minuten bewerkstelliget wurde. Während ich nun zusah, wie viele verdrüßliche Gesichter die Barke aussetzte und wie vergnügt die schienen, die sie dagegen einnahm, und bei einem Hinblick auf die Stadt, das eine wie das andere Phänomen sehr begreiflich fand, fuhr mir die Frage durch den Kopf, ob ich nicht auch klüger thäte, die Verdauung der doppelten Vanille auf einem schaukelnden Schiffchen, als in einer Kneipe abzuwarten, wo man Sperlinge für Ortolane giebt? Ich hatte nichts triftiges dawider einzuwenden, als etwa die Besorgniß Bastians, wenn ich über Nacht ausbliebe.

 

     Indem streckte mir ein armer in Ruhe gesetzter Soldat seine dürre Hand nach einem Allmosen entgegen. Sein altes, offenes, ehrliches Gesicht brachte mich auf den Gedanken, ihn zu meinem Botschafter zu brauchen. Nun war er freilich auch lahm dabey, aber nicht so sehr, um einen Weg nach dem Wirthshause zu scheuen; denn er übernahm meinen Auftrag sehr gern und um so williger, da ich auf einer Visiten=Karte, von der ich ohnehin weit entfernt war in Beziers Gebrauch zu machen, für den Ueberbringern einen gleich zahlbaren Wechsel von vier und zwanzig Sous auf meinen Cammer=Cassirer trassirte.

 

     Ich habe schon größere für kleinere Bemühungen an weit lahmere Geschäftsträger ausgestellt, ohne nur halb so viel Provision dabei zu gewinnen, als dieser mir abwarf. Das freundliche dankbare Auge des armen Invaliden für den geringen Verdienst, den ich ihm zuwendete, leitete auch das meine gen Himmel zu jenem großen Banquier, bei dem ich ja, mit Allem, was ich habe – mit dem reichlichen guten Brote, das ich verzehre, so wie mit dem wenigen schwarzen, das ich dem Hungerigen breche, in Schuld stehe.

 

     Diese vorüberfliegende Empfindung, die eigentlich jeden Heller und Groschen begleiten sollte, den wir ausgeben, machte mich in diesem Augenblick reicher und froher, als wenn mir jemand die ächte Venus geschenkt hätte, vor der ein Beherrscher der Welt den Rücken bog. Das Fahrgeld für die erste Station nach Somailles betrug, selbst den Wechsel dazu gerechnet, so wenig, daß ich schwerlich eine andere siebenstündige Zerstreuung wohlfeiler hätte erkaufen können. Meine Unterhaltung in der ersten Stunde möchte ich gern, wenn es nicht zu eitel klänge, auch für die beste halten, denn sie entspann sich in mir selbst. Die mitschiffende Gesellschaft – aus Lappen von verschiedener Güte und Farbe zusammen gesetzt, und die Du mir wohl nicht zumuthen wirst in eine Musterkarte zu bringen, warf dem Ausländer, ehe sie ihn angriff, erst Leuchtkugeln in das Nest, um ihn aufzujagen. Jedes reichte aus seinem Vorrath dem andern ein Stückchen gefärbtes Glas oder Rauschgold zu, um den Ehrenkranz des gemeinschaftlichen Vaterlands noch höher zu schmücken.

 

     Ich gab für die Lust, die sie dadurch mir machten, ihnen dagegen auch gern mein Erstaunen zu ihrem Spielwerke preis, und so war mit wenig gesellschaftlicher Falschheit beiden Theilen geholfen.

 

     Ein jubilirter Fähndrich eines längst verschollenen Freikorps war der erste, der mir auf der Bank mit dem Uebelgeruch seiner hörnernen Dose und einem Mißklang deutscher Worte näher rückte; die einzigen Ueberreste seiner Beute aus dem siebenjährigen Kriege. Trotz ihrer Verstümmelung gaben sie mir doch, so gut als Gresset´s Vert-vert, und bestimmter als es der Redner wohl selbst glaubte, den gesellschaftlichen Ton seiner großen Verbindungen in Deutschland so treu wieder zurück, daß mir die Ohren weh thaten.

 

     Er gedächte noch mit Entzücken, schwor er mir zu, seiner Rasttage zu Meißen, Dresden, in dem Plauischen Grunde und auf dem weißen Stein. Desto unerwarteter, obgleich sehr lieb, war es mir, von jemanden, der die Vergleichung machen konnte, zu erfahren, daß ich mich ganz in der Nähe einer Augenweide befände, die nicht nur jene, wie er sich ausdrückte, nicht übeln Gegenden meines Vaterlands, sondern die prächtigsten sogar seines eigenen, weit hinter sich ließe, die malerische nemlich – unglaublich schöne Aussicht, die ein Bischof von Beziers auf der Terrasse seiner herrlichen Residenz genösse. „Das ist viel gesagt,“ entwischte mir, indem ich im Geiste jene Prunkgefilde der Natur und mein unvergeßliches Sonnenthal überblickte. „Nun so gebe ich mich,“ erklärte er mit militärischem Anstand, »nicht eher zufrieden, bis Sie mir Ehre und Augen verpfänden, daß Sie Sich selbst überzeugen wollen, wie viel zu wenig ich noch gesagt habe.“ Um so ein Versprechen lasse ich mich nicht lange bedrohn. Ich wiederholte es ihm in der Folge noch einmal, weil mir sein fortwährender Bombast über denselben Gegenstand in der Länge verdrießlich ward. „Morgen, wenn ich von meiner Spazierfahrt zurückkomme,“ sagte ich, „soll gewiß mein erster Gang nach der bischöflichen Burg seyn.“ „Setzen Sie ihn nur noch einen Tag weiter hinaus,“ suchte er mich zu bereden, „so bin auch ich wieder zu haben, begleite Sie, und besuche zugleich den dortigen Castellan, meinen leiblichen Vetter, der sein Trinkgeld sauer verdienen soll, dafür stehe ich.“ Es that mir wohl leid, daß mir meine ohnehin zu lange verschobene Abreise von Beziers nicht erlaubte, sein höfliches und so vortheilhaftes Erbieten anzunehmen; beinahe aber thut es mir noch weher, der schönen Natur eine neue Gunstbezeugung abzulocken, die den Eindruck aller jener verwischen soll, an denen mein Herz noch jetzt mit der treuesten Leidenschaft hängt; indeß tröste ich mich mit meinen unersättlichen Augen, die noch überdieß zu Pfand stehen. Williger stimmte ich in die Lobrede ein, die der Schwätzer dem Canal hielt, gab gern zu, daß Deutschland dergleichen nicht aufzuweisen habe, und fand wirklich die Stellen, die er mir im voraus mit Wortgepränge ankündigte, trotz der dadurch gestörten Ueberraschung, jedesmal merkwürdiger noch, als ich erwartete. Das erste Wunder, das ich anstaunte, war ein ausgebrochener Felsen, Malpas genannt, über dessen Rücken Lastwagen rasselten, während die Barke unter seinem kühlen, dämmernden, hohen Gewölbe hundert und zwanzig Toisen auf das lieblichste fortschlüpfte. Einige Stunden nachher warf sich ein reitzendes Thal, wie eine große Smaragd=Schaale, meinen frohen Blicken entgegen. Aus seiner Tiefe stiegen drey ungeheure Bogenmauern in die Höhe, die das Schiff und den Canal gleichsam in der Luft forttrugen, indeß senkrecht unter uns ein Fluß rauschte, eine Heerde Schafe an seinem Ufer weidete, und eine Gruppe lustiger Mädchen sich, ohne Furcht vor unsern Ferngläsern, zum Baden anschickte.

 

     Das süße Lebensgefühl, das in dem Herzen eines auch noch so Unempfindlichen aufwallen muß, der dieß fortlaufende reiche Natur= und Kunstgemälde zum erstenmal erblickt, und das jetzt glänzend aus meinen Augen hervorleuchtete, machte mir die ganze Gesellschaft geneigt, so wenig meine Bewunderung auch Bezug auf sie hatte. Alle setzten bei mir voraus, daß ich von Barke zu Barke bis nach Toulouse fahren, und auf der Route bey St. Feriol aussteigen würde, um den größten bekannten Trichter der Welt zu betrachten. Er schwebe, erklärten sie mir, zwischen drey Bergen, wie aus Felsen gegossen, und enthalte anderthalbmal die ganze Masse Wassers des, vierzig deutsche Meilen durchfließenden Canals, um ihn nach den sechs Ablaß= und Feier=Wochen, die man jährlich seiner Reinigung und Ausbesserung widme, wieder zu füllen. Diese Mittheilung werde mit Hülfe dreyer metallnen Hähne bewerkstelliget, die, wie an einer Thee=Urne, sich aufdrehen ließen, und jenem Wasser=Magazin der erlittene Abgang durch mehrere ihm zugeleitete Bäche in einigen Tagen wieder ersetzt. „Und wer,“ fragte ich, „war der Erfinder und Schöpfer dieses erstaunlichen Menschenwerks?“ „Ein Landsmann und Zeitgenosse des berühmten Pelisson, und nicht nur zur Ehre, sondern auch zum glücklichen Gewinnst für uns,“ riefen sie alle mit innigem Wohlbehagen, „ein gemeiner Gärtner von Beziers, denn der brave Mann ließ absichtlich den Canal einen Umweg nehmen, um seiner Vaterstadt ein großmüthiges Andenken zu hinterlassen. Wäre er gleich nicht in Narbonne geboren worden, werfen ihm die dortigen neidischen Einwohner vor, so konnte er doch als Bürger des Staats, dem er zuerst angehörte, ihm mehrere Millionen ersparen, wenn er dem Wasser, das er in Beziers gezwungen war durch Kunst in die Höhe zu treiben, ein neben uns, schon von den alten Römern hierzu eingerichtetes Flußbette angewiesen hätte. Das ist wohl wahr, stimmten sie alle ein, aber was geht einen Bezierser der Staat an?“ „Ach!“ seufzte ich heimlich, „so hat denn auch jenes große Genie, das nur zufällige Geburt in diesen Winkel verschlug, der kleinstädtischen Denkungsart untergelegen, die hier local ist! – Auch Fauquets Freund – ist es möglich, verwunderte ich mich etwas zu laut, der rechtschaffene Pelisson wäre hier geboren?“ „Ja wohl,“ übernahm der Fähndrich die Antwort, „das hiesige Clima scheint ganz besonders geeignet, vorzügliche Menschen zu entwickeln.“ Ich sah ihn bedenklich an, dachte an den Notar, an den Wirth zum Ortolan, und schwieg.

 

     Desto tiefer bückte sich mein zagender Genius vor jenem Muthigen, der diesen künstlichen Strom ausgoß. Der Gedanke an den Umfang, an die Schwierigkeiten seines herrlich ausgeführten Plans, spannte meine Neugier nur noch höher auf diesen seltenen Sterblichen. Der Freybeuter empfahl sich dadurch sehr bey mir, daß seine geläufige Zunge mir so viel von dessen Geschichte, als er nur selbst wußte, mittheilte. Wie rührte es mich, alle die Kräfte in dem Kopfe eines Mannes ohne gelehrte Erziehung vereinigt zu sehen, die erforderlich waren, um das Zutrauen des klugen behutsamen Colbert zu diesem ungeheuern Unternehmen – die Zustimmung des Königs zu zwanzig Millionen Aufwand, und einen so vollkommenen Sieg über ein Heer von Gegnern und Neidern zu gewinnen. Der Edelsinn Ludewigs erhob mir das Herz, der den Erfinder nicht würdiger zu belohnen wußte, als mit dem vollendeten Werke selbst, das seinen Nachkommen, den jetzigen Grafen von Caraman, jährlich eine halbe Million Einkünfte abwirft.

 

     Dieß thatenvolle Leben beschäftigte meinen Enthusiasmus selbst noch in Somailles, wo wir zur gesetzten Zeit anlangten.

 

Es segne, es segne sein dankbares Land

     Den Namen Riquet – und Welt und Nachwelt verehre

Den Helden, dessen wohlthätige Hand

Zwei ferne, fremde, tobende Meere

     Friedlich mit einander verband!

Die aufgeschreckte Natur warf mit gigantischem Zorne

Felsen, Wälder und Seen in seine romantische Bahn;

Das scheue Chor der Oreaden entrann,

     Als er das große verworrene

     Räthsel zu lösen begann.

Auf dreyßig Stufen vom Manne zum Greise

     Erschritt er den letzten entscheidenden Tag,

Er rief dem Wasser – es kam, es floß im sichersten Gleise,

Und Gondeln flogen zum Ziel der neu erfundenen Reise,

Berg auf und Berg unter, dem Boot ihres Anführers nach.

Da blickte sein Auge zu Gott, und sieh! dem menschlichen Fleiße

Ward göttlicher Lohn; es blickte noch einmal, und brach.

 

     Ja, Freund, es brach, kurz nachher, als er von seiner ersten Probefahrt zurückgekommen war, und die meinigen feuchteten sich an, als ich´s hörte.

 

     Sollte wohl für Reisende irgendwo in der Welt besser gesorgt seyn, als auf diesem prächtigen Canal? Ich glaube kaum. Denn ungerechnet, daß man hier keinen Staub zu verschlucken, für grundlose Wege kein Pflastergeld zu bezahlen, die Grobheiten der Postknechte, den Umsturz des Fuhrwerks und Langeweile so wenig zu befürchten hat, als Zeitverlust, so irrt noch überdieß Dein Auge, wie in einer Gallerie von Claude Lorrain, von einer schönen Landschaft zur andern. Dein Körper schwimmt in dem behaglichsten Gefühl. Für Deinen Gaumen wird schon von weitem das beste Geflügel mürbe gekocht, und geistiger Balsam für Deine arme Seele. Jeder Schuh Wasser, über welchen die vor Wind und Wetter geschützte Barke sanft hingleitet, scheint zu dem Wege, den sie zurücklegen soll, so genau berechnet zu seyn, als die Kette einer Minuten=Uhr.

 

     Wenn Du früh abfährst, siehest Du Dich in eine, zu einem Zweck vereinte, oft sehr gemischte, aber immer muntere Gesellschaft eingereiht, bist der Sorge für den Mittag überhoben, des Empfangs eines freundlichen Wirths an einer schon gedeckten Tafel für festgesetzten mäßigen Preiß, und bei der Landung am Abend, außerdem noch, eines reinlichen Bettes gewiß. Vom Anfang bis ans Ende der Fahrt harren in den Wirthshäusern, bey denen Du anhältst, nicht nur körperlich frische Pferde zum Ziehen des Schiffs – sondern auch untergelegte, geistige, ehrwürdige Kapuziner, die beordert sind, Gott für Deine glückliche Ueberkunft zu danken, und für Dein weiteres Fortkommen bis zur nächsten Kapuzinade Messe zu lesen.

 

     Höher, als bei dieser, ist wohl in keiner öffentlichen Post=Anstalt die Vorsorge getrieben worden. Auch bewies mir der Mönch, der unserm heutigen Abendmal vorstand, die Wirksamkeit des angeordneten Gebets durch einen längeren als hundertjährigen glücklichen Erfolg; denn, sagte er, obschon der Canal täglich und stündlich hin= und herwärts befahren wird, so hat man doch kein Beyspiel, daß auch nur ein Boot seitdem verloren gegangen sey, da hingegen unzählige Schiffe verunglückt sind, als sie noch genöthiget waren, ihren Lauf durch die Straße von Giberaltar, aus dem Aquitanischen – in das Mittelmeer zu nehmen. Ich erregte nicht den geringsten Zweifel dagegen. Die Bewirthung hier gefällt mir so wohl, daß ich den Ortolan keinen Augenblick vermisse.

 

*  *  *

 

Somailles.

 

*  *  *

 

Den 4ten März.

 

Meine Aergerniß über den Notar, seine orangenfarbene Tochter und ihr Hochzeitgemälde ist verschlafen, und Bastian, wenn ich auch nicht mit der Frühbarke abgehe, klug genug, die wahre Ursache meines längern Außenbleibens nothdürftig zu errathen. Ich liebe ganz besonders dergleichen unruhige und doch wohl eingerichtete Wirthschaften, wie ich hier finde. Die Zeit wird mir keinen Augenblick lang. Ich sehe dem Aus= und Einsteigen der Ankommenden und Abgehenden, wie einer Theater=Veränderung mit Vergnügen zu – verplaudere mit jenen einige Stunden, ohne es sehr zu achten, wenn mir diese aus den Augen verschwinden. – Geschichte des menschlichen Lebens in einem gedrängten Auszuge! – Ich darf mir nur noch den Fortgang der Welt mit immer neu aufgepackten Zeitgestalten unter dem Sinnbilde eines Canals vorstellen, so habe ich eine moralische Betrachtung, so gut, als eine mit Kupfern. Zufrieden indeß mit der kleinen Probe, die ich gemacht habe, ist mir, nach ruhigem Nachdenken, die Lust vergangen, des edeln Riquet Erfindung, außer eben jetzt zu meiner Rückreise, für das weitere zu benutzen.

 

     Ich verkenne zwar keinen der Vortheile, die sie Reisenden, unter andern Umständen, als den meinigen, gewährt; für mich aber, der keine Fracht zu verfahren hat, als die unbedeutende seines eignen Selbsts – der sich ungern an den Glockenschlag bindet, und immer mit Helvetius fürchtet, daß uns schon dadurch ein Mensch verhaßt werden könne, wenn man ihm lange gegen über sitzt, taugen alle Fahrzeuge um so weniger, je richtiger sie ihre Stunden halten, und je bunter sie besetzt sind. Da ich vollends gelegentlich erfahren habe, daß die Postschiffe zehn Tage auf denselben Weg verwenden, den ich zu Lande in dreyen zurückzulegen hoffe, so thue ich ohne weiteres Bedenken Verzicht auf die Ehre, mit dem Wasserbecken zu Feriol und dem größten Trichter auf Gottes Erdboden Bekanntschaft zu machen. Man käme schon von einem Frühlings=Spaziergange in seinem Leben nicht nach Hause, wenn man nicht manches Merkwürdige vorbeyzugehen gelernt hätte.

 

     Mit der Terrasse des bischöflichen Sitzes ist es etwas anders; diese liegt mir, so zu sagen, unter den Händen. Ich brauche ja nur ausgeruhte Füße und helle Augen, um diesen Solitär nach allen seinen Facetten zu betrachten. Kein Kenner des Wahren, Schönen und Großen, sagte der Fähndrich im Romanenstyl, kann ihn unbesehn lassen, ohne ein Majestäts=Verbrechen gegen die wundervolle Natur zu begehen. Ach, seitdem mich die Puppenspieler von Agathens Seite aus St. Sauveurs Landsitze versprengten, habe ich das Seelenbedürfniß des Anschauens in seinem ganzen Umfange entbehrt. Desto wohlthätiger werden mir morgen meine Frühstunden verstreichen. Ein halber Tag länger in Beziers ist freilich ein hoher Kaufpreis; wer wollte aber ein Juwel deßwegen, weil es schlecht gefaßt ist, vernachlässigen? Indem sah ich, daß mich das Gebet des Mönchs glücklich an den Ort meiner Abfahrt gebracht hatte. Möchte es mir doch eben so glücklich von ihm wieder forthelfen! Kaum war ich aus der Barke gestiegen, so stürzte mir Bastian mit einem „Gott sey gelobt,“ an den Hals, „daß Ihnen der Schrecken, nichts geschadet hat!“ „Was für ein Schrecken?“ fragte ich. »Nun? mit dem tollen Hunde,« erwiederte er, »hier herum muß ja wohl die Stelle seyn, wo er, so glücklich für Sie, mein guter Herr, noch zur rechten Zeit den Schlag vor den Kopf erhielt.“ „Hast du deinen verloren?“ spöttelte ich und ging meinen Weg nach dem Gasthofe zu, ohne weiter auf sein Gewinsel zu hören. Hier aber begann es von neuem: „Der ehrliche Invalide! Welche Dienste muß er nicht ehemals dem Vaterlande geleistet – was für einen Säbel geführt haben, da er jetzt noch mit seiner Krücke so gut trifft!“ Ich blickte den Schwätzer mit großen Augen an. „Sie hätten aber auch nur,“ fuhr er fort, „die innige dankbare Freude des armen Graukopfs sehen sollen, als ich ihm nach Ihrer Anweisung das Goldstück einhändigte.“ „Nach meiner Anweisung?“ fragte ich, „weise sie doch her!“ Ich drehte mich mit meiner Visiten=Karte nach dem Fenster, sah mit Verwunderung meine eigenhändige Schrift vor mir, und trällerte, um Bastianen keine Verlegenheit merken zu lassen – Gott weiß was für ein Liedchen – das aber sicherlich keins zum Lobe Beziers und der Physiognomik war, denn – kannst Du denken! der lahme bettelnde Soldat, dessen offenes Gesicht mich gestern so weich machte, hatte meine ihm zum Botenlohn verschriebene Schuld von vier und zwanzig Sous mit derselben dürren Hand, die er mir zitternd entgegenstreckte, und einer Geschicklichkeit ohne Gleichen, in so viel Livres verfälscht, die der arglose Bastian und mit tausend Freuden, wie er mir versicherte, auszahlte, ja nebenher noch eine Flasche Wein auf die Gesundheit des geretteten Menschenverstandes seines armen Herrn mit dem Helden ausleerte. „Daran hast du sehr wohl gethan!“ sagte ich, – „warum batst du ihn nicht auch noch heute zum Abendessen; denn käme er mir jetzt unter die Augen, ich wollte ihm wohl meine Erkenntlichkeit noch thätiger beweisen. Hier hast du deinen Rechnungs=Beleg wieder. Ich hoffe, es soll keiner dergleichen mehr vorkommen.“ „Dazu gebe ja der Himmel seinen Segen!“ seufzte Bastian, indem er mir das Schreibzeug zurecht setzte.

 

     Will ich auch des lieben Gottes nicht weiter erwähnen, der Beziers, das wiederhole ich dem Herrn Hübner und Krebel zum letztenmal, so wenig, wie ich, zu seinem irdischen Aufenthalt wählen wird – so wohnt doch immer ein Statthalter von ihm, ein Bischof da, der, dächte ich, wohl vor allen Dingen seiner diebischen Gemeine das siebente Gebot näher, als es das Ansehen hat, an´s Herz legen sollte; aber eben erfahre ich vom Wirth, mit Nebenumständen, die mich so giftig machen, als ob mich wirklich ein toller Hund inoculirt hätte, daß der Hirte dieser räudigen Heerde seine schöne Terrasse sogar, nie als einige Tage zur Frühlingszeit in Amts=Verrichtungen besucht, die seine Gegenwart erfodern.

 

     „Der Zutritt zu jenem Weltwunder,“ erzählte er weiter, „wäre zwar gegen ein Gratial jedem Durchreisenden vergönnt, aber nur nicht vor zehn Uhr des Morgens; so lange schlafe der gnädige Herr in Paris und sein Castellan hier.“ „Nun, Herr Wirth,“ schrie ich ihm dagegen in die Ohren, „so bestelle er mir die schon einigemal recht schändlich abgesagten Postpferde auf Morgen desto pünctlicher mit Anbruch des Tages, denn ich mag in diesem mir höchst fatalen Ort keinen weiter verlieren.“ Nach dieser, wie ich glaube, deutlichen Erklärung flüchtete ich, ohne mich weiter so wenig um ihn, als um die bischöfliche Burg und meine verpfändeten Augen zu bekümmern, voll Bosheit ins Bette.

 

*  *  *

 

Beziers.

 

*  *  *

 

Den 5ten März.

 

Und stehe jetzt in einer zehnmal ärgeren – in einer wahren ruchlosen Stimmung wieder auf; denn ich möchte mich gern dem Teufel übergeben, um mich von hier wegzubringen, wenn ich so gut Freund mit ihm wäre, als Doctor Faust.

 

     „Warum hätte ich denn Sie und Ihren Cammerdiener,“ überschrie der Kerl meine Flüche, als er nach neun Uhr vor mein Bette trat, „um nichts und wieder nichts aus dem süßen Schlafe rütteln sollen, da, so hören Sie doch mir! vor Nachmittags keine Postpferde zu haben sind. Was verlieren Sie denn dabey? Sie sind ja hier gut aufgehoben, und können nun die Residenz, die Bilderkammer, den Hausschmuck und die Terrasse von Monseigneur nach aller Bequemlichkeit besichtigen; denn ehe Sie mit Ihrem Frühstücke und Anzuge fertig werden, ist der Castellan munter.“

 

    Der Mensch blieb mir unausstehlich, er mochte vorbringen, was er wollte. Ich wies ihm die Thür, ging dreymal die Stube auf und ab, und wiederholte, wie jener Kaiser, das A. B. C. um über meinen Ingrimm Herr zu werden. Ich ward es, und machte mich um zehn Uhr auf den Weg. Alleweile, da ich zurückkomme, ist es zwey Stunden über Mittag. Mein aufgewärmtes Essen habe ich dahin gewiesen, wo es herkam; denn ich mag nicht eher wieder essen, trinken und mich sonst nach einer Freude umsehen, als in Castelnaudari. Dort in dem trefflichsten Gasthause der ganzen französischen Monarchie, wie die Kenner behaupten, hoffe ich wieder Freundschaft mit mir selbst zu stiften und während eines herrlichen Frühstücks Dir den Pallast, die Terrasse, die Zimmer und Gemälde des Bischofs und seine persönlichen Amtsverrichtungen so poetisch zu beschreiben, als sie es verdienen. Habe ich doch über den heutigen halben Tag und die folgende ganze Nacht zu gebieten, um in meiner lieben heimlichen Berline, die ich eben nach langem Stillstand wieder begrüßen und nicht eher, als vor dem Thore jenes berühmten Hotels verlassen werde, meine schönen Rückerinnerungen in Musik zu setzen.

 

*  *  *

 

Castelnaudari.

 

*  *  *

 

Den 6ten März.

 

Keiner von allen mir bekannt gewordenen Wegen der Welt ist mir weniger langweilig, reitzender und ebener vorgekommen, als der mich aus dem Fegfeuer zu Beziers in das Paradies, das ich nun glücklich erreicht habe, gebracht hat.

 

     Ich ward in den funfzehen Stunden, die mich, ungeachtet meiner elastischen Chaise, umsonst in den Schlaf zu wiegen suchten, immer munterer, je mehr sich der eine Ort entfernte, der andere näherte. Ach wie wünsche ich mir die drey letzten Tage zurück, um sie meinem dermaligen freundlichen Aufenthalte zulegen zu können! Mein sinnlicher, so lange unbefriedigter, nun desto begehrlicherer Mensch, wie festlich wird er nicht sein Heute verleben!

 

     Das moralische Ich soll hoffentlich zusehen, und ihm, wie der ältere Bruder dem jüngern, seine kindische Freude nicht mißgönnen.

 

     Hätte mir auch nicht Phöbus seine abgeschnallten Flügel zum Rückflug nach jenem Prälaten=Sitz nur für die vergangene Nacht geliehen, diesen Morgen gäbe ich sie ihm ohnehin wieder; denn so umringt von den köstlichsten Leckereien, mein Tagebuch vor mir auf einem Tische von Purpurholz, wie könnte ich mich mit einer Zeile mir befassen, die das geringste Nachdenken – einen Gran Menschenverstand mehr erforderte, als den – eines Abschreibers.

 

     Ich nasche bald von diesem, bald von jenem Gerichtchen meines auserlesenen Frühmals, während es meine Feder allein ist, die Dir erzählt und den Wohlklang unverändert zurücktönt, den ich unter dem Mondschein der schnell verflogenen Nacht meinem Silberstifte einblies.

 

     Ich zog einen großen Thaler aus dem Beutel, um mir freien Zugang in das geistliche Storchsnest zu erkaufen. Unterweges kam mir zwar einigemal die Lust an, ihn wieder einzustecken, und lieber meinen Besuch dem Posthalter zu machen, mit dem ich immerfort in Gedanken über seine schlechten Anstalten zankte. „Bist du nicht hier,“ redete ich mir ins Gewissen, „schon auf das erbärmlichste in deinen Erwartungen getäuscht worden, und kannst dennoch deine Wetterfahne aufs neue dem Winde eines Großsprechers preis geben, der wohl nicht ohne Ursache abgedankt, vielleicht hoffte, mit deinem Trinkgelde näher noch verwandt zu werden, als er es mit dem Castellan ist. Unglückliche Neugier, die, sogar bei dem Betruge, den sie ahndet, sich nicht abhalten läßt, ihn aufzusuchen!“ – Unter diesem fortwährenden Tadel eines jeden Schritts, den ich that, erstieg ich nichts desto weniger die Anhöhe, stand noch eine Weile unentschlossen vor dem verriegelten Thore, ehe ich anklopfte. Endlich – verzeih' es Freund, wenn mir jetzt ein gemeiner, kahler Soldatenfluch entfuhr, »der Teufel!« hob ich an,

 

 

Verzeih´ es, Freund, wenn mir jetzt ein gemeiner kahler

Soldatenfluch entfuhr. „Der Teufel!“ hob ich an,

Gleich einem Korporal, der nach der Kegelbahn

Den Rest der Löhnung trägt, „der Teufel hol den Thaler!«

Und schlug mit ihm an´s Thor. Kaum war es aufgethan,

So streckt´ auch schon ein Kerl, der einem trunknen Prahler

Mehr glich, als einem Kastellan,

Die hohle Hand darnach. So schnell als er voran,

Trabt´ ich nun hintennach. Mercuren selbst, im Wandern

Geübter doch als ich, zog nicht sein Schlangenstab

Zum Ida schneller hin, als nun Trepp´ auf Trepp´ ab

     Von einer Gallerie zur andern,

Bald zu des Bischofs Thron, bald zu des Bischofs Grab

Mich dieser Unhold zog. An allem blieb er kleben,

Was je die Pracht mit ihrem Vogelleim

Bestrich, was je Geschmack und feine Art zu leben

Der Armuth nimmt, um es dem Stolz zu geben;

Und kein Gemach war so geheim,

Er ließ nicht ab, trotz meinem Widerstreben,

     Den letzten Umhang aufzuheben.

Vorzüglich aber schien der schmucke Bildersaal,

Sobald er ihn betrat, sein Kunstgefühl zu wärmen.

Die großen Worte: Ideal,

Helldunkel, Schmelz und Kraft, die leider überall,

Von Leipzig bis Paris, uns um die Ohren schwärmen,

Durchwirbelten die Luft, vom nächsten Wiederhall

Zum fernsten, wie ein Feuerlärmen.

Mein Auge galt ihm nichts, es mußte nach dem Staar

Des seinen duldsam sich bequemen,

Hier Venus und Adon für unser Aeltern-Paar,

Dort das verbuhlte Weib des Königs Potiphar

     Für ein Marienbild zu nehmen.

Zog Herrmanns Schlacht und Sieg, von Rubens deutsch und frey,

(Gleich unsrer Nation, in halb verschoßnem Lichte)

Dem Kenner ausgestellt – zog wie ein Schandgedichte

Die Nacht des Bluts und der Verrätherey

Des niedrigsten gekrönter Bösewichte,

Als Gegenstück mein wüthend Auge bey,

So fragt´ er mich, ob eine Weltgeschichte

Von überschwenglicherm Gewichte

     Als Galliens Annalen sei?

Zog dort auf Heinrichs Stirn das himmlische Entzücken,

Ein Volk, das ihn verwarf, vergebend zu beglücken –

Zog Ludwigs *) edle Bildung hier,

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*)          Ludwig der Funfzehnte, den man als le roi des ponts des chaussées pries. ___________________

Der sein ererbtes Reich, (ihm lohne Gott dafür!)

Statt mit Trophäen es zu schmücken,

Mit festen Straßen, – schönen Brücken

Verherrlichte, des Auges Neubegier,

Auf ihre Glorie zu blicken:

So jauchzte mein Kompan, und sein Gehirn kam schier

In die Gefahr sich zu verrücken,

So sagte mir sein Händedruck, wie gut

Ihm der Gedanke that, die Schelsucht eines Deutschen

Durch den, einst nur dem Ruhm und nur dem Heldenmuth

Geweihten Lorbeerhain der Gallier zu peitschen,

In dessen Schauer jetzt, abschreckend wie die Brut,

Die nur von Moder lebt, der Ahnen=Dünkel ruht.

Kraft seiner Eigenschaft, das Schöne zu bemerken,

Sah er mich höhnend an, wenn ich der Schwermuth Hang

Mich überließ, die sanft aus Poussin´s Meisterwerken

Dem Mitgefühl entgegen drang,

Und bot mir seine Hand, um mich zum Uebergang

Nach Watteau´s Maskenball zu stärken,

Und kroch drauf mit Lebrün dem Dragonaden=Zug

Des Feldherrn nach, der, glaub´ ich, aberklug

Vom Sonnenstich, im Namen Gottes

Den Nußstrauch um die Spur der Ketzerei befrug,

Und die sein Schwert nicht traf, mit Wünschelruthen schlug; *)

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*)          Le Maréchal de Montrevel avoit fait venir de Lyon un homme, qui devoit découvrir les Camisards par le moyen de la baguette divinatoire. Cette baguette tourna sur dixhuit personnes, qui furent amenées à Alais. Dan quel état est le peuple, lorsque lw Gouvernement emploie les manoevres d´un fourbe, et que le soupçon devient la preuve du crime ?

     Histoire abregée de la Ville de Nimes. pag. 127.

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Indeß von ihm gewandt, im Zauberkreis des Spottes

Mein Blick den Raum durchstrich, wo Coypels Dichterflug

Die traurige Gestalt des bessern Donquixotes

     Ins Pantheon der Narren trug.

Schon sah ich über mir den halben Tag verschwunden

Und fiel, dem Ueberdruß der Kunst kaum losgewunden,

Mit jedem weitern Schritt in neuen Ueberdruß;

Denn dieser Peiniger, den mir des Schicksals Schluß

An meine Fersen festgewunden,

Ach dieser Brutus meiner schönen Stunden

Berauschte sich, wie´s schien, in meinem Ungenuß.

Gott, welch ein Trauerspiel! Bald fiel es in das Grasse.

Denn, war vor Ihm in meinem Hasse

Gleich noch so hoch kein Sterblicher gedieh´n,

Hatt´ ich doch, wie Linnée, den Tiger in die Classe

Der Katzen nur gesetzt, ihm Krallen nur verliehn.

Jetzt stieg Er schwärzer auf in meinen Phantasien.

Denn, als nach manchem Saal, im prächtigen Gelasse

Der Ritterzeit – nach manchem Baldachin,

Die Ihn so blendeten, daß er den Hut zu ziehn

Nicht widerstand, nun endlich die Terrasse,

Nach der ich längst geseufzt, erschien,

Denk mein Entsetzen Dir, dann erst erkannt ich Ihn

Für Jenen, den mein Mund beym Eintritt von der Gasse

So frevelhaft citirt. Glüht nicht dem Satanasse

Mein Aufgelb in der Hand? Was sollt' ich thun? Entfliehn?

Zu spät, Er hielt mich fest, warf schreckliche Vergleiche

Mir in den Weg, wies mir den Unterscheid

Von mir zu seinem Herrn – geweiht und nicht geweiht

Fürst oder nichts zu seyn – und zeigte mir die Reiche

     Der Welt und ihre Herrlichkeit.

Leis rief ich: „Hebe dich von hinnen! Ich gelobe

Dir nichts als meinen Fluch.“ Da wirbelte die grobe

Verworfne Faust zwo Stiegen mich hinab

Zu der, dem Pallium, dem Kreuz, dem Hirtenstab

     Und Bischofshut geweihten Garderobe.

Und als ich seinem Wink mich dennoch nicht ergab,

Zog er mein schwächstes Theil, mein Herz noch auf die Probe.

Zwei Flügel sprangen auf. Ein Duft von Rosen brach

Aus einem Himmelbett, grün, wie ein Laubedach,

Zu räumig nur für einen einzeln Christen.

„Ist hier der Hain,“ rief ich, „wo Amors Tauben nisten?

Wohin bin ich versetzt?“ Und der Versucher sprach:

     „In des Prälaten Schlafgemach!“

Hier, wo die Grazien nicht nur in Marmor=Büsten,

Nein, Töchter auch des Lands in jungfräulichem Licht

Zur Zeit der Firmelung sich ihm entgegen brüsten,

Stürzt Er – nicht wie ein Spatz auf Kirschen nur erpicht,

Die keinem andern Spatz den Schnabel schon versüßten –

Er stürzt – wie Jupiter mit göttlichen Gelüsten

Zur Ruh auf Ledens Schooß durchs Empyreum bricht –

Aus seinem Wolkenbett. Nach schlauer Uebersicht

Der holden Kinderchen, die aus dem Schlaf ihn küßten

(Dieß ist ihr Eingangs=Zoll ins Prälatur=Gericht)

Wählt Er ein Gänschen aus, mit Schwingen, die noch nicht

Sich so heroisch blähn, als ob sie längst schon wüßten

Nie sie mit wogendem, dankbarem Gleichgewicht

Den Segen seiner Hand gerührt erwiedern müßten.

Je mehr ihr Wellenspiel ihm in die Augen sticht,

Je höher schlägt sein Puls, und schnell begeistert spricht

Sein Mund: Gegrüßt seyd mir, die mich zuerst begrüßten,

Die keinem Laien noch, aufs Irdische erpicht,

Ins Reich der Finsterniß den breiten Weg versüßten.

Als Seraph´s Fittige treibt mich jetzt Hirtenpflicht,

Sie für das Paradies bischöflich auszurüsten.

Zum Schwung fehlt ihnen nichts, als etwa Unterricht

Im hohen Lied – Mein Kind, kennst du dies Lehrgedicht?

Sie nickt. „Verstehst es auch?“ Er hört mit Wohlbehagen

Ihr kindisch Nein – er hört, daß vor den Ostertagen

Sie schon der Ruth´ entwuchs, und drum der Schul´ entfloh.

Weil der Präceptor dort – – Sie hab´ es Scheu zu sagen,

Wenn sie im Lesebuch ein A mit einem O

Vertauscht – „Still!“ fällt er ein, „Laß lieber, statt zu klagen,

Mich deine Augen sehn – Scheust du sie aufzuschlagen,

Weil sie zu feurig sind? Ich bin ja nicht von Stroh.“

„Nun dabey,“ lächelt sie, „habt Ihr nicht viel zu wagen.“

Sie läßt drey Blicke los – nur drey – und lichterloh

Brennt schon sein Hirtenstab, sein Hermelin am Kragen,

Und jede Trottel brennt an seinem Domino.

„Jetzt,“ lallt er, „wird es Zeit, den Seraphs nachzujagen.

Du weißt nicht wie? Wohlan, sieh dich nur um, wie froh

Auf jener Schilderey ein Gänschen ohne Zagen

Den Götterschwan umhalst, sieh, wie es seine zwo

Schwungfedern spreitet, um … um über alle Plagen

Der Welt sich stracks mit ihm in´s Paradies zu tragen,

Auf welches Mensch und Thier, gebildet oder roh,

Ein jedes Weltgeschöpf mit Herzen, Kopf und Magen

Gleich hohen Anspruch hat.“ Erschrocken fragt sie, „Wo

Liegt denn – wo sucht Ihr denn das Pa…“ und sinkt im Fragen

Mit einem Laut als säng sie ein Adagio,

Sanft in sein Schwanenbett, wo Klügere schon lagen,

Die jetzt, als Heilige, weit über andre ragen.

„Ach Hoch – ehr – würdger Herr,“ stöhnt sie, „beym Salomo

Bitt ich – beschwör ich Euch – wollt Ihr mich denn zernagen?

Ist´s möglich! Firmelt Ihr denn alle Mädchen so?“

Doch wird ihr Gänsgeschrey allmälig durch das süße

Und hohe Lied des Schwans gedämpft und überstimmt,

Kaum fühlt sie, wie die Welt ihr aus dem Blcik verschwimmt,

Als sie an seinem Hals den Flug zum Paradiese

Nicht scheuer als ein Seraph nimmt.

     „Gott strafe den Tartüf!“ rief ich. Durch diese Worte

Erschreckt, hob der Verführer sich

Schwarz, wie der Dampf aus einer Gift=Retorte,

Von mir hinweg, zugleich umglänzte mich

Ein Strahl von obenher. Mit Beben zwar, durchschlich

Mein Fuß die grause Burg, doch bald an offner Pforte,

Schlug ich ein Kreuz vor und entwich.

 

*  *  *

 

     Wie ich athemlos in meine Stube trat, schlug Bastian die Hände über den Kopf zusammen. „Ach mein Herr!“ schrie er laut auf, „was ist Ihnen begegnet? Blaß wie eine Leiche, und die Stirne – voller kalten Schweißtropfen!“ „Laß das“ – schöpfte ich nach Luft – „gut seyn – Nur geschwind frische Wäsche und einen andern Rock! Durchräuchere die ausgezogenen, und mache um des Himmels Willen, daß wir fortkommen! Ich habe – Gott, wie zittere ich! – Ihn, dem ich mich heute zu deiner großen Aergerniß mehr als einmal übergab – ja, Bastian, ich habe den leibhaften Teufel gesehn.“ „Ach lieber Herr!“ trat mir Bastian näher, „wie könnten Sie? – – Sie waren ja in der Wohnung eines Prälaten!“ „Thut nichts,“ antwortete ich mit heiß´rer Stimme, „den ganzen Morgen, kannst du mir glauben, bin ich in seiner Gewalt gewesen!“ „Nun so erbarme sich Gott!“ jammerte der arme Schelm, und schmiegte sich mit klappernden Zähnen so fest an mich, als ob der böse Geist hinter ihm, und er vor dem Bilde seines Schutzpatrons stände. Genug, Eduard, ich so wenig, als mein abergläubischer Kammerdiener, wurden unsere Rückenschauer eher los, als da wir, von unserer fortrollenden Berline aus, die Thurmspitzen von Narbonne erblickten.

 

     Hier erfuhr ich beym Umspannen, daß seit vier und zwanzig Stunden keine Post weder hin- noch herwärts, und auch eben so lange, gab mein Führer sein Wort dazu, kein Pferd in Beziers aus dem Stalle gekommen wäre. Ein neuer, aber überflüssiger Beweis von der Wahrheitsliebe und Redlichkeit des Ortolan=Wirths; denn seine, für nicht genossene Gerichte, für nicht getrunkene Weine mir zugeschnellte Rechnung, die ich noch warm in meiner Tasche, so wie er mein Geld dafür in der seinigen hatte, sprachen ohnehin laut genug. Aus wahrem Vaterlands=Gefühl warne ich meine Mitbürger, die etwa nach mir diese Gegend bereisen, sich ja, weder durch unsere deutschen Wegweiser – durch das anlockende Schild der Herberge – durch Fideicommisse und ehrliche Gesichter, noch durch die bischöfliche Terrasse zu einem längern Aufenthalt in diesem blasphemischen Städtchen verführen zu lassen, als etwa der Postwechsel nöthig macht; und besonders die Bespannung ihres Fuhrwerks selber zu bestellen, damit sie geschwinder, als ich armer Betrogener, in das Castell des Wohllebens gelangen, dessen Vorzüge vor allen andern Kosthäusern des Reichs ich, mit Deiner Erlaubniß, stillschweigend und in meinem Tagebuche zum erstenmal, gleich einer zarten Empfindung, die sich nur fühlen, aber nicht beschreiben läßt, übergehe. Der Ehrenmann, in der weitesten Bedeutung des Worts, der in der Kürze eines halben Tages der herrlichsten und wohlfeilsten Bewirthung das Dankgefühl meines Daseyns höher hinaufgetrieben hat, als alle die Summen, die ich von Jugend an darauf pränumerirt habe, wie freundschaftlich greift er mir nicht, selbst bey unserer Trennung, unter die Arme, wie verschieden von jenem Sudelkoch, dem die unverschämteste Lüge glatt über die Zunge ging, um mich noch einen Tag länger rupfen zu können. Hier trat der Fall wirklich ein, den jener nur vorgab; Bastian hatte sich diesmal mit eignen Augen überzeugt, daß der Poststall leer stände. Da trat aber mein heutiger Wirth auf das edelste dazwischen, um die Schwierigkeit zu beseitigen, und seine Vermittelung half mir nebenbei zu der unverhofften Bekanntschaft eines für mich sehr merkwürdigen Orts.

 

     „Wenn Sie,“ sagte er, „einen geringen Umweg, und das Nachtlager auf einem Dorfe nicht zu sehr scheuen, so biete ich Ihnen meine eigenen vier tüchtigen Wallachen an – denn es sind Normänner, – die Sie auf einem viel bequemern Wege, als die Poststraße über Carcassone ist, morgen bey guter Zeit nach Toulouse bringen sollen.“

 

     „In Ihrem Hause, lieber Mann,“ antwortete ich, wie es mir um´s Herz war, „wollte ich ganz geduldig selbst noch einige Tage auf die Zurückkunft der Postpferde warten; aber auf der andern Seite möchte ich doch nicht gern darüber auf bessern Weg und vier Normänner Verzicht thun. Wo meinten Sie, daß ich übernachten soll?“ „In einem zwar unansehnlichen kleinen Dörfchen, das aber,“ erklärte er mir, „das Stammguth eines zu seiner Zeit berühmten Schriftstellers war, und auch seinen Namen führt, Montesquieu.“ – Das war doch einmal ein Wort, Eduard, das sich hören ließ. Kaum war es ihm über die Lippen, so dachte ich weiter nicht an mein körperliches Wohlbehagen, und nahm seinen Vorschlag mit herzlicher Freude an. Er verließ mich, um sogleich Anstalt zu machen, indeß ich meine Landcharte aus einander schlug, und meine Augen in der Gegend nach dem anziehenden Orte herumschickte. Ich fand einige, als Zollstätte, mit einer Fahne, – andere, als bischöfliche Residenzen, mit einem Sternchen, und einen mit zwey sich kreuzenden Schwerten zum Merkmal bezeichnet, daß in seiner Nähe eine Schlacht vorgefallen sey; dem Ort aber, wo der große Mann geboren war, lebte und schrieb, hatte mein geographischer Handlanger nicht einmal seinen Platz auf dem Erdboden gelassen, geschweige ihn eines Ehrenzeichens gewürdiget. Der jovialische Hausherr ließ mir nicht Zeit, mich darüber lange zu ärgern. „Hier bringe ich Ihnen,“ trat er ein, „zum Abschied noch eine Flasche des guten Weins, der auf den Bergen zu Montesquieu reift; sonst kauften ihn die Engländer aufs theuerste uns vor dem Munde weg, aber seit dem Tode des gelehrten Präsidenten fragen sie nicht mehr darnach; jetzt steht er um die Hälfte im Preis, ob er schon noch immer von derselben Güte ist.“ „Das thut mir leid um die Engländer,“ sagte ich, und nahm ihm das volle Glas ab. „Sie sollen,“ trank ich ihm die Gesundheit zu, „zum Vergnügen aller Reisenden, noch lange leben, Herr Wirth von Castelnaudari! Sie wissen nicht, wie elend es mir drey Tage nach einander gegangen ist, ehe ich hier ankam. Sie haben mich mit einem einzigen Frühstück vollkommen wieder hergestellt, und wären Sie nicht klüger, als meine Landkarte, so hätte ich, wie andere, auf der ordinairen Poststraße fortrumpeln müssen, ohne nur zu ahnden, daß der Geburtsort des Mannes, den ich vor allen andern schätze und liebe, mir auf dem Seitenwege in der Nähe lag. Wenn man von gottesvergessenen Menschen so mürbe gemacht wird, als ich in Beziers, wie empfänglich ist dann nicht unser Herz für alles Gute, das uns bessere zufließen lassen!“

 

     Ich schüttete gegen meinen heutigen Wohlthäter alle mögliche Floskeln des Danks um so verschwenderischer aus, als er mir es in wenig Stunden von mehr als einer Seite her geworden war, und bestieg dann meine Berline mit einer gewissen stolzen Selbstzufriedenheit, da ich sie zum erstenmal mit vier prächtigen Normännern, die keinem königlichen Einzuge Schande machen würden, bespannt sah. Dergleichen erborgte Empfindungen halten indeß bey einem verständigen Jünglinge nicht lange an, der die vergangene Nacht über guten oder schlechten Versen verwachte, einen Feldweg, wie von grünem Sammt bezogen, vor sich, kühlende Zephyrs im Gesicht, ein weiches Kissen unter seinem Kopf liegen hat, und auf Stahlfedern sitzt. Auch war meine heutige Reise ganz dem süßen Taumel ähnlich, mit dem vormals das Wiegenlied einer lieben Amme meine Kindheit beseligte, und der nicht eher verging, als da der Kutscher Abends sieben Uhr mit dem Zuruf: Herr, wir sind in Montesquieu! vor einem Schindelhäuschen still hielt.

 

     Wie lieblich schlägt solch ein Klang an jedes gute menschliche Ohr! Er erweckt, wie eine Kirchenglocke, Gedanken der Andacht – erinnert an die Veredlung unsers Geschlechts – an den wohlthätigen Geist der Gesetze – an öffentliches und häusliches Glück.

 

     Das wohl! aber wenn man, wie hier der Fall war, nur ein verödetes, elendes Dörfchen mit solch einem Namen beprägt sieht, möchte man ihm dann nicht lieber einen aus Westphalen genommenen beylegen, der weniger stolz klänge und sich besser zu seinem Schmutz paßte? so wie man nur zu oft in vornehmen Gesellschaften den verdorbenen Sprossen eines edeln Stammes, wo nicht vernichten, – doch umtaufen möchte. Nie hätte mir ahnden können, in dem Stammguthe des Philosophen dieses Namens einen solchen Mangel an Ordnung, Reinlichkeit und Policey, unter dem Bettlerhaufen, der ihn bewohnt, anzutreffen, als ich leider mit Augen sah. Zur Entschuldigung sagte mir zwar der alte Bauer, der hier den Wirth macht, daß dieser einst wohlhabende Ort im letzten Religions=Kriege so herunter gekommen wäre. Er sey vorher und so lange mit fleißigen, redlichen, aber freylich calvinistischen Einwohnern sehr reich besetzt gewesen, bis die Verbreiter der reinen Lehre alles ketzerische Unkraut ausgerottet, Kirchen und Schulen verbrannt und keine Hütte verschont hätten, außer der seinigen, der Einkehr und des Weinschanks wegen. Der nachherige gelehrte Herr des Dorfs habe sich zwar durch Rath und That bemüht, seiner verfallenen Besitzung wieder aufzuhelfen, aber zu solch einem Unternehmen reiche ein Menschenalter nicht hin, und man könne doch auch nicht verlangen, daß der Nachfolger wie der Vorfahr denken und seinen Unterthanen Frohnen und Zehenden erlassen solle, ob es gleich das einzige Mittel wäre, dem Uebel ihrer drückenden Armuth zu steuern. „So will ich Gott danken,“ fiel ich ihm in die Rede, „daß ich in seinem, wie ich sehe, dreyeckigen Gastzimmer, lieber Mann, wenigstens vor Religionsverbreitern sicher übernachten kann, wenn es auch vor Ratten nicht seyn sollte. Schlafe er wohl, und lasse er es ja meinen schönen Miethpferden an nichts abgehen, ich bedarf nur Ruhe.“ „Ueberhaupt,“ setzte ich nun die Unterredung mit mir allein fort, „darf ich, ohne mich eben mit der erstiegenen Höhe unserer Cultur breit zu machen, doch mit frohem Herzen zu den weit niedern Stufen derselben herunterblicken, auf welchen noch vor hundert Jahren die Vorlebenden standen. Wie viele gute Köpfe haben nicht erst, entweder wegen ihres zu schwachen, oder zu starken Glaubens über das Henkerschwert springen müssen, ehe ich in dem meinigen mit Sicherheit eine freie Denkungsart herumtragen konnte. Selbst dir, guter Montesquieu, sammt deiner persischen Maske, würde es nicht besser ergangen seyn, als deinem Erbe, wenn du nicht durch den Tempel von Gnidos einen leichtern Weg zu der steilen Sorbonne und in deinen aufgefangenen Briefen aus dem Serail ein so bewährtes Erweichungsmittel jener religiösen Felsenherzen entdeckt hättest, daß jeder, dessen Hand nur geschickt genug ist, es aufzulegen, der weitläuftigen dogmatischen Prozesse mit dem Scheiterhaufen überhoben und gewiß seyn kann, für rechtgläubig erkannt zu werden: denn ein Maler, der die Entzückungen der Liebe mit so feinen, und nur desto kräftigern Farben zu schildern versteht, als du, hat alle Bischöfe auf seiner Seite.“

 

     Es war, als ich kaum einige Stunden der Ruhe gepflogen hatte, zwar nur mein Camin=Schlot, der diese Nacht durch ein Bündel dürrer Weinreben, die so wenig wissen konnten, als ich, daß er seit vielen Jahren nicht gefegt war, in Brand gerieth. Dies hinderte aber nicht, daß ich den größten Theil meines schönen Schlafs darüber verlor – der Lärm im Hause mir die Hand lähmte, da ich eben den Vorhang eines persischen Serails zu lüften versuchte, und mich zugleich im selben Augenblick eine Najade, die, leichter bedeckt, als es selbst das erste Schrecken erlaubt, mit ihrem Löschgeräthe in mein Zimmerchen gestürzt kam, weiter von Gnidos entfernte, als es einem träumenden Jünglinge lieb ist. Gütiger Himmel! in was für eine wilde Wirthschaft kann man nicht gerathen, wenn man der Spur eines berühmten Mannes nachgeht! Sollte denn der gelehrte Präsident, der so große Sorge für Monarchien trug, sein Dorf nicht einmal mit einer Feuer=Ordnung beschenkt haben? Welche erbärmliche Anstalten! Statt einer Schlangenspritze führte man in Prozession einen jungen Mönch auf, der die Flamme, wie sie es nannten, besprach, die auch nur noch einige Minuten knisterte, sich dann senkte und verlosch.

 

     Während dieser geistlichen Gaukeley trieb das Sturmglöckchen – mißtönend wie eine blecherne Klingel, des gaffenden nackten Gesindels eine größere Menge mir unter die Augen, als sie zu ertragen vermochten; aber schon mächtig genug, jagte der stinkende beißende Rauch, der die Hütte durchzog, mich und meine normännischen Wallachen aus unseren Buchten. Sie stellten sich von selbst vor den Reisewagen, so instinktmäßig, als sich mein matter Körper hineinwarf, und schnauften, wie ich, nach reinerem Aether. Blitzschnell drängte sich nun der verstörte Schenkwirth herbey, forderte nicht, sondern bettelte – erst um sechs Livres für unsere Beherbergung – dann um drey zur Vergütung der Unruh, die mein allzufrostiges Temperament veranlaßt hätte, und noch um eben so viel für den geistlichen Beschwörer.

 

     Mittlerweile ich diesem Bettler die Geldstücke zum Schlage heraus seiner vorgehaltenen rußigen Nachtmütze zuschleuderte, stand jener in einem so dichten weiblichen Kreis, als wären hundert alte und junge Busen an einander geschnürt, und dankte mit funkelnden Augen Gott für die sichtlich frommen Bewegungen, in die das eben geschehene Wunder sie alle, besonders die jüngern, versetzt hatte. Ernster, näher und andächtiger, als er diese besprach, sah´ ich es ihn selbst vor der brennenden Esse nicht thun, und es freute mich gar sehr, zufällig wieder einmal auf einen Klosterbruder zu stoßen, der es mit der heranwachsenden Jugend gut meint. Der falsche Schein der Morgenröthe, die hinter einem dunkeln Gewölke hervordämmerte und, nach Versicherung des Kutschers, den baldigen Durchbruch eines dahinter versteckten desto rosigern Tages versprach, breitete über jene nächtliche Gruppe einen so magischen Schimmer, wie ihn Schalken seinem herrlichen Gemälde der klugen und thörichten Jungfrauen zu geben gewußt hat, und lenkte meinen Seherblick auf einen Gegenstand, der mir zu einer ganz neuen Vergleichung verhalf. Die Spiele der Natur, am Himmel und auf der Erde, sind bei ihrer Mannigfaltigkeit so verschieden von einander, daß jeder Dichter bemüht seyn sollte, auch den entferntesten Berührungspunkt unter ihnen aufzufassen. Eins der blassen Mädchengesichter, die den Wunderthäter umgaben, hatte sich aus zu dringender Andacht seinem langen braunen Barte so sehr genähert, daß ich diese Zierde seines Standes eine ganze Weile für den Schleyer des Gesichtchens nahm, das durchschien, bis ich den optischen Betrug entdeckte.

 

     Siehe, Bastian, rief ich dann wie inspirirt, dort ist auch ein rosiger Tag hinter dunkeln Wolken im Durchbrechen! aber sein prosaisches Gehirn verstand das Treffende meines Ausrufes nicht. Ich traue meinen Lesern höhere Gaben zu, denn wer keine Aehnlichkeit zwischen den Objecten, die ich hier einander gegen über stellte, finden könnte, müßte sich schlecht auf Gleichnisse verstehen, keinen Wahrsagergeist und so wenig poetischen Sinn haben, als mein Cammerdiener. Beym Abfahren warf ich noch einen launigen Seitenblick auf den Geburtsort des gepriesenen Geists der Gesetze, an dessen Stelle nur zu sichtbar einer der schmutzigsten Poltergeister getreten ist.

 

     Ehrlicher Montesquieu! redete ich seinen Schatten an, wie wenig – ach wie so gar nicht haben die Balsamstauden deines eingezogenen Lebens, die, wunderbar genug, auf diesem Mistbeete zur Reife kamen, ihren eigenen Grund und Boden veredelt und besämt! Wahr! aber hat denn ihr Blumenkelch sich befruchtender über die Wirthschaften ergossen, die von unser Einem Respect fordern? Wo? – ich sehe mich so weit um, als mich die Augen tragen – sind denn Absenker dieser Edelgewächse besser gediehen? Schlingen sich nicht statt dieser bescheidenen – noch immer Gift- und Schmarozer=Pflanzen in frechem Wachsthum an die Schlösser der Könige, an die Palläste der Großen, an die Säulen und Stützen der Armen hinauf, und tödten durch schädlichen Aushauch alle lebendige Kraft der Staaten, den Muth, die Arbeitsamkeit – die natürlichen Rechte der Unterthanen und ihren freien Gehorsam für gesetzliche Ordnung?

 

     Stehen nicht deine lehrreichen Schriften in allen fürstlichen Bibliotheken, die ich kenne, wie vertrocknete Saamenkapseln, nur noch zur Schau da? Und wo gäb´ es ein Land oder Ländchen, dessen Minister nicht weit klüger wären als du, und um hundert Procente bessere Regierungsplane entwerfen könnten, als die deinigen sind? – –

 

     Gott weiß, wie lange ich noch unter meiner Reisemütze so über die Schnur gehauen hätte, wäre mir nicht, sobald ich auf meinem gestrigen Plätzchen wieder fest saß, der Beschwichtiger aller heillosen Grillen – der Besänftiger jedes empörten Bluts – – mein, von einer bösen Stunde verscheuchter Freund, treu, wie gewöhnlich, zu Hülfe gekommen.

 

     Ich vertraute meinen erschlafften Körper ihm und meinen getiegerten Miethlingen sorgenlos an, die in dem Tumulte des Feuers und Rußes nichts von ihrem angestammten Muthe und gefälligen Aeußern verloren hatten.

 

     Der Weg, der ihnen heute mit mir zu thun übrig blieb, mochte wohl eben so gut und sammetartig seyn, als der gestern zurückgelegte.

 

     Mit Gewißheit kann ich es jedoch so wenig behaupten, als der Schläfer zu meiner Linken, neben dem ich in einem so komisch=tragischen Traum verfallen lag, als mir je einer vorkam. Er, ein wilder Abkömmling meiner politischen Nachtgedanken, trat mit Würde einem andern voraus, der von weitem ihm nachschlich, und aus allen Elementen zusammengeknetet keinen vornehmern Ursprung hatte, als den Bart eines Mönchs.

 

     Ich weiß wohl, daß Du dergleichen mark= und saftlosen Erzählungen nie hold gewesen bist, da es aber so selten glückt, daß man diesen Zerrbildern der Seele, bis zu den Nebeln ihres ersten Vordämmerns, auf die Spur kommt, und ich ohnehin vor Sonnenaufgang keinen klärern Stoff zu verarbeiten habe, so mußt Du mir schon vergeben, wenn ich Dir den einen und den andern mit gleicher Gesprächigkeit entwickele, als Deine Tante die ihrigen. Es währte vielleicht nach dem sanften Stillstand meiner äußern Sinne keine drey Minuten, als ich, altdeutsch gekleidet, mich in Gesellschaft der sieben Churfürsten auf die Kaiserwahl nach Frankfurt am Main verirrte. Im Schlafe weiß man weder von Ceremoniel noch Calender. Ich hielt mich, wie Du siehst, bloß an den Codex der güldenen Bulle, die an dieser Zahl eben genug hatte, um sie als Erbfeinde der sieben Todsünden aufschwören zu lassen. Ob sich diese in der Folge der Zeit in gleichem Verhältniß mit den erstern vermehrt haben, oder ob für die mehr entstandenen Erbämter keine weiter zu erdenken sey, ist eine Frage, deren Beantwortung den Lehrern der neuern Statistik zusteht. Mir konnte sie nicht in den Sinn kommen. Ich fühlte nur meine glückliche Lage, und fragte mich einmal über das andere: Kann man wohl vornehmer und sicherer reisen, als Du?

 

     Meine Begleiter waren recht artige, höfliche und lustige Herren. Auch gelangte ich durch ihren mächtigen Einfluß in das Wahlgeschäft zu einem Ehrenposten, dessen ich mich am wenigsten versah. Ich stand, ganz außer mir – rathe einmal wo?

 

    Ich stand, geschmückt als Herold, nächst den Stufen

    Des Kaiserstuhls an seinem Krönungstag,

    Die Volksvertreter aufzurufen

        Zum neuen Ritterschlag.

 

    Kaum ward ich laut, als mich, in einer fremden

    Antiquen Pracht, ein großer Junker=Troß

    Mit Fahnen, Spießen, Panzerhemden

        In seine Mitte schloß.

 

    Die Herren, vest, gestreng und freygeboren,

    Ergriffen mich, wie ein gemeines Lamm,

    Und schleppten mich bei beiden Ohren

        An ihren Heldenstamm.

 

    Was soll ich hier? schrie ich. „Hier sollst du sehen

    Kraft deines Amts, daß wir von Kind zu Kind

    Aecht, und aus ebenbürt'gen Ehen

        Geborne Ritter sind.“

 

    Mich überfiel ein bürgerliches Grauen,

    Weh dir, seufzt' ich, wenn dich dein Ehrenamt

    Zum Tugendrichter todter Frauen

        An diesen Pfahl verdammt!

 

    Und perlt denn wohl im Amazonen=Flusse

    Ein Tröpfchen noch des Quells, der ihn ergoß?

    Folgt Treue dem Verlobungskusse

        Nur in ein Ritterschloß?

 

    Drückt Amor nicht den Stempel edler Wappen

    Manchmal in Bley? Beschien der Abendstern

    Nicht oft schon in dem Arm des Knappen

        Die Braut des Pannerherrn?

 

    Sie prahlten fort: „Wir sind an Krönungstagen

    Bestimmt, der Majestät uns anzureihn,

    Und den Churfürstlichen Gelagen

        Getreu und hold zu seyn.

 

    Aus Männermuth mit Weibertreu verschmolzen,

    Im reinsten Gold, das keinen Fleck verträgt,

    Hat uns die Zeit zu diesen stolzen

        Schaumünzen ausgeprägt.“

 

    Mein Ohr erlag dem Schrey so vieler Kräher,

    Verdruß und Scham durchströmten mein Gesicht,

    Ich fühlte angstvoll, zum Verdreher

        Der Wahrheit taug´ ich nicht;

 

    Zum Thoren nicht, der auf ein Feld von Aehren

    Jedweden Korn= und Strohhalm Zoll für Zoll

    Vergleichen, messen und gewähren,

        Nur nicht enthülsen soll.

 

    Staub nur entsteigt den treusten Ahnenproben,

    Dem ält´sten Stammbaum modriger Geruch;

    Drum wünscht´ ich mein Geschäft verschoben

        Bis nach des Kaisers Spruch.

 

    Mein Wunsch gelang. Denn eh´ ich, gleich der Motte,

    Nur einen morschen Adelsbrief durchschlich,

    Sah ich die Matador der Rotte

        Selbst uneins unter sich.

 

    Blutdürstig fiel, gleich Wilden, ihr Geschwader

    Von Haut zu Haut, auf seine Vettern her,

    Und einer schlug dem andern Ader

        Mit seinem Probespeer.

 

    Der Erste schrie: Wer geht mir vor an Adel?

    Mein Ahnherr war bey Fürsten angenehm,

    Mann ohne Furcht und ohne Tadel,

        Wie Bayard ehedem.

 

    Des Zweiten Schild zum höhern Standsbeweise

    Führt ihm das Jagdroß Carls des Großen an,

    Das, wie bekannt, die erste Reise

        Ins Aachner Bad gethan. – *)

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*) Siehe Memoires de la Curne de Ste Palaye, nach der Uebersetzung des Herrn Klüber im 3ten Bande pag. 146.

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    Doch gleich hatt´ ihn aus eines Dritten Munde

    Ein noch weit ältrer Ahnherr überschrien;

    Der saß einst an der Tafelrunde

        Des Zauberers Merlin.

 

    Den Andern blieb, so mächtig überboten,

    Kein Nachsatz mehr für ihre Forderung,

    Und keiner that ins Reich der Todten

        Noch einen Rittersprung.

 

    Denn, wer es weiß, daß selbst kein Purpur Schelme

    Veredeln kann, vermeidet den Versuch

    Und wünschet eher sich statt Helme

        Ein ehrlich Leichentuch.

 

    Doch kam noch mancher einzeln angekrochen

    Und übergab als Einlaßkarte mir

    Bald einen grauen Ritterknochen

        Bald ein gemalt Visier.

 

    Ein Preuße schwor, von väterlicher Seite

    Hab´ er auch einen Helden ausgespürt,

    Der einst im Faustkrieg das Geleite

        Von Nürenberg geführt.

 

    Ein Schwabe rief: Ob mich schon mancher schlaffe

    Heraldikus nicht für ganz ächt erkennt,

    Trag' ich doch die antikste Waffe

        Bei unserm Contingent.

 

    Ein Hesse, der nach Mönchs= und Nonnenkutten

    Sein lahm Geschoß mit lahmer Faust gespannt,

    Vertraute mir, er sey mit Hutten

        Und Berliching verwandt.

 

    Ein Bayer wies mir seinen Helm; den habe,

    Prahlt' er, mit Blut gefüllt, aus einer Schlacht

    Beym Kreuzzug nach dem heil'gen Grabe

        Sein Ahnherr mitgebracht.

 

    Ein Reichsbaron frug ihn mit Hohn und ballte

    Die Faust: Bist du darum von besserm Schrot

    Und Korn? – – Zu beider Glück erschallte

        Des Kaisers Machtgebot:

 

    Legt eure Panzer ab, stellt ohne Fahnen

    Vor meinen Thron euch dar und hört mich an!

    Was hat dieß Heergeräth der Ahnen

        In eurer Hand gethan?

 

    Wer hat die Säulen unsres Reichs gestützet

    Und treu dem Schwur, der ihm zum Erbtheil fiel,

    Das werthe Vaterland beschützet

        Im ernsten Waffenspiel?

 

    Wer unternahm den Brennstoff unsrer Zeiten,

    Den Blitz des Kriegs, den Funken des Verraths

    Mit treuer Einsicht abzuleiten

        Als Genius des Staats?

 

    Vermehrtet Ihr durch eure Heldennamen

    Des Bürgers Wohlfahrt oder seine Last?

    Meßt euch, ob wohl in euern Rahmen

        Ihr großes Vorbild paßt!

 

    Und wißt, wer sich des deutschen Erbvertrages

    Der Ehr´ entzog, sein ihm vertrautes Schwert

    Verrieth, ist auch des Ehrenschlages

        Des meinigen nicht werth.

 

    Der Tapfre nur, der aufgeklärte Seher

    Im Fürstenrath, tret', als ein ächter Sohn

    Des Ahnherrn, unserm Throne näher

        Und ernte gleichen Lohn.

 

    Der Kaiser schwieg. Ich aber trug im Kreise

    Der Horchenden sein Aufgebot herum.

    Schnell ward ihr Stahlgeklirr ganz leise

        Und aller Zungen stumm.

 

    Und blieben stumm. Doch bald getröstet zogen

    Die Junker ab, stolz, frech und aufgeschwellt

    Von Dünsten, wie der Regenbogen,

        Der mehr verspricht, als hält.

 

    Denn, wie dieß Zeichen von des Himmels Gnade

    Erst, wenn der Sturm des Landmanns Fleiß zerstört,

    In optisch täuschender Parade

        Sich vornehm zu uns kehrt;

 

    So zeigen sie nie lieber sich gerüstet

    Und brüstender mit ihrer Ahnen Muth,

    Als bis das Land, vom Feind verwüstet,

        Statt ihrer Buße thut.

 

    Nicht Einer war so sehr um sich verlegen,

    Daß er sich nicht hinaus zum Rittersaal

    Trotz lachend, wie die Kinder pflegen,

        Zu seinen Bauern stahl.

 

    Bald jauchzt er dort, daß ohne Ihn der Schrecken

    Des Dorfs verflog, das den Gestrengen nährt,

    Und, wo nicht Ihn, doch Helm und Decken

        Des edeln Vorfahrs ehrt.

 

    Ich sah mich um, und da ich keinen weiser

    Und tapferer als meinen Schatten sah,

    Rief ich erstaunt wie unser Kaiser:

        Ist denn kein Dalberg da?

 

    Kaum flog dieß Wort des Jammers von der Lippe,

    So schien es mir, es trät´ in Trauerflor

    Der Vorzeit drohendes Gerippe

        Aus seiner Gruft hervor.

 

    An Helden leer, an Redlichen noch leerer,

    Schien mir der Staat nur einer Wüste gleich;

    Sein Glanz ging unter, und der Mehrer

        Des Reichs fiel wie das Reich.

 

    Den Boden, der sonst einen Kranz von Eichen

    Und Lorbern trug, bedeckte dürrer Sand,

    Auf dem nur noch als Todeszeichen

        Die Thränenwaide stand.

 

    Blaß blickt´ ich, wie ein Monument beym Flimmern

    Des Nordlichts, in ein weit gedehntes Grab,

    Und warf zuletzt zu jenen Trümmern

        Auch meinen Heroldsstab.

 

*  *  *

 

     Sobald mein Ohr – denn darauf kam alles an – sein verschobenes Kissen wieder gefunden hatte, vernahm es von diesem gräulichen Lärm der Verwüstung keinen Laut mehr. Meine gedrückte Seele lüftete sich, hüpfte leicht, wie eine Grille, über den kostbaren Schutt und über das ungebührliche Schattenbild hinweg, das so sehr die edle Kaste beleidigt hatte, der anzugehören von Kindesbeinen an mein Stolz war. Flucht war hier das Beste; denn ungerechnet daß schon seine bürgerliche Abkunft mein Ritterschwert in der Scheide zurück hielt, wäre es auch überdieß ein Donquixoten=Streich gewesen, mich mit meinem eigenen Traume zu schlagen. Das Vorgefühl der erwachten Natur pickelte mir an die geschlossenen Augenlieder, öffnete aber, wie es schien, nur die kleinste Fallthüre ihres weitläuftigen Tempels, aus welchem mir die heiterste Morgenerscheinung in jener schlanken weiblichen Gestalt entgegen schwebte, die meinen Geist so gerne besucht, wenn er träumt. „O du kommst wie gerufen, liebe Julie!“ faßte ich sie bei der Hand, „denn eben will ich eins der Phänomene belauschen, deren du schon manche im Stillen mit mir bewundert hast. Sieh´ nur, liebe Kleine, wie kindisch die himmlische Aurora sich wendet und sträubt, ehe sie dem ungeduldigen Tage ihre weißen Lilien Preis giebt. Ich möchte wohl wissen, ob jenes jugendlich blasse Landmädchen in diesem Augenblicke nicht auch“ – – Es war wohl kein Wunder, daß Sie – die ich schon wachend mit der Morgenröthe verglichen hatte, mir zwey Stunden nachher im Traume und gerade so wieder vor die Augen trat, wie ich sie auf einem der vorigen Blätter stehen ließ. Daß ich aber auch nicht einmal nöthig hatte, es meiner Zuhörerin vorzulesen, um mich ihr verständlich zu machen, läßt sich wohl sehr gut, glaube ich, durch das, was schon so vieles ins Klare gesetzt hat – durch den, allen Fantomen eigenen electrischen Zusammenhang mit unserer Maschine erklären.

 

     Ihm sey, wie ihm wolle; genug das meinige war so vollständig als ich, Du und meine übrigen Leser mit der nächtlichen Situation der Dorfschöne bekannt, und wäre es nun nicht sehr albern von mir gewesen, in Gegenwart einer Dame, die doch auch nur mit Aether bekleidet war, darüber zu spötteln? Es ward mir viel weniger schwer, der Unschuld das Wort zu reden, und den Mönch zu entschuldigen. „Wenn solch einem, aus dem ersten Schlaf aufgeschreckten Kinde, dem Anschein nach von funfzehn hiesigen Jahren, auf einmal ein nie gesehenes bärtiges Meteor aus einem heiligen Hause in den Gesichtskreis tritt, meinst du nicht auch, gute Julie, daß es über seinem eigenen Erstlings=Erstaunen leicht übersehen kann, wie hingegeben es einem andern, eben so neugierigen, bloß stehet, und würde nicht selbst ein warnender Wink, den ein erfahrner Moralist der Unbefangenen zuwürfe, weit mehr Unheil anrichten, als Gutes?“ Meine luftige Freundin lächelte mir Beyfall zu. „Dir aber besonders,“ fuhr ich in männlicher Begeisterung fort, „dir armen nur bis zu Sonnenaufgang deinem Kerker entlassenen Jüngling, dir gönne ich vollends die vorüberfliegende Freude des Anschauens von ganzem Herzen. Ich würde eher den Kopf dazu schütteln, wenn du, wie Tartüffe während seines Sermons, deiner Zuhörerin ein dichteres Halstuch umhängen wolltest, als dein Bart ist.“

 

     „Wirf immer deine entfesselten Neulings=Blicke, so weit ihnen der Horizont offen steht, auf jene Höhen und Tiefen des paradiesischen Freistaats, in die reitzende Gegend, die sich dir, ohne eine Feuersbrunst bei Nacht, ohne deine beneidenswerthe Gabe des Löschens, – ach, die sich dir nie würde entdeckt haben, hätte nicht mein Glaube an einen großen Namen mich bis an den Krater eines ungekehrten Kamins verirrt.“

 

     „Die beste Entschuldigung des armen Mönchs, liebe Julie, liegt in meinem Herzen und in deinem Busen. Jener, der auch ihm so jugendlich unter Staub und Asche entgegen wallte, erschien ihm als die reinste Perle, die in der großen Schnur, die ihn umgab, alle andere verdunkelte. Sie war der einzige Brennpunkt, der, was ganz besonders für ihn spricht, nur seine zerstreuten Blicke und das braune seidene Gewebe anzog, das über seine Brust herabfloß, und dem er unmöglich wehren konnte, um eine andere zu spielen, die weicher, lockender, erhabener und ihm tausendmal lieber war, als sein Kinn. Es steht zu hoffen, daß der arme Klosterbruder sich seines Funds mit desto beseelterm Gefühl werde gefreut haben, je länger die Trauer um ihn seyn wird, in die ich ihn jetzt im Geist zurücktreten sehe. Ich begleite ihn mit wahrem Mitleiden. Das Bild, das mich selbst im Traume so angenehm beunruhigt, wird ihn in alle Betstühle und Capellen verfolgen. Er wird glauben, er habe, wie gewisse Insecten, nur eine Stunde gelebt. Welch ein leidiger Trost für ein menschliches Herz!“

 

     „Ach, theurer Schatten!“ drückte ich ihr mit diesen Worten einen zwar nur geträumten, aber warmen Kuß auf die Hand, „wie wenig, ich fühle es nur zu sehr, ersetzt die geistige Beschauung eines ehemals genossenen Glücks seinen Verlust!“ Das schöne Fantom zitterte, seufzte, erröthete und verschwand.

 

     Meine Blicke folgten ihm nach bis unter die Sterne und Wandelsterne. Da ich aber dort weder sie, noch ein anderes Mädchen fand, das mir zuhören konnte, klammerte ich mich, wie ein ausgemachter Schwätzer, an den ersten, besten Gegenstand, der mir aufstieß. Könnte, redete ich in die Luft, einer von Euch Cometen denken und fühlen, und weiß ich denn, ob er es nicht kann? und ich setze den möglichen Fall, es begegnete ihm auf seiner regellosen Bahn zum erstenmal die volle Scheibe des Monds – welcher von unsern moralischen Zeichendeutern dürfte ihm einen schärfern Text lesen, als der meinige ist, wenn er überwältigt von süßem Gefühl und bis in seinen brennenden Schweif erschüttert, den kleinen lieblichen Wunderball so lange anstaunte, als er wolkenlos unter ihm schwebt? Wer möchte ihn tadeln, wenn er die Secula, die seiner leiblichen Beschauung die Wiederkehr verbieten, so tief in den Abgrund des ewigen Nichts verwünschte, als wahrscheinlich der junge Mönch die Schaarwächter seiner Clausur, und als ich, fuhr ich fort und blinzelte nach dem Lichte, den Mörder verwünschen würde, der mich jetzt meiner Sehkraft beraubte. Denn bei dem wachen Bewußtseyn, mit dem ich endlich an meinen Schreibtisch gelangt bin, und spöttisch auf die erbärmliche Kleinigkeit herabsehe, die meinen unsterblichen Geist über eine Stunde beschäftigen konnte, schwöre ich Dir zu, lieber Eduard, daß, in so viele poetische Gleichnisse sich auch mein Traum über die Zufriedenheit der beiden Augen=Paare verbreitet hat, die vergangene Nacht an einander geriethen, ich mir doch zu behaupten getraue, daß keines von ihnen herrlicher überrascht und in gleich hohem Grade glücklich seyn konnte, als es die meinigen waren, als sie nun der erste Stral der Sonne aufzog. Eine ganze Weile glaubte ich noch fortzuträumen. Mir war, als sey ich in einen vornehmen englischen Park versetzt, in welchem blühende Bäume mit frisch begossenem Rasen, das Blöken der Lämmer mit fröhlichen Singstimmen abwechselten, die aus unzählichen Vogelhäusern wirbelten. Meine geborgten norrmännischen Füße, die, wie Räder einer Wassermühle, mir keine Secunde Zeit ließen, nur einen der vorbeiströmenden Gegenstände fest zu halten, verwickelten meine Sinne noch mehr in ihren Irrthum In der süßesten Betäubung fing ich zu lallen an:

 

    Welch holdes Traumgesicht, welch unabsehlich freyes

        Mit Segen überströmtes Land!

    Lob sey dem Herrn, der mir dieß Bild des Mayes

        Auf meinen Schlaf herabgesandt!

    Doch nein, ich bin erwacht, ich seh´ erstaunt im Glanze

        Des Morgens, den mein Auge grüßt,

    Wie die Natur mit einem Kranze

    Zu einem wahren Hochzeittanze

        Zahllose Wachende umschließt.

    Hier laden tausendfache Sprossen,

    In süßer Hoffnung zum Gedeihn,

    Des Lebens traute Mitgenossen

    Von einem Fest zum andern ein.

    Um mich herum, auf jungen Aesten

    Beblümter Stauden schaukelt sich

    Ein muntres Heer von bunten Gästen,

    Die ein geheimer Hang nach Westen

 

                Aus Norden gängelte, wie mich.

                In diesem heiligen Gewühle

                Unschuld'ger Freuden, o wie rein

                Und selig müssen die Gefühle

                Der Hirten dieser Fluren seyn! –

 

                Doch die Thürme von Toulouse

                Schimmern meinen Augen schon,

                Und das Harfenspiel der Muse

                Fällt in einen Trauer=Ton.

 

                Rücksicht ins Vergangne störet

                Ihre frohe Phantasey,

                Zitternd horcht sie auf und höret,

                Calas, Deines Bluts Geschrey.

 

                Hilft in schwarzem Traum dem biedern

                Matten Greis um Mitleid flehn,

                Sieht ihn mit zermalmten Gliedern

                Seines Todes Kampf bestehn.

 

                Siehet Blut die Gattin weinen,

                Blut bei jedem Keulenschlag,

                Dem, als Bein von ihren Beinen,

                Ihr Vertrauter unterlag.

 

                Zählet der Verwaisten Thränen

                Und des kindlichen Gefühls

                Volle Pulse bey den Scenen

                Dieses grassen Trauerspiels.

 

                Thron des Aberglaubens! Wehe

                Deinem rauchenden Altar,

                Bis der Greis verjüngt erstehe,

                Der Dein Todtenopfer war;

 

                Bis Gott zu den Flammenstufen

                Seines ernsten Richterstuhls

                Auch den letzten vorgerufen

                Deiner frechen Capitouls.

 

                Und Du, Dulder, ihrer Strafen,

                Wenn Du längst der Erde Last,

                Alle Menschenangst verschlafen

                Und den Traum gesegnet hast

 

                Wenn zu jenem großen Tage

                Die Erforschungsstunde schlägt,

                Die auf unberührter Wage

                Deiner Unschuld Leiden wägt;

 

                Und dann fern von Dir Voltaire

                Muthlos bangt, indeß Dein Licht

                Stralen wirft, ach, dann verkläre

                Auch ein Stral sein Angesicht!

 

                Anwald in der großen Sache

                Der beleidigten Natur,

                Schwor er Deinen Mördern Rache,

                Und er hielt den edlen Schwur.

 

                Rief die Weisen auf, zu streiten

                Gegen Priester, Wuth und Wahn,

                Und schlug mächtig an die Saiten

                Aller bessern Herzen an.

 

                Er verwandelte in Ehre

                Deine Schmach, und schaffte Ruh

                Deiner Asche. Dafür kehre

                Gott auch ihm sein Antlitz zu!

 

                Dafür werde seiner Ränke

                Nicht gedacht! der Cherubim

                Himmlischer Vergebung schwenke

                Seine Fahne über ihm.

 

 

*  *  *

 

Toulouse.

 

*  *  *

 

Den 6ten März.

 

Diese trüben Gedanken begleiteten mich in den Gasthof, wo ich einkehrte, der von unten bis unter das Dach mit allen Lockungen der Sinnlichkeit versehen, nicht umsonst dem stolzen Capitolium gerade gegen über lag; denn eine der vielen, Trepp auf, Trepp ab, wie Liebesgötter in einem Venustempel, herumschwebenden Aufwärterinnen, die mich anwieß, erzählte mir, die Herren Capitouls frühstückten gewöhnlich hier, ehe sie zu Gericht gingen. „Das ist keine üble Gewohnheit,“ antwortete ich, „denn nichts stimmt menschliche Herzen mehr zum Mitleid für andere, als eigener Lebensgenuß, und für den scheint mir in diesem Hause vortrefflich gesorgt. So eingerichtet war es wohl noch nicht, als Calas gerädert wurde?“ „O nein,“ sagte sie, „damals war der Platz noch unbebaut und gehörte, glaub´ ich, der schwarzen Brüderschaft zu.“

 

     „Wohl Schade!“ erwiederte ich, „denn hätte eine so weise Schwesterschaft, als ich jetzt hier vereinigt finde, den Frühstücken seiner Richter vorgestanden, die Mehrheit der Stimmen wäre gewiß zu seiner Lossprechung ausgefallen.“ Sie lächelte bedeutend und fragte nur noch, ob ich hier übernachten würde? Ich zuckte mit den Achseln. „Nicht wohl,“ sagte ich, „denn ich gedenke mit der Wasserdiligence nach Bordeaux abzugehen. Wie lange habe ich da noch Zeit?“

 

     „Ungefähr zwei Stunden,“ berechnete sie und entschlüpfte.

 

     Vor allen schickte ich nun Bastian dahin ab, um Plätze für uns und meinen Wagen zu bestellen, verriegelte darauf mein Zimmer, um ohne weitere Störung meine heutigen Morgengedanken so warm niederzuschreiben, als sie mir auf dem Herzen lagen. Ich setzte mich neben ein offenes Erkerfenster, aus welchem mir der majestätische Pallast jener Mordgehülfen gerade vor den Augen lag. Dieser zweckmäßige Standpunkt meines Schreibtisches, konnte ich doch wohl glauben, würde mich über meine gewöhnliche Darstellungsgabe erheben; als ich aber das beschriebene Blatt überlas – wie kraftlos kamen mir die Abdrücke meiner innern Empfindungen vor. Ich blickte verdrießlich weg, fing mich an vor meinen Lesern zu schämen, und wollte eben, um mich mehr zu befeuern, wie sich gewisse Schauspieler heimlich in den Arm kneipen, wenn ihre Rolle Ausdruck des Schmerzes verlangt, nach der grassen eisernen Kerkerthür hinsehen, aus der man den matten, schuldlosen, siebenzigjährigen Greis zum Richtplatz geschleppt hat; als mich ein ungestümes herrisches Klopfen nach der meinigen hinzog. Das ist doch ein höchst unbescheidenes Benehmen, fuhr ich laut auf, denn wie konnte ich mir einbilden, daß es Pocher gäbe, die das Recht dazu hätten, ohne für grob gehalten zu werden, bis es mir ein Mann zeigte, der, schwarz gekleidet, mit fliegenden Haaren hereintrat und mir durch das Schreckenswort de par le roi, das alles gleich macht, meine Glieder lähmte. Die Feder, die ich noch naß in der Hand hielt, entfiel mir, und ich habe erst einige zwanzig oder dreißig Meilen darnach reisen und das Gebiet einer fremden Macht gewinnen müssen, ehe ich ihr heute wieder ihren freien Lauf lassen konnte.

 

     Auf meine ehrerbietige Frage: was zu seinem und des Königs Befehl sey? antwortete er befehlend: „Gedulden Sie Sich!“ Noch war ich weit entfernt, zu muthmaßen, daß es meine Bagage wäre, auf die er mich warten ließe, bis ich sie von vier Lastträgern ihm vor die Füße setzen sah. Nächst ihnen traten zwei andere, eben so schwarze ominöse Figuren, mit Federn hinter den Ohren herein, als ob sie mir an der Fortsetzung meines Tagebuchs helfen wollten. Ach sie haben es nur zu gewiß durch den traurigen Bericht gethan, den ich Dir, lieber theilnehmender Freund, über die bösen Stunden abzulegen habe, die mir ihre werthe Bekanntschaft verursacht hat. Derjenige, dem ich den ersten Schrecken verdanke, und der auch, den andern gegen über, den obersten Platz an meinem Schreibtische einnahm, belehrte mich nun mit gerichtlichem Anstand, daß sie – und ich glaubte in die Erde zu versinken – Capitouls, und beauftragt wären, mich über gewisse Artikel zu vernehmen. Was mögen das für welche seyn? dachte ich zitternd nach. Unmöglich können doch die Herren von ihrem Richthaus herüber durch das Fenster erspäht haben, was ich schrieb; Gott gebe nur, daß sie es jetzt nicht entdecken, und ich hätte für keinen Preis einen Blick auf den heutigen Heft meiner Handschrift geworfen, der auf das unverschämteste neben dem Vorsitzenden lag, um ihn nicht auf die Spur meines Anathems zu bringen. Der Mann am Protokoll lauerte und jener begann seinen Vortrag: „Sie werden, mein Herr, im Namen des Königs zum wahren Geständniß aufgefordert – wer Sie sind und was die Absicht Ihrer Bereisung seines Reichs ist?“ Diese königliche Neugier konnte mich nun wohl in keine Verlegenheit setzen. Ich antwortete frisch weg: „Ich bin einer der getreuesten Unterthanen Friedrichs, wenn Sie erlauben – des Großen, ein Berliner, sowohl meiner Geburt, als Krankheit nach, die mich viele schwermüthige Jahre hindurch am Verdauen und Lachen verhindert hat. Die dortigen Aerzte haben mich in die mittägliche glückliche Provinz Ihres Königs, den Feldhühnern, Ortolanen und was sie sonst noch etwa meiner Diät für zuträglich hielten, besonders aber der guten Laune nachgeschickt, die in deutschen Apotheken nicht officiell ist. Die Cur ist mir vortrefflich bekommen. Ich kann jetzt die leckersten Bissen vertragen und die Stimmung meines Gemüths hat sich über alle Erwartung verbessert, so daß ich alles wiederum meiner Jugend gemäß, ja sogar – sage ich, jedoch mit schuldiger Ehrerbietung – mein heutiges Verhör nur auf der lachenden Seite betrachte. Protocolliren Sie, mein Herr, daß ich meine frohe Herstellung nur ganz allein der großmüthigsten, liebenswürdigsten, scherzhaftesten und tolerantesten Nation der Welt verdanke.“

 

     „Haben Sie bei Ihrer Gesundheits=Reise sonst keine Nebenabsicht gehabt?“ fuhr der Präsident mit einer kleinen Verbeugung für mein Compliment – und ich um vieles beherzter gegen ihn fort: „Nur noch eine, die ich aber nicht erreicht habe.“ „Welche war diese?“ „Die Verbesserung meines Verstandes und Herzens.“ „Das ist wohl nur Scherz, mein Herr, vor Gericht jedoch sehr zur Unzeit angebracht.“ Ich bückte mich für seinen schmeichelhaften Verweis eben so bescheiden, als er vorhin bei meinem Lobe auf die französische Nation. „Sind Sie nicht auch vor kurzem in dem Kloster zu Cotignac gewesen?“ Hier schoß mir das Blatt, doch war ich nicht einfältig genug, es zu läugnen. „Was hat Sie zur Reise dahin veranlaßt?“ „Indigestion.“ Der Examinator blickte mir ernst ins Gesicht. „Und,“ setzte ich noch hinzu, „die ungestümen Bitten meines ehemaligen Zeichenmeisters, der die unerreichbare Notre Dame de graces zu kopiren versuchen wollte.“ „Wie lange verweilten Sie im Kloster?“ „Von einigen Frühstunden an bis kurz nach dem Mittag, als der Stümper mit seiner Abzeichnung fertig war.“ So wechselten unschuldige und verfängliche Fragen, anderthalb Bogen durch, mit einander ab, bis mein Tauschhandel mit dem Pater Andree klar am Tage lag. Die Deputirten waren von meiner kalten Küche, der Berauschung meiner Gäste, unserer unklösterlichen Lustigkeit, kurz von allem bis auf die Zahl der Flaschen unterrichtet, die wir geleert, und der vollen, die ich außerdem noch dem ehrlichen Pater auf den Gastwirth zu Marseille angewiesen hatte. Die folgende Frage: „Ob ich nicht wichtige Urkunden dagegen bekommen?“ zog mir beinahe die Kehle zu, doch erholte ich mich nach einem kleinen Hüsteln. „Das ich nicht wüßte. Der Mönch zwar, – – der mit einem Heiligen verwandt seyn will, machte mir, seiner Einbildung nach, ein bedeutendes Geschenk mit dessen gedruckter Legende, und gab mir noch eine Rolle ganz unleserlicher Belege darein. Es ist die Frage, ob sie mein Bedienter nur mit eingepackt hat.“ „Und zwar die entscheidendste von allen,“ entgegnete der Vorsitzende mit einem ernsten, recht häßlichen Blick, „denn außerdem müßte sein Herr sich gefallen lassen, so lange hier unter strenger Aufsicht zu bleiben, bis sie beigeschafft wären.“

 

     Jetzt wurde Bastian gerufen; dem befahlen sie, Koffer und Kasten zu öffnen, und das, was sie enthielten, ihnen stückweis vor Augen zu legen. Der Kerl benahm sich so außer Fassung dabey, als wenn der Teufel von Beziers hinter ihm stände. Ich sah mich genöthigt, den Handlanger zwischen ihm und den Deputirten zu machen, damit sie nur nicht sein verstörtes Gesicht, dem ich selbst in diesem Augenblick die schwersten Verbrechen hätte zutrauen können, bemerken möchten.

 

     Sobald die Rolle mit den heiligen Documenten zum Vorschein kam, recognoscirte und überreichte ich sie den Bevollmächtigten. Ungefordert legte ich ihnen auch meine Rechnungen und andern Papiere vor, um mich recht weiß zu brennen. Dank meiner gelehrten Hand! Bey dem flüchtigen Blick, den einer der Beisitzer darauf warf, übersah er sogar meinen Contrakt mit dem Glaser der Bastille, der mir doch ein sichtbares Herzklopfen verursachte, als ich seiner ansichtig ward. Sie hielten sich ganz allein an die Rolle des Pater Andree, gaben ihr, ohne sie zu entwickeln, einen neuen Umschlag, den sie mit ihren drey Petschaften versiegelten und mich anwiesen, als Zeichen, daß ich den königlichen Willen nach Ehre und Gewissen befolgt habe, meinen offenen Ritterhelm darneben zu drücken.

 

     Ich sah die Sache nun für geendigt an. Schon hatten die Commissairs Bastianen erlaubt, meine Habseligkeiten wieder an ihren Ort zu bringen, und ich wollte ihm mit den glücklich abgefertigten Papieren mehrerer Sicherheit wegen eben mein Tagebuch noch zureichen, als der jüngste Deputirte – denke Dir, wie mir zu Muthe ward – es unterweges mit der Erklärung anhielt: Er habe sich lange in Wien aufgehalten und wolle doch sehen, ob er Deutsch noch so fertig lesen könne, als ehemals. Glück über Glück, daß er nicht lange suchte, und etwan die niedlichen Bruchstücke aus dem Briefwechsel der Königin Anna mit ihrem Liebhaber aufstörte. Was würden die Herren von meinem Ritterhelm gedacht haben, wenn sie jene Abschriften gefunden hätten! Gott sei gelobt, daß er sich nur mit dem letzten Heft beschäftigte, nicht etwan weil es für mich weniger gefährlich – ach im Gegentheil! sondern weil der poetische Fluch auf ihn und seines Gleichen, den er vor den Augen hatte, kein Wiener Deutsch war.

 

     Er starrte das Blatt einige Minuten an und legte es mit einem „Nicht wahr ein Wäschzettel?“ zu den übrigen. Wer war froher als ich! Hinter mir hörte ich ein Kofferschloß nach dem andern zuschnappen, und der Vorsitzende entließ meinen Cammerdiener mit einem gebieterischen Wink nach der Thüre, den er sich nicht zweimal geben ließ. Mir aber ging es noch nicht so gut. Ich mußte noch zur Schlußformel meines Verhörs die Tortur seiner Beredtsamkeit aushalten. „Mein Herr,“ wendete er sich mit Würde zu mir, „Ihro allerchristlichste Majestät erlauben zwar großmüthigst jedem Fremden, Ihre Staaten zu bereisen, gönnen ihm gerne die Luft – den gesellschaftlichen Umgang und die fröhlichste Theilnahme an den physischen und moralischen Vorzügen Ihres Reichs. – Sie werden aber hoffentlich selbst begreifen, mein Herr, daß diese Vergünstigung sich nicht bis auf die Ausfuhr und Entwendung alter Urkunden und Briefschaften erstrecket und erstrecken kann. Das Unvorsätzliche – das Ungefähr, wie ich glauben will, wodurch sie Ihnen in die Hände geriethen – indem Ihre, ad protocollum gegebene Erläuterung dieser verwickelten Sache mit der uns mitgetheilten Aussage des Pater Andree zur Genüge übereinstimmt – kommt Ihnen in so weit zu Statten, mein Herr, daß Ihr sonderbarer Tauschhandel mit ihm, den Wir von Gerichts wegen, unter Vorbehalt Ihres Regresses an jenen Trunkenbold, für null und nichtig erklären, weniger auffällt. Die Willfährigkeit und gute Art, die Sie bey der Zurückgabe der zum Leben des heiligen Fiacres gehörigen Belege bewiesen haben, wird Zweifels ohne den hohen Senat vermögen, Sie, als eine keinem weiteren Verdachte unterworfene Person, frey zu lassen.“ Hier ward der Redner durch den Eintritt dreyer weiblicher Engel unterbrochen, die jedem der Herren, wahrscheinlich zur Stärkung in ihrem Berufsgeschäft, eine Tasse Chocolate überreichten. Während sie solche einschlürften, durfte ich ja wohl diesen unerwarteten Zwischenact zu dem Vergnügen benutzen, einer Hebe um die andere auf das tiefste in die Augen zu sehen.

 

     Als sie abtraten, blitzten ihnen die meinigen noch so funkelnd nach, daß der Herr Vorsitzende seine Stimme erheben mußte, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. „Zwar,“ diese Sylbe schob er vorerst ein, als er den abgerissenen Faden seines Vortrags auffaßte, „zwar frey zu lassen; jedoch wird zugleich einstimmig von Uns verlangt, daß Sie, mein Herr, je eher, je lieber, und sobald ich Ihnen den Paß zuschicken werde, Ihre Abreise von hier beschleunigen.“ – Warum denn eben das? dachte ich. O Herr Präsident, seyn Sie ruhig! Ihre schönen Mädchen hätten mich ohnehin nicht aufgehalten – „zu der wir übrigens insgesammt,“ endigte er seine Rede, „Ihnen von Herzen alles erforderliche Glück wünschen.“ Ich würde gern zu der Feierlichkeit gelacht haben, mit der er die Sitzung aufhob, hätte sie mich nicht um alles gebracht, was mir noch einigermaßen meinen Ausflug über die Gränze zu einer nützlichen merkwürdigen Reise stempeln konnte. Jetzt bringe ich meinen Landsleuten doch in der Gotteswelt nichts mit, das der Mühe lohnte. Welcher Leser wird an meine historische wichtige Entdeckung glauben, da ich sie mit keinem Original=Document zu belegen vermag. Mein Wort? Das Vidimus meiner eigenen Abschriften? Ja! damit darf man einem deutschen Gelehrten wohl kommen! – Indeß wär´ ich doch heilfroh gewesen, als ich den Blutrichtern des armen Calas nun über die Gasse nachsah – hätte ihre Bekanntschaft meiner Einbildungskraft nicht Schattenbilder zurückgelassen, die beinahe noch fürchterlicher waren, als sie selbst. Was kann noch aus dir werden, fing ich schauerlich zu berechnen an, wenn die Mehrheit der Stimmen dir dein Absolutorium verweigerte – wenn die ältern Capitouls, klüger als die abgegangenen jüngern, auf den natürlichen Einfall geriethen, deine Aussage mit deinem Tagebuche zu vergleichen, wenn sie es einem Translator, der Oden nicht für Wäschzettel nimmt, übergäben, du in deinem Jammer, so lange bis es in französischer Sprache eben so geradebrecht wäre, als ihr Homer, warten, und nachher, Gott erbarme sich! alle die Stellen verantworten müßtest, deren sie nur zu viele, als criminell, oder als unverständlich, mit rother Tinte anstreichen würden. Verwünscht sey der Prior zu Cotignac mit seinen Conventualen! denn nur sie, die nicht mittranken, nur ihr Neid über ein Geschenk, an dem sie keinen Theil hatten, können allein diese Verrätherei an dir und dem lustigen Pater Andree begangen haben. O die heillosen Mönche! – Mitten in diesem Selbstgespräch vermehrte ein Gerichtsbothe, der dazwischen trat, mein Herzklopfen, ehe ich sah, daß es der liebe erwartete Erlaubnißschein zu meiner Abreise war, den er mir einhändigte.

 

     Der große Thaler, den ich ihm für seinen Gang in die Hand drückte, ging ungleich leichter von mir, als jener, den ich dem teuflischen Castellan zu Beziers opferte. Meine Freude war aber nur augenblicklich. Unter allen Bewegungen der Seele ist keine, die der Phantasie mehr zu schaffen macht – einem männlichen Geiste überlästiger, mit einem Worte keine, die demüthigender, alberner und peinigender ist, als die Furcht. Mir kamen die schauderhaftesten Beispiele aus einer Menge Criminalacten wie zugeflogen, an die ich sonst in meiner Unschuld gar nicht zu denken gewohnt bin, und die ich meinem Zustande doch jetzt so anpassend fand, als ein eingebildeter Kranker jede grasse Sectionsgeschichte dem seinigen.

 

     Ich überlas meinen Freypaß wohl zehnmal mit äußerstem Mißtrauen. Jeder Punkt und Strich, den ein Unbefangener gar nicht bemerkt, kann ja, dachte ich, ein abgeredtes Zeichen mit Polizeydienern seyn, an die man in voraus weiß, daß du gerathen mußt. Spielen nicht oft boshafte Jungen mit einem armen Vogel, um ihn sicher zu machen? Kann er weiter fliegen, als der Faden lang ist, den sie ihm heimtückisch um den Fuß schlangen, und kann ein so guter Kerl, wie du, nicht schon tagelang auf der Diligence in engem Verhaft sitzen, und immer in dem süßen Wahn stehen, er reise nach seinem Vaterlande, bis seine Auflaurer für gut finden, ihm solchen zu benehmen? Kaum hatte ich von allen diesen schreckhaften Möglichkeiten eine abgefertiget, als gleich eine andere an ihre Stelle trat. Einmal versuchte ich trotzig zu thun. Possen, sagte ich, die Originalschriften sind ja den königlichen Bevollmächtigten überliefert. Wer kann mir beweisen, daß ich sie gelesen habe, außer – stockte ich ganz auf einmal niedergeschlagen – dein unseliges Tagebuch. Nun – fuhr ich schnell besonnen fort, was hindert dich denn, es zu vernichten, ehe es wider dich zeugt? Die eine Hälfte liegt schon in der Asche – lege die andere dazu! Ja, wenn nicht die väterliche Liebe zu dem Nestling gewesen wäre, die sich geradezu gegen den grausen Gedanken sträubte. Endlich kam ich – was gewinnt man nicht durch Nachdenken! – auf einen Einfall, der mir in meiner ängstlichen Lage als der beste Nothhelfer so genialisch erschien, daß ich ihn sogleich auf das herzhafteste ausführte. Ich unterwarf nämlich mein Buch der Operation des Origenes. Die ausgeschnittenen gefährlichen Blätter theilte ich wieder in zahllose Dreiecke, die ich an einem gewissen staubigen Orte verbarg, dem sich nicht so leicht ein schwarz gekleideter Commissair nähern wird. Ich will den Inquisitor loben, der ihn als verdächtig anspricht, oder auch die Papier=Schnitzel ohne meine Hülfe in ein lesbares Ganze zusammensetzt.

 

     Nach solchen genommenen klugen Maßregeln, sollte wohl jeder Vernünftige glauben, müsse mir das verzagte Herz gewachsen seyn. Nichts weniger. Der Schrecken war mir einmal ins Blut getreten und stieg mir immer höher zu Kopfe.

 

    Wird es denn der König, warf ich die Frage auf, wohl für wahrscheinlich halten, daß jemand seine Ahnen=Probe vierzehn Tage in der Tasche haben kann, ohne sie zu untersuchen? und ist nicht der königliche Glaube an die Möglichkeit allein schon hinlänglich, ihn par raison d'Etat in das erste beste Gefängniß so gut mit einem Maulkorbe zu stoßen, als mit einer eisernen Maske? Heiliger Fiacre! schütze mich, daß ich nicht um deinetwillen auf die Brescauische Austerbank, der du glücklicher entgangen bist, als du verdientest, zu liegen komme! Hier unterbrach mich Bastian mit der Nachricht, die Wasserkutsche sey sammt dem Daraufgelde für den guten Platz während meines Verhörs ab und davon gefahren. „O desto besser,“ rief ich, „die Gesellschaft, die man auf einem Toulouser Postschiff erwarten darf, würde sich ohnedieß sehr schlecht mit meiner gegenwärtigen Stimmung, und die langweilige Fahrt noch schlechter mit einem geschwinden Fortkommen vertragen, an dem mir mehr noch gelegen seyn muß, als den Herren Capitouls, die hier frühstücken. Auf der Landseite entkommen wir ja diesem Drachenneste um vieles geschwinder. Habe ich doch meinen Freypaß, was warten wir? Mache dich auf die Beine, Bastian, und schaffe mir ohne Verzug vier tüchtige Pferde vor den Wagen, oder lieber sechse. Hörst du?“ Das war ihm eben recht.

 

     Es verging keine Viertelstunde, so stand alles zu meiner Flucht in Bereitschaft. Die glücklichsten Umstände trafen zusammen, sie zu befördern.

 

     Ich sah meine Berline mit sechs Pferden bespannt, die vor Ungeduld stampften, wie ich. Eins zog wie das andere, denn ihre Führer waren, wie sie mir bald vertrauten, Zwillingsbrüder, calvinischen Glaubens, und meinten es überhaupt ehrlich.

 

     Sie drückten mir nicht nur auf das herzlichste die Hand für mein freigebiges Trinkgeld am Ende der Station, nein sie zeigten es allen ihren Cammeraden, um sie aufzumuntern, ein gleiches zu verdienen. Die Wege waren vortrefflich, der Abend ruhig, wie ein gutes Gewissen, und die Nacht hell, wie bei uns ein Frühlingstag. Nie hat mir der Klang der Posthörner mehr Freude gemacht. Nach der Eile, mit der ich an den berühmten Garküchen des Perigords vorbey rollte, hätte kein Mensch errathen, welchen Werth ich auf ihre kalten Pasteten setze. Ich ließ mich durch keine aufhalten, denn ich kam mir selbst wie eine Waldschnepfe vor, die alle ihre Federn anstrengt, um dem Unglück, in einer nach Holland oder Deutschland verschickt zu werden, zu entfliehen.

 

     So erreichte ich zwar durch Gottes Hülfe und ohne den mindesten Anstoß schon den siebenten März, einige Stunden nach Mittag, das schöne weinreiche Bourdeaux – aber die lange Strecke Wegs, die ich noch bis in mein Vaterland vor mir sah, erlaubte mir nicht, durch irgend einen Genuß Zeit zu verlieren.

 

     Wie hätte ich Lust haben können, meinem Körper gütlich zu thun, den ich bey weitem noch nicht außer Gefahr glaubte, und der sich, wie Du noch hören wirst, bey allem, was ihm aufstieß, recht linkisch benahm.

 

     Jetzt, nach einer ruhigen fröhliche Stunde, und nachdem ich glücklich über die Strickleiter weg bin, die sie mir ersteigen half, steht es freilich ganz anders um Deinen Freund, lieber Eduard.

 

     Ich werde nicht zum letztenmal über die wilden Blicke lachen, die ich umher warf, als ich nicht weit von La Trompete, der hiesigen Festung, aus dem Wagen stieg. Alle Augen, alle Canonen, glaubte ich, wären auf mich gerichtet. Ich sah in jedem Vorbeigehenden – ärger als Rousseau auf seinen Spaziergängen – nur einen Spion, der meine Ankunft der Polizey anzeigen werde. Ich ging nicht, nein, ich zitterte von weitem meiner Chaise nach, die ich Bastian allein überließ auf die Post zu bringen und bespannen zu lassen – aber die Gasse dahin wollte kein Ende nehmen. Indem stürzte ein Trupp Matrosen, denen man es deutlich ansah, daß sie sich so wenig um mich, als um die ganze Welt bekümmerten, mir aus einer Taberne in den Weg. Sie schwenkten ihre runden Hüte und jauchzeten einmal über das andere mit stammelnder Zunge: Es lebe Catharina die Zweite! Der Name dieser großen Frau fiel mir kaum in die Ohren, so vergaß ich Cammerdiener und Wagen, und überließ mich blindlings dem Zuge meines dunkeln aber mächtigen Zutrauens. Ich schloß mich dicht an die lustige Bande an, und so oft ich mich bemerkt glaubte, schwenkte auch ich meinen Hut und mischte herzhaft mein Vivat in das ihrige. So taumelte ich in ihrer Gesellschaft zwey Straßen durch bis vor die Stadt an den Hafen, wo sie auf einmal Halt machten. Eine schöne gebietende Gestalt stand vor ihnen, dämpfte mit einem Wink ihr tobendes Geschrey und wies sie auf das Schiff, von welchem der Name ihrer Monarchin in goldenen Buchstaben mir über die Wellen entgegenglänzte, und dem sie sogleich auf einem Boote zuruderten.

 

     Wie sich das Gedränge der grünen Jacken um mich her verloren hatte, stand ich nun einzeln, aber ziemlich außer Fassung, vor dem Capitain, der, wahrscheinlich ein wenig verwundert, einen reinlichen Ueberrock unter seiner Mannschaft zu sehen, mich von Kopf bis zu Fuß mit ernsten Augen betrachtete. Da ich nicht von der Stelle wich und bei dem geringsten Geräusch scheu hinter mich blickte, fragte er mich endlich: ob etwas für mich hier zu thun sey? Ich trat näher, nannte mit leiser Stimme meinen Namen, der zum Glück für mich ihm nicht ganz fremd war, und bat aus gewissen Ursachen, die ich ihm schon noch entdecken wolle, vor der Hand nur um Schutz – – „Aber gegen wen denn?“ fragte er ungeduldig – „Gegen die wollüstigen und grausamen Capitouls zu Toulouse,“ zischelte ich ihm zu, „und ihre hiesigen Spione.“ Nach einem kurzen Besinnen gab mir der brave Mann einen Wink, ihm auf das kleine Fahrzeug zu folgen, das bereit war, ihn überzusetzen.

 

     O wie gern gehorchte ich! Hätte Bastian nicht besser Acht auf mich gehabt, als ich auf ihn, so wären wir vielleicht so bald nicht wieder zusammen gekommen. Er schrie vom Ufer uns nach, bat und erhielt die Erlaubniß, mit einzusteigen. Wie geschwind verzog sich meine bisherige Brustbeklemmung. In welche Freude ging sie nicht über, als ich bald nachher mich in der Cajüte meines Beschützers, zwar nur auf Bretern, die aber mit dem Gebiet einer mächtigen Monarchin zusammen hingen, allen und jeden Nachstellungen des festen Landes entrissen sah. Dieses schöne Gefühl entwickelte zuerst die heroische Frage in mir, ob es nicht möglich und mir am besten gerathen wäre, unter Russisch=Kaiserlicher Flagge allen gesetzlichen Ungeheuern des französischen Labyrinths zu entwischen. Ich legte diesen Wunsch am Ende meiner Geschichtserzählung dem lieben Capitain aus Herz. Er hörte meinen Vortrag mit gütiger Aufmerksamkeit an – schwieg ein Weilchen, schien aber den Zusammenhang der Sache sehr wohl begriffen zu haben. „Wohin wollen Sie denn eigentlich?“ fragte er. „Ja, mein Gott, nach Leyden,“ antwortete ich, „wenn anders Ihr Weg Sie da vorbei führt. Ich bin auf dem Meere nicht ganz orientirt.“ Es war dem lieben Manne Ernst, nur zu helfen. Das sah ich ihm an. Er ging einigemal nachdenkend mit langsamen Schritten auf und ab in der Cajüte, ehe er mir Antwort gab, die aber auch nun desto bestimmter und erfreulicher ausfiel. „Ich sehe zwar, mein Herr,“ wendete er sich freundlich zu mir, „Ihre Lage nicht für so gefährlich an, als Sie; damit Sie jedoch nicht sagen können, Sie hätten Ihr Zutrauen vergebens auf einen Russen gesetzt, so will ich es, so gut ich kann, zu verdienen suchen. Wenn Sie mit Kost und Quartier auf meinem Schiffe zufrieden seyn wollen, so lassen Sie nur heute noch Ihre Bagage an Bord bringen. Es hat seine völlige Ladung, und würde bereits auf der hohen See seyn, wenn ihm der Wind so günstig gewesen wäre, als er für Sie zu werden scheint; denn sollte er diese Nacht sich nur noch um einige Grade verstärken, so kann ich vielleicht schon morgen aus dem Hafen laufen, und will gern Ihrem Wunsche gemäß meine Segel nach der Holländischen Küste richten, um Sie dort ans Land zu setzen. Auf dem offenen Meere giebt es für uns andere keinen Umweg. Das ist kurz und gut meine Erklärung.“ Seine menschenfreundliche Großmuth rührte mich bis zu Thränen. Es ist so selten, unter den sogenannten Weltleuten auf einen zu stoßen, der an unserm Schicksale thätigen Antheil nimmt. Ich ergoß mich in so wortreiche Danksagungen, daß er mich vor Ungeduld mit der Frage unterbrach: „Ob mir sonst noch etwas zu wünschen übrig sey?“ „Nicht das mindeste,“ antwortete ich, „als daß es mir lieb wäre, da mir der Wind noch Zeit dazu läßt, wenn ich mittlerweile die Stadt besehen, die Bourdeauxer Weine durchkosten und noch eine und andere Einrichtung zu meiner Seereise machen könnte. Darf ich mich aber wohl mit Sicherheit an das französische Ufer wagen?“ „Ueber mein Schiff hinaus,“ erwiederte er, „reicht zwar meine Gewalt nicht, doch will ich gleich eine Mittelsperson zu Hülfe rufen.“ Auf seinen Wink trat nun sein Commißschneider mit einem Pack grüner Uniformen herein. Er brauchte nicht lange zu messen, denn die kleinste darunter, die er meinem Körper anpaßte, saß nach seinem Kunstausdrucke wie angegossen. Es machte mir eine kindische Freude, mich im Angesichte des freien Weltmeers zu einem Russischen Seeofficier eingekleidet zu sehen.

 

     Ich stellte mich mit stolzem Anstand vor den Spiegel, und warf mich nicht schlecht gegen das intolerante Frankreich in die Brust. „Jetzt fehlt Ihnen,“ sagte der scherzhafte Kapitain, „um dem ganzen Toulouser Capitol die Spitze zu bieten, nichts als ein Blatt Papier zu Ihrer Legitimation in der Tasche – ein Patent, das ich Ihnen als Schiffs=Lieutenant ausfertigen will.“ „Doch nur titular?“ fiel ich ihm erschrocken in die Rede. „Nicht anders!“ versetzte er lachend. „Denken Sie denn, daß ich den Dienst so schlecht verstehe, dem ersten, besten Passagier das Commando am Steuerruder anzuvertrauen? Man kann mit einer gewissen Portion Eigendünkel eher wohl die Segel eines kleinen Fürstenthums dirigiren, wenn es auch hier und da leck ist, als das geringste Schiff, das dem Russischen Staat dient.“ Er warf bey diesen Worten einen Blick, den ich mir merken will, in die Ferne, der viel zu sprechend war, um ohne Bedeutung zu seyn. „Wen traf dieser Blick, Herr Capitain,“ fragte ich, „wenn ich es wissen darf?“ „Warum nicht? Er galt wohl gar einem Ihrer Bekannten –“ erwiederte er. „Doch gewiß,“ schob ich geschwind ein, „keinem meiner Freunde, das will ich im voraus beschwören.“ „Einem,“ fuhr er fort – – –

 

     Aber o Ihr, die Ihr mich bis zu dieser Zeile geduldig auf meinen Spazier= und Irrgängen begleitet habt, Euch, meine vortrefflichen Leser, muß ich jetzt einige Augenblicke still zu stehen bitten, denn ich selbst stehe zum erstenmal in meinen Wanderungen vor einem Oha, über das ich nicht wegzukommen weiß. Ein heimtückischer Zufall hat mir die meisterhafte Zeichnung meines Russischen Freundes entrissen, und den lustigsten Text von der Welt durch eine Lücke unterbrochen, die ich leider! jetzt nur mit einer kläglichen Note auszufüllen im Stande bin.

 

     Diese Verlegenheit thut mir doppelt wehe, weil sie mich zugleich nöthigt, ein Geheimniß auszuplaudern, das ich mit mir ins Grab zu nehmen gedachte. Das Schicksal, scheint es, will mir nicht vergönnen, das Geringste vor Euch auf dem Herzen zu behalten. Es liegt, ich weiß es, manches Räthselhafte noch in meinem Tagebuche, das Eurer Aufmerksamkeit wohl schon oft anstößig gewesen seyn mag; doch davor darf mir nicht Angst seyn, denn in einigen Tagen, hoffe ich, wird Euch auch das Widersprechendste unzweideutig und klar, wie die Wahrheit, vor Augen stehen.

 

     Ob aber die kräftige Schilderung des Unbekannten je wieder an das Licht kommen werde, das sie so sehr verdient, muß ich, ohne es ganz zu bezweifeln, allein der künftigen Zeit überlassen, denn die meinige ist, – und das eben war, wie ihr alleweil hören sollt, mein Autorgeheimniß, – verlaufen.

 

     War es ein Anfall von Eitelkeit, falsche Scham eines jungen flüchtigen Gesellen, oder Nachahmungssucht – ich lasse es unentschieden, die mich, nach meiner Zurückkunft in Berlin, auf den tollen Einfall brachte, meine Selbstbekenntnisse, wie Jean Jaques die seinigen, unter Schloß und Siegel zu legen, und, gleich ihm, zu verordnen, daß mein Erbe ihnen erst zwanzig Jahre nach meinem Ableben Luft mache.

 

     Ein Augenblick Ueberlegung brachte mich, wie ich denke, auf einen klügern Entschluß. Wärest du, sagte ich mir, auch nothdürftig zu entschuldigen, Possenspiele mit deinen Zeitgenossen zu treiben, die es nicht mir längst an dich gebracht, sondern auch das Wiedervergeltungsrecht noch immer in Händen haben, so sähe es doch einer Poltronnerie sehr ähnlich, wenn du dich erst aus dem Staube machen und der Nachwelt gleichsam hinterrücks deine Schneebälle aus einer Entfernung in das Gesicht werfen wolltest, in der sie dich nicht mehr erreichen kann. Und ist es denn nicht, fuhr ich ernsthafter fort, mehr als zu bekannt, wie pflichtvergessen der Freund, dem der große Mann die Herausgabe seiner Confessionen übertrug, die strenge Frist verkürzt hat, die Rousseau der Neugier seiner Hinterbliebenen auflegte? Aber gesetzt auch, eine solche Untreue wäre mit den deinigen nicht zu befürchten, bleibt es denn nicht noch immer die Frage, ob die klugen Leute, denen du die Vollstreckung deines letzten Willens in einer Zeitperiode zuwälztest, die sich wahrscheinlich von der gegenwärtigen durch den geläutertsten Geschmack auszeichnen wird, – ob sie, sage ich, dein Testament nicht als inept erklären und deinen armen entsiegelten Papieren, statt ihnen den kostbaren Weg in das Gebiet der Makulatur zu eröffnen, den weit kürzern hinter den Herd anweisen würden? Solche vornehme Wagstücke, gestand ich mir offenherzig, sind nicht für einen Schriftsteller, wie du bist.

 

     Diese vielseitigen Ansichten der Sache brachten mich endlich auf einen Ausweg, bei dem ich stehen blieb. Wäre es denn nicht sicherer, zischelte ich mir ins Ohr, gemächlicher für dich und ehrlicher gegen deine Mitbürger gehandelt, wenn du ihnen, während du noch auf ebenem Boden mit ihnen wandelst, die offenherzigen Berichte von der übeln Wirthschaft ablegtest, die du, jedoch zum Glück nur wenige Monate, in einem sittenlosen Lande mit deiner Zeit getrieben hast? und um sie nicht auf einmal zu erschrecken, die zwanzig Hungerjahre, zu denen Rousseau im Laufe seiner Unsterblichkeit das lesende Publicum verdammte, auf das jugendliche Spielwerk ausdehnest, das du ihm preis zu geben gesonnen bist? Dadurch bekommen deine Begleiter nicht nur Zeit zu verschnaufen, sondern der Stern deiner Autorschaft zugleich einen hübschen Spielraum, den Cometen, die inzwischen an dem litterarischen Himmel aufbrausen, und ihn leicht in ihren Schweif verwickeln könnten, ehrfurchtsvoll und so lange aus dem Wege zu treten, bis sie ihre blendende Laufbahn durchschnitten haben. Wirklich habe ich durch diese kluge Wendung seinen völligen Untergang aufgehalten. Wie viele prächtige Meteore sind nicht in diesem langen Zeitraum durch den Aether gezogen, verschwunden und vergessen, und das meinige blinkt noch in der zwanzigsten Leipziger Messe, tritt noch einmal aus dem Nebel hervor, in welchen es sich oft hüllte, und lächelt noch hier und da einem alten Bekannten so freundlich ins Auge, als ehemals meinem nun längst verewigten Freunde Eduard, dem seine ersten Stralen gewidmet waren.

 

     Mit welchem wehmüthigen Vergnügen sehe ich auf jene Morgenstunden zurück, wo ich ihm das Votivgemälde vorhalten konnte, das ich in der Ferne aus tausend heterogenen Farben für Ihn zusammengesetzt hatte. Es war eine freundschaftliche Beschäftigung, eine augenblickliche Zerstreuung in der bänglichsten Zeit, die je über Berlin geschwebt hat – in der Krankheits=Epoche unsers großen Monarchen. So saß ich denn auch, gerade vier Wochen vor seinem völligen Verlöschen, nach einem mäßigen Frühstück meinem Freunde gegen über, und langte von den letzten Heften meiner Reise, die hinter meinem Sitze auf einem Ecktischchen lagen, einen nach dem andern mir zu, wie ihn die Reihe traf. Meine Vorlesung war bis auf gegenwärtigen, und bis zu der Zeichnung vorgerückt, die ich kurz vorher meinem Zuhörer, der sich auf dergleichen Malereien besonders verstand, als ein Meisterstück angekündigt hatte; aber kaum waren ihm die ersten Grundlinien davon sichtbar geworden, so erhob sich ein Wirbelwind in dem größten Ungestüm von der Gasse, der Thüren und Fenster aufriß, und indem ich eben nach diesem, noch übrigen Abschnitt meines, unserer heutigen Unterhaltung gewidmeten Vortrags greifen wollte, mir ihn unter den Händen wegnahm. Hätte ich nicht zum Glück den Ueberrest meiner Handschrift zu Hause gelassen, es wäre ihm nicht besser ergangen, und mir nichts übrig geblieben, als meine Boutique zu schließen.

 

     Kein spielendes Kind, dem sein papierner Drache entwischt, kann bestürzter ihm nachblicken, als ich meinen fliegenden Blättern. Ich sah sie über die Dächer hin, bald an diesen, bald an jenen Schornstein anprallen, sinken und steigen, und endlich ganz aus meinem Gesichtskreis verschwinden. Während meines vergeblichen Hinstaunens in den leeren Raum, hatte Eduard, thätiger und gefaßter als ich, alle dienstbaren Geister seines Hauses aufgeboten, den politischen Steckbriefen nachzueilen. Ihr erzeigt allen ehrlichen Leuten den wichtigsten Dienst von der Welt, wenn ihr sie auffangt, schrie er ihnen nach. Umsonst! nach einer Stunde kamen die Abgeordneten athemlos, beschmuzt und mit leeren Händen zurück.

 

     Der Wind, – entschuldigten alle ihre mißlungene Hetze – wäre zu arg. Dem hätte er die Kappe, jenem den Athem genommen, und allen so viel Staub in die Augen gestreut, daß ihnen Hören und Sehen vergangen sey. Wir schickten sie demohnerachtet, sobald das tobende Wetter vorbey und die Luft rein war, zum zweitenmal aus, ließen überall in den Häusern der Gesandten, in den Trödelbuden, in den Kramläden, und in dem königlichen Schlosse den verlornen Papieren nachstellen, aber mit gleich wenigem Erfolg, und eben so vergebens habe ich in den zwanzig Jahren, die zwischen jenem Tage und dem heutigen liegen, auf den glücklichen Zufall gelauert, der sie mir zeitig genug wieder bringen sollte, um sie meinen guten Lesern noch mittheilen zu können. Welchem staubigen Winkel mögen sie zugeflogen seyn? Ach vielleicht doch verwahrt sie das Pult eines ehrlichen Finders, der sie wohl längst ihrem rechtmäßigen Eigenthümer zugestellt hätte, wäre er ihm nur bekannt gewesen. Freilich käme jetzt jedes Einschiebsel zur Vollständigkeit meines armen Tagebuchs zu spät, das, wie ich meinen Lesern schon vertraut habe, mit der dießjährigen Ostermesse sein Ende erreicht.

 

     Da indeß diese merkwürdige Zeichnung auch an jedem andern Orte der Ausstellung immer noch werth bleibt, so kann ich um so viel mehr dieß Original, das sich selbst mit Hülfe des Windes vogelfrey gemacht hat, allen Journalisten und Sammlern fliegender Blätter, wenn es ihnen vorkommen sollte, zu einem nicht gemeinen Lückenbüßer empfehlen. Die Zeit hat ja schon manches Document ans Licht gebracht, was man Jahrhunderte hindurch für verlohren erklärte.

 

     Irre ich nicht, so ist ja ein Brief des Cicero ad familiares durch den Pergament=Band eines alten Calenders und eine mangelhafte Stelle in dem Petron durch den Umschlag einer päbstlichen Bulle ergänzt worden, und kann ich mich denn nicht auf meine eigene Erfahrung berufen? Hätte sich der französische Hof wohl träumen lassen, daß die Briefe der Königin Anna an ihren Beichtvater irgendwo noch versteckt lägen und nach Verlauf eines Säculums einem Reisenden in die Hände gerathen würden, der an sie am allerwenigsten dachte. – – – –

 

     Wenn er nur wüßte, – – – fährt meine Handschrift fort; – – – aber indem fing die Schiffsuhr zu schlagen an. Der Capitain verließ mich, um seine Befehle für die laufende Stunde auszugeben. Um keiner beschäftigten Hand im Wege zu stehen, setzte ich mich auf das Verdeck, machte mir einen Sitz von Tauen und Segeln zurechte und zog, um mir in Ermangelung besserer Gesellschaft die Zeit mit meiner eigenen zu vertreiben, den gangbaren Heft meines Tagebuchs aus der Tasche. In diesem Portefeuille deiner Erfahrungen, lächelte ich es an und schlug die Hand darauf, hast du nun schon eine ziemliche und mehr als hinlängliche Sammlung medicinischer und philosophischer, theologischer und artistischer Windbeutel niedergelegt. Zu ihrer Vollständigkeit fehlte dir nur noch ein politischer. Den hat dir nun unerwartet ein unpartheyischer Mann in die Hände geliefert. So flüchtig auch seine Zeichnung seyn mag, (ach wäre sie nur nicht gar verflogen!) so sticht doch der Dünkel des Portraitirten mit zu vieler Wahrheit vor, um nicht ähnlich zu seyn. Warum wolltest du sie nicht in deinem Bilderbuche aufnehmen, das, nach deinen eigenen Menschlichkeiten, nichts so deutlich zur Schau stellt, als die, allen Gauklern gemeine Physiognomie des Hochmuths, die, wie es scheint, meinem vornehmen Capitain so widerlich ist, als meiner Wenigkeit. Die Nilratze kann unmöglich eine stärkere Antipathie gegen Crocodille haben, als ein natürliches, mit edlem Stolze begabtes Herz gegen aufgeblasne Menschen. Man kann doch gewiß nichts geringeres seyn, als ich jetzt bin, aber auch in mir schlägt ein solches Herz und ich vertauschte es nicht, selbst gegen den Zepter nicht eines königlichen Prahlers. Meinem Capitain sah man es an der Stirne an, daß er seinem wichtigen Posten eben so gewachsen war, als er ihm mit Bescheidenheit vorstand. Er wußte nicht nur zu befehlen, sondern auch zu lenken. Dafür aber genoß er auch Achtung und Zutrauen vom Höchsten bis zum Geringsten.

 

     Sein Schutz gab mir Zuversicht, seine Herablassung erhielt mich in Demuth, seine Freundschaft erhob mich. Er, ein Sprosse des edeln Geschlechts von Kosodawlew, das dem Staate schon manchen klugen Kopf und brauchbaren Diener gezogen, flößte mir eine so große Liebe zu seiner Nation, so tiefe Ehrfurcht für seine Monarchin ein, daß, hätte ich nicht gehörige Rücksicht auf mich genommen, mir wohl auch der Schwindel über meinen neuen unverdienten Titel hätte zu Kopf steigen können.

 

     Als ich jenes Bild in meine Gallerie aufgehängt hatte, blieb mir für heute nichts zu besorgen übrig, als Abschied von der großen Nation zu nehmen. Ich steckte mein Patent ein, setzte mich auf einen Fischerkahn, und stieg mit festem Muth ans Land. Eine der schönsten Städte Frankreichs breitete sich nun vor meinen Blicken aus, ich gab aber weniger auf ihre Häuser und Plätze, als mit heimlichem Lächeln auf die Huldigung Acht, die alle Vorübergehenden meiner Uniform erzeigten. In meinem Leben ist der Hut nicht so oft vor mir gezogen worden. Die allgemeine Verbeugung vor der großen Frau, der ich zu dienen den Anschein hatte, machte mir es begreiflich, wie manche ihrer wirklichen Diener, wenn sie andere Höfe und Länder besuchen, auf Stelzen einhertreten, und ich möchte sie beinah entschuldigen, wenn es mir möglich wäre, der Schwachheit des Stolzes das Wort zu reden, oder sein Vordrängen auf meinen geraden einfachen Lebensgang mit Gleichmuth zu ertragen.

 

     Ich gehöre, wie sich das so ziemlich aus meinem lachenden Hinstaunen in die Welt ergiebt, gewiß nicht zu der Klasse der Friedensstörer; wer mich aber aus Ursache seines Eigendünkels beleidigt – jede andere kann ich eher vergeben – mir, um mich zu hänseln, Wasser in meinen Wein mischt, darf sich nicht wundern, wenn ich, ohne lange daran zu schlucken, den unreinen Trank ihm in das Fratzengesicht sprudele. Nicht etwa erst als russischer Titular=Schiffs=Lieutenant, sondern schon längst habe ich in meinen häuslichen, politischen und litterarischen Verhältnissen das System angenommen, das meine anscheinende Gebieterin zur Sicherung der ihrigen erfunden hat – das System der bewaffneten Neutralität. Es ist von allen, die ich kenne, gewiß das beste. Wir sind beide, wenn ich meine Kleinheit neben ihre Größe setzen darf, zu gutmüthig, um nicht jedem seine Sturmhaube, oder seine Schellenkappe zu gönnen, so lange er seinen eigenen Spaß damit treibt; aber niemand in der großen Welt darf seine Lanze gegen sie, und in der kleinen seine Peitsche gegen mich aufheben, wenn ihm seine Haut lieb ist.

 

     Du siehst, Eduard, daß ich in dieser Rücksicht meinem Officiershute so viel Ehre mache als Sie ihrer Krone.

 

     Während ich mich aus einer Gasse in die andere drehte, als wenn ich sie der Länge und Breite nach ausschreiten wollte, die Weinhändler, die hier jeden Fremden schon von weitem als einen Einkäufer anlächeln, durch mein Gesicht voll Würde in ihre Kellerstuben zurückschreckte, und den Policei=Dienern, ohne daß sie es ahndeten, in Gedanken Trotz bot, besorgte Bastian meine letzten Geschäfte mit vieler Einsicht.

 

     Er kaufte für mein Bedürfniß, wie er glaubte, Lord Ansons Reise um die Welt, und ein paar englische Halbstiefeln, und verhandelte meine gepriesene Berline, als unnöthig zur See, an den Miethkutscher des Preußischen Consuls, unter der Bedingung, meine Habseligkeiten noch umsonst bis an das Ufer zu fahren. Er selbst ging mit meinem Puderbeutel in der Hand voran, den ich seiner besondern Sorgfalt um deßwillen empfohlen hatte, weil er, wie ich Dir wohl jetzt vertrauen kann, einen Schatz für mich, die Schnittlinge nemlich meines in der Uebereilung der Furcht castrirten Tagebuchs enthält. Sonach verlasse ich nicht nur um vieles leichter, als ich gekommen bin, sondern auch ungleich einiger mit mir selbst, ein Land, von dem, genau besehen, ich nichts mitnehmen möchte, als das Sonnenthal und Agathen. – Die Dämmerung erinnerte mich zur rechten Zeit an den Vergang meines militairischen Urlaubs. Ich schüttelte, wie ein Apostel, mir den Staub von den Schuhen, wendete beim Eingang des Hafens noch einmal mein zufriedenes freies Gesicht nach der größten der unzähligen Trompeten dieses, in allen Dingen, hoch trabenden Reichs, nach der Vestung der Stadt, als nach dem letzten Gränz- und Markstein, den ich nicht sowohl zwischen mir und dem prahlerischen Gallien, als vielmehr in stiller Hinsicht auf mein künftiges Leben, zwischen dem französischen Leichtsinn und dem deutschen Ernst setzte. Ach welche reuige Empfindungen, gutmüthige Gefühle und meines Vaterlands würdige Vorsätze bewegten mein Herz, indem ich über die auf dem kräuselnden Strom gebrochenen Stralen des Abendsterns, den ich reiner und freundlicher nirgends erblickt habe, zurück nach meiner Garnison fuhr.

 

     Es war mir, wie einem, der seiner Besinnung lange beraubt, ihrer nun seit kurzem mächtig geworden, und mit freudigem Zittern, in der Hoffnung, nie wieder zu kommen, dem Tollhause entschleicht.

 

     Das erste Wort meines Befehlshabers, als ich in seine Cajüte trat, wo er so tiefsinnig über einer Seekarte schwebte, als ein Denker über einem moralischen Werke, war ein Lob auf den herrlichen Wind. Als Schiffs=Lieutenant, glaubte ich, müßte ich Ehren halber mit einstimmen; es schien aber, der gute Mann errieth mich. Er zeigte mir auf der Karte den Weg nach Petersburg und sprach so gleichgültig davon wie von einer Spazierfahrt, tröstete mich freilich dadurch über meinen Katzensprung nach Holland, aber nur halb, denn es lief mir schon beim Anblick des leer gelassenen Papiers der Meeresfläche, das doch gewiß mehr Unfälle bedeckt, als alle angränzende Länder, die mir grün und gelb vor den Augen flimmerten, ein kalter Schauer über den Leib. Ich berechnete die entsetzliche Tiefe und daß ich nur waten, aber nicht schwimmen könne. Das große kaiserliche Schiff verkleinerte sich in meinem Gehirne zu einer zerbrechlichen Schachtel – die mich – als wenn es in meinem täglichen Bette viel anders wäre, – nur im Schweben zwischen Zeit und Ewigkeit hielt. Denke nur: mitten in diesen ernsten Gedanken fällt mir noch, zu meinem Unglück, der gräßliche Sturm ein, den der Anspachische Theodor in seinem wirbligen Kopf erregt hat. Ein schlechtes, lächerliches Vorbild, ich weiß es, das sich aber dennoch meine Phantasie nicht wehren läßt so täuschend auszumalen, als es nur ein Stück von Vernet seyn kann. Wenn das Schiff stranden sollte – ach, ich fände kein Bret, worauf ich mich, oder meinen Namen retten könnte; denn auf Votiv=Tafeln, den Schutz der Heiligen und auf die Gebete der Mönche darf ich, wie es wohl andere thun, am wenigsten rechnen. Ich habe es nicht um sie verdient. Hat mich nicht schon das bloße Bild des einen zu Cotignac in die Toulouser Händel und in das Wagstück verwickelt, dem ich mich jetzt preis gebe? Mein Gott! wie ich zittere und schwatze; aber setze Dich nur, lieber Freund, einen Augenblick an meine Stelle. Ich weiß ja nicht, wie ich mich anders über den ungewohnten Lärm betäuben soll, der auf dem Schiff herrscht. Welcher Unterschied zwischen meinem heutigen Abend und jenem Mittag auf der Fregatte des Voltaire.

 

     Dort hörte ich nur Witz sprudeln und lachte über das denkende Wesen an meiner Seite. Hier hingegen gellen mir die Ohren von nie gehörten Kommando=Wörtern – von Matrosen=Flüchen, Hämmern, Klirren und Poltern, bald über, bald unter mir. Was das alles für Anstalten sind, um bis zu einer Holländischen Treckschüte zu gelangen! So muß der arme Mensch überall dulden, harren und mit Unruhen kämpfen, ehe er ein häusliches langweiliges Glück erreicht.

 

     Sähe ich nur schon die großen Augen meines Jerom, wenn ich ihn in meinem Seecostüm überfalle. Was wird er denken, ehe er erfährt, daß nichts solides dahinter steckt! Es sind noch nicht fünf Monate, seit er auf dem Münster zu Straßburg meinen Glauben an den thierischen Magnetismus so spöttisch behandelte. Ach wie viel unglaublichere Charletanerien habe ich nicht in der kurzen Zwischenzeit erfahren! Ich höre im Geiste sein Gelächter, wenn ich sie ihm erzählen werde. Erzählen? Ich ihm? O ich armer, geplünderter, halb verbrannter, halb verschnittener Autor! Woher sollte mir der Stoff – und was meiner Vergeßlichkeit zu Hülfe kommen? Der kleine Rest meines Tagebuchs? die Haarwickel in meinem Puderbeutel Ist es wohl der Mühe werth, daß sie sich über dem Wasser halten? Ach, mag sie doch meinetwegen der Rachen eines Wallfisches verschlingen, wie den ehrlichen Jonas. Ich verlange nicht einmal, daß er sie wieder ausspeie, sobald sie mich nur nicht nachziehen. Doch eben höre ich den Capitain befehlen, daß die Mannschaft sich schlafen lege, die nicht angestellt ist.

 

     Das gilt auch mir. Ich gehorche.

 

 

*  *  *

 

 

Am Bord des Schiffs

Katharina die Zweyte, den 8ten März.

 

Mein erster Versuch mit der Hangematte ist glücklicher abgelaufen, als ich glaubte. Geist und Körper fühlen sich gesund, und mit meinem Wohlbehagen ist auch mein Muth gestiegen.

 

     Der Wind – Ich würde ihm zwar nicht trauen, aber mein Capitain sagt – und das ist mir genug – er wäre so gut, als ein Seemann ihn wünschen könne. Schon werden die Seegel gespannt, die Anker gehoben und das Steuer=Ruder von der erfahrnen Hand eines Seehelden gefaßt, dessen edle bescheidene Miene schon Ehrfurcht und Vertrauen einflößt, der das Leben und Glück der Menschen zu schätzen weiß, die seiner Leitung überlassen sind, seinem wichtigen Beruf ohne Großsprecherey als ein ehrlicher Mann vorsteht, manchen Sturm mit Festigkeit und Klugheit bekämpft hat, ohne ihn in Journalen zu beschreiben, oder mit so grellen Farben zu schildern, wie der Anspachische Schmierer hinter seinem Dachfenster das berühmte Revolutions=Gemälde, das zwey Ellen und einen Daum groß, aber schlecht erfunden und keinen Heller werth war. O welch ganz anderes Colorit hat die Wahrheit, und wie glücklich ist ein Passagier, der, wie ich, einen scharfsichtigen Capitain am Compaß – einen erfahrnen Steuermann am Ruder weiß! Sei es ein Kriegs= oder Kauffartheyschiff, sie bringen es gewiß glücklich in den Hafen. In solchen hoffnungsvollen Gedanken ruhte mein Blick auf dem ehrlichen Gesichte des alten Schiffers, der sie mir eingab, als Kosodawlew bey uns vorbey in seine Cajüte eilte, um das Signal zur Abfahrt zu geben. Er nahm mich bei der Hand mit sich. Munter, munter, Herr Lieutenant! sagte er scherzend. Mein dirigirender Minister dort nimmt es mit allen Winden der Erde, und meine große Kaiserin mit allen Schutzheiligen in der Legende auf. Und ich, während er veranstaltet, daß man Ihre Flagge aufstecke, sitze andächtig an meinem schwankenden Schreibpultchen, und bete es ihm nach:

 

            Vom Borysthen bis zur Garonne,

            Vom Wolgastrom bis an den Belt

            Durchschwebt Ihr Name wie die Sonne

            Wohlthuend jeden Theil der Welt,

            Und angelacht von Ihrem guten

            Gestirn, ruft mir mein Vaterland:

            Verlaß ein Reich, das Rauch und Tand,

            Um Gott zu blenden – Wünschelruthen

            Zum Richtscheid der Gesetz´ erfand,

            Das einen Greis dem Grab´ entwand,

            Um auf dem Rade zu verbluten.

            Schon hebt Aurorens Rosenband

            Mein freyes Schiff, schon fliegt der Strand,

            Wie Cäsar stürz´ ich in die Fluthen

                Mein liebes Tagbuch in der Hand.

 

 

*  *  *

 

 

Leyden.

 

Den 25sten März.

 

O wie hat die große Frau meinen Glauben an ihr glückliches Gestirn und Kosodawlew mein Vertrauen zu ihm und seiner Kenntniß gerechtfertigt, die noch weit über Compaß und Seekarte hinausreicht! War es doch, als ob Wind und Wetter ihm so gehorsam als die Matrosen – und die Wellen des Meeres nur Stahlfedern wären, die auf weichen Polstern uns hüben und forttrügen. In welcher Glorie ist mir die Natur erschienen, und wie freuten sich meine Augen an jedem wiederkommenden Morgen, daß sie noch nicht, verloren für die Anbetung Gottes, in des Grabes Moder versunken waren! Ich glaubte in jenem Blumenthal, das Agathen umschließt, den Sonnenkörper in seiner größten ätherischen Pracht besungen zu haben, ach ungleich poetischer sah ich ihn in der feyerlichen Geburtsstunde des Tages über den Horizont hervor wallen und mein Erstaunen verstummte. Wer den Mond und die Sterne nur über dem Dunstkreise des Erdballs funkeln sah, denke ja nicht, daß er ihren wahren Glanz kenne, und niemand behaupte, sein eigenes Herz zu verstehn, der seinen Freund oder seine Geliebte noch nicht zwischen Wasser und Himmel umarmt hat. Breitete sich das eine immer so sanft und geschmeidig unter uns, der andere über unsere Häupter eben so wolkenlos aus, als auf dieser meiner ersten Seereise, ich wüßte wohl, welchem Elemente ich mein irdisches Glück anvertrauen würde, denn nirgends fühlt man das kostbare Geschenk des Lebens dankbarer und inniger, als auf diesen schwimmenden Bretern und nirgends reicht uns der Tod näher, schmerzloser und gaukelnder die Hand, als bey der Punschschale, die unsere Abende begeistert und von der wir nicht eher, als mit dem letzten Tropfen, in süßer Betäubung nach unserer Hangmatte taumeln, ohne darauf zu achten, wie sehr sie einem Leichentuche ähnlich sieht. Wer möchte nicht lieber in dem freyen Weltmeere begraben seyn, als in einem verschlossenen Sarge unter einer drückenden Erde, – dem Spielplatz aller bösen Neigungen, künstlicher Bedürfnisse und Laster. Wie verächtlich erscheint einem Beschiffer des Oceans die übrige Welt mit ihren Eitelkeiten und Freuden.

 

     Der glücklichste Monarch kann nicht zufriedener von seinem glänzenden Throne gen Himmel blicken, als ein Seemann von dem Verdecke seines Schiffs. Die stärkende Seeluft, die physische Abgezogenheit von dem Beginnen der Menschen entwickelt die schönste moralische in seiner Seele. Großherzig und neidlos belächelt er in seiner philosophischen Cajüte das Wettrennen des Hochmuths nach Rang, Ehrentitteln und nach den Gängelbändern widersinniger Orden, und ärgert sich über gelehrte Flugschriften, lügenhafte Zeitungen und das summende Geschmeiß, das seine faulen Eier hineinlegt, nicht eher, als bis er gelandet hat.

 

     Dann erst, in der Nähe geistiger und leiblicher Apotheken von einem Sprach= oder Spiel=Zimmer, von einem Tanz= oder Spiegelsaal in den andern getrieben und verfolgt von dem Zungengeräusch der guten Gesellschaft, verläßt ihn sein glücklicher Gleichmuth. Er sehnt sich ermattet zurück in seine schwebende Klause, und will lieber um verdiente heitere Tage und vorwurfsfreie sternhelle Nächte mit Sturm und wilden Fluthen kämpfen, als mit den schmeichelnden Zephyren und den glatten Herzensergießungen der großen Welt um die Zerrbilder ihrer erdichteten Empfindungen, mit denen sie gegen die verwahrlosten Naturkinder, die ohne Anspruch auf Glanz edel nur denken und handeln, so gern groß thut. Ich schwöre Dir bei allen Winden, die uns von dem Hafen zu Bourdeaux aus bis an die Holländische Küste trieben, daß während meines Herüberschwebens mir nicht eine unmuthige Stunde, kein trüber Augenblick in den Flug kam, außer da ich mit Anbruch des letzten Morgens meines Volontair=Dienstes, von dem Hurra des Schiffsvolks geweckt, ein Land aus dem Nebel hervorleuchten sah, das ich beim Schlafengehen noch hundert Meilen entfernt glaubte, und da bald nachher ich, indeß mein Coffer, Tagebuch und Puderbeutel in ein kleineres Fahrzeug geladen wurden, das wie ein Sarg auf mein Hineinsteigen wartete, thränend an der Brust meines guten Capitains, vor Schmerz kaum ein abgebrochnes Lebewohl stammeln konnte. Ich athmete noch schwer, als ich schon am Ufer stand, wußte vor Betäubung nicht, wie viel oder wie wenig ich den beyden Matrosen, die mich herüber gerudert hatten, als Beitrag zur allgemeinen Trink=Casse aus meiner Geldbörse in den Hut warf, und winkte mit dem meinen so lange noch dem lieben Schiffs=Patron zu, bis mich ein anderer Führer sehr verschiedenen Ansehens in einen räderlosen Wagen nöthigte und wie einen armen Sünder zum Richtplatz von Schevelingen nach Haag und von da mit einem untergelegten Pferde nach der Leydener Dreckschüte hinschleifte.

 

     In diesem langweiligen Fahrzeuge fand ich Muße genug, dem Trübsinn, den ich mitbrachte, mit aller Bequemlichkeit nachzuhängen. Ich stützte den Kopf auf den Arm. O! seufzte ich, warum können doch jene Menschenseelen, die der meinigen so theuer geworden sind, mich nicht auf der Wallfahrt durchs Leben immer als treue Schutzgeister umflattern und bis an das einsame Grab begleiten. Wenn Eduard, setzte ich hypochondrisch den Fall, den ich selbst bei unsrer ersten Entfernung durch meine ihm täglich abgelegte Rechenschaft meines Thuns und Treibens fest hielt, zum Ueberschwung in jene unbekannte Sphären früher reifte, als ich, o wie verlassen würde ich dann in meiner Heimath herumirren. Wie wenig heitert mich die Hoffnung auf, meinen Jerom bald, bald an das pochende Herz zu drücken; denn das Vorgefühl naher Trennung wird sich nur zu schmerzhaft unter meine feurigsten Umarmungen mischen. Werden mich wohl je wieder die freundlichen Augen St. Sauveurs begrüßen, wenn, was doch Gott nicht wolle, Agathe mit den ihrigen die Pforten meiner schönsten Erwartung verschließen sollte? Und nun schickte ich noch einen Thränenblick dem edlen Russen über die See nach. Mit welcher Freude verband ich ihn Eurem Kleeblatt, denn er ist dieses Vorzugs werth. Mit demselben Goldstempel, den die Natur Euch vertraute, hat auch Er die Stiftungstage unserer auf dem Meere geschlossenen Freundschaft mir so tief in das Herz geprägt, daß der Rost der Zeit sein liebes Bild so wenig daraus zu verlöschen vermag, als das Eure. Glaubt nicht, daß mein Maß für den Umfang dieses Losungswortes zu kurz sey, denn in dem engen Bezirk eines Schiffs, wo kein Schwankender dem andern höflich aus dem Wege treten kann, beweisen vierzehn frohe Tage einer gemeinschaftlichen Seereise mehr für die Einigkeit der Herzen, als eine gleiche Anzahl Probe=Jahre auf dem festen Lande, wo alles fest steht, – ausgenommen seine Bewohner.

 

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Leyden.

 

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Den 28sten März.

 

Zwey Tage habe ich nun schon in der süßesten Träumerey an der Seite meines geliebten Jerom verlauscht. Ein Glück für Dich, daß sie zu reichhaltig an unbeschreibbar schönen Empfindungen des Wiedersehens waren, als daß ich mich nur einen Augenblick nach meinem schwatzhaften Tagebuche hätte umsehen mögen. Heute verschafft mir bloß die Bleicolik eines Mäklers einige Muße, mit dem entfernten Freunde so lange zu plaudern, bis der nähere mich vom Schreibtisch abruft.

 

     Wenn ich mich kurz fasse, kann ich Dir viel erzählen. Der gute friedsame Holländer! Er konnte mich durchaus nicht länger in meiner militärischen Maske ausstehen, sobald der erste Schrecken vorbey war. Ich nahm so geschwind als ein Chamäleon die Lieblingsfarbe des Landes durch einen schwarzen Rock an, den ich nach Ablegung meines unschuldigen Ehrenkleides anzog.

 

     Jetzt erst stand ich mit dem philosophischen Arzte wieder auf dem sonstigen vertraulichen Fuß. Er nahm mich nun schon etwas herkömmlicher und beinahe neugieriger als ein Pater seine Beichttochter, in Untersuchung. So willig ich auch zu dem aufrichtigsten Bekenntnisse war, so wollte es doch nicht recht damit fort.

 

     Ich stockte alle Minuten und warf das hinterste zu vorderst. Man ist nun einmal mündlich nicht nur weniger bestimmt, als schriftlich, sondern auch viel scheuer in seinem Vortrage; und da der Theil meiner Reise bis Marseille dort verbrannt und mein Gedächtniß viel zu ohnmächtig war, den Staub jener Ereignisse aufs neue zu beleben, so mußten – besonders die zu Avignon nothwendig an Klarheit verlieren; dennoch schüttelte mein Zuhörer mehr als einmal den Kopf zu meiner Erzählung. Als ich mir endlich, so gut es gehen wollte, bis zu meiner gefährlichen Krankheit fortgeholfen hatte, und nun aufstand, um die nachher niedergeschriebenen und ziemlich gut erhaltenen Protokolle meines weiteren Verhaltens beizuholen, glaubte er, daß nun die Reihe an ihm sey zu sprechen. „Bleiben wir für heute, lieber Wil´m, bei Deinem Krankenlager stehen, das Du, wie ich nun selbst von Dir gehört habe, durch muthwillige Bestürmung der Natur, um den Ausdruck zu mäßigen, nur zu wohl verdient hast.“ „Wie Jerom?“ fiel ich ihm in die Rede, „Du nennst meine Lebens=Versuche Bestürmung der Natur, um nicht etwas ärgeres zu sagen? Warst Du es denn nicht, der mir zuerst eine leichtsinnigere Behandlung des moralischen Menschen gegen den Hypochonder empfahl, als er mich von meiner Berliner Studierstube aus schon eine ganze Strecke über den Rhein gejagt hatte? Waren es nicht Scherz und Liebe, die Du mir in dem Gasthofe zu Straßburg als die besten Hülfsmittel gegen meinen drückenden Ernst vorschriebst?“ „Großer Gott!´“ schlug er seine Augen in die Höhe, „wir armen, so oft mißverstandenen Aerzte! Verordnen wir einem Schlaflosen zweý Tropfen Opium, so nimmt er den folgenden Abend das Doppelte, freut sich des angenehmen Traums, in den er verfällt, leert zuletzt das ganze Glas und taumelt in die ewige Nacht.“

 

     „Hätte nicht schon Sabatier, von dem ich den traurigen Ausgang Deiner Lebensweise nur zu umständlich erfahren habe, Dir das Verständniß über die unglaublichen Mißdeutungen eröffnet, mit denen Du meinen gutgemeinten Rath verunstaltet hast, Du würdest jetzt eine viel derbere Lection von mir bekommen. Der liebe Mann, der Dir in der höchsten Noth zu Hülfe kam, überbrachte mir, auf seiner Hinreise nach Edinburg, Deinen kurzen Empfehlungs=Brief, der für ihn ganz unnöthig war, und verweilte einige Tage bei mir. Da ward denn Deiner und Deiner Vergehungen gegen körperliche und geistige Diät mit aller der Mißbilligung gedacht, die sie verdienen. Ich will wünschen, daß die gemachten Erfahrungen Dich vor künftigen Rückfällen besser schützen mögen, als das Packt Recepte, das er mir für Dich zurückließ. Ich dächte, ein größeres könnte ich nicht in Jahr und Tag in unserm Hospital zusammenschnüren. Ich habe es Deinem Cammerdiener zugestellt, um es zu Deinen übrigen Kostbarkeiten zu packen, denn hier bin ich Dir Arztes genug. Daß Sabatier Dir, nach seiner Entfernung, nicht mehr zur Seite seyn konnte, machte mich Anfangs sehr um Dich besorgt; denn hatte ich nicht alle Ursache zu fürchten, daß Deine Wiederkehr in die gesunden Tage so keck und ungestüm seyn würde, als es bei schlaffen Seelen nur zu gewöhnlich und von den schrecklichsten Folgen ist? Zu meiner Beruhigung aber hörte ich, er habe Deine Unbedachtsamkeit in die strenge Aufsicht eines andern rechtschaffenen Freundes gegeben, der“ – – – „Ach damit,“ unterbrach ich ihn, „hat er den edlen St. Sauveur gemeint. Ja, theurer Jerom, diesen Mann kann ich zum Glück dich in seiner ganzen Vortrefflichkeit aus dem Ueberreste meines Tagebuchs kennen lehren, ohne daß ich die Schnittlinge in meinem Puderbeutel dazu ziehe, denn diese betreffen bloß die Genealogie Ludewigs des Vierzehnten.“ „Was in aller Welt willst Du damit sagen?“ fragte er. „Hast Du denn bei Deiner Unordnung ein Tagebuch gehalten? und welche Gemeinschaft hat es mit Deinem Puderbeutel?“ Aber kaum ertheilte ich ihm, nothdürftig, Erläuterung über die beiden unterstrichenen Worte, so drang er in mich, die abgerissenen Glieder zur Ergänzung meines Skelets aus ihrer jetzt unnöthig gewordenen Verborgenheit zu ziehen, schlug alle meine Einwendungen nieder und lief in die Nebenstube. „So höre doch nur, ungeduldiger Mensch!“ rief ich ihm nach; er aber eben so geschwind nach Bastian, der auf seine Anweisung bald darauf mit meinem Portefeuille zu mir hereintrat und den diplomatischen Puderbeutel neben mir auf den Schreibtisch setzte. Was blieb mir übrig, als meinem Wirth zu gehorchen, ob es schon keine leichte Aufgabe ist, eine so zerrüttete Biographie wieder in einen klugen Zusammenhang zu bringen. Das erste Blatt ward mir blutsauer, ehe es, in Ordnung geschoben, zum Abschreiben vor mir lag. Ich mußte den Athem an mich halten, um die oft winzigen Zerstückelungen der Toulouser Scheere nicht auch noch auf dem Stubenboden auflesen zu müssen, oder eine aus ihrer Lage zu verrücken; dafür bin ich aber nun sicher, daß ich der Königin Anna nicht um einen Buchstaben Unrecht gethan habe.

 

     Je mehr sich die Anzahl der kleinen Bruchstückchen in dem Puder verminderte, je geschwinder ging es mir von der Hand. Ich kam nach Maßgabe der Schwierigkeit mit meiner musiven Arbeit immer noch bald genug zu Stande, wenn Du überlegen willst, daß ich oft ein Blatt, das Du jetzt in einer Viertelsekunde umwendest, stückweise vielleicht zweihundertmal umwenden mußte, um auf die andere Seite zu kommen. O, wie würde unsern Autoren das Schreiben verleidet werden, wenn sie sich, oder andere, so abschreiben müßten. Meine große Geduld muß mir bey jedermann zur Ehre gereichen, der das Handwerk versteht.

 

     Der holprige Weg lag nun glatt und eben wieder vor mir, und freudig pochte ich an Jeroms Thüre. Zu hastig im Hereintreten, flogen ihm alle die aufgehäuften Originalschnittchen meiner Handschrift wie Mücken und Sommervögel um den Kopf und schüttelten ihren weißen Staub ab.

 

     Er blies sich einen Weg durch die Wolke, trat aus ihr heraus, wie ein Apoll, setzte sich mir gegenüber und hörte nun der Vorlesung meiner mannichfaltigen Abenteuer mit gutmüthiger Aufmerksamkeit zu. In meiner Krankheits=Geschichte, die ich, wie Du weißt, nach Bastians Anzeige niederschrieb, kam ihm nichts so merkwürdig vor und beschäftigte sein Nachdenken mehr, als der stärkende ruhige Schlaf nach dem Delirio, in welchem ich die Hälfte meines Tagebuches zerriß und zum Kaminfeuer beförderte. „Du nahmst,“ sagte er, „ohne Dir es deutlich bewußt zu seyn, Gerechtigkeit an dir selbst, und die nachfolgende wohlthätige Crise läßt sich ganz wohl erklären.“ Ueber den Wahrsagergeist des heiligen Fiacre neun Monate vor der Entbindung der Königin Anna spottete er wie ein medicinischer Freigeist, lachte aus vollem Herzen über mein Verhör zu Toulouse, so wie über die Furcht, die mich auf die See trieb, und fing nun selbst an zu bedauern, daß die erste Abtheilung meiner Reise in der Asche lag.

 

     O! es wird allen Lesern der zweiten so gehen, dachte ich.

 

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Leyden.

 

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Den 26sten März.

 

Sei aufmerksam, Eduard, ich bitte Dich. Als ich gestern Abends mit dem heisern Hals eines Fastnachtspredigers in mein Zimmer trat, fiel mir das mächtig große Packet in die Augen, das Sabatier für mich bei Jerom niedergelegt hatte. Nun Gott erbarme sich deiner! stemmte ich beide Arme in die Seite, wenn der gute Mann dir so viele Krankheiten zutheilt, als dieser Haufen Recepte voraussetzt. Mein Körper, das gebe ich zu, bedarf freilich mancherlei Nothhülfe, aber Jerom hat Recht mit dem Hospital.

 

     Nein, das sind sicher, besann ich mich, die zwey Quartanten mit Kupfertafeln, die der gelehrte Arzt vor kurzem über die Anatomie herausgegeben, und sollen wahrscheinlich ein Geschenk für deine Bibliothek seyn. Sehr artig von ihm! Nur ist das keine Lektüre im Bette. Die Ansicht eines Menschengewebes befördert unter keinerlei Umständen den Schlaf, und vollends zergliedert verursacht es mir allemal Krampf. Bleibt mir vom Leibe, sagte ich, indem mich ein Schauer überlief, stieg schnell zu Bette und weiß nun meiner Vorsicht nicht genug zu danken. Denn, als ich heute früh, beim Hin= und Wiedergehen am Theetisch, den Bündel nicht länger so vor mir sehen konnte, ohne zu wissen, was er unter seinem Siegel verbarg, hätte mir wohl kein anatomischeres Werk in die Hände fallen und keins mich mehr erschüttern können, als das ich eben auspackte.

 

     Die fabelhafte Wiedergeburt des Vogels Phönix versinnlichte sich hier vor meinen Augen. Freudiger könnte er wohl nicht aus seiner Asche aufflattern, als das klopfende Herz in meiner Brust – Erstaunter könnte er schwerlich sein neu entwickeltes Gefieder lüften, als ich einen Heft nach dem andern meines, bis jetzt zerrissen und verbrannt geglaubten Tagebuchs an das Licht hob. Ich zählte diese bunten Federn meiner Flügel durch – es fehlte nicht eine und mein Aufschwung zur Unsterblichkeit war nun nicht mehr zweifelhaft. Lange blieb ich, stumm wie eine Bildsäule, vor ihnen stehen, ehe ich zur Besinnung kam, mich nach dem mächtigen Schutzgeist umzuschauen, dem ich ihre wunderbare Erhaltung zu verdanken hätte.

 

     Welcher könnte es wohl anders seyn, als der Retter meines Lebens – der verständige Sabatier. Er versteckte dem Wickelkinde das spitzige Spielwerk, um es ihm, wenn es größer und klüger seyn würde, väterlich lächelnd zurückzugeben. Unter diesen Gedanken öffnete ich seinen Brief, aber wie heftig war auch nun der Gegenstoß, den meine Erwartung erhielt, als ich folgendes las: „Lernen Sie endlich, an der Gränze Ihrer Gesundheitsreise, den barmherzigen Bruder kennen, der mich mit sechs Pferden von Montpellier abholen ließ, als Sie zu Marseille mit dem Tode rangen, mich mit rührender Beredtsamkeit beschwor, Ihnen beizustehen, und mir das zufällige Glück Ihrer Herstellung fürstlich belohnte. Er war es, der Ihre Handschrift der Vernichtung entriß, indem er statt derselben Ihnen aus einer alten Postille, die nach einem gewöhnlichen Schicksal, das Sie vielleicht nie treffen wird, zu Makulatur geworden, in der Nähe lag, die Anzahl Bogen zureichte, die Sie in der Fieberhitze verlangten. Sie zerschlitzten mit sichtbarem Wohlgefallen einen nach dem andern, und bezeigten, da sie im Camin aufloderten, so viel Freude, als bei einer guten Handlung. Diese glückliche Täuschung hat nicht nur Ihr Tagebuch, sondern auch eben so gewiß den Erkrankten gerettet, der es schrieb. Sie kühlte sein Blut, beruhigte seine aufgeschreckte Phantasie und verschaffte ihm jenen erquickenden Schlaf, den alle meine Opiate nicht bewirken konnten, und der die Heftigkeit seines Fiebers brach. In der Anlage wird er sich Ihnen selbst, und zwar nicht bloß als den seltensten Menschenfreund, sondern als den strengsten Beurtheiler Ihrer Selbst=Bekenntnisse zu erkennen geben. Er las sie, mit Thränen, hinter dem Vorhang Ihres Bettes, indem er bey jeder – vergeben Sie mir den Ausdruck – leichtsinnigen Aeußerung mitleidige Blicke auf Ihr Krankenlager warf, und Ihre verlaufenen und verschleuderten Tage mit den gegenwärtigen trostlosen Stunden verglich, die, wie wir uns beide nicht verhehlen konnten, von jenen nur zu gewiß abstammten.“ Dieser Vorbericht benahm mir beinahe die Lust, mit dem barmherzigen Bruder, auf dessen geweihtes Haupt ich übrigens allen Seegen vom Himmel erbitte, in nähere Bekanntschaft zu treten. Wie es scheint, hat er meinen vorliegenden Text nur deßwegen aus dem Feuer gerettet, um eine Strafpredigt darüber zu spannen, die vermuthlich an Erbaulichkeit die alte Postille übertreffen sollte, die er mir zum Zerreißen preis gab; denn welcher geistliche Redner traut sich nicht mehr Beredtsamkeit und Salbung zu, als seinem Confrater. Ich kratzte mich lange hinter den Ohren, ehe ich mich entschließen konnte, sie meinem frömmelnden Tadler zu öffnen; aber kaum, daß ich seinen dickleibigen Brief entsiegelt und den ersten Blick auf die Unterschrift geworfen hatte, so fiel er mir auch vor Herzklopfen aus der Hand. O diese letzte, schrie ich laut auf, ist auch deine schönste Ueberraschung, mein, mehr als alle barmherzige Brüder, mein theuerster St. Sauveur. Nur mit zitternden Händen konnte ich den Brief wieder aufheben, küßte und legte ihn mehrmal in seine alten Brüche, ehe ich ihn aus einander schlug und mich andächtig genug gestimmt fühlte, ihn zu lesen.

 

     Welche Bewunderung hat er mir nicht seitdem schon abgenöthiget, in welches Entzücken mich versetzt und wie viel süße Thränen der Dankbarkeit meinen Augen entlockt. Ich schreibe Dir ihn nicht ab, lieber Eduard, nicht bloß deßhalb, weil er für die Kürze der mir zugemessenen Zeit zu lang, sondern auch, weil dieß Meisterstück an Schönheit des Vortrags, wahrer und doch schonender Freundschaft mein armes Tagebuch gar zu sehr in Schatten stellen würde.

 

     Wenn wir nach unserer frohen Zusammenkunft uns erst einige Abende hindurch an diesem matt gelesen – der leidenschaftlichen Sophistereien – der bösen Beispiele und der schlüpfrigen Bilder, die es hier und da enthält, genug haben und unsere Herzen welk fühlen; dann wollen wir uns der Ergießungen dieser reinen Quelle – dieser edeln, großen und fühlenden Seele, als eines stärkenden Labetrunks nach vielen erschlaffenden schwülen Tagen, mit desto innigerer Wollust freuen und ohne den Schreiber, der jene nur allzutreuen Gemälde einer unsittlichen Welt abstahl, in die Hölle zu verdammen, dem frohen, festen Sinn seines gutmüthigen Tadlers für Tugend und Menschenwürde, vorzüglich aber den geheimen verschlungenen Wegen nachspüren, die ihn zu dem Gipfel, von dem er nun auf uns herabsieht, erhoben und die wir, trotz unsrer Scharfsichtigkeit, lieber Eduard, beide noch nicht entdeckt haben. O warum kann ich ihm nicht in diesem Augenblick für den hohen Genuß seiner sanften Belehrung dankend zu Füßen fallen! Wie, um Gottes willen, ging es zu, daß ich nicht schon aus der zarten Behandlung meiner bis zum Zerbrechen gesunkenen Maschine, den Freund errieth, der allein Menschenkenntniß genug besaß, sie wieder in ihre physischen und moralischen Fugen zu zwingen. Mußte ich erst aus seinem Briefe den Retter meines Tagebuchs kennen lernen?

 

     Wen – außer Ihm, hätte ein so feiner Takt leiten können, die Nachwehen eines sich selbst vernichtenden Autors zu fassen – das Unglück, das er seinen Geisteskindern drohte, abzuwenden und seine lebenslängliche Trauer über aufgeopferten Nachruhm in ein wahres Auferstehungsfest zu verwandeln? Wie konnte ich zu Marseille, und auch hier noch, fuhr ich immer staunender zu fragen fort, einem unbekannten Mönche jene Ehrfurcht für einen Weltmann, die brüderliche Sorgfalt an meinem Krankenbette, die uneigennützige Verzichtleistung auf Kosten=Ersatz – Belohnung und Dank – wie konnte ich ihm einen Augenblick zutrauen, daß er an einen sterbenden Ketzer wichtigere Geschenke wagen würde, als einen geruchlosen Rosenkranz und die letzte Oelung?

 

     Wie ging es zu, – schlug ich mich zuletzt noch vor die Stirne, daß keiner meiner Wächter und Wärter mir das Geheimniß verrieth? Bastian half mir aus dem Traum. „Wir,“ sagte er, „so viel unser waren, sahen diesen Abgesandten des Himmels nur schwarz gekleidet vor Ihrem Bette und nach seiner Verschwindung kein einzigmal wieder.“ Jetzt begriff ich, warum der Schlaue, aller französischen Höflichkeit entgegen, mich nie mit einem Gegenbesuche beehrte, – nie zu einer gemeinschaftlichen Spazierfahrt abholte, und so fremd mit meiner Haushaltung that, als habe er in seinem Leben kein Wort von dem alten Maler Sperling und den beiden Puppenspielern gehört, ob ihm schon ersterer eine fast verlorne Erbschaft und die andern ihre Befreiung von Tortur und Galgen zu verdanken hatten.

 

     Hochgepriesen sey mir sein System. Noch hat kein anderes meine Seelen=Kräfte so auf einmal, wie durch einen electrischen Schlag zu erschüttern vermocht, als seine heutige Ueberraschung. Gleich dem sokratischen Genius leitete mich seine unsichtbare Hand bis zu dieser seligen Stunde der Erkenntniß. O daß sie, rief ich kleinmüthig aus, für die höchste meiner Lebensfreuden mit demselben Gelingen fortwirke! – stellte mich an das Fenster, blickte, Thränen der Zärtlichkeit in den Augen, gen Himmel und dachte eine ganze Weile noch an Ihn und Agathen, ehe ich meinen großen Fund unter den Arm nahm und nach Jeroms Studierzimmer eilte. „Hier bringe ich Dir,“ trat ich vor seinen runden philosophischen Drehstuhl und Arbeitstisch, „meine weitläuftige Krankheits-Geschichte nebst allen dazu gehörigen Belegen an Heilungs= und Präservations=Mitteln. Untersuche doch, ob sie des Aufhebens werth sind. Dein Ausspruch soll entscheiden.“ „Gut, lieber Wil´m,“ wendete er sein ernsthaftes Gesicht von seiner Schreiberei ab gegen mich, „das hat aber Zeit bis auf den Abend. Jetzt habe ich mein Nachdenken für preßhaftere Personen nöthig, als Du bist. Allen Respekt,“ staunte er mein Packet an, „für den gelehrten Sabatier, aber was will er mit diesem Schwall von medizinischen Verordnungen? Der Arzt, glaube mir, kann so gut, als der Moralist, seine Lebensregeln auf eine Quart=Seite bringen – Doch lege nur einstweilen Deine Gegenbeweise,“ streckte er ungeduldig seine Feder einem Lesepult zu, „dorthin neben Zimmermanns Erfahrungen, und wenn Du nichts besseres vorhast, so besuche indeß so lange unsere Hörsäle, Professoren, Kirchen, Armen=Anstalten, oder was Du sonst willst, bis ich Dir wieder zu Diensten seyn kann.“ „Du bist heute kurz angebunden, lieber Jerom,“ erwiederte ich. Statt zu antworten, reichte er mir, mit einem Blick, der mir ans Herz ging, die Namen=Liste aller der Leidenden hin, die auf Strohsäcken und seidenen Betten nach baldigem Trost aus seinem Munde ächzten, tunkte seine Feder frisch ein und schrieb weiter. Ich erschrak über dieß übernächtige schwarze Register so sehr, daß ich, wie von Gespenstern verfolgt, aus seinem Museo nach dem unerträglich leeren meinigen flog. Hier, nach einem kurzen Besinnen, versuchte ich das möglichste, um mich aufzuheitern, aber es ging nicht. Umsonst durchbilderte ich eben so zaghaft meine leicht zerbrechliche historische Scheiben=Sammlung, als mit poetischer Dreistigkeit jene noch im Archiv der Liebe verschlossene, von Agathens Reitzen; aber auch diese so oft erprobte Linderung wollte nicht anschlagen. Fort dann, rief ich, in die freie Luft! und machte mich mit meinem verstimmten Instrumente auf den Weg, spannte die Saiten aufs höchste, brachte aber doch nichts, als Mißtöne hervor. Nach einem irrenden Spaziergang längs dem Canal, schlenderte ich verdrossen auf den Marktplatz, und, nachdem ich hier und dort lange genug andern im Wege gestanden und von dem Vorgesehn der Lastträger, die den geraden ihrigen gingen, erschreckt worden war, flüchtete ich, einfältig genug, dem deutschen Caffee-Hause vorbey in das holländische. Da hatte ich es vollends getroffen! An der Vaterlandsche Courant, die man mir hinschob, war mir so wenig gelegen, als an einem Glas Genever, das man mir vorsetzte, und bey der schwatzenden Gesellschaft, die sich in langsamer Bewegung durchkreuzte, verunglückte mir jede höfliche Annäherung. Meine Wetter=Beobachtungen und andere dergleichen unschuldige Einleitungen zum Gespräch, mit denen ich in Berlin recht gut durchkomme, machten hier nicht den geringsten Eindruck. Ein kurzes ja woel myn heer war der ganze Weihrauch, den mir hier und da einer aus seiner Pfeife unter die Nase blies. In Avignon, Marseille und andern artigen französischen Städten sah ich mich oft noch Stundenlang von einer hübschen Aufwärterin, oder einem gesprächigen Marqueur aufgehalten, wenn ich schon meinen Hut von der Wand gelangt hatte. Hier bekümmerte sich keine Seele darum. Man ließ mich ruhig über die Schwelle, sobald ich mein Doppelchen für die Ansicht des mir zugemutheten Aquavits auf den Teller gelegt hatte.

 

     Schmollend, ohne recht zu wissen, ob über die hiesige oder meine gewohnte Lebensweise, schlug ich einen längern Umweg durch schnurgerade Gassen, nach – wie soll ich es nennen? nach einem leidlichern Gefühl ein, und gerieth, als wenn heute ein böser Geist sein Spiel hätte – unvermuthet an das Eckhaus, wo ich ehemals gewiß bequemer wohnte, als Peter der Große während seiner Studien des Schiffsbaues zu Sardam. Ein struppiger Tituskopf streckte sich jetzt aus demselben Schubfenster vor, aus welchem ich sonst mit gekräuseltem Haar über die vier Facultäten hinweg in die offene Welt lachte. Noch immer, wie zu meiner Zeit, verzierten japanische Blumentöpfe das Ruheplätzchen des Erkers, wo ich so oft Jerom die Schweißtropfen von der Stirne trocknete, wenn er ermüdet aus dem botanischen Garten zurückkam. Die drey Universitäts=Jahre, die ich als Miethmann neben seiner Studierstube – ach, ich mag es einkleiden, wie ich will, – gedankenlos, – aber das muß auch wahr seyn, – sehr jovialisch vertändelte, gaukelten mir in der lebhaftesten Erinnerung vorüber. Dennoch ward es mir auf einmal so unheimlich in der Nachbarschaft dieser meiner Jugend-Herberge, daß ich mir den Sporn gab und mit dem immer beibehaltenen Eifer für die Naturgeschichte, den Meerwundern auf dem Fischmarkt einen fliegenden Besuch machen wollte; aber kaum war ich um den Laternen=Pfahl herum, so stieß ich – da ich es in dieser Prüfungs=Stunde gerade am wenigsten wünschte, – auf meinen lieben Schulfreund, den in allen Gassen beschäftigten Jerom. „Wo kommst Du her?“ warf er mir im Fortgehen die Frage vor. „Von

der Betrachtung“ – rieb ich mir die Stirn – „unserer ehemaligen Wohnung, und Du?“ – „Aus der Marterkammer,“ erwiederte er, „einer zum erstenmal gebährenden, – aber nun mit dem frohsten Erstaunen belohnten Mutter, der ich eben die Ausbeute eines schönen Jungen zu Tage gefördert und an die bebende Brust gelegt habe. Jetzt gehe ich, wenn Du mit willst, in das Arbeitshaus, um ein wenig auszuruhn – und dann in der Nähe dort, zu dem ungeduldigsten Domine von der Welt, um ein ihm sehr dienliches Quartanfieber zu bewillkommen, das – er sah nach der Uhr – in Zeit einer halben Stunde eintreffen wird.“ „Wohl bekomme Dir, lieber Jerom,“ hing ich mich gähnend an seinen Arm, „Deine Visite beym Domine und deine Ruhestunde im Arbeitshause. Dazu wäre mir eine Bilder=Gallerie lieber, wenn eine da wäre.“ „Das ist Dir zu glauben,“ lächelte er, „leider nur sind dergleichen Asyle des Müssiggangs – das mußt Du ja von Alters her wissen – bei uns nicht hergebracht. Wir benutzen unsere Säle zu nothwendigern Dingen – nicht aus Geringschätzung der Kunst und des Geschmacks,“ antwortete er meiner spöttelnden Miene – „denn wie viele unserer wohlhabenden Einwohner besitzen nicht Sammlungen von den schönsten Gemälden, aus denen man eine größere, als die Düsseldorfer ist, zusammensetzen könnte.“ „Ja, ja,“ nickte ich mit dem Kopfe, „wohl Schade um die Meisterstücke der niederländischen Schule, – um Eure Rembrands. – van Dyks – Gerhard Dauws – Wouvermanns und de Wit's, deren so viele noch in den Achter- und Binnenkammern und Comptorchen gemeiner Bürger, unverantwortlich zerstreut und dem ehrsamen Publicum versteckt sind. Herkömmlicher Weise? sagst Du. Nun ja! aber ich möchte auch wohl wissen, was es in Holland nicht wäre? von seinen Gesetzen und Sitten an, bis auf die Physiognomie seiner Gärten, Dörfer und Städte. Der Genius der Zeit vermag nichts über das ewige Einerley Eures mit Recht bewunderten Landes, wenn man es nemlich zum erstenmal sieht; käme aber auch ein Reisender wieder nach hundert Jahren zu Euch, ich wette, er findet weder eine modische noch ästhetische neue Anlage, oder eine merkwürdige Erscheinung unter Euerm Horizont, die vorher noch nicht da war.“ „Das will ich Dir,“ endigte Jerom unser Gassen=Gespräch, „nächsten Tages durch den Augenschein widerlegen,“ und so trennten wir uns am Thore des Werkhauses, bis uns der Mittag wieder zusammen brachte. In einer holländischen Stadt tritt er pünktlich – fast so spät, als in Regensburg, aber, als Nothhülfe der, aufs genaueste berechneten, physisch errungenen Erschöpfung, so reich ausgestattet, als dort, ein, schreitet abgemessenen Gangs von einer nahrhaften Schüssel zur andern fort, bis unter den zusammenfließenden Nebeln des Thees, Tabaks und der Canäle die Stunde der Verdauung und gesellschaftlichen Unterhaltung über die Ernte=Tabellen der Börse, protestirten und acceptirten Wechsel, geglückten oder mißlungenen Speculationen, anbricht. Da ist es denn kein Wunder, wenn während dessen unser Eins sich nach den ganz andern Zeitverkürzungen in Berlin zurück sehnt.

 

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Leyden.

 

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Den 27sten März.

 

„Und wenn Du nun,“ sagte Jerom, als ich beim Frühstück des Heimwehs, das mich gestern befiel, und der Bewegungsgründe erwähnte, die es auch heute noch, laut genug, unterstützten, „jene Zeitkürzungen erreicht hast, – die ich Dir wohl so fein zergliedern wollte, als den unnatürlichen Auswuchs eines schwammigen Körpers – wirst Du Dich darum in Deiner speculativen Schlafkammer, – wie ich sie einstweilen so nennen will – glücklicher und großherziger zu Bette legen, als ein betriebsamer Spediteur allgemeiner Bedürfnisse – ein Banquier von Credit – ein thätiger Negociant in der seinigen? wirst du von deinem Ausflattern in den leeren Raum der vornehmen Welt weniger ermüdet und zufriedener zurückkommen, als jene von den Schiffswerften, – den Packhäusern und der Börse? Kannst Du aus Deiner erhabenen Sphäre – können alle, die Dir gleichen, wohl das Herz haben, mit Stolz auf unsere Demuth – mit Neid auf unsern Erwerb – mit Spott auf unsere einfachen Erholungen herunter zu sehen? Gesetzt sogar, lieber Wil´m, laß uns immer einmal ernstlich darüber sprechen, Du könntest Deine viel bedürfende Weichlichkeit in Allem befriedigen und stiegest nur an Blumen=Geländern, erst nach einem Seculo, wie Fontenelle, ins Grab, würde Dein langgedauertes Daseyn, bei allen genossenen Freuden, verdienstlicher, als das unsere, und die Erde Dir darum leichter werden, als uns und allen und jeden dienstbaren Bienen an dem großen Honigstocke der Welt? – –“

 

     Dergleichen Hohlspiegel lasse ich mir nun nicht gerne lange vor´s Gesicht halten, drum drückte ich dem Redner, als wenn es aus dankbarem Gefühl geschähe, stillschweigend die Hand und ließ ihn, um nicht als Raub=Biene seinen Stachel zu reitzen, so viel Wachs, Saft oder Wasser, als er fortschleppen konnte, den Zellen seiner summenden Mitgehülfen zutragen. „Ich gönne,“ murmelte ich hinwärts nach meinem Schreibtisch, „dem fleißigen Gewürm seine Freude von ganzem Herzen. Mehr kann ich, mehr kann ein Cammerherr nicht thun. Unsere zwar schön vergoldeten Schlüssel – übrigens aber, das wissen wir alle, von dem schlechtesten Metall, können freilich weder Vorraths= noch Werkhäuser öffnen, denn sie öffnen gar nichts und schließen nirgends, müssen jedoch, wie alles in der Welt, zu etwas nütze seyn, weil sie da sind.“ Bei dieser tiefsinnigen Ausrede ließ ich es einstweilen bewenden.

 

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Leyden.

 

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Den 30sten März.

 

Es war mir die paar Tage her ganz unlustig zu Muthe, und dabey recht Angst, daß Jerom mit Untersuchung meiner handschriftlichen Beichte nicht so geschwind fertig werden möchte, als ich abzureisen wünschte, denn er erwähnte derselben bis heute Morgen mit keiner Sylbe. Er habe, führt´ er zur Ursache an, in meinem Prozeß mit der Moral – ein sonderbarer Ausdruck – manche Seiten mehrmal überlesen müssen, um meine Sophistereyen ins klare zu setzen, und sein Endurtheil doch auch nicht eher abgeben mögen, bis er nicht erst selber darüber mit sich einig geworden wäre, müsse aber zu seiner Schande gestehen, daß es ihm damit nicht besser geglückt sey, als den meisten Facultisten mit Criminalakten. „Meines Dafürhaltens,“ fuhr er fort, „thust Du am klügsten, Du stellst deine Sache der öffentlichen Meinung und der Mehrheit der Stimmen anheim. Hätte dem Vagabonden, werden nun Wohl die meisten Leser mit mir übereindenken, immer ein Arzt, wie Sabatier, ein Mentor, wie St. Sauveur, zur Seite gestanden, seine Reisebeschreibung wäre Zweifels ohne nicht minder erbaulich und nützlich für unsere Kinderstuben ausgefallen, als weiland die Fenelons vom Telemach; denn sich selbst überlassen, belehrt uns sein Tagebuch nur zu deutlich, kommt er in allem Guten eher zurück als vorwärts.“ Ich schickte mich an, meine Einwendung dagegen vorzutragen, aber, „Auf den Abend“ unterbrach er mich, „wenn mein Tagewerk vollbracht seyn wird, das Weitere davon!“ entfernte sich und läßt mich sonach noch immer über seine endliche Entscheidung in Ungewißheit.

 

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     Seit der Theestunde ist meine Angst vorbei. Mein Tagebuch – kann ich Dir nicht eilig genug zu wissen thun, – hat die letzte Probe, die ich noch erwartete, hat nun mit der seinigen die Kritiken zweier gleich großen Welt= und Menschenkenner, als es nicht leicht nach ihnen einer wieder vor die Brille nehmen wird, überstanden. Wie viele deutsche Bücher mögen wohl dieselbe Aufmunterung vor sich, und einen so schönen Beruf haben, ihre Wurzeln auf dem vaterländischen Boden weiter zu schlagen. Nur nicht so verwundert gethan, mein lieber Eduard! Du wirst doch wohl nicht immer meinen Autor=Kitzel für Scherz gehalten haben, wenn ich mit lachendem Munde davon sprach, denn kann man denn wohl von diesem Jucken sprechen, ohne selbst darüber zu lachen? Ich unterliege ihm jetzt vollends, so schwach als ein Kind. Weder Dein Ernst, noch Dein Spott darüber sollen mich anfechten, denn wenn uns, sage ich mir, ein längst todt geglaubter Freund nach unendlichen überstandenen Gefahren zu Wasser und zu Lande, auf einmal, frisch erhalten und lustig in die Stube gepoltert kommt – laß ihn selbst schmutziger erscheinen, als den verlornen Sohn in der Bilderbibel, wie verschränkt müßte das Herz seyn, das nicht in der unaussprechlichen Freude des Wiedersehens, wenigstens seine Hausnachbarn, Blutsfreunde und andere liebe Bekannte, zusammen trommelte? Und ist das nicht ganz der Fall mit mir, meinem Tagebuche und seinen Lesern? Freilich – kann ich nicht läugnen – hätten seine beiden ersten Besichtiger gern verschiedene der Malereien, die es mitbringt, retouchirt, einige verschliffen, andere wohl gar, in der andächtigen Stimmung des verstorbenen Herzogs von – – – – vernichtet, um den Hofdamen kein Aergerniß zu geben. Was sagen aber auch die Freunde der Kunst zu seiner Bilderstürmerey? Er verschonte so wenig die Unschuld der Bathseba, als den trunkenen Lot mit seinen Töchtern, von van der Werft – weder Rubens fleischige Grazien, noch die schlankesten badenden Nymphen von Albano – ließ von seinem Cabinetsmaler alle academische Nuditäten in der väterlichen Verlassenschaft, je reizender sie waren, desto eher, aufs neue grundiren und erbaulichere Figuren darauf setzen. Nun sah es freilich kein Mensch dem König David mit der Harfe, den Prinzessinnen des Hauses, oder andern Familien=Portraits an, was hinter ihnen steckte, und der Teufel konnte sein Spiel so wenig damit treiben, als der Herzog selbst, denn er starb ohne Kinder.

 

     Meinen armen Zeichnungen wäre es, wie gesagt, nicht besser ergangen, hätte es nur ohne Nachtheil des Zusammenhangs so leicht geschehen können, als in jener fürstlichen Bilder=Kammer.

 

     Aber St. Sauveur, der sie aus dem Feuer riß, ließ seine, zum Versuch des Ausbesserns erhobene Hand so gut sinken, als Jerom, der mir mein Portefeuille nach dreytägiger Durchsicht mit einer Erklärung so eben wieder zurück gebracht hat, die ich lieber verschwiege, wenn ich etwas zu verschweigen gewohnt wäre. „Hier, Wil´m,“ trat er mit einem Lächeln, das mir nicht gefiel, in mein Zimmer, „hast du Deine – wie Du sie zu nennen beliebst, – Recepte wieder. Als Arzt weiß ich gar nichts damit anzufangen.“ – „Gar nichts?“ fiel ich ihm in die Rede. „Das ist arg!“ „Und als Philosoph,“ fuhr er ächt holländisch fort, „eben so wenig.“

 

     „Gieb Dein Werk aus, für was Du willst, nur nicht für ein moralisches Vehiculum – dazu ist und bleibt es verdorben. Das wenige Gute, was hier und da darin, gleich Waizenkörnern unter Spreu, verstreut liegt, würde keine Hand voll dienlicher Aussaat betragen, wenn man sich auch die undankbare Mühe geben wollte, sie von ihrem Unrath zu sichten. Und wem könnte am Ende auch wohl auf einem Erdstrich, der von Cultur so strotzt, wie Dein Vaterland, mit solch einer Kleinigkeit gedient seyn?“ Ich runzelte die Stirn und schlug die Augen zu Boden. „Deine Offenherzigkeit“ fuhr er nach einer zwar kleinen, aber doch immer sehr demüthigenden Pause fort, „und die Wahrheit Deiner Ohrenbeichte, ob sie schon der neugierigste Sündenerforscher weniger treu wünschen würde, verdient indeß –“ ich schöpfte wieder Athem – „einige Schonung. Es steht vielleicht zu hoffen, daß sie manchen Verstockten, der sich vor Priestern und Leviten weiß brennt, zum erstenmal schamroth mache – Gott gebe, daß es nur nicht auch in weiblichen Engeln das Blut hebt! – und ist beinahe das einzige, was mich abhält, auf gänzliche Unterdrückung Deiner buntscheckigen Selbstbekenntnisse zu stimmen. Möglich auch, daß sie andere, der Sittlichkeit noch schädlichere Schriften – sophistische Romane – casuistische Betrügereien – aus den Lesezirkeln verdrängen, und so kann man freilich nicht wissen, ob Du nicht zufällig der Welt wohl gar noch einen Ritterdienst leistest.“

 

     „Die scharfe Lauge, welche Kunstrichter,“ setzte er ironisch hinzu, „über den Verfasser ausgießen werden, soll es übrigens wohl verhindern, daß dieser nützlichen Tagebücher nicht zu viele entstehen, denn ihre Vervielfältigung könnte leicht ein anderes Unglück anrichten, das den, ohnehin zweydeutigen Werth des Deinigen weit überwöge, nemlich“ – ich horchte hoch auf – „daß leichtsinnige, kurzsichtige Jünglinge die Fehltritte, deren Du auf Deiner paarmonatlichen Reise so viele begingst, und unbefangener, als nöthig war, eingestehst, für den, allen vernünftigen Menschen gewöhnlichen Fortgang zur Erkenntniß hielten, und aus Furcht, eine Ausnahme zu machen, immer weiter von der rechten Straße abkämen.“ Ich war heilfroh, daß der liebe Strafprediger abgerufen wurde, aber er kam nur zu bald, und zugleich auf seinen verlassenen Text wieder zurück. „Da haben wir,“ warf er ingrimmig seinen Hut in die Ecke, „die Folgen eines unbewachten Lebens in terminis. Eben komme ich von dem Bette des Elends eines jungen Mannes, der mit der langwierigsten aller Todesarten – mit der Schwindsucht kämpft, und Vergehungen an der wohlthätigen Natur mit der Rückendarre büßen muß. Wehmüthig hängen seine hohlen – an den großen blauen, thränenden Augen einer ihm seit kurzem unverdient zu Theil gewordenen liebenswürdigen Gemalin, deren Umarmung ich ihm als einen Meuchelmord untersagt habe, durch den er die Schuld seiner Selbstentleibung – es ist schrecklich zu denken – noch in der Verwesung bis zum Greuel seines Andenkens vergrößern, und über seinen Grabhügel eine Saat von Nesseln verbreiten würde.“

 

     „Die einst so frischen Bilder seiner, der Wollust geopferten Tage umgaukeln jetzt als verzerrte Masken sein Lager, und jene grausamen Spielwerke seiner tändelnden Hand – jene der Unschuld abgelockten Schleyer, fallen jetzt, als so viele drückende Leichentücher, über sein brennendes Haupt. Bange, schlaflose Stunden treten an die Stelle verlaufener flüchtiger Freuden, und verkümmern ihm, gleich unbarmherzigen Gläubigern, die Schlußrechnung seines vergeudeten Lebens. Aerzte, Philosophen und Priester stehen niedergeschlagenen Gesichts vor dem nach Beruhigung Aechzenden; denn welche Kunst und Wissenschaft vermöchte solch ein Verschmachten – diese Seelen=Angst – dieß Grausen vor der Zukunft zu heben?“ „Halt ein, lieber Jerom,“ unterbrach ich ihn, „solche schauderhafte Gemälde kann nur ein Arzt, wie Du, kann nur ein Zergliederer entwerfen, der eines schneidenden Messers gewohnt ist.“ „Nein,“ erwiederte er, »ich stelle Dir nur eine von den täglichen Erfahrungen für jeden Beobachter entgegen, der seine Augen gebrauchen will. Dir selbst sind ähnliche Trauergestalten auf Deinen Schleifwegen begegnet, Du hast sie oft treu genug abgezeichnet, aber ihren Eindruck immer wieder durch schnellen Uebergang zu andern leichtfertigen Bildern geschwächt. Das ist der größte Vorwurf, den ich Deiner Art zu malen mache, ob ich Dich gleich zu gut kenne, um Dir eine gottlose Absicht dabei Schuld zu geben.“

 

     „Kannst Du, zum Beispiel, bei der öffentlichen Ausstellung, die Du vorhast, und zu der sich, wie gewöhnlich, gewiß mehr neugierige, unerfahrne Müßiggänger drängen werden, als unbestechbare Kenner, jenen Avignonischen Zeichnungen ihre verführerische Wirkung benehmen?“ „Ja, das kann ich,“ hielt ich ihn beim Aermel, da ihn eben ein Billet von einer kritzelnden weiblichen Hand, bei dessen Durchlesen er die seine einigemal an die Stirne, und die Augen mit sichtbarem Entsetzen in die Höhe schlug, schnell auszugehen nöthigte, „wenn Du mir erlaubst, nur diesen einzigen Fall Deiner Praxis in mein Tagebuch einzutragen, ich will Dich auch gern nicht über den Brief noch abhören, der Dich eben so gewaltig erschreckt hat. Für meine Kunden wird schon dieser Erguß Deines empörten menschlichen Herzens hinlänglich und der beste Temperirtrank seyn, den ich ihnen neben jenen französischen Philters vorsetzen kann, die ich an der Gränze gegen deutsche Quacksalbereien eintauschte. Es müßte doch wunderlich zugehen, wenn sie nicht ihre eigene Vernunft über den Gebrauch des einen und den Mißbrauch der andern verständigte.“ „Meinst Du?“ brach er die Unterredung kurz ab, nahm seinen Hut und überließ mich meinem Protokolle.

 

     Und so möge denn meine Hoffnung zu Euch, Ihr meine jungen, leicht zu befangenden, oft allzugefälligen Leser nicht fehlschlagen!

 

     Vorstehendes Gespräch mit einem der ehrlichsten Laboranten guter Tisanen für Körper und Geist, das ich Euch so frisch hinreiche, als jene Frühlings= und Herbstblumen, die ich, ein bloßer Dilettant in der Botanik, mit Kletten und Disteln, bunt durch einander, wie sie mir auf meinen Wanderungen in die Augen fielen, zu einem Strauß band, ist mir, ich gestehe es, schwer über die Feder gegangen.

 

     Dafür aber auch, dachte ich, muß diese heroische Verläugnung der Eigenliebe am Schluß eines Tagebuchs in allen guten Seelen eine ganz andere Rührung bewirken, als der Eingang der Selbst-Bekenntnisse meines großen Vorgängers. Gutmüthiger – fühle ich mit innerer Zufriedenheit, hat sich wohl nie ein deutscher Autor gegen seine Leser – und weniger schlau gegen die Recensenten benommen. Ja, selbst wenn jene – ich erstaune über die männliche Entschlossenheit meines Herzens – auch noch St. Sauveurs Brief einzusehen, und diese, die sich auch damit nicht abfertigen lassen, eine Geiselung von meinen eigenen Händen verlangen, die bis auf's Blut geht. Auch das! Man lasse mich nur erst Berlin und meine Studierstube wieder erreicht haben.

 

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Leyden.

 

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Den 1sten April.

 

Heute also, Nachmittags, will Jerom mich mit der Seltenheit seines Landes, auf die er mich vorgestern vertröstete, bekannt machen, die wir selbst, setzte er jetzt noch hinzu, während unserer academischen Lehrjahre, wo uns doch kaum etwas unglaublich vorkam, nicht für möglich würden gehalten haben, und bis jetzt noch in keinem bekannten Erdstrich, außer Italien, zur Reise gediehen wäre. „Im Freyen?“ fragte ich. Er bejahete es. „Nun so wird es Zuckerrohr, Ananas – oder wohl gar die beste Frucht der Welt, die Mangostine seyn, die ich auf St. Sauveurs Hochzeit, eingemacht nur, schon über allen Ausdruck vortrefflich fand.“ Er ging von mir, ohne zu antworten, bestellte die Mahlzeit eine Stunde früher und zugleich den Ruf für uns beide allein auf der Amsterdamer Treckschüte.

 

     Mag es doch seyn, was es will! Nil admirari war Rousseaus Devise und soll auch von heute an die meinige seyn.

 

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     Wenn Du etwan dachtest, ich sey zur Feier des heutigen Tages in April geschickt worden, so hast Du zu früh gelacht, guter Freund. Nein, ich habe heute – an dem letzten Abend meines Hierseyns und sonach recht zur gelegenen Zeit einen in der That höchst merkwürdigen Schlußstein für das Gewölbe meines Tagebuchs nach Hause gebracht und lasse nunmehr der patriotischen Behauptung Jeroms volle Gerechtigkeit widerfahren. Für die unserer Maschine so nöthige Erholung nach einer guten Mahlzeit kenne ich doch nichts zweckmäßigeres, als eine holländische Treckschüte. Unsere Fahrt wie auf Oel, von Leyden bis zu einem der nächsten Dörfchen, dauerte etwa Dreiviertel=Stunden.

 

     Nachdem wir zwischen den freundlichen Gestaden des Canals, wie an den Säumen eines aufgerollten Atlasbandes, vielen kaufmännischen Ruhepunkten zum Natur=Genuß eines Tages in der Woche, mehrern hölzernen Landungs=Plätzen am Rande – unzähligen Warnungstafeln vor Fußangeln – den Schlangenstäben manches Merkurs, der als Hausgötze von seinem Hochaltar über die Hecken blickte – und allen den thönernen Fama´s, die zu blasen drohten – glücklich vorbei, kraft eines Enterhakens an einen Fußsteig ausgesetzt wurden, der hundert Schritte davon einem kleinen Flecken zuführte, – stand Jerom auf einmal bei einer freiliegenden Bude, gleich einer Laterne, still, aus der uns, unter einem Aufbau lieblicher Blumen und Früchte, ein noch anlockenderes Mädchen=Gesicht entgegenfunkelte.

 

     Die Schöne, als hätte sie unsern Besuch erwartet, öffnete – und ich blickte verwundert auf meinen Anführer – ihre Glasthüre.

 

     Er trat mit mir ein, schob den Nachtriegel vor, ließ die flohrnen Vorhänge an den Fenstern herunter und versetzte uns in eine künstliche Dämmerung, vor der ich beinahe erschrak. „Wie gefällt Dir,“ raunte er mir nun halb laut in´s Ohr, dieß liebe Kind?“ und reichte ihr vertraulich die Hand. Ach mehr als zu wohl, dachte ich, aber zu einem Natur=Wunder gehört doch noch mehr, als ein paar blaue schmachtende Augen, ein lächelnder rosiger Mund und Grübchen – zum Versinken des Kusses – in den verschämten Wangen. Er schien der Entwickelung meiner Gedanken, Schritt vor Schritt, wie ein in der Gegend einheimischer abgefeimter Spion zu folgen und brach sein listiges Stillschweigen endlich mit der verfänglichsten Gewissensfrage: „Du hast, lieber Wil´m, ich weiß es, vieles Schöne und Ausgezeichnete in der weiblichen Welt, – aber hast Du wohl je mehr anspruchlose Grazie, eine unverstecktere reine Seele in einer fröhlichern jungfräulichen Bildung gesehen, als die, mit der ich heute einen so lüsternen Reisenden, als Du bist – in April schicke?“ Ob ich je etwas reizenderes gesehen habe? fing ich heimlich seine Frage auf – O ja! Margots Jugend blühte einem noch reichlichern Erntefeste entgegen – Clärchen konnte die Augen noch sittsamer niederschlagen, ohne daß sie mich in April schickte – und o mein Gott! vollends Agathe – – aber wie kann der ehrliche Mann ein unschuldiges Mädchen – gleich einem Sclavenhändler zu Tunis, so in´s Gesicht loben! Die Kleine konnte vor Verlegenheit kaum athmen, ob sie schon an solche Ausstellungen einigermaßen gewöhnt schien. Ich fühlte immer mehr Mitleiden mit ihrer beleidigten Bescheidenheit, je länger ich das bängliche Steigen und Sinken ihres mouselinenen Halstuchs verfolgte. „Nun, lieber Wil´m,“ weckte mich endlich Jerom aus meiner tiefen Betrachtung, „Du willst ja ein Physiognomist seyn; erräthst du noch immer nicht? – – – „Was soll ich denn errathen?“ staunte ich schweigend bald ihn, bald die räthselhafte Blumenhändlerin an. „So wisse denn,« zog er mich nach einer peinlichen Weile, durch die er meine Zweifelsucht von vorgestern nur zu sehr bestrafte, aus meiner lächerlichen Ungewißheit, „daß unter dieser jugendlich kostbaren Hülle – erröthen Sie nur nicht zu sehr, gutes Kind – ein noch größerer Vorzug verborgen liegt, der nicht für so national, als jene, sondern für eine, unter unserm Horizont ganz unerhörte Seltenheit gelten muß – eine – warum wirst du so unruhig, Wil´m? – eine ländliche Muse, eine holländische Improvisatorin.“ – „Du willst scherzen,“ zischelte ich ihm mit ganz sonderbar beklemmter Brust in´s Ohr. „Nichts weniger,“ antwortete er laut. „Du hast doch Pergament und Bleistift bei Dir? Nicht wahr, liebe Emilie, Sie erlauben diesem ungläubigen Herrn, die Probe mit Ihnen zu machen?“ Diesen Ausgang hatte das schöne Landmädchen vermuthlich besser vorausgesehen, als ich. Daher ihre vorige schamhafte Verlegenheit und ihr jetziges freundliches Nachgeben. „Ich würde es nicht wagen,“ stotterte sie in angenehmer Verwirrung – „meinen Waldgesang einem Ohre vorzutönen, das durch große Virtuosen so verwöhnt ist, als ein deutsches – aber mein Arzt, mein Beschützer, verlangt es, und ich bitte Sie, mein Herr, mir ein beliebiges Thema anzugeben, aber ja nur eins, das mir nicht fremd ist, und keinen Tiefsinn verlangt.“ „Nun bei Gott!“ – erwiederte ich und schlich in der Tasche meiner Schreibtafel nach, „wenn es Ernst ist, so wüßte ich kein schicklicheres vorzuschlagen, als Ihr eigenes schönes Gewerbe, das für die phantasirende Dichtkunst wie gemacht ist,“ mit einem freundlichen Hinblick setzte ich scherzend hinzu, „auf Ihren ausländischen Zuhörer, denn er handelt auch mit Blumen und Früchten wie Sie.“ „Ja,“ fiel mir der ironische Jerom in´s Wort, „nur mit dem Unterschied, daß die seinigen Sprößlinge einer verdorbenen Einbildungskraft und in den österreichischen und andern erbaren Staaten Conterband und verboten sind.“ Das unschuldige Landmädchen stutzte und ich war höchst ungehalten auf den Schwätzer, der jedoch auf das artigste wieder einlenkte. „So sprechen wenigstens,“ lächelte er, „geschworne Fiskale – verunglückte Spediteurs verlegener und im Preiß gefallener Spezereien – Krämer, Höken und Aufkäufer, die gern den Alleinhandel auf dem Markte mit geschmacklosem Confect und dürrem Obste forttrieben und scheelsüchtig ihren alten Kunden nachblicken, wenn sie ihren prahlenden Magazinen vorbey, der natürlichen Gottesgabe zuströmen, die der junge Herr sich nicht einmal die Mühe giebt, etwan durch bezahlte Zettelträger auszurufen und anzupreisen, um ihnen Abgang zu verschaffen.“

 

     Ich wußte nicht recht, wie ich mit dem Redner dran war. Er traf zwar meine Gedanken so ziemlich, aber ich stehe doch nicht dafür, ob seiner fein gedrehten Erläuterung nicht eine neue Spötterei unterlag. Die kleine allerliebste Actrice nahm jetzt eine ganz andere – recht malerische Stellung an. Nach der Bewegung ihrer niedlichen Hände gegen die Strohkörbchen voll Erdbeeren, Schoten und frühzeitigen Pfirsichen – nach der Wendung ihrer bescheidenen Augen gegen die chinesischen Vasen mit Rosen und Hyacinthen – und nach andern kleinen erlaubten Kunstgriffen zu urtheilen, schien sie sich einen Schwarm Marktleute vorzustellen, von denen die meisten aus Leckerey, einige aus Neugier, die wenigsten aus eigentlichem Bedürfniß die Bude umringten. Aus ihrem Mienenspiel ließ sich ohne Schwierigkeit errathen, daß sie die einen beizulocken, die andern zu entfernen, und wenn neidische Aufpasser darunter wären, ihnen im Vorbeigehen einen Kirschkern auf die Nase zu schnellen, im Sinn hatte.

 

     Holländische Volkslieder sind nicht leicht ins Deutsche zu übertragen, doch bin ich nach Möglichkeit der jungen Blumen=Verkäuferin auf ihrem poetischen Ausflug so treu nachgeschwebt, als ich es auf ihrem prosaischen Lebensgang thun würde, wenn es nur meine Zeit und Agathe erlaubten. Ich theile Dir, lieber Eduard, von dem Erguß ihres freispielenden Geistes so viel mit, als meine schwere deutsche Bleifeder nur auffassen konnte. Hätte sie aber auch keinen Tropfen unterweges verschüttet, so würden dem schönen Ganzen doch immer noch die Apostrophen ihrer Augen, ihre sonorische Stimme und die rednerischen Uebergänge ihres belebten Busens fehlen, um auf andere Ohren denselben Eindruck zu machen, als auf die meinigen. O daß doch in meinem Vaterlande eine gewisse gleich liebenswürdige Emilie, die, obgleich des erhabenen Ossians Freundin, doch auch in Etwas die meine ist, es in einer warmen Sommerstunde versuchen möchte, meine Orangen und Amathus=Aepfel auszurufen. Ich wette auf Leib und Leben, sie fänden in allen Häusern Eingang und Käufer unter dieser Bedingung.

 

     Unbefangen, wie ein gutes Kind, lächelte die kleine Holländerin, hüstelte ein wenig und stimmte an:

 

            Behagten Euch nur solche Waaren,

            Wie sie, gestempelt und verzollt,

            Minervens Polterkarn von Jahren

            Zu Jahren auf die Märkte rollt;

 

            So, Freunde schlüpftet Ihr vergebens

            In meine Bude. Ein Gericht

            Zur Stärkung auf dem Gang des Lebens

            Ist höchstens, was sie Euch verspricht.

 

            Ich hab' auf meinen Rasentischen

            Nur Näschereien ausgelegt,

            Die mir, den Wandrer zu erfrischen,

            Mein Gärtchen leicht zusammen trägt.

 

            Ist gleich mein Blumenkranz kein Zeichen

            Für eine Modehändlerin,

            So lockt er doch, denn bei ihm streichen

            Der Fahrweg und der Fußsteig hin.

 

            Auch graut der Morgen kaum, so halten,

            Wie Wetter, Wind und Zufall will,

            Oft unerwartete Gestalten

            An meiner Tonnen=Nische still.

 

            Wie viele nähern meinem Zaune

            Sich nicht um eine Hand voll Schleen,

            Wenn Bücher=Ueberdruß und Laune

            Mit ihrem Geist ins Grüne gehn.

 

            Den Richter, der mit krauser Stirne

            Zu einer Ehescheidung trabt,

            Hat manchmal eine Jungferbirne

            Aus meinem Weidenkorb gelabt.

 

            Aus meinem thönernen Pokale

            Berauschte jüngst ein Priester sich,

            Als er nach seinem Filiale,

            Mit Schweiß betröpft, vorüber schlich.

 

            Dem Mädchen, das, vom Stadtgewürze

            Erhitzt, aufs Land nach Kühlung läuft,

            Hab´ ich, zu Pfunden, oft die Schürze

            Mit Mirabellen angehäuft.

 

            Bald find ich eine Federspule,

            Bald eine Musterschrift im Gras,

            Die ein Entlaufener der Schule

            Im Morgenschmauß bei mir vergaß.

 

            So oft sich meine Körbchen leeren,

            Rück´ ich mit neu gefüllten vor,

            Mein Contobuch? – – kann ich beschwören

            So gut, als Rousseau seins beschwor.

 

            Um vieles zwar säß´ ich bequemer,

            Wohl gar am Rathhaus unter Dach,

            Ahmt´ ich dem Proteus unsrer Krämer

            In seinen Handelskünsten nach;

 

            Der bald mit Perlen ferner Flüsse,

            Mit Gold aus Ophir Wucher treibt,

            Sein Salz und seine tauben Nüsse

            Nur aus Elysium verschreibt;

 

            Bald Engelsreinigkeit den Narben

            Gefallner Unschuld unterschiebt,

            Glanz dem Betrug und Rosenfarben

            Verblühten Wangen wiedergiebt;

 

            Bald auf dem Wollen=Raub der Herde,

            Die ihn umblöket, eingewiegt,

            Im Traum die mütterliche Erde

            Bis an den Himmel überfliegt,

 

            Und wohl noch wähnt, vom nächsten Sterne

            Herabgeschneuzt und fortgeschnellt,

            Er sey die größte Blendlaterne,

            Die je das Weltall aufgehellt.

 

            Doch, was ein Irrwisch aufgekläret,

            Bleicht bald am Lichte der Natur;

            Was sie erzeugt, ist nur bewähret,

            Was sie bewährt, erhält sich nur.

 

*  *  *

 

     Ich will Dir nicht zumuthen, Eduard, diese Verse für so geist= und gedankenreich zu halten, als die Schillerschen und Vossischen sind, muß aber auch billig eingestehen, daß es weniger die Schuld des Originals, als der Uebersetzung ist. Trotz seines verwischten Kolorits denke ich doch, soll es als Impromtu eines jungen holländischen Landmädchens immer noch die Ehre des Drucks so gut verdienen, als so manches in unsern poetischen Wäldern.

 

     Ich bin mit Jerom völlig einverstanden, daß, wenn auch unter der Torfasche dieses Moorlandes hier und da ein Funken dichterischen Feuers glimmen sollte, zu selten doch einer davon in Flammen schlägt, als daß nicht die ihrige für ein Meteor gelten müsse; und ich kann es keinem ihrer Mitbürger verdenken, der im Vorbeigehen sich einige Minuten von seinen Geschäften abmüßigt, bei ihr einspricht, um nur wundershalber zu sehen, wie sich ein roher gemeiner Gedanke poliren läßt. Wer wollte der kleinen Poetin nicht gern ihre Gartengewächse zehnfach theurer bezahlen, als einer prosaischen Hökin, zumal da jeder ohne große Speculation berechnen kann, daß sie durch diesen Handel, dem, so gering er scheint, doch auch kein drückender Capital unterliegt, als das ihr Flora und Pomona vorstrecken, und Clio verzinst, schnurgerade der wahren holländischen Ehre entgegen steigt, reich – eine, wie man es nennt, gute Partie, und zuletzt wohl gar eine bedeutende Person in der Republik zu werden. Läßt sich's denn nicht erwarten, daß ein junger speculativer Kopf auf dem romantischen, immer offenen Gange nach ihrem Comtor, gelegentlich auf den klugen Gedanken gerathen könne, die schöne Sängerin sammt ihrem jungfräulichen Erwerb in das seine zu verlocken? Er widme, wäre in diesem Falle mein unmaßgeblicher Rath, nur sechs – sieben Abendstunden der Woche zur Erholung nach gethaner Arbeit ihrem Besuche, lege zur Einleitung seines Kaufgeschäfts ihrer Muße erst eine unbedeutende laue, dann eine wärmere, darauf eine heißere und zuletzt täglich eine immer brennendere Empfindung nach der andern, ohne die entfernteste Hindeutung auf Sie, bloß zum Spielwerk ihrer dichterischen Ausbildung vor, und finde keine hinwelkende Blume, die seine Vorgänger am Tage übrig ließen, am Abend zu theuer, um sie nicht zu ihrem Andenken nach Hause zu tragen. Das gute Kind, das nichts gefährlicheres dahinter versteckt glaubt, als woran es, seitdem sie zwei Worte zusammen reimen kann, gewöhnt ist, wird es, wie eine gereizte Nachtigall, immer schöner zu machen suchen und macht es immer schöner, bis sich ihre Federn sträuben und ihr das Herzchen darüber selbst zu pochen anfängt.

 

     Ach ich müßte mich sehr irren, wenn die sanfte, unmerkliche Verschmelzung stündlich wachsender männlicher Baßnoten mit melodischem weiblichen Diskant, nicht zuletzt auf der Tonleiter des Lebens einen Einklang hervorbrächte, der nur einer mondhellen Nacht bedarf, um in das beredte Flüstern des Verlobungskusses überzugehen. Alsdann? Nun mein Gott, wäre es alsdann wohl so etwas unerhörtes, wenn in der Folge der merkantilische Umtrieb der einzelnen Groschen und Thaler, die sie ohne große Mühe und Kosten ersang, ihre Stroh=Körbchen, irdenen Aesche und Vasen in Tonnen Goldes verwandelte, die freilich einen ganz andern Respect einflößen, als alles, was sie uns dermalen noch aus dem Gebiete der Natur Schönes und Gutes auftischt. Welche frohe Zukunft kann sich diese holländische Karschin nicht versprechen! wenn sie einst nicht mehr nöthig hat, an der Landstraße auf neugierige Käufer zu lauern – ihnen Rede zu stehen und jeden schalen Gedanken, den sie auskramen, in Verse umzusetzen, die, ihre heutigen ausgenommen, noch nie eine Druckerpresse erreicht haben. Dann erst wird sie sich fühlen und gebieten lernen – ihren eigenen guten Einfällen folgen und, indem sie mit heiterer Laune den glücklichen Erdstrich segnet, der den Keim ihres Talents als eine Wunderpflanze in Nahrung setzte, mit mitleidigem Lächeln auf unsere deutschen Witzkrämer und ihre Ladenhüter herabsehen. Sogar auf der Börse, wo Apoll und seine Anhänger sonst wenig Credit haben, werden die vielen Nieten, die zum großen Loose ihres Heirathsguts beitrugen, den jungen Anfänger beneiden, dem es zufiel. Und doch, Eduard, würde mir das liebe Kind in der vornehmen Lage, in der ich zur Zeit noch keine der Musen sah, trotz der vollen Beutel, die Merkur ihr in den Schooß schüttet, schwerlich besser gefallen, als jetzt mit fliegendem Haar, ländlichem Mieder unter ihren Blumen und Früchten. Ich wählte mir aus jenen ein freundliches Rosenknöspchen, der Aehnlichkeit ihrer Lippen, und ein Noli me tangere, der Unschuld wegen, die darauf ruhte, aus diesen aber ein paar tetons de Venus, die Linnée unter allen Pfirsichen für die schmackhaftesten hält. Höher sind mir aber auch in meinem lüsternen Leben keine zu stehen gekommen. Die liebe unbefangene Verkäuferin erröthete selbst über meine unmäßige Freigebigkeit und Jerom schüttelte den Kopf dazu. O hätten nur beide gewußt, woher sie entsprang. Sie hatte solche, im Vertrauen gesagt, weder dem Vorüberflug ihrer funkelnden Augen, noch den gleich vergänglichen Tönen ihres Mundes, – sondern den Lorberblättern zu verdanken, die ich in meiner Schreibtafel aus ihrem Glashause mitnahm, um das Monument meiner Jugendreise damit zu krönen. Ja, Eduard, der anspruchlose Waldgesang der liebenswürdigen Emilie beschließe mein Tagebuch. Hört man nicht alle möglichen Epiloge am liebsten aus dem Munde eines schönen unschuldigen Kindes, und kann man ein Concert wohl artiger endigen, als mit einer unverdorbenen weiblichen Singstimme?

 

     Wohl wahr! und doch ist es dem menschlichen Herzen eigen, daß keins, je behaglicher es auf dem Musikstrom fortschwimmt, ohne Unruhe an den letzten Bogenstrich, der ihn dämmt – ohne Verdruß an die sterbende Note denken kann, unter der sich ein sanftes Andante auflöset. Der wahre Virtuose fürchtet, wie seine lauschenden Zuhörer, im voraus die Todenstille des Saals, die nachfolgt, und so sah auch ich im Vorgefühl meines baldigen Verstummens dem lieben epilogirenden Kinde mit traurigem Nachdenken in das niedliche Gesicht; Jerom mußte mich mehr als einmal an das Fortgehen erinnern, und doch zögerte ich, bis das Glöckchen=Geläute der letzten abgehenden Treckschüte mir durch alle Glieder fuhr, und als ich nun in überströmender Zärtlichkeit dem guten Mädchen noch einmal meine Hand bot, ward mir so weinerlich zu Muthe, als ob ich von ihrem ganzen lieblichen Geschlecht, sammt den neun Musen ewigen Abschied nähme. So lange ich auf der Rückfahrt das schmucke Tempelchen noch in der Abendsonne blinken sah, war es mir nicht möglich, meine Augen nach einer andern Seite, – meine Fantasie auf einen geringern Gegenstand, als auf die Nymphe zu richten, die es bewohnte. Ich schrieb ihrer Jugend, Schönheit, Unschuld und ihrem poetischen Talente so viele Festtage zu Gute, daß ich bis ans Leydener Thor nichts zu thun hatte, als sie, wie ein Mönch das Bild seiner Heiligen, aus= und anzukleiden, und mich vor ihrer Nische auf die Knie zu werfen. Ich erbat ihr allen Segen des Himmels zu ihrem jungfräulichen Gewerbe, das doch gewiß, man sage auch, was man will, ohne Vergleich edler, erlaubter und schmeichelhafter für ihre Kunden ist, als jenes, das ehemals die Harlemer Wirthin zum schwarzen Bock, und was sie etwan sonst noch, um Gäste beizulocken, im Schilde führte, auf eine Art trieb, die der lieben kleinen und, auf allen Seiten betrachtet, gewiß zehnmal reitzendern Emilie nicht im Schlaf einfallen würde. Das soll aber auch das letzte Wort für Dich und meine zukünftigen Leser seyn. Morgen mit dem frühesten verlasse ich meinen Jugend= und Schulfreund, den würdigen Jerom. Er begleitete mich gern eine Strecke Weges, aber seine Kranken halten ihn bei dem Aermel. In einigen Tagen hoffe ich – ach welcher freudenvolle Gedanke, Eduard! Dich an mein Herz zu drücken. Denn da mich die himmlischen Gestirne während meiner Seereise um den Tag, auf dem ich zur Hochzeit des Märkischen Barons geladen war, eben so richtig gebracht haben, als sich durch ihren Einfluß der Weltumsegler Anson bei seiner Landung an der vaterländischen Küste, zu seiner großen Verwunderung, um einen in der laufenden Woche verkürzt sah; so kann mich nichts mehr, weder das Calenderfest jenes schätzbaren Mannes, noch sonst ein Abweg auf meinem geraden Fluge in Deine Arme aufhalten.

 

     Mein Glückwunsch zu der schlau verzögertern Besitznahme seiner Caroline soll das erste Geschäft an meinem Schreibtisch zu Berlin seyn; übrigens mögen immer noch Jahr und Tage hingehen, ehe ich meinen versprochenen Besuch bei ihm nachhole, da sich indeß auch wohl sein System vom ehelichen Glück mehr aufgeklärt haben wird, um es ruhiger und richtiger beurtheilen zu können, als in den ersten Probetagen Es soll mir lieb seyn, wenn sein schönes Weib, ein saugendes Kind an der Brust, das durch den Aufschub seines Daseyns während des Herumstreifens des Vaters nichts verloren hat – wenn sein mit den kostbarsten Bruchstücken des Alterthums und der neuern Erfindungen der Bequemlichkeit zusammengesetzter ländlicher Pallast, glänzende Säle, die den Geist aller Nationen vereinigen – Wände mit den Meisterwerken der Titiane und Raphaele verziert – wenn täglich erneuerte Wunder der Kochkunst, fröhliche Gärten und im Ganzen genommen die Benutzung der freigebigen Natur zur Veredlung menschlicher Bedürfnisse – wenn, sage ich, diese Bedingungen schwesterlich vereint in einander greifen, um die sonderbare Propheten=Epistel des wirthschaftlichen Landjunkers auf das kräftigste zu widerlegen. Warf dieser Eiferer gegen die Wohlthaten des guten Geschmacks seinem reisenden Feldnachbar wohl aus einer wichtigern Ursache jene Spitzfindigkeiten in den Weg, als weil solcher nach einer andern Rechnung ein Drittheil seines Lebens verwendete, um dessen Ueberrest mit den möglichsten Annehmlichkeiten zu verschönern, die unser Planet darbietet? Darf aber auch die fleißigste Ameise den Adler, der über ihr in die Wolken steigt, tadeln, daß nicht auch er auf dem Erdhaufen, der ihrer Zufriedenheit genügt, die seinige sucht? Du findest irgendwo in meinem Tagebuche den Eingang seines Pamphlets und die Fortsetzung bringe ich Dir auch mit. O ich werde mich gern, ohne mich an sein Geschwätz zu kehren, dem Versuche hingeben, ob man nicht auf dem geschmackvollen Landsitze eines unter so verständigen Rücksichten gereisten Freundes den Lauf der Stunden besser als im Auslande erheitern, das Glück des Schlafs geschwinder als mit Postpferden erreichen, und sein kaltes Blut, so viel als zuträglich ist, in dem Strale der dunstfreien Sonne oder vor einem Camine erwärmen kann, dem nichts belebteres gegen über lauscht, als das Ideal einer Hebe oder Clärchens Bildniß mit seinen ach! so mannigfaltigen Erinnerungen.

 

     Jetzt lacht mir nun von weitem die königliche Hauptstadt und Dein Assembleesaal unter den anlockendsten Versprechungen in die Augen. Sie werden eine Weile Wort halten, aber auf die Länge traue ich ihnen doch nicht. Was soll ich nun, in dem gesetzten Fall, mit mir anfangen, wenn Ueberdruß an dem ewigen Zirkelschlag Eurer Gesellschaften und Schmäuse, Langeweile an den Spieltischen und Mißmuth über den unnützen Vergang meiner bessern Kräfte sich aufs neue meiner Seele bemeistern? Zur Wiederholung der Thorheit, die mir vier Bände böser Erfahrungen eintrug, ist mir auf immer die Lust vergangen, und auf meine Studierstube darf ich vollends nicht rechnen, denn das unbelohnte Bebrüten fremder Gukguks=Eyer ist mir zum Ekel geworden, viele andere Irrthümer ungerechnet, die mich gar sehr gewitzigt haben.

 

     Der Freuden der Welt, sagt man zwar, gäbe es viele, aber wo ist denn eine, die nicht durch den täglichen Gebrauch uns unter den Händen verwelkte? und wo findet man immer einen Freund, wie St. Sauveur, der uns damit auf eine so systematische Art zu überraschen versteht, daß sie uns neuen Genuß gewähren? Was bleibt nun, da zu selten zwey gleichgestimmte Menschen auf ihrem Gange zusammentreffen, die hierin einander die Hände zu bieten Willen und Kraft haben, noch übrig, als daß jeder selbst die Mühe übernehme, auf Abwechselung seiner Kinderspiele zu denken, so gewiß auch dabey die Hälfte jenes bemächtigenden Reizes verloren geht. Wohlan! So zeichne denn sie mir den Plan meiner künftigen Lebens=Ordnung vor, zu dem ich mir nur noch Agathens Unterschrift wünsche.

 

     Weder an einen Ort, an ein Amt, noch an Pflichten gebunden, die ich mir nicht selbst als Weltbürger auflege, soll mir der Spielraum des Vaterlandes, wo nicht zum Schauplatz meiner merkwürdigen Thaten – doch zu einem Spaziergang dienen, auf dem ich bald hier bald da eine Handvoll Saamenkörner edler wohlthätiger Gefühlpflanzen ausstreue, sollten sie auch dann erst keimen und gedeihen, wenn ich schon längst in seiner heiligen Erde, unter dunkeln Ahndungen und unaufhörlichem Rufen nach Licht, die letzte Leitersprosse zum Austritt in jene Warte seliger Zukunft gewonnen – an ihrer hellen Pforte meinen Staubmantel abgeworfen und nicht, wie hier, zu befürchten habe, ein Brandopfer der Langenweile zu werden. Denn dort –

 

            Wenn aufgeschwungen aus dem Schlamme

            Des Irdischen, mein freyer Geist,

            Ein Lichttheil in der Schöpfungsflamme,

            Das Unermeßliche bereist,

            Mit Schwanenlust im Aetherstrome

            Reingeistigen Bewußtseyns schwimmt,

            Von einem zu dem andern Dome

            Der Sterngebäude weiter glimmt,

            Im Drang, die Feder zu entdecken,

            Die dieß geheime Uhrwerk dreht,

            Mit immer freudigerm Erschrecken

            Zu neuen Wundern übergeht –

            Dort sey mein Tagebuch der Lehre

            Abwechselnder Zufriedenheit,

            Mein Wandelgang zu jeder Sphäre

            Der Ueberraschung nur geweiht;

            Denn ohne sie wie schmucklos wäre,

            Bei stetem Kreislauf, mir die Ehre

                Einförmiger Unsterblichkeit!

 

 

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