Avignon. Vom siebenten bis achten Januar - aus meinem Gefängnisse.
Meine arme freundschaftliche Feder! Heute zum erstenmale von ekeler Schreiberey abgestumpft, die mir meine mißliche Lage abdrang, nehme ich sie jetzt, wie Mendelssohn die seinige, erst in der Ruhe der Nacht mit Vergnügen wieder in die Hand, - nicht, wie er, um über die Unsterblichkeit der Seele zu schreiben, sondern dir in kläglichen Tönen das Mißbehagen meines armen Körpers zu schildern, der gern in die weite Welt möchte, und sich schon zu lange in seinen Bewegungen unnatürlich gehemmt sieht. Es giebt einen hübschen Text eine traurige Stunde zu verschwatzen, und ein Gefangener bedarf der Zerstreuung. - Ein Gefangener - welch ein häßliches Wort! Von Jugend auf ist es mir ein Mißlaut gewesen, und du glaubst nicht, wie widrig der Begriff davon immer auf meine Nerven gewirkt hat. Ich gehe bey keinem Kerker vorbey, ohne daß der Gedanke an Fesseln mir in die Beine fährt. Nie habe ich es über das Herz bringen können, selbst den gemeinsten Vogel in einen Käfig zu sperren, denn der Verlust der Freyheit wirkt gewiß mit gleichem Kummer auf alle, es mögen die Federn einem Dompfaffen angehören oder einem Zaunkönig. So mache ich mechanisch schon, und wenn es mich in der tiefsten Betrachtung der Glorie Gottes unterbrechen sollte, dem Hunde die Thüre auf, so bald er daran kratzt; und nichts ist mir auch um deswillen von jeher lächerlicher und thörichter vorgekommen, als die treuherzige Zumuthung, bey gewissen Gelegenheiten mein eigener Scherge zu werden, und den besten Theil von mir - meine Vernunft, gefangen zu nehmen. Auch bin ich, Gott sey Dank! nie in dem Falle gewesen, worin ich jetzt bin. Denke dir, Eduard, wie empfindlich ich ihn fühlen muß! Schon meine heutige kleine Erfahrung läßt mich ahnden, was aus mir werden würde, wenn sie so viele Jahre fortdauern sollte, als sie Stunden gedauert hat. Alle guten Kräfte meiner Seele und meines Leibes würden in eine Lähmung verfallen. Ich könnte in einem Kerker Freunde um mich haben - ich würde sie hassen lernen; ja es könnten, glaube ich, die drey Grazien mit mir eingesperrt werden, es würde mir nicht besser gehen als den gefangenen Elephanten, und keine Nachkommenschaft würde wider meine Enthaltsamkeit zeugen.
Unbegreiflich, daß es Gemüther giebt, die mit diesem natürlichen Gefühle scherzen, ruhig ihre Zeit verschwelgen, verjagen und in Schauspielen vertändeln können - bey dem Bewußtseyn, daß inzwischen ihre rechtliche Strenge, oder ihr Uebermuth gleich organisirte Maschinen wie sie sind, in Ketten und Banden hält! - Wehe dem Regenten, der diese Gewalt, die nur eine noch höhere Pflicht als das Mitleid ist, rechtfertigen kann, leichtsinnigen, unmündigen oder boshaften Händen überläßt! - der nicht den Zaum locker hält, den er der Freyheit anlegt, und nicht immer fürchtet, das arme Geschöpf, das unter ihm seufzet, hartmäulich, stättisch, kollerig und unbrauchbar für diese und jene Welt zu entlassen! - der, statt Lustschlösser zu bauen, die seine Nachfolger dem Verfalle Preis geben, nicht lieber alle künftige Verbrecher als seine Verwandten behandelt, nicht lieber seine Baulust - zur Verschönerung der Gefängnisse, zur Erweiterung ihrer Höfe, und zur Bepflanzung derselben mit Blumen und Bäumen benutzt, und der den Uebertreter selbst aller Gesetze von der Wohlthat der Sonne auszuschließen wagt, die doch der oberste Richter ausspendet, um zu scheinen über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte! - Und was soll ich über euch ausrufen, O ihr, die ihr die Kunst eures Gleichen zu martern, bis zu dem Grade verfeinert habt, daß ihr nicht allein ihre Körper, nein, auch ihre Seelen einzukerkern versteht, - ihren Phantasien alle Nahrung abschneidet, dem Redelustigen keine Antwort, der Neugier keine Zeitungen gönnt, Feder und Tinte verbietet, und dem Abgematteten, nach einem mühseligen Tagewerke, die noch größere Strafe der Unthätigkeit aufbürdet, und ihm zu aller Erholung von seinem Elende nur die nagende Betrachtung desselben übrig laßt?
Der trostreiche Ersatz, den mir jetzt mein Schreibtisch für den Verlust der vorher gegangenen einfältigen Stunden gewährt, belehrt mich, welche Pein es seyn mag, den Strom seiner Gedanken in sich selbst verrauschen zu hören, ohne ihm einen Ausfluß verschaffen zu können, der an das Herz eines Mitmenschen anschlage. Wie fühle ich nicht jetzt, bester Eduard, selbst in deiner Entfernung, den Werth deiner Gegenwart! und zu was für einem Kleinod ist mir nicht meine Feder geworden!
Um mir meine lange Tirade zu gute zu halten, darfst du nur hören, wie es mir heute ergangen ist. Als ich mich ernsterer Geschäfte wegen, von dir losgerissen, und mein Tagebuch weggelegt hatte, setzte ich mich nachdenkend in meinen Lehnstuhl. Das erst, wonach sich wohl jeder mehr oder weniger Bedrängte umsieht, sind Freunde: aber leider! fand ich diese schöne Aussicht hier noch um vieles eingeschränkter, als an jedem anderen Orte der Welt. Du weißt, wie klein der Zirkel meiner hiesigen Bekanntschaften ist. Außer meinen Anklägerinnen zieht er sich nur noch um drey Geschöpfe herum; soll ich sie Männer nennen - so sey´s! davon immer einer zu Unternehmungen ungeschickter ausfällt als der andere. - Auf den elenden Tropf in Purpur, an den mich der Oheim der Marquise empfahl, kann wohl kein vernünftiger Mann den geringsten Staat machen. Ein Kerl, der nichts als die drey Blasensteine der heiligen Clara von Montefalcone im Kopfe hat, verderbt sicherlich jede Sache, zu der nur ein Gran Menschenverstand nöthig ist. - Buchhändler Fez, der nur, der Himmel mag wissen über was von Claren der zweyten? nachgrübelt, das, wenn es auch nicht so tief liegt als jene Beweise der Dreyfaltigkeit, doch alle Strahlen seines Geistes wie auf einen Brennpunkt zusammen zieht - sollte der sich mit den Angelegenheiten eines andern bemengen, so müßte es wohl nur einer seyn, der ihm von dem, worüber seine Einbildungskraft brütet, angenehmere Nachrichten geben könnte, als ich es zu thun im Stande bin. - Und Laurens Wächter? Der steht fest, wie eine Bildsäule. Wo Beine nöthig sind - Und beym Sollicitiren sind sie es gewiß - ist der nicht zu gebrauchen; und daß meine Herren Inquisitoren - in so einer Angelegenheit wohl zu verstehn - sich zu ihm bemühen sollten, ist nicht zu erwarten. - Indeß, da man von seinen Freunden nur den Vortheil ziehen kann, den sie zu gewähren geschickt sind, so schien mir, auch ohne Beine, der Kopf des getauften Juden immer noch den Vorzug vor den beyden andern zu verdienen. So belesen in dem Petrarch als Er ist, wird er zu meiner Schwachheit bey Clärchen nur lächeln, und die Harmonie, an die der Dichter sein Ohr gewöhnt hat, wird es ihm unmöglich machen, an dem Geschreye eines Unglücklichen auf dem Scheiterhaufen einen bischöflichen Spaß zu finden. Hat er nicht übrigens in dem täglichen und stündlichen Umgange mit Fremden Gelegenheit genug gehabt, auch die guten Seiten eines Ketzers kennen zu lernen? und wer könnte genauer berechnen als Er, zu was alles die Toleranz gut sey? Ohne weiteres Besinnen setzte ich mich also an meinen Schreibtisch, meldete dem Ehrenmanne meine sonderbare Gefangenschaft, bemäntelte die Veranlassung derselben so gut es ging, und legte, um ihm meine Unschuld desto begreiflicher zu machen, mit dem letzten Ducaten, den ich in meiner Barschaft fand, zugleich das letzte Versprechen der falschen Concordia bey, auf das ich mich Schande halber bezog.
Sobald meine Depesche fertig war, trat ich an das Fenster, und lauerte auf Bastians Zurückkunft, um ihn damit abzufertigen. - Ich sah ihn bald genug über die Gasse gesprungen kommen. Aber zum Malen war es, wie er nun vor dem Hause stand, bey jedem Schlage, den er mit dem Klopfer that, hinhorchte, und wie ungeberdig er sich anstellte, als er endlich merkte, daß er von seinem Herren abgeschnitten sey. Ich rief ihm zu, und erschreckte ihn vollends durch den kläglichen Ton, den ich in meiner Bekümmerniß auf seinen Namen legte. Du hättest die Augen sehen sollen, die er in die Höhe warf! Mit wilderem Erstaunen hätte sie seine Schwester nicht aufreißen können, wenn ich an jenem kritischen Abende, das liebe Kind wirklich um das kleine Hausmittel betrogen hätte, das sie mir, ohne Zeichen des heiligen Kreuzes - und doch gewiß unschuldiger darbot, als das vielfach gesegnete Clärchen. Es war seit dem neuen Jahre das zweytemal, daß mich wieder etwas an die gute Margot erinnerte, und du kannst nicht glauben, Eduard, wie wohl es mir that; so wohl, daß ich beynahe darüber ihren Bruder und seine Gesandtschaft vergessen hätte. Es schien, als wenn es ihm selbst leid thäte, mich in meinem süßen Träume zu stören. Er öffnete ein paarmal den Mund, ehe er es über das Herz bringen konnte, mir die Neuigkeit, die er von der Post mitbrachte, zu entdecken: der Legat habe die Verabfolgung meiner Pferde verboten, und der Teufel möge wissen, warum? Seine weinerliche Stimme und sein scheuer Hinblick bald auf mich, bald auf den Thürklopfer, zeigten nur zu deutlich, in welchem furchtbaren Zusammenhange ihm jenes Verbot des Legaten mit dem verschlossenen Hause zu stehen schien; und auch auf mich wirkte seine Nachricht so viel, daß ich mich nicht länger in seine Familienähnlichkeit vertiefte, geschwind von Margots Busen - auf meine gegenwärtige, weit unbequemere Lage zurück kam, und nicht weiter säumte, meinen Brief an der Mauer herab fallen zu lassen. Bastian fing ihn sehr geschickt mit dem Hut auf; und erst jetzt sah ich ein, wie bedenklich es sey, einen Communicationsweg durch das Fenster zu eröffnen. Schon die einzelnen Worte, die wir einander zuwarfen, hatten eine Menge Neugieriger um mein Haus versammelt; einer theilte dem andern seine Muthmaßungen mit, man setzte vor meinen Augen eine Geschichte zusammen, die ich wohl hätte hören mögen, und die vermutlich zur Grundlage aller heutigen Gespräche der Stadt dienen wird. Einige Patrioten hielten sich sogar berechtigt, einen Eilboten anzuhalten, und ihm seine Depesche abzufordern. Aber hier zeigte sich´s, was für ein herrlicher Freypaß ein guter Ruf sey; denn kaum las man die Ueberschrift an den Wächter der Laura, so zogen sie lachend den Hut ab, ließen dem Briefe seinen Lauf, und glaubten den Inhalt errathen zu haben.
Kaum hatte ich mit meinem Fenster die einzige Oeffnung, die mir noch zugänglich war, zugemacht, und mich in meinen Lehnstuhl zurück gezogen, so fühlte ich ganz deutlich, daß der Mittag vorbey sey, und knöpfte meine Weste enger zusammen. Die französische Artigkeit, sagte ich mir, wird dich doch nicht verhungern lassen, ehe sie dich verhört hat? Das sieht ihr nicht gleich. Selbst in dem dickköpfigen Deutschland befördert die Gerechtigkeit, die überall consequent handelt, keinen in die andere Welt, dem sie nicht eine Henkersmahlzeit mit auf den Weg giebt. Es muß, nach der Regel, dem Verurtheilten erst wieder wohl seyn, ehe sie ihn weiter über die Gränze des Lebens schickt; die Migräne muß dich erst verlassen haben, ehe man dir den Kopf abschlägt, und die Strafe des Stranges wird aufgeschoben, so lange der kranke Dieb noch nicht von seiner Bräune kurirt ist.
Diese Gedanken, die mir der Hunger eingab, wurden durch einen Auftritt unterbrochen, der ihnen eine ganz andere, aber um nichts bessere Richtung anwies. Meine Nachbarinnen - auch mein Bastian kamen zurück - Haus und Stube wurden geöffnet, und meine verspätete Mahlzeit ward aufgetragen. Wenn dieses eine Veränderung in meiner Lage gab, so war sie jedoch mit Umständen begleitet, auf die ich ganz gern Verzicht gethan hätte. Tante und Nichte brachten eine Verstärkung mit, die mir nicht anstand. Die Alte wurde von einem schwarzbraunen Kerle von Procurator geführt, und Clärchen, was mich am meisten verdroß, zipperte mit dem Propst über die Gasse, ihr Händchen so traulich um seinen vielfältigen Aermel geschlagen, als ob es darin ausruhen sollte, und zu meiner Thüre, als sie geöffnet wurde, sah ich meine Schüsseln, statt, wie es sich gehörte, durch meinen Bastian, den ich so sehnlich erwartete, von zwey päpstlichen Soldaten auftragen, die man nicht zerlumpter und ausgemergelter hätte aussuchen können, um mir meine jetzige Ohnmacht fühlbar zu machen. Diese schmutzigen Truchsesse benahmen mir alle Eßlust. Ich fühlte keinen Hunger mehr, und begaffte sie nur mit großen Augen. Wer Preußen in der Nähe gesehen hat, noch besser aber von fern, kann schon keinen Blick auf diese geistliche Miliz thun, ohne zu lachen; aber der Reitz dazu wurde bey mir gar sehr durch den Aerger gemäßiget, der mir über meine so elende Bewachung aufstieg. Die beyden verhungerten Kerle schienen über ihren Dienst noch verlegener zu seyn als ich. Sie zogen sich langsam, ernsthaft, und mit gebogenem Knie, an die Thüre zurück, und pflanzten sich, jeder an einen Pfeiler, davor, als wenn es ihre Schuldigkeit wäre. Ihre Blicke, die dabey so unverrückt auf meine Schüsseln geheftet blieben, als ob sie in ihrem Leben noch kein altes Huhn in der Suppe gesehn hätten, würden schon jeden Historiker überzeugt haben, daß sie unter keinem Heinrich dem Vierten das Land bewachten. Ich hätte diesen armseligen Gesellen wohl keinen größern Possen spielen können, als recht bequem meine duftenden Gerichte vor ihren Augen zu verzehren. Aber, die Ursachen ungerechnet, die mich schon physisch davon abhielten, würde es mir auch noch eine gewisse Empfindlichkeit der Seele verwehrt haben, die sich immer mit mir zu Tische setzt, und jeden Anblick von Elend, jeden Gedanken an Unterdrückung aus seinem Umkreis entfernt wünscht. Der unreinste Nahrungssaft, dachte ich, müßte meine Adern durchströmen, wenn ich mich im Beyseyn eines, zum Hunger Verdammten sättigen könnte, ohne meine Bissen mit ihm zu theilen. Ich würde weniger die wollüstige Befriedigung meines Bedürfnisses, als die gewaltsame Erstickung des seinigen fühlen, und fürchten, daß sich die gallige Empfindung mit meinen Brühen vermische, die der Anblick meiner Mahlzeit, in der Angst zu leben, worin er dastände, nothwendig bey ihm erregen müßte; denn in solchen animalischen Augenblicken ist wohl kein Herz so gut, daß es sich nicht gegen die widersprechende Grausamkeit des Schicksals auflehnen sollte, das bey der ungleichen Vertheilung menschlicher Güter und ihres Erwerbs alle Erdenbewohner nur durch den Ungestüm des Hungers gleich gesetzt hat.
Ich gab diesen Bettlern, mit denen mich, wenn ich es genau überlege, doch nur meine Thorheit in der Nebenstube in Bekanntschaft brachte, meine Gerichte Preis; und es that mir nur leid, daß mir meine Freygebigkeit so wenig kostete; denn das dankbare Gefühl, das nun ihre entkräfteten Augen überglänzte, würde mich für die höchste Verläugnung meines Gaumens hinlänglich belohnt haben. - "Geht nur, ihr guten Leute," unterbrach ich ihr gratias, "tragt die Schüsseln auf den Vorsaal, und laßt es euch wohl schmecken. Wenn ihr mir meinen Bedienten beyschafft, soll er euch auch noch ein paar Flaschen Wein auftragen, und es soll euch frey stehen, ob ihr auf des Papstes Gesundheit, oder auf die meine trinken wollt."
Es giebt wohl keine geschwinderen Mittel, eine Gegenrevolution zu bewirken, als das ich eben gebrauchte. Meine Wache war durch meine Herablassung und durch meine Fürsorge für ihren Magen so gut zu meinem Vortheile bestochen, daß es mir nur einen Wink würde gekostet haben, um die Arme, die man gegen mich bewaffnet hatte, wider meine Verfolger zu lenken, und den Prokurator und die Alte, den Propst und die Nichte, in meine Gewalt zu bekommen. Da ich aber auch, um mir Pferde zu schaffen, die Post hätte stürmen - da ich Stadt und Vorstadt hätte betrinken müssen, um es dahin zu bringen, einen Mann im Stiche zu lassen, der, kraft des Amtes der Schlüssel, von lange her über sie herrschte; so gab ich den Einfall auf, und begnügte mich vor der Hand mit dem Vortheile, den ich schon dadurch gewann, daß jetzt die Besatzung des Vorsaals meinen Bastian frey und ungehindert passiren ließ, ohne sich um unsere geheime Unterredung zu bekümmern. - "Weise jetzt deine Neugier zur Ruhe," rief ich ihm entgegen, als er mit großen Augen herein trat, "und befriedige vorerst die meinige! Erzähle mir ohne Weitläufigkeit, wie mein Freund, der Kirchner, meine Botschaft aufgenommen hat." - "Ah, ich will wünschen," versetzte Bastian, daß Sie klüger aus dem Geschwätze des ehrlichen Mannes werden als ich. Ihren Brief habe ich freylich nicht gelesen; aber in der Antwort wenigstens, die er mir mündlich an Sie auftrug, liegt doch gewiß nicht ein Funken Menschenverstand." - Das geht mit allen Orakeln so," erwiederte ich: "der Befrager muß ihn erst hinein legen; das ist in der Ordnung - Laß nur hören!" - "Als er das Goldstück aus Ihrem Briefe in Sicherheit gebracht hatte," fuhr Bastian fort, "las er ihn bedachtsam durch, lächelte, schüttelte den Kopf bey einigen Stellen, sprach durch die Nase, und wiederholte seinen Unsinn einigemal, damit ich ihn ja nicht vergessen möchte: Sage Er Seinem Herrn meinen Gruß - Er solle sich nicht grämen und wundern, daß er in Avignon, in dem Gränzstreite zweyer Heiligen, verloren - und die hochgelobte Concordia, vielleicht aus wohl meynenden Ursachen, ihm verwehrt habe, das Weichbild der harmonischen Cäcilia zu überschreiten. Anderwärts, hoffe er, würde sie ihm ihre anscheinende Härte zehnfach ersetzen. Er habe nur bald die Schwierigkeiten zu entfernen - die ihm - ich versichere Sie, mein Herr, daß er diesen Unsinn wörtlich gesagt hat - dieses Anderwärts mache. Die Mittel dazu, behauptete er, lägen in Ihrer Gewalt. - Sie sollten nur die guten Einfällte aufbieten, wodurch Sie Ihm Ihre Unterhaltung so angenehm und geistreich gemacht hätten = = =" - "Ich glaube," unterbrach ich hier meinen Gesandten, "der Kerl raset, oder er will mich zum Besten haben." - "Wohl möglich!" antwortete Bastian. - "Wenn hätte ich mich denn," fuhr ich nachdenkend fort, "nur im geringsten seinetwegen mit meinem Witze in Unkosten gesteckt? Aber nur weiter!" - "Ferner so sage Er Seinem Herrn," schnarrte Bastian auf das natürlichste dem Kirchner nach, "habe er sich nur die Augen zu reiben, und über die Gasse zu blicken, so werde ihm der Zwerg erscheinen, der allein die Verbrannten aus ihrer Asche wieder erwecken könne." - Hier riß mir die Geduld, ich sprang vom Stuhle, und: "Was zum Teufel," fluchte ich, "soll ich mit diesem albernen Geschwätze anfangen? Aber so geht es, wenn ein Narr einen großen Dichter nachahmen will. Weil sein Petrarch immer und ewig ihm unverständlich seyn wird, so denkt der Tropf, glaube ich, Laurens Schatten möchte es übel nehmen, wenn ihr Wächter sich deutlicher ausdrückte. Den Augenblick gehe ich zu ihm, und sage ihm zur freundlichen Antwort, daß er für seine scherzhafte Laune ein andere Ziel suchen solle als mich - so wie ich zu meinem Goldstücke, das ich mir wieder ausbät, auch schon einen andern Liebhaber = = = = = Doch warte nur." - Ich trat ärgerlich an das Fenster; aber ich sah nicht lange gedankenlos über die Gasse, so stieß ich auf etwas - das mir mit Einem Blicke jenes verworrne Räthsel in´s Licht setzte - stieß auf die Zwerggestalt meines Freunde Fez, der, auf seinen Laden gelehnt, mir gerade in das Gesicht gähnte. - "Ja wohl, guter buckliger Mann," rief ich aus, "bist du es allein, der mich aus meiner Gefangenschaft retten kann - Du bist der Zwerg, auf den mich das Orakel verwies. Geschwind Bastian, reiche mir eine Bücherschale nach der andern von dem Haufen her, der an dem Kamine liegt! Ihre betrügerischen Titel sollen bald in eine Liste gebracht seyn! - Eins bis siebenzehn! Gottlob, daß ich damit fertig bin! Nun, Bastian, trage geschwind dieß Papier zu unserm Nachbarn, dem Buchhändler - laß ihn den Ladenpreis daneben setzen, und laß ihn unterschreiben, daß er gegen die Summe sich für die Beyschaffung dieser seltenen Werke verbürge!" - Ebenso glücklich löste sich die andere Hälfte des Räthsels. Ich begriff jetzt, ohne lange zu suchen, die guten Einfälle, die meinem nachsichtigen Freunde in meiner schlechten Unterhaltung so wohl gefielen, den in allen Ländern beliebten und bey allen Prozessen anwendbaren Witz - einer gefüllten Börse. Ich zog die meinige heraus, und besah sie mit Wohlgefallen; und da es einmal dort oben geschrieben stand, daß ich alle meine Thorheiten bezahlen sollte, so nahm ich mir vor, es mit der besten Art und wie ein großer Herr zu thun.
Meine gute Laune kam während dieser Betrachtung in gleichen Schritten mit meinem Hunger zurück, der eben auf´s höchste gestiegen war, als Bastian herein trat, und mir die theure Rechnung des Herrn Fez einhändigte. Ich warf sie gleichgültig auf den Tisch. - "Geschwind, Bastian," rief ich ihm zu, "schaffe mir etwas Gutes zu essen, und bringe mir auch eine Flasche Sillery mit, damit ich vergesse, daß ich noch in Avignon bin." - Man würde sich vielen Kummer ersparen, wenn man von den widrigen Vorfällen, die uns in dem kurzen Uebergange vom Leben in´s Grab aufstoßen, den finstern Anblick zu vermeiden, und nur die lächerliche Seite davon aufzusuchen gelernt hätte, die jedes menschliche Ereigniß, wenn man es nur recht zu drehen versteht, darbeut. Sogar die Empfindung eines gewaltsamen, schmerzhaften Todes kann uns durch die Gewißheit zum Lachen bewegen, daß der Tyrann, der uns damit belegt, sie doch nicht über eine kurze Spanne der Zeit auszudehnen vermag. Ich würde mir vornehmen, sie mit Großmuth und mit Verspottung der Ohnmacht meines Feindes zu ertragen, wie man es von den gefangenen Wilden erzählt, und mich durch die Vorstellung erheitern, daß mein unsterblicher Geist in der unendlichen Zeit, die ihm nachfolgt, über den Einsturz seines Kerkers eben so herzliche lachen werde, als wir jetzt über den heftigsten Schmerz einer viertel=Secunden - spotten. Ich kann nimmermehr glauben, daß ich nachher noch geneigt seyn würde, die Narren, die hier an meiner ohnehin morschen Hütte noch zupften, zur Verantwortung zu ziehen, oder ihnen zur Bestrafung nur ein kaltes Fieber an den Hals zu wünschen. Mag es ihnen doch gehen wie Gott will! Die Empfindung der Rache ist mir so unangenehm, daß ich ihrer bald satt habe, und meinen Widersachern den Vortheil nicht einmal gönnen möchte, ihre Bosheit gegen mich durch Erregung dieses widrigen Gefühls noch zu verstärken.
Dieser große Gedanke begleitete mich freundlich zu Tische, und hielt an, bis ich gesättigt aufstand, und ein anderer ihn feindselig verdrängte. - "Welchen frohen Abend," seufzte ich, indem ich meine Weste aufknöpfte, würde ich jetzt genießen, wenn ich in Berlin wäre! Ich würde meinen Eduard zu einem Gange in die Komödie oder zu sonst einer gesunden Bewegung abholen. Wer soll mir aber hier eine Komödie spielen? Was soll ich hier, in einem Viereck von zwanzig Quatratellen, mit einem vollen Magen und einer erschwerten Verdauung anfangen?" - Meine vorige philosophische und stolze Betrachtung wäre gewiß in den Wind gewesen, wenn sie nicht die Hoffnung noch ein wenig hingehalten hätte, die ich auf die Macht meiner gefüllten Goldbörse setzte. Ich öffnete behutsam die Thür, sah meine Wache fröhlich an ihrem Tische sitzen, und winkte Bastianen, der eben seinem Nachbar ein Glas zubringen wollte. - "Suche dir einen Eingang in die Nebenstube zu verschaffen," sagte ich ihm, "und überbringe der Versammlung daselbst, nebst meinem Empfehl, folgende Vergleichs=Vorschläge, die ich dir der Reihe nach zuzählen will! Nimm deinen ganzen Verstand zusammen, und gieb Acht. Sage Ihnen erst insgemein, daß mir der Vorfall, der mir Arrest zugezogen, von Herzen Leid thäte; daß ich aber erbötig wäre, ihn auf alle Art - vergiß diesen Ausdruck nicht, denn er ist von Bedeutung - wieder gut zu machen. Ueberreiche sodann derm Herrn Propste die Liste der verbrannten Bücher! Erkläre ihm, daß ich sie nach der Taxe bezahlen, und auch noch etwas für die beschädigten Bände zulegen wollte. - Dem Procurator mache verständlich, daß ich ihm willig die Versäumniß vergüten würde, an der ich schuld sey. Die alte Tante bitte in meinem Namen auf das demüthigste um Verzeihung wegen meines übereilten Betragens gegen sie - und der frommen Clara versichere, daß ich, für das Aergerniß, daß ich ihr gegeben, auf dem Altare der heiligen Cäcilia zwey Wachskerzen zu stiften gedächte, und es ihr überließe, die Größe und Schwere davon selbst zu bestimmen - daß ich bereit sey, diese Anerbietungen noch diesen Abend in Erfüllung zu bringen, und dagegen erwarte, daß die hohe Versammlung meine Abreise mit frühesten - aber auch diese Nacht, nicht weiter erschweren würde." - Nicht wahr, Eduard, das war ein übertriebenes Gebot? - Ich fühlte es selbst recht gut als ich es that; aber, bey Gott! ich fühlte auch, daß ich mich zu noch größern Aufopferungen verstehen könnte, um nur aus einer Gefangenschaft zu kommen, die ich für die dümmste hielt, in die wohl noch je ein ehrlicher Mann gerieth. Ich will gern, dachte ich, diese unberechnete Ausgabe auf einer andern Seite wieder ersparen, und ließ Bastian gehen, ohne daß ich es über mich gewinnen konnte nur einen Heller davon zurück zu handeln. Du wirst sehen, daß ich nichts bey meiner Freygebigkeit verlor.
Nach einer guten Viertelstunde trat Bastian vor meinen Lehnstuhl, auf dem mich ein leichter Schlaf gefesselt hatte. - Er räusperte sich, und ich erwachte. - "Nun," fragte ich, "sind die Pferde schon angespannt?" - "Noch nicht," antwortete der arme Schelm, und die Thränen traten ihm in die Augen. - "Was ist dir, Bastian?" fuhr ich hastig auf. - "Ach, mein Herr, stockte er, "die Versammlung hat Ihre Friedensvorschläge - nicht angenommen." - "Nicht angenommen, sagst du?" erwiederte ich, und blickte ihm halb wüthend in das Gesicht. "So erzähle mir denn!" - "Sie werden sehen, lieber Herr," fuhr Bastian fort, "daß ich alles in der Welt gethan habe, was in so einer verwickelten Sache möglich war; aber wir haben mit Felsenherzen zu thun. Ich pochte an - die Tante, die mir aufmachte, ward roth, wie ein Ziegelstein, als sie meiner ansichtig wurde. Ich machte ihnen allen meine tiefste Verbeugung - wendete mich mit meinem Auftrage zuerst an den Propst, der, einem großen Spiegel gegen über, auf einem Sopha saß von hellgelbem Atlaß, mit - wenn ich mich nicht irre - Lilla=Striefen und weißen Fransen behängt" - "O, halte dich damit nicht auf," unterbrach ich ihn, "ich weiß schon, wo er steht und wie er aussieht." - "Dann drehte ich mich mit meiner Rede nach dem Procurator - von ihm nach der Tante, und endigte sie endlich bey Clärchen, und - erwartete meinen Bescheid. Wie denken Sie daß er ausfiel? Erschrecken Sie nur nicht zu sehr, mein bester Herr; aber es ist meine Schuldigkeit Ihnen klaren Wein einzuschenken." - "Das thue nur bald," sagte ich lachend, "sonst möchten dir deine Freunde draußen keinen mehr übrig lassen." - Der Wink that seine Wirkung. "Der Propst," fuhr jetzt mein wortreicher Gesandter wie gedrungener fort, "nahm zuerst das Wort, mit so vieler Würde, daß ich selbst vor ihm zittern mußte. Ist es begreiflich, fuhr er mich an, daß ein Mann, der sich solcher Verbrechen bewußt ist als Sein Herr, es wagen kann, der Gerechtigkeit mit so nichtigen Anerbietungen unter die Augen zu treten? und daß auch Er, mein Freund, der in der reinen Lehre erzogen und geboren ist, sich nicht scheut, solche Anträge zu übernehmen? Fällt denn nicht schon durch die schwarze That selbst, die Sein Herr beging, sein Eigenthum, so groß es auch seyn mag, dem geistlichen Fiscus anheim? und seine Richter sollten sich herablassen, mit ihm über seine Bestrafung zu handeln? O, wir wollen schon sorgen, daß sie exemplarisch ausfallen soll. Er hat nicht nur die Gastfreyheit unsers Landes auf das undankbarste erwiedert - nicht nur einen Kirchenraub an den Schätzen der frommen Stiftung begangen, die ihm Schutz gab; nein! er hat selbst die Werkzeuge auf das treuloseste vernichtet, die unsere gottseligen Vorfahren zur Ausbreitung der Religion und Tugend diesem Hause übergaben. - Er hat - schrie der Procurator mit einer sehr gelehrten Miene darein, ärger und verabscheuungswürdiger als Herostratus gehandelt: denn jener verbrannte nur den Götzentempel einer Diane; er aber hat das Lehrgebäude unsres heiligen Glaubens, im Bunde mit dem Satanas, zu Asche verwandelt. - Er hat mich - er hat Gott gelästert, krähete die alte Bertilia. - Er hat alle Heiligen beschimpft, tönte Clärchen. - Solche Gräuelthaten, übernahm ihr Nachbar, der Propst, das Wort, lassen sich nicht mit Gold und Silber verbüßen. - Mit Freuden will ich ihn brennen sehen, sagte die Alte. - Auch ich will keine Thräne dabey vergießen, stimmte die Nichte bey. - Morgen, donnerte der Procurator, soll es Sein unwürdiger Herr schon erfahren, mit wem er zu thun hat. - Meine Klagerede ist bald fertig - Schwer soll es ihm werden darauf zu antworten. - - Und nun tret´ er ab, mein Freund, rief mir der Propst mit einem so ernsthaften Winke zu, als ich nie wieder zu sehen verlange: Sage er Seinem Herrn - denn heute ist er es noch - was Er gesehn und gehört hat. Der morgende Tag wird ihn das Weitere schon lehren." - "Und was soll er mich lehren?" fragte ich mit verächtlichem Grimme, "was ich nicht heute schon weiß? daß dieses Winkelgericht aus den niedrigsten Heuchlern zusammen gesetzt ist, verworfener selbst als jene, die ich dem Rousseau geopfert habe. Ich biete ihnen Trotz! Bin ich nicht ein Unterthan Friedrichs des Großen und Weisen? Auch in der Entfernung von ihm, wird sein Name mich schützen. Und du, mein guter Bastian, bekümmere dich meinetwegen nur nicht! Du sollst hoffentlich länger in meinem Dienste bleiben, als dir der Schwarzkünstler gedroht hat. Trinke jetzt ruhig den Wein aus, von dem ich dich abgerufen habe, und laß auch den armen Soldaten nichts abgehen! Du hast doch Ein Abendessen für sie bestellt? - Nun gut! So laßt es euch bey meiner Gefangenschaft wohl schmecken. Ich verlange heute nichts weiter von dir, als daß du mir Licht bringest, wenn es dunkel wird." - Unter vier Augen kann ich dir nun wohl sagen, Eduard, daß mir nicht ganz so heroisch zu Muthe war, als ich mich gegen meinen beängstigten Bastian anstellte. Der Name meines Königs, so geltend er auch überall seyn mag, wird auf dieses Gesindel so wenig Eindruck machen, als auf die Bewohner des Feuerlandes. Kömmst du unter die Gewalt der Wilden, so werden sie dich braten, und wenn du auch preußischer Kammerherr wärest, oder Ritter vom schwarzen Adler. Nur unter civilisirten, aufgeklärten Völkern ist so etwas von Gewicht, und hat da schon manche Special=Inquisition von größern Verbrechern abgewendet als ich bin.
Ich hatte meinen Kopf, ganz schwer von diesen Betrachtungen, auf den Arm gestützt, und dachte meiner verdrießlichen Sache nicht ohne manche Besorgniß nach, als Bastian mit einem Gesichte herein trat, das mir nur zu gut bewies, daß sie draußen zu meinen Ehren wohl nicht den wohlfeilsten Wein trinken mochten, und mein ehrlicher Kerl vermuthlich meine Goldbörse für so gewiß confiscirt hielt, als der sträfliche Propst. - "Mein Herr," wendete er sich freundlich an mich, indem er mir Lichter aufsetzte, ,,Ihre Soldaten sind ganz von Ihnen eingenommen. Nicht ein Glas von den vier oder fünf Bouteillen, die ich aufgetragen habe, ist anders getrunken worden als auf Ihre Gesundheit. Zehnmal lieber, sagen sie, wollten sie für ihren Gefangenen ihr Leben daran setzen, als ein einzigesmal für ihren Commendanten, der ihnen kaum so viel von ihrer Löhnung abgäbe, als nöthig sey, es zu fristen." - "Warum," antwortete ich gleichgültig darauf, "ließen sich die Narren unter solche Truppen anwerben?" - "Warum?" wiederholte Bastian. "O, das sollten Sie Sich wundershalber von den beyden unglücklichen Brüdern erzählen lassen. Es ist der Mühe werth, und kann Ihnen, mein Herr, ein großes Licht über den hiesigen Gerichtsgang aufstecken." - "Nun das," antwortete ich. ,,sollte mir nicht unangenehm seyn, Bastian!" - "Also darf ich sie herein schicken, mein Herr?" - "Meinetwegen! Habe ich doch ohnehin nichts zu versäumen."
Sie traten herein, und brachten dießmal ein viel gescheideres Ansehn mit, als da sie mir das Essen außetzten. Die Schminke des Wohlbehagens färbte ihre Wangen, und der Stillstand ihres gewohnten Elends, den sie so unerwartet einmal in ihrem Dienstgeschäfte fanden, flimmerte so deutlich in ihren freundlichen Augen, daß ich mir nun um deswillen kein Gewissen machen konnte, die Lauterkeit ihrer süßen Empfindungen zu trüben, weil ich zu gut aus eigener Erfahrung weiß, daß nichts so sehr den Genuß eines frohen Augenblicks erhöht, als die Uebersicht unsers überstandenen Unglücks. Denn, wie der Mensch ist! anstatt finsterer Beweise für die Zukunft, zieht er viel eher angenehme Fehlschlüsse auf bessere Zeiten daraus, und das Gefühl eines wirklich erlebten glücklichen Tags macht ihm die Möglichkeit vieler künftigen nur gar zu wahrscheinlich. Glückliche Blindheit, die in der weit ausgespannten Finsterniß nur die hellen Punkte entdeckt und vereinigt, die einzeln, ach! sehr einzeln, aus ihr hervorstrahlen! - "Es ist euch auch, wie ich höre, nicht sonderlich in der Welt gegangen," redete ich sie zutraulich an. "Setzt euch nieder, ihr guten Leute, und erzählt mir eure Geschichte! Vielleicht trägt sie etwas zu meiner eigenen Beruhigung bey, die ihr mir gewiß gern gönnen werdet." - "O, ganz gewiß, bester Herr," nahm der eine das Wort. "Wir sind so gerührt von Ihrer Güte! Seit sechzehn Monaten war es heute das erstemal, daß wir uns satt aßen, und einige Tropfen Wein über die Zunge brachten und was für ein Wein - großer Gott! Ehemals fehlte es uns an nichts, wir waren dick und fett; aber die Geistlichkeit, Gott vergelte es ihr, hat uns mager gemacht." "Das sieht ihr gleich," konnte ich mich aus Bitterkeit gegen den Propst nicht enthalten mit spöttelndem Tone hinzu zu setzen. "Von allen Verwandlungen, die jene Diener des Altars täglich und stündlich vor unsern Augen vornehmen, gelingt ihnen diese immer am besten. Doch wie versaht ihr es denn, ihr guten Leute, daß ihr in ihre Hände geriethet?" - "Wenn Sie Zeit und Lust haben meiner Erzählung zu folgen," antwortete der Grenadier, "so hoffe ich Ihnen den Zusammenhang unseres Unglücks auf das anschaulichste darzustellen. Wir sind zwey Brüder, aus der Vorstadt. Unsere Aeltern und Vorältern waren Weber. Sie hinterließen uns, ich gestehe es, ein Handwerk, das auch uns würde ernährt haben; und so hätten wir denn ganz friedlich und schiedlich durch die Welt schleichen können, wie sie. - Aber wir fühlten einen unwiderstehlichen Drang nach höhern Dingen - setzten unsere Erbschaft ins Geld - warben junge flinke Bursche und Dirnen, die so dachten wie wir, und stellten uns an die Spitze einer Bande - Schauspieler."
Ich kann dir nicht sagen, lieber Eduard, wie diese unbedeutende Nachricht mir doch ganz sonderbar auf das Herz fiel. War es nicht eine der drolligsten Gaukeleyen des Schicksals, daß es mir in derselben Stunde, wo mir eine so heiße Sehnsucht nach der Komödie ankam, wie ich dir an Ort und Stelle gesagt habe, auf einmal einen abgedankten Theater=Director unter die Augen stellte? "Du darfst ja nur," spaßte ich mit mir selbst, "ihn auf diesen Abend engagiren, so kannst du dein Lüstchen vielleicht so gut stillen, als wenn du in Berlin wärest." Beynahe ist Ernst aus meinem Spaße geworden. Mir ist wenigstens alleweile nicht schlimmer zu Muthe, als wenn ich eben von einem Privattheater zurück käme.
"Stolze, glückliche Zeiten!" fuhr der Acteur jetzt in einer edeln Declamation fort. "Wenn wir," hier kehrte er sich mit einer anständigen Bewegung der Hand gegen seinen Bruder, "den Tag über Könige und Feldherrn gespielt hatten, waren wir jeden Abend im Stande unsere Zeche zu bezahlen - blieben unserm Hofe - unserm Militär und unserm Zettelträger nichts schuldig, und gingen als ehrliche Leute zu Bette. Das dauerte ein volles Jahr. Aber hören Sie weiter, mein Herr! Einst führten wir an der Gränze des Landes - zu Cavaillon, wo wir den Tag vorher mit unserer Truppe angelangt waren, ein ausländisches Drama auf - Faust - den Doctor, wie er vom Teufel geholt wird. Und aus der Oekonomie dieses Stücks, sollten Sie es glauben, mein Herr? hat sich nachher alles unser Unglück entsponnen. - Wir hatten unsere Bühne in dem Wirthshause zum Propheten, auf einem sehr großen Saale des Hintergebäudes aufgeschlagen, der aber dennoch gedrängt voll war, als wir den Vorhang aufzogen. Mein guter Bruder stellte den bösen Feind vor, sah fürchterlich aus, und brüllte, nach der Schrift, wie ein Löwe. Da aber jedermann wußte, daß es nur Verkleidung war, so fand das Stück einen so lauten, weit um sich greifenden Beyfall, daß wir eine Stunde nachher - eine Sache, die in den Annalen der Schauspielerkunst unerhört ist - es vor einer noch verstärkten Versammlung wiederholen mußten. Freylich griff es uns an, und mein Bruder spie Blut; aber dafür hatten wir auch eine doppelte Einnahme. Das Spiel dauerte bis nach Mitternacht, und die Zuschauer gingen höchst vergnügt aus einander. Wer hätte sich einbilden sollen, daß der Teufel, während daß wir ihn in seiner Herrlichkeit vorstellten, uns den boshaftesten Streich spielen würde, den er je ausgeführt hat? Gegen mich und die Meinigen hätte er wenigstens kein ärgeres Bubenstück ausdenken können. Wir waren so abgespannt und schläfrig, daß wir kaum die Lichter ausgeputzt hatten, ausgenommen das Endchen' mit welchem mein Bruder uns vorleuchtete, so trabten wir auch schon über den langen Gang unserer Schlafkammer zu. Nun hatte aber der gewinnsüchtige Wirth in unserer Abwesenheit zwo andere Personen in derselben Kammer aufgenommen, ohne ihnen über uns Bescheid zu sagen, anstatt sie, wie er ehrlicher würde gethan haben, in ein anderes Gasthaus zu weisen, da in dem seinigen keine Stube mehr leer war. - Aber gut genug! es war ohne unser Wissen geschehen; uns ahndete nichts böses, und wir traten ein. Mein Bruder, das Stümpfchen Licht in der Hand, lief gerade nach seinem Bette, zog die Vorhänge zurück, und das Unglück war geschehen. Der fremde Herr, der darin lag - Heiliger Anton! was für ein Schrecken überfiel ihn, als er aufwachte, und diese Höllenfigur vor sich stehen sah! Er verfiel in ein Angstgeheul, wodurch in dem gleich anstoßenden Bette eine andere Figur erweckt wurde, die, gleich einer Venus, die noch nicht ausgemalt ist, schon damals nicht weniger versprach, als sie nachher gehalten hat, wie Sie am besten wissen werden, mein Herr = =" - "Wie denn ich?" fragte ich voll Verwunderung. - "Weil es," antwortete der Grenadier, "niemand anders war, als - die Mamsell hier im Hause." - "Träumt ihr, Freund?" unterbrach ich den Soldaten, "oder faselt ihr?" - "Nichts weniger," erwiederte er sehr bestimmt. - "Besinnt euch," fuhr ich auf ihn zu; "denkt nur, welche schöne Zeit müßte das nicht her seyn!" - "Das ist," besann sich der Erzähler, "mit Ende dieser Woche, ein und zwanzig völlige Monate." - "Und da schon," warf ich ein, "sollte die schöne, fromme, unmündige Clara = = Das ist nicht möglich." - "So möglich," versetzte der Grenadier, und hob die Hand wie zum Schwur in die Höhe, "daß es selbst mein Bette war, aus dem sie, ich will Ihnen nicht sagen wie schlank und artig, heraus fuhr, und sich entweder aus Furcht oder Bescheidenheit unter die Decke ihres zitternden Nachbars flüchtete. Welcher Sturm des Ungefährs übrigens sie in diese Kammer - in das Bette eines Komödianten, und unter den Wendezirkel des Domherrn verschlagen hatte, mag Gott wissen." - "Was für eines Domherrn?" fragte ich hastig. - "Er heißt," antwortete mir der Soldat ganz gelassen - "Dudiquet, und lebt hier in dem größten Ansehen." -
Nun du barmherziger Gott! murmelte ich in den Bart, so habe ich mir denn nicht vorzuwerfen, die Geheimnisse deiner Heiligen zuerst aufgedeckt, und die Ruhe ihrer Unschuld gestört zu haben. Noch vor Erfüllung der Zeit, noch vor Erschaffung ihres schwellenden Busens - lag sie schon dem Verehrer ihrer Patronin - lag sie herzhaft dem Manne zur Seite, vor dem wohl jeder Christin, die auf den Namen der heiligen Clara getauft ist, ganz besonders bange seyn sollte. Nun läßt sich schon eher begreifen, warum sie die berühmte Stelle in der Legende ihrer Seelenschwester so nachdenkend überlas. Von jener Schreckensnacht in dem Propheten zu Cavaillon her mag sie wohl die alte Geschichte datiren, von der sie mir sagte, sie sey ihr unter andern Nebenumständen erzählt worden. Ach! diese Nebenumstände! Was gäb´ ich für die Menschenkenntniß darum, wenn ich sie wüßte! Wie gut würden sie mir vielleicht die Schwärmerey des Domherrn für die heiligen Steine erklären, die seinen schwachen Kopf fast mehr, als der Stein der Weisen das Gehirn eines Adepten, verrücken! O der Unschuldigen, die erst von den Casuisten erfahren mußte, was in der Liebe rechtens ist! O der jungfräulichen Hand, die über die abartige Bildung des schlafenden Engels so scheu ward! und o des Thoren, der nur einen Augenblick über die fromme Unwissenheit eines solchen Mädchens nachgrübeln konnte! - "Doch, guter Freund, fahre in deiner Erzählung nur fort," unterbrach ich endlich meine kleinlauten Betrachtungen, und verdoppelte meine Aufmerksamkeit. - "Hätte das Geschrey dieser beiden," hub der Grenadier wieder an, "die halbe Stadt in Aufruhr gebracht, es wäre kein Wunder gewesen. Umsonst stellten wir uns alle, wie wir waren, theilnehmend um ihre Lagerstatt her, suchten ihnen begreiflich zu machen, daß wir nicht mehr und weniger Teufel wären wie sie - daß diese Kammer unsere tägliche Wohnung, und unser fürchterliches Ansehen nur ein Theaterkleid sey. Todtenblaß blieben sie immerfort einander in den Armen liegen, kreuzigten und segneten sich, als sie die Augen aufschlugen, und wurden auch ihrer fünf Sinne nicht eher mächtig, als bis Doctor Faust und der Teufel mit jedem ein Vaterunser gebetet hatten. So bald mein Bruder sein Schlangenhaar an den Nagel gehenkt, seine Pferdefüße abgeschnallt, die Hörner, die seinen Kopf fürchterlich zierten, neben dem Bette des Domherm niedergelegt, und vor den Augen des blinselnden Mädchens seinen langen Schweif zusammen gerollt und in die Tasche gesteckt hatte, und nun der Angstschweiß dem Prälaten zu trocknen begann, so kehrte auch schon die natürliche Würde seines Charakters zurück. Er hätte uns gern unser sündliches Leben in einer langweiligen Predigt an das Herz gelegt, wäre ihm nicht selbst mehr damit gedient gewesen, uns von unserm Bette zu verjagen als uns einzuschläfern. Sonach hielt er es für das sicherste, uns durch sein Ansehn in Furcht zu setzen, nannte uns seinen Namen und Stand, bedrohte uns mit der Inquisition, die wir als Masken der Hölle verdienten, und war in kurzem sogar, hätten Sie das erwartet, mein Herr? gefaßt genug, mich zu fragen, ob das Kind, das sich in sein Bette versteckt hätte, mit zu unserer Bande gehöre? So sehr wir auch Komödianten waren, so erschraken wir doch alle über die Miene der Wahrheit, mit der er seine Frage vorbrachte. Wir sahen einander an, wußten nicht was wir antworten sollten, und beriefen uns voller Verwirrung auf die Aussage der kleinen Schöne, die indeß aber unter seinem Bette vor in das ihrige wieder zurück gekrochen war, und keine Lust bezeigte, sich in unsere Rechtfertigung zu mengen. Wir brachen sie auch selbst bald genug ab, hielten es für das Klügste, den beyden Pilgern unsere Schlafstellen in gutem zu überlassen, und suchten uns zu behelfen wie es anging. - Mit Tages Anbruch waren sie aus unserer Kammer geschlichen, und in einer Chaise auf und davon gefahren, ohne sich zu bekümmern, was wir davon denken würden. Der Wirth, den wir zur Rede setzten, entschuldigte seine doppelte Einnahme für unsere Kammer, mit unserer doppelten Einnahme aus seinem Saale, der ganze schnakische Handel ward eine Weile belacht, und bald hernach vergessen. Wir spielten in der dortigen Gegend, so lange sich noch Zuschauer einfanden, und gingen einige Wochen nachher, in der schönsten Erwartung auf Einnahme und Ruhm, nach unserm Avignon zurück. Aber, wie der tragische Dichter sehr geistreich sagt:
Du schlenderst an der Hand der Hoffnung, dem Gesang
Des Glücks unwissend nach, daß dich sein Blumengang
In Labyrinthe führt, wo hungrig Minotauren,
Im Dienst der Grausamkeit, auf deine Ankunft lauren."
- "Deine Verse in Ehren," unterbrach ich hier den Acteur; sie mögen so wohlklingend seyn als sie wollen, so ist mir doch jetzt mehr um deine Geschichte zu thun, als um die erhabenen Maximen, die ein kluger Kopf daraus kochen kann. Laß sie lieber in deiner Erzählung weg, und sage mir in einfältiger Prose, in welche Labyrinthe und unter was für Minotauren du gerathen bist." - "So wissen Sie denn, mein Herr," fuhr der Grenadier fort, "daß wir kaum den andern Morgen unsere Garderobe ausgepackt hatten, als ich und mein Bruder von dem geistlichen Gerichte freundlich beschickt, und eingeladen wurden, vor ihm zu erscheinen. Was haben wir doch, dachte ich flüchtig, mit diesen Herren zu theilen? und wir erschienen mit dem ruhigsten Herzen vor ihren Schranken. Aber ach, unser Muth dauerte nicht lange. Was will die Unschuld eines Komödianten vor einem Tribunale bedeuten, das aus Leuten zusammen gesetzt ist, die nie an gute Absichten glauben, aus Achtung für die Unwissenheit alle freye Künste verfolgen, und immer und ewig vom Brodneide gegen unser Handwerk gedrängt werden! Der Vorsitzende legte uns eine Anklage des furchtsamen Domherrn vor, die uns als Landstreicher schilderte, und das Schrecken, das wir ihm nächtlicher Weise eingejagt hatten, für nichts geringeres als einen öffentlichen Friedensbruch und als den boshaftesten Eingriff in die Geheimnisse unserer geheiligten Religion erklärte. Alle unsere gegründeten Einwendungen dagegen wurden verworfen, man glaubte dem Domherrn mehr als den Komödianten, und unsere Muthmaßung über Clärchens Nachbarschaft an seinem Bette brachte vollends seine Herren Collegen so wider uns auf, daß sie alle, keinen ausgenommen, auf die Verabschiedung und Trennung unserer Truppe zusammen stimmten, und uns mit dem kurzen Bescheid entließen, nie wieder mit lebendigen Personen zu spielen. - Wir schlichen belastet von unserm Unglücke nach Hause, dem Sturme entgegen, der jetzt unter unserer Gesellschaft entstand, als wir wie Gespenster unter sie traten, und ihr den Ausspruch ihrer Vernichtung bekannt machten. Das schreckliche Wort wirkte wie ein elektrischer Schlag auf alle. Mein alter zitternder Decorateur malte eben an einer Morgenröthe. Der Pinsel entschlüpfte seiner gelähmten Rand, und fiel gerade auf die Schürze der Ariadne, die neben ihm saß, und ihrem Theseus die Halbstiefeln putzte. Zwey von meinen Grazien, die diesen Abend zum erstenmal in dem Nachspiele auftreten sollten, ließen den Schleyer fallen, um den sie sich zankten, und die dritte sprang wie eine Furie hinter dem Verschlage vor, wo sie sich anzog, und überfiel meinen armen Bruder, dessen gottlose Maske sie als die einzige Ursache unsers allgemeinen Unfalls ansah, und worin sie auch nicht ganz Unrecht hatte. Ich trat dazwischen, gebot Ruhe, und ersetzte meine verlorne Gewalt über die Gesellschaft, durch eine derbe Beredsamkeit. Den Damen legte ich ihren zweydeutigen Ruf nahe ans Herz, und ermahnte sie brüderlich, die Geistlichkeit nicht noch mehr wider ihr weltliches Leben aufzubringen, und wohl gar noch, bey zunehmenden Jahren, in die Excommunication zu fallen. Meine Helden beruhigte ich durch einige glückliche Tiraden aus unsern Trauerspielen über die Würde der Standhaftigkeit im Unglück, und empfahl allen, die mancherley Erfahrungen nun auch zu nützen, welche sie unter meiner Leitung erlangt hätten. Der Kleinmuth verlor sich nach und nach auf ihren geschminkten Gesichtern, der Trieb der Selbsterhaltung erwachte, und mein guter Rath ward befolgt. Die eine von meinen Grazien vermiethete sich noch diesen Abend, die andere sieben Wochen später, als Amme, die dritte ward - um sich, glaube ich, an dem geistlichen Tribunale zu rächen - Ausgeberin bey dem Präsidenten. Meinen ersten Acteur brachte seine Baßstimme in´s Chor. Mein Decorateur malt jetzt Altäre und Capellen. Ariadne hat eine kleine Wirthschaft angelegt, und findet ihr Conto so gut dabey, als die alte Dame neben an. Meinen Theseus müssen Sie oft gesehen haben, mein Herr! Er trägt die kleinen Pasteten zum Frühstück umher, die, wie man sagt, vortrefftich sind; denn der Undankbare hat seinem alten Director nie eine zu kosten gegeben. Ich wüßte mit Einem Worte keines von meiner Gesellschaft, für das die Vorsehung nicht augenscheinlich gesorgt hätte. Auch für uns beyde Brüder sorgte sie, die doch in diesem Tumulte am meisten verloren. Da uns der verhaßte Bescheid verbot, mit lebenden Personen zu spielen, so landen wir in dieser Clausel selbst den besten Wink für unsern wahren Beruf. Wir schafften uns Drahtpuppen an, und waren in kurzem im Stande mit einem recht gut besetzten Theater die Märkte zu beziehen. Als die Empfindung der falschen Scham überwunden, und die erste Auslage verschmerzt war, befanden wir uns sogar selbst besser bey unsern Marionetten, als bey dem vorigen hochmüthigen Troß. Wir hatten nun keinen Zank mehr unter unsern Heerführern zu schlichten. Jede Puppe war mit der Rolle zufrieden, zu der sie ihre Gelenke bestimmten. Sie schickten sich weit besser in den engen Kreis, den wir ihnen anwiesen, und stießen nicht an die Wolken, wie ich mich wohl errinnere, daß es sonst geschah, wenn meine Helden Sturmhauben, meine Göttinnen Federbüsche aufsetzten. Mit den einzigen Anzuge des Perseus, den ich zerschnitt, konnte ich jetzt meine ganze Truppe bekleiden, und ich bekam zwey Vorhänge aus der Schürze, die der Ariadne zu kurz war. Die Mechanik unserer jetzigen Actricen ward nicht so oft wandelbar wie bey den vorigen. Unsere Könige und Ritter lagen mit ihnen in Einem Kasten, ohne daß wir unangenehme Folgen besorgen mußten, und, was das beste war, so hatten wir nicht nöthig unsern brüderlichen Gewinn mit unserer Gesellschaft zu theilen. Jetzt spielten wir den Doctor Faust, ohne daß ein Hahn darüber krähte; und da wir überall zu Lachen machten, und von den Vornehmsten bis zu dem Geringsten Aufmunterung und Beyfall erhielten, so glaubten wir endlich das blinde Schicksal eben so gewiß an dem Seilchen zu führen als unsere Puppen. Es ist, glaube ich, kein Mensch so klug, den nicht ein anhaltender Wohlstand zum Thoren macht. Er denkt immer an den Fortgang seines Glücks - nie an seinen Wechsel. Die traurigen Begebenheiten, über denen ich doch täglich schwebte, wenn ich sie auf meiner kleinen Schaubühne darstellte, wirkten am wenigsten zurück auf mich. Daß Belisar in dem ersten Acte, als Befehlshaber mit einem Ordensbande behängt, einherstrotzte, und in dem letzten, als ein Bettler mit einer Klingel umher ging, fiel mir gar nicht mehr auf. Ich sah den Nebucadnezar an seiner königlichen Tafel - und bald darauf Gras fressen wie ein Rind, ohne daß es mich rührte. Ich hielt mich zu erhaben über alle Zufälle, die ich andern zur Schau gab; vermuthlich weil ich sie, wie der Regierer der Welt, von oben herab sah und lenkte. Ich dachte, ich wär´ es. So trieb ich mich in dem besten Einverständnisse mit meinem Bruder an die sechs Monate herum. Unser täglicher Ueberschuß häufte sich dergestalt, daß wir unsere Truppe bis zu fünfzig Stück - immer eins künstlicher gebaut als das andere - verstärkten, und nun die weitläufigsten Historien vorzustellen im Stande waren. Aber auf einmal geschah der unerwartete Schlag, der dieses große kostbare und zusammen hängende Gebäude in seinen Grundpfeilern erschütterte und über den Haufen warf. = = = Warum lachen Sie, mein Herr? - Verwechseln Sie mich nicht, ich bitte Sie, mit einem gemeinen Puppenspieler, der seine Kunst wie ein Handwerk treibt, und nicht daran denkt, daß man auch hölzernen Figuren Gesinnungen in den Mund legen kann, die gerade auf das menschliche Herz wirken. Ich war, wie Sie mich hier sehen, der erste meines Standes, der einen schönen Geist besoldete - einen Metastasio in seine Dienste nahm, der unablässig für mein Theater arbeiten mußte, alte Waare für das Bedürfniß der Zeit ausbesserte, und neue fertigte, die gegen die strengste Kritik sich aufrecht erhielt. Durch diese Einrichtung hätte vielleicht mein Puppenspiel endlich so viel zur Aufklärung beygetragen, als die königliche Schaubühne zu Paris. Aber weislich ließ es die hohe Klerisey nicht bis dahin kommen. Es war vor dem Jahre in der Weinlese, als wir das älteste Stück von allen die jemals gespielt wurden, aufführten, nur neu bearbeitet und in einem Modegewande. Wir hattes es bis zu dieser Epoche aufgehoben, wo das menschliche Herz, wie unser Theaterdichter sagte, besonders zum Gefühl des Großen und Erhabenen gestimmt sey. Unsere Zettel kündigten es von einer Ecke der Stadt bis zur andern unter dem prächtigen Titel an: Das allgemeine Trauerspiel der Menschheit, oder das verlorene Paradies. Hatten wir gleich auf eine große Menge Zuschauer gerechnet, so übertraf der Zulauf doch unsere größte Erwartung. Als alle Himmelslichter angezündet waren, und der Vorhang nun aufflog, gerieth die Versammlung in einen so lärmenden Beyfall, daß durch die Erschütterung, die es verursachte, ein Stern der ersten Größe vom Horizonte herabfiel. Indem trat ich als Prologus auf - winkte mit der Hand, und es war rührend anzusehen, wie augenblicklich dieser unbändige Tumult in die tiefste Stille überging. Meine Anrede an das Publicum enthielt, wie bey den Schauspielen der Griechen und Römer, den ganzen Plan des Stücks, und war so gut gearbeitet und darstellend, daß es Ihnen seyn würde, mein Herr, als hätten Sie mit in dem Parterr gesessen, wenn es Ihnen gefällig wäre sie anzuhören. Ich weiß sie noch so auswendig als damals; denn, ob sie mich gleich und die Meinigen in Kummer und Elend gestürzt, und ihren poetischen Verfasser genöthigt hat landflüchtig zu werden, so kann ich doch einmal das schnakische Ding nicht vergessen, und recitire es oft mir selbst vor, und gemeiniglich um so viel pathetischer, je weniger ich von Hunger weiß was ich anfangen soll. Heute, hoffe ich, wird es noch besser gehen da ich ein gutes Souper in der Aussicht habe. Darf ich, mein Herr?" - "Ganz gern, lieber Grenadier," antwortete ich, und setzte mich in meinem Lehnstuhle zu rechte. -
Ich versichere dich, Eduard; der Mann beschämte in diesem Augenblicke unsere berühmtesten Acteurs; denn kaum hatte er seine Mütze abgenommen und sein rostiges Gewehr, das ihm während seiner Erzählung noch immer im Arme lag, in die Ecke gelehnt, so befeuerten sich seine Augen, und der Drang des Genies zitterte auf seinen Lippen. Er trat in einer edlen Stellung mir gegen über, und es herrschte eine Würde auf seinem Gesichte, die mit der Arbeit seines Dichters sonderbar abstach. "Ich bin," declamirte er, mit langsamer, ernster, und besonders mit der sonorischten Stimme, ohne die selbst das schönste Gedicht keinen Eindruck auf unser Herz macht,
"Ich bin der Prologus. Hört an,
Wie Gott der Herr die Welt begann.
Denkt ihr, daß er mit Einem Ruf
Dem Chaos Ordnung anerschuf,
So denkt ihr falsch - so macht ihr euch,
Wohlweise Herrn, dem Pöbel gleich.
Noch immer braust es. Gift und Schaum
Durchströmt die Zeit, verschlämmt den Raum;
So viel es dessen sich entlud,
Steht es noch immerfort in Sud;
Unförmlich, wie es Anfangs war,
Schäumt es nicht aus und wird nicht klar.
Denn, wie auf einem Feuerherd
Ein Topf voll Sülig kocht und gärt,
Daß alles wild und unbestimmt
Bald abwärts fährt, bald oben schwimmt,
So treibt das heut´ge Seculum
Das morgende mit sich herum;
Die Wasserblase, die gebläht
Sich jetzt am Rand des Topfes dreht,
Und Farben strahlt, zerplatzt und sinkt
Von ihrer Höh´ herab und - stinkt.
Nachdem sich hier ein Element
Der Fäulniß von dem Ganzen trennt,
Und sich, wie es dem Zufall g´nügt,
An einen andern Unrath fügt,
Entstehn Systeme und vergehn;
Der alte Irrthum sinkt und schnellt
Bald einen neuen in die Welt,
Daß alles durch einander irrt,
Der Maulwurf ein Gesalbter wird,
Und oft der Wirbel einer Nacht
Den Narren zum Propheten macht.
Mischt Faulheit sich und Heucheley
Mit Unvernunft in Einen Brey,
So stößt die Gährung mit Gebraus
Convente von Geweihten aus,
Wie die Chymisten Tinte ziehn
Aus Salz, Galläpfeln und Urin;
Aus ähnlicher Mixtur entstand
Papst Bonifaz und Hildebrand.
Da Gott der Herr in Gloria
Von fern schon diesen Gräuel sah,
Warum zermalmt´ er nicht den Topf
Auf ewig, sammt dem ersten Tropf,
Der an den Boden lag, noch eh´
Er seinen zweyten spaltete?
Doch da´s dem Schöpfer nicht gefiel,
So stellt´ euch unser Puppenspiel
Die erste Menschenthorheit dar,
Die in´s Unendliche gebar:
Im ersten Aufzug sollt ihr sehn
Sich Sonn´ und Mond im Kreise drehn,
Und funkeln ohne Maß und Zahl
Die lieben Sternlein allzumal:
Zwar bleibt noch, bis zur Wiederkehr
Des andern Tag´s, die Erde leer;
Doch währt´s ein Vaterunser kaum,
So schwindet auch der leere Raum.
Ein zweyter Vorhang öffnet euch
Das Thierreich und das Pflanzenreich,
Wo mit dem schnellsten Uebergang,
Bey Wolfsgeheul und Vogelsang,
Sich Berg und Thal mit Grün umzieht,
Der Giftstrauch bey der Rose blüht,
Der Tieger ohne Trug und List
Des ersten Schafes Freund noch ist,
Und über alles ausgeziert
Die Schlang´ aus Horn sich distinguirt.
Und seyd ihr dieses Anblicks satt,
Tritt Adam ohne Feigenblatt
Im dritten Aufzug auf, gelehnt
Am nächsten Aepfelbaum, und gähnt;
Und weil er weder wie noch wann -
Woher - wohin - begreifen kann,
Weiß er auch weiter nichts zu thun
Von der Erschaffung auszuruhn,
Als er geht hin und strecket sich
Zum erstenmale - königlich
In´s Gras - versucht´s und macht sich blind
Für Erd und Himmel, und ersinnt
Das Glück der Menschen - wie bekannt -
Von allen Zungen Schlaf genannt.
Doch bald drauf schwebt von ungefähr
Gott über das Theater her,
Blickt um sich, und erblickt, wie tief
Der schläft, den er zum Leben rief,
Und steigt herab - sinnt - und erschafft
Der Ruhe schönste Gegenkraft.
Aus Adams Rippen steigt ein Weib
Von weißer Haut und schlankem Leib
Die erste Jungfer! - die´s auch blieb,
Bis sich der Herr die Augen rieb.
Sie sehn sich - werden Frau und Mann,
Wie´s die Mechanik wünschen kann.
Doch dauert ach! nur kurze Zeit
Der Flitterwochen Herrlichkeit.
Der böse Feind, der sie so gern
Zu stören sucht, lauscht schon von fern,
Nimmt die Gelegenheit in Acht,
Die er verschläft und sie - bewacht,
Fährt in die Schlange, die gewandt
Geschlichen kömmt, wie ein Amant
Sich schmiegt und biegt, und sich verlängt,
Bis sie an Evens Lippen hängt.
Sie - die nicht weiß, was ihr wohl wißt,
Daß sie in ihr den Teufel küßt,
Freut sich, daß sie der Schmeicheley
Auch eines Thieres würdig sey,
Das, wie sie´s kennen lernt, den Mann,
So oft er schläft, ersetzen kann,
Und sucht und treibt es, bis zuletzt
Die Schlange ganz den Mann ersetzt,
Und macht, daß wir von Kind zu Kind
Des bösen Feinds Bastarten sind.
Der gute Mann, der neu gestärkt
Erwacht, und keinen Unrath merkt,
Sucht seine Gattin halb im Traum,
Und trifft sie an am Lebensbaum,
Und, ohne Scrupel und Verdacht,
Was ihr die Schlange weiß gemacht,
Nimmt er, uneingedenk der Pflicht,
Den Apfel, den sie eben bricht,
Aus ihrer Hand - dankt und beißt an,
Wie Moses uns hat kund gethan.
Doch kaum daß er von dannen geht,
Findt er schon alles umgedreht:
Der Himmel scheint ihm schwarz gewölbt,
Sein schönes Weib scheint ihm vergelbt,
Erschlafft ihr junger Busen - und
Zu weit und groß ihr Rosenmund.
Der Löwe brüllt mit Ungestüm
Ihm nach, kein Hase läuft vor ihm,
Die ganze Schöpfung lacht ihn aus,
Vom Elephanten bis zur Maus.
Und muthlos, nackend, roth vor Scham,
Die wie ein Frost sie übernahm,
Erborgen sie - unüberlegt,
Von einem Baum, der Feigen trägt,
Sich Blätter, und bedecken sich
Zu Hälfte kaum, gar kümmerlich.
Und Gott der Schöpfer ruft ihm zu:
Was thust du Adam, wo bist du?
Er horcht und kratzt sich hinterm Ohr,
Schleicht stumm mit seiner Frau hervor,
Die, ungewiß ob Gott auch sah,
Was sie gethan und ihr geschah,
Mit aller Last der ersten Scham
Vor´s geistliche Gerichte kam.
In seinen Blicken Zorn und Spott,
O, ihr Gefallenen! rief Gott,
Warum erscheint ihr so verblüfft?
Was - Adam! hast du angestift?
Benahm ein Apfel aus der Hand
Des Weibes dir schon den Verstand,
Wie wirst du wissen, was du thust,
Wenn du an ihrem Busen ruhst,
Geschmeichelt und berauscht durch sie
Von Lieb´ und Wein und Harmonie?
Und dir, Frau Eva - noch so jung!
Die war Ein Mann noch nicht genung?
Selbst hier, wo es nur Einen giebt,
Und der dich wie ein Riese liebt?
Wie sollen denn, stellt einst der Lauf
Der Zeit und Welt mehr Männer auf,
Sich deine armen Töchter bloß
An Einen halten - halb so groß,
In keinem Stücke halb so rar
Und neu, als es dir Adam war?
Was stehst du da und blickst mir grob
In das Gesicht, und thust, als ob
Für Weiberherzen einerley
Eine Mann und eine Schlange sey?
Gehorsam, merk´ ich, Ehr´ und Pflicht
Ist eurer beyden Sache nicht.
Gut! Eure Strafe steht bereit,
Und breite sich in Ewigkeit
Von Eh´ zu Eh´, von Haus zu Haus,
Auf eure Söhn´ und Töchter aus.
Merkt auf! Die Frau soll ewig ein
Abhängiges Geschöpfe seyn,
Von allen Wirbeln der Natur,
Vom Mond - vom Mann - von seiner Uhr,
Von seiner Laun´, es wäre dann
Sie launiger als selbst ihr Mann.
Das Feigenblatt, das, wie du meinst,
So schön dir läßt, weck´ auf dereinst
Den Drang, der deine Töchter toll
Auf neue Moden machen soll!
Selbst unter Muselin und Flor
Tret´ Eva´s Lüsternheit hervor,
Den Busen zehnfach eingeschnürt,
Gescheh´ ihm doch was ihm gebührt,
Und jede bleib´ an Seel´ und Leib,
Was du verstecken willst - ein Weib!
Und nun zum Mann! der sich das Haupt
Des Weibes und der Erde glaubt,
Wenn schon die Mücke, die ihn sticht,
Dem plumpen Irrthum widerspricht,
Der, wenn er Korn und Weizen sät,
Nur Stroh dafür und Disteln mäht,
Und immer, zehne gegen Eins!
Nur Essig zieht anstatt des Weins.
So lang´ er kann, dünkt er sich frey,
Und Herr, selbst in der Sklaverey,
Und mach´ in seinem Dünkel sich
Vor Erd´ und Himmel lächerlich!
Doch seine Hölle geh´ erst an,
Wenn eine Frau und ihr Organ,
Ihr Trauungs= und ihr Wochenstaat
Sich seiner stillen Wirthschaft naht;
Wenn sie schon in der ersten Nacht
Ihm seine Herrschaft streitig macht,
Und mein Befehl sich, Kuß für Kuß,
Nach ihren Grillen schmiegen muß,
Und sie für Ein Recht das sie giebt
Zehn Forderungen unterschiebt,
Mit ihrer Schwachheit sie beschönt,
Und täglich immer weiter dehnt,
Bis ein verdoppeltes Geschrey
Ihm vorwirft, daß er Vater sey;
Indeß er im Calender stört,
Ob auch der Gast ihm angehört,
Für den er jetzt Geleit und Zoll
Und Wegegeld entrichten soll.
Wenn dann sein Herz sich ausgespült
Und federleicht und müßig fühlt,
Und, als und schwach und seiner satt,
Sein Weib ihn überwunden hat;
Dann fluch´ er noch dem Apfelbiß,
Der ihm sein Paradies entriß;
Dann erst nehm´ ihm ein ödes Grab
Den königlichen Zepter ab!
Und wie der Schöpfer sie verdammt,
Thut auch der Cherubin sein Amt;
Als wär´s ein Bettler, heißt er ihn
Mit seiner Dirne weiter ziehn.
Und sie - des dummen Sündenfalls
Vermaledeyung auf dem Hals,
Sie schlendern nun, wie´s Gott gefällt,
Aus Eden in die weite Welt,
Und lange Weile, Spott und Schmach
Folgt ihnen auf dem Fuße nach.
Und unter Blitz und Donner packt
Gott unser Herr, im vierten Act,
Sein Gärtchen ein, und Nacht und Graus
Füllt das Gerüst des Himmels aus;
Die Bäume werden aufgerollt;
Das Reich der bunten Thiere trollt
Sich fort - des Ohrs und des Gesichts
Erlustigung verfällt in Nichts;
Die Sonne, die so herrlich schien,
Verlischt, und Mond und Sterne fliehn.
Damit´s nicht stinkt, wird vor dem Schluß
Geräuchert vom Epilogus."
* * *
Kaum hörte sich der Epilogus nennen, so fiel er seinem Bruder, aus Furcht, er möchte seine poetische Rede in Prosa fortsetzen, hastig in das Wort, und überraschte mich nicht weniger durch die unerwartete Lebhaftigkeit mit welcher auch Er von seinem militärischen Standtorte ab, in das Feld seiner verlassenen Kunst überging. - "Sie werden an der Vorrede meines Bruders genug haben, mein Herr," wendete er sich zu mir, "denn sie enthält alles, was durch unser Schauspiel nachher nur in Handlung gebracht wurde, und ich mag Sie mit meiner Nachrede nicht noch aufhalten. Auch ist es wahrlich weder diese noch jene, die den Umsturz unsers Theaters bewirkte. Sie mußten nur nachher der Ungerechtigkeit zum Vorwande dienen, die ein Heuchler, der in seiner eigenen Rolle gestört ward, an uns, an der Schöpfung der Welt, und dem Stande der Unschuld beging. Hören Sie, mein Herr und erstaunen Sie! Ich hatte schon alle Reihen Bänke unsers Paterres durchgeräuchert, als ich in der hintersten, dunkelsten Ecke auf ein paar Zuschauer traf, die vermuthlich selbst keine verlangten; denn sie fuhren, aus aller Fassung gebracht, aus einander, als ich ihnen mit meinem Rauchfasse zu nahe kam. Es war ein junger Officier, und es war - - stellen Sie Sich meine Verlegenheit vor! - abermals das schöne Mädchen, das ich schon als Reisegefährtin des Herrn Ducliquet so unschuldiger Weise erschreckte. Ich sah es ihr an, daß sie in diesem Augenblicke sich mehr vorzuwerfen hatte als unsere Marionetten; und doch mußten diese schwerer als sie für ihre Untreue büßen, die sie diesen Abend an ihrem Patron beging. Die damals verlornen Minuten des rachgierigen Domherrn liegen schwer auf uns, und werden uns drücken so lange wir noch in dieser Zeitlichkeit wallen." - "Das wäre sehr Schade um deine ausgezeichneten Talente," unterbrach ich den Grenadier: "Du bist zu pathetischen Rollen wie geboren, und ich hoffe, daß der Druck nicht lange mehr dauern soll, der das Publikum um ein paar so treffliche Redner gebracht hat. - Doch davon ein andermal - Jetzt, fahre nur fort!"
Indem meldete Bastian, daß ihr Abendessen auf dem Tische stehe. Der Prologus setzte sich in Bewegung; aber der Epilogus, den mein Beyfall noch mehr in Feuer gebracht hatte, bat seinene Bruder noch um einige Augenblicke Geduld, und wendete sich mit einem pragmatischen Uebergange wieder an mich. - "Es war immer noch ein glücklicher Zufall," sagte er, "daß sich mir das schöne Gesicht unter dem Schimmer meines Rauchfasses verrathen mußte; denn sonst würden wir bis diese Stunde noch nicht den geheimen Zusammenhang unserer tragischen Geschichte entdeckt haben." - "So aber," fuhr der andere fort ohne sich stören zu lassen, "können wir von der ersten verlorenen Feder an, die so viele Räder in Bewegung setzte, den unglücklichen Vorfall bis zur Auflösung des Knotens verfolgen. Es sollte einem Dichter leicht werden ein Trauerspiel daraus zu verfertigen - so regelmäßig als es die Verschwörung von Venedig oder der Umsturz des babylonischen Reichs ist; wären wir nur noch so glücklich ein Theater zu haben, um es aufzuführen. Die drey Einheiten, mein Herr, des Orts, der Zeit, und der Handlung, finden sich hier, nach den Forderungen des Aristoteles, auf das genaueste vereinigt, und würden, mein Herr, so gewiß ihre Wirkung thun, als" = = = Jetzt fing mir vor der Ueberströmung seiner Gelehrsamkeit ein wenig an angst zu werden. - "Du bist zwar der erste, den ich sehe," unterbrach ich ihn mit einer verwundernden Miene, "der seine Unglücksfälle nach der Kunst zu ordnen im Stande, und selbst fähig ist, wie die Spinne aus dem Stoffe seines eigenen Lebens ein Kunstwerk zu weben; indeß rathe ich dir als ein guter Freund, es vor der Hand noch zu verschieben, damit nicht etwan deine Suppe nach den Regeln des Aristoteles - kalt werde." - "O, der unglücklichen Gabe der Redseligkeit!" brach er nun mit einem Seufzer aus: "Sie ist mir immer in allem, wie mein Genie, im Wege gewesen - Sie ist es - warum sollte ich es läugnen? die mir und meinem armen Bruder alle warmen Suppen vereitelt hat - Denn - sehen Sie, mein lieber Herr, ehe ich damals auf meinen angewiesenen Standort kam, erzählte ich einigen meiner Bekannten im Paterre die Entdeckung, die ich in der Ecke gemacht hatte, ein Nachbar erzählte sie dem andern, und alle Köpfe drehten sich zuletzt nach der verrathenen Gruppe herum. - Auf dem Theater - anstatt zu epilogiren, hielt ich mich damit auf, mein Geheimniß erst meinem Bruder, dann unserm Theaterdichter, und dann - dem Lichtputzer vorzuschwatzen. Die Zeit verging - ich ließ das Parterre lange pochen und toben, ehe ich auftrat um meine Nachrede zu halten - Ach! ich dachte damals nicht, daß es meine letzte seyn würde! Durch diesen Aufenthalt, mein Herr, geriethen viele Haushaltungen in Avignon in Unordnung. Jedes kam um eine halbe Stunde zu spät nach Hause, besonders aber die schöne Clara. Ja! könnten wir immer in die Cabinetter der Großen blicken, wie viel anders würden wir über den Werth ihrer Zeit, und über den Einfluß, den oft der Verlust einer Minute in ihrer Wirthschaft auf die Regierung der Welt hat, urtheilen! Dir kritische Stunde, wo der Domherr seine Freundin erwartete, war verflossen. Er war in die Abendmette gegangen, ohne sie in ihrem Betstuhle zu finden. So bald er fertig war, eilte er nach Hause, und sie trat nicht vor ihm her, wie sonst. Er rief, fragte, suchte nach ihr, und vermißte sie auf das schrecklichste, und schickte seine ganze Dienerschaft, sogar seinen Koch, aus, sich nach ihr zu erkundigen. Dieser, nachdem er vergebens bey ihrer Tante nachgefragt hatte, stieß von ungefähr auf den Haufen, der unser Schauspiel verließ - Er sah das verspätete Mädchen an dem Arme des jungen Officiers - hörte bald ausführlich Wie und Warum, und brachte es seinem Herrn, Gott weiß mit was für Zusätzen, zu Ohren. Kein Epilogus sollte ausschwatzen, das habe ich damals gelernt. Der Erfolg zeigte, wie gut es gewesen wäre, wenn ich es eher gewußt hätte. Der Domherr hob alle Gemeinschaft mit Clärchen auf, und verwies sie noch diesen Abend aus seinem Sprengel. Sie durfte nicht mehr, wie das Schaf des armen Mannes, auf seinem Schooße schlafen und aus seiner Schüssel essen = = = " - "Lieber Bruder," fiel ihm hier der Prologus in´s Wort, "würde es nicht gut seyn wenn wir die unsere warm setzen ließen?" - "Thue das," antwortete der Redner, "aber unterbrich mich nicht." Und nun fuhr er mit demselben Feuer fort: "Der Unmuth des Domherrn wirkte jetzt schrecklich zurück auf uns. Er erweckte den Fiscal, klagte uns an als Verführer der Jugend, ließ unsere Zettel abreißen, veranstaltete eine Haussuchung, und rächte an uns Unschuldigen das marternde Gefühl seiner Eifersucht auf die grausamste Art. Die Gerichtsdiener brachen ins unsere stille Wohnung ein, bemächtigten sich unserer Decorationen, unserer Drahtpuppen und unserer Papiere = = " - "Ohne dich zu stören," unterbrach ich hier seine Erzählung, "deiner Papiere - sagst du?" - "Ja wohl, unserer Papiere!" wiederholte er und trocknete sich die Stirn. "Wir haben nichts gerettet als was uns im Kopfe blieb - haben zwar seitdem unsere Lust= und Trauerspiele noch einmal, - aber, stellen Sie Sich vor! - als Acten geheftet haben wir sie zu Gesicht bekommen. Die Stellen darin, die immer den meisten Beyfall erhielten, waren mit rother Tinte unterstrichen, und der Fiscal hatte sie in eine Listen zusammen gesetzt, die er unser Sündenregister nannte." - "So?" sagte ich ernsthaft, und das Herz schlug mir so hoch, das ich aufstehen mußte. "Geht einstweilen hin," sagte ich zu den beyden Brüdern: "Wenn ihr gegessen habt, will ich euch weiter hören." - Und so eilte ich von ihnen weg in meine Bibliothek, um mich von der schnellen Bestürzung, die mich überfiel, in einem Zimmer zu erholen, das dem Nachdenken gewidmet war. Hier stämmte ich meinen Kopf an den Bücherschrank, und fing an mich mit mir selbst ernstlich über das zu besprechen, was ich so eben vernahm. Das ganze gräßliche Schicksal, das meinem Tagebuch drohte, trat mir vor die Augen - Ganz gewiß, sagte ich, wird man sich seiner so gut bemächtigen als der Rollen der armen Puppenspieler - Man wird es - ich ward über und über roth bei diesem Gedanken - einem gerichtlichen Translator Preis geben, und die ganze Stadt wird die geheimsten Nachrichten deines hiesigen Aufenthalts, deiner einfältigen Streiche, und deine kritischen Bemerkungen über die Narrheiten anderer zu lesen bekommen. Was - um aller Barmherzigkeit willen! was sollte wohl aus dir werden, wenn der Propst deinen dogmatischen Handel mit Clärchen, und alle die zweydeutigen Vorfälle auf deiner berühmten Kreuzfahrt ersähe, sie mit rother Tinte unterstriche, und dein Bißchen hautgout, das, mit zehn Bogen guter Gedanken verdünnt, auch den feinsten Gaum nicht beleidigen kann. - heraus stocherte, und, auf ein Quartblatt zusammengedrängt, dem Gerichte übergäbe? - - Ihr Heiligen! Ihr Märtyrer der Wahrheit! wendet gütig dieses Unglück von mir! - Ich that mir einen albernen Vorschlag nach dem andern - sah immer keinen Ausweg, und gerieth am Ende so in Furcht, daß, hätte ich nur eine so gute Gurgel gehabt als Johannes, ich seine Kolik gewagt und mein bitteres Buch würde verschluckt haben. Sollte ich es meiner eigenen Wache anvertrauen? Sollte ich mich, oder meinen Bedienten damit ausstopfen? Diese Mittel, flüsterte ich mir zu und schlug die Arme in einander, sind schon zu oft da gewesen, um nicht gefährlich zu seyn. - Aber welche unerschöpfliche Quelle listiger Einfälle ist nicht das Herz eines Beängstigten! Laß ihm Zeit, und es ergrübelt sich Schlupfwinkel und Ausgänge, die dem erfahrensten Schergen unbekannt blieben. Nach einem, nur kurzen Nachdenken, schwand meine Verlegenheit. Ich sah den sichern Ort, den ich suchte, und sah ihn in meiner Nähe. In der weiten Natur hätte ich keinen geschicktern ausfinden können, mein verfolgtes Werk zu verbergen. Dem listigen Jesuiten, dem eifrigsten Inquisitor würde ein Grausen befallen, wenn er sich diesem Schutzorte nähern, oder seine geweihte Hand darnach austrecken sollte. Dir zwar, der meine ganze Wirthschaft kennt, der, frey von Vorurtheilen, keine Nachforschung anstößiger findet als die andere, wird es nicht schwer fallen, schon im Voraus meinen Schlupfwinkel zu errathen - aber zu meinem Glücke ist hier keine Seele so genau bekannt mit mir, und so verschmitzt wie du; selbst der Propst, selbst der Wächter der Laura nicht.
Ich ging nun ganz ruhig wieder in mein Sprachzimmer, warf mich nachlässig auf meinen Lehnstuhl, rief meiner Leibwache, und forderte nur desto begieriger den Erzähler auf, in seiner tragischen Geschichte fortzufahren, je mehr ich mich in meinem Selbstgespräche überzeugt hatte, wie nützlich es sey, aus dem Beyspiele eines schon Bestraften den Gang der Justiz zu erfahren, in deren Hände man fällt. - "Sollte es nicht besser seyn," fing jetzt der Epilog mit einer Frage an, die von seinem guten Herzen zeugte, "ich ließ den Vorhang über die Folge unsers erbarmungswürdigen Schicksals fallen, da schon der Anfang, wie ich gesehen habe, Ihre mitleidige Seele so heftig erschüttert hat? Ach, mein Herr, der gute Wein, von dem ich eben herkomme, scheint auch mich zur Wehmuth noch mehr gestimmt zu haben, und ich stehe nicht dafür, daß die Sympathie des Unglücks nicht unter uns = = " - "Suche dich zu fassen," sprach ich ihm gutmüthig zu, "ich will es auch thun. Mäßige aber nur, wenn ich bitten darf, deine affectvolle Sprache, und laß lieber, wo er nicht hinhört, deinen tragischen Accent weg; denn ich bin kein Liebhaber von Thränen und Ohnmachten." - "Ich will mein möglichstes thun," antwortete er, und hielt, meinen Ohren zur großen Beruhigung, so ziemlich auch Wort. - "Unser Theater," faßte er sich in´s kurze, "ward geschlossen. Ich und mein armer Bruder wanderten zum Leidwesen der ganzen Stadt in´s Gefängnis, und unser unseliger Prozeß nahm seinen Anfang. Neunmal wurden wir zum Verhör geführt, ohne daß die Herren unsere Unschuld begreifen wollten. Es wurden lange Reden für und wider gehalten, und dicke staubige Bücher nachgeschlagen, ehe sich das Gericht über unser Verbrechen vereinigen konnte. So haben wir, bey Wasser und Brod, sieben schreckliche Wochen hinter eisernen Gittern gesessen, ehe unser Endurtheil gefällt ward. In Rücksicht unsers Unverstands - erklärte der höfliche Präsident endlich in der letzten Sitzung - habe das geistige Tribunal dahin gestimmt, Güte für Recht ergehen zu lassen. Statt der Leibes= und Lebensstrafe, habe es uns nur mit einer Geldbuße von dreyhundert Livres belegt, die wir an die Armencasse des Domstifts zahlen sollten; und wegen der aufgelaufenen Sitz= und Gerichtskosten habe es seinen Untereinnehmer angewiesen, sich an unsere Effecten zu halten. Wir verstummten beyde bey Anhörung dieses gnädigen Bescheids, der uns mit glatten Worten zu dem schmählichsten Hungertode verdammte. Man ließ uns nicht zum Worte kommen - der Präsident wies uns aus dem Saale, und wir wurden nun in unsere Wohnung geführt, um die Vollstreckung der Hülfe, wie sie es nennen, mit anzusehen. Ach, mein Herr! könnte man vor Gram sterben, ich würde den Tag nicht überlebt haben, an dem ich den vieljährigen Erwerb unseres sauern Schweißes, die theure Sammlung unserer mechanischen Kunstwerke, theils in einer öffentlichen Versteigerung an Ignoranten verschleudert - die Hauptfiguren aber der Rache unsers Klägers geopfert sah! Brutus und Cato, Cäsar und Pomponius Mela, kamen in die Hände der Juden. Der eine Trödler kaufte den Baum der Erkenntniß - der andere den Mond und die Sterne. - Die Vögel unter dem Himmel und die Thiere auf dem Felde wurden jetzt Spielwerke der Kinder; und unsere ersten Aeltern verdammte man, auf Verlangen des Domherrn, ihrer Blöße wegen, wie seine Worte waren, zum Feuer. O des einfältigen boshaften Richters! Verträgt sich denn mit dem Stande der Unschuld ein anderes Costum? und waren denn diese herrlichen Puppen nicht ganz getreue Nachbilder der Natur? Eben das, antwortete er, wäre das Strafwürdigste bey der Sache. Es half kein Bitten und Flehen. Sie wurden beyde von den Schergen ergriffen und - o des Barbaren! - vor unserer Hausthüre verbrannt. Entschuldigen Sie, mein Herr, die Thränen, die ich mir noch jetzt nicht enthalten kann ihrem Andenken zu weihen. Man vergaß, daß es Drahtpuppen waren. Eva - in der ungestörten Blüthe weiblicher Schönheit, und gebaut wie ein Döckchen! und Adam - man konnte nicht auf ihn hinblicken, ohne in ihm den Herren der Welt zu erkennen! Der Stand der Unschuld ist auf ewig dahin. - Das haben wir der Klerisey zu verdanken. Sie zertrümmerte - es ist ihre Art - die ganze Schöpfung mit lachendem Muthe, um zu ihren Sporteln zu gelangen. - Die Strafe der dreyhundert Livres, der verwickelste Knoten unsers Trauerspiels, blieb indeß noch immer ungelöst. Der Held, der ihn zerhauen sollte, trat auf. Stellen Sie Sich, mein Herr, wenn Ihre Einbildungskraft so weit reicht, unsere Empfindung vor, als nun an den Schranken, vor denen wir knieten - wie ein Gott aus den Wolken - eben der junge Officier erschien, der vor sieben Wochen in unserm Paterre mit so vieler Bequemlichkeit die Erschaffung des Weibes belauschte - mit dem Erbieten erschien, uns der Armencasse abzukaufen. Der Handel wurde vor unsern Augen geschlossen. Verrathen, confiscirt und verkauft, wie unser Cäsar und Cato, wurden wir von dem Werber abgeführt - gemessen - in Lumpen gesteckt, die wir gescheut hätten unserm Belisar anzuziehen - und befinden uns seitdem unter der päpstlichen Garde. - Aber hören Sie noch, mein Herr, auf was für einem Fuß! Von der armseligsten Löhnung, die je den Sklaven unseres Standes gereicht wurde, zieht der Barbar, der uns kaufte, noch monatlich die Hälfte so lange ab, bis wir dadurch unsern eignen Ankauf im ersetzt haben. O des niederträchtigen jungen Mannes! Doch er wird seinen Menschenhandel theuer genug büßen, das ist noch unser Trost! der Trost unserer Rache! Bey dem langsamen Tode, den er uns auflegt, wird uns hoffentlich der Hunger immer noch eher ins Grab bringen, ehe sein abscheulicher Vorschuß erstattet seyn wird."
"Bastian!" rief ich hier meinem Bedienten zu, und wischte mir die Augen, "ich sage dir, laß diesen armen Leuten nichts abgehen, so lange sie mich bewachen. Schaffe ihnen der Nahrung so viel als sie verlangen, und stärke ihre Herzen durch geistiges Getränke. Fordere, wenn du es holst, von dem Communion=Weine; denn in diesem vermaledeyten Lande, weiß ich, ist es, nach einem andern Verhältnisse als bey uns - der beste, weil es nur Pfaffen sind die ihn trinken."
Eine süßere menschliche Empfindung nahm jetzt den Platz der Rache ein, die diese armen Wichte an ihrem Hauptmanne zu nehmen gedachten. - "Gott segne Sie, großmüthiger Herr," sagte der eine, "für Ihr Mitleiden gegen ein paar der betrübtesten Lustigmacher, die je die Erde getragen hat!" - "Die Klerisey," sagte der andere, "hat alle unsere Schätze geraubt - nur die guten Perlen nicht, die jetzt unsern Augen entfallen. Wir fühlen, daß wir nicht ganz arm sind - fühlen in diesem rührenden Augenblicke, daß wir noch ein Herz haben, daß Ihrer Achtung und Ihrer Güte nicht unwürdig ist." - "Kinder, steht auf!" unterbrach ich den Strom ihrer Empfindungen, indem ich jedem eine Hand reichte, um ihn von dem Boden aufzuheben, auf dem sie vor mir, wie vor dem Bilde eines Heiligen, lagen. "Vergeßt euer Unglück bey der frischen Flasche die eurer wartet - Laßt es euch wohl schmecken, und erinnert Bastian, wenn er euch versorgt hat, daß er mir mein Tintenfaß fülle." - Ich sah den beyden verbrüderten Trauergestalten ernsthaft nach, wie sie unter Thränen und Lächeln sich von mir wendeten, und Hand in Hand auf ihren Posten zurück schlichen, und verfiel, ach wahrlich nicht ohne Ursache! von einem wohlmüthigen Gedanken in den andern.
So finde ich denn wieder einmal, dachte ich, Talente an dem Kummer - fröhliche Menschen mißgünstigen Heuchlern - gutmüthige Geschöpfe dem Hungertod preis gegeben! O ihr unglücklichsten aller Puppenspieler! So blieben denn auch eure schönen Tiraden und Denksprüche über Großmuth und Mitleid, die ihr täglich euern Zuhörern warm an das Herz legtet - ohne Frucht? So dachte denn keine Seele daran, euch nur Einen der lustigen Abende zu vergelten, deren ihr im Schweiße eures Angesichts so viele unter eure leichtsinnigen Mitbürger vertheiltet? So rührte denn euer sprechendes Elend nicht Einen eurer Bekannten bis zu einem freywilligen Beytrage zur Hinfristung eures Lebens, den sie sonst, ohne nachzurechnen, dem Vergang einer müßigen Stunde opferten, und den sie sich am Maule ersparten, um ihn an eure hölzernen Trauerspiele zu wenden? O der Thoren! die erst Dichter, Maschinen und Puppen nöthig haben, um die süße Frucht des Mitleids ihrem Gaumen schmackhaft zu machen! - die, indem sie sich nach dem Schauplatze drängen, um für ihren Gulden über den nachgeäfften Tod des Ugelino zu weinen, mit trockenen Augen das arme Geschöpf am Wege vorbeygehn, das nur dieses Almosens bedarf, um nicht inzwischen, wie er, zu verschmachten! Unglaublicher Widerspruch des menschlichen Herzens, das, mächtiger gerührt durch sinnlichen Betrug als durch die schreyendste Wahrheit, kalt und grausam gegen brüderliches Elend, nur gerechtes Erbarmen für das fühlt, das längst überstanden und aus der fabelhaften Vorzeit entlehnt ist! - Ihr armen Märtyrer einer unschuldigen Freude! wendete sich jetzt mein bewegtes Herz an die unglücklichen Brüder; da euch eure nichtswürdigen Landsleute verlassen, so will ich von meinem Kerker aus euer Freund werden, und, wenn mich Gott diese Nacht überleben läßt, sollt ihr schon selbst zu euerm morgenden Frühstücke von den Pasteten essen, die euer schändlicher Theseus so oft eurer Nase vorbey trug. Wieviel bin ich euch nicht für die so lebhafte Darstellung euers erbärmlichen Schicksals schuldig, das mich mehr gerührt hat als das regelmäßigste Stück auf dem besten Theater! Es hat mich ganz wieder mit dem kleinen Unfalle versöhnt, der mich unter eure glimpfliche Bewachung gebracht hat. Vorzüglich aber habt ihr euch, ohne es zu ahnden, um mich, um meinen Eduard, und vielleicht um die Nachwelt, auf das beste verdient gemacht, indem ihr mein Tagebuch, das durch die Aufbewahrung eurer Geschichte allein schon lehrreich seyn würde, von seinem schmählichen Untergange rettete. - Wahrlich das soll euch nicht unbelohnt bleiben!
Ich schlug mit diesen Worten in großer Bewegung meine Augen gen Himmel, fühlte, daß ich auf dem Wege war, eine edelmüthige Handlung zu begehen, und kann dir nicht sagen, Eduard, was es mir für Freude machte, noch etwas Gutes aus meiner verworrenen Historie mit Clärchen entstehen zu sehen. Denn das ist gewiß, ohne meinen neugierigen Ausfall auf ihre Tugend und Schönheit, ohne meine Zudringlichkeit in den Kirchensprengel des Propstes, ohne meinen Feuereifer gegen das casuistische Gesindel, wäre ich wohl schwerlich in die Bekanntschaft der beyden trübseligen Puppenspieler gerathen. Wie hätte ich ihnen helfen, wie hätte sich der edle Gedanke bey mir entwickeln sollen, der jetzt meine ganze Seele erwärmt, und mich zur Lebenserhaltung zweyer ehrlichen und gut organisirten Menschen anspornt, die, so Gott will, der Natur und der Welt den Zuschuß meiner Descendenz doppelt ersetzen werden, um die wahrscheinlich mein schreckhafter Traum auf dem Sopha die hiesige Gemeinde gebracht hat.
Diese lachende Aussicht, die ich im Hintergrunde entdeckte, reitzte mich noch mehr, die Wildniß zu durchhauen, die mich vor der Hand noch umgab. Aber, großer Gott! wie sollte ich es anfangen? Das Nothwendige schien mir indeß immer zu seyn, meine Papiere in Sicherheit zu bringen. Ich ergriff nun, ohne mich länger zu besinnen, die sämmtlichen Criminalacten meines Tagebuchs, rollte sie und schnürte sie mit Clärchens blauem Strumpfbande bis auf den Bogen zusammen, woran ich schreibe, und so mußten diese meine offenherzigen Bekenntnisse sich so lange biegen und schmiegen, bis sie glücklich - obgleich ein wenig gezwängt - an den Zufluchtsort, den ich ihnen anwies, und den du längst errathen hast, glücklich in den hohlen Gypskopf des guten Rousseau gelangten. Ich konnte mich unmöglich des Lachens erwehren, als ich die Büste wieder an ihren Ort gestellt hatte, nun vor ihr stand, und die ernsthafte Miene, die sie mir zuwarf, mit den Possen verglich, die dahinter versteckt waren. Ach! sagte ich, hätten sie ihren Platz in dem Kopfe dieses Mannes gefunden als er noch lebte! hätte der flüchtige Geist meines leichtsinnigen Werkchens die verstopften Röhren seines trockenen Gehirns bespült und geöffnet, der Durchgang durch die Welt wäre ihm gewiß nicht halb so sauer - nicht schwerer geworden als mir. Seine traurigen Bekenntnisse würden nicht so in´s Schwarze gemalt, und sein Bild nicht mit so tiefen Furchen entstellt auf die neugierige Nachwelt kommen. Aber alsdann, begreife ich wohl, wär´ er auch nicht Rousseau gewesen - hätte zwar, wie ein Eichhörnchen an einer seidenen Schnur, den Kindern zum Spielwerk dienen - Zuckerbrod aus den Händen eines tändelnden Mädchens erlauschen, und manche trauliche Stunde in dem Schauer ihres Halstuches verschlummern können - nur wäre er nicht als Elephant mit zermalmenden Schritten über unsere verdorbene Erde getrabt, und hätte nicht das Erstaunen seiner Zeitgenossen erweckt, denen die Erscheinung eines solchen Denkers eben so unerwartet als ungelegen war.
Ich mußte mich mit Gewalt von seiner Büste entfernen, um den Gedanken an ihn los zu werden, und nicht in seinen Ernst zu verfallen, den ich für mein morgendes Verhör für viel zu gut hielt. Die Stimmung, in die mich der Prologus und sein Bruder versetzt hatten, mochte wohl Schuld seyn, daß ich mich lange nicht überwinden konnte, an meinen Vorstand vor Gericht anders zu denken als an ein Puppenspiel. So setzen wir hinterher noch alles auf Noten, beten unter einem Triller, und schlafen nach dem Tact ein - wenn wir eben aus einem Concerte gekommen sind. Hätte ich mich gehen gelassen, ich möchte wohl wissen was morgen aus mir geworden wäre! Zu meinem großen Glücke hatte ich, während meiner äußern und innern Thätigkeit, mein abgebranntes Licht übersehen. - Es senkte sich - sprudelte und verlosch, ehe ich nach einem andern rufen konnte. Unterdeß Bastian es zurecht machte, nöthigte mich die Dunkelheit - denn ich konnte weder den Amor noch seinen Präceptor erkennen - meinen Armstuhl zu suchen. Diese kleine Ruhe, so vorübergehend sie auch war, gab doch den Ausschlag. In den drey oder vier zerstreuungslosen Minuten, die mir Bastian gönnte, verdunstete meine Verwegenheit ganz, die auch hier wie anderwärts nur Sache des Bluts war.
Das Verhör, das mir bevorstand, kam mir lange nicht mehr so lustig vor. Die Herren, gegen die ich mich verantworten sollte, so sehr ich sie auch für Komödianten hielt, schienen mir doch ungleich mehr Freude an tragischen Ausgängen zu haben als an Farcen. Selbst nach dem langsamen Gange der hiesigen Rechtspflege, wie mir ihn meine Wache vorgezeichnet hatte, war immer eher auf ein Kerkerfieber zu rechnen, als auf ein Absolutorium. Ich verschwieg mir nicht, daß meine Vergehungen ungleich wichtiger waren als die ihrigen, und daß ein hämischer Referent nicht einmal viel Geschicklichkeit nöthig habe, um aus den Beweisen, die wider mich da lagen, und aus meinem eigenen Geständnisse, das ich ungefragt schon abgelegt hatte, ein Verbrechen zusammen zu setzen, über das wohl selbst das Kammergericht zu Berlin große Augen machen, und, bey aller seiner Liebe zur Gelindigkeit, ohne einen Cabinets=Befehl nicht wagen würde mich loszusprechen.
Den guten Einfällen, die mir der Kirchner aus Unkenntniß meiner Verhältnisse, oder vielleicht nur darum empfahl, weil sie Ihm am meisten behagten, stand leider die trostlose Confiscation im Wege, die der Propst schon vorläufig über meine Habseligkeiten gesprochen hatte. Was in aller Welt sollte mich also gegen die Religion meiner Gegner schützen? - einer Religion, die, wider allen Rittergebrauch, die Waffen in Beschlag nimmt, noch ehe sie den Handschuh hinwirft. Ich kratzte mich einmal über das andere hinter den Ohren, runzelte die Stirn ärger als Rousseau, und überzählte kleinmüthig die wenigen Stunden, die mir, nach abgerechneter Nacht, nur noch frey blieben, mich in Verteidigungsstand zu setzen. Ich fühlte die Nothwendigkeit immer dringender werden, einen gescheiden Plan zu entwerfen; doch, so bald ich alle die Schwierigkeiten der Ausführung übersah, vergingen mir die Gedanken, und ich schien mir ohne Rettung verloren. Meine Einbildungskraft, je geschäftiger sie war, mir die Klagrede nach ihrem ganzen schreckhaften Inhalte vorzuhalten, mit der mich der Procurator auf morgen bedroht hatte, machte es meinem armen Verstande nur desto unmöglicher, etwas kluges und bewährtes darauf zu antworten. Mein leichtsinniger Muth, Eduard, fing an gewaltig zu sinken. Natürlich stieg, nach dem Gesetze der Schwere, nun auch dafür meine Furcht desto höher. Nur ein Wunder, rief ich in einer Art von Verzweiflung, kann dich aus dieser höllischen Verlegenheit ziehen; und - Dank, freundlicher Dank sey dem leeren Schalle, der mir entfiel! Wie mag es doch zugehen, daß oft das sinnloseste Wort, das der Zunge entschlüpft, unsere Seele so mächtig ergreift, und Gedanken und Entschließungen bewirkt, nach denen wir mit der größten Anstrengung unsers Geistes vergebens herum tappen? - Ein Wunder? wiederholte ich mir mit hinstaunendem Nachdenken - Und wäre es denn so unmöglich, daß dir eins gelänge, das kräftig genug wäre deine Widersacher zu Boden zu schlagen? - Ich ging eine Weile alle Wundergeschichten durch, so viel mir deren bekannt waren; keine aber wollte auf meine Kräfte und meinen Zustand passen. Wenn du, sagte ich launig zu mir, zum Fenster hinaus sprängest, so wäre es zwar ein Wunder, wenn du nicht den Hals brächest: aber selbst dann - zu was würde dir es helfen? Der Pöbel - da du doch nicht über die Stadt springen kannst - würde dich zeitig genug einfangen, dich der alten Aufseherin auf´s schimpflichste ausliefern, und der Propst und der Procurator würden in dem Versuche deiner Flucht nur einen Beweis mehr wider dich aufstellen. Nein! das ist nichts, fertigte ich mich ab, ohne jedoch müde zu werden, mir immer neue und eben so unsinnige Vorschläge zu thun. Ein Klügerer als ich, hätte gewiß keine Minute länger mit diesen Albernheiten verloren, und hätte unrecht gethan. Ich habe aber das Gute an mir, daß, ungeachtet ich in meinem alltäglichen Leben, und in dem gemeinen Umgange mit andern, nur wenig auf den Zusammenhang der Dinge achte, die in Gesellschaften verarbeitet werden - ich mich selbst so wenig als meinen Nachbar auffordere, die dunkeln Begriffe des Gesprächs, um das sich oft die andern bis zum Schwindel drehen, in´s Klare zu setzen, und mit Einem Worte die Kraft meines Nachdenkens schone; so kann ich dagegen, wenn es seyn muß, auch meinem Kopfe eher etwas zumuthen als viele andere; und das kam mir auch dießmal gar sehr zu Statten.
Sollte dir dieses einer Prahlerey ähnlich sehen, so entschuldige sie mit meinen großen Erwartungen, und bedenke nur was ich vorhabe! Dagegen will ich auch in so weit wieder einlenken und dir eingestehen, daß, so gut ich auch meine Maßregeln genommen, und so fest ich hoffe, daß mir mein Wunder um vieles besser gelingen soll, als dem Capellan der Gräfin Bentink das seinige - es doch bey alle dem - selbst in dem albernen Lande, dem ich es zuwenden will, immer ein Wagestück bleibt. Mehr darf ich dir vor der Hand nicht darüber sagen, um dir weder zu viel Hoffnung, noch zu viel Angst zu machen. - Von einer Person, die dabey mit in's Spiel kommen wird, muß ich jedoch noch ein Wort fallen lassen, damit du nicht zu sehr erschrickst, wenn sie auftritt - ich meine den Domherrn, den ich auf morgen früh neun Uhr, als der Stunde meines Verhörs, durch ein Handbriefchen eingeladen habe, dieser übernatürlichen Ereignung beyzuwohnen. Außer dem daß ich nichts weniger thun kann, ihm die Höflichkeit seines Hochamts zu erwiedern, bin ich seiner Gegenwart bey meinem Vorhaben so benöthigt, daß ich alles zurück nehme, was ich in den vorigen Blättern von seiner Unbrauchbarkeit zu allen Geschäften viel zu voreilig geurtheilt habe. Er steht jetzt sogar in meiner Rechnung unter den drey elenden Menschen, die ich dir, mit deiner Erlaubniß, als meine hiesigen Freunde vorstellte, obenan. Die nähere Bekanntschaft seiner, die ich der Plauderhaftigkeit meiner Wache verdanke, zeigt mir ihn jetzt in einem Lichte, das den Buchhändler sowohl als den Kirchner gewaltig in Schatten setzt. Ich gestehe, ich hielt ihn bisher ungerechter Weise für nichts mehr, als einen aufgeblasenen abergläubischen Schwachkopf - mochte seit dem Tage, wo er mir am Feste der Genovia den Possen spielte, nichts weiter mit ihm zu thun haben, und begriff nicht, wie mich der Bischof von Nimes mit gutem Gewissen an einen so unbedeutenden Menschen hatte empfehlen können. Jetzt aber, da mir ihn der Epilogus auch noch als einen boshaften, wollüstigen, rachgierigen und furchtsamen Mann geschildert hat, der sich aber auf sein großes Pferd setzen kann, wenn ihm ein anderer den Zaum hält, scheint mir die Empfehlung des guten Bischofs sehr richtig, und genau auf seine Kenntniß des hiesigen Locals berechnet; und ich müßte mir wohl selbst gram seyn, wenn ich noch länger versäumen wollte, diese Eigenschaften eines ausgebildeten, und dem hier herrschenden Gemeingeiste so angemessenen Charakters, in Thätigkeit zu setzen, um meine Verfolger mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sage nur also niemand, daß dieser und jener in der Welt zu nichts tauge! Es ist der Irrthum schwacher Regenten. Selbst die Kröte, vor der dich ekelt, dient dir zum Ableiter giftiger, und deinem Körper schädlicher Dünste; und mußt du nicht jeden Bettler, der dein Mitleiden erregt, als deinen Wohlthäter betrachten, wenn du anders ein Freund gutmüthiger Empfindungen bist? Sprich offenherzig, ob nicht der Blödsinnige - der Schwärmer - der Tugend= Talent= und Geschmacklose deinem hungrigen Stolze die beste Nahrung gewähren? ob die Vergleichung ihrer Fehler mit deinen Vorzügen dir nicht manche Stunde erheitert? und ob es deinen schwachen Augen nicht sanfter thut, auf die Dunkelheit derer, die unter dir stehen, als in den Glanz jener zu blicken, die Fleiß, Natur und Erziehung neben dir oder über dich gestellt haben? Ich habe jetzt keine Zeit dieß Thema auszuführen; aber ich wünschte, Eduard, es übernähme es ein anderer geschickter Kopf: denn es schwebt mir wie im Dunkeln vor, daß man leicht, bey weiterm Nachdenken darüber, auf den rechten Weg kommen würde, den man einschlagen muß, um kein Mitgeschöpf zu verachten, und mit der ganzen Welt Freundschaft zu halten.
Der Domherr, dem ich diese menschenfreundliche Ausschweifüng verdanke, hat mir eben geantwortet. Er will zur gesetzten Stunde erscheinen. Das überhebt mich nun der Mühe, diesen Bogen - ob er gleich, wenn er meinen Feinden in die Hände gerieth, so gut seyn würde wie ein Steckbrief - zu seinen Vorläufern zu gesellen, denen selbst, so viel ihrer sind, ich ganz wohl ihre Freyheit wieder geben könnte, wäre es nicht einerley, ob sie diese Nacht in Rousseaus Kopfe beherbergen, oder auf meinem Schreibtische. Denn da ich nun sicher bin, lieber Eduard, daß der Mann im Purpur meinem Verhöre beywohnen wird, so sind, glaube ich, die Anstalten zu meinem Wunder so gut getroffen, daß ich sehr wenig von den Puppen-spielern müßte gelernt haben, wenn es schief ablaufen sollte. - Nur noch eine einzige Kleinigkeit geht mir ab - das ist meine Defension in einer Gegenrede an den Procurator, die ich, mit deiner Erlaubniß, Eduard, aus dem Kopfe zu Papier und von dem Papiere wieder in den Kopf bringen muß, ehe ich ruhig und mit der vollen Gewißheit zu Bette gehen darf - morgen das ganze Winkelgericht zu meinen Füßen zu sehen.
* * *
Den achten Januar.
Wirf dich in den Staub nieder vor dem Blatte, das du hier empfängst, Eduard! Folge in Demuth der stolzen Feder, die es berührt, und trenne es, als ein Heiligthum, von der Gemeinschaft der übrigen Blätter, wenn du einmal so glücklich seyn wirst, mein Tagebuch zu besitzen. Welchen Genuß von Glorie opfere ich dir nicht mit der Stunde auf, die ich deiner Neugier widme! Fühle es einmal ganz, wie sehr ich dein Freund bin!
Mein Wunder ist gethan, und ich bin frei! - nicht frey, wie ein entlassener Sklave, sondern wie ein König. Du nur hälst mich ab, daß ich nicht jetzt die Gassen durchfliege, und Tausenden, die, mir zur Seite, auf ihre Knie fallen, meinen Segen ertheile. - Was für ein mächtiger Sterblicher ist nicht ein Wunderthäter unter einem solchen Volke! Ich dürfte nur winken - und schmauste bey allem Prälaten dieses glücklichen Staats, und jede Mutter würde mir freundlich die Kammer ihrer benedeiten Tochter eröffnen. Von dem Sonnenplatze an bis zum Grabe der Laura - wo ich nur weilte und wandelte, werden die Wege gekehrt und die Plätze geschmückt. Mein Haus ist umringt von Wallfahrern und von summenden Chören, wie das Haus zu Loretto. Auf der Treppe - auf dem Vorsaale lauern Schaaren von blühenden Jungfrauen, werfen mir Küsse und Blumen zu, so oft ich mich zeige, und bitten um das Gegengeschenk meiner Kreuze.
Und woher kommt denn dieser Unterschied zwischen Gestern und Heute? Woher diese zügellose Bewunderung - dieser Aufruhr von Ehrfurcht, die mich auf den wankenden Thron von Avignon heben? Wie entstand dieser schnelle Uebergang aus der Sklaverey eines alten Weibes zu der Herrschaft über die Gemüther? Wie bildete sich diese Masse von großen Wirkungen? Wie entwickelte sie sich in dieser Spanne von Zeit? - Durch frommen Betrug! Du sollst es gleich hören, Eduard, wenn ich nur von dem Lärmen der Hymnen, die aus allen Ecken zu meinem Ruhm ertönen, zu Worte kommen kann.
Der entscheidende Morgen war erschienen. Da trat Bastian, zitternd und blaß, wie der Diener des Kanzlers Morus, mir vor das Bette, fragte mich nach einer ersten Pause, ob ich mich etwan in Schwarz kleiden wollte? und staunte mich an, und riß das Maul auf, wie eine Maske von Schlütern, als ich ihm statt aller Antwort, in das Gesicht lachte, und auf meine gewöhnliche Kleidung hinwies. Sobald ich mit meinem Anzuge fertig war, setzte ich mich in meinen Lehnstuhl, legte meine Uhr vor mir auf den Tisch, und sah dem Possenspiele, das meiner wartete, ruhig entgegen. Ich beschäftigte mich still mit der ungewohnten Rolle, die ich darin spielen sollte, überlas meine Rede, mochte wohl schon eine Stunde so da gesessen haben, und überzeugte mich eben auf meiner Uhr, daß ich nur noch bis zur Eröffnung meines Verhörs zu meinen fernern Betrachtungen übrig behielt - als sich die Thüren meines Gefängnisses entriegelten, und meine Ankläger, Richter und Zeugen herein traten - der Propst und der Procurator, die alter Bertilia in der Mitte, und ihre Nichte zum Schlusse. Hatte mich ihr Besuch, den ich so früh nicht erwarten konnte, überrascht, so that es die kalte gerichtliche Würde noch mehr, die sie mitbrachten. Beydes stand nicht in meiner Rechnung; doch ängstigte mich der jetzt sehr wahrscheinliche Fall am meisten, mein Schutzengel - der Domherr, möchte zu meiner Hülfe zu spät kommen.
Der Propst näherte sich gravitätisch dem Tische, warf sich in meinen Armstuhl, ohne die Verbeugung zu erwiedern, mit der ich ihm meinen weichen Platz überließ. Der Procurator zog erst das Concept seiner Rüge, dann - die fünf bis sechs Bogen aus seinem Busen, die zum Protocoll meiner Aussage bestimmt schienen - legte seine Brille auf den Tisch, seine Acten daneben, und pflanzte sich, so lang und dürr wie er war, zur Linken des wohl beleibten Präsidenten. Die keichende Tante schob ihren Stuhl an die eine Seite des Kamins, mitten unter die Beweise meines Verbrechens, auf die sie gallensüchtig hinblickte, ohne, zu meinem Glücke, zu ahnden, was für weit wichtigere sich eben so nahe bey ihr, unter der Büste eines Mannes versteckt hielten, der gar nicht wie ein Verräther aussah. Clärchen mit ihrer unbefangenen Miene, setzte sich, auf der Gegenseite, parallel mit ihrer würdigen Tante. So drängte mich von selbst die Ordnung, in der sie sich zu setzen beliebten, auf den einzigen Standpunkt, der mir zwischen den beyden Damen noch frey blieb. - Der Aschenhaufen der Casuisten lag mir im Rücken, und der Kopf meines Freundes und Hehlers ragte hoch über dem meinen hervor, und blickte mit mir zugleich dem Propst in die Augen, ohne ihn in seinem Anstande irre zu machen. Er würde es übel nehmen, wenn man nur so etwas von ihm glauben könnte. So fand ich vor diesem Winkelgerichte, aus Mangel eines übrigen Stuhls, kerzengrade, und machte mir eine Weile den Spaß, durch mein schüchternes, gedemüthigtes Aussehen ihren gerichtlichen Hochmuth zu kitzeln. Als aber der Prologus die Federn - der Epilogus die Tinte gebracht - sich sogar der Procurator gesetzt hatte, und der Propst sich schon anschickte zu sprechen, und noch immer kein Auge sich höflich nach einem Sitze für mich umsah - so erschreckte ich auf einmal die beyden Damen, die neben mir saßen, durch den vornehmen Anstand, in den ich überging - klingelte nach Bastian, und befahl ihm zwey Stühle zu bringen. "Es ist schon an Einem zu viel," rief der strenge Richter ihm nach; aber Bastian benahm sich so ungeschickt, daß er auf Gefahr des Kirchenbanns meinen Befehl punktlich befolgte.
Stille Erwartung herrschte nun in unserm Kreise, und der Propst fing zur Einleitung an, uns die Absicht dieser Zusammenkunft bekannt zu machen, ob sie uns gleich allen mehr als zu gut bekannt war, und die Pflichten und Rechte, die ihm, als Aufseher aller milden Stiftungen, in diesem Hause zuständen, mit geheimen Wohlgefallen zu zergliedern. Ich merkte es dem Narren bald ab, daß er mit dem, was er seinem Richteramte schuldig zu seyn glaubte, zugleich die Nebenabsicht verband, den hohen Vorzügen seines Verstandes und dem Talente seiner beredten Zunge gegen einen Ausländer die möglichste Ehre zu machen, und dem armen Sünder noch einen großen Begriff von seinem erhabenen Genie und seiner Wohlredenheit mit auf den Weg zu geben. Wir stimmten dießmal vortrefflich zusammen; denn mir war zu viel daran gelegen sein Geschwätz zu verlängern, als daß ich den geringsten Anstand hätte nehmen sollen, jede noch so schiefe Wendung, die er seinen Sätzen gab, mit dem beyfälligsten Lächeln - jede noch so schwülstige Redensart mit einem Blicke des Erstaunens zu belohnen. Ja, als er sich einmal in einer Periode so hoch verstieg, daß er einen Brocken nach dem andern ergreifen mußte, um sich nur mit Ehren wieder herunter zu helfen, und der Schwall von Worten, die ihm darüber nachrollten, das unleidlichste Geklirr in meinen Ohren erregte - war ich boshaft genug, daß ich wie begeistert mich seitwärts nach dem guten Rousseau umwendete - ihn mitleidig ansah, und die Achseln zuckte. Nie habe ich so grob einem Wortkrämer geschmeichelt; aber nicht weniger selten war auch die Wirkung, die es hervorbrachte. Wenn ich ihn sinken sah, durfte ich nur einen recht treuherzigen Blick der Erwartung und Aufmerksamkeit auf ihn schießen, so trieb ich ihn damit auf wie einen Kreisel, daß er mit erneuter Schnellkraft noch eine gute Weile fortlief. Ich wiederholte das Spiel mehr als Einmal mit innerm Vergnügen. Je länger es dauerte, dachte ich, desto weniger wird sich der Domherr versäumen. Zuletzt aber ging dem Ehrenmanne im ganzen Ernste der Athem aus. Er konnte kaum noch ein paar Worte heraus bringen, womit der die genauere Entwickelung meiner peinlichen Anklage dem Procurator anheim gab.
Dieser schwarzbraune Kerl, wie er von seinem Sitz in die Höhe fuhr, verdunkelte sich noch um eine Schattierung mehr, setzte hastig seine Brille auf, und machte, das Concept in der Hand, seine bedrohte Beredsamkeit flott.
Da ich das Spiel, wodurch ich mir den Vortrag des Präsidenten erträglich machte, bey der studierten Chrie des Procurators nicht anbringen konnte, so würde mich die lange Weile getödtet haben, die sie verursachte, hätte sie mir nicht Gelegenheit gegeben, mir das schönste Compliment über meinen Scharfsinn zu machen, durch den ich schon gestern Abends alles errathen, und bereits in meiner Gegenrede beantwortet hatte, was der alberne Kerl diesen Morgen in Perioden auskramte, die lange nicht so geschmeidig waren als die meinigen. Ich gäbe nicht einen Dreyer für die Absicht seines Brandbriefs, und du gewiß auch nicht! Auch setzte mich sein Geschrey mit allen den donnernden Ausfällen gegen die Widersacher des Glaubens nicht eher in Verlegenheit, als in dem Augenblicke, wo es endigte. Sein Dixi gab mir einen Stich in´s Herz. Ich mußte mich nun anschicken darauf zu antworten; und doch war, so lange der Domherr ausblieb, der Zeitpunkt noch nicht da, wo ich es mit dem gehörigen Nachdrucke thun konnte. Zwar hatte ich es durch mein Spiel mit dem Propste schon so weit gebracht, daß nur noch höchstens einige Minuten bis zum Eintritte dieses Planeten in unsern Kreis fehlen konnten; aber auch diese, wie hätte ich sie ausfüllen - wie hätte ich die Gefahr meines Stillschweigens abwenden wollen, wäre mir nicht in diesem kritischen Augenblicke ein kleiner Vortheil, von meinen Schuljahren her, beygefallen, der bey vielen Gelegenheiten von der trefflichsten Wirkung ist.
Es ist so gar selten, daß man aus dem Schutte seiner ersten Erziehung einmal einen Splitter hervor zieht, der im wirklichen Leben anwendbar ist und einige Brauchbarkeit zeigt, daß ich mir nicht versagen kann, mich selbst zu unterbrechen, um dich mit dem innern Gehalte meines Funds bekannter, und die Freude begreiflich zu machen, die er mir verursachte. Dergleichen Cabinets=Stücke sind uns schon um deswillen so kostbar, weil sie uns gewöhnlich unter Schlägen, Scheltworten und manchen ominösen Wahrsagungen anvertraut wurden, und uns, so oft wir sie wieder sehen, an den Nothzwang unseres jugendlichen Muthwillens, und an alle die Aufopferungen jener wahren Freuden der Kindheit erinnern.
Du hast den klugen Mann gekannt, lieber Eduard, dessen Unterrichte ich mein Bißchen Beredsamkeit verdanke. Da er selbst bestimmt war wöchentlich einmal Reden an Schwache zu halten, so kannte er alle die berauschenden Mittel, um die Zuhörer taumelig, und ihnen weiß zu machen, daß sie überzeugt wären. Er hatte eine so sichere Geschicklichkeit erlangt, über jedes Thema, das man ihm vorlegte, für und dawider - gleich gut zu predigen, daß er nach den Gesetzen des Lykurgs verdient haben würde, ohne Umstände aus dem Lande gejagt zu werden; und das ist doch wohl das Stärkste, was man zum Lobe eines öffentlichen Redners sagen kann. Gott habe ihn selig! Er hat mir die Kunst schicklich von nichts zu reden, gar sehr erleichtert. Unter einer Menge Modellen, die er immer aus allen Sprachen zur Unterstützung seines Unterrichts und als Beweise zusammen trug, wie man auf dem Strome der Worte eine Stunde fortschwimmen kann, ohne stecken zu bleiben oder zu sinken, war mir besonders Eins durch öfteren Gebrauch sehr geläufig geworden: denn nicht allein wurden in den jüngern Jahren alle meine Standreden an den Geburtstägen meiner Aeltern darnach geformt; sondern selbst an dem wichtigen Tage, wo ich in den Schooß der christlichen Kirche aufgenommen wurde, ordnete ich mein Glaubensbekenntniß darnach, und erbaute die ganze Gemeinde. Seitdem ist mir freylich nur noch ein einzigesmal eine Gelegenheit aufgestoßen, dieses schöne Muster zu nutzen; und das war bey Eröffnung eines Landtags, bey dem ich, unschuldiger Weise, als Deputirter meines Kreises erschien. Auch da zog mir die getreue Nachbildung meines schönen Originals die größten Lobsprüche des Ministers und die Schmeicheleyen der anwesenden Stände zu. Du kannst beurtheilen, Eduard, ob ich sie verdiente, wenn du jetzt meine Antwort an den Procurator hören wirst, in der ich mich ganz an jene beredte Vorschrift, und um so viel lieber hielt, da sie einen französischen Schriftsteller *)
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*) Messieurs quand je régarde avec exactitude
L´inconstance du monde et sa vicisstude,
L´osrque je vois, parmi tant d´hommes différents,
Pas une étoile fixe, et tant d´astres errants,
Quand je vois les Cesars etc.
Racine - les Plaideurs Act. 3. Sc. 3.
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zum Verfasser hat, der die Art wohl kennen muß, wie man seine Landsleute am besten behandelt. Ich erhob mich mit Würde von meinem Sitze, überblickte mit furchtlosen Augen den Zirkel der mich richten sollte, und mit der bedächtigen Stimme, die große Wahrheiten erwarten läßt, fing ich an:
Bedenk´ ich, meine Herrn, die Unbeständigkeit,
Der Menschen und der Welt, des Raumes und der Zeit,
Seh´ ich in dem Bezirk vergänglicher Gestalten
Oft einen Irrwisch sich für einen Fixstern halten,
Seh´, daß sich Licht und Recht um eigne Axen dreht,
Was früh im Aufgang war, des Abends untergeht,
Daß mit erborgtem Glanz, wenn sich die Sonne wendet,
Ihr prahlender Trabant noch unsre Augen blendet;
Seh´ ich die Vorzeit durch, und seh´ am Tiberstrand
Dort einen Zwerg sich blähn, wo sonst ein Riese stand,
Und hör´ des Schicksals Ruf aus großen Trümmern schallen,
Da selbst der Riese fiel wird auch der Zwerg wohl fallen;
Des Bonzen Fischerring wird ein gemeiner Stein,
Als Splitter nur berühmt verlorner Künste seyn;
Steig´ ich dann in mich selbst, erforsch´ mein Herz, und hebe
Sein flatterndes Gewand, sein blendendes Gewebe,
Und seh´ aus welchem Teig von Trug und Heucheley
Und Stolz die kleine Welt, der Mensch, geknetet sey,
Geh´ die Geschichte durch, und seh´, daß mit einander
Wir, vom Thersites an bis zu dem Alexander,
Nur leichten Federn gleich in ungewissem Wind,
Des Zufalls Gaukelspiel und niemals unser sind,
Und daß, so hoch ein Propst sein Hirtenämtchen achtet,
Und seine Schafe schiert, und ihre Milche verpachtet,
In mancher schwülen Nacht das Pallium schon trägt,
Und sich zum Bischof träumt und seine Kreuze schlägt,
Und wenn sich Miethlinge in seinen Schafstall schleichen,
Die Hörner des Altars = = = Doch dixi! Es entweichen
Begriff´ und Worte mir - Mein Engel zeigt sich jetzt
In stolzer Purpurtracht mit Hermelin besetzt.
Es war auch hohe Zeit daß er erschien; denn ich weiß nicht was sonst aus meiner feurigen Rede und dem Eindrucke möchte geworden seyn, der schon anfing sich auf den verzogenen Gesichtern meiner Zuhörer zu zeigen. Garrick, sagt man, konnte das Alphabet mit so rührendem Accente aussprechen, daß alle die ihm zuhörten in Thränen zerflossen. Ohne meine Rede, ihres bessern Zusammenhangs wegen, zu loben, that sie doch, ich muß es sagen, eine nicht minder große Wirkung. Der Propst gerieth in augenscheinliche Unruhe, ließ einmal mehr als der durch Cicero´s Beredsamkeit erschütterte Cäsar, das Schnupftuch fallen - warf bei einigen starken Stellen Blicke des ungeduldigsten Zorns auf mich - Blicke eines wüthenden Erstaunens auf das arme Clärchen, das darüber, außer aller Fassung gesetzt, immer höher erröthete, und eben im Begriff war das Weite zu suchen, als der Eintritt des Domherrn meine Rede, die, nach ihrer künstlichen Einrichtung, einer Schraube ohne Ende nicht unähnlich war, zum Stillstande, und jedes zu bewegte Herz wieder in´s Gleichgewicht brachte. Das Gericht erhob sich, um diesen eben so unerwarteten als vornehmen Beysitzer zu bewillkommnen. Ich lief ihm entgegen, umarmte ihn mit der vertraulichsten Anmaßung, nannte ihn einmal über das andere meinen Freund, meinen Erretter, und - "Kommen Sie," rief ich mit angstvoller Stimme, "und wenden Sie die unbeschreibliche Gefahr ab, die in diesem Augenblicke über mir - noch weit mehr über Ihrer geheiligten Religion schwebet. Der freundschaftliche Unterricht, edler Mann, durch den Sie mich an Sich fesselten - die Würde Ihres Standes, den Sie nicht um nichts in den Purpur der Könige kleidet, - der Glaube, die Liebe und Hoffnung, die Sie vor aller Welt bekennen - fodern Sie durch mich auf, Ihr Ansehn zu behaupten - Ihre Gewalt zu zeigen!" - Der Mann sah mich während dieses Ausfalls mit stummen Erstaunen an, und setzte sich in der größten Verlegenheit auf den Sessel, den ich in voraus für ihn mit dem meinen zugleich hatte beyschaffen lassen. Der stolze Trotz auf dem Gesicht des Propstes - die gelbsüchtige Erwartung, die sich in den Augen des Procurators malte - in den Runzeln der Tante herum irrte, und das Gemisch, Gott weiß welcher Empfindungen, auf den Rosenwangen der Nichte - verdienten wohl eine eigene Schilderung - Aber da müßte ich erst Zeit dazu - müßte dir nichts wichtigeres zu erzählen, und diesen Mittag nicht Gäste zu erwarten haben. - Froh bin ich nur, daß ich das wichtige Document meiner gerichtlichen Rede, auf das sich nun alles bezieht, fertig - und so wie ich sie gestern Abends zu Papier brachte, vor mir liegen habe, und sie nur da einzuschalten brauche, wo sie hingehört. Sie ist, wie du finden wirst, nach einem ungleich häklichern Muster geform, als ich vorhin - wo es auf weiter nichts ankam als Zeit zu gewinnen - meiner Beredsamkeit unterzulegen für nöthig fand. Man sollte kaum glauben, daß die beyden Modelle, die ich heute so gut benutze, aus einem und demselben Schranke kämen; und doch ist es wahr, nur mit Unterschied. - Jenes lag, mit einem Haufen anderer seines Unwerths, in dem untersten und gangbarsten Fache; dieses hingegen lag ganz einzeln in dem obersten. Es ward für das non plus ultra der Rhetorik gehalten, und war nur auf die nicht gewöhnlichen Unfälle des menschlichen Lebens berechnet. Wenn das erste gut ist, wie du gesehen hast, Eduard, die Laufgräben zu öffnen, so läuft man mit diesem hier Sturm. Der Meister, wenn er mit seinen Schülern bis an diese letzte Speiche der Redekunst kam, empfahl es immer mit den nachdrücklichsten Worten. "Ihr glaubt nun wohl, lieben Kinder," sagte er mit eine feinen Ironie, die selbst, wie du weißt, einer der stärksten Hebel in der Redekunst ist, "alle menschenmögliche Mittel in der Gewalt zu haben, um euch in dem Sprachsaale der Welt fortzuhelfen. Aber, eure Geschicklichkeit unbescholten, reicht sie - figürlich zu reden - bey alle dem nicht weiter, als ungefähr - die Mücken zu verjagen. Das ist nun zwar für das tägliche Leben ganz gut; denn diese unbequemen Geschöpfe sind aller Orten zu finden. Wie aber, wenn euch nun einmal - wer kann dafür stehen? - ein Löwe begegnet, oder ein Krokodill auf euch lauert? Dann möchte euch leicht euer Kunststück mehr schaden als nutzen, und ihr seyd sicher verloren, wenn ihr kein anderes Arkanum im Schubsacke habt, als eins - wider die Mücken." - Und nun erst gab er uns dieß künstliche Gewebe in die Hand, begleitete unsere Betrachtung mit manchem Fingerzeig - enthüllte uns das versteckte Gerippe, das kraflos darunter lag, um uns den Reitz der Einkleidung desto sichtbarer zu machen, durch die es allein Leben und Stärke erhielt, und freut sich über unser kindisches Erstaunen.
So bald sich Ankläger, Zeugen und Richter wieder in den Zirkel gesetzt hatten, trat ich auf -
"Das schönste Eigenthum unbefleckter Seelen," hub ich mit der heitersten Miene an, die ich auffassen konnte, "das, über alle menschlichen Eingriffe erhaben, allen Zufällen trotzt, ist das Gefühl ihrer Unschuld. Es erhöht ihre Freuden und verschönert ihr Glück. Aber erst in Widerwärtigkeiten zeigt es ganz, wie stolz, wie herzerhebend, wie unverletzbar es sey. Dann erst, wenn es den Rechtschaffenen bis vor die Schranken seiner Verfolger, in ihre Kerker, und zu den Strafen ihres ungerechten Urtheils begleitet, entwickelt es die edelsten Vorzüge seiner geistigen Natur. Alle andere menschliche Gefühle können geschwächt, in Schmerz erstickt - sie können vernichtet werden, außer diesem. Die schleichende Bosheit, die Rache des Lasters, kann dem Unschuldigen auflauern - kann ihn fesseln und tödten; aber ihn strafbar zu machen, liegt außer ihrem Gebiete. Der Trost seiner Rechtfertigung geht nicht nur mit ihm über die Gränzen des Lebens; mit unvertiglbaren Zügen läßt er sie selbst in den Herzen derer zurück, die zugleich mit seiner sterblichen Hülle die hohen Ansprüche seiner Seele der Vergessenheit zu überliefern gedachten. Der furchtbare Nachklang seines Rechts übertönt das Geräusch ihrer Geschäfte, durchzittert die schlaflosen Nächte, und bietet selbst in dem Freystaate des Schlummers die Rache der Träume wider sie auf. Sie ringen in ihren Festen umsonst nach dem armseligen Gewinn eines betäubenden Augenblicks. Ein qualvolles Leben, ein fortnagendes Gewissen, rächt den Unverletzbaren nur zu schrecklich an dem Verbrechen ihrer Gewalt.
"O daß nicht immer der Bedrängte bis an diesen Triumpf gelangen kann - nicht immer der Redliche nur unter feindlichen Händen erliegt! O daß der Allsehende, der Herzen und Nieren prüft, einen Theil seiner Sehkraft nicht auch den Wächtern verlieh, die er der Unschuld zum Schutze gesetzt hat, - daß die allgemeine Finsterniß, die unsern Erdball beherrscht, alle Wesen vermischt, und jeder Wahrheit verhüllt, nur zu oft auch die Schritte selbst derer mißleitet, die dem edlen Geschäfte ihrer Entdeckung vorstehen - und daß sich ein Fall denken läßt, den man nur nennen darf, um den ganzen Umfang seines Entsetzens zu schildern, den traurigen Fall, meyne ich, wenn die Unschuld durch einen Fehlgriff der Gerechtigkeit erschreckt, und, gejagt von ihren Freunden, umsonst nach Beweisen arbeitet sich Ihnen kenntlich zu machen - wenn der Straflose, mit der Schuld äußerer Umstände belastet, schüchtern vor den Schranken edel denkender Richter steht, die ihn umarmen würden, hätte nicht das Schicksal einen zu dichten Nebel über den Abglanz seiner reinen Seele gezogen, wenn er sich verdrängt endlich - beschimpft und verrufen - aus der Verwandschaft der Herzen verstoßen sieht, die ihm durch Sympathie angehören! In solchen schauderhaften Augenblicken zaget die Unschuld, und erschrickt über sich selbst. Traurigkeit tritt an die Stelle ihres Stolzes. - Ihr Gefühl, das sich minder vor dem Tod entsetzt, der ihre Nerven beschleicht, als vor der Verirrung der Hand, die ihr solchen auflegt, ermattet unter dem Kampfe, und erliegt. In ihrem Unvermögen, die Tugend ihrer Richter von dem Makel eines verfehlten Urtheils zu retten, wendet sie sich zum letztenmale gegen die Betrogenen mit jammernder Liebe, wünscht ihnen aus Großmuth die Fortdauer ihrer Verblendung, und flieht - unverletzt zwar, doch Gott! unter welchen Empfindungen, den Kreis ihrer irrenden Freunde, unbegleitet von mit mitleidigen Thränen, ungerächt und ohne Triumph.
"Dieses, von meinem ersten Gemälde so abstechende Gegenbild, legt euch, meinen Richtern, die grausame Lage meiner Verhältnisse gegen euch dar, wie ich sie in ihrem ganzen bedrohenden Umfange fühlte, noch ehe sie mich vor eure Schranken gebracht, noch ehe sie die Beredsamkeit meines redlichen Anklägers erweckt hat. Wie habe ich nicht in seiner vortrefflichen Rede die männliche Stärke bewundert, mit der er das Unglück eines Lasterhaften zu malen weiß! Er glaubte in diesem Augenblicke mein Gegner zu seyn - aber mein Herz konnte ihn nicht dafür halten. Wohl mir, daß ich seine Schilderung mir gegen über stellen und zergliedern kann, ohne zu erröthen! Sie ist meisterhaft schrecklich - aber sie trifft mich nicht. Sie stellt mich mit den Farben der höchsten Wahrscheinlichkeit als einen Fremdling dar, der das geheiligte Recht der Gastfreundschaft gröblich beleidigte, der sich in dieses fromme Haus einschlich, um der Armuth ihr Eigenthum, der Religion ihre Stütze, und der Kirche ein Bollwerk zu rauben, das sie schon seit Jahrtausenden ihren Feinden so muthig als wirksam entgegen setzt. Sie überliefert mich den Gesetzen als einen Mordbrenner, den die verfolgende Rache des Himmels selbst an dem Orte seiner begangenen Frevelthat - selbst neben der Asche des kostbaren Gebäudes übereilt hat, dessen Vernichtung sein Werk ist. - Dieses ist das widrige Licht, das ein warmer Verehrer der Tugend über eine That verbreitet, die ich umsonst suchen würde in´s Läugnen zu stellen. - Wie gedemüthigt vor Gott und Menschen würde ich mich in diesem Augenblick fühlen - wie könnte ich die Blicke des Abscheus ertragen, denen ich bloß stehe - wie vermöchte ich, edle Richter, den gewaltigen Eindruck meiner Anklage auf eure Gemüther zu vernichten, wenn meine Straffälligkeit so erwiesen bliebe, als sie es jetzt den Mitgliedern eures hohen Tribunals vorkommen muß! Nur desto stärker gegen mich empört, je aufgeklärter ihr Verstand, je reiner der Schmuck ihrer Sitten, je aufrichtiger ihre Ehrfurcht für Tugend und Religion ist, machen es ihnen diese herrlichen Eigenschaften nur noch unmöglicher, ihrem Mitleiden Gehör zu geben. Der Schutz, den sie der Religion zugeschworen, der die Rechte dieser Religion so grausam verletzte. - Die Gesetze, die sie handhaben, legen es ihnen als Pflicht auf, Schande und Strafe über den muthwilligen Übertreter derselben auszurufen.
"Diese Wahrheiten, die ich mir nicht verhehlen kann, was lassen sie mich nun anders erwarten, als mich von den würdigsten meiner Zeitgenossen überführt, verdammt und aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen zu sehen! Und dennoch, ich schwöre es bey dem Eifer der euch belebt, seyd ihr, meine Richter, auf dem Wege, in mir einen Mann zu bestrafen, der nicht etwan euer Mitleiden - ich entsage ihm gern - nein! der eure ganze Achtung verdient, und sie, nicht als ein Almosen, sondern mit dem Trotze eines guten Gewissens, als eine Schuldigkeit von euch fordert. Möchte doch das belehrende Beyspiel dieser feyerlichen Stunde allen und jeden Dienern der Gerechtigkeit bekannt werden! Wenn ein Tribunal wie das eurige nicht vor der Gefahr des Irrthums geschützt ist - welcher Richter mag es, nach Euch, noch wagen ein Urtheil zu fällen?
"Doch wohin verführt mich meine eigene schreckhafte Vorstellung? Verzeiht es einem beängstigten Fremdlinge - verzeiht es mir, daß ich nur einen Augenblick von einer Gefahr träumen konnte, gegen die euch eure Kenntnisse, eure Menschenliebe und eure Redlichkeit waffnen. - Heil Mir! Ich stehe nicht vor so gemeinen Richtern, denen schon das Eingeständniß einer zweydeutigen Handlung Beweis genug von der Strafbarkeit dessen ist, der sie beging. So leicht auch die hinreißende Beredsamkeit meines freurigen Anklägers ein minder behutsames Tribunal bis zu diesem Fehlschlusse verleiten könnte - bei euch wird sie keinen andern Erfolg bewirken, als den, der ihren reinen Absichten am angemessensten ist. Je vollkommener seine fürchterliche Anklage wider mich da steht, je mehr wird sie eure prüfende Aufmerksamkeit schärfen, und eure Großmuth nur desto mehr reitzen, das Mangelhafte meiner Vertheidigung zu ersetzen, und den Schwachen und Ungeübten gegen den Stärkern in Schutz zu nehmen. Gegen den Stärkern in Schutz nehmen, sage ich? Bin ich es denn nicht dem Ruhme meines Gegners schuldig, zu glauben, daß er selbst, während der Entwickelung der Triebfedern meiner Handlung, die stufenweise Abnahme seines Widerstandes redlich erkennen, meine Rechtfertigung unterstützen, und gern einem erwarteten Sieg entsagen werde, da er den Feind nicht fand, den er zu erlegen gedachte?
"O möchte doch dieser innere Vertrag redlicher Seelen, dieses stillschweigende Einverständniß, das unter uns beyden besteht, zur Ehre der Wahrheit allen ihren Verfechtern voraustreten! Möchte die Welt immer nur so edle Streiter gegen den Irrthum auf dem Platze sehen, die eines solchen Kampfes werth sind!
"Meine Rechtfertigung bedarf keines Schmuckes. Sie ergiebt sich aus der einfachen Darstellung meiner Denkungsart, und liegt offen in meiner Geschichte. Ich verließ mein Vaterland, das von einem zwar mächtigen, aber leider ungläubigen Könige beherrscht wird. Ich verließ es mit dem Vorsatze, der alle Reisenden leiten sollte, Wahrheit und Weisheit in den Ländern aufzusuchen, in denen in unsern Tagen diese Vorzüge so einheimisch wären, wie sie es vormals in Rom und Griechenland waren. So irrte ich von einem Gebiet in das andere, immer getäuschter in meiner Erwartung, bis ich endlich die glückliche Gegend des Comtats, und in ihm das Ziel meiner Befriedigung erreichte. Welch eine Weide für mein leibliches und geistiges Auge! Mit jedem Fortschritte wuchs mein Erstaunen. Gebahnte Straßen neben grünenden Auen, die mit dem bunten Gemische weidender Herden belebt waren - unabsehliche Flächen mit Saaten geschmückt - Berge mit Reben - Hügel mit fruchtbaren Bäumen bepflanzt - ruhige, freundliche Dörfer - prächtige Städte, mit frohen, glücklichen Menschen besetzt - Liebe und Treue auf allen Gesichtern - und dieses große herrliche Gemälde von einem immer heitern Himmel umwölbt.
"Es ist bey dergleichen überraschenden Ansichten einem wohl eingerichteten Herzen natürlich, die Ursachen aufzusuchen, die solche Folgen bewirken. Ich betrat voll von dieser löblichen Neugierde diese Hauptstadt, die ich als die erste Quelle betrachtete, von der aller dieser Segen in das Land floß, und machte es mir zur Pflicht, der ausströmenden Kraft nachzuspüren, die ein so künstliches Triebwerk in immer gleicher Bewegung erhält, und die geheimen Federn zu entdecken, die stark und gespannt genug sind, jedes Rad so abgewogen in Thätigkeit zu erhalten, daß eines in das andere greift, ohne zu reiben, zu stocken, und den Endzweck zu hindern, den das Ganze hervorbringen soll. - Sind es, befragte ich mich, die strengen Gesetze eines Lykurgs, oder sind es die philosophischen Grundsätze eines Friederichs, die dieses glückliche Land leiten? Welche Gewalt ist es, die das Wunder seiner Regierung möglich macht? Die Frage ist entschieden, wie man sie aufwirft. Wer kann eine Stunde unter euch leben, Mitbürger dieses Staates, ohne den mächtigen Genius zu ahnden, der alles dieses bewerkstelligt? den Geist eurer Religion! Er ist es, unter dessen mächtigem Einflusse eure Landesverfassung wie ein Felsen unter dem ewigen Tumulte der Wellen unerschüttert da steht. Er löst die verwickelten Grundsätze einer vollkommene Staatskunst, über welche Monarchen und Weise in ewigem Streite liegen, in die einfachen Pflichten eines gemeinen Tagwerks auf. Der Segen, den eure Kirche täglich ausspendet, spottet jener rastlosen Sorgen, die oft der klügste Regent vergebens anwendet, um dem Staate starke, geübte und mannhafte Hände zu gewinnen, denen er mit Sicherheit die Handhabung des gemeinen Wohls übertragen kann. Die spröden Fäden, aus denen sein Gewebe zusammengesetzt ist, wie ungleich gelinger schmiegen sie sich nach dem Willen auch des schwächsten Kopfes, der die heilige Weihe empfangen hat, als nach dem Sinne eines Mannes, der durch vieljährigen Fleiß, Wachen und Nachdenken sich zur Führung anderer gestärkt glaubt! Ich überblickte mit Erstaunen die einfachen Mittel, die hier der päpstliche Glaube dem Dünkel der Weltweisheit entgegen setzt. Statt die Aufsicht über Ordnung und Gesetze erfahrnen Greisen - statt die Bewachung des Landes thätigen scharfsichtigen Männern übertragen zu finden, sah mein an jenen Anblick verwöhntes Auge hier nur Jünglinge zum Verdammen und Lossprechen berufen, und zu Vätern ihres Landes geweiht. Statt der Betriebsamkeit des Volks - sah ich nur Andacht. Ich ging mehrere Blenden von Heiligen vorbey, mit Anbetern umkniet, ehe ich auf eine Werkstatt stieß, die nicht leer stand. Ich hörte keinen Lärm, welcher Arbeit verkündigte: aber desto mehr Glocken, die zur Anbetung der Heiligen einluden. Ueberall sah ich verlassene Häuser und volle Kirchen. Ich sah ein unbeschäftigtes Volk, das auf langen Wallfahrten nach der Berührung eines Märtyrers ausströmte - sah die Lehrstunden der Kinder unter den Füßen eines wunderthätigen Bildes verlaufen, und die Tage des geschäftigen Alters aufgelöst in heilige Feste. Ich sah in einer Welt, wo ich alles der Vergänglichkeit unterworfen glaubte, ewig brennende Lampen - sah Todtengebeine, die jede Krankheit des Körpers, und heilige Zeichen, die jedes Gebrechen der Seele zertheilten - sah geweihte Tropfen, die ein langes beflecktes Leben verwischten - sah die Hand des sterbenden Geitzigen noch in dem Schatze wühlen, den er verlassen mußte, um für den wohlfeilsten Preis, den er erhandeln konnte, unendliche Reichthümer für die Ewigkeit erkaufen - sah gerührt, wie die dienstbare Frömmigkeit den Uebergang einer gebrandmarkten Seele in die andere Welt mit unverwelkten Blumen bestreute, und forderte mir, von diesen mir so ungewohnten Ansichten betroffen, wie es ein Blindgeborener seyn würde, der in einem Opernsaale und unter den Wirkungen verborgener Maschinen den Gebrauch seines Gesichts erhielt, lange vergebens Rechenschaft von dem Eindrucke ab, den ich fühlte, ohne den Ausspruch zu wagen, ob das, was mich so mächtig erschütterte, Wahrheit sey oder Täuschung. Wie viel lagen nicht Dinge von unendlicher Wichtigkeit für mich in der Entscheidung dieses erhabenen Zweifels! Sollte ich mich, wie ein Eingeborener dieses glücklichen Landes, bey dem allgemeinen Glauben beruhigen, den ich im Gange fand? Sollte ich mich, mit dem Vertrauen eines Kranken gegen seinen Arzt, der Hülfsmittel bedienen, die eure geheiligte Religion feil beut? oder sollte ich erst, ehe ich die Arzeneyen verschluckte, ihre geheime Zusammensetzung untersuchen, und ihren Endzweck entwickeln? Ich glaubte mir, als einem Fremden, das letztere erlaubt, und mit der Offenherzigkeit, edle Richter, die ich euch schuldig bin, gestehe ich, daß ich mit allem dem Mißtrauen, den der Irrthum erzeugt, zur Prüfung jener Grundsätze überging, die ihr Glücklichen als Erbschaft, ohne nur einen Augenblick an ihrer Rechtmäßigkeit zu zweifeln, von euren Vorfahren in Besitz nahmt. Ich that in dem Labyrinthe, in das ich eintrat, keinen Schritt, ohne zuvor die Sicherheit des Grunds zu erforschen, und verwickelte mich darüber zuerst in Irrgänge, die mich immer weiter von meinem Ausgange entfernten; und so hätte mich beynahe die redliche Absicht, die Geheimnisse eurer Religion zu erforschen, in das Unglück gebracht, ihr Widersacher zu werden.
"Aus der Masse von Vorzügen, die das Lehrgebäude eures Glaubens darstellt, beschäftigte indeß keiner mein Erstaunen so sehr, als der Nachlaß eurer Heiligen, den ich lange nicht und von keiner Seite meiner Vorstellungsart anzupassen vermochte. Er ist unstreitig der größte Reichthum eures Landes - darüber konnte ich mich nicht täuschen; aber es ward mir schwer, andere Länder für um so viel ärmer zu halten, als sie weniger als das eurige von diesem Gewinne aus der Beute der Vorzeit besitzen. Ich konnte mein, durch die glänzenden Ueberreste griechischer und römischer Kunst geblendetes Auge lange nicht gewöhnen, an euren oft unscheinbaren Reliquien Geschmack und Freude zu finden - konnte mich nicht bereden, daß ein Tempel, der auf dem Gerippe eines Heiligen erbaut, oder mit seinen Gebeinen und ehrwürdigen Lumpen behängt ist, darum merkwürdiger als ein Pantheon - erhabener seyn sollte als ein Colisee. Ja, ich gestehe euch mit Erröthung, daß meine unter den Vorurtheilen meines Vaterlandes gebildete Seele immer widerstrebte, an die ausströmenden Kräfte zu glauben, die ihr von den Ueberbleibseln eurer Märtyrer rühmt, und die eure geweihten Tafeln beweisen. Meine Zweifel verstärkten sich nur, je ernster ich daran arbeitete sie zu heben, und setzten sich sogar einer Gewalt entgegen, der vielleicht noch keine irrende Seele widerstanden hat. Mich hatte die Empfehlung eines frommen Bischofs in die Bekanntschaft eurer Mitbürger, in den Schutz eines erleuchteten Mannes gebracht, dessen geringster Schmuck der königliche Purpur ist, den er trägt. Ungern verschweige ich sein Lob in seiner Gegenwart, und überlasse es eurem Bewußtseyn, die ihr ihn näher und länger zu kennen das Glück habt. Er nahm mich auf, als ob ihm das Bedürfniß meiner Seele schon im voraus bekannt, und ihm der Gedanke sichtbar wäre, der über ihr schwebte. Sein erstes Gespräch verbreitete sich lehrreich und freundlich über den Werth frommer Reliquien. Er machte mich zum erstenmale mit den schätzbarsten derselben - mit den drey Blasensteinen der heiligen Clara bekannt, die, beredter und überzeugender als die Zungen der Schriftgelehrten, das größte Geheimniß unsers Glaubens erläutern, indem sie sichtbar alle die Eigenschaften vereinigen, die jeder rechtschaffene Christ der hochgelobten Dreyeinigkeit beylegt. Das Visum repertum, das er mir über diese Kleinodien vorlas, erschütterte zwar mein Herz, das aber zu schwergläubig war, um nicht auch hier einen Vorwand zu finden, den Eindruck zu entkräften, den es auf mich zu machen anfing. Mißtrauen gegen die Stimme der Wahrheit ist die natürliche Folge des Irrthums. Ich höre zwar, sagte ich seufzend, das merkwürdige Zeugniß, und fühle das Unwiderstehliche der Folgerungen, die es enthält, in seinem ganzen Umfange; aber wo sind die heiligen Steine, die mir für die Wahrheit desselben bürgen? Wo sind sie? damit ich hingehe und sie anbete, und mit ihnen in der Hand jene stolze und eingebildete Wissenschaft zum Schweigen bringe, die unserm Glauben die gebieterischen Sätze eines heidnischen Euklides entgegen stellt. Sind sie, wie es das Ansehn hat, in dem Tumulte der Zeiten verloren gegangen; so bleibt mit nichts übrig, als ihren Verlust zu bejammern, und selbst so lange ihr ehemaliges Daseyn zu bezweifeln, bis sie sich wieder finden, und Gott die Ungleichheit zwischen mir und dem glücklichen Sterblichen aufhebt, der sie sehen, betasten und durchwägen konnte. Meine nächste Pflicht schien mir nun die, nach diesen heiligen Steinen bis an das Ende meiner Tage zu forschen. Ich störte alle Cabinetter der Naturgeschichte - alle Sammlungen von Reliquien durch, fand wohl hier und da einen einzelnen Stein, an dessen Gewichte, Selbständigkeit und einfachem Wesen nicht zu zweifeln war, der aber, wenn ich ihn mit zwey andern von gleichen Eigenschaften zusammenbrachte, nie die Probe bestand, nach der ich ausging. - Ich betrat einen andern Weg, auf dem ich nicht ohne die höchste Wahrscheinlichkeit mich den verlornen Kleinodien zu nähern hoffte. - Gern würde ich über diesen eben so fruchtlosen Versuch stillschweigend hinwegeilen, um die jungfräuliche Seele, die ihn veranlaßte, nicht aus ihrer bescheidenen Ruhe zu bringen; aber die höhern Pflichten der Aufrichtigkeit, zu der ich jetzt vor andern aufgerufen bin, macht es mit, theuerste Clara, unmöglich Ihrer Erröthung zu schonen.
"Ich sehe, edle Richter, mit welchem Wohlgefallen sich eure Blicke nach dieser Freundin eures Zirkels - nach dieser frommen Mitgenossin eurer geistigen Vergnügungen, wenden; und ihr werdet, ich zweifle nicht, die hohe Erwartung, die ich von ihr faßte, durch die glänzenden Eigenschaften mehr als zu gerechtfertigt finden, die uns alle an sie fesseln. Das Glück der Nachbarschaft mit dieser Auserwählten; die herrlichen Psalmen, unter denen mich ihre sonorische Stimme jeden Abend einschlummerte - jeden Morgen erweckte; ihre Unschuld, die aus jeder ihrer Bewegungen, aus jedem Faltenschlag ihrer Kleidung hervor strahlte; die beyspiellose Frömmigkeit ihrer Jugend - alles trug in mir zu der Ueberzeugung bey, daß die Heilige, deren Namen sie führt, deren Glauben sie ererbt hat, deren Tugend sie wieder darstellt - ihr auch wahrscheinlich die Steine zurück gelassen habe, nach deren Entdeckung meine Seele immer heißhungriger ward. Dieser Gedanke, der mächtig genug gewesen wäre, mich bis an der äußersten Pol der Erde zu treiben, um ihm Lust zu machen - wie viel dringender mußte er nicht in der glücklichen Nähe auf mich wirken, in der ich mich mit dem Ziele meiner Hoffnung befand!
"In der feyerlichen Stille einer hellen Nacht näherte ich mich der Thür dieser Auserkornen ihres Geschlechts - hoch pochte mir das Herz nach der Entdeckung dieses großen Geheimnisses; aber noch war es ihrer nicht werth. Die fromme Aufseherin unserer Jugend versperrte mir, wie ein Seraph, den Eingang, und wies mich als einen Ungeweihten in meine einsame Klause zurück. Dank sey dir, würdiges Weib! für deine Strenge, die mir damals so schwer zu ertragen fiel; sie erweckte den Trieb mich aufzurichten, indem sie mich niederschlug, und befeuerte mein Verlangen, mich der Glorie erst würdig zu machen, nach der ich hinstrebte. Das Bild meiner freundlichen Hoffnung schwebte mir vor in der Zerstreuung des Tages, in den Träumen der Nacht, erheiterte meine Einsamkeit, und fesselte mich mit Blumen an die Pflichten meines hohen Berufs. Unter dem Schutze des Purpurs meines edlen Freunds und Begleiters warf ich mich der mächtigen Genovia zu Füßen, und vereinigte mein Gebet um Aufklärung mit dem Gebete der Gemeinde. In wallfahrte nach dem Grabe der Laura - stärkte meine Empfindung in den reinen Dünsten, die aus ihrer Asche empor steigen - bereicherte mich mit den Erfahrungen ihres Wächters, und suchte auf dem Pfade, auf dem er zu seiner Ueberzeugung gelangt war, die meinige zu erringen. Ich schlich den Heiligen nach, wo ich sie fand, durch das Labyrinth ihrer Legenden - auf dem geschmückten Throne ihrer Altäre - in dem Schauer ihrer Verwesung. Ihre glänzenden Feste konnten kein geweihtes Gebein ihrer Gerippe ausstellen, ich näherte mich ihm mit Ehrfurcht. Erblickte ich die Madonna als Zeichen über ein Wirthshaus, so trat ich ein. Entzog sich ein Splitter des heiligen Nicaise meinen feurigen Augen - ich schlich ihm nach, und suchte wenigstens meine Hand daran zu erwärmen. Ich erkaufte mir mächtige Vorbitten bey der hochheiligen Concordia, und errang durch Gold, das zu Ehren ihres Namens geprägt war, endlich eine der wirksamsten Reliquien, die meinen Uebergang in das Gebiet der Geheimnisse vermittelte, und den Schleyer wegzog, hinter dem ich die heiligen Steine versteckt glaubte. Ich triumphirte - aber zu früh! Dürfte ich es wagen, die Holdselige, die meinen mißlungenen Eifer theilnehmend mit ihrem Mitleiden beehrte, aus dem Bezirke ihres Richteramts in jene trauliche Stunde meiner frommen Untersuchung zurück zu führen; sie würde nicht anstehen, euch meinen Richtern alle die Empfindungen der Kleinmuth, der Muthlosigkeit und des Kummers zu bezeugen, unter denen ich ihre Schwelle verließ.
"Ein unruhiges Herz verfinstert oft den hellsten Verstand; wie viel schwärzer mußte es nicht auf ein Gehirn wirken, das noch durch Vorutheile, Zweifelsucht und Unglauben umnebelt war! Habt Mitleiden mit mir, ihr, die ihr, schon fest in eurem Glauben, allen Gegenbeweisen, Erfahrungen und Anmaßungen der Leidenschaft trotzen könnt! Der Unmuth über meinen mißlungenen Versuch - statt mich auf die wahre Ursache zurück zu führen - verwickelte ich mich vielmehr in neue feindselige Fehlschlüsse wider die Wahrheit eurer Religion. Die Aufwallung meines Bluts verhinderte mich zu begreifen, worauf mich doch die Geschichte der heiligen Clara von Montefalcone hinwies, daß meine Nachforschungen zu voreilig, und es nur auf dem Wege der Zergliederung möglich sey, auf die verborgenen Steine zu treffen. So überzeugt ich jetzt auch bin, daß ihre fromme Namensschwester einst der erstaunten Erde diese verlornen Beweise der Dreyeinigkeit wiedergeben, und durch den Nachlaß ihres Todes das Leben krönen werde, das sie jetzt führt, so entfernt war ich damals von dieser trostreichen Aussicht. Ich glaubte in meiner fruchtlosen Bemühung keinen andern Beweis zu finden, als den: daß nicht allein die Legende der verewigten Clara erlogen, sondern alle und jede Verjährungen eures Glaubens nicht bündiger zu beweisen seyn möchten, als die Steine der Clara.
"In diesem Aufbrausen eines schwachen Gehirns trat ich vor die herrliche Sammlung der geistreichen Schriften, die den größten Schmuck dieses Hauses ausmachen. Ich spottete ihrer Titel als Prahlereyen eines heuchlerischen Stolzes - schalt den Inhalt, den sie ankündigten, als Verirrungen des menschlichen Geistes - entschloß mich das Lehrgebäude niederzuwerfen, das sie aufstellten, und diese Stützen des Glaubens mit dem Uebermuthe eines Heiden dem Pagoden meines Kamins zu opfern.
"Aber in diesem Augenblicke schienen alle Heiligen mit Erbarmen auf mich zu blicken - mit Erbarmen gegen ein Herz, das in seinem Drange nach Wahrheit sich bis an diesen Abgrund verlaufen konnte. Ich fühlte, daß mein Schutzgeist zurück kam. Meine Wünsche, ohne mich zu verlassen, nahmen jetzt einen richtigern Gang, und meine Empfindugnen veredelten sich. Mitten in dem Entsetzen, das mich nun über die häßliche Gestalt ergriff, unter der die That, die ich auszuführen im Sinn hatte, auf die Nachwelt übergehen würde, entdeckte ich neben dem finstern Wege, den ich einschlagen wollte, jene feine Scheidungslinie zwischen Recht und Unrecht, die gemeine Richter so leicht und nur zu oft übersehen. Was ist der Mensch ohne höhere Leitung! und wie so nahe gränzt das Laster an die Tugend! Ihr, die ihr schon längst über das Bewußtseyn der Seele, über die Beruhigung des Gewissens nachgedacht habt - ihr, die am Feste des heiligen Crispinus mit flammenden Worten euren Gemeinden so deutlich als mit dem Beyspiele aures Lebens beweist, warum sein Raub, statt ihn auf den Richtplatz zu bringen, ihn unter die Zahl der Seliggesprochenen versetzt hat, mein Herz schmiegt sich an das eurige, und sucht seine Lossprechung in euern Lehren. Ihr werdet ohne Mühe begreifen, wie dieselbe That, die mich einige Minuten zuvor als einen Verbrecher würde gebrandmarkt haben, nun durch gute Absicht geleitet, durch fromme Bewegungsgründe geheiliget, sich zu einer unschuldigen, zweckmäßigen und löblichen Handlung umbilden konnte. In dem höchsten Unwillen über mich selbst, nahm ich jetzt die ungerechten Schmähungen zurück, die ich wider Männer auszustoßen mich erfrecht hatte, denen ich die Schuhriemen aufzulösen nicht werth war, und betrachtete sie, wie ich sie immer hätte betrachten sollen, als eine Gesellschaft, die der große Zweck vereinigt hat Gutes zu stiften, und segnete sie als Wohlthäter des menschlichen Geschlechts, die noch Samen über ihre Gräber streuten zu ewigen Ernten. Haben sie nicht, befragte ich meine gerührte Seele, indem ich eine ganze Reihe ihrer unsterblichen Werke umarmte, ihre Nächte mit Nachdenken verwacht, ihr schönes Leben verschrieben, um noch ihren Enkeln den steilen Weg zu erleichtern, der zur Entdeckung der Wahrheit führt? - Und ach! warf ich mir bitter vor, in der Näher dieser sicheren Wegweiser, hast du deine kostbare Zeit ungenutzt verschlafen, und in dem Augenblicke, da du ihrer Hülfe am meisten bedarfst, bist du im Begriff dich auf immer von ihnen zu trennen?
"Wohl dem menschlichen Herzen - es hat seine Spannkraft nicht ganz verloren - das noch durch den Gedanken einer unwiederbringlichen Zeit erschüttert wird! Es zieht nun alle seine Kräfte zusammen, und sucht den Werth der verschleuderten Stunden in dem kleinen Zeitraume, der ihm nocht übrig bleibt, einzuengen, und den Verlust von Jahren durch den mißlichen Gewinn eines nachfliegenden Augenblicks auszugleichen. - Auch das meinige arbeitete unter dem gleichen Bestreben. Schaudernd sah es in das Vergangene und auf die Sorge, die es vernachlässigte, und blickte wild auf seinen entfernten Abstand vom Ziele; aber in diesem verzweifelten Kampfe errang es Hoffnung sich seinen Weg zu verkürzen.
"Ich erinnerte mich, und nie hat mir mein Gedächtniß einen wichtigern Dienst erwiesen daß ich in den Büchersälen eurer Klöster, in den Schatzkammern eurer Kirchen, Schriften sah, deren Inhalt jeder nachdenkende Mann - auch ohne Untersuchung - schon als klar bewiesen annehmen, und als den lautersten Ausfluß der Wahrheit verehren wird, weil sie die kritische Prüfung, in der jedes menschliche Machwerk seinen Untergang findet, unter höherem Schutz überstanden - ich meine die Probe des Feuers. - Noch vor kurzem hatte ich in dem Schatze, der über den Gräbern zu Saint Denys aufgestellt ist, das berühmte Buch des Thomas a Kempis bewundert, das einzige aus einer reichhaltigen Bibliothek, die in Rauch aufging, gerettet, und unversehrt aus dem Schutthaufen hervor gezogen ward. Der fromme Mann, der es mir zum Küssen überreichte, beantwortete mir die Frage, ob denn die Tausende bey diesem Unglück verlornen Bücher nur Irrthum enthalten hätten, mit einer Erklärung, der ich damals den Trost nicht ansah, den sie mir bald in der drangvollsten Stunde meines Lebens gewähren sollte. So hängt oft die Vorsehung die wichtigsten Ereignisse unsers Lebens an unmerkliche Fäden, und verbindet uns, ohne daß wir es ahnden, mit der großen Kette, die sie in ihrer Hand hält. So kann vielleicht in den fernsten Zeiten noch sich zu der allgemeinen Harmonie ein Wohlklang aus so schwachen Tönen entwickeln, als jetzt meinem Munde entfallen - so kann die Verhandlung der gegenwärtigen Stunde vielleicht noch Heiden bekehren, und ganze Länder - Gott gebe es! - dem Joche euren Glaubens unterwerfen.
"Es waren, sagte der Mann, viele Werke in dieser verunglückten Sammlung, die wohl noch vortrefflicher waren als das gerettete; aber man kannte sie, und keine Seele bezweifelte ihren Werth. - Nur Thomas a Kempis war nicht geachet - und sein Buch von der Nachfolge war unter allen dasjenige, dem man am wenigsten folgte. Seit dem Wunder seiner Erhaltung ist es erst in den Ruf gekommen, den es verdient - erst seitdem ist es allen Religionen ein heiliges Muster geworden. Es hat sich in unzähligen Auflagen verbreitet, und die Vorreden erzählen die Kritik, die es aushielt. - Dieses waren die belehrenden Worte, die jetzt volltönend an die Saiten meiner Seele aufschlugen, und mir den einzigen Ausweg zu zeigen schienen, den ich zu nehmen hatte.
"Von allen den Lehren, die jene herrlichen Werke enthielten, die vor mir standen, war eine wie die andere meinen Augen verborgen. - Um keiner Unrecht zu thun zweifelte ich an allen. - Meine dringende Abreise - meine Trennung von ihnen, benahm mir die Möglichkeit sie zu erforschen, und in diesem Drucke und Gegendrucke von Wünschen und Zweifeln ermannte ich und entschloß mich, sie der kürzeren Prüfung zu unterwerfen, die mir in meiner Lage auch die willkommenste seyn mußte. In der süßen Hoffnung, sie - die ebenso ungesucht, ungelesen und vergessen waren, wie der große Thomas, bald durch das Feuer bewährt wieder zu sehen wie ihn, trennte ich sie aus ihrer Hülle, häufte sie locker in diesem Kamin auf einander; beging die That, die ihr so strafbar findet, und - o wie pocht mir das Herz! - steckte sie an. Voller Erwartung verfolgten meine Augen jede Wendung der auflodernden Flamme, die sich schnell ausbreitete, und bald über den kostbaren Stoff, den ihr mein gläubiges Zutrauen übergeben hatte, zusammenschlug. Dieser Berg von Gelehrsamkeit senkte sich - jede Minute überlieferte ein kostbares Werk mehr seiner Vernichtung. Sein Inhalt verrauchte, und beizte mir die Augen, ohne das Herz zu erwärmen. Meine Betäubung stieg immer höher - ach! sie ward zum Entsetzen, als ich an der Stelle dieser glänzenden Ueberreste der Vorzeit - endlich nichts mehr als einen gemeinen Aschenhaufen erblickte. - Ist es möglich? rief ich nun aus. So war denn auch nicht Ein Buch unter so vielen, das den unmittelbaren Schutz Gottes oder eines Heiligen verdiente? So gingen sie alle in Rauch auf, ohne mir nur Einen meiner marternden Zweifel zu heben, - nur Eine Wahrheit mit zurück zu lassen, die meinem Herzen Trost, meinem Verstande Nahrung verschafft hätte? Ach! Es blieb mir nichts übrig als ewige Zweifel, und reuige Thränen über diesen vergeblichen Brand.
"Indeß - der Lauterkeit meiner Absicht bewußt, kam es mir nicht von fern ein, daß etwas Straffälliges in meiner Handlung liegen könne. Es gilt den Ersatz dieser Bücher, sagte ich zu mir, und ich errieth nicht eher, unter welchem schwarzen Anstriche auch dem billigsten Gemüthe meine Feuerprobe erscheinen könnte, als bis mich der Eifer der frommen Aufseherin dieser Stiftung nur zu sehr davon überzeugte. Aus der nachtheiligen Vorstellung, unter der ihr meine That erschien, aus dem Hasse, womit sie ihr tugendhaftes Gemüth und die edlen Seelen meiner Richter zur Rache entflammte - sind die traurigen Folgen entstanden, unter denen ich bis zur Stunde meines Verhörs geseufzet habe. Ihr glaubtet berechtigt zu seyn einen Mann von Ehre - einen Reisenden von unbescholtenem Rufe - einen Unterthan eines großen Monarchen, und einen eurer Freundschaft empfohlenen Fremdling, als einen Verbrecher zu behandeln - glaubtet es dem Ansehn der Tugend und dem Vortheile eurer Kirche zuwider, den erbotenen Ersatz anzunehmen. Ein gemeinschaftlicher Irrtum vereinigte die besten, edelsten Herzen zu meiner Bestrafung. Noch jetzt, vortreffliche Richter, nachdem ich euch die wahren Triebfedern meiner Handlung entwickelt, und die geheimsten Winkel meines Herzens geöffnet habe, muß es euch - so schwach sind die Kräfte selbst der scharfsichtigsten Menschen der Wahrheit auf die Spur zu kommen - muß es euch, sage ich, ungewiß bleiben, ob nicht betrügerische Beredsamkeit eure Beurtheilung zu blenden suche - ob nicht der Mann, der so dreist von seiner Unschuld spricht, in geheim über eure Leichtgläubigkeit spotte, und ob ihr nicht einen Verräther eures Glaubens entlassen würdet, indem ihr mitleidig meine Fesseln löset. Aber auch diese Fehlschlüsse, wenn es euer trauriges Loos seyn sollte, würden dennoch der Achtung nichts benehmen, die ich eurem Amte, eurer Gewalt, und eurer Rechtschaffenheit schuldig bin. Ich würde nur mein finsteres Schicksal - den dunkeln Zusammenhang meiner Rechtssache, und den Zufall bejammern, der die Gerechtigkeit so sehr mißzuleiten, und Freunde einer und derselben Wahrheit so weit von einander entfernen vermochte. - Dank sey der allmächtigen Hand, die auch diese letzte Decke, die uns noch scheiden konnte, von euren Augen wegzieht! Der Augenblick ist da, der meiner Rechtfertigung sein glorreiches Siegel aufdrücken - jede Trennung unserer Gemüther aufheben - meine Unschuld durch eure Freundschaft belohnen, und eure Tugend von der Furcht eines verfehlten Urtheils befreyen wird.
"Bitter waren freylich die Stunden, die mich bis an das Fest brachten, das meiner wartet - an das Fest eurer brüderlichen Umarmung! - Uebersetzt noch einmal mit mir die ganze Trauer meines gestrigen Tages, als ich, im Begriff meiner Abreise, ausgeschlossen von aller menschlichen Hülfe - bewacht von Bewaffneten - eingekerkert in eine einsame Wohnung - unter den Zurüstungen eines furchtbaren Gerichts - ach! vielleicht meinem letzten Schlummer entgegen ging. Stellt euch = = = nein! ihr vermögt es nicht! - das Schrecken der folgenden Nacht vor, als ich mit müden Schritten nach meinem Lager, den Trümmern derer vorbeyschlich, deren Stimme ich in Rauch erstickt - deren Daseyn ich in Asche vergraben hatte! Ihre Schatten schienen fürchterlich mich zu umschweben, die Klagen der bedürftigen Seelen, die ich um ihre Tröster betrogen, bestürmten meinen Schlaf, und mein zweifelndes und muthloses Herz vermehrte noch meine innere Marter. - Unter diesen Schrecknissen verging die Nacht - in diesem Wirbel von Unruhe beschlich mich die Morgenröthe meines Gerichtstages. Ernste Blicke in mein Innerstes, wehmüthige Hinsichten auf euch - waren meine ersten Empfindungen, und jener schon erkaltete Aschenhaufen der erste Gegenstand meiner erwachten Sinne.
"Ich blickte noch einmal mit schwermüthigem Herzen in diese Gruft verblichener Wahrheiten, und hätte mit der Vorsehung rechten mögen, daß ihr meine Bekehrung zu unwichtig schien, um dem Feuer seine verzehrende Gewalt zu benehmen, und die Ordnung der Natur zum Vortheil meiner Ueberzeugung zu ändern. - O ihr Unsterblichen, rief ich aus, die ihr uns euren Geist in diesen Schriften zurück ließet! warum beschützt ihr nicht euer Vermächtniß? - O ihr Heiligen und Verklärten! wie? hielt es denn keiner von euch der Mühe werth seine Legende zu retten? O, möchtest Du - vor allem nur Du, selige Clara, dein Visum repertum = = Ein Geräusch gleich einem gewaltigen Winde unterbrach hier den Lauf meiner Worte, und hemmte meine Stimme. - Mein Blicke fuhren nach dem Kamine hin, von wann es herkam - Was sah ich! was sträubte mein Haar! Könnte ich euch jetzt um mich her versammeln, daß euer Ohr meine Rede vernähme - ihr stolzen Widersacher jenes großen Geheimnisses, das ihr mit euren Zirkeln zu verspotten - mit eurem Einmal Eins zu vernichten glaubt! Ich sah - Hört es meine Richter und folgt meinem Erstaunen - Ich sah, und ich glaubte ein Schattenspiel der Auferstehung zu sehen - den Staub der Verblichenen sich von dem Herde erheben - sich bewegen - sich ordnen; ich sah die Wahrheiten, die in jenen heiligen Schriften einzeln zerstreut lagen, sich aus ihrer Vernichtun erheben, und sich zu einem Monumente derjenigen bilden, die dem menschlichen Verstande die wichtigste, wie die unerreichbarste ist. In einem schnell vorüber fliegenden Augenblicke war ihrer aller Asche zu einer selbstständigen Säule zusammen gedrängt, die dreyseitig, und wie aus ätherischem Porphyr gehauen, meinem entzückten Auge erschien. Es war die höchste Ueberraschung - ich glaube es mit Grunde sagen zu können - die einer menschlichen Seele begegnen konnte, und die keine Zeit vermögend seyn wird aus meinem Gedächtnisse zu verlöschen. Aber leider! dauerte diese anstaunungswürdige Erscheinung nur einen Augenblick - die Säule zerfiel als wäre sie nie dagewesen. - Und wer würde mir jetzt glauben, daß es nicht ein Traum, nicht ein Blendwerk der Sinne war - wenn diesem Phänomene nicht unmittelbar ein anderes gefolgt wäre, das wie die Sonne einem sehenden Auge keinen Zweifel erlaubt, und einen Beweis zurück ließ, der von jeher für unumstößlich anerkannt wurde, und die unbegreiflichsten Begebenheiten so klar macht wie die gemeinsten Ereignisse - den großen Beweis - meyne ich - des Augenscheins?
"Es erhob sich jezt - könnte ich es doch dem Erdkreise ankündigen! - aus dem Staube der vor mir lag - aus dem Chaos jener mystischen Säule, erhob sich jetzt das Phänomen eines glühenden Blattes. In einen Rahm gefaßt, der wie aus Sternen zusammengesetzt schien, schwebte es über dem Herde, und das milchweiße Licht, das es ausströmte, stärkte mein verklärtes Auge zu dem hohen Genusse seiner Betrachtung. So leuchtete es mir einige selige Stunden. Mein Herz pochte vor Staunen - meine Brust dehnte sich unter dem Drange der Freude - Ach! in welche einem Meere von Empfindungen badete sich nicht meine Seele! In Entzücken und in Anstaunen dieses Wunders verloren, vergaß ich mein Daseyn - vergaß euch, meine Richter, und die übrige armselige Welt. Und wäre die Thür meines Kerkers auch unverschlossen und der Weg zu euch frey und offen gewesen - die Selbstgenügsamkeit meines Gefühls würde mir allein schon verwehrt haben, von meiner geweihten Stelle zu weichen, und andere Zeugen meines Glücks zu suchen als Mich. - Nie wurden wohl die stillen Fortschritte der Zeit mit so glänzenden Punkten gemessen, und ihr Uebergang in die Ewigkeit so lieblich bezeichnet, als in diesen gebenedeyten Stunden. Mit jeder Minute, die mich meinem ernsten Verhör näher brachte, verlosch ein Stern an dem Rahme des brennenden Blattes. - Es verlosch der letzte daran, und abgekühlt senkte es sich in meine hinstrebenden Hände. Ein Blick aus meinen beseelten Augen, der in der Eil des Blitzes darauf stürzte, war genug. - Er predigte mir die verkannte Wahrheit in ihrem ganzen Umfange, erschütterte und überzeugte mein Herz. Ich hatte nur noch Zeit das aufgefangene Blatt an meinem Busen zu bergen, als der Augenblick eintrat, der mich vor die Schranken eures Gerichts zog.
"So habe ich euch denn, meine Richter, durch die Irrgänge meiner Gedanken und Empfindungen bis zu dem letzten Beweise geführt, der zwischen mir und meinem Ankläger entscheiden soll. Dank sey aber zuvor noch der heiligen verewigten Clara! Mein Nachforschen nach ihren Edelgesteinen war nicht umsonst. Das Feuer, das aus den Augen der Geweihten spricht, die ihren Namen führt - das begeisterte Blut, das ich während meiner Rede ihre schönen Wangen durchziehen sah - sagte es euch laut, meine Richter, daß ich den lange verborgenen Ort entdeckt habe, der jene Kleinodien verwahrt - den unerreichbaren Ort eurer täglichen Wallfahrten, und den stillen Weg, der dahin führt - den ihr ehrwürdigen Männer dieses Gerichts mir noch lange unter heiligen Betrachtungen nachwandeln werdet, wenn ich schon längst von meiner Entdeckungsreise zurück, meinem Vaterlande wieder gegeben seyn, und nur in Gedanken noch die schattige Gegend umschweben werde, die dem Erdkreis sein größtes Wunder verbirgt. - Mag indeß die Zeit der Erfüllung noch so weit in der Zukunft liegen, wir wollen uns in gläubiger Zuversicht an das schon vollendete Wunder halten, das uns heute zu Theil ward - an das Zeugnis der Wahrheit, das, durch das Feuer bewährt, jede fromme Ungeduld hinhalten - jede Hoffnung beleben - jeden Zweifel an die hochgelobte Dreyeinigkeit bey allen denen zerstreuen wird, die meine Aussage hören. - Das Visum repertum der Heiligen, die einst jene wundervollen Steine in ihrem Schooße trug, und seitdem, um nie verloren zu gehen, unter ihren Schwestern bis zu derjenigen forterbte, deren jungfräulicher Schooß sie noch heute verschließt - dieser Beweis ihres - ehmaligen und jetzigen Daseyns ist an diesem Tage glänzend und unverletzt aus den verzehrenden Flammen hervor getreten - Seine Wahrheit ist gerettet. Hier, meine Richter, hier ist das heilige Blatt - Fallet nieder und betet an!"
Mit diesen Worten, zog ich jenes in ein feines Papier geschlagene Blatt aus meinem Busen, das ich, wie du weißt, um es als Beleg zu gebrauchen, aus der Legende der heiligen Clara von Falkenstein und in dem kritischen Augenblicke aus dem Feuer riß, als die Sammlung Pater Martins von Cochim schon lichterloh brannte. Welch ein ungleich wichtigern Dienst leistete es mir jetzt! Ach daß du nicht bey mir warest, Eduard! und die sonderbaren und verschiedenen Bewegungen nicht mit ansehen konntest, die dieser unerwartete Ausgang meiner Rechtfertigung auf jedes einzelne Mitglied dieses hohen Gerichts hervorbrachte! Der Domherr stürzte mit einem Ungestüm herbey, der nur zu sehr den leidenschaftlichen Antheil verrieth, den er an diesem Wunder nahm. Thränen traten ihm in die Augen, als er die Lieblingsstelle seiner Erbauung in so unversehrtem Drucke auf diesem, an den Rändern versengten Bogen entdeckte. Er benedeyte alles was ihm in den Mund kam, - das Haus, wo dieses Wunder geschah - die Asche, aus der sich dieser Phönix erhoben hatte - mich, dem die Vorsehung das unverbrennliche Blatt einhändigte - besonders aber sich, der zur Entstehung dieses erstaunlichen Phänomens die erste Gelegenheit gab. - "Nun" rief er ohne seine Phrasen zu enden, "ist der große Beweis gerettet - die Nachforschungen der Schriftgelehrten werden = = = die heiligen Steine liegen = = ja ich hoffe sie noch mit eigenen Augen = = =" Doch indem schien er sich zu besinnen, wie anstößig dem guten Clärchen ein Compliment vorkommen müsse, das auf ihre Section gebaut war. Er ließ seinen Enthusiasmus nicht weiter laut werden, hüllte sich in seinen Purpur, und warf sich erschöpft und athemlos auf den Lehnstuhl.
Die innern Rührungen der alten, frommen, erstaunten Bertilia zeigten sich lange nur in den stillen Verzerrungen ihres scheußlichen Gesichts. - "Ich bin", ergriff sie endlich mit heulender Stimme das Wort, "grau bey Wundern geworden; aber keines - nein! keines hat mächtiger noch mein Herz gerührt. Wie werden meine Nachbarn - wie werden alle die neidischen Weiber im Hospitale - wie wird Stadt und Land über das Heil erstaunen, das diesem Hause, und eben in der Zeit widerfuhr, da es - o ihr Heiligen! der Aufsicht eurer Magd anvertraut war!"
Doch wie mag ich nur einen verlornen Blick an diese Furie wenden, da die Graziengestalt ihrer Nichte dicht neben ihr steht, die mir in der Gruppe meiner Bewunderer doch immer die liebste Figur - aber eben darum auch am schwersten zu zeichnen ist! Ach! es wäre wohl der Mühe werth, wenn ich es nur vermöchte, dir die mancherley Schlangengänge ihrer Empfindungen, mit alle den feinen Schatten zu schildern, die auf ihrem Gesichtchen spielten, als sie dasselbe Blatt zu solchen Ehren erhoben sah, bey dem sie ihren Puder verlor. Ein verstohlner Blick ihrer schönen Augen, der über den Sectionsbericht ihrer Namensschwester nach dem Domherrn hingleitete, und die Erröthung auf beyder Gesichtern, die nachfolgte, würden mich, wenn es nicht schon der Epilogus zur Genüge gethan hätte, genau auf die Spur ihrer ersten Lehrstunde gebracht haben. Jene älteren Erinnerungen schienen alle Gewalt aufzubieten, um das frische Andenken ihrer jüngern Erfahrungen aus ihrem Blute zu treiben, oder ich müßte das Farbenspiel ihrer Wangen - müßte den beredten Ausdruck ihres Gefühls nicht verstanden haben, den ich doch deutlich in ihren Mienen zu lesen glaubte. Doch setzte sie - wenn ich recht sah - der schnelle Uebergang des so sehr gedemüthigten Mannes zu der Glorie eines Wunderthäters mehr noch in Verlegenheit als alles übrige. Sie wendete ihre Augen so schüchtern nach mir, als hätte sie ihnen aufgetragen, mir in ihrem Namen das Unrecht abzubitten, dessen sie sich schuldig gegen mich fühlte. - Da sie ihr aber keinen Blick der Vergebung aus den meinigen mitbrachten, so nahm sie ihre Sirenenstimme zu Hülfe. - "Wer hätte das gestern noch denken sollen!" tönte sie mir sonorisch in´s Ohr, das es nicht anders möglich war, der Stimmhammer mußte mir dabey einfallen. Ihr rechter Fuß, über den das Band der unbefleckten Jungfrau gegürtet war, zitterte zugleich als ob er im Fieber läge, und der heilige Nicaise war im Steigen und Fallen. Abscheulich schönes Mädchen! dachte ich, und beynahe glaube ich, sie errieth meinen Gedanken: denn so geschickt auch die Wendung war, mit der ihr Blick von mir seitwärts nach ihrer Tante überging, so schien er mir doch zu abgebrochen um ganz natürlich zu seyn. - "Ich sehe im Geiste," sagte sie mit einem unterdrückten Seufzer zu ihr, "welch einen Segen die Begebenheit dieses Morgens über das Haus meiner Wohlthäterin bringen wird. Von den fernsten Orten her werden Wallfahrten nach dem unverbrennlichen Blatte geschehen, und ach! wie hoch werden nicht ihre Miethen im Preise steigen! - Aber," fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort, "wohin, ihr Jungfrauen des Himmels! wohin werde ich mich alsdann verstecken, wenn, als Erbin der heiligen Clara, auf mich aller Augen gerichtet sind? - Ach mein Herr!" drehte sie nun wieder ihr Köpfchen zu mir, ergriff meine Hand, und drückte sie vor überströmender frommer Empfindung und im Angesichte des Propstes an ihren schwellenden Busen. Aber kein Mensch gab jetzt etwas auf diesen Vorsitzer meines peinlichen Gerichts. Kalt und ernsthaft stand er mit verschloßnen Lippen vor dem Tische. Der Mann am Protokolle stand lang wie versteinert neben ihm. - Endlich ermannte er sich, und fragte mit leiser Stimme seinen Patron, ob er den Vorgang zu Papier bringen sollte? Da ihm dieser aber aus übler Laune nicht antwortete - hielt er es länger nicht aus, setzte sich, und that es ungeheißen, indeß der Domherr, dem alles an der Ausbreitung des Wunders gelegen zu seyn schien, die Thür aufriß, und meinen Bastian und meine Wache herbey rief. Eine neue auffallende Scene für einen so ruhigen Beobachter als ich jetzt war. Die beyden Bärmützen, die sich zu nichts geringerm als zu dem schrecklichen Befehle abgerufen glaubten, mich in ihr ehemaliges Gefängniß zu begleiten, stutzten gewaltig, als sie mich nur mit gerührten und freundlichen Gesichtern umringt fanden - trauten ihren Augen und Ohren kaum, als sie die Ehrerbietungen sahen - und die süßen Worte hörten, mit denen mich meine Kläger und Richter überhäuften. Der Domherr mußte sie mehr als Einmal erinnern, dem neuen Wunder des unverbrennlichen Blattes zu huldigen, ehe sie begreifen konnten was er wollte, und was es eigentlich mit der schnellen Veränderung meines Zustandes für eine Bewandtniß habe. - Als sie es aber endlich begriffen, so stürzten desto freudigere Thränen von ihren brüderlichen Wangen herab. Der Prologus drückte mir die Hände, der Epilogus küßte mir sie - beyde winkten mir ihren Beyfall zu, und selbst in ihren nassen Augen flimmerte das lachende Geständniß, daß sie mich für ihren Meister erkannten.
Alles das rührte und belustigte mich wechselweise: doch Bastian, der in der Schwärmerey seiner Jugend und Frömmigkeit den Vorgang wie ein Evangelium glaubte, und sich selig pries einem solchen Herrn zu dienen - Bastian allein kam, ohne es zu wollen, auf die rechte Spur mich aus der Fassung zu bringen. "Ach!" sagte er mit schmelzender Stimme, "was wird nicht meine gute Schwester Margot und mein Schwager für Freude haben, wenn sie das hören!" Ich erschrak, wie ein Dieb, der seinen Steckbrief in den Zeitungen liest, bey dieser Erwähnung. - "Gott, Gott!" sagte ich heimlich zu mir, "wie unabsehlich weit hast du dich in diesen sieben Tagen von den unschuldigen Hüttenbewohnern des ehrlichen Caveracs und von dir selbst entfernt! - von einem natürlichen guten Manne - zu einem religiosen Betrüger!" = = = Mir war zu Muthe wie einem Juden, der Schinken verkauft. Ich hatte einen Abscheu vor meinem Handel. - Da aber der Vortheil mir - der Nachtheil meinen Feinden zufiel, so fand ich hierin einen doppelten Bewegungsgrund, mich geschwind genug zu beruhigen, und ließ es einstweilen damit gut seyn. - Bastian war inzwischen zur Thüre hinaus gewischt, und stürmte, wie der Diener eines Zahnarztes das Volk zu der Boutique seines Patrons. In wenig Augenblicken waren Zimmer, Vorsaal und Treppe voll von Neugierigen und Andächtigen, die mir alle vorkamen als wären sie dem Tollhause entlaufen. Bey einem solchen Getöse muß man der Wunder besser gewohnt seyn als ich - muß man, glaube ich, ein Geistlicher seyn, um sich nicht bange werden zu lassen. - Während dieses Tumults hatte sich der Propst fortgeschlichen - sein Waffenträger ihm nach. Ich war heilfroh darüber: denn so lange sich dieser Schwarzkünstler noch in meiner Nähe befand, schien mir immer noch etwas im Wege zu stehen. Nun erst ward mir recht leicht um das Herz. Ich sah mit wahrem Entzücken, daß mein Gericht aufgehoben - meine hämischen Ankläger zum Schweigen gebracht - was mir aber mehr als alles dieß den Gewinn meines Prozesses versicherte, ich sah daß die Volksstimme auf meiner Seite war. Eine halbe Stunde hielt ich noch das Anstaunen der Menge - ihre unbesonnenen Fragen, und die ekeln Ausbrüche ihrer Verehrung aus: da ich aber zulezt dieser albernen Scene höchst müde war, und mich besann, daß ich vor meiner Abreise noch andere wichtige Geschäfte abzuthun hatte, so wendete ich mich mit dem Anstande eines Mannes, dessen Bitten Befehl sind, an den buntscheckigen Haufen, äußerte mein Verlangen, daß man mir nun auch einige Ruhe gönnen möchte, packte mein Zauberblatt wieder ein - und machte ihnen Hoffnung, es nächstens der allgemeinen Andacht öffentlich auszustellen. Diese höfliche Erklärung that ihre Wirkung - und um ganz sicher vor weiterem Anlaufe zu seyn, befahl ich meinen Grenadieren, sich vor das Haus zu stellen - und, bey Strafe der Cassation, keine Seele sich dem Thürklopfer nähern zu lassen.
Sobald ich mich mit meinem Erretter, dem Domherrn, und meinen beyden frommen Nachbarinnen allein sah - mir die Ehre ihrer Gegenwart bey meinem letzten Mittagsmahle ausgebeten, und meinem Bastian eingeschärft hatte, es mit verständiger Rücksicht auf meine vornehmen Gäste zu besorgen, ging ich nun als der obsiegende Theil ohne weitere Umstände an ein Geschäft, das oft selbst bey einem gewonnenen Prozesse noch seine großen Schwierigkeiten hat, ich meyne den Ersatz der Schäden und Kosten. Ohnerachtet ich gestern mich selbst dazu erbot, fühlte ich mich doch heute verwegen genug mein Wort wieder zurück zu nehmen; so sehr hatten sich seitdem die Umstände geändert. Ich fand es meiner moralischen Denkungsart ganz zuwider, jenes Schlachtvieh, das ich der unreinen Herde der Casuisten entführt hatte, um es dem Andenken Rousseau´s zu opfern, in der Nähe von schwachen Menschen wieder aufzustellen - fand es viel edler, diesen Gewinn meiner Börse einer guten Handlung zu widmen, und machte mir nicht das geringste Bedenken, es auf Kosten der milden Stiftung zu thun. Sonach wendete ich mich an den Domherrn: "Ich begreife, wie weh es den hiesigen gläubigen Seelen thun würde, wenn ich das Document der Dreyeinigkeit aus dem Lande entziehen wollte, in welchem es die Vorsehung ausgefertigt hat = =" - "Nein bey Leibe," unterbrach mich der erschrockene Domherr, "das darf nicht geschehen!" - "Zumal da niemand," fuhr ich fort, "dafür stehen kann, daß nicht das Volk, dem ich die Ausstellung dieses Wunderblattes schon halb und halb versprochen habe, über dessen Verlust in Aufruhr gerathen könne = =" - ["]Freiylich, freylich!" schrie der Domherr darein, "es würde alles drunter und drüber gehen." - "Und doch," fuhr ich jetzt schon um vieles herzhafter fort, "können mir Ihre Weisheit nicht absprechen, daß mir dieser Schatz ohne Widerrede zusteht, so bald ich den Scheiterhaufen der Casuisten vergüten soll, der hier nur als ein Vehikel dieses Wunderblattes zu betrachten ist, so wie dem Scheidekünstler das Gold gehört, der das Erz, worin es lag. erkauft hat." - "Lieber Freund und Gönner," fiel mir hier der Prälat wieder in das Wort, "sollte denn nicht ein Ausweg zu finden seyn? Ich bitte Sie bey allem was heilig ist, denken Sie doch auf einen Ausweg!" - "Das habe ich schon gethan," versetzte ich, und schlug ohne Respect für seinen Purpur meine Arme kreuzweise in einander. "Wäre es mir gegeben mit heiligen Sachen zu wuchern - wäre der Ersatz der Kosten nicht gemeinglich schon ein halber Beweis unrechter Handlung, und machte es mir nicht eine geheime Freude, diejenigen mit Großmuth zu bestrafen, die mich zu verfolgen gedachten; so würde ich, unter uns gesagt, theuerster Freund, etwas geitziger handeln - würde die verbrannte Sammlung für ihren geringen Landenpreis wieder herstellen, und mich und mein Vaterland mit einem Blatte bereichern, das einem wohl denkenden Herzen mehr werth seyn muß als alle Bibliotheken der Welt. - Aber ich entsage gern meinem Eigenthume daran = = =" - "Das ist schön und groß gedacht," tönte hier Clärchen - und, "Ach! es fällt mir ein Stein vom Herzen," krähte die Alte darein, die bis jetzt in ängstlicher Erwartung des Ausgangs von weitem mit ihrer Nichte mir stillschweigend zugehört hatte. - "Dagegen," fuhr ich anmaßlich fort, verlange ich die Befreyung von allen niedrigen Unkosten als Bedingung, und nebenbey das Versprechen von Ihnen allen, bey Ihren künftigen Nachforschungen nach jenem großen Geheimnisse des Mannes in Segen zu gedenken, der sich um die dunkle Lehre der Dreyeinigkeit vielleicht verdienter gemacht hat, als alle Gottesgelehrten, die bis jetzt, ohne sonderlichen Erfolg, daran gearbeitet haben."
Der Domherr, in der Freude seines Herzens, bestätigte nicht allein auf das höflichste die Complimente, die ich mir selbst machte, sondern er dankte mir auch im Namen aller Gemeinden der christlichen Kirche - deren er doch keiner einzigen vorstand - für mein großmüthiges Erbieten. - Er zweifle nicht, sagte er, daß es auch der Legat im Namen des heiligen Vaters thun, und mit dankbarer Freude meine so billigen Bedingungen genehmigen werde. - Er eile jetzt zu ihm, um unser aller Angelegenheit in Ordnung zu bringen; denn mit Canzelley=Geschäften müsse man einem geistlichen Herrn früh kommen. Er hoffe in einigen Stunden damit fertig zu seyn, und alsdann - hier küßte er mich mit der freundschaftlichsten Wärme - den schriftlichen Erlaß meines Haus= und Stadtarrests und aller Schäden und Unkosten, so viel ihrer auch seyn möchten - gegen ein gutes Glas Wein an meinem Tische auszuwechseln. - Er ging, und, nach einigem Fispern mit ihrer Nichte, verließ auch die alte Bertilia das Zimmer, um, wie sie sagte, in das ihrige beten zu gehen. Clärchen, die sich nun auf einmal mit mir wieder so allein sah als an dem Namenstage ihrer Tante, ward roth bis über die Augen, und, wie man nur zu oft, in der Absicht sich aus einer kleinen Verlegenheit zu ziehen, in eine noch größere fällt, so bat sie mich, sie aus der einsamen Stube in die bewußte Bibliothek zu führen, die doch sicher der geheimste und einsamste Winkel im ganzen Hause war. "Sie wolle noch einmal," gab sie vor, "in meiner Gegenwart den merkwürdigen Platz aufsuchen und bezeichnen, wo die Legende ihrer verklärten Namensschwester, bis zu ihrem Hingange in den Kamin, verweilt hätte." Ohne mich lange über ihr geschwindes Vergessen des Locals zu verwundern, reichte ich ihr den Arm. - So bald wir aber beyde vor dem Bücherschranke ankamen, überraschte sie mich - nein, es ist nicht auszusprechen wie? Du könntest Jahre darauf sinnen ohne es zu errathen.
Als wenn sie mir in das Herz geblickt - als wenn sie die ganz unbeschreibliche Erniedrigung gekannt hätte, in der mir ihr Bildniß erschien - unternahm sie, zu meinem Erstaunen, sich aus dieser tiefen Herabsetzung zu erheben, und meinem Menschenverstande zum Trotz alle die gründlichen Versuche umzustoßen, die mir über ihre Heiligkeit, Unschuld und Sittsamkeit die Augen nur zu sehr geöffnet hatten. - "Nun das gestehe ich," sagte ich bey mir selbst, so bald ich ihre Absicht merkte, "dieser äußerste Grad der Unverschämtheit hat noch gefehlt, um die Mißgestalt ihres Charakters vollends auszumalen!" - Aber es währte nicht lange - solltest du es glauben Eduard? - so fingen mir meine gewissen Erfahrungen von ihr problematisch zu werden - meine Versuche kamen mir einseitig, und die Schlüsse, die ich daher folgerte, willkührlich und übereilt vor. - Ich vergebe dir, wenn du über diese Nachricht lachst. Ich bin der erste, der eingesteht, daß, nach alle dem, was unter uns vorgegangen, mir von ihr zu Ohren gekommen, und noch heute meinem Geiste so gegenwärtig war als gestern meinen Augen - es etwas höchst unerwartetes sey, daß mich dasselbe Mädchen, so kurz vor meiner Abreise, eines bessern von ihr überzeugen solle. - Aber genug! es gelang ihr. - Das Kind erschien mir heiliger und unbefangener als jemals, und so sehr ich mich Anfangs auch sträubte, trat ich doch zuletzt freywillig den sublimen Vorstellungen bey, die sich Herr Fez - ein braver, gescheider Mann, von ihr macht, der sie von Jugend auf in den Augen gehabt, und sie wohl richtiger als ich zu beurtheilen Gelegenheit hatte.
Ich sehe, du bist nach diesem Geständnisse im Begriff mir deine Freundschaft aufzukündigen, schiltst mich einen Schwachkopf, und magst nichts weiter mit mir zu thun haben. - Aber warte nur noch einen Augenblick und höre! -
Anstatt das Fach zu bezeichnen, wo die Legende der heiligen Clara kürzlich noch stand, wendete sie sich sogleich, als wir vor den Schrank traten, mit unbeschreiblicher Anmuth nach mir, ohne es anzublicken, und legte mit kindischer Gutherzigkeit ihre beyden Hände in die meinen. - "Ich habe Sie aus keiner andern Absicht in dieß abgelegene Cabinet gelockt," sagte sie, "als mein Herz, das mit zu voll ist, ungestört vor Ihnen auszuschütten. - Halten Sie mir meinen kleinen Betrug zu Gute, mein bester Herr! Wie viel," fuhr sie äußerst gerührt fort, "habe ich Ihnen nicht seit der vergangenen Stunde zu danken! Es haben sich seit meiner Geburt manche guten Menschen meiner angenommen - haben in Unschuld und Tugend für mich gesorgt - mir über vieles Rath und Trost ertheilt, und meinen Verstand erweitert - aber dennoch bin ich bis heute mir selbst immer noch unbekannt geblieben. - Ihnen war es vorbehalten, mir diese Kenntniß zu geben. Sie, mein Herr, sind der erste, der mich über meinen innern Werth belehrt, und mich in meinen eigenen Augen zu einer Würde erhoben hat, mit der ich kaum weiß was ich anfangen soll. Das süße Bewußtseyn, die heiligen Steine in mir zu tragen, die bis jetzt allen menschlichen Nachforschungen entgangen sind - o daß es mich nicht übermüthig und stolz - und nur nicht der Erbschaft meiner höchst seligen Schwester unwürdig mache!" - "Wie? Clärchen!" sagte ich höhnisch: "Hatten Sie denn vor meiner Rede nie einige Ahndung davon? - fühlten nie ein sanftes Drücken in der heiligen Gegend, wo sie liegen?" - "Auch nicht das geringste!" antwortete sie mir mit einer Unbefangenheit, die allerliebst war. - "Hat Sie denn," fuhr ich schalkhaft fort, und ich dachte sie würde über und über roth werden, "auch der Herr Ducliquet nicht auf die Spur gebracht?" - "O!" sagte sie, ohne im mindesten aus der Fassung zu kommen, "vor einigen Jahren zwar hat mir dieser gute würdige Mann die Lebensgeschichte meiner verklärten Namensschwester zur Erbauung und Nachahmung vorgestellt. - Es war sogar sein erstes Gespräch mit mir. - Aber ich war damals ein Kind - hatte keine Acht darauf, und schlief über seinen Unterricht ein. Lange fand ich keine Gelegenheit, meine Unachtsamkeit wieder gut zu machen. - Vorgestern erst glückte es mir. Erinnern Sie sich wohl noch, wie begierig ich in einem Buche las, das ich Ihnen nicht sehen ließ? - Jetzt kann ich es Ihnen sagen; aber legen Sie mir es nicht als Stolz aus! Es war die Legende dieser Heiligen - war eben das Blatt, das Gott im Feuer erhalten hat." - "So?" sagte ich, "aber wie kam es denn daß Sie das erstemal dabey einschliefen?" - "Weil es sehr spät war," antwortete sie. "Sehen Sie - es war Mitternacht = =" - "Aber um Himmels willen, Clärchen," fiel ich ihr ein, "wie trafen Sie denn so spät mit dem Domherrn zusammen?" - "O," antwortete sie, "das hängt ganz natürlich an einander. Soll ich es Ihnen erzählen?" - "Wenn ich bitten darf, liebes Kind," lächelte ich sie an, "so thun Sie es so genau als möglich und mit allen Umständen." - "Nun gut," fing sie schwatzhaft an, "Meines Vaters Schwester zu Cavaillon - die Wirthin in dem Propheten, hatte uns hier besucht, und nahm mich mit sich, als sie zurück ging. - Wir trafen das ganze Wirthshaus übersetzt an, da wir ankamen. - Es war schon spät, und ich konnte vor Müdigkeit kein Auge mehr aufhalten. - Das gute Weib machte auch alle Anstalt, um mich bald zur Ruhe zu bringen - führte mich in eine große leere Stube, und wies mir ein Bett an. Ich hatte mich noch nicht ganz aus meinen Reisekleidern geworfen - so brachte mein Vetter einen Passagier in dieselbe Kammer. - Es war Herr Ducliquet. - Er erkundigte sich, was das für ein Kind wäre. - Mein Vetter nannte mich, und wünschte uns eine gute Nacht. Der liebe fromme Herr, wie Sie ihn kennen, nahm sogleich Gelegenheit mir recht viel Erbauliches über meinen Namen und meine Patronin zu sagen. - Aber, wie Kinder sind - ich hörte die Sachen nur halb und schlief darüber ein. Bald nachher = = doch das ist eine Geschichte, die weiter hieher nicht gehört = =" - "O das thut nichts, Clärchen," sagte ich: "erzählen Sie nur immer fort - ich könnte Ihnen einen ganzen Tag zuhören." - "Nun denn, mein Herr," erwiederte sie, "so ist es Ihre eigene Schuld wenn ich Ihnen lange Weile mache. Ich schlief also, wie Sie wissen - aber es währte nicht lange, so erweckte mich ein Getös von der andern Welt. - Ich fahre schlaftrunken in die Höhe - und sehe - stellen Sie Sich das Erschrecken eines Kindes vor - den Teufel vor meinem Bette." - "Gott sey bei uns!" unterbrach ich die Schwätzerin. - "Ach! fürchten Sie nichts," fiel sie mir hastig in´s Wort: "Er war es nicht leibhaftig - es war nur ein Komödiant, der ihn den Abend vorgestellt hatte, und jetzt sein Bette suchte - und, was Sie erst recht verwundern wird, mein Herr - es war einer von den Soldaten, die Sie bewacht haben!" - "Unmöglich!" rief ich aus. - "O, verlassen Sie Sich darauf!" versetzte sie: "Sie können ihn selbst darum befragen. Das Schrecken," fuhr sie fort, "war nicht gering; aber die Folgen davon waren doch gut. Ich lag die ganze Nacht durch in einem Fieber, und war so in Furcht gesetzt, daß ich den Morgen darauf nicht länger in Cavaillon aufzuhalten war. - Ich weinte so lange und so jämmerlich, daß endlich meine Verwandten sich heraus nahmen, den Herrn Ducliquet, der wieder nach Avignon reiste, um einen Platz für mich in seinem Wagen zu bitten. Er bewilligte ihn auf das gütigste - und dieser Zufall, mein Herr, dieses Schrecken und diese Reise machten mein Glück. - Unterwegs examinirte mich der würdige Mann über meine Glaubenslehren, ließ mich ein Morgenlied singen, und meine Stimme gefiel ihm. - Als wir hier ankamen, überlieferte er mich meinem Vater - denn keine Mutter hatte ich mehr - und suchte ihn zu bereden, mir die Noten und das Singen lernen zu lassen. Der hätte es auch gern gethan; aber er war zu arm um etwas auf meine Erziehung verwenden zu können. Da schlug sich der wohlthätige Herr in´s Mittel - und, wie manchmal ein geringer Umstand in unser ganzes Leben eingreift, erbot er sich nicht allein, mir auf seine Kosten im Singen einen Lehrmeister zu halten, sondern auch in allen andern nützlichen Dingen Sorge für meine Bildung zu tragen. - So kam ich in das Domstift, wo er mir der Aufsicht seiner Haushälterin übergab, die wie eine Mutter für mich gesorgt hat. - Ach! ich wäre gewiß noch in dem Hause dieses guten Herrn, wenn ich nicht selbst mein Glück verscherzt hätte." - "Wie denn so?" fragte ich lächelnd, und glaubte nun gewiß das Mädchen auf einer Unwahrheit zu ertappen, die ich mir schon vornahm ihr recht fühlen zu lassen, aber es war nicht möglich. - "Sehen Sie," fuhr sie fort, "Herr Ducliquet hatte ausgewirkt, daß die gefährlichen Menschen, die mir so einen Todesschrecken eingejagt hatten, der Folgen wegen, nicht mehr mit lebendigen Personen spielen durften. Da legten sie nun ein Puppenspiel an. - Einmal, da ich ausgeschickt war um Semmel zu holen, ging ich eben vorbey, als sie ein geistliches Stück aufführten. Ich glaubte nicht unrecht zu thun - wendete einige Sous daran und ging hinein. Man wies mich auf die hinterste Bank, wo ich weder etwas hörte noch sah. Gern wäre ich wieder heraus gewesen; aber das war bey dem Gedränge schon nicht mehr möglich. Ich kam neben einem Officier zu sitzen, und saß wie auf Kohlen. - Er hatte die Barmherzigkeit, mir den Arm zu geben und durch das Volk zu helfen, als das Spiel vorbey war. - Aber mein Gott! wie war die Zeit vergangen! Es war ganz dunkel, wie ich zurück kam, und vor Angst hatte ich die Semmel vergessen. - Ach wie theuer mußte ich diesen kindischen Einfall und diese Vergessenheit büßen! Meiner Pflegemutter war das Ragout verdorben, und der Herr, der den Koch nach mir geschickt hatte, mußte hungrig zu Bette gehen. - Meine Entschuldigungen halfen nichts; denn sie waren beyde keine Liebhaber vom Schauspiele. - Sie sagten sich von mir los, und ich mußte noch diesen Abend aus ihrem Hause. Was sollte ich anfangen? Seit acht Wochen war ich eine Waise. Es blieb mir nur die einzige Verwandte übrig, zu der ich flüchtete, und die mich mit Erlaubniß des Herrn Propsts aufnahm. Nun geht es mir zwar ganz gut hier - aber was ich kann das kann ich - denn mit meinen schönen Lehrstunden hat es ein Ende."
Ich ward über die natürliche Erzahlung des armen Kindes, die der Sache ein ganz anderes Licht gab, schon etwas nachdenkend. - "Clärchen!" sagte ich, und sah ihr scharf in die Augen, ohne daß ich, Gott weiß, die geringste Verlegenheit darin erblickte, "damals waren Sie ein Kind; das entschuldigt viel: aber wie sind sie denn nachher = =" und ich hielt inne, weil ich selbst nicht recht wußte was ich ihr zuerst vorwerfen sollte. - "Was denn, mein lieber Herr?" fragte sie hastig, und starrte mich dabey mit ihren großen unschuldigen Augen an - und ich fuhr, selbst und allein außer Fassung gesetzt, stotternd fort - "zu den Kreuzen gekommen, die = =" - "Das," fiel sie mir ganz verwundert in das Wort, "das wissen Sie ja! die malt mir der Herr Propst meistens einen Tag um den andern." - Aber um Gottes Willen," erwiederte ich und schüttelte den Kopf, ["]wie mag ein so frommes blühendes Mädchen so etwas erlauben?" - "Wie so?" fragte sie erstaunt: "Es geschieht ja zu meinem Besten, um mich, wie der Herr Propst und meine Tante sagen, die immer dabey steht, vor allem zu bewahren, was mit die Stimme verderben kann; und finden Sie denn nicht, mein Herr, daß es geholfen hat? - Ach, diese heiligen Zeichen - Sie mögen sagen was Sie wollen - sind von erstaunlicher Wirkung."
Ich sah das Mädchen mit stiller Verwunderung an. Wäre es möglich! dachte ich, faßte Herz - und that ihr noch eine Frage. - Aber die war umsonst - denn sie verstand sie nicht. Ich sann und sann, und konnte so wenig aus diesem sonderbaren Geschöpfe als aus mir selbst klug werden. - "Es ist doch," sagte ich in stiller Ueberlegung, "nicht so ganz platterdings unmöglich, daß ihr der Propst entweder so etwas weiß macht, oder es auch wohl selbst glaubt - denn was glaubt man nicht alles in dieser Religion! - und daß beyde nichts weiter dabey denken, als ein anderes, das Handschuh anzieht um sich vor der Lust zu bewahren. Indeß = = = wundershalber will ich sehen, was sie mir darauf antworten wird!" - "Clärchen," erwiederte ich mit zunehmendem Interesse an ihren naiven Antworten, setzte mich dabey auf den nächsten Stuhl, und zog sie wieder, wie das letztemal nach Auswechselung unserer Bänder, an meine Kniee, mit denen ich sie traulich umfaßte. - "Nehmen Sie mir nicht übel, Clärchen, daß ich auf eine alte vergessene Geschichte zurück komme. - Gestern, Kind - ich kann nicht ohne Entzücken daran denken - was dachten sie gestern - als ich mir die Erlaubniß des Pater Lessau und Bauny so gut zu Nutze machte?" - "O, da," antwortete sie, "war mir nicht wohl zu Muthe - das gestehe ich Ihnen. Ich dächte Sie hätten gesehen, wie angst mir um meinen heiligen Nicaise war. - Ich erwartete immer, Sie würden ihn noch in tausend kleine Bißchen zerstückeln." - "Weiter, liebes Clärchen!" indem ich sie sanft mit meinen Knieen drückte. - "Ja - und als Sie mir," fuhr sie mit einem Blicke fort, der gar drollig war, "das Kreuz der Cäcilia verlöschten, war mir noch weniger wohl um das Herz; doch verließ ich mich noch auf die Wiederherstellung und auf meinen hübschen Vorrath von geweihter Farbe. - Als Sie aber auch diese verschütteten - nein! ich läugne es nicht - da war ich so toll und böse auf Sie, als ich noch in meinem Leben auf niemanden gewesen bin. Ich dachte gewiß, es wäre nun um meinen Discant geschehen - und ich würde nicht einen Psalmen mehr zur Naht bringen - das Schmählen des Propstes und meiner Tante ungerechnet, das ich voraus sah. Heute mache ich mir freylich weniger daraus, da ich nichts wüßte, was Sie mir nicht durch die heiligen Steine zehnfach ersetzt hätten."
Diese unbegreiflich unschuldige Erzählung, durch die das liebe Kind, so als wenn es nichts auf sich hätte, meine Einbildungskraft entflammte, und in die reitzendste Gegend zurück brachte, die ich wohl behaupten kann in meinem Leben gesehen zu haben, setzte mich erst ganz außer mir, als sie schwieg; denn jetzt sprach die gefährliche Stille, die uns umgab, nur desto vernehmlicher. - Ich sprang wie verwirrt von meinem Stuhle auf, und mit dem Gefühl eines Wunderthäters war ich eben im Begriffe, den Riegel an der Kammerthür vorzuschieben - als sie Bastian mit der einfältigen Frage halb öffnete: was für Wein er diesen Mittag aufsetzen solle? - Wie er seinen Kopf so vorstreckte, hätte ich ihm lieber in diesem Augenblicke seinen Abschied gegeben; denn die vermaledeyte Aehnlichkeit mit seiner Schwester verjagte mir wieder alle die muthigen Gedanken, die mir Clärchen eingab. Ob ich nun gleich kurz nachher darüber froh war, so kam mir doch jetzt diese Unterbrechung meiner Ideen so unerwartet, um mir nicht weh zu thun. Ich blickte einige Minuten schweigend gen Himmel - wendete dann mit Ernst und Mitleiden meine Augen gegen das liebliche Mädchen - "Hier ist," sagte ich heimlich zu mir, "tausend= ja millionenmal mehr als Margot!" und halb betäubt führte ich sie nun in die Stube zurück, wo der Tisch schon gedeckt stand. Ich zog, nachdenkend, die Hände auf den Rücken gelegt, eine paarmal meine Zirkellinie um ihn, ehe ich einen herzdrückenden Seufzer, an dem ich arbeitete, los werden konnte, der aber auch dafür mehr Erleichterung nachließ, als keiner, der bis jetzt in meinem Tagebuch vorkommt; und indem ich mich mit diesem Bogen zur Aufnahme meiner Beichte an einen Nebentisch setzte, fertigte ich auch Bastian ab, der immer noch keine Antwort auf seine ungelegene Frage erhalten hatte. - "Rechne auf die Person, wir sind unserer Viere," sagte ich ihm, eine Flasche Burgunder, und eben so viel Champagner - kann doch jedes seinem Nachbar abgeben was es daran zu viel hat. - Aber von der besten Sorte," rief ich ihm nach, "denn wir haben einen Domherrn bey Tische." - Ich habe, kann ich mit Wahrheit sagen, noch nie in besserer Laune ein berauschendes Getränk bestellt. Indeß nun das arme Kind da mir ungewiß gegen über sitzt - auf jeden Zug meiner Feder schielt, und in meinen Augen vergebens zu lesen sucht was in mir vorgeht, bittet mein gerührtes Herz, so oft ich hinblicke, ihr alle die Beleidigungen ab, die ich ihr anthat, und empfiehlt in stiller Andacht diese schöne nackende Seele dem Schutze Gottes und aller Heiligen. Ach! nie ist eine, bey dieser namenlosen Einfalt, in einer so verdorbenen Welt als die unsere ist, dieses Schutzes so bedürftig gewesen!
Es ist mir für meine Schreiberey lieb, daß ich noch eine Weile der albernen Gespräche, die ich mit der Zurückkunft des Domherrn erwarte, entübrigt, und unter der stillen Aufsicht Clärchens so gut wie allein bin - denn so habe ich doch noch Zeit die mancherley wider einander laufenden Gedanken für dich noch durchzufegen, die von allen Seiten her sich immer mehr anhäufen. - Meine schwankende Denkungsart - laß mich zuerst von der sprechen - die ich mir wohl sonst, nicht ganz ohne Grund, vorwarf - ärgert mich dermalen nicht im geringsten. Ein ehrlicher Mann, wenn er es wirklich seyn will, muß schwanken, so bald sich an dem Objecte, über das er nachdenkt, die Farben ändern; und ich kann die klugen Leute vor meiner Sünde nicht leiden, die sich selbst da ihrer Festigkeit rühmen, wo es offenbar ein Fehler ist fest zu seyn. Es ist ein wahres Glück für die praktische Philosophie, daß ich durch meinen Arrest so lange hier aufgehalten wurde, um noch in Zeiten gewisse Vorurtheile zurück zu nehmen, die schon tiefe Wurzeln zu schlagen anfingen, und die ihr so nachtheilig hätten werden können als dem guten Rufe dieses vortrefflichen Mädchens. - Und noch glücklicher trifft es sich, daß ich, Gott Lob! von dem gewöhnlichen Eigensinne speculirender Köpfe frey bin - denn sonst hätte ich mich gewiß auch jetzt noch nicht aus der Schlußfolge gefunden, die ich einmal glaubte mir bewiesen zu haben. - Die Wahrheit wäre mir entwischt, wo ich ihr am nächsten war, und du, lieber Eduard, wärest so gut als ich um das Resultat meiner mühsamen Experimente gekommen, daß ich dir doch nun, auf das feinste entwickelt, als die lehrreiche Entdeckung meiner Reise mitbringen kann. Das Vorgeben unserer großen Menschenkenner, daß jedes Mädchen - unschuldig oder nicht - in ihren eigenen Angelegenheiten dem scharfsichtigsten Manne eine Nase drehe - ist aus der Luft gegriffen, wie viele solcher Sentenzen. Versteht nun erst, ihr guten Leute, ein weibliches Herz - ohne Einmischung eures eigenen - zu entfalten, so wird euch auch keins so leicht über seinen Werth oder Unwerth betrügen! - Freylich ist es eine kitzlige Sache damit; das kann ich nicht läugnen, denn mein Beyspiel beweist es zu klar. War ich nicht drauf und dran, das schuldloseste Geschöpf zu verdammen, das vielleicht in unserem Welttheile zu finden ist? - und wer hätte mich einer Uebereilung darbey zeihen können? Traten nicht so viele Anzeigen wider sie auf, die mein Urtheil vor jedermann rechtfertigen mußten? - Und doch war ich in Irrthum, und wäre es auch, ohne das letzte zufällige Gespräch mit ihr, immer und ewig geblieben. Das mag wohl nicht selten der Fall bey unsern systematischen Grillen seyn. Wenn wir uns mit vieler Mühe die Augen verkleistert haben, öffnet sie uns ganz unerwartet das Geschwätz eines Kindes. Ist die Schamlosigkeit, die ich der guten Seele, nach der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, vorwarf - ist sie bey ihr wohl etwas anders als der höchste Grad paradiesischer Unschuld? Wie lange hat es nicht gewährt ehe ich das begriffen habe! Nur die Seltenheit der Sache kann mir zu einiger Entschuldigung dienen. Bey den Wilden zwar, sagt man, fänden sich Spuren davon - aber in einem cultivirten Lande! - nach dem Sündenfalle! - ist es das erstaunungswürdigste Phänomen das sich denken läßt. Konnte ich denn nicht gleich vom Anfange Clärchens Betragen aus diesem Gesichtspunkte betrachten? Ach, wie viel geschwinder würde ich alle jene Abweichungen von dem Gewöhnlichen bey ihr enträthselt, und die undankbare Mühe erspart haben, ein so liebenswürdiges Geschöpf - bey beständigem Widerspruche meines Herzens - in meiner Vorstellung so abscheulich tief zu erniedrigen! - Aber unsre liebe, herkömmliche, Europäische Denkungsart - die doch selbst im Grunde nichts anders als Abweichung der Natur ist - steht uns immer bey metaphysischen Auflösungen im Wege.
Drollig genug, daß ich durch ein vorgebliches Wunder hinter ein wahres gekommen bin! Aber was soll ich nun - da die Sachen bis auf diese Spitze getrieben sind - anfangen? - Auf der einen Seite - fühlt sich das fromme Kind so glücklich in dem Besitze der heiligen Steine; auf der andern habe ich alle hirnlosen Köpfe - das heißt alle Einwohner der Stadt - damit erhitzt - Wird das nicht zu den tollsten Planen und Nachforschungen Gelegenheit geben, über die eine Tugend so leicht zu Grunde gehen kann, die durch weit größere Seltenheiten die Ehrerbietung der Erde verdient? Wirklich, es wird mir ganz bang um das Herz, wenn ich das so recht überlege.
Das reitzende Mädchen! wie lieb ist sie mir nicht seit einigen Minuten geworden! Ich kann es nicht ausdrücken wie lieb! Wenn ich so von meinem Bogen auf in die Höhe blicke, und diesen schönen großen Augen begegne, aus denen die ganze Reinigkeit und Energie Ihrer Seele wiederstrahlt - so kann ich nicht - nein! wahrlich ich kann mich nicht eines Gedankens erwehren, den mir mein guter Genius gewiß nicht umsonst so warm an das Herz legt. Bey der kleinen Margot ward er schon einmal ziemlich laut bey mir - aber du weißt, wie flüchtig er damals und wie wenig überdacht er war. Hier aber finde ich ungleich mehr Ursachen ihm nachzuhängen. - Ernstlich, Eduard! ich kann mir doch an den Fingern abzählen, daß ich über lang oder kurz - wie man sagt, heurathen werde; und wie wird das geschehen, wenn ich nicht zuvorkomme - als auf die gewöhnliche Weise, die so albern als mißlich ist? Hier hätte ich nun einen Gegenstand gefunden, wie ihn nur die begehrlichste Liebe eines Philosophen verlangen kann, und als keiner - ich bin es versichtert - mir je wieder so vollkommen aufstoßen wird. Ich mag um ein Mädchen werben wo ich will, wird mir wohl eins seinen Körper und seine Seele so aufrichtig und so befriedigend enthüllen, als es dieß Kind gethan hat? Ach! ich werde nicht besser als andere auf geradewohl einschlagen müssen, und alles das zu spät erfahren, was doch so gut wäre vorher zu wissen. Die seltene Gelegenheit, die ich in diesem Stücke bey Clärchen gefunden - kömmt mir nicht wieder. Warum will ich mich also noch bedenken? Besitzt sie denn nicht alles, was ich manchmal in Sommernächten von meiner künftigen Gattin erträumte? Und Gott! in welchem Maße besitzt sie es! Lauterkeit des Herzens - hohe Einfalt eines herrlichen Verstandes - ächte Unschuld - eine nie berührte Stimme - und einen Gliederbau, wie er nicht oft der Natur gelingt. Ihr Herkommen mag freylich nicht vornehm seyn - aber das ist auch das letzte, worauf ein Mann zu sehen hat, der seinen wahren Vortheil versteht. Ihre abergläubische und schwärmerische Religion - o die war ihr während ihres Jungfrauenstandes recht nützlich, und nach der Trauung, denke ich, will ich sie ihr schon mit guter Art aus dem Kopfe bringen. - An die heiligen Steine - mag sie meinetwegen noch eine Weile glauben - die sollen mich an nichts hindern, und ich hoffe noch manche glückliche Stunde mit ihr über ihr gütiges Zutrauen in ihre Schiedsrichter zu lachen. Daß der Propst ihr mit seinen Augen und Händen so nahe gewesen - könnte mir unter jeden andern Umständen anstößig vorkommen - hier wäre es eben so lächerlich, als wenn sich einer dabey aufhalten wollte, daß ein Priester seine Geliebte bey der heiligen Taufe schon vor ihm in den Armen gehabt habe. Ohnehin - wäre es auch nur um der einfältigen Nachfragen wegen der Dreyeinigkeitssteine - würde ich das Mädchen eben so wenig ihren vorigen Bekannten unter dem Gesichte lassen - als sie jemals nach Berlin bringen, das auf keine Art dieser Perle werth ist. - Nein, Eduard! fern von euern Vorurtheilen - euren Etiquetten - eurem Neide und euren Sarkasmen - will ich mit Freuden mein Abzugsgeld in die königliche Invaliden=Casse bezahlen - und in einem weniger sandigen und undankbaren Erdstriche als dem eurigen meiner Einkünfte und meines Lebens in den Armen dieses Engels genießen, ohne mich nur nach euch umzusehen, als in den Zeitungen. Mit meinem runden Charakter, zufriedenen Herzen, und mit der philosophischen Laune, die mich nirgends verläßt, will ich das Ding, das den meisten Leuten so schwer wird, schon möglich machen, und will es in Ruhe erwarten, was du zu dem Plane meines Glücks sagen wirst, wenn du mich einmal, wie ich hoffe, in meinem Winkel besuchst.
Da meine Feder - wie gewöhnlich, wenn sie das Herz führt - so voll und so geläufig ist, so will ich dir ein Project mittheilen, das zu gut in meine Absichten paßt, um es nicht so bald als möglich - vielleicht schon morgen - in´s Werk zu setzen. - Als ich letzthin von Vauclüse zurück kam, begegnete mir nicht weit von Lille ein Mann, der, den Hut tief in die Augen gedrückt, die Arme in einander geschlagen, trocken und ernst einher schritt. Eine dänische Docke, die traurig ihm nachschlich, und nicht den Muth hatte einen Sprung in das Feld zu thun, war sein Begleiter. Das letztere fiel mir zuerst auf. Ich denke immer nicht gut von einer Haushaltung, wo ich die Freundschaft zwischen Herrn und Hund gestört finde. Ich erkundigte mich nach diesem Fremden - erst bey einem Bettler, dem er trotzig etwas in den Hut warf, und nachher bey einigen Bauern, denen er nicht dankte, als sie ihn grüßten - und so erfuhr ich gar bald seine Geschichte. Es war ein Graf aus Kopenhagen, welcher dort der Regierung einen Dienst erwies, der ihm durch eine große Geldsumme belohnt ward. Wie es aber manchmal mit solchen Belohnungen geht: sie füllen den Beutel und belasten das Herz. - Es ward ihm zu enge in der Königsstadt. - Er gab es der dicken Luft Schuld, und flüchtete sich hieher, wo er in der herrlichsten Gegend so lange störte, bis er ein Dörfchen fand - so freundlich und wohl gelegen, als man sonst nur in Kupferstichen zu sehen bekommt. Hier ließ er sich nieder und baute sich an. - Aber was half es? Seine Unruhe ist noch immer dieselbe, und es fehlt ihm auch hier der Athem - Clärchen könnte ihm begegnen, er sähe sie nicht. Immer in tiefen Gedanken, sprachlos und mürrisch, starrt er die reitzendsten Gegenstände der Natur an, ohne Gefühl, ohne Genuß: - und doch, wie ich dir schon gesagt habe, ist der Mann reich - sein eigener Herr - und machte sich schon in seiner Jugend sehr verdient um den Staat; denn er verrieth Struenseen, der sein Freund war. So bald er sein Haus gebaut, eingerichtet, und seinen Garten in englischem Geschmacke gepflanzt hatte, stand ihm auch schon alles wieder zum Verkauf, und er beut es noch aus. Ich kann gewiß einen guten Handel thun, wenn ich es ihm abnehme, und ich zweifle nicht, daß er mir auch seinen armen traurigen Hund überläßt. Was ein unruhiges Gewissen baut, habe ich immer bemerkt, ist gemeiniglich prächtig und schön; es wird nichts gespart, um das Auge zu befriedigen und durch Bequemlichkeit und Anmuth den Sinnen zu schmeicheln - und wenn die Absicht fehl schlägt, bekömmt es ein anderer um das halbe Geld. Dann kommt es nur darauf an, daß der zweyte Besitzer ein zufriedenes Herz mit in den Ankauf bringt, um der Hoffnung habhaft zu werden, die dem ersten mißlang, und das, was die Natur und die Künste gewähren, mit freudigem Dank gegen sie zu genießen. Nun kann ich wohl sagen - wenn ich vollends mein Unrecht gegen Clärchen wieder gut mache - daß ich in der Welt Gottes nichts wüßte, was ich mir vorwerfen sollte. Es geht mir mit meinem Gewissen wie einem Gesunden mit seinem Magen: ich fühle gar nicht wo es liegt. Ich habe mich immer in Acht genommen dem Staate wichtige Dienst zu leisten; und die Hypochondrie, die ich mir nur durch mein einfältiges Studiren zuzog, ist Gott sey gelobt! in der heitern Luft dieses Landes verdunstet. - Bey diesen Vorzügen, was für eine allerliebste Wirthschaft kann ich mir nicht einrichten, und welche gute Menschen um mich her versammeln! Da ist mein alter Johann - der schickt sich ganz vortrefflich zu einem Haushofmeister - und die kleine Margot wäre zur Kammerjungfer bey meiner Frau wie gefunden. Nach Clärchen wird sie immer die erste Zierde meines Hauswesens seyn, und es ist mir beynahe nothwendig, daß ich sie mir in die Nähe bringe - denn sonst geht es mir gewiß zeitlebens mit ihr, wie es unserm alten Freunde, dem Major, mit dem Neidnagel an seinem Daumen geht, der ihn noch immer schmerzt so oft das Wetter sich ändert, ob er gleich schon im siebenjährigen Kriege die Hand mit sammt dem kranken Finger verlor. Nehme ich nun noch - wie ich Willens bin - den Prologus und seinen Bruder in meine Dienste - so habe ich auch ein Theater, und will sicher vergnügter und glücklicher leben, als selbst Voltaire zu Fernay gelebt hat: denn ich hätte, neben allem dem was er besaß - außer seinem Genie - obendrein eine junge liebenswürdige Frau, deren er auf keine Weise werth war, und läge nicht, wie er, mit Monarchen - Schriftstellern und Buchhändlern beständig im Streite. - Herr Fez würde sich gewiß lieber, glaub´ ich, todt schlagen lassen, als daß er meine erreurs herausgäbe.
Wie doch oft das ganze Gewebe eines zufriedenen Lebens an dem flatternden Faden eines Augenblicks hängt! Wohl dem, der ihn noch zu fassen weiß, ehe er entwischt. Bester Eduard! Seit ich durch das Leben schlendere - doch schon eine hübsche Zeit! - habe ich noch nicht halb so viel Wohlbehagen empfunden, als in dieser laufenden Stunde. Mein Herz ist weder trotzig noch verzagt - weder gleichgültig noch trunken; - aber es ist gerührt, zum sichersten Beweise, daß es auf der rechten Spur ist. Durch wie manche unmuthige Jahre und manche Irrthümer des Verstandes, theuerster Freund, habe ich mich nicht durcharbeiten müssen, ehe ich an dem großen Rade meines Schicksals den Punkt traf, auf dem alles beruht! Wie froh bin ich, daß ich jene windschiefen Anlagen unserer bürgerlichen Verfassung hinter mir habe, in denen ich so lange den Plan meines Glücks suchte! Mein Gott! wie viel verderben wir nicht Zeit, um richtig sehen zu lernen! Es liegt doch so wenig Belohnendes und dabey so viel Unedles in allen den leidenschaftlichen Blicken, die wir bald in diesen bald in jenen magischen Spiegel thun, in der Hoffnung, es werde doch Einer, statt leerer Schatten, uns eine selbstständige Zufriedenheit zurück strahlen - daß es kaum zu begreifen steht, wie sich so mancher vernünftige Mann länger dabey herum treiben kann, als nöthig ist um ihn von der Eitelkeit seines Bestrebens zu überzeugen. Diese Ueberzeugung muß doch gewaltig schwer seyn, da sie, trotz der ewigen Beyspiele, so wenig Menschen gelingt, als bis ihre Laufbahn geendigt und es zu spät ist. Warum, ich bitte dich, unterscheiden wir das Glück durch Beynamen? - Giebt es denn, wenn wir philosophische auf den Grund sehen, mehr als Eine Art? - Häusliches Glück ist auf dieser Welt das einzige, was der Mühe lohnt. - Alle übrigen Spielarten sind eben so viele Aftergeburten, die einzeln nigends hinreichen, und nicht verdienen den Stammnamen zu führen, ehe sie nicht mit jenem auf das genaueste verknüpft sind.
Wollen wir unserm Stolze und unsern leidigen Vorurtheilen nicht das Wort reden, so müssen wir alle über die Zusammensetzung menschlicher Glückseligkeit darin übereinkommen, daß sie in nichts anderm bestehe, als - in einer einfachen Lebensart - einem mäßigen Auskommen - einer leidlichen Gesundheit, und in den Freuden und Folgen einer keuschen Liebe. In meiner Jugend, wo ich mich stark auf die Physik legte, konnte ich es lange nicht ausgrübeln, woher die Temperatur meiner Studierstube käme? ob davon, daß die Wärme hinaus zog? oder davon, daß die Kälte herein drang? Nun kann ich es zwar auch jetzt noch nicht auf das schärfste demonstriren; aber so viel habe ich doch gemerkt, daß man wohl thut beydes anzunehmen und darnach zu handeln, wenn man frey und gesund athmen will. Denselben Versuch werde ich für das Künftige auch auf mein geistiges Daseyn anwenden - und es müßte nicht gut seyn, wenn ich nicht zuletzt - wo nicht nach der Theorie, doch nach der Erfahrung - den Grad von Behagen herausbringen wollte, der den Organen meiner Seele am angemessensten und zuträglichsten ist. - O Clärchen! Was hätte ich nicht alles in dir verloren, wenn ich nicht, selbst noch auf der letzten Linie, die schon zu unserer ewigen Scheidung gezogen war, schnell umgekehrt wäre - wenn ich mein Endurtheil über dich nicht wieder zurück genommen, und mich nicht zu einer Denkungsart ermannt hätte, die zu deinen ungewöhnlichen Tugenden paßt, und wie ich sie gegen Gott und die Welt verantworten kann! - Dank sey dem ewigen Urheber der Natur, der dich in dem Raume meiner Zeit werden ließ, und das seltenste Geschöpf seiner Hand für einen guten Mann aufhob!
Bastian soll in Gottes Namen die Postpferde wieder aussagen. Der Reisepaß, den mir der Domherr mitbringen wird, kann noch einige Tage liegen, bis ich meine Angelegenheit mit dem dänischen Grafen und mit Clärchen in Ordnung gebracht habe. Nach Tische will ich mit dem Engel sprechen, und mich ohne weitern Aufschub ihrer lieben, kleinen, schreckhaften Hand versichern. - Es wird eine rührende Scene geben. Sie, die nichts im geringsten von dem Glück ahndet, das ihr bevorsteht - wie wird sie nicht über den schnellen Uebergang aus der Aufsicht einer grämlichen Tante, in die Arme ihres Wunderthäters erstaunen! Ihres Wunderthäters? Nun das wollen wir weiter nicht rügen! Ein liebendes Weib, Eduard, ist wie das Reich Gottes. - Trachtet am ersten nach diesem, wo wird euch das übrige schon zufallen. Auf die Fortsetzung meiner frohen Gemälde mußt du nun in Geduld warten, bis die Tafel abgehoben seyn wird. - Geht es mir selbst doch nicht besser. - Jetzt muß ich dem Domherrn entgegen gehen, den ich die Treppe herauf kommen höre - - -
* * *
Mein Abschiedsschmaus ist beynahe vorbey. Ich habe mich von der muntern Gesellschaft, die noch um den Tisch sitzt, weggestohlen, um dir alles noch frisch aus dem Gedächtnisse zu erzählen, wodurch sich dieses Fest vor andern auszeichnet, und um erst alle Nebendinge bey Seite zu schaffen, ehe ich in der Geschichte meines Herzens den Faden wieder aufnehme.
Daß mir der Domherr meinen Reisepaß und eine Quittung über das unverbrennliche Blatt, nebst der Lossprechung von allen Schäden und Unkosten, mitbrachte, versteht sich. Er übergab mir eins wie das andere im Namen des Legaten, unter wiederholter Versicherung seines Dankes und seiner Ehrerbietung, während Bastian meine Tafel anordnete, und ein so prächtiges Versöhnungsmahl auftrug, als es je eines gegeben hat, und das gewiß der Einweihung eines jeden Wunders würde Ehre gemacht haben. - Du verlangst wohl nicht, daß ich dir, von der Suppe bis zum Desert, jede Schüssel beschreibe? - Genug! der Speisewirth hatte sich angegriffen, da er hörte, daß die Gerichte für einen so wichtigen Mann als mich - und zu der Glorie der heiligen Dreyfaltigkeitssteine bestimmt wären. Nur über den Wein, den wir tranken, mußt du mir erlauben ein Wort zu sagen.
Bastian hatte ganz meinen Willen, und wie ich bald nachher sah, auch den Geschmack meiner Gäste getroffen. Außer einem feurigen Burgunder, mit dem er mich mein Gastmahl eröffnen ließ, durfte ich auch nicht fürchten, wie auf der Hochzeit zu Canaan, mit einem schlechtern zu enden; denn es warteten schon auf einem Nebentische eben so viel andere Flaschen Vin de Syllerie auf die Auswechselung, die ihnen bevorstand. Ehe noch dieser herrliche Wein an die Reihe kam, empfahl er sich schon, als ein alter guter Bekannter, meinem Gedächtnisse. Er erinnerte mich scherzend an die Wirkung, die er den Abend auf mich that, wo ich den ersten Sturm auf Clärchen wagte, den die fromme Tante so unfreundlich abschlug. Eben so ernst aber erinnerte er mich auch an den Augenschein, den er mir damals von der strengen Zucht verschaffte, in der mein Clärchen stand - die mir eine so beruhigende Rücksicht als glückliche Aussicht gewährte, und für die nur Gott unsere gute Alte belohnen kann. Wie viel mag die rechtschaffene Frau nicht Liebhaber vor der Thüre dieses Engels so gut abgewiesen haben wie mich! Ich sehe sie noch in Gedanken mit ihrem Wachsstocke vor mir stehen, und überlege jetzt mit billigerm Gefühle alle die eindringenden Worte, die meine wilde und nach Verdienst bestrafte Leidenschaft so übel aufnahm, ob sie gleich nichts enthielten als Clärchens Lob. Unter diesem Selbstgespräche im Angesichte meiner Flaschen hob ich eine davon in die Höhe, um die gedruckte Etikette zu lesen, die daran war. - Gewiß habe ich nie eine mit mehrerer Achtung gelesen. Denke dir nur, ich fand auf ihr den Namen einer Frau, die, nicht minder tugendhaft als unsere Bertilia, ihre Nichten auch eben so sorgfältig erzieht - einen Namen, der vor vielen der trefflichen Schriften steht, wie hier vor dem geistreichsten Getränke - mit Einem Worte, den Namen der ehrwürdigen Genlis, die, wie du vielleicht nicht weißt - die besten Rebenberge von Sillery im Besitz hat. Wohl dem, der einen guten Ruf vor sich her trägt! - Eine Weinflasche sogar, die uns darauf zurück weist, kann dadurch einem verständigen Manne interessant werden. Als ich nachher bey Tische meiner kleinen Unschuldigen das erste Glas davon weihte, war mir wirklich, als hätte ich es aus dem heiligen Brunnen der Vesta geschöpft, um eine ihrer schönsten Dienerinnen damit zu laben. Doch wenn ich so fortfahre, möchte wohl am Ende meine Erzählung nicht undeutlich verrathen, wie bunt es alleweile in meinem Kopfe aussieht; und doch darf ich mit gutem Gewissen es nicht einmal dem Weine Schuld geben, den ich lobe - denn du mußt wissen, Eduard, daß, wenn ich eine Gesellschaft bewirthe, welche Aufmerksamkeit verdient, ich bey so vielen Eigenheiten, auch die an mir habe, daß ich den Wein kaum koste, den ich meinen Gästen in vollen Gläsern zubringe, weil ich immer gefunden habe, daß der Geist meiner Flasche geschickter ist als mein eigener, um den ihrigen zu entwickeln, und mir das Spiel des menschlichen Herzens frey zu geben, in dessen Beobachtung ein Kopf wie der meinige ein ungleich größeres Vergnügen findet, als in seiner Berauschung. Der schöne Plan meiner Zukunft, mit dem ich mich zu Tische setzte, erwärmte auch ohnehin mein Blut zur Genüge. - Alles was ich sprach, sah und hörte, und aus meinen Bemerkungen abzog - hatte immer einen geheimen Bezug auf ihn. Zuerst fing ich an für mein Hoftheater zu sorgen. - "Ein so festlicher Tag als der heutige," wendete ich mich an meinen Nachbar, indem ich ihm zugleich ein Glas Vin de St. George reichte, "sollte alle Feindschaften aufheben - alle Gefangenen los und ledig lassen. - Allen Sündern" - übersetzte ich ihm aus Schillern - "soll vergeben, keine Hölle nicht mehr seyn." - "Das ist recht!" erwiederte mir der Domherr, und stürzte das volle Glas hinunter, das ich ihm geschwind wieder füllte, um ihn nicht lau werden zu lassen. - "Sie sehen," fuhr ich nach dieser Einleitung fort, "hinter ihrem Stuhle" - er sah sich um und erkannte die Puppenspieler - "ein paar Unglückliche, die ehemals, ich will nicht sagen wie zweckmäßig - mit lebenden Personen die Hölle - und das Paradies mit Puppen vorstellten, und sich durch beydes - wie es voraus zu sehen war - den Haß Euer Hoch=Ehrwürden zuzogen. Wie lange ist es nicht schon her, Clärchen, daß die armen abgesetzten Teufel Ihretwegen im Elende schmachten? Bitten Sie mit mir Ihren würdigen Nachbar, daß er die Strafe aufhebe. Es ist einem Manne in Purpur so anständig, Gnade für Recht ergehen zu lassen = =" - Hier schlürfte der Prälat mit stolzem Hinblick auf seinen Mantel das dritte Glas langsam über die Zunge, und ich fuhr schon traulicher fort: - "Ja, bester Freund, thun Sie es mir zu Liebe! Wirken Sie den beyden Brüdern - wäre es auch nur weil sie bey dem heutigen großen Wunder an meinen verschlossenen Thüren auf der Wache standen - ihren Abschied aus! Keiner, der zur Zeit einer heiligen und übernatürlichen Erscheinung auf dem Posten gestanden, sollte nachher noch zu gemeinen Diensten erniedrigt werden, wenn sie auch dem Staate noch so nothwendig wären. Das besagen selbst die kanonischen Rechte, und es schlägt sogar, lieber Herr Domherr, ein wenig in die Immunitäten der Geistlichkeit ein. Für das ehrliche Unterkommen dieser Leute übrigens wollen Wir" - kam mir der Puralis in geheimer Beziehung auf meine Nachbarin in den Mund - "schon sorgen;" aber ich lenkte eben so geschwind wieder ein: "Ich, theurster Mann, wollte ich sagen, will schon sorgen, daß ihnen so leicht kein Kind in den Weg kommen soll." - Der Domherr nahm ein Amtsgesicht an. - "Das wäre wohl alles ganz gut," antwortete er mit vieler Behutsamkeit: "aber wir müssen die Sache doch erst aus ihrem rechten Gesichtspunkte betrachten. - Das ist meine Art so. Die Leute da - stehen in päpstlichem Solde. - Ihre Bestrafung gehörte zwar wohl in mein Fach, aber nicht ihre Begnadigung." - "O," fiel ich ihm ruhig in´s Wort, "das Militär des heiligen Vaters - so wie auch ihr Hauptmann, der sie der Armencasse abkaufte, sollen nicht im mindesten dabey zu kurz kommen. - Seine Auslage - soweit sie nicht schon abverdient ist - bin ich erbötig ihm von meinen eroberten Prozeßkosten zu ersetzen: und wenn der Hauptmann sein Handwerk versteht, wird er mit beyden Händen zugreifen; denn ich dächte man sähe den guten Leuten die Schwindsucht so ziemlich schon an, die ihnen ohnehin die Bärmützen bald abnehmen wird." - "Ja, wenn das ist," besann sich der geistliche Herr, "so ist mir selbst zu viel daran gelegen, nur freundliche Gesichter in meinem heutigen Zirkel zu sehen, als daß ich nicht gern eine Sache vermitteln sollte, die mir im Grunde ganz gleichgültig ist; ob ich gleich nicht begreife, wodurch sich diese leichtsinnigen, liederlichen Bursche = =" - Hier fielen die beiden Brüder dem gestrengen Herrn so demüthig zu Füßen, daß er inne hielt, und nicht das Herz hatte ihr Porträt auszumalen; vielmehr entstand nun, durch sie, ein Streit der Großmuth unter uns beyden; denn der Prälat wies sie mit ihrem feurigen Danke an mich. Da ich aber ohnehin überzeugt war, daß ihr Gefühl sich nicht irre, so verbat ich alle unnöthige Aeußerungen desselben, und, indem ich den Prologus abschickte, um eine der Flaschen mit der vornehmen Aufschrift - den Epilogus aber, um frische Gläser zu holen, drückte ich zugleich meiner heimlichen Braut, voller Vergnügen über dieß erste, für unsere Haushaltung gelungene Geschäft, zärtlich die Hand, und sah im Geiste schon die Lichter auf unserm Theater brennen. - "O, du liebe kleine Unwissende!" richtete ich meine süßen Gedanken an sie, "wie will ich alle schöne Künste zu deiner Unterhaltung und zur Bildung deiner Seele aufbieten! Wie wirst du deine mächtigen blauen Augen aufreißen, wenn ich dir an manchem fröhlichen Abende auf meiner kleinen Bühne die Scenen der großen Welt und die Thorheiten der Höfe zur Schau stelle, wovon du noch keinen - zum Glück für deinen Zeitvertreib - noch keinen Begriff hast; denn wärest du damit schon so bekannt wie ich, würden sie dir nur Langeweile verursachen. - Für geputzte Drahtpuppen, und was sonst von Decorationen dazu nöthig ist, will ich schon sorgen. Habe ich doch meinen Eduard dort, der mir zu Liebe die Lieferung gern über sich nehmen, und darauf Acht haben wird, daß sie auf das getreueste nach der Natur copirt werden. Es ist eine leichte Sache, daß er sie mir alle Jahre erneuert; so verlör ich selbst - noch so fern vom Hofe - keine Veränderung, die unter den Hauptpersonen vorfällt, und könnte sonach, mit Beyhülfe der öffentlichen Blätter, der Illusion und meiner Vorkenntnisse, immer noch mit meinem lieben Vaterlande in einiger Verbindung bleiben. - Das wenige, was allenfalls mir ein Heimweh verursachen könnte, wirst du, bestes Mädchen, mir zehnfach ersetzen. Wie werden mich nur allein deine kindischen Erinnerungen an die vorigen Zeiten ergötzen, wenn - wie ich mir launig ausgedacht habe - der Sündenfall unser Theater eröffnen soll, über den du - wie wir alle - deine Semmel vergessen, und aus dem sich - nicht anders als bey uns - alles dein Glück und Unglück entsponnen hat! Das zweytemal sollst du dieses herrliche Stück nicht bloß von der hintersten Bank aus lorgniren - das verspreche ich dir, armes gutes Kind!"
Es ist doch gewiß, Eduard, daß die Hoffnungen der Liebe auch der gemeinsten Sache einen eigenen Reitz geben! Ich glaube, mein Herz hätte noch eine Stunde mit seinem kleinen Abgotte so forttändeln können, ohne es müde zu werden, hätte nicht der belobte Weine, der nun aufgesetzt war, mich an meine Gäste erinnert. Mit allen den verborgenen Kräften, die der Geist der Natur in ihn gelegt hat, stand er freundlich in unserem Kreise, und wurde nun = = = Ja freylich, wenn ich mir es bequem machen wollte, dürfte ich dir jetzt nur in zwey Zeilen sagen, wie viel Flaschen davon getrunken wurden, und du müßtest wohl damit zufrieden seyn. Mancher andere würde glauben sich an der Präcision zu versündigen, wenn er ein Wort mehr darüber verlör. In seinem Tagebuch kann er auch wohl Recht haben - das will ich ihm nicht abstreiten. In dem meinigen aber ist es, glaube ich, schon nothwendiger, daß ich die Mühe der Pünktlichkeit, die ich bis jetzt nicht gescheut habe, am wenigsten bey dieser Gelegenheit aus der Acht lasse, und jedes einzelne Glas, das meine Gäste tranken, mit meinen Anmerkungen begleite, um dir den Stufengang der Empfindungen auf das genaueste zu schildern, die es in ihren Seelen erregte, da es doch sicher und gewiß ist, daß für einen Beobachter auf dem Grunde einer Flasche ganz andere Erscheinungen liegen, als in der Nähe des Stöpsels, und daß man sehr übel thun würde, sie unter einander zu mengen. Aus dem Schaume des ersten Glases - wenn ich anders richtig gesehen habe - breitete sich ein Schimmer natürlicher Fröhlichkeit aus, der, nach meinem Urtheile, den beredtesten Dank für die Wohlthaten Gottes enthielt. Clärchen sah dabey allerliebst aus. Das zweyte entwickelte zu meinem Vergnügen jene Lebhaftigkeit des Geistes, die uns zu witzigen verwegenen Scherzreden oft herzhafter macht als es gut ist. Der Prälat brachte zuerst eine hervor, die für diejenigen, die den kühnen Schwung davon einsahen, viel Salz hatte. Die fromme Bertilia selbst ward ganz munter darüber; für ihre unschuldige Nichte freylich war das feine Räthsel so gut wie verloren, und mir ward schon angst, wie ich auf eine gute Art dem fröhlichen Drange ihres Bluts einen Ausgang verschaffen sollte, als ihm glücklicher Weise der Epilogus Luft machte. Er reichte ihr zwar nur einen Teller - aber wenn das Gemüth einmal zur Freude gestimmt ist, bedarf es auch nur einer Kleinigkeit, um ihr Spiel in Bewegung zu setzen. Es fiel ihr, wie sie uns zur Entschuldigung sagte, seine komische Figur vor ihrem Bette zu Cavaillon, und ihr kindisches Schrecken ein, das ihrem Bedürfnisse zu lachen jetzt ungleich besser zu Statten kam, als damals ihrem Bedürfnisse zu schlafen. Ich kann dir nicht sagen, Eduard, wie gut ihr diese kleine körperliche Erschütterung stand! Es war das erstemal, daß ich die Perlen der Zähne, wie an eine Schnur gereiht, zu sehen bekam, und es war zu verwundern, wie, nach so vielen Entdeckungen in dem Gebiete ihrer Schönheit, mich diese noch so angenehm überraschen konnte. Diesen hübschen Anblick, dachte ich, willst du dir oft verschaffen; und um ihn mir auch jetzt noch eine Weile zu erhalten - schenkte ich geschwind - Reihe herum noch einmal ein, und gewann dadurch - - zwar nicht gerade was ich hoffte - aber für einen Anblick von einer - wenn es möglich ist - noch lieblichern Art. - Die funkelnden Augen meines Clärchens und des Domherrn geriethen an einander. - Das alte Mißverständniß des geistlichen Herrn, der bis jetzt noch immer ein wenig vornehm und zurückhaltend gegen seine schöne Nachbarin geblieben war, schien schnell von dem holden Gedanken der Vergebung zu weichen. Er schlürfte seinen Wein mit bedächtigerm Hinblick auf das sanfte Spiel der Wellen hinunter, die den heilige Nicaise höchst malerisch schaukelten, und gerieth dabey, wie es mir vorkam, in jenes gutmüthige Erstaunen, das unserm großen Friederich so oft in die Augen steigt, wenn er eine beym Antritte seiner Regierung magere und kahle Gegend - angebaut und in blühendem Zustande wieder sieht. Er reichte seiner ehemaligen Pflegetochter die Hand, die, äußerst gerührt, mir sogar die ihrige entzog, die ich zärtlich in der meinen gefangen hielt, um ihn mit beyden für die Wiederkehr seiner väterlichen Liebe dankbar zu schmeicheln.
Es war, wenn du mir nachrechnen willst, das zwölfte und letzte Glas der einen Bouteille - (hier, mußt du wissen, ist in allem größer Gemäß als zu Berlin) - das mir zu dieser höchst rührenden Scene verhalf. Gott sey gelobt und gepriesen, daß es nicht auch die letzte Flasche war! In der zweyten, die ich mir zur Fortsetzung meiner stillen Bemerkungen geben ließ, lagen noch ganz andere Erscheinungen verborgen. Der gelüftete Pfropf flog mit einem Knalle - der in der Welt schon manches Mädchen erschreckt hat, und dem Ohre eines Kenners so wohl thut - an die Decke, und der Wein hielt, was sein Herold ankündigte; denn zweymal mußte ich geschwind hinter einander die Flötengläser Reihe herum füllen, um dem tobenden Schaume seinen Willen zu thun, ohne in diesen theuern Minuten Zeit zu haben auf meine Gäste zu achten. Desto mehr überraschten sie mich, als ich meine Flasche neben mir setzte, und mich nach ihnen umsah. Ach, mein Gott wie hoch waren inzwischen nicht ihre Empfindungen gestiegen! - Ich erstaunte über die unglaubliche Veränderung, die ich antraf. Ist das mein Clärchen, fragte ich still vor mich hin, die so freundlich den unzähligen Küssen zusieht, die der entzückte Prälat ihren Händchen aufdrückt? - Sind das die Augen eines Kindes, das sich gegen seinen Vater entschuldigt? Sind das die Blicke eines beleidigten Wohlthäters, der seiner Pflegetochter verzeiht? Hurtig! sagte ich zu mir selbst, schüttelte meine Bouteille, und füllt auf´s neue die Gläser bis an den Rand; und nun sah ich noch deutlicher, wie weit das Geschäft ihrer Versöhnung gediehen war. Erst alsdann stürzten sie es - mit buhlerischem Gelächter, sage ich dir, stürzten sie es hinunter, und der Traum - meiner häuslichen Glückseligkeit war dahin! Die Wiedervereinigten achteten nicht mehr der Augen, die sie belauschten, noch der aufmerksamen Ohren, die ihnen zuhörten. Sie verhandelten ihre Angelegenheiten so offen, daß der Prologus und sein Bruder mich anlächelten, und mir fragend zuwinkten, ob sie nicht recht gehabt hätten? - O, ja! ihr guten Leute, dachte ich, ihr habt nur mehr als zu wahr gesprochen. Und da ich sah, daß der Domherr nicht aufhörte dem lachenden Mädchen in die Ohren zu flistern - die Perlen ihrer Zähne immer näher betrachtete, und mir sogar für die Sicherheit des Orts bange ward, der die heiligen Steine verwahrte, so fing ich - nicht mehr für mich, das wirst du mir zutrauen - aber für die armen Puppenspieler fing ich zu fürchten an. Wenn er, sagte ich heimlich zu mir, das Glas noch trinkt, das ich eben im Einschenken war, so bist du um ein gutes Werk, und deine Hofacteurs sind auch noch um ihren Abschied betrogen, wie sie es schon um ihr neues Theater sind. Ich faßte Herz - zog das Glas zurück, und, - "Sie dürfen es wahrlich nicht eher trinken, lieber Mann," sagte ich, "bis Sie meinen Grenadieren ihre Entlassung zur Stelle gebracht haben. - Alsdann aber trage ich Ihnen auch dafür noch zwey - drey Bouteillen von diesem guten Weine auf, der Ihnen nur desto besser schmecken wird, wenn Ihnen kein anderes Geschäft mehr abzuthun bleibt als Ihr eigenes." - Diese kurze, unversehene Anrede brachte ihn auf die Beine. - "Gut, gut!" sagte er, "davon will ich bald genug wieder zurück seyn. Hüten Sie mir indeß das Glas, liebes Clärchen, das ich stehen lasse," - und so küßte er noch einmal ihre Hand, nahm seinen Hut und ging.
Jetzt, dachte ich, wird sich das Mädchen besinnen, und vor Scham vor deinen Augen vergehen. Aber ich dachte nicht klüger als vor drey Stunden, als ich mit ihr in der Bibliothek war. - "Das ist heute," drehte sie sich zu mir, "ein glücklicher Tag. Der gute würdige Herr! Wir haben uns über das Vergangene besprochen. - Er hat mich tausendmal um Verzeihung gebeten, und wir sind nun bessere Freunde als jemals. Und wissen Sie wohl," wendete sie sich gegen ihre Tante, "ich ziehe noch diesen Abend zu ihm? - Er verlangt es durchaus. - Wenn Sie also, meine Beste, so gut seyn wollten, mit mein Paket zusammen zu schnüren = =" - "Siehst du wohl," fiel ihr die Tante in´s Wort, "daß ich Recht hatte, wenn ich dir manchmal Behutsamkeit anrieth, und dir die Rückkehr deines alten Freundes wahrsagte? Ich verstehe, Gottlob, den Rummel." - "Ganz gut!" antwortete ihre unbefangene Nichte: "aber ohne die Vermittlung dieses fremden Herrn," o, wie gab mir ihr Lob einen Stich in das Herz! "wer weiß, wie lange ihre Prophezeiung noch außen geblieben wäre!" - "Uebrigens", fuhr die Alte fort, "wüßte ich nichts was ich lieber zuschnürte als dein Paket; denn der Propst schien heute grausam aufgebracht über dich wegzugehen, und ganz sicher müßte ich wieder in das Spital wandern, wenn du meine einzige Nichte wärest." - Mit diesen Worten, die ich mit einer Verschämtheit anhörte, die du einem Menschen wohl zutrauen darfst, der weder in Berlin noch anderwärts - und auch hier ganz unschuldig, in so ein Haus gekommen, stand das scheußliche Weib auf, wodurch sie meinen Augen gewiß keinen Possen that. Indeß beunruhigte mich ihre Entfernung auf einer andern Seite, da ihre schöne Nichte, die ich vor Abscheu nicht mehr ansehn konnte, wieder mit mir allein blieb. Doch mein Freund, der Zufall, schlug auch dießmal in´s Mittel. Indem die Alte zur Thür hinaus trat, war Bastian im Hereintreten - "Herr Fez," rief er mir zu, "bittet sich die Erlaubniß = = =" - "Geschwind laß ihn ein," fiel ich ihm in´s Wort; und der wackere Mann näherte sich mit einer tiefen Verbeugung. Wir haben uns immer, wie du weißt, mit halben Worten verstanden - so auch jetzt. - "Ich habe nicht versäumen wollen, an diesem frohen Tage = =" - "Ja wohl, ja wohl, lieber Herr Fez! Glücklicher habe ich in meinem Leben noch keinen = =" - "Könnte ich denn nicht, mein Herr, das unverbrennliche = =" - "O, das Wunderblatt! das sollen Sie gewiß = = Aber jetzt nehmen Sie nur Platz, lieber Herr Fez, - hier, neben Clärchen - und Sie, liebes Kind, bringen Sie doch dem Herrn das Glas zu, das vor Ihnen steht!" - Ohne sich zu besinnen, reichte sie es ihm, so wie es ihr der Domherr zu hüten gegeben hatte - und mit der sichtbarsten Freude nahm er es aus ihrer Hand.Und ich, Eduard, freue dich, bekam dabey einen Einfall, der, wenn er auch sonst nichts werth ist, dich doch wenigstens über meine aufrichtige Verachtung für dieses Geschöpf vollkommen, wie ich hoffe, beruhigen soll. - "Sie haben," redete ich den Buchhändler an, "immer so viel Achtung und Liebe gegen das fromme Kind gezeigt, das Sie unter Ihren Augen aufwachsen sahen, so daß es Ihnen gewiß eine herzliche Freude machen wird, zu erfahren, wie hoch zu Ehren = = = doch, liebe Kleine!" unterbrach ich mich selbst, "es fällt mir schwer auf´s Herz, daß ich vor meiner Abreise noch vieles zu berechnen habe. - Sie könnten mir ja wohl die Erzählung abnehmen, die dem Herrn Fez aus Ihrem Mund viel lieblicher klingen wird als aus dem meinigen. Zeigen Sie doch dem wackern Mann den Ort, wo das berühmte Buch stand - Und seyn Sie = = trinken Sie aber noch erst jedes ein Glas von meinem freundlichen Weine - ein wenig gefällig gegen seine Neugier. Ich habe - Sie wissen wohl, liebes Clärchen, noch mancherley kleine Ansprüche an Sie - Und kann sie wirklich nur gern an einen Mann abtreten - dem ich so viel Dank schuldig bin, als dem Herrn Fez. - Hauptsächlich aber, bitte ich Sie, in Erwägung zu ziehen, daß zur Ausbreitung eines Wunders die Freundschaft eines Buchhändlers der sicherste Weg sey." - Meine Vorstellung machte Eindruck bey ihr, wie bey einem Gelehrten. Sie dachte jetzt nur an ihre Legende, stürzte ihren Wein hinunter, und trat voller Begeisterung der wartenden Nachwelt entgegen.
Es ist mir zwar nicht mehr möglich genau nachzukommen, das wie vielte Glas es war, das sie zuletzt trank; aber so viel kann ich, nach der leichten Art, mit der sie mein Vorwort zu Gunsten des Herrn Fez aufnahm, doch berechnen, daß ein Gemisch darinnen müsse gegohren haben, von dem schon jedes nicht ganz verlorne Mädchen den stärksten Ekel verrathen würde, ehe sie es an den Mund brächte. Und dieses Geschöpf - rief ich ihr nach, wie sie dem armen Herrn Fez den Weg wies - konntest du, durch eine Kette von Sophistereyen, deinen besten Wünschen so nahe bringen? konntest - ohne betrunken zu seyn - das Ideal einer würdigen Gattin in ihr entdecken, und hast es bloß einer Flasche Champagner zu danken, daß du deinen Freunden - daß du dir selbst nicht verächtlich, und das Gelächter des ganzen Comtats wirst? Was wäre aus dir geworden, wenn die Heuchlerin deinen schon gefaßten Entschluß errathen - deine Händedrücke besser verstanden, und dir selbst die Gläser eingeschwätzt hätte, die du ihr zutrankst! - O, was für ein armseliges Ding ist es um den menschlichen Verstand! und wie unbegreiflich wird es mir in dieser Nachmittagsstunde, daß so viele tapfere, gelehrte und würdige Männer von meiner Bekanntschaft - ich müßte ein Ries Papier an ihren Namen verschreiben - das eheliche Eigenthum einer Buhlerin wurden! Arme dänische Docke! du würdest noch einen unfreundlichern Herrn an mir bekommen haben als dein jetziger ist! Und du, mein Johann, und meine gute Margot, in was für eine verstörte Haushaltung hätte euch mein trauriges Geschick bringen können! O, daß ich nie dieser entscheidenden Stunde vergesse! sie jedesmal in meinem Tagebuche nachlese, wenn mich ein frisches unschuldiges Gesicht in solche Lavaterische Trugschlüsse verwickelt, und mir je wieder die Lust ankömmt, meine verwegene Hand an eine schreckhafte zu schmieden! Bastian mag mich so oft an seine Schwester erinnern, als ich eine Kammerthür zuriegeln will, und der Prologus und Epilogus mögen so lange meine Leibwache bleiben, als ich noch einer Wache benöthigt bin; und damit ich endlich einsehen lerne, daß Unschuld und Paradies längstens zum Teufel gingen, sollen sie mir von Zeit zu Zeit ihre Knittelverse vordeclamiren, in denen wahrliche mehr Menschenverstand liegt, als in allen Trauungsformeln und hochzeitlichen Reden.
Während daß die Schöne die Verbindlichkeiten, die mir Herr Fez auferlegt hatte, in der Maße als sie es werth waren, erwiederte - mich an meinem stolzen Feinde, dem Propst, rächte, und dem heuchlerischen Domherrn den ersten Unterricht vergalt, den er ihr, wie es der nun klar ausgesponnene Faden seiner Geschichte bewies, in der Kunst zu betrügen gegeben, freute ich mich über das schöne Verhältniß der Belohnungen und Strafen, die hier der Gott meiner Ode, der Zufall, vertheilte, und dankte ihm herzlicher als jemals für das nicht zu berechnende Gute, das er mir, seitdem mein Mund ihn besang, in dem päpstlichen Gebiete erwiesen.
Ich sah nach meiner Uhr. Wenn du heute noch über die Gränze willst, sagte ich mir, so hast du keine Zeit mehr zu verlieren, und ich pfiff meinen Leuten. "Dort, Bastian, neben dem schlafenden Engel, liegt mein Reisepaß - Trage ihn auf die Post, und bestelle mir sechs tüchtige Pferde, damit ich vom Flecke komme! - Und nun ein Wort mit euch beyden andern - In der Hoffnung daß ihr ehrliche Bursche seyd - vielleicht die letzten, die noch hier sind, und die Gott noch aus diesem Sodom zu retten gedenkt, ehe er es unter Feuer und Schwefel begräbt - will ich euch in meine Dienste nehmen. = = = Laßt mich ausreden und erspart euern Dank! Nun ist es aber - ohne daß ich weiter mit euch Staat zu machen gesonnen bin - nicht möglich, daß ihr mich in diesen päpstlichen Lumpen begleitet; denn alle Leute müßten glauben, ich hätte den heiligen Vater ärger gelästert, als Doctor Luther, und man führte mich deswegen als Gefangenen nach der Engelsburg oder nach der Inquisition. Eben so wenig ist es meine Gelegenheit, so lange noch hier zu verweilen, bis eine Livree für euch fertig seyn kann - und sehe ich sonach kein anderes Mittel, als daß ihr euch bey dem ersten besten Schneider in Ordnung bringen laßt, und mir nach Marseille nachkommt.! - "Ach mein gütiger - ach mein großmüthiger Herr!" nahmen hier die beiden Brüder einander das Wort aus dem Munde. "Sollten wir," fing der Prologus an, "ohne Ihren Schutz nur eine Stunde länger hier bleiben müssen - so ist," setzte der Epilogus nach, "Ihre gute Absicht so gut wie verloren." - "Müßt ihr denn beyde zugleich sprechen?" fragte ich ungeduldig; und nun schwiegen sie auf Höflichkeit beyde, bis ich dem ersten befahl, seinem Range nach fortzufahren. - "Wir haben hier von unsern glücklichen Zeiten her," nahm er das Wort für seinen Bruder mit, den er treuherzig anblickte, "noch einige Schulden - die würden sicherlich aufwachen, und uns auf´s neue in´s Gefängniß bringen, wenn unser Abschied bekannt würde; denn wenn der Soldatenstand auch sonst zu nichts gut wäre, so ist er es doch darin, daß man seine bürgerlichen Schulden nicht zu bezahlen braucht, so lange man Uniform trägt. Aber ich wüßte wohl einen Ausweg. Bey dem getauften Juden, mit dem auch Sie einiges Verkehr hatten, stehen seit jener Zeit ein paar ganz neue Anzüge, noch nicht für den halben Werth versetzt. - Wir gedachten sie - aber es kam nicht dazu - bey einem Vorspiele zu gebrauchen. Wenn Sie uns nun - bester Herr, behülflich wären sie einzulösen, so wären wir auf einmal gekleidet, und die Farben würden sich nicht übel zu Ihrer Equipage schicken." - "Und was wären denn das für Anzüge?" fragte ich. - "Es sind," antwortete der Narr, "ein paar Masken; die eine für mich, stellt einen Satyr, die andere für meinen Bruder, den Jocus vor." - "Nein! das ist nichts, ihr guten Leute," antwortete ich lachend. "Ich reise incognito - und auch ihr müßt euer voriges Handwerk in meinem Dienste vergessen lernen. Aber ist denn," mußte ich schreyen, weil eben mit allen Glocken in die Vesper geläutet wurde, "keine Trödelbude hier?" - "O, mehr als Eine!" antwortete er. - "Nun!" sagte ich, "so geht denn gleich hin, und stoppelt euch in der Geschwindigkeit etwas zusammen, das einigermaßen zu meinen Farben paßt. - Ein grauer Rock - eine rothe Weste - das ist vor der Hand genug, wenn auch übrigens keine Achselbänder dabey sind." - Ich gab ihnen Geld zu dem Handel, und die beyden Brüder sprangen fort, als wenn ihnen das Unglück nachsetzte. Jetzt wäre es ein Spaß, dachte ich, wenn ihr Hauptmann Schwierigkeit mit dem Abschiede machte, und ihnen die Verrätherey gegen Clärchen nachtrüge. - Doch damit hat es wohl keine Noth. - Hingegen mag Gott wissen, was ich mir selbst mit meinem guten Werke für eine auf den Hals lade. Der Theatergeist steckt ihnen noch gar zu fest im Kopfe. Ganz gut, daß sie mir die Sonntage, wo ich etwan einmal die Kirche versäume, ihr Paradies und ihre Hölle vorstelle - doch das wird man in der Komödie am Ende so überdrüssig, als in der Predigt. - Wenn aber nun vollends in den Werkeltagen der eine meinen Hofmarschall wie ein Harlekin, der andere wie ein Cato meinen Kammerherrn machen - dieser wie ein Alexander mir vorschneiden - jener mir mit der Laterne des Diogenes leuchten wollte, so hielt ich das, wie ich mich kenne, in der Länge nicht aus. Das klügste wäre wohl, ich dächte in Zeiten darauf, sie in ein Fach zu bringen, wozu sie Genie haben. Eben fällt mir eines bey. - So viel ich weiß, ist noch keine solche Truppe in Berlin gewesen, wie ehemals die Nicolinische zu Braunschweig. Wie wäre es, wenn die beyden Brüder während meiner Reise durch Frankreich eine Anzahl hübscher Kinder zu einer Pantomime anwürben? - Die Kosten wollte ich allenfalls vorstrecken, ohne daß ich viel dabey wagen würde, zumal wenn ich ein Auge darauf hätte, daß die Actricen etwas für das künftige versprächen. Das könnte wirklich ein Geschenk werden, das schon verlohnte seinem Vaterlande zu machen. - Doch ich vergesse über dieß weit aussehende Project den guten Herrn Fez, Clärchen und ihren Domherrn. - Wären nur meine Pferde da, und meine Leute beysammen! Ich wollte gern die Rückkunft jener nicht abwarten, und weiter ihre Namen in meinem Tagebuche nicht nennen; möchte doch aus ihnen werden was wollte. Meine gegenwärtige Lage fängt an mir recht ernsthaft schlecht vorzukommen, und macht mich ungeduldig und wild. - Thue nur einen einzigen Blick her, Eduard, und sprich, ob ich mir unter solchen Aussichten, als mich alleweile umringen, gefallen kann. - Hier vor der Nase ein unterbrochenes Bachanal, das nächstens wieder angehen wird - dort, hinter der einen Wand das Betzimmer der Alten, die ihre Nichten berechnet, und hinter der andern meine ehrliche Schlafkammer, die schon seit einer Viertelstunde entweiht wird. Wahrlich, ich komme mir vor wie der heilige Antonius unter den Teufeln. - Holla! da kommen doch endlich die Figuren aus der Bibliothek! - Auf das Mädchen ist es mir unmöglich einen Blick zu werfen, aber den armen Fez, der sacht zu meinem Schreibtische herschleicht - mußt ich doch wohl zur Completirung meiner Acten noch anbhören. -
Der gute buckelige Mann! Ich merkte es ihm nur zu sehr an, daß er für alle Höflichkeit, die er mir erwiesen, mehr als zur Genüge bezahlt war. Er drückte mir dreymal hinter einander stillschweigend die Hand, wie man sie in Golconda den Mäklern drückt, die Diamanten verkaufen. - Das war doch gewiß kein schlechtes Gebot, Eduard, und auch verständlich genug. - Aber nein! meiner Eigenliebe war es zu wenig. Ich hätte gern umständlichere Nachrichten von meiner Zeichnung gehabt - hätte gern gehört, daß sie richtig - ähnlich - von großer Kraft und ein Meisterstück der ewigen Kunst sey. Kommt es dir nicht wie im Träume vor, als ob diese kostbaren Ausdrücke schon irgendwo einmal deinen Ohren wohl und weh gethan hätten? Besinne dich! - Nun? - O Freund! wie kannst du die Lehrer deiner Jugend so gänzlich vergessen? Erinnerst du dich denn gar nicht mehr unseres gemeinschaftlichen, vermuthlich längst selig verstorbenen Zeichenmeisters, Theodor Sperling? - der immer mit seinen berühmten Verwandten in Anspach prahlte, dessen Namen er zwar - an seinen Talenten aber nicht schwer trug. Man sollte nicht denken, daß man einige zwanzig Jahre hinterher noch Freude haben könne, gelobt zu werden, wie ein Kind - und doch erfuhr ich die Wahrheit davon an mir. Ich ging so lange mit meinen immer näher tretenden Fragen um den blöden lakonischen Mann herum, bis ich ihn endlich auf meinen Stimmhammer brachte, und gewiß erfuhr, daß er ihn gesehn und bewundert hatte, und ruhte nicht eher bis ich ihm alle die süßen Worte entlockte, durch die der gute Sperling mich über mich selbst erhob, indem er dich niederschlug, wenn mein Pinsel etwas erschuf, das du nicht erreichen konntest - und das einer Tulipane oder einer Schneeglocke ähnlich sah. - "O," sagte er Herr Fez, " - - auf meine Ehre, versichere Sie, daß mich zeitlebens kein Cabinetsstück so entzückt hat." - "Also haben Sie wirklich einige Aehnlichkeit gefunden, lieber Herr Fez?" schmunzelte ich ihm zu. - "Da müßte man," erwiederte er, "doch mehr als blind seyn, wenn man sich irren könnte. Es ist so viel Leben, Ausdruck, Wärme, Colorit, und eine so sanfte Haltung in diesem Bilde, daß ich es, ohne Schmeicheley, für eins der schönsten und kräftigsten unsers Jahrhunderts halte." - "Dieser Ausspruch, würdiger Mann," antwortete ich, "kann mir, von einem solchen Kenner, gewiß nicht gleichgültig seyn. Ich wünschte nur, daß alle diejenigen, die mir gern abstreiten möchten, daß ich malen kann, meine Zeichnung mit so guter Laune und so verständigen Augen betrachteten, als Sie, lieber Herr Fez!" - "Ihnen abstreiten, daß Sie malen könen?" fragte er voller Verwunderung. "Wäre es möglich, daß es so gefühl= und geschmacklose Menschen gäbe?"
Indem hörten wir den Domherrn auf der Treppe, und der rechtschaffene Mann machte sich aus dem Staube. Ich sah mit Vergnügen von meinem Schreibtische, daß Clärchen eilig das Glas wieder füllte, das ihr Freund ihrer Bewachung empfahl, und fand nach meiner Einsicht in dieser kleinen Handlung so viel reife Ueberlegung und weibliche Klugheit, daß ich ihres künftigen Schicksals wegen ganz außer Sorgen bin. Ich stand, wie der Prälat athemlos herein trat, einen Augenblick auf, berichtigte in möglichster Eil meine Rechnung mit ihm, die er mir zugleich mit dem Abschiede der beyden Soldaten einhändigte, und begleitete ihn unter seinem beständigen Geschwätz, auf das ich nicht hörte, bis an das Ziel seiner Wünsche - an seinen Stuhl. Er übernahm sein Glas, wie ein Maurer seine Kelle, die er als Zeichen da ließ daß er fortarbeiten wolle, und schlürfte es mit sichtbarem Wohlgeschmack und dem zärtlichsten Hinblicke auf Clärchen hinunter. - Wie hängt es fast immer von unserer Unwissenheit und Einbildung ab! Hätte dem guten Manne nur das mindeste von dem geahndet, was sich Herr Fez ins seiner Abwesenheit mit seinem Glase und seiner Geliebten heraus nahm, wie würde es ihm nicht alles verbittert haben, was jetzt seinen Lippen und seiner Vorstellung so süß dünkte! Er hätte darauf geschworen, daß es derselbe Wein sey, den er stehen ließ, fand ihn, auf meine leichtfertige Frage, weder frischer noch matter als er seyn sollte, und behauptete mir der Miene eines Kenners, seine Zunge sey fein genug, um immer zu wissen, das wievielte Glas aus einer Bouteille es sey, das er tränke. Es würde mir, bey dem Bewußtsein, das mich drückte, schlecht zu Gesichte gestanden haben, über die so zuverlässige Unterscheidungskraft seines Geschmacks zu spotten. Clärchen fand noch weniger Beruf dazu, und war so gefällig mir das Amt seines Mundschenken abzunehmen, da sie sah, daß ich von ihr weg nach meiner Schreiberey schielte. Ich kann also die letzte Seite, der ich noch mächtig bin, ruhig hinaus schreiben, da nun alles für mich hier abgethan ist. Meine beyden komischen - oder willst du lieber burlesken Bedienten sind, leidlich genug gekleidet, vom Trödel zurück, und tragen meine Sachen in den Wagen - und meine sechs Pferde sind auch da. Auf die beyden Bachanten gebe ich selber weniger Acht als auf die gelbsüchtige Bertilia, die ihrer schönen Nichte das Nachtpaket gebracht, und sich nun leider, Gott erbarm´ es! nicht weit von mir auf ihren frühen Gerichtsstuhl gestreckt hat, um ihren Rausch zu verschnarchen. Diese Harmonie, wenn es möglich ist, verstärkt noch mehr die Ungeduld, die ich habe, aus diesem Sumpfe an Gottes freye Luft zu kommen. Da es zu spät ist, noch vor Nachts Aix zu erreichen, so soll es meine Abendbeschäftigung seyn, diesem Bogen den Beschluß meines heutigen reichhaltigen Tages in dem Wirthshause noch anzuhängen, wo ich etwan übernachten werde, und mit dir den Austritt aus dem päpstlichen Gebiete und aus einer Woche zu feyern, die den Anfang des Jahrs höchst niederschlagend für den prahlenden Stolz meiner Tugend eröffnet, und das erste Blatt meines neuen Calenders gewaltig beschmutzt hat.
Meine einzige, zwar immer leidige Tröstung ist, daß es wohl keinen in der Welt giebt, worin von den zwey und funfzig Wochen, die er enthält, nicht Eine wenigstens, so gut wie die meinige, verdienen sollte ausgestrichen zu werden. Wenn ich nur die übrigen im Jahre, wie ich im ganzen Ernst hoffe, nach der Kritik der reinen Vernunft anwende, so denke ich bey Gott und der Welt - bey den Sitten= und Kunstrichtern noch immer Gnade und Erbarmung zu finden.
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Lambesk.
Hier bin ich nun schon einige Meilen über der Gränze jenes wurmstichigen und von Mönchen durchwühlten Landes, und befinde mich schon um vieles besser. Unter dem Burgfrieden eines Prinzen, der mit Joseph dem Zweyten verwandt ist, werde ich von seinem abgedankten Haushofmeister bewirthet, der mein Vaterland kennt - dem es dort wohl ging - und der es den Reisenden zu vergelten sucht, die daher sind. So klein diese politische und moralische Verbindung auch seyn mag, so kömmt sie mir bey meinem Nachtlager doch sehr wohl zu Statten. Ich ward schon meiner fehlerhaften Aussprache wegen, die mein deutsches Vaterland verrieth, und die, so bald sie an die Ohren meines Wirths anschlug, ihn an alle das Gute erinnerte, das er bey uns genoß, auf das freundlichste in seiner Herberge empfangen; und als vollends meine persönlichen Verdienste dazu kamen, und meine Bedienten um den Küchenherd das Wunder sehr theatralisch beschrieben und vorgestellt hatten, von welchem ich eben herkäme. so wußten die Leute im Hause nicht, wie sie mir ehrerbietig genug begegnen sollten. Ich bin mit Wachskerzen umgeben, wie ein Heiliger, dessen Festtag man feyert, die erst der Wirth, dann seine Frau, dann seine Tochter und Magd einzeln auftrugen - um nur oft, und jedes mit eigenen Augen, den großen Mann anzugaffen, der ihrem Hause den Vorzug gegönnt hat, seine ermüdeten Glieder zu bedecken. - Um nichts Menschliches zu verrathen, ging ich mit stillem Ernste in dem erleuchteten Zimmer, auf und ab als wenn ich an solche Klarheit gewohnt wäre, bis sie mir ein Abendessen auftrugen, das ein wahres Coena domini und aus den feinsten Schüsseln zusammengesetzt war. Wenn ich immer und überall in diesem Nimbus erscheinen könnte, ich wollte keinen Meßmer, keinen Lavater, und keinen von den Herren beneiden, die so glücklich sind unser aller Mißgunst zu erregen. - Jetzt nun, da ich mich wie ein Erzbischof gesättigt, und mich beynahe ein wenig berauscht habe, wie ein gefürsteter Abt - da sich auch meine allzu dienstfertigen Wirthsleute in den unteren Stock zurück gezogen, und meine Bedienten umringt haben, die sich immer, wie ich von weitem höre, einander unterbrechen, um mit dem ehrwürdigen Ansehn ihres Herrn groß zu thun; jetzt könnte ich nun ruhig und lächelnd in das feine schneeweiße Bette steigen, das mir winkt, wenn mich das Versprechen, das ich dir, lieber Eduard, mit meinem letzten Federstriche zu Avignon gab, nicht mehr als wie billig, munter erhielt. So höre mich denn eben so munter an, und höre noch die letzten Merkwürdigkeiten meines heutigen großen Tages, unter welchen ich glücklich bis an das Tintenfaß gekommen bin, das mir, in Wiener Porzellan, ein zweyköpfiger Adler vorhält.
Als ich mit dem Schwure, keinem Casuisten, keiner Heiligen und keiner milden Stiftung je wieder so nahe zu kommen, die Gruppe, die ich dir oben beschrieb, noch um eine Bouteille betrunkener, unter Rousseau´s Aufsicht verließ, und ohne Geräusch meinen Hut und Stock aus der Ecke gezogen hatte, wo die fromme Bertilia ihrer verdienten Ruhe genoß, schlich ich stillschweigend meiner Wege, und war schon bis an die Thür gekommen, als der Domherr meinen Abzug bemerkte. Seine Zunge war jedoch zu schwer, ein deutliches Lebewohl auszusprechen; dafür aber schlug er mir so lange seine Kreuze nach, bis ich ihm aus dem Gesichte kam. Clärchen wischte höflich mir nach bis auf den Vorsaal, wo sie mir aus überströmender Dankbarkeit, im Angesicht des heiligen Nicaise, der unverschämt zusah, noch ein paar Küsse aufdrang, die, so Gott will, die letzten seyn sollten, die mir eine Heilige gab. Auf der Treppe hielt mich noch ein anderer widriger Anblick auf. Der schwarzgelbe Procurator trat mir mit der Verbeugung eines Advocaten entgegen, der, nach einem verlorenen Processe, seine Expensen sucht, überreichte mir mit der Abschrift seines Protokolls die Beglaubigungs=Urkunde meines gethanen Wunders, und zugleich ein Handbriefchen vom Propst. Er thut mir leid, daß ich es nicht für dich aufgehoben, und jetzt statt des Originals, das ich wegwarf, dir nur einen Auszug davon mittheilen kann. Der geschmeidige Mann versicherte mich darin seiner unbegränzten Hochachtung, und bat mich, wenn ich je wieder diese Domaine des heiligen Vaters besuchte, die Freundschaft zu nähren und zu befestigen, die er, als ein unwürdiger Vorsitzender bey meinem Verhör und während meiner triumphirenden Rede, zu mir gefaßt habe. Er nannte mich einen seltenen Mann, der ganz von Gott ausgerüstet sey, das blinde Volk zu regieren - und empfahl sich mir so zudringlich, als hätte er in mir seines Gleichen gefunden. Ich beantwortete im Heruntersteigen seine Höflichkeit mündlich an seinen Boten, bedauerte, daß meine Abreise die Freundschaft, die nur ein Wunder unter uns zu stiften vermocht hätte, so bald unterbräche, daß ich aber, wenn ich Avignon jemals wieder mit einem Fuße beträte, mich seiner Leitung ganz überlassen würde, und dann erst das zu werden hoffte, was er allzu gütig schon bey mir voraussetzte. Unter diesen hingeworfenen Complimenten gelangte ich die Treppe herunter, bis an die Hausthür - als mir hier noch ein Umstand auf das Herz fiel, der, wenn du ihn nach deiner gewöhnlichen Flüchtigkeit, nicht übersehen hast, dich bis zu dieser Zeile nicht wenig geängstigt, dir den Odem versetzt, und deine Lippen und Hände bewegt haben wird, um mich, mit einem jeden Schritte weiter, den ich nach meinem Wagen that, freundschaftlich noch aufzuhalten - als mir nehmlich glücklicher Weise noch beyfiel, daß ich, aus allzu großer Eil aus Clärchens Augen zu kommen, - unter Rousseau´s Kopfe mein Tagebuch vergessen hatte. Nun wäre es zwar zum Nutzen der Welt vielleicht gut gewesen, wenn es die alte Bertilia beym Auskehren gefunden, und es als unnützes Papier verbraucht hätte - vielleicht aber auch nicht; wer kann das wissen? Für mich wäre es doch immer ein, ich hoffe es zu Gott, unersetzlicher Verlust gewesen - da ich dergleichen Tage, als die acht letzten, nie wieder durchzuleben gedenke, und viel zu vergessen bin, als daß ich hätte hoffen können mir die Erinnerung davon, die mir doch für mein ganzes Leben sehr dienlich seyn wird, bis zum Aufschreiben wieder lebendig zu machen. Ich lief nun wie ein Wiesel die Treppe hinauf, das Zimmer hinein, gerade vor den Kamin.
Es war ein Glück, daß die alte Bertilia noch schlief. - "Lassen Sie Sich nicht stören," sagte ich zu Clärchen, die dem Domherrn auf dem Schoße saß, und mich mit höchster Verwunderung angaffte: "Ich habe hier sonst nichts - als nur unter dem Gypskopfe ein Baket Belege vergessen, die zu meiner Einnahme und Ausgabe gehören, und die ich selbst nicht der Mühe werth achten würde, wenn sie nicht mit Ihrem Strumpfbande umwickelt wären, das mir, mein gutes Clärchen, viel zu lieb ist, um es im Stiche zu lassen; und nun leben Sie wohl, und grüßen Sie Ihre Tante!" - "Was?" stammelte der Domherr, "was sagten Sie da von Clärchens Strumpfbande?" - "Das wird das liebe Kind Zeit genug haben Ihnen selbst zu erklären," antwortete ich, und schlug die Thür hinter mir zu. - Wer war froher als ich, da ich, meine Criminalacten unter dem Arme, von meinem Schrecken nun wieder zu mir selbst kam! - Non omnis morior, war das wenigste was ich dabey dachte; und wie dankte ich es nicht dem langsamen Epilogus, daß er mir nicht das erstemal schon die Hausthür öffnete, als ich ohne mein Tagebuch davor stand! denn der Anblick, der mich jetzt überraschte, würde mich gewiß ganz um das Bißchen Besinnungskraft gebracht haben, von der einzig seine Rettung noch abhing. Der große Platz vor dem Hause, und so weit ich in die Gassen sehen konnte, war von Menschen gestopft, die in der Nähe und Ferne auf die Knie fielen, und mich um meinen Segen anflehten. Ich richtete mich in meiner Chaise gerad in die Höhe, und warf der betrogenen Menge, wie von der Kanzel, gutmüthig alle die Kreuze wieder zu, die mir der Domherr mit auf den Weg gab. Einige von den Andächtigsten drängten sich vor, um die Pferde abzuspannen und meinen Wagen zu ziehen, und es gelang mir durch nichts anderes, sie von dieser Ausschweifung ihrer Ehrfurcht, die mich schwerlich postmäßig würde gefahren haben, abzuhalten, als daß ich ihnen die offene Hausthür zeigte, und ihnen sagte, daß sie alle meine Wunder unter den Händen des Domherrn antreffen würden. Haufenweise strömten sie nun in das Haus, und meine Postillons bekamen Raum ihre Peitschen zu schwenken, und, ohne jemanden umzufahren, vor der Hand wenigstens, ungestört bis an den Buchladen meines Freundes zu kommen. Hier aber mußten sie die Zügel mit Gewalt anziehen; denn der kleine Mann war heraus getreten - schrie und winkte, und hielt uns etwas so Flatterndes entgegen, daß wir alle fürchteten, er möchte die sechs Pferde scheu machen. Es war sein Catalogus, den er mir, wie er sagte, zu weiterer Fortsetzung unserer Freundschaft überreichte, und noch einige abgebrochene Worte seines Entzückens darein gab, die allein schon im Stande gewesen wären, einen sechspännigen Wagen in seinem Laufe zu hemmen; so überspannt waren sie und so holprig. Ich hatte jetzt nicht Zeit sie ihm anders zu beantworten als mit einem lauten Gelächter, über das er höchst verwundert zurück trat, und mir freyen Weg ließ. So weit ich kam, fand ich alle Bürger in Bewegung, wie an dem Frohnleichnamsfeste. Nur den getauften Juden hatte die Revolution meines Wunders nicht von seiner Stelle gebracht. Ich sah ihn, als ich bey seiner Kirche vorbey fuhr, noch an eben dem Pfeiler stehen, an dem ich zuerst seine interessante Bekanntschaft gemacht hatte. So eilig ich auch war, ließ ich doch einen Augenblick halten, und schickte ihm meinen Abschiedsgruß durch den Epilogus zu, der ihm zugleich die verpfändete Maske eigenthümlich abtrat, und noch das Glück hatte, einen kleinen Thaler von ihm heraus zu bekommen. Ich erhielt auf einem Kartenblatte nachstehende Worte, mit Bleystift geschrieben, von ihm: "Ihr heutiges Wunder," - du siehst, lieber Eduard, Dohm und seine Anhänger mögen auch sagen was sie wollen, ein Jude bleibt immer ein Jude, - "ist das größte, wovon ich gehört habe, und einzige, woran ich glaube. Fahren Sie fort, lieber junger Mann, über die Thorheiten Ihrer Zeitgenossen zu spotten. Thun Sie es aber ja, wenn Sie nicht unter Blindgebornen sind, wie hier, lieber heimlich und von weitem, wie ich es selbst hier thue. Das ist der freundschaftliche Rath eines Mannes, der seine Ruhe und Sicherheit liebt." - Ich bog mich weit aus meinem Wagen hervor, und warf ihm lächelnd eines von meinen Kreuzen zu, das er mit einem schelmischen Kopfnicken beantwortete. Es gab mir, so wenig es war, doch hinlänglich Auskunft über den Werth, den er darauf setzte. O, des ehrlichen Convertiten! dachte ich, und fuhr weiter.
Avignon lag schon eine große Strecke hinter mir, ehe ich mich ein wenig aus dem Gewirre meiner Gedanken los winden konnte, die, wie sie an einander anstießen, meine Seele mit sich herum trieben. Bald sah ich mit Spott, bald mit Aergerniß und Scham, bald mit innigster Zufriedenheit, auf die Zeit, die hinter mir lag, und auf die Gefahren zurück, denen ich, weniger zur Ehre meiner Klugheit als zur Glorie meines Erretters, des Zufalls, glücklich entging. Einmal überzählte ich hochmüthig die Menge von Erfahrungen, durch die sich, in einer Spanne von acht Tagen, meine Welt= und Menschenkenntniß so unglaublich bereichert hatte. - Ein andermal warf ich mir bitter vor, daß sie der Mühe und der Kosten nicht werth wären. Die unzähligen Abwechselungen meines heutigen Tages - von dem Anfange meines Verhörs an, bis auf den Segen, den ich dem getauften Juden zuwarf, hatten indeß meine Kräfte so erschöpft, daß mir, mitten in meinem Nachdenken, die Augen zufielen. Ich glaube, ich würde in Einem weg, bis vor mein Wirthshaus, geschlafen haben, wenn es, auf der Station, die mich an die Gränze des Comtats brachte, meinen Begleitern beliebt hätte, ohne Zuziehung meiner die Post wechseln, und frische Pferde vorhängen zu lassen. Aber das Nachdenken hatten meine klugen Schauspieler nicht. - "Mein Herr," rief mir, ich weiß nicht welcher von den beyden Brüdern, in den Wagen, "haben Sie denn nicht Lust auszusteigen?" - "Und warum das?" fragte ich schlaftrunken. - "Hier ist," antworteten sie, "der letzte Ort in dem Gebiete des Papsts." - "Desto besser!" gähnte ich, und legte mich in die andere Ecke. - "Aber," schrien sie fort, "es ist ja Cavaillon, mein Herr." - "Meinetwegen!" versetzte ich ärgerlich, "was liegt mir daran?" - "Nehmen Sie es nicht ungütig," erwiederte der unaustehliche Kerl, "wir glauben, es würde Ihnen lieb seyn den Propheten kennen zu lernen." - "Was denn, zum Henker! für einen Propheten?" fuhr ich jetzt auf. - "Der unser Glück," unterbrachen sie sich beyde, "und unser Unglück gemacht hat. Er liegt nur wenige Schritte hier von der Post." - Jetzt ermunterte ich mich erst. - "Ihr guten Leute," sagte ich, indem ich ausstieg, "habt nichts als euer zerstörtes Theater in dem Kopfe. Das müßt ihr euch abgewöhnen, und mir nicht immer damit in den Ohren liegen, zumal wenn ich schlafe. Aber sagt mir einmal - lebt denn der Onkel von Clärchen noch?" - "O, ja wohl," antworteten sie. - Nun! dachte ich, da du einmal um deinen Schlaf bist, willst du doch wundershalber sehen, was für eine Respectsperson von Verwandten du heute drauf und dran warest dir auf den Hals zu laden - kannst dir auch nebenbey das Bette zeigen lassen, wo dem Mädchen der Teufel zuerst erschien. An fremden Orten nimmt man ja oft wohl noch geringere Merkwürdigkeiten in Augenschein. Habe ich nicht selbst einmal in Erfurt einen Thurm mit Mühe und Gefahr für einen Ducaten erstiegen, weil es zwey Tage vorher der König von Schweden gethan hatte, um die große Susanna zu sehen, vor der, wie mich der Glöckner versicherte, alle Teufel ausreißen. - Und so trat ich denn auch hier, meinen Wegweisern nach, in die Garküche des Propheten, und fand an meinem Onkel einen sehr gesprächigen Mann.
Er stämmte seine beyden Hände in die Seite, so bald er den Doctor und den Teufel erkannte. - "Je, meine Herren," rief er voll Verwunderung aus, "Sie treten ja da in einem Aufzuge einher, der wahres Wohlleben verkündiget! - Das freut mich von ganzen Herzen; denn ewig werde ich Ihnen danken, daß Sie mir über meine gottlose Nichte die Augen geöffnet haben. Ich ließ mir zwar damals meinen ganzen Kummer nicht gegen Sie merken, meine lieben Herren; aber, ohne jene Nacht, kann ich nun wohl sagen, wo Sie ihr erschienen, wäre einmal mein schönes Vermögen in ihre Hände gefallen. - Aber das ist nun damit vorbey, und ich habe es bereits der Magdalenen=Kirche verschrieben." - So wenig ich nun auch Ursache hatte mich dieses Geschöpfs anzunehmen, so schien es mir doch ungerecht von ihrem Verwandten, ihr eine Erbschaft zu entziehen, woran sie, bey allen ihren Fehlern, doch immer mehr Anspruch hatte als die heilige Magdalena. Sie kann sich ja wohl auch noch, dachte ich, mit der Zeit bekehren, wie jene, zumal wenn sie nicht mehr nöthig hat der Gnade der Domherren und Pröpste zu leben. Ich nahm mir also vor, ihm den Einfall aus dem Kopfe zu bringen; aber es schlug mir fehl. Als ich mit gehöriger Behutsamkeit des Wunders erwähnte, und ihm erzählte, wie der Domherr aus Achtung für ihre Namensschwester sie wieder in das Haus nähme, gerieth der Mann in einen Zorn, den ich weiter nicht zu stillen vermochte. - "Das mag er," antwortete er mir; "in das meinige soll sie keinen Fuß wieder setzen, so wenig als ihr Verführer. Wollen Sie sehen, wo das erste Unglück geschehen ist? so kommen Sie!" - Er führte mich nun in die große Stube - zeigte mir das Bette, und mit Thränen im Auge fing er gerührt an - "Hier mein Herr, ist das schönste, beste, unschuldigste Mädchen dem bösen Feinde geopfert worden; aber ohne mein Verschulden. Wie hätte sich eine Christenseele einbilden können, daß ein Kind neben einem Geistlichen, der in der Nacht, von der Reise ermüdet, um eine Herberge bat, so etwas zu besorgen hätte? - ein Kind, das damals noch nicht = = = Doch ich will keine Sotisse sagen - aber Sie verstehen mich, mein Herr = = = O, du barmherziger Gott! was hast du uns für Seelenhirten gegeben! Ich war stolz auf das Mädchen - denn reitzender - sehen Sie, und niedlicher gebaut, war weit und breit keine andere zu finden." - "Ach, ich kenne sie, besser vielleicht als sie selbst, mein guter Mann," antwortete ich seufzend. - "Ich habe ganzer acht Tage neben ihr an, gewacht und geschlaffen = =" - "Und reisen nun - ist es nicht so?" fiel er mir kleinlaut in die Rede, "nach Montpellier? = =" - "Nichts weniger," gab ich mit großen Augen zur Antwort, "ich gehe jetzt nach Marseille, wo ich den Winter über = =" - "Nun, da nehmen Sie mir nicht übel," unterbrach er mich, "da kennen Sie meine Nichte schwerlich besser als ich. Seyn Sie froh, mein guter Herr! Sie sind der erste Passagier, der von dort her zu mir kam - in der Nähe dieser Virtuosin gewohnt hat - und noch so gleichgültig von ihr sprechen, und gar ein gutes Wort für sie einlegen kann." - "Heilige Cäcilia!" entfuhr mir der Ausruf. - "Ja, ja!" spöttelte er mir zu, "traue nur einer der heiligen Cäcilia und ihrem Kreuze! Sie sehen doch nun wohl daß meine Nachrichten ächt sind. Ich habe sie von guten Händen. In der That war es der artigste Herr, von dem feinsten Geschmacke, den ich jemals gesehen - ein junger Baron aus der Neumark, der auf Ihrer Route, und fünf Tage, gezwungen war, von den Beschwerden der Reise - Sie wissen wohl - bey mir auszuruhen. Da ich mir nicht anders denken konnte, als daß Sie auch nach Montpellier müßten, so freute ich mich recht, meinen Gruß an ihn bestellen zu können - denn vermuthlich ist er noch dort. Alles erinnert mich an ihn, bis auf die Livree sogar, die er eben so gab wie Sie. - Es war ein heller, vortrefflicher Kopf! Hätte er sich nur besser vor meiner Nichte gehütet!" - "Aus der Neumark war er, sagen Sie?" griff ich endlich dem Schwätzer in´s Wort, "und er gab," indem ich den Epilogus bey dem Fittig nahm, "dieselbe Livree?" - "Accurat so," antwortete der Wirth, "und mit eben solchen Quasten und Knöpfen." - "Und der Name?", fiel ich ihm ein, "wie war denn sein Name?" - "Aussprechen kann ich ihn nicht," sagte er, "das habe ich schon mehrmalen versucht; zum Glück aber habe ich mein vorjähriges Rechnungsbuch noch nicht zerrissen, dort können Sie ihn unterm Monat November selbst lesen - Bemühen Sie Sich nur in meine Unterstube." - Ich ging ihm voller Neugier nach, bis an seinen Schrank, aus dem er mir sein Rechnungsbuch zulangte. Er schlug mir das Blatt mit Bedauern den Namen eines Mannes, den ich - hier nicht gesucht hätte, las, wie viel er - für Brühen von jungen Hühnern schuldig geworden war, und sah, daß seine beyden Bedienten - vermutlich bessern Appetits wegen - fünfmal so viel verzehrt hatten als ihr Herr. Das ist, was ich aus seinem Conto heraus las. Sein Name soll übrigens nicht über meine Zunge kommen - darauf kann der junge Herr sich - wenn er ungefähr mein Tagebuch zu sehen bekäme - auf Cavalier=Parole verlassen; und treffe ich ihn, wenn ich durch Montpellier komme, noch an, so könnten wir wohl gar unsere Nachhausereise zusammen machen. - Nicht daß ich etwan wünschte, noch mehr von unserer Nachbarin zu erfahren - von der weiß ich in dieser Zeitlichkeit nun genug. Nein! ich wünschte es bloß, weil der Wirth von ihm rühmt, daß es ein artiger Mann, von seinem feinsten Geschmacke, und ein vortrefflicher Kopf sey. - Wahrlich Eigenschaften, die man sich an einem Reisegesellschafter nicht besser wünschen kann! - "Sie haben, voriges Jahr eine hübsche Einnahme gehabt, Herr Wirth," sagte ich, indem ich ihm sein verrätherisches Buch wieder zurück gab. "Ich sehe, Sie sind ein ordentlicher Mann, der sein Vermögen gut zu verwalten weiß: desto weniger, um wieder darauf zu kommen, kann ich es billigen, daß Sie es einer Heiligen vermachen wollen, deren größte Sünde wohl ist, daß sie sich bekehrt hat." - "Das ist mir - wahrlich, das ist mir zu hoch," antwortete der Wirth, "und ich wende eine Flasche Wein an Ihre blasenden Postillions, damit Sie Ihnen Zeit gönnen es mir zu erklären." - "O, dazu gehört nur eine Minute, lieber Mann," erwiederte ich. "Sie können wohl glauben, ich habe nicht das geringste Interesse bey der Sache - und eben so wenig habe ich etwas wider die heilige Magdalene - aber das Aussehn, das sie überall macht - die Kirchen, die ihr geweiht sind - das Lob, das ihre Wiederkehr von allen Kanzeln erhält, und die Ehre, die man ihren Thränen erweist, - haben, seit ihrem Evangelio - glauben Sie mir - mehr schöne und gute Mädchen um ihre Unschuld gebracht, als alle Domherrn zusammen; und das ist doch, Gott weiß, viel gesagt! Denn, wie das menschliche Herz ist, um eine reuige Sünderin zu werden gleich der heilig belobten Magdalena, denken die meißten, muß ich ja doch erst meine Jugend nützen wie sie. Lieber wollte ich an Ihrer Stelle, Herr Wirth, meinen sauern Erwerb, auf den Fall meines Todes, den Armen schenken." - "Den Armen, mein Herr?" wiederholte er höhnisch. "In diesem schönen, fruchtbaren, unbebauten Lande, sollte es Arme geben, die Unterstützung verdienten? Sind denn nicht schon genug Spitäler voll von Müßiggängern und Faulen? Mag denn hier wohl eine Seele arbeiten? Findet es nicht jedes bequemer zu bettlen - zu stehlen, so lange es jung ist - im Beichstuhle sich seine Sünden vergeben zu lassen, um neue zu begehen, und sich um eine Stelle in einer milden Stiftung zu bewerben, wenn es altert und krank wird? Dieses Leben führte der Vater, der Sohn setzt es fort, und vererbt es wieder an seine Kinder. - Nein, mein Herr! die hiesigen Armen sollen nichts von mir kriegen. Aber da sie mir wegen der Magdalena einen Floh in´s Ohr gesetzt haben, so kann es wohl seyn, daß ich mein Testament ändere - und ein gutes, frommes und schönes Mädchen an Kindesstatt aufnehme, die einmal einem rechtschaffenen Mann wieder mein erworbenes Vermögen zubringt." - "Thun Sie das, lieber Onkel!" sagte ich - und Gott sey Dank, daß ihm dieser Ehrentitel auf keine Art zukommt, da er bey verwandten Seelen eben nicht im Gebrauch ist; denn in diesem Falle, Eduard, gäb´ ich ihn diesem wackern Manne nicht mehr aus Laune, sondern aus bessern Urkunden sogar, als andere oft vorzeigen können, die ihn stolz von uns fordern. - "Thun Sie das, lieber Onkel," sagte ich ihm also beym Einsteigen in den Wagen: "bemühen Sie Sich um ein hübsches Kind, das Sie der Verführung der Domherrn entreißen, und das Ihnen und der Tugend den großen Verlust von Clärchen, wenn es möglich ist, ganz wieder ersetzt. Mir ist es sehr lieb, daß ich wenigstens doch beym Austritte aus diesem Lande Einen ehrlichen Mann haben kennen lernen. - Gott erhalte Sie! Leben Sie wohl!" - Ich faßte noch mit gerührtem Herzen den Segen auf, den er mir nachrief. Von einem so ungeweihten Speisewirthe er auch herkam, hoffe ich doch, soll er mich besser entsündigen als die Kreuze jenes betrunkenen Herrn.
Wie ich vor das Stadtthor kam, bemerkte ich erst, daß ich auf einer Insel gewesen war, und begriff nun leichter, wie sich hier - abgesondert vom festen Lande - noch einige Ehrlichkeit erhalten konnte.
Die Brücke über die Dürance kam mir, trotz dem heiligen Nepomuk, der zu ihrem Schutze darauf stand, doch so gefährlich vor, daß ich ausstieg, und mich nicht eher darüber wagte, bis ich meinen Wagen an dem andern Ufer erblickte.
Das Bild der Sonne schwebte nur noch an dem Saume des Horizonts, und ihre gebrochenen Strahlen rötheten die hinschwindende Landschaft. Die Gegend war im Steigen - die Pferde zogen mühsam - und ich schlich voll von Gedanken zu Fuße hinter dem Wagen her. Wie wir den Hügel bald erstiegen hatten, befahl ich meinen Leuten, sachte fortzufahren und die matten Pferde verschnaufen zu lassen, setzte mich an seinen Abhang auf die Wurzeln eines abgestorbenen Oelbaumes, und suchte mir die Empfindungen deutlich zu machen, die meinem Herzen entstiegen. Wie ungleich waren sie jenen, die sich sanft auf ihm ergossen, als ich das freundliche Caverac in seiner gesegneten Flur - als ich in dem sympathetischen Gefühle der Tugend meine geliebte Margot verließ! Unter einem noch schöneren Himmel als dort, in dem Müßiggange eines frömmelnden verdorbenen Volks, jede Federkraft der Natur! Welch eine bängliche Aussicht! So weit meine Augen mich trugen, sah ich Standbilder der Heiligen auf rebenlosen nackten Bergen - entdeckte nur verfallene Stege - durchbrochene Dämme, morschen Götzen mit ruhmlosen Namen zum Schutze überlassen - hörte das Läuten der Abendmetten in den umliegenden einzelnen Dörfern - ohne daß ein Schäfer vor seiner gesättigten Herde, oder ein müder Ackersmann hinter seinem umgelegten Pfluge, dem Aufrufe zur Ruhe nachschlich, - ohne daß ein Winzer, von fröhlichen Kindern begleitet, aus seinem Weingarten hervorbrach. - Großer Gott! rief ich wehmüthig aus, und faltete die Hände, wie lange wird dieser Mißverstand deiner wohlthätigen Absichten, diese Beschimpfung deiner Natur noch dauern! Wie lange wird noch der Bürger seine kostbare Zeit, der Landmann seine nützlichen Kräfte, der Tagelöhner den kleinen Erwerb seiner wenigen übrig gelassenen Arbeitsstunden, an den Putz einer Wachspuppe und das Wohlleben ihrer Götzendiener verschwenden - in seinem Hause das Licht - auf seinem Herde das Feuer ersparen - um durch eine verdienstliche Finsterniß der ewigen Lampe Oel zu verschaffen! Wie lange werden die Sklaven der Andacht das Mark ihrer Söhne gegen ein geweihtes Todtenbein vertauschen, und mit dem Geruche seiner Heiligkeit ihre Schlafkammern verpesten! Wie lange noch, großer barmherziger Gott! werden die Unsinnigen für die baldige Entwickelung ihrer Töchter alle Heiligen anrufen, um ihre ersten Blüthen dem ehelosen Mönche zu opfern, der jedem frühen Gefühl eines erwachten Herzens noch früher entgegen kömmt, jede aufkeimende Frucht wie ein Raubthier bewacht, und alle Erstlinge der Natur und des Fleißes als sein Eigenthum ansieht! Durch, ach! wie viele Menschenalter - rief ich mit gepreßter Brust - wird dieser schwere Uebergang zur Wahrheit und Freyheit noch zögern! - Und wie ich so sprach und meine Augen zu Gott erhob, vergüldete die ewige Sonne, zum letztenmal heute, den steinigen Hügel. Ich schrieb noch im Glanze des Abendroths folgende Gedanken in meine Schreibtafel, aus denen du sehen wirst, daß ich nicht umsonst das Wirthshaus zum Propheten besucht habe - überblickte noch einmal diesen so schönen und so gemißbrauchten Erdstrich - und winkte nach meinem Wagen.
Als hätte die Natur im Bilden
Mit Liebe länger hier verweilt,
So ganz hat diesen Lustgefilden
Sich ihre Schönheit mitgetheilt:
Doch Mönche kamen und zertraten
Den Plan der föhlichen Natur,
Und auf dem Umkreis ihrer Saaten
Herrscht Gleißnerey und Armuth nur.
Trajan entlockte Fleiß und Leben
Aus diesem Felsen - diesem Hain,
Und Berge luden ihn voll Reben
Zum Jubel guter Fürsten ein.
Ihr Fluren, die ihr freundlich blühtet,
Als Jupiter noch auf euch sah,
Wie traurig liegt ihr - abgehütet
Von päpstlichem Gesindel da!
O, Land, das nur den faulen Bäuchen
Der Mönche zu Gebote steht,
Und, mit abgöttischen Gebräuchen
Belastet, - schwankt und untergeht!
Ach, warum hat, ruft meine Stimme,
Gott seinen Blick von dir gewandt?
O du, der Hirnwuth und dem Grimme
Der Heiligen verrathnes Land!
Wenn Priesterstolz und Aberglaube
Wie Mehlthau eine Gegend trifft,
Verdorrt die Saat - verwelkt die Traube,
Und aus dem Oelbaum rieselt Gift.
Besangen wohl des Landmanns Lieder
Sein Glück an einem Erntetag
In Argos Thälern, eh´ die Hyder
Dem Arm des Rächers unterlag?
Hier heißt die Tugend eine Bürde;
Der Weisheit selbst wird hier geflucht,
Die nicht in Klöstern - Menschenwürde,
Nicht Trost am Tisch des Gauklers sucht;
Bey Ihm - der Felsen abzuründen
Verspricht, der Berg´ und Thäler gleicht,
Und deinem Mund Erlaß der Sünden
Und deinem Gaum Vergebung reicht.
Wie stürzt nicht der bethörte Haufe
Ihm zu! begafft und überschlägt
Die Waare, die zu gutem Kaufe
Er ihren Sinnen vorgelegt!
Der Mörder packt dann, wie der Zecher,
Ein Sortiment zum andern auf,
Und jener Schutzgott der Verbrecher
Spricht Segen über ihren Kauf.
Und dieser Troß von Himmelserben
Durchwallfahrt dieß verarmte Land -
Spielt seinen Ueberrest von Scherben
Dem Hohenpriester in die Hand,
Vertauscht für unbegriffne Worte
Das Bettelbrod, das er erwirbt,
Und mit dem Schlüssel zu der Pforte
Dem Himmels, gähnt er hin, und stirbt.
Ihr Räuber dieses Landes! höret
Der Wahrheit Ruf, die aus mir spricht:
Euch droht, die ihr das Volk bethöret,
Des Volkes blutiges Gericht;
Ich seh´ im Kreis von euern Bürgern
Des Aufruhrs schwarze Fahne wehn,
Und eure Schafe - zu den Würgern
Furcht - zur Verzweiflung übergehn;
Und seh´ erstaunt, wie jede Puppe
Der Andacht in ihr Nichts versinkt;
Wie nicht mehr die geweihte Schnuppe
Der ew´gen Lampe sie umstinkt -
Kein Kuttenträger mehr die Zofe
Der heiligen Maria macht,
Und kein, an eines Priesters Hofe
Gebildeter dieß Land bewacht;
Seh´ eure Heiligen zerstückeln -
Seh´ die Legenden in dem Wind
Zu edlern Stoffen sich entwickeln,
Die eines Gottes würdig sind;
Und seh´ entfernt, wie aus dem Staube
Die Tugend ihre Stirn erhebt,
Und neue Hoffnung - neuer Glaube
Und neues Glück dieß Land belebt.
Und dann erst, möge Gott es wollen!
Wird Ordnung und Natur gedeihn;
Die Wüsten werden Früchte zollen,
Die öden Berge - guten Wein;
Gesundes Volk wird, ungesegnet,
Im Schatten seiner Lauben ruhn,
Und, ohne daß ihm Gott begegnet,
Doch redlich seine Arbeit thun.
Dann erst entsteigt den Finsternissen
Des Glaubens die versteckte Flur;
Man wird von keinem Wunder wissen,
Als von den Wundern der Natur;
Der Pilger wird sie nur im Reitze
Der Unschuld seines Mädchens sehn,
Und manch Kapellchen ohne Kreuze
Wird seiner Andacht offen stehn.
Ende des fünften Theils.
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Leipzig,
gedruckt bey Christian Friedrich Solbrig. |