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Moritz August von Thümmel:
Reise in die mittäglichen
Provinzen von Frankreich ...
Achter Theil.  1803



 

Den 21sten Februar unterwegs von

Toulon nach dem Sonnenthal.

 

 

*  *  *

 

 

Marseille den 22sten Februar.

Nie stand die deutsche Kunst auf einem bessern Fuß —

Wir Dichter wiegen uns im Schooß der Aristarchen!

Entrückt dem feinen Ohr des Sängers von Venus

Verräth uns Niemand wann wir schnarchen. —

Die Leser? — O für die ist nie ein Scheitel leer;

Sie stellen, stützt sich nur ihr schlummernder Homer

Auf ihre Schulter, gleich dem thätigen Monarchen

Aus eignem Ueberfluß, das sinkende Verkehr

Mit Sinn und Wohllaut, wieder her:

Denn da nach jenem Fund, den Faust gethan und Schäfer,

Ein dritter deutscher Kopf, den, für sein Vaterland

Weit nützlichern Gedankenstrich erfand;

So singe wie ein Spatz, schreib´ als ein Siebenschläfer,

Nur sey nicht karg mit jenem Zug der Hand! –

Er gilt im Wechsel für Verstand.

Der Leser hilft so gern dem Autor aus dem Träume,

Freut gläubig sich des Sinns, der er ihm unterlegt,

Und tappt, wenn dieser ihn nun gar ein Brückchen schlägt

Zum Fortgang in dem leeren Raume,

Dem nächsten Irrlicht nach, das sein Gehirne hegt,

Bald in das Paradies zu dem verbotnen Baume,

Der ihm die Frucht erlaubt, die seinem leckern Gaume

Die saftigste bedüngt und Appetit erregt:

Bald blickt er in ein Meer, das keinen Frosch bewegt,

Sieht hier ein Nymphenbad – dort ihrem Silberschaume

Entwunden, Cyprien, die göttlich ausgeprägt

Sich schaukelnd auf den Wellen trägt,

Und sieht – was jeder sieht, der nicht sein Pferd im Zaume

So fest, wie ich, zu halten pflegt.

Jetzt, auf der rechten Spur den Dichter zu erreichen,

Hängt er zum Ueberfluß dem stummen Redezeichen

Ein hellres Glöckchen an, das seinen Kunsttrieb weckt. –

Ihr – die vom Menschen an zum kriechendsten Insekt

Nicht – selbst ihr Bild nicht kennt, das jedem Reiz der weichen

Jungfräulichen Natur ein Händchen vorgestreckt –

Das ganze Phänomen, das sie noch jetzt zum Bleichen

Der lieben Sonne giebt, versteckt,

In jenem Taumel nachzuschleichen,

Wo unter Vogelsang in blühenden Gesträuchen

Der Frühling ihre Landung deckt;

Wo, was sie sieht und hört, den holden Trieb bezweckt

Beym zweyten – dritten Schritt mit Ihm sich zu vergleichen,

Der bey dem ersten sie beynah bis zum Verscheuchen

In ihrer Mutter Schooß, erschreckt.

Du, dem dies tägliche Entzücken

Der Lesefreude oft genug

Vergnügt, sieh nur! Dich lockt aus vier und zwanzig Lücken

Ein Tag mit Mohn bekränzt, dich lockt mein Federzug

Auf die gemächlichste der Brücken

Die je ein müder Autor schlug –

Weg mit dem Kritiker! Gesetzt, er hätte Fug

Und Recht, bis auf den Flaum den Vogel Strauß zu pflücken,

Mein Wendehals soll nie die Flügel vor ihm bücken.

Nur dir, mein Hofkompan, der so geschickt als klug

Die Kunst versteht, das kahlste Haupt zu schmücken,

Ergiebt die Muse sich auf ihrem Eulenflug,

Um ein bleibtres Bild in ihre Form zu drücken,

Als gestern mir auf seinem breiten Rücken

Der Gott des Schlafs vorübertrug.

Die Liebe schaffte nie dir halb so viele Kunden

Als er – Wie manchem Kopf´ ersetztest du die Stunden,

Die er verschlief, du hieltst Gericht an seiner Statt,

Empfandest, was er nicht empfunden,

Und hast schon manches leere Blatt

Dem Kiel der schläfrigen entwunden;

Drum wird dein Bildungstrieb, so wie er nirgends matt

Zu Werke geht, hoff´ ich, auch meinen Schwächling runden,

Bis er mit Gott, zur rechten Zeit entbunden,

Kraft, Wohlgestalt, und Leben hat. –

Wohlan, mit Graus und Nacht im Streite

Erschein´ Aurora mir! Gleich ihr, Freund, überbreite

Dein Dichterglanz die weite Region,

Die ich im Dunkeln ließ. Ermanne dich und gleite

Mit mir vom königlichen Thron

Des weichen Lehnstuhls zu Toulon

Die Treppen abwärts und bereite

Ein Polster mir im Phaeton

An meines Krankenwärters Seite!

Sein schnaubendes Gespann verdämpfe jeden Ton

In meinem Morgengruß und fliege leicht davon!

Mein Auge strebe noch begehrlich in das Weite

Und senke sich und sterb´ auch schon!

Mit kluger Eil´ streif´ Er, den Schwalben gleich, im Hafen

Dem Rache=Schiff vorbey *). Sein erstes Gastmal ficht

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*) Vengeance – sie 7ten Theil p. 419.

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Uns nicht mehr an. Blick´ auf, und wenn das Himmelslicht

An dem, im Tod noch treuen Sclaven

Der Würfel, seine Strahlen bricht,

Wenn sein zum erstenmal erröthendes Gesicht

Nach der Galeere schielt, wo wir zusammentrafen,

Wo meines Taschentuchs entscheidendes Gewicht

Zum Sprechen ihn erhob, dem keiner widerspricht:

So schließ aus meiner Ruh´, welch´ einer Last von Strafen

Der Schlaukopf sich entzieht, der sein geheim Gericht

Mit einer Dosis Schlaf besticht;

Nur bitt´ ich, störe mich im Schlafen

Durch des Verklärten Predigt nicht!

Den Spieler hinter uns, im nächsten Wald, begegne

Ein jung Dryadchen Dir, dem jüngst der Saft gerann,

Der seinen Sprößling nährt. Hier halt die Zügel an,

Sey der Verkümmerten ein zweyter Zeus, und regne

In Gold auf sie herab; doch hüb´ ein West etwann

Gewisse heimliche, jetzt ihrem fernen Mann

Nicht halb so gut als Dir gelegne

Kleinodien aus ihrem Kirchenbann;

So wende schnell von da Dein wieherndes Gespann

Und fühl´ es, daß bey Gott! der glücklichste Verwegne

Im schlüpfrichsten Roman, den Crebillon ersann,

Sich keines festlichern Genusses rühmen kann,

Als ihr bethräntes Aug´, ihr stammelnd: Gott gesegne! –

Und deine Großmuth mir gewann.

Hat, weiter nun, dein Geist im Spalt der Felsenmauer,

Die ich Dir jüngst gemahlt, die nackte Höh´ erklimmt,

Das Ungeheuer ihn, das dort auf meiner Lauer

Den Rachen sperrt und nach dem Abgrund schwimmt,

Zur höhern Poesie gestimmt,

So segne meines Schlummers Dauer

Und schildre fürchterlich den Schauer

Des Schwindels, der Dich übernimmt.

Verfolge die Gefahr bis zu dem schmalsten Rande

Der letzten Kluft, die ins Gesicht Dir gafft!

Ein Wunder rette mich; mahl´ es so lügenhaft,

Als je auf seiner Fahrt zu Wasser und zu Lande

Ein Robinson – als je auf seiner Pilgerschaft

Ein Mitglied aus der Spielerbande

Der Heiligen, eins aufgerafft.

Durchflechte, Freund, mit Ahndungen und Schrecken,

Ein zweyter Ossian, die Räume der Natur,

Durchdonnre, wenn du willst, die Flur:

Doch hüte dich, mich aufzuwecken –

Dies einzige verbitt´ ich nur!

Nach allem Ungestüm, den du in deiner Runde

Mit Mahlerlist und Seelenkunde

Erregt, wie wird so wunderschön

Auf diesem schwarzen Hintergrunde

Das Farbenspiel der Abendstunde

Dein bald errungnes Ziel erhöhn!

Sie bring uns schnell gesund und heiter

Auf nun gebahnterm Weg in das gepries´ne Thal.

Jetzt sind wir da; doch ach, wo find´ ich eine Leiter

Aus meinem Phaeton? Wer leuchtet durch den Saal

Mich in mein Kämmerchen und weiter?

Das alles zieh´ aus dem Gedankenstrahl,

Der meinem Kiel entfloß, nun nun – zum letztenmal

Noch eine Bitte, mein Begleiter!

Sind gleich die Stunden voll, des warmen Abends Rest

Bedarf zur Krone doch noch eine –

Sie schwebe noch, bevor mein Schutzgeist mich verläßt,

Einher auf dem verbuhlten West,

Mit Düften angefüllt, die er dem Buchenhaine

Zu meinem Schlaftrunk ausgepreßt,

Und lock´ und treibe sanft das weit verflogne kleine

Geliebte Täubchen, das ich meyne,

Aus seinem, in mein Federnest.

Dann, Lieber, laß im Mondenscheine

Die Girrenden für sich alleine

Und ende dein Gedankenfest. –

Und nun dem Mahler Preis, der bis zum höchsten Lichte

Das düsterste Gemähld´ erhob,

Und dem unförmlichen Gesichte

Des Fortgangs meiner Zeit=Geschichte

Form, Kraft und Leben unterschob!

Der Tag kam in sein Gleis, der, wie es schien, vergebens

Dem Kreise des Gefühls entwich,

Kraft meines Federzugs, der in dem Gang des Lebens

Dem Faden Ariadnens glich.

Zog er denn nicht, o Freund, in deinen Händen mich

Aus Schwindel und Gefahr? und ward denn nicht durch Dich,

O Meister in der Kunst des geistigen Verwebens!

Auch er das Zauberband, an dem mein zweytes Ich

In leisen Schritten, jüngferlich

Mit allen Grazien des kindischen Erbebens

Zu meiner Kammer überschlich?

Umschlangen nicht an ihm nach langer Trennung sich

Zwey Herzen, voll so inniglich

Magnetischen Entgegenstrebens?

Gott, welch ein Schlaf! welch ein Gedankenstrich!

So sah der erste Mensch im ersten Traum sich wippen,

Und stieg und fiel bald hoch, bald tief,

Verlor in Dornen sich, stieß sich an Marmorklippen,

Und träumte von zerbrochnen Rippen,

Und wußte nicht, welch Glück er sich erschlief,

Bis ihn sein holdes Weib mit süßgespitzten Lippen

Zum fröhlichen Versuch, sich munter dran zu nippen,

Aus den geträumten Dornen rief,

Und ihm – gleich dem Montblanc im Morgenperspectiv,

Zwey Schneegewölbe zeigt, an denen im Betippen

Kein Finger bricht, gesetzt, er griff auch noch so schief

Sie an – und, wie er blinzt, wie ihm die Füße kippen!

Mit jenem Hauptjuwel, das selbst ihr Schöpfungsbrief

Still übergeht – entgegenlief.

 

*  *  *

 

Ehe ich mich ganz von der holden Nachterscheinung entferne, die mit dem letzten Pünktchen meines reichhaltigen Gedankenstrichs, schöner als ich sie, in Wahrheit, geträumt habe, aber noch lange nicht so anschaulich hervortrat, als du, mein verständiger Freund und Leser, sie ausmahlen wirst, muß ich dir doch der Vollständigkeit wegen die stille Betrachtung noch mittheilen, mit der ich heute, ziemlich spät, mein Bette verließ. Der angeborne und treuste Freund menschlicher Natur, besonders der meinigen, zischelte ich mir zu, und rieb mir die Augen munter, hat es doch diesmal wieder recht gut mit dir gemeint, aber fast zu gut! Es ist nicht der erste Morgen, wo ich ihm diesen kleinen freundschaftlichen Vorwurf zu machen habe. Ich bin in meinem Leben, das ist gewiß, manchem widrigen Augenblicke, vielen Sorgen und Grillen, durch die Vermittlung des Schlafs, wenn keine andere verfangen wollten, glücklich entwischt; durch ihn wurden nicht selten meine brausenden Leidenschaften und die harten Gegenreden meines Gewissens gemildert. Dagegen aber hat mich auch sein einschmeichelnder Besuch eben so gewiß um manche schöne Belohnung der Wachsamkeit, um manchen Gewinnst an Kenntnissen gebracht, der nicht zu berechnen ist. Ueber süße Träume der Nacht habe ich oft weit süßere des Tags verloren, und bey Freuden, die man nur mit offenen Augen genießen kann, wie heute bey der aufgehenden Sonne, das Nachsehen gehabt. Sie, die ich kürzlich mit solcher Inbrunst besang, ist schon seit vier Stunden dem blumigen Brautbette dieses Thales entstiegen, und hat nun für mich, wie jede Schöne, die sich der weiten Welt Preis giebt, nicht anlockendes mehr. Auch St. Sauveur hat, wie die Sonne, das Erwachen seines Gastes nicht abgewartet. Er wäre, sagt mir der schnurrbärtige Kutscher, den er mir zu meinem Fortkommen zurückließ, mit Tages Anbruche, seinen Geschäften nach, zu Fuße, durch den Tempel des Friedens und vermuthlich nach Marseille gegangen. O warum hat mich der gute Mann nicht geweckt! Wie gern hätt' ich seine muntere Unterhaltung, in der Kühle des Morgens gegen die Schattenbilder meines Traums eingetauscht, da ich jetzt, bei voller Besinnung, ein paar heiße, einsame Stunden durchbrechen muß, um in meine verschraubte Wirthschaft zu gelangen, wohin mich ein paar alberne Briefe auf das ängstlichste rufen. Sie beleidigten schon mein Auge, als ich sie aufschlug, und ihre Siegel verriethen mir sogleich, als wenn es die bekanntesten Wappen wären, von wem jeder herrührte. Auf dem einen war eine hirnlose Maske – auf dem andern das Petschaft des Michelangelo gedrückt. Ich griff nach dem Wahrzeichen des ersten, der mir eine wortreiche Bitte entwickelte, an deren schleuniger Gewährung mir zwar ebensoviel gelegen war, als den beiden Puppenspielern, die sie vortrugen, die aber auch gerade um deswillen mir recht böses Blut machten. Dies verlangt eine Erklärung, lieber Eduard. Du wirst dich erinnern, unter welchen Scheltworten ich mir letzthin den armen Prologus vom Halse schaffte, als er sich mit rednerischem Anstand meinem Schreibepulte näherte. Hätte ich nur zwey Minuten Geduld behalten, ihn anzuhören, so würde ich erfahren und mich längst darein gefügt haben, daß die Elektra, mit der er seine Perioden anhub, nichts weniger als griechischen Ursprungs, sondern in jenen glücklichen Tagen seiner theatralischen Herrschaft die prächtige Frau des ersten Akteurs gewesen, seit kurzem Witwe geworden – Besitzerin eines weitläuftigen Sortiments treflich organisirter Puppen, und geneigt sey, ihm, aus unveralteter Achtung, ihre Hand zu geben. Schließe ja nicht aus dem gedrungenen Auszuge des Briefs auf seine Kürze. Ich könnte dich damit tödten, wenn ich dir ihn in seinem ganzen Umfange vorlegen wollte. Durch mein Zusammendrücken, wie ich es bey so heillosem Geschwätze zu tun pflege, habe ich ihm nur das Gift benommen. In einer Nachschrift bitten beyde Brüder um ihre Entlassung noch diesen Vormittag, mit Beybehaltung ihrer Livree, weil der Jahrmarkt zu Montpellier, wo Elektra zuerst ihr neues Theater zu eröffnen gedächte, schon übermorgen seinen Anfang nähme, und sie dort eines Prologs und Epilogs gewiß benöthigter seyn würde als ich. Hierin haben nun die zwei verbrüderten Narren vollkommen recht; auch will ich eilen und meiner eigenen Freyheit so lange Zwang anthun, bis ich ihnen, wie einem Paar unnützen Stubenvögeln, die ihrige geschenkt habe. Mögen sie mit ihren bunten Federn, die ohnehin nicht von der Farbe meiner Helmdecken sind, aus einer Wildnis in die andere ihren Talenten nachfliegen. Mir soll ihres Schicksals halber weiter kein graues Haar wachsen. Ungleich mehr Sorge macht mir die peinliche Frage, mit der in der zweyten Epistel der unselige Passerino mir zu Leibe geht. Freilich hatte ich es vergessen – aber er nicht, daß der einzige Tag, den uns Saint Sauveur zu der artistischen Reise nach Cotignac frey gab, morgen eintrete. Er wolle, sagt er, die unglückliche Möglichkeit gar nicht voraussetzen, daß ich zum zweytenmale anderes Sinnes geworden sey, und habe deshalb die Postpferde mit dem frühesten in meinen Gasthof bestellt. Was will ich thun? Würde er mich wohl aus Frankreich lassen, ehe ich ihm nicht mein Versprechen halte? So sey es denn! Doch soll es gewiß der letzte Liebesdienst seyn, den ich meinem tollen Lehrmeister erzeige, sowie das letzte Marienbild, das ich besuche. Ach! aber wie fällt mir der Abschied so schwer, den ich, o Gott, auf ewig von diesem reizenden, einzigen Thale nehmen soll. Ohne jenes abgeschmackte Berufsgeschäft hätte ich wenigstens noch einen Tag länger – (Saint Sauveur stellte es mir ja anheim) – hier bleiben, und diese Höhen und Tiefen – diese Landhäuser und Wiesen, die sich vor mir hinstrecken, näher beäugeln können, als durch das Fenster. Ist es nicht zum Tollwerden, daß ich die letzte Vorstellung eines so prächtigen Schauspiels, als mir die Natur auf morgen verspricht, ausschlagen muß, damit ein paar Müßiggänger einen Tag eher ihre hölzernen Puppen den Gaffern ausstellen, und ein Schmierer an eine noch elendere als jene, seinen Pinsel versuchen kann? Vergebens wiederhole ich mir, wie viel edler solche Hingebungen werden, je mehr sie uns kosten. Meine Großmuth hebt den Schmerz nicht, und am meisten ärgert es mich, daß es solche Armseligkeiten sind, die mich von hier abrufen. Ich bin doch in der That ein sehr guter Narr, daß ich gehe! Nur noch einen Schluck aus diesem würzhaften Luftstrom! Einen Hinblick noch auf das stärkende Grün dieser Gefilde! und dann lege ich, mit dem Seufzer eines Liebenden, der aus den Armen seiner Schönen – zum Sturmlaufen gerissen wird, die Feder aus der Hand – gebe meine Nase dem Staube der Heerstraße und meinen armen Kopf den Stralen preis, die senkrecht auf ihn herabschießen.

 

*  *  *

 

Marseille.

     Das Gesicht voller Schweißtropfen – alle Poren von der Hitze geöffnet, sprang ich endlich nach zwey melancholischen Stunden den Urhebern meines Mißmuths in die Hände. Sie erwarteten meiner am Thore des Gasthofs, wie ihres Heilandes, und spitzten die Ohren auf das erste Wort, das ich vorbringen würde, und das war: – „Ein frisches Hemde!“ aber diese in Feuer gesetzten Genies waren schon so fremd in meiner Haushaltung geworden, und so irre, daß sie mich an Bastian verwiesen, der aber nicht zu Hause sey. Sprachlos vor Ärger wankte ich die Treppe hinauf, und fand an meiner Thüre eine Dame hucken, die sich nur noch hätte erbieten dürfen, mir eins überzuwerfen, um alle meine innern Flüche zur Sprache zu bringen. Es war die Geliebte des Prologus, die berüchtigte Elektra, die sich mir in einem Aufzuge zu Füßen warf, daß ich, trotz des Zugwindes für das klügste hielt, sie sammt ihren Theaterhelden gleich auf dem Vorplatze abzufertigen. – Ich drückte jedem zum freundlichen Lebewohl ein Goldstück unter der kurzen Vermahnung in die Hände, ihr albernes Handwerk künftighin klüger zu treiben, und die Trödel=Lumpen, die sie aus meinem Dienst mitnähmen, vollends als ehrliche Kerle zu zerreißen. Heilfroh über mein erstes abgethanes Geschäft, schlüpfte ich nun in mein Zimmer, und bald nachher kam mir auch mein Kammerdiener zu Hülfe. Als er das Seinige besorgt hatte, fertigte ich ihn an den Marquis ab, und suchte nun Ruhe und Friede in meinem Lehnstuhle; hatte aber kaum einige Minuten – selbständig und selig, wie die Gottheit, ohne Prologus und Epilogus da gesessen, als mich der Narr von Maler in das menschliche Elend wieder zurück brachte. Aber auch ihn überhob ich, wie die Puppenspieler, des Vortrags – „Gehen Sie jetzt wie gewöhnlich auf meine Kosten zur Wirthstafel – Morgen früh, Herr Passerino, bin ich zu Ihrem Befehl!“ bewegte zugleich die Hand gegen die Thür, zu der er nun, ohne den Mund zu öffnen – (so gut hatten wir einander verstanden) hinausschlüpfte. Wundere dich nicht über meine laconische Laune, Eduard! Wie konnte ich mich wohl gegen diese Menschengesichter, die mir einen Tag voller Genuß auf dem schönsten Winkel des Erdbodens geraubt hatten, zu freundlichen Gesprächen herablassen! – Doch, es kömmt noch bunter – höre nur! Hast du nicht auch, wie ich, erwartet, daß mich S. Sauveur auf den Mittag einladen würde? Ja, wenn er nicht durchaus an mir die Haltbarkeit seines Systems versuchen wollte – Seine heutige Ueberraschung aber, mag er mir nicht übel nehmen, geht über die Erlaubnis. Rathe einmal, was mir der artige Marquis an Bastians Stelle, von dem ich, ohne mich umzusehen, glaubte, er nähere sich jetzt mit seiner Bothschaft meinem Lehnstuhle – für einen Abgeordneten zuschickte und mit welchen Aufträgen? Einen vornehmen Seeofficier – der sich als einen Verwandten des Brigadiers und mir zugleich ankündigte: – „Er habe ihm die Ehre übertragen, in seiner heutigen Abwesenheit für meine Bewirthung und Unterhaltung zu sorgen.“ – In seiner Abwesenheit? fragte ich mit Befremden, das dem Herrn auffiel – Nun ja; denn Sie wissen doch, antwortete er, daß Sie ihn diesen Morgen auf seiner Bastide zurückließen? Nein, das ist mir in der That etwas Neues, stotterte ich unter einem mißtrauischen Blick auf den Unbekannten. – Nun, so kann ich es Ihnen bescheinigen. – Der Brief, den er mir mit diesen Worten überreichte, war zwar nur flüchtig und mit Bleystift geschrieben, unleugbar aber von der Hand meines Freundes – Ein Glück, daß es so war, nimmermehr wäre ich sonst von der Stelle gegangen, so sonderbar kam mir der Inhalt vor – „Ich“ – lautete er ungefähr, „antworte Dir sehr in Eil, wie Du siehst, aus meinem Janustempel, den ich dringender Geschäfte wegen vor morgen nicht verlassen kann.“ – „Aus seinem Janustempel? dringender Geschäfte wegen? in dem Durchgange eines Steinbruchs?“ Ich suchte geschwind über meine stillen Fragen Erläuterung in der folgenden Zeile – Was fand ich? „Die zwey ersten Feyertage Deines Festes verlor ich zu Toulon – auf den heutigen dritten und letzten muß ich nun zwar auch Verzicht thun – doch stelle ich Dir, um die Lücke zu füllen, meinen Mann an einem alten Bekannten von mir, aus Berlin, der eben in meinem Wagen nach der Stadt fährt“ – „So?“ murmelte ich, – „Er? ein sonst so guter zuvorkommender Wirth – konnte sich doch heute vor Dir unter einem Steinhaufen verstecken? Was in aller Welt hatte der Mann für Ursachen dazu?“ Das Ding fing an mich zu verschnupfen, doch las ich weiter, und da erklärte sich denn der ganze Handel: doch so, daß ich beynahe außer mir kam. „Mein armer Freund,“ erzählte er ganz unverblühmt seinem Verwandten, „hat nach seiner Genesung von einer schweren Gemüthskrankheit tägliche Veränderung nötig – und ich suche hierin nach Möglichkeit seinen Arzt zu ersetzen, der sich entfernt hat: – doch sorge ich heute gewiß so sehr für Deine Unterhaltung, als für die seinige, wenn ich Dich bitte, Deine gastfreye Einladung von mir auf seinen Kopf überzutragen. Dieser Sonderling vom festen Lande hält, wie alle reisenden Deutschen, so gut ein Tagebuch und selbst pünktlicher noch – als ein Admiral. Ich möchte wohl hören, wie er sein erstes Gastmahl zwischen Himmel und Wasser beschreiben wird. Dabei muß ich Dir nur sagen, daß ihm der Götze, dessen Wiegenfest Du begehst, ein so großer Heiliger ist, daß er es gewiß, in dem Taumel seiner Verehrung, allen Deinen übrigen Gästen zuvorthun wird. Was willst du mehr? Morgen nehme ich Dir die Sorge für ihn wieder ab. Ich muß des armen Schelms wegen zur Stadt, der auf Leben und Tod sitzt – und bin recht neugierig darauf – „So? so?“ – wie angenehm ihn das Schrecken seines Pardons überraschen wird. Es soll mir – und schon deswegen ist mir dies Dienstgeschäft lieb – einen neuen herrlichen Beweis für mein System liefern.“ – Ist es nicht, überdachte ich das Gelesene, ein recht hämischer Streich, den dir hier der saubere Marquis, und diesmal gewiß nicht blos aus Vorliebe zu seinem albernen System, spielt? Er übergeht zwar deine Sottise zu Toulon mit Stillschweigen, hätte er aber wohl in seiner Missive das heutige vermaledeyte Wiegenfest zweimal unterstrichen, wenn es ihn nicht für das schwindelnde Gastmahl rächen sollte, um das Du ihn durch Einschub des Gehenkten gebracht hast? Wenn er glaubt, daß ein drehender Kopf zu deiner Nachkur gehört, so verzeihe es ihm Gott – aber wer ist denn der Heilige, dem so viel daran liegt? – Den meinigen – so berlinisch er ist – soll er ungehudelt lassen – Doch, wie geschwind verschluckte ich meine abschlägige Antwort, als mir der Officier auf die obige Frage Voltairen nannte. „Ich habe das Glück,“ fuhr er fort, „die Fregatte zu commandiren, die seinen Namen führt. Einige seiner Bewunderer haben sie ausgerüstet, und so lange sie Wasser hält, verpflichtet mich meine Bestallung – unter welcher Zone der Erde ich auch den 20sten Februar *)

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*) Es gibt zwey Medaillen, die auf Voltairen geschlagen sind, davon die eine den 20sten Februar, die andere den 20sten Nov. 1694 als seinen Geburtstag angiebt. Palissot in seiner Eloge hält den erstern Datum für den richtigen; so auch die Kaufleute zu Nantes, die obiges Schiff ausgerüstet haben.
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vor Anker liege, zu dreytägiger Feyer seines Geburtstags. Es kann mir kaum so leyd tun, daß die beyden ersten ohne Theilnahme unsers Freundes vergingen, als Sie an seiner Stelle, mein Herr, mir bei der Feier des letzten willkommen sind. Es ist weltbekannt, wie viele Anhänger der Schutzpatron meines Schiffs in Berlin hat, von Friedrich dem Großen an bis auf den geringsten Standartjunker. Meine Gesellschaft wird stolz darauf seyn, einen Repräsentanten seiner dortigen Verehrer in ihrer Mitte zu sehen; und auch ich freue mich herzlich auf die anziehenden Anekdoten, die Sie uns von seinem Aufenthalte in Ihrer Vaterstadt mittheilen werden.“ Jetzt war ich mir nicht klug genug, weder wie ich die Einladung des Capitains ablehnen, noch der Verlegenheit trotzen sollte, in die mich allemal ein Compliment verwickelt, das man mir in dieser oder jener falschen Voraussetzung aufdringt – und gewiß würde keiner von Euch allen, die mit Voltaires Bekanntschaft groß thun und mit den Beyträgen seines Witzes dem ihrigen aufhelfen, meine Vocation unterschrieben haben, wenn Ihr die alberne Miene gesehen hättet, mit der ich sie annahm. Die Bangigkeit meiner Erwartung war unbeschreiblich. Ich konnte mir an den Fingern abzählen, daß der Ehrenposten, den ich behaupten sollte, meinen natürlichen Schwindel nur noch vermehren würde, und es ist die Frage, ob der Deliquent, über den man morgen Standrecht hält, nicht mit gößerer Besinnung hinter seinem Capitain hertraben wird, als ich heute dem meinigen nachschlich.

 

*  *  *

 

     O was für ein Ball des Augenblicks ist der Mensch! Daher sollten wir, nach dem Prinzip erfahrner Spieler, nicht bey jeder widrigen Karte, die der Zufall aufschlägt, außer Fassung gerathen; immer auf Abwechslung hoffen, und bedenken, daß der mögliche Uebergang vom Verluste zum Gewinnste nur desto entzückender ist. Mit welchem ungestüm freudigen Herzklopfen wird nicht der heute noch so beklemmte arme Flügelmann morgen dem Kreis enteilen, der ihm den Tod drohte! Ich kann es mir lebhaft aus dem Gange meines Blutes erklären. – So schwer und trübe es war, als ich den bänglichen Wagen bestieg – wie sprudelte es nicht, als ich ihn verließ. Ein Hinblick auf das in stolzer Ruhe prangende Meer versöhnte mich geschwind mit mir selber, und meine kleinmüthigen Stubengrillen verkrochen sich vor der Hoheit der Natur – Gott mag wissen, wohin? Sobald ich an der Seite meines Anführers in der letzten der dreyen, mit Herren und Damen besetzten Gondeln, die nur sein Signal zur Abfahrt erwarteten, Platz genommen hatte, wirbelte von den vorder­sten her, unter deren Leitung wir vom Lande stießen, ein Zusammenklang blasender Instrumente über das Meer, der, von dem Jubel der Zuschauer erwiedert, alle Seelen zu beleben schien. Ich kann jetzt die Möglichkeit begreifen, wie eine volltönende kriegerische Musik es dahin bringen kann, daß so viele verzartelte Muttersöhnchen den Haß gegen ihre Werber, ihr Heimweh und ihr Zittern vor dem Tode auf einmal verlieren – lustig dem feindlichen Feuer entgegen tan­zen, und sich einbilden können, sie haben Herz; denn siehe, auch ich  lachte mit festem Blick der Fregatte zu, die vor meinen Augen hin und her schwankte, und machte mir keine Sorge weiter über den Ehrenposten, zu welchem ich mich, ohne mein Zuthun, erhoben sah. O die Harmonie ist eine herrliche Anführerin für Geschöpfe mit menschlichen Ohren! Ich habe die Donnerschläge der Kanonen nicht gezählt, mit denen uns Voltaire zu unserm Empfang begrüßte; ich weiß nur, daß man mir, unbeholfen wie ich war, das Vorrecht der schamhaften Damen zugestand, und auch mich auf einem herabge­lassenen Armstuhl durch eine Winde auf das Verdeck zog, während herzhaftere Männer auf der Strickleiter hinaufstiegen. Von da schlän­gelte sich die Gesellschaft in das Innere des Schiffs, einem Saale zu, dessen Größe und Schönheit mir kein geringes Erstaunen verursachte, als jenes Spiegelcabinet den beyden Berliner Nymphen, die sich heute vor sechs Wochen – Gott möge sie unbeschädigt an Ort und Stelle gebracht haben – unter dem Schalle meiner Horazischen Ode nach St. Domingo einschifften. Ich wüßte nicht. wie ich mich bey den Musen entschuldigen wollte, wenn ich Dir diesen auf Wasser erbauten Tempel dichterischen Ruhms nicht beschriebe. Das Erste, auf das der feurige Hinblick der Andern meine Augen hinzog, war die Satyrfigur des Pa­trons in seiner natürlichen Dürre und Blässe. Er grinzte aus einem, zum Blindwerden vergoldeten Rahm so spöttisch auf unsere Huldi­gungen herab, daß mir die Schamröthe anflog, die seinen Wangen abging. Unter diesem Bilde lag auf einem Wandtische das auf Per­gament gedruckte Trompeterstück, mit welchem Er die Fregatte anblies, die den Schall seines glorreichen Namens als ein Landespro­duct ausführen, und in alle Winde verbreiten sollte *).

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*) Discours à mon vaisseau.

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Auf zwölf Feldern von Purpurholz trugen glänzendgefirnißte Genien in erha­benem Schnitzwerk die einzeln Stufen zu der ganzen himmlischen Tonleiter seiner Muse zusammen. Sein schriftlicher Nachlaß strahlte hinter den Gittern von vier Eckschränken hervor. Auf der Höhe derselben prangten, als seine Schutzgötter, die Büsten unsers Friedrich´s, Catharinen der Zweyten – des Kaysersohns Joseph und des Königs der Sarmaten, in Pappe. – Wären sie hier, sagte der Capitain ihrer Würde gemäß, aus Marmor, so aber sehen Sie wohl, könnten sie bey stürmischem Weiler durch ihre eigene Härte und Schwere leicht ein­ander gefährlich werden. Wollte Gott, erwiederte ich, die Natur hätte auch Rücksicht darauf genommen, als sie diese Köpfe aufstellte. In der Mitte der Hauptwände hoben zwo Charitinnen Körbe mit frischen Blumen empor. Jeder zu beyden Seiten, hielt ein Affe, mit allem Ausdrucke natürlichen Ingrimms, eine Tischplatte in die Höh, die aus­schlüßlich den Lobschriften auf den Unsterblichen eingeräumt war. Um den Hals dieser angefesselten Träger schlang sich ein Band mit den Namen eines der Menschen, die dem Dichter zu Ableitung der Galle so nötig waren, als seine tägliche Nahrung. Freron hielt den Ane – litteraire *) –

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*) Dies Wortspiel brauchte Voltaire, wenn er von Ferons Anné litter. sprach.

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Beaumelle das Siec'le de Louis XIV. – Nonotte les Erreurs de Voltaire und Franc de Pompignan seine Cantiques sac­re's mit der Umschrift in den Pfoten: Sacre's us sont, car, personne n´y touche. Diese zähnfletschenden Gesichter wären, sagte man, ganz den Originalen ähnlich, die er, nach seinen vier Widersachern benennt, in dem Hofraume zu Fernai an Ketten gelegt, täglich mit eigenen Hän­den fütterte und reinigte, um diesen schuldlosen Geschöpfen die Freu­de seines Grolls fühlen zu lassen, den er ihren Namens = Vettern bis an sein seliges Ende nachtrug. Alles war hier, wie Du siehst, auf die Ehre des großen Mannes berechnet, nichts hat aber wohl jemals sie lauter verkündigt, als die ansehnliche Versammlung, in deren Kreise ich äußerst verlegen da stand. Meine Zunge war, gegen die Geläufigkeit der andern genommen, wie vom Schlage gerührt, und genau überlegt, konnte vielleicht nichts besser zu meinen gegenwär­tigen Verhältnissen passen, als diese Lähmung; denn wie leicht hät­te mir sonst mein deutsches Gefühl den Streich spielen, und mich verleiten können, aus Vergessenheit meiner Repräsentantenstelle, den Signalen unseres Kleists, Klopstocks und Wielands zu weit in den Irrgängen der Wahrheit zu folgen, und mir die Strafe zu erholen, die der Prophet Jonas von seinen Zuhörern erlitt. Keiner der zwölf Jünger, die hier zum Gedächtnisse des göttlichen Sterblichen ver­sammelt waren, erwähnte seiner eigenen geringen Person, außer in Verbindung mit seinem Meister, und alle suchten einander zu über­schreyen. Wenn jener im Zählen war, wie oft er mit dem liebens­würdigen Dichter an einer Tafel gespeist habe, so störte ihn dieser durch seinen langjährigen Briefwechsel mit dem berühmten Manne. Mancher hatte mehrere Wochen bey ihm in Fernay verlebt, und – glaubwürdig genug – die Affen persönlich gekannt, die dort im Le­ben, wie hier in hölzernen Nachbildern, seinen Ruhm stützten. Der eine gab zu verstehen, er habe ihm, der jede Kleinigkeit zu benut­zen wußte – durch Umgang vielleicht zu mehr glücklichen Einfäl­len geholfen, als sich die litterarische Welt wohl vorstellte; der an­dere beschwor bey seiner Ehre, daß er vier Posten hinter Voltaires Wagen hergefahren, und immer so glücklich gewesen sey, beym Aus­steigen ein oder zwey Worte von ihm zu hören, die bis zur nächsten Station wie eine Herzstärkung auf ihn gewirkt hätten. Ein dritter, indem er das Kinn vorstreckte, wie Voltaire selbst, ließ merken, er trüge wohl die Physiognomie des Dichters nicht von ungefähr. – Sey es wie es sey, unterbrach er sich selbst, tant mieux!

 

     Da ich mich von allen diesen Glücksfällen keines einzigen rüh­men konnte, so kam es mir auch nicht von weitem in den Sinn, dar­ein zu sprechen, bis mir eine junge Dame die Zunge lößte. Ach Gott! rief sie enthusiastisch aus, welcher Genuß gewährt nicht sein herrli­cher Geist einem denkenden Wesen! – Ich blickte ihr geschwind nach dem Busen, weil Kenner behaupten wollen, hier säß´ den Wei­bern der Verstand, so wie ihr Herz hinter der Stirne. – Beydes aber kam mir etwas platt vor. Vier Monate war der große Mann, fuhr sie mit aufgehobenen Augen fort, in meiner Aeltern Hause zur Mie­the, und denken Sie! ich bewohne sein Arbeitszimmer. Es ist klein – aber wahrlich, ich vertauschte es nicht mit dem schönsten Spie­gelgemach – schon des Quatrains wegen nicht, das er auf eine der Fensterscheiben gekritzelt hat. – „Was?“ fiel ich ihr in die Rede, „Sie besitzen eine Fensterscheibe mit einem Quatrain von Voltai­re?“ „Ja,“ wiederholte sie mit stolzem Anstand, „vier Verse von sei­ner eigenen Hand, und die selbst in der neuesten Ausgabe seiner Werke fehlen.“ „O Madam!“ trat ich ihr jetzt näher, „wie glücklich könnten Sie mich durch dieses Stückchen Glas machen! Bestimmen Sie, ich bitte, einen Preis, ich verstehe mich unbesehen dazu.“ – Lieber, lieber Eduard, daß ich doch nie lernen werde, meine Worte zu wägen! „Es thut mir leid,“ antwortete sie mit übrigens sehr freund­lichen Augen, „daß ich mich auf so einen Handel nicht unbedingt einlassen kann – Jene Scheibe ist mir ein zu liebes Eigenthum und – nicht wahr, lieber Vater?“ rief sie einem ältlichen Militair zu – „unzertrennlich von meiner Person.“ – Diese Erklärung stopfte mir auf einmal den Mund. Ich leistete zwar ungern Verzicht auf solch einen Schatz für mein Cabinet, that sogar ein übriges, warf zum zwey­tenmal einen Blick auf das denkende Wesen; aber der Preis war und blieb mir zu hoch.

 

     Der Aufruf zur Tafel  unterbrach bald nachher das allgemeine Gespräch. Meine Kunstgenossin setzte sich neben mir – Ich hatte nun alle Gelegenheit, tiefer in ihren Verstand zu blicken – Sie ließ auch ihr Herz sprechen: doch ich erwähnte die Scheibe weiter mit keiner Sylbe. Siehe, Eduard, ich wollte gern zwey Tage hungern, wenn ich mir dadurch das Vergnügen erkaufen könnte, Dir den Küchenzettel des herrlichen Mahls vorzulegen, das jetzt begann. Er würde Dir unsern sinnlichen Genuß viel anschaulicher machen, als meine wortreichste Beschreibung. Im Allgemeinen muß ich Dir jedoch angeben, wodurch es sich vor allen andern auszeichnete, ehe ich zum Schlusse des Festes komme, der eine reine neue Feder erfodert. Es ward – vielleicht nach Schiffsgebrauch, vielleicht auch aus symbolischer Hinsicht – nur eine Schüssel auf Einmal aufgesetzt – und schon das gefiel mir, denn so blieb die Bewunderung, die wir ihr einstimmig zollten, wie bey Voltairen, so lange ungetheilt, bis eine andere erschien, die, wie es ihm auch gehen wird, uns noch bewundernswürdiger vorkam, als die erste. Entständen aber auch zwanzig Dichter nach ihm, deren immer einer größer als der andere, den Geschmack an die vorangegangenen verdrängte, sie könnten kein höheres Erstaunen bey mir erregen, als mir die Reihe eben so vieler immer köstlichern Gerichte abnöthigte. Es war mir eine bittersüße Betrachtung; aber ganz eines Philosophen würdig, daß mir, selbst in dem Gebiete meiner vorzüglichsten Kenntnisse, so viel Neues entgegen kam. Denn außer dem gesegneten Brod, dessen ich mich noch von Aix aus erinnerte, trat doch nicht ein einziges Gericht unter meinen Gesichtskreis, das ich als einen alten Bekannten hätte begrüßen, und im voraus errathen können, was er mir leisten würde. Noch scheint es mir bemerkenswerth, und ich möchte wohl wissen, ob dieses auch bey anderrn Opfern der Fall sey, daß die Gesellschaft sich nur so lange mit der Verherrlichung ihres Götzen beschäftigte, als der Uebergang von der leeren zur vollen Schüssel dauerte. Voltaires Bild flog in diesen Zwischenzeiten, wie ein Schatten in der Zauberlaterne, nur flüchtig den Augen vorüber; desto herzergreifender fesselte er aber unser aller Aufmerksamkeit, als es lichter auf der Tafel ward, und unter den Spielwerken des Nachtisches ein Teller mit Devisen die Erinnerung an den ganzen Umfang seiner Vorzüge zurückbrachte; denn aus jeder noch so unbedeutenden Figur, die auf Geradewohl genommen, belächelt und zerknickt ward, entwickelte sich ein, aus dem Schatze seiner Schriften entlehnter ernster oder schalkhafter Gedanke. Es war die artigste Lotterie der Art, die ich je gesehen, und allen Tafeln empfehlen möchte, so wie es die erste ohne Nieten war, die mir vorkam. Sie erheiterte unsern vergnügten Zirkel noch mehr. Es war beynahe so gut, als ob der gefeyerte Dichter selbst zugegen sey, je in gewisser Rücksicht war es noch besser, denn mancher von den Gästen, der vielleicht unter den Augen des Dichters zu blöde gewesen wäre, ihm seinen Beyfall anders, als durch ein bescheidenen Stillschweigen zu zeigen – betäubte jetzt unser Gehör, mancher, dem mit Voltaires Versen heute vielleicht zum erstenmal ein kluges Wort über die Zunge kam, spielte hier den Kenner, und schien, als wolle er ihnen nur desto mehr Glanz durch die Einwilligung verschaffen, die er uns gab, sie ohne Bedenken für schön zu halten. Ich hielt, bis es die andern müde waren, ihren Gewinn auszutrommeln, mein Loos, unter der Maske eines Harlekins, mit so zögernder Bescheidenheit zwischen den Fingern, als ob es ein Impromtu von meiner eigenen Erfindung enthielt, und wenn mir jemand gesagt hätte, du hast Worte in deiner Gewalt, die gleiches Schrecken um dich her verbreiten werden, als jene, die eine übermenschliche Hand, der Tafel des Königs Belsazars gegenüber, an die Wand schrieb, ich würde ihn für einen Fantasten gehalten, meinen Harlekin so gewiß als jetzt, und ohne Furcht vor dem traurigen Erfolg geöffnet haben, der mir aber nur zu bald in die Hände kam; denn ich hatte kaum die ersten Worte des Verses über die Zunge:

 

Le grand monde es leger, ianpliqué, volage,

Sa voix trouble et séduit. Est – on seul, on est sage.

 

so entstand, wie in der Natur vor dem Ausbruche eines Erdbebens, eine so auffallende Stille an der Tafel, daß ich verwundert um mich herum blickte, ohne die sonderbar andächtige Wirkung dieser Zeilen auf eine so muntere Gesellschaft begreifen zu können. Ich sah nur niedergeschlagene Augen, hörte nur tiefgeholte Seufzer, und unser Wirth, eine Flasche Champagner in der Hand, schien äußerst verlegen, was er damit anfangen – ob dem Harlekin trotzen, oder meine Neugier befriedigen sollte. Er entschloß sich aus Höflichkeit gegen einen Fremden zu dem letztern – schob das Leichtsinn erweckende Getränke bey Seite, und – „Wundern Sie sich nicht, mein Herr,“ wendete er sich nach mir, „daß der Denkspruch, den das Ungefähr Ihnen zuwarf, uns alle so ernsthaft gemacht hat. Er veranlaßte die Erinnerung an eine eben so vortreffliche Freundin. Sie hatte diese Zeilen über den Eingang eines Eremiten=Häuschens setzen lassen, in welchem sie eben den süßesten Träumereyen nachhing, als ein grausames Verhängniß sie plötzlich und wahrscheinlich auf ewig daraus vertrieb. Wenn es meine übrigen Gäste nicht zu sehr angreift, so geben sie wohl zu, daß ich unserm lieben Fremden den traurigen Vorgang erzähle“ – Die Herren schoben stillschweigend ihre Gläser von sich: die Damen falteten die Hände wie in einer Betstunde, und das denkende Wesen meiner Nachbarin hob sich ein wenig. „Lassen Sie uns, mein Herr,“ fuhr der Captain fort, „einen Augenblick in das schöne Thal zurückgehen, von dem Sie heute herkommen. Dünkte es nicht Ihrem Herzen, als Sie es zum erstenmal so abgezogen von der übrigen Welt überblickte, daß es dem menschlichen Elend unmöglich sey, in diesen Wohnsitz der Ruhe zu dringen? und doch hätte St. Sauveur, der es wahrscheinlich aber, aus Schonung Ihrer, unterließ, Ihnen aus seinem Saalfenster den Geburtsort der Person zeigen können, die eben dort zu einem Jammer ohne Gleichen heranwuchs. Ich berufe mich dreust auf die selbst höchst liebenswürdigen Damen meiner Gesellschaft, ob sie eine gekannt haben, die ihrem Geschlechte mehr Ehre machte, und an Schönheit, Verstand und Annehmlichkeiten dem Fräulein von Larai gleich war.“ Nein, so wahr Gott lebt, fielen sie hier alle dem Redner ins Wort, und er selbst brauchte einige Augenblicke, sich von dem rührenden Hinblick auf sie zu erholen. Denke, Eduard, um wie viel dieser Einnklang bey einer solchen Gewissensfrage, diese unglaubliche Stimmung weiblicher Unpartheylichkeit über die Vorzüge einer Andern, meine Aufmerksamkeit noch erhöhen mußte! „Der Vater dieses Engels, ging der Seemann in seiner Erzählung fort, einer der wackersten Menschen, lebte in jenem reitzenden Bezirke auf seinem Landgute, und widmete nach dem Tode einer trefflichen Gattin, seine Erholungsstunden nur Freunden, die ihm glichen, und alle Kräfte der Erziehung des einzigen Zweigs seiner glücklichen Ehe. Diese ihm so liebe Tochter stund im dreyzehnten Jahre, als er, in der besten Meynung, den Grund zu ihrem nachherigen entsetzlichen Schicksale legte. Er versprach sie einem jungen Grafen – Sein Name – doch ich verschweige ihn lieber aus Achtung für edle Verwandte. Sie wechselten die Ringe unter den übelsten Vorbedeutungen. Er steckte den ihrigen mit einer spöttischen Miene an, die den Anwesenden höchst mißfiel, und sie verlor den seinigen bey dem ersten Spatziergange. Bald nachher erhielt der junge Mensch einen Gesandschaftsposten, der ihn fünf Jahre von seiner Verlobten entfernte. In dieser Zwischenzeit fiel das, nächst an den Wohnort des Barons gränzende Landgut durch Erbschaft an einen Herrn von Grammont, der liebenswürdig, sittlich und von dem edelsten Herzen, weit mehr als der Herzog gleichen Namens, verdient hätte, die Feder eines Hamilton zu beschäftigen. Er besuchte seinen Nachbar – sah die Tochter, die in der Blüthe ihres siebenzehnten Jahres stand, und nun erst hielt er den Zufall, der ihn in diese Thal eingeführt hatte, für einen Würfel in der leitenden Hand der Vorsehung, die das höchste Glück seines Lebens bezweckte, und strebte, seit dieser unvergeßlichen Stunde, dem großen Ziele seiner Hoffnungen nach. Er erreichte es – gewann bald die Achtung und Freundschaft des Vaters, und nur desto geschwinder auch die Gegenliebe der Tochter, die sich in aller Unbefangenheit der Jugend ihrer ersten Neigung hingab. Kein Ring, kein Brief, kein Gedanke erinnerte sie an ihren entfernten Verlobten, am allerwenigsten der Vater, der sich nur im Stillen die Uebereilung seiner ältern Zusage vorwarf, nicht über das Herz bringen konnte, die wachsende schöne Leidenschaft der Tochter zu stören, und, als sein Freund um ihre Hand bat, weder vermögend war, sie ihm abzuschlagen, noch zu gewähren. Wenn die beyden Liebenden mit Thränen der Zärtlichkeit bittend vor ihm standen, bat er sie dagegen nur um Geduld und Aufschub – vermischte seine Seufzer mit den ihrigen, verschloß aber nur desto sorgfältiger das Geheimniß seiner Unruhe. In diesem Kampfe mit sich selbst, war ein Jahr vergangen, als dem alten Manne eine tödtliche Krankheit zustieß. So bald er ihren Ausgang ahndete, fühlte sich seine beängstete Seele erleichtert. Mit erheitertem Blicke rief er die weinende Tochter an sein Sterbebette, umarmte sie mit sichtbarer Freude, und, O! – waren seine Worte, wie danke ich Gott, daß er ins Mittel tritt, meinen Fehler gegen Dich wieder gut zu machen. Du liebes treffliches Mädchen! – Mein Tod entzieht Dich noch zeitig genug der lästigen Verbindlichkeit, die ich Dir in Deiner Kindheit auflegte – Dein Herz nahm und konnte keinen Theil daran nehmen – aber es wird ihm nun bald frey stehen seiner eigenen Wahl zu folgen. Du staunst? verstehst mich nicht? Ach! hätte ich mein übereilt gegebenes Wort so leicht vergessen können, als Du Deines, das Dir nur blinder Gehorsam abdrang. Mein letzter Wille vernichtet den erstern – Befolge ihn, so bald Du mich unter die Erde gebracht hast, und zögere nicht, Dich und den glücklich zu machen, der Deines Besitzes so werth ist – weit mehr als jener, dem ich solchen einst zusagte. Ein längeres Leben würde mir den Trost geraubt haben, der mir jetzt mein Ende versüßt: denn nun erst kann ich hoffen, daß Du und Er mein Andenken segnen werden. –

 

     Die liebreichen Befehle des Sterbenden – der Drang ihres eigenen Herzens, am meisten aber das Gespenst des Grafen, setzten ihrem kindlichen Schmerze wohlthätige Schranken. Sie drückte mit der einen Hand, unter einem Ergusse von Thränen, ihrem Vater die Augen zu, und reichte die andere ihrem Geliebten. Nach einer kurzen Trauer feyerten sie den Festtag ihrer Vermählung, der ihre Herzen – Tugenden und Güter in ein schönes Ganze verschmolz. Das glücklichste Paar auf dem schönsten Puncte der Erde! lautete die allgemeine Stimme, und nie hatte sie wahrer gesprochen. Nach sieben Monaten vollen Genusses aller irdischen Seligkeiten, kam der Zerstörer derselben, der Graf, von seiner Mission zurück. Ich sah ihn den Tag nachher bey unserm Gouverneur. Da scherzte er noch über die Untreue des ihm einst aufgedrungenen Kindes. Er habe sie, setzte er lachend hinzu, in Neapel erfahren, wo zum Glück ein junger Mann sich noch am geschwindesten über solche Unglücksfälle trösten lerne. Als er aber in der Folge überall, wo er nur hinkam, von seinem Verlust unterhalten wurde, und dessen Größe erst ganz begriff, da ihm ein glänzender Zirkel auf die Frage, mit der er ungestüm in den Saal trat: Sagen Sie mir um Gotteswillen, wer ist das wunderschöne Weib, und der strahlende Herr, der mir eben im Vorzimmer begegneten? – aus allen Ecken zurief: Graf! Kennen Sie denn Ihre ehemalige Braut nicht mehr? da fielen diese Worte wie Donnenschlag auf sein Herz, erfüllten es mit den wüthendsten Gefühlen des Stolzes, der Eifersucht und der beleidigten Ehre. Seine innere Empörung war allen Gegenwärtigen sichtbar. Er veränderte die Farbe, so oft der Name Grammont ertönte. Den ganzen Abend über mißtrauisch gegen jedes lächelnde Gesicht, in sich gekehrt, abwesend und stumm, verließ er endlich die Gesellschaft mit dem Fluche des Verbrechens belastet, das er den Morgen darauf ausführte. So wie er in seine Wohnung kam, störte er die halbe Nacht hindurch unter seinen vor fünf Jahren zurückgelassenen Kleinigkeiten, nach dem Versprechungsring der Fräulein von Larai, zwängte ihn an den Finger, und hielt sich nun mit diesem Beweise seiner ältern Ansprüche für berechtigt, einen Gang zu wagen, um sich an demjenigen zu rächen, der sie in seiner Abwesenheit auf das empfindlichste verletzt habe. Unter diesem Blendwerke sophistischer Schlußfolgen, schickte er, ohne auf die Vorstellungen seines Secretairs, der mir diese Umstände erzählt hat, zu achten, dem schuldlos glücklichen Manne eine beschimpfende Ausfoderung zu. Herr von Grammont frühstückte eben mit dem Weibe seiner Jugend in einer Laube von Weinreben, die er, bey dem ersten Erwachen seiner Liebe, aus keiner geringern Ursache auf einer Anhöhe seines Gartens gepflanzt hatte, als weil er von da auf das Eremiten=Häuschen überblicken konnte, wo gewöhnlich in den Morgen= und Abendstunden das Fräulein sich ihren wehmüthigsten Gefühlen Preis gab. Diese beyden einander zuwinkenden Plätze gaben durch die Erinnerung an jene bängliche Zeit den Stunden, die sie jetzt hier weilten, einen unaussprechlichen Reiz. An ihrem Hochzeitabende war die erste Traube dieser geheiligten Pflanzung reif geworden. Sie hätten es gern für ein Wunder gehalten, als sie auf ihrem traulichen Spatziergange damit überrascht wurden. In einem dichterischen Schwunge der höchsten Zärtlichkeit, unter dem Abglanze der untergehenden Sonne, der sie beyde mit klopfendem Herzen und Ahndungen der annähernden Freuden nachblickten, bog Er, gleichsam als Vorspiel, diese noch unberührte Frucht den Lippen seiner Geliebten zu, und zerdrückte jede Beere, die sie faßten, mit glühenden Küssen, eine Scene, die das holde Weib noch jetzt nicht vergessen kann. Heute feyerten die Glücklichen den ankommenden Frühling unter dieser ihnen so theuern Laube. Er wiegte sie auf seinen Knien, und sich an ihrem Busen, und rechnete schalkhaft ihr vor, um wie viele Pfunde seit jenem mystischen Abend sie schwerer geworden sey, als einer seiner Bedienten ihm den Brief brachte. Die kleine Muthwillige = = = ach! hätte sie gewußt, mit welcher Natter sie spielte! – ergriff ihn, knickte das Siegel, drohte seine Geheimnisse zu lesen, und stellte es zuletzt seiner Großmuth anheim, ihre Neugier zu stillen. Gleichgültig schob er ihn zwischen die Weste, denn er hatte nur Augen und Gedanken für Sie. Diese Tändeleyen der Liebe, die an dem Tage, der ein so grausamen Geschick in seinem Schooße trug, der Erwähnung wohl werth sind, beschreibe ich nach der Aussage einer Person, die das Frühstück besorgte, und dabey ab= und zuging – eines vortrefflichen Mädchens, das, als Kind, die Gespielin der jungen Dame, jetzt weniger ihre Dienstbotin, als bewährte Freundin war. Sie, die nach geendigtem Frühstücke in die Laube trat, versetzte durch den Ausruf: O das ist zum Mahlen schön! ihre Gebieterin aus einem süßen Träume in einen andern. Du hast Recht, meine gute Anne! Geh´ und trage mir geschwind meinen Pastellkasten in die Eremitage, und indem sie sich aus den Armen ihre Gemahls wand – Laß mich, sagte sie mit losem Ernst, deine Laube muß nicht immer den Vorzug vor meinem Schilfhäuschen haben. In zwey Stunden, eher hilft aber kein Anklopfen, will ich den Herrn Gemahl mit der Kopie seines Originals empfangen, die er mir theuer bezahlen, und die ihn ganz überzeugen soll, wie häßlich ihm dieser lüsterne Mund, diese begehrlichen Augen und diese glühenden Wangen zu Gesichte stehn.

 

     Mit diesen Worten – den letzten, die er aus dem Munde seines Weibes vernahm, flog sie in ihr Eremitenhäuschen, setzte sich vor den Zeichentisch, wählte aus dem zarten Gewebe der vergangenen Stunde den herzlichsten Augenblick, und bot allen Zauber der Kunst auf, um durch den Schmelz der Farben und den Hauch der Wahrheit das liebliche Schattenbild ihrer noch frischen Erinnerung zu beleben. Diese letzte Arbeit ihrer Hände, diese kostbare Ueberlieferung ihres zerrütteten Glücks, wird von unserm Freunde St. Sauveur als ein Heiligthum aufbewahrt. Ach! wie oft habe ich schon davor gestanden, und nur mit Gewalt vermocht, meine thränenden Augen davon abzuziehen! – In sprachloser Seelenzufriedenheit – die Hände gefalten, und die Augen gen Himmel gerichtet, saß der überglückliche Mann noch eine Weile unter dem Ueberhange seiner Laube, als man ihm meldete, der reutende Bote warte auf Antwort. Jetzt erinnerte er sich des Briefs – suchte – erbrach vollends das Siegel, überlas ihn – und nach einem kurzen ernsten Nachdenken befahl er zwey Pferde vor der hintern Gartenthür – nannte den Reutknecht, der ihn begleiten sollte, und verbot, als er aufstieg, den Umstehenden, der Dame nichts von seinem Spazierritte zu sagen: in einer Stunde werde er wieder zurück seyn; – und so flog er dem Orte zu, wo sein Gegner ihn erwartete. Sie trafen einander auf einem Rasenplatz am Fuße der Vestung. Der Graf reichte dem Ankommenden zwey Pistolen – Er wählte eine mit stolzem, furchtbarem Stillschweigen, und beyde – nachdem sie zehn Schritte von einander ihre Stellung genommen – drückten los, und in derselben Minute stürzte Grammont mit zerschmetterter Stirne zu Boden. Der Mörder schwang sich auf sein Pferd – flüchtete auf einem gemietheten Postschiffe nach Genua, und hat nun von dort aus die Frechheit, um freye Rückkehr in sein Vaterland zu bitten. Im Krampfe des Entsetzens, ließ der Reutknecht das scheugewordene Pferd seines getödteten Herrn fahren, und mit verhängtem Zügel flog er der einsamen Schilfhütte zu, wo noch in ihrer Glückseligkeit vertieft, die theure Unbefangene verweilte, und eben daran war, einen Schattenzirkel um das fertige Gemählde zu ziehen. Sie hörte das Trappen des Pferdes – hörte sich mit einem Jammerton rufen – riß sich in die Höh´ – stürzte den Zeichentisch um – öffnete die Thür, und sah den verblaßten Menschen, der nur noch die unselige Kraft hatte – mit zitternder Hand nach der Gegend der Vestung zu deuten – die Namen ihres Gemahls – des Grafen – Zweykampf – und Tod – in einzelnen Tönen, aus der beklemmenden Brust zu stoßen, ehe er ohnmächtig niedersank. Wer es vermag, schildere den Zustand dieses weiblich zarten Herzens, sobald es der Greuel seines Geschicks erfaßte – schildere den entsetzlichen Fall aus einer solchen Höhe der Seligkeit, in eine so grundlose Tiefe des Elends – den Uebergang des frohsten Selbstgefühls, das noch kurz zuvor ihre Farbenstifte bey dem schönen Nachbilde des Geliebten so glücklich geleitet hatte, zu der Trauerpost seiner Ermordung. In einem Augenblick lag ihre Hütte – die Laube, der Garten – ach die ganze Welt lag hinter ihr! – Sie flog, ohne nach Begleitung zu rufen – ohne zu wissen wohin? nur auf den ungefähren Wink des Schreckensboten, längs dem Steinwege – allen, die ihr begegneten, unaufhaltsam vorbey, unserer Stadt zu – flog durch das Thor – schöpfte nach Luft, um zu schreyen – und foderte mit schmetternder Stimme ihren Gemahl – von dem erstaunten Haufen, der sie umringte, indem sie ihre blutig zerrungenen Hände gen Himmel hob. Ein fürchterlich schöne Figur im weißen Morgenkleide – die Bandschleifen durch den empörten Busen gesprengt – mit braunem fliegendem Haare – fortgetrieben durch innere Pein, und hingegeben der Verzweiflung – so sahen wir sie alle, wie wir hier sitzen, unsern Häusern vorüber durch die Straßen rennen  und eilten ihr nach. Auf dem Marktplatze sank sie endlich ohnmächtig darnieder. Einige aus dem Kreise, der sie auch hier mit staunendem Mitleiden umgab, waren im Begriffe, sie in das nächste Haus zu bringen, als St. Sauveur, durch den Lärm ans Fenster gezogen, seine Freundin erkannte – blitzschnell herbey flog – sie jenen ab, auf den Arm nahm, und in das nahe Kloster der barmherzigen Schwestern bis in das Zimmer trug, das man ihr einräumte. Er schickte nach den berühmtesten Aerzten der Stadt, foderte, ordnete, und verschaffte alles, was er zur Beruhigung und Bequemlichkeit der Kranken für nötig hielt; konnte aber, so wenig als ein anderer, begreifen, was dem armen Weibe begegnet sey, bis ihre gute Anna, mit Thränen und Schweißtropfen benetzt, unter uns trat, und den schrecklichen Vorgang nach der Angabe des Augenzeugen erzählte. Indem erholte sie sich – Wir, die das Stöhnen der Erwachten nicht zu ertragen vermochten, verließen das Zimmer, nur St. Sauveur blieb, ohne seiner zu schonen. – Welch eine Morgenstunde! Sie werden den schauderhaften Eindruck leicht begreifen, mein Herr, den sie auf jeden zurückließ, der ihr beywohnte, und sich über die Wehmuth nicht weiter verwundern, in die uns Ihr zufälliger Fund versetzt hat. Der feinste Faden, der mit einem solchen Gewebe des Unglücks in Verbindung steht – würde er auch noch so leise berührt, muß seinen ganzen Umfang erschüttern.

 

     Der Capitain hatte nun, wie er glaubte, mir allen genüglichen Aufschluß gegeben, und regte sich aufs neue mit seinem Champagner: aber jedermann ermunterte den Redner fortzufahren, und verbat das berauschende Getränke – „So verlangen denn meine lieben Gäste,“ fragte er, „noch immer keine Ruhe? Sie kennen ja alle, außer der fremde Herr da, den Fortgang des Trauerspiels, so gut als ich“ – „Aber auch er,“ rief ein ältlicher mit Pflastern verstellter Officier, dem der Hieb in einem Ehrengefechte Mund und Nase gespalten hatte, „sollte nicht von uns gehen, ohne die Warnung, die der Verfolg der Geschichte noch rührender predigt, als der Anfang, mit in seine Heimath zu nehmen.“ „So hören Sie denn,“ fuhr der Capitain fort, „was mir nicht nur St. Sauveur von der folgenden Stunde mitgetheilt hat, sondern so viel ich auch noch bis heute von der Unglücklichen weiß. Sie öffnete die Augen unter jenem krampfhaften Gestöhne, das uns verscheucht hatte, und sah sich starr um; sobald sie aber ihre Jugendfreundin erblickte, stürzte sie ihr in die ausgebreiteten Arme. Fest an diesem einzigen Geschöpfe geklammert, das sie in der ganzen Natur allein noch zu erkennen schien, ließ sie ihr Herz ausbluten, und ihre sprachlosen Gefühle verathmen. Erschöpft sank sie endlich auf ihr Bette, und zugleich in den tiefsten Schlaf, der bis den andern Morgen anhielt. Die Aerzte bauten große Hoffnungen auf diesen Beystand der Natur, und trösteten alle Nachfragenden damit, die das Kloster unaufhörlich belagerten. Schöne, aber ach! vergebliche Erwartung! Die Kranke hatte während der Ruhe nur neue Kräfte zu der schrecklichen Folter gesammelt, die ihr bevorstand. Denn, als die wiederkehrende Unglücksstunde ertönte, raffte sie sich in einem schauervollen Erwachen von ihrem einsamen Lager auf – Gustav, war der erste Jammerlaut, den sie, an den Busen ihrer Freundin gelehnt, ausstieß – ach liebe Anna! laß mich doch meinen Gustav suchen, und mein müdes Haupt auf seinem Grabhügel ausruhn! – Unter diesem fortdauernden Gewimmer stieg ihr Schmerz immer höher, bis auf den Gipfel des Wahnsinns. Diese innere Pein ließ nicht eher nach, als bis sich ihre Zunge in einen Strom noch nie erhörter Flüche gegen den Mörder ihres Gemahls ergossen hatte; dann erst kam sie, in der äußersten Abmattung, wieder zu sich. Welchen Drang unnennbarer Martern läßt nicht eine solche Linderung in einer so edlen, sanften und Gott ergebenen Seele voraussetzen. Drey Wochen nachher, die nur aus trübsinnigen Stunden zusammengesetzt waren, kam ihr zum erstenmal ein anderer Gedanke. Anna, – erwachte sie mit ihrem in gesunden Tagen so freundlichen Aufblick – ich möchte mir wohl eine anständigere Wohnung suchen – Bestelle mir doch meinen Wagen. Dieses erste Zeichen von Besonnenheit verbreitete überall Hoffnung und Freude. An der Hand ihrer Getreuen, und mit rührendem Bezeigen ihres Danks gegen die Nonnen, die von ihr Abschied nahmen, verließ sie das Kloster – aber wohin ließ die gute Dame sich bringen? Den dringensten Bitten ihrer Begleiterin entgegen, nirgend anderwärts hin, als in das öffentliche Irrenhaus! Nachdem sie die innere Einrichtung nachdenkend untersucht hatte, schien es sie zu freuen, in einem kleinen abgesonderten Hof ein paar leere, reinliche, vergitterte Kammern zu finden. – Diese hier, wendete sie sich leise gegen den Aufseher, miethe ich für mich, und die anstoßende – wehmüthig fragend blickte sie dabey Annen in die Augen – für meine Freundin. Seit jenem Morgen wohnt nun dort die edle Dulderin, immer in sich selbst versunken – außer dann und wann, wo sie die Gefährtin ihres Elends durch einen sanften Händedruck zu trösten und zu bitten scheint, sie nicht zu verlassen – in stiller Verborgenheit. Nähert sich aber die Schreckensstunde, die sie auf ewig von ihrem Gustav trennte, so mag die Uhr solche ankündigen oder nicht, ihr instinctgleiches Gefühl irret sich um keine Minute – dann tritt sie an das eiserne Gitter ihres selbst gewählten Gefängnisses, und ihre zurückgehaltenen Klagen tönen nun in sonorischen Worten gen Himmel. Allmählig umzieht Fieberröthe die blassen Wangen, die matten Augen fangen an zu glühen, die Stimme hebt, das Haar sträubt sich, und eine kurz vorlaufende Erschütterung des schönen Gesichts kündigt nun den Eintritt der Wuth an, die bis zur völligen Entkräftung des armen Weibes fürchterlich fortdauert. Dieses ist bis jetzt der abgemessene Gang ihres verschmachtenden Lebens. Hat schon meine Erzählung sie so tief gerührt, mein Herr, was wird nicht erst das Zeugniß Ihrer eigenen Augen bewirken! Ich kenne den Hang des menschlichen Herzens nach dem Genusse der Wemuth zu gut aus Erfahrung, um nicht vorauszusetzen, daß auch Sie den merkwürdigen Gegenstand dieser allgemeinen Trauer aufsuchen werden. – Und das, rief ich, soll morgenden Tags geschehen. – Ich würde mich zu Ihrem Begleiter anbieten, sagte der wackre Mann, hätte ich nicht selbst schon oft das Lästige wahrgenommen, das uns fremde Zeugen in solchen Augenblicken der Thränen auflegen. Niemand hat deren wohl mehr um die arme Bedrängte vergossen, als unser guter St. Sauveur. Es ist ihm ein Gesetz, sie täglich zu besuchen, und wird er ja davon abgehalten, wie ängstlich sieht er nicht alsdann den schriftlichen Berichten entgegen, die ihm ihre Freundin und einzige Wärterin, die sie duldet, auf diesen Fall zuschicken muß. Es müssen gebietende Geschäfte seyn, die ihn mehrere Tage aus ihrer Nähe entfernen. Auch ist er es, der das Begräbnis des Entleibten in der Weinlaube besorgt, ihm ein Denkmahl errichtet, und sich der verwaisten Diener und herrenlosen Wirthschaft dieses gesunkenen Hauses mit der treuesten Thätigkeit angenommen hat. Hieran, rief ich voller Entzücken, erkenne ich meinen Freund. Gott segene seine Bemühung, und belohne seinen Eifer durch den glücklichsten Erfolg! Aber, mein Herr, richtete der Capitain jetzt die Frage an mich, wie in aller Welt geht es zu, daß diese tragische Begebenheit, die doch in der Zeit ihres Aufenthaltes allhier vorging, und Stadt und Land erschüttert hat, Ihnen so ganz unbekannt bleiben konnte? Ach erinnern Sie sich denn nicht, seufzte ich, was der Marquis mir geschrieben hat? Glücklich für meine Ruhe, möchte ich wohl sagen, lag ich damals selbst ohne Verstand an der Kette einer schweren Krankheit, unter den Händen der Aerzte, und vermuthlich hat der Marquis und jedermann aus menschenfreundlichen Rücksichten mir auch nachher den Vorgang verschwiegen. Meiner Nachbarin schien schon lange etwas auf der Zunge zu schweben, das ich gar keine Lust hatte ihr abzunehmen, mußte aber endlich doch herhalten. Der Herr Brigadier, zischelte sie mir zu, mag, im Vertrauen gesagt, wohl noch gewisse zärtlichere Antriebe zu seiner in der That sehr lobenswürdigen Sorgfalt haben als die allgemeine Menschenliebe. Von jeher, kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, hat er nur Augen für diese Frau gehabt, und viele, die ihn genau kennen wollen, behaupten, daß er nur die Genesung der schönen Wittwe erwarte, um ihr seine Hand anzubieten, die sie auch sicher nicht ausschlägt.

 

     Sie glauben, Fräulein, blinzte ich sie an, daß diese so tief verwundete = = = = O mein Herr, lachte sie mir ins Wort, ein liebenswürdiger Mann, der den Verstand einer jungen Dame wieder zu rechte bringt, weiß gewiß auch ihrem Herzen beyzukommen. „Das kann wohl,“ dachte ich, „der Fall bey dir seyn,“ und war boshaft genug, in meine auf= und niedersteigende Blicke, deren Wendungen nicht schwer zu errathen sind, meine ganze Antwort zu legen. Indeß verursachte doch dieß Geschwätz, daß ich nach Tisch meinen Koffee noch mit Nachdenken darüber einschlürfte. Unter einem andern Gesichtspunkte genommen, kömmt mir die Sache nicht so ganz unwahrscheinlich vor. Ich glaube es als einen Erfahrungssatz annehmen zu dürfen, daß ein sonst gesunder Verstand, der nicht durch eine fehlerhafte Organisirung der Seele, als zu Beyspiel durch Hochmuth, sondern durch zugestoßne geistige Verwundungen verrückt wurde, sich auch wieder findet, sobald die Zeit diese geheilt hat, und sage es diesmal wahrlich ohne alle Seitenblicke auf unsere oft unbändig trostlosen Wittwen, die sich sechs Monate nachher auf das fröhlichste wieder verheurathen. Eine jede dahin spielende Idee würde Blasphemie gegen die vortreffliche Frau seyn, von der ich spreche. Wer wollte aber nicht wünschen, daß, wenn sich auf den Fall ihrer völligen Herstellung ein solcher Verlustersatz als St. Sauveur darböte, jedes vorgelaufene Gerücht einträfe!

 

     Die Stimmung, in die wir alle uns versetzt fühlten, konnte für jedes einzelne Herz seinen großen Werth haben, nur zum gesellschaftlichen Tone taugte sie nicht. Der Capitain, ein viel zu guter Wirth, um seinen Gästen Zwang anzuthun, gab daher bald das Signal zur Abfahrt. Mir war sonderbar in meiner Barke zu Muthe. Die schreckliche Ungewißheit menschlichen Schicksals schien ihr nachzuschwimmen. Ich hatte so wenig für die muntere Musik, die uns zurück begleitete, als für das Jauchzen am Ufer dasselbe Ohr mehr, und glich ich vor fünf Stunden einem Neuangeworbenen, der lustig ins Treffen geht, so war mir das Herz jetzt gewiß so sehr gesunken, als ihm, wenn er schwer verwundet von der Wahlstatt zurückhinkt. Der vielsagende Händedruck des Capitains, den ich ihm stillschweigend erwiederte – die bänglich freundlichen Blicke, die mir meine andern Tafengenossen beym Abschiede zuwarfen, söhnten mich mit ihrem vorigen Tumulte aus: denn ein so treuer Anhänger gesellschaftlicher Vergnügungen ich auch seyn mag, so kömmt es mir doch vor, als würde es den meisten Menschen ganz zuträglich seyn, wenn jedes Freudenmahl sie mit ähnlichen Empfindungen entließ, als ich, und wahrscheinlich alle übrigen Gäste Voltaire´s mit nach Hause nahmen.

 

     „Lieber Sperling,“ rief ich meinem alten Lehrmeister entgegen, da er mir, wie gewöhnlich, zuerst in dem Wirthshause aufstieß, „können Sie mir wohl den nächsten Weg nach dem Tollhause zeigen?“ „Niemand leichter als ich,“ war seine geschwinde Antwort; „aber was in aller Welt wollen Sie dort?“ Mit dieser Frage stieg er mir in mein Zimmer nach. Als ich hier meinen Staat abgeworfen hatte, und noch die kleine Uhr, die Du kennst, in der Hand hielt, um sie auf meinen Schreibtisch zu legen, veranlaßte sie folgendes Gespräch unter uns. „Finden Sie nicht das Gehäuse allerliebst gemahlt, und die Juwelen um dem Ziffenblatte recht artig gefaßt?“ Er besah sie auf allen Seiten. „Das ist ein ganz superbes Stück,“ fing er sein Lob an – „Schade nur,“ fiel ich ihm ein, „daß es nicht richtiger geht.“ Er zog seine Uhr aus der Tasche, und verglich beyde. „Ja wohl, drey Viertelstunden und neun Minuten zu früh.“ „Und doch,“ warf ich die Nase gegen ihn in die Höh, „ist schwerlich Ihr Werk nur halb so viel werth als das meinige. Ehemals ging es vortrefflich, hat aber offenbar durch die Reise gelitten. Entweder ist die Feder überspannt, ein Zahn verbogen, oder es liegt an der Unruhe.“ „Bey einer so zarten Arbeit ist das leicht möglich,“ erwiederte er, „und in dieser Hinsicht tausche ich meine tombakene Uhr mit keiner andern. Mag sie noch so plump und altmodisch seyn, so hat sie dafür auch nicht um eine Secunde gestockt, seit ich sie von meinem Großvater geerbt habe, aber Ihr kostbares Kunstwerk muß ja endlich ganz zugrunde gehen, mein Herr, wenn Sie nicht in Zeiten seinen Fehlern nachspüren. Ich dächte doch wahrlich, daß es der Mühe verlohnte.“ „Meynen Sie das, lieber Sperling? Nun so haben Sie auch die Antwort auf Ihre vorige Frage.“ „Wie denn das?“ stutze er. „In einer großen Stadt,“ trieb ich nun meinen Spaß mit ihm weiter, „stecken oft die verdorbensten Uhren in den glänzendsten Gehäusen. Die Eigenthümer wissen meist selbst nicht, wie weit die ihre von der Sonne abweicht, und bekümmern sich noch weniger um den Gang der andern. So lange noch nicht zufällige Stöße die Feder gesprengt, die Kette zerrissen haben, sie nur artig in die Augen fällt und nicht rasselt, gilt jede, ob sie übrigens ihre Bestimmung erfüllt, ficht niemanden an. Wie soll nun ein Reisender, dem es mehr um den innern Gehalt zu thun ist, als äußeres Blendwerk, dahinter kommen? Wie soll er beurtheilen können, ob in seiner Vaterstadt, auf die er doch gern alles bezieht, die Uhren klüger gehen oder nicht? Giebt es da eine andere Ausmittelung, als daß er nachforscht, wie viele in der Reperatur und an welcher Verschobenheit sie krank liegen?“ Der gute Mann sah mich mit großen Augen an. Ich legte ihm meine Spielerey näher. – „Aus dieser Ursache, Freund, verlasse ich nie eine ansehnliche Stadt, ohne vorher ihre Tollhäuser zu besichtigen. Dort allein erscheinen die mannigfaltig verschobenen und lahmen Werke, ohne Mahlerey, Diamanten und Fassung, und erschweren keinem verständigen Auge die Uebersicht ihrer innern Gebrechen.“ Passerino – wie lange, dachte ich, wird er noch so stumpfsinnig da stehn? – blickte mir bald in das Gesicht, bald auf die Schuhe. „Ein Narr,“ erhob ich nun meine Stimme, „ist schon einzeln ein offenes Buch, eine größere Anzahl derselben ist die brauchbarste Bibliothek zur Fertigung einer moralischen Mortalitätsliste. Aus ihr entdeckt man, welche Seelenkrankheit an diesem oder jenem Orte am häufigsten die Köpfe verdreht. Sie lehrt, der wie vielste Bürger allemal toll ist, und beantwortet die große Frage, in welchem Staate der Verstand am besten gedeiht, und am wenigsten Gefahr läuft, so, daß jeder, dem daran liegt, seine Einrichtung darnach machen kann. Welchen Verzug, zum Beyspiel, behauptet nicht hierin die deutsche Natur mit ihrer Kruste vor dem französischen Spinnengewebe. Wenn man sich nicht selbst muthwillig durch Reisen in dieß gefährliche Land, oder gar durch vieljährigen Aufenthalt daselbst Schaden thut, mein lieber Passerino, so gehören schon harte Prüfungen des Schicksals dazu, um einen von uns aus seinem täglichen Schlendrian zu bringen, und ob es mich gleich oft genug in bittere Verlegenheit setzt, wenn ich mit meiner deutschen Strohfiedel den feinen flüchtigen Weltton unsrer Nachbarn nicht erreichen vermag – so“ = = = „Ha nun merke ich – fiel mir mein Zuhörer ins Wort – Wo Sie hinaus wollen. Ja ja, wir gehen ins Narrenhaus – dort können wir freylich dem lieben Gott viel herzlicher danken, als in brillanten Gesellschaften, daß er uns aus den gröbern Stoffen zusammengesetzt, und unsere deutschen Baßsaiten bis jetzt vor allen massiven Griffen gnädiglich bewahrt hat.“ Mein Gespräch hatte mir nun zwar den Dienst eines Verdauungsmittels nach einem großen Gastmahle geleistet; aber nicht im mindesten meine bänglichen Gedanken an die unglückliche Dame zerstreut. Ich fragte meinen Mann, ob er sie schon gesehen habe – „Noch nicht, war seine Antwort, denn so oft ich auch sonst in jenes Haus kam, so habe ich doch seit Ihrer Ankunft meine Besuche auf Sie, mein lieber Herr, alleine eingeschränkt; aber nächstens soll dieser herrliche Gegenstand des allegemeinen Mitleidens meine Reißfeder in Thätigkeit setzen – Ich gedenke meine Zeichnung von ihr, die nicht anders als kräftig ausfallen kann, in Kupfer stechen zu lassen. Wenn nur der zehnte Theil ihrer Freunde darauf subscribirt, so soll mir diese Arbeit einen hübschen Thaler eintragen.“ „Die Speculation ist gut berechnet,“ lächelte ich – „darum wollen wir auch unsern traurigen Spaziergang keinen Tag länger verschieben.“ „Doch wohl Morgen noch,“ fiel er ein, mit einer Miene, die meiner Vergessenheit bitter genug zu Hülfe kam. „Versteht sich,“ trotz meiner innern Galle zwang ich mich, ziemlich gelassen zu antworten, „wann wir von unserer pittoresken Reise nach Cotignac wieder zurück sind.“ „O alsdann, mein Herr,“ rief er entzückt, „stehe ich Ihnen ganz zu Diensten, und ich denke, Sie sollten mit Ihrem Anführer zufrieden seyn. Ich habe freyen Zutritt im Tollhause – habe schon manche Thräne dort verweint –und manchen Groschen dort hingetragen.“ „Wie so?“ „Sehen Sie, mein Herr, schon einige Jahre liegt dort ein Mann in Ketten, der – Gott bewahre jeden darvor! – selbst in seinen gesunden Tagen nicht recht bey sich war. – Ein Mahler, der = = = doch Sie mögen selbst urtheilen. Er hatte in einem hiesigen angesehenen Hause ein hübsches Verdienst – beynahe ausschlüßlich möchte ich sagen. Zu seinem Unglücke aber kömmt dem Sammler eine Marine vor mir zu Gesicht. Er kauft sie, und räumt ihr in seinem Saale den vorzüglichsten Platz ein. Mehr brauchte es nicht, um seinen Stolz zu beleidigen. Kaum entdeckte er das neue Gemählde, so stellte er sich, die Arme in einander geschlagen, davor, aber anstatt, wie jener große Mahler, zu rufen: Auch ich bin einer! so steigt ihm der Künstlerneid so gewaltig zu Kopfe, daß er einige Tage nachher, wie gesagt, ein völliger Narr ward. Sein Zustand griff mir ans Herz, ich vergaß sein Unrecht gegen mich, behandle ihn seitdem wie einen unglücklichen Bruder, und besuche ihn, so oft als ich einen Groschen zu Rapee entübrigen kann, der, wie allen verschobenen Gehirnen, aus ihm das vollkommenste Geschenk ist.“ „Thun Sie das, lieber Sperling! Nun so erscheinen Sie mir in diesem Punkte größer als Voltaire mit einen vier Affen, und ich begleite Sie nun noch einmal so gern nach Cotignac.“ – Wann eher haben Sie die Pferde bestellt?“ – „Mit Tagesanbruch“ – „Gut!“ – „Aber noch Eins, mein Herr! Bey Mönchen haben wir als Ketzer wohl nicht viel Gutes auf den Mittag zu erwarten – Sollten Sie nicht aus Fürsorge einen gebratenen Fasan und einige Flaschen Wein mitnehmen?“ „Sehr gern, reden Sie das mit meinem Wirth ab – und für heute leben Sie wohl! denn ich habe sehr viel in mein Tagebuch einzutragen.“ Das wäre nun auch nach der Regel von Pünktlichkeit geschehen, auf die ich vielleicht mehr halte, als Dir lieb ist. Ein anderer, glaube ich gern, würde manches als unwichtig übergangen, und sich bey meinen schläfrigen Augen kürzer gefaßt haben; doch könnte es leicht möglich seyn, daß dieser andere seine gedrängte Schreibart in der Folge bereuen müßte. – Ich habe meine eigenen Grillen über die Geschwätzigkeit. Was uns heute blos als Staub auf unserm Lebensgange erscheint, kann morgen ein Kitt werden, der das Ganze verbindet. Du darfst nur in meinem obigen Gespräch mit Passerino ein Comma weglassen, und ich stehe weiter nicht für den Sinn. Eben so erhalten die Vorfälle des Lebens meistens eine ganz andere lückenhafte Ansicht, indem man so genannte Kleingkeiten nicht berührt, wodurch doch jene nur zu oft herbeygeführt werden. Heute kann es Dir freylich so gleichgültig seyn, als es mir ist, ob der Wirth für meinen morgenden Mittag einen Capaun oder Fasan – rothen oder weißen Wein in den Wagen packt. Wer kann aber voraus wissen, ob und was für Folgen von dieser Wahl abhangen? Ja, wenn ich einen Roman schriebe, so könnte ich freylich meine Materialien sortiren; könnte zusetzen und weglassen, was ich wollte; aber Protocolle des laufenden Tages erfodern die schwatzhafteste Treue, und gesetzt, es wäre noch so gleichgültig, ob Cäsar in seinem gewöhnlichen Leben auf der rechten Seite ausspuckte oder auf der linken, so konnte doch, als er mit seinem Tagebuche über den Fluß schwamm, dieser kleine Umstand seine eigene und die Lage der ganzen Welt verändern.

 

*  *  *

 

Marseille den 23sten Febr.

     Schon seit zwey Stunden sitze ich da, kaue meine Feder, und streite mit ihr, ob sie Dich in das Geheimniß ziehen soll, dessen ich mich zu Cotignac bemächtigt habe? Doch bist du nicht auf dem Runde der Erde mein engster Vertrauter, und müßte ich nicht fürchten, wenn ich gegen Dich schwiege, von der Last, die mir auf dem Herzen liegt, diese Nacht erdrückt zu werden? Für das Verschwatzen will ich mich jedoch hüten. Ohnehin macht uns nichts lakonischer, als eine große Entdeckung. Passerino trat schon um fünf Uhr vor mein Bette. Während ich mich ankleidete, spitzte er seine Stifte – eine halbe Stunde nachher fuhren wir ab. Der Weg war so schlecht und langweilig, als seine Unterhaltung. Der elende Fleck, wo wir um zehn Uhr anlangten, war es nicht weniger, und so taumelte ich denn aus meinem Wagen durch den Klosterhof – die Vorhalle, verstimmt bis über die Ohren, in die rußige Kirche. Ein Mönch empfing uns mit der Miene, die allen den guten Leutchen eigen ist, die Archive, Hausarcana, Kinderklappern der Vorzeit, oder heilige Spielwerke im Beschlusse haben. Ich that einen Blick auf das alberne Bild des Hochaltars und hatte auf immer genug daran. Nicht so mein Reisegefährte. Der setzte sich gegen über auf die nächste Bank, zog sein Pergament heraus und zeichnete, als ob es für die Ewigkeit wäre. Für mich wäre es eine gewesen, wenn ich ihm länger hätte zusehen müssen. Aber der Mönch kannte den Werth der Zeit, nahm mich stillschweigend bey der Hand, führte mich durch einen dunkeln Gang in das feuerfeste Gewölbe der Sacristey und stellte mich vor einen großen, alten, vergoldeten Schrank, der meine geringe Geduld aufs ärgste durch sechs künstliche Schlösser prüfte, die weit über eine Viertelstunde wegnahmen, ehe der Pater eins nach dem andern geöffnet hatte: doch dafür gelangte auch meine Bewunderung zu einem unerwarteten Genusse. Drey weite Schubfächer enthielten die Garderobe der Mutter Gottes – Hemden, Unterröcke, Caleçons, Strümpfe, Spitzen, Halstücher und Roben, alles, wo nicht neumodisch, doch fein, prächtig und unbefleckt, wie sie selbst. Das kostbarste ihrer Kleider, und das sie nur einmal des Jahrs ihrem Hofstaate zur Schau giebt, war von himmelblauem Atlas mit goldnen Sternen gestickt, und mit Quasten von den reinsten Perlen besetzt. Dieses Kleid, so äußerst kostbar es auch ist, sagte der Mönch, wird noch merkwürdiger durch die beyliegende Nachricht, daß es unversöhnliche Feinde der Gebenedeyten, drei portugiesische Juden waren, die es besorgten, so wie ehemals bey ihrer Niederkunft drey Könige aus Morgenland, wie das Ihnen bekannt seyn wird. – Ja, ja, sagte ich, und nachdem er das Kleid, wie die geschickteste Kammerjungfer, wieder in seine Falten gelegt hatte, öffnete er einen mit schwarzem Sammet ausgeschlagenen Kasten. Gott verzeihe mir die Sünde! aber beym ersten Hinblick flog mir der Verdacht durch den Kopf, die heilige Jungfrau habe durch ihre dienstbaren Geister das grüne Gewölbe ausräumen lassen. Mit dieser Juwelensammlung an Ohren= und Fingerringen – Halsbändern und Zitternadeln – Uhren, Zahnstochern – und Tabaksbüchsen, könnte man, dächte ich, die Bekehrung der Juden übernehmen, an der uns doch allen gelegen ist. „In der That, ehrwürdiger Herr,“ nöthigte mir diese seltne Erscheinung die Worte ab, „habe ich die Hochheilige nirgends noch so reich ausgestattet gesehen, als hier! Welcher fromme Bienenschwarm muß nicht seinen irdischen Honig diesem Kloster zugetragen haben, um sich dadurch Zellen im Himmel zu bauen!“ „Nichts weniger als das, mein Herr,“ antwortete der Mönch: „alle Schätze dieses Schrankes rühren von der Dankbarkeit einer einzigen Seele – von der Andacht Ludewigs des Vierzehnten her. Auch legt die Mutter ihm zu Ehren ihre kostbarsten Kleinodien, so wie jenes himmelblaue Kleid mit Perlen, nur zu seinem Geburtstage an. Verlangen Sie noch stärkere Beweise von der Achtung dieses großen Monarchen für unsere Madonne – so sehen Sie hier“ – indem er ein neues Fach herauszog – „das Ordensband des heiligen Geists, das er ihr beym Antritte seiner glorreichen Regierung, hier seinen Heurathscontract, den er der Wunderthäterin durch einen Gesandten zuschickte, als er sich mit Marien von Medicis vermählte, und hier, in diesem kostbaren Einband, den pyrenäischen Friedensschluß“ – –

 

     „Aber warum hat denn dieser große Monarch“, fragte ich in meiner Einfalt, „bey der Menge Madonnen in seinem weitläuftigen Reiche eben der Ihrigen eine so übermäßige Auszeichnung erwiesen?“ „Warum? mein Herr,“ wiederholte der Mönch meine Frage mit mitleidigem Lächeln, „aus der guten Ursache, weil er allein nur ihr sein Daseyn verdankte.“ „Das ist etwas anders, aber ich bitte Euer Hochwürden, wie ging denn das zu?“ Der Mönch verschloß erst mit dem bedächtlichsten Ernste seinen Schrank, faßte mich darauf stillschweigend bey den Schultern und drehte meine stolze Figur einer demüthig gebeugten zu, die in einem prächtigen Rahme beynahe die ganze Hauptwand der Sacristey einnahm – dem Bilde eines Barfüßer Mönchs in Lebensgröße, von Rigaud gemahlt – dem wichtigsten Manne, wie der Pater sich ausdrückte, in der französischen Geschichte, und von dem ich doch – so mißlich steht es leider mit meinen historischen Kenntnissen – kein Wort in meinem Leben gehört hatte. Desto mehr Aufmerksamkeit schenkte ich jetzt dafür den Thaten dieses Auserwählten, die mein Führer mit vieler Beredtsamkeit zu entfalten verstand. Bey jedem neuen Farbenstriche, den er dem Gemählde zusetzte, machte ich immer größere Augen. Wie hoch stieg aber nicht erst mein Erstaunen, als ich in dem schönen Ganzen, das sich am Ende aus seiner Erzählung ergab, den Plan zu einem Heldengedicht entdeckte, so tadellos und vollkommen, als vielleicht noch keinem Dichter der Welt einen zu entwerfen gelungen ist. Du wirst es schon finden, daß ich das Maul nicht zu voll nehme, denn alle Eigenschaften, die Aristoteles von der Epopee verlangt, treffen in ihm zusammen. Der Heros ist weder ein Geschöpf der Phantasie, noch ein gleichgültiger Spieler auf dem Schauplatze der Welt – Seine Thaten sind kühn, und greifen in die Zukunft. In der zu besingenden Handlung ist Anfang, Fortgang und Ende von gleich hohem Interesse – die Episoden und Maschinen sogar sind ihr angemessen, natürlich und nothwendig: der ganze liebliche Stoff ist reichhaltig und groß. Ach! warum versagte mir doch die Natur alle Anlage zu der Trompete! da doch eben mir ein Stück für dieses Instrument der höhern Dichtkunst unter die Hand kommen mußte, das gewiß, wenn meine schwache Lunge nicht wäre, Lärm in der Welt machen sollte; und ach! warum hat das Ungefähr nicht lieber Voltairen statt meiner mit diesem Manne der Geschichte bekannt gemacht, der es wohl eher verdient hätte, von solch einem Meister an das Licht gezogen zu werden, als die ärgerliche Pücelle! So schwer auch manchem, dem es, wie dem Hahn in der Fabel, geglückt ist, ein Kleinod aus dem Miste zu scharren, die Wahl fallen mag, ob er es in seine schmutzige Verborgenheit zurückschleudern, oder einem Kennerauge verrathen soll; so bin ich doch nicht so neidisch, meine Skizze Dir oder einem andern Barden, zur Ausführung ins homerische Große, vorzuenthalten, ohne weiter zu untersuchen, wer mir mehr Dank schuldig wird – der Sänger, den ich in Zukunft, oder der Held, den ich schon jetzt, so gut ich kann, aus der unverdientesten Vergessenheit ziehe.

 

     Denn hüllt uns gleich der dickste Nebel,
Den kein Varrentrapp noch Krebel
Durchzubrechen wagt, seinen Ursprung ein,
Sollt´ Er doch den Franzen heilig und als Hebel

Ihres größten Königs aus dem Ehverein
Ludewigs des Schwachen unvergeßlich seyn.

 

     Vor dem neuen Spiel einer Rolle bange,
Die, – wenn nun beym Übergange
In die Vierzig – Amor sich entfernt –
Jede Frau gezwungen lernt,
Trug die Königin, die um Ehesegen
Erd und Himmel zu bewegen,
Zwanzig Jahre schon ihr Latein verlor,
Und jetzt mehr als je verlegen,
Einem Helden aus dem Chor
Der Barfüßer ihre Wünsche vor.
Fiacre hieß der Mann. Stolz führt den Ehrennamen
Noch ein Gesindel fort, das der Geborgenheit

Des öffentlichen Wohls geweiht

Gern sein Vehikulum Ermüdeten und Lahmen
Auf Stunden und Minuten leiht.
So jung und nackt er war, stand er zu seiner Zeit
Mehr noch, als sein Monarch, bey allen Notredamen
In glücklicher Vertraulichkeit.
Nur eine kannt er nicht, die alt und ausgeleeret
An Wunderkräften war. In Tenniers Geschmack
Gemahlt, verbleichte sie, von Wenigen verehret,
Still, auf dem Hochaltar des Städtchens Cotignac.

     Der Mönch, klug wie er war, und mit dem seltnen Falle
Der Königin vertraut, that, was ihr Ehkompan
Kalt in der Andacht, nie getan,
Daß eine wenigstens nur helfe, ruft er alle
Der Christenheit Madonnen an.
Und kaum vernahm von fern das Mutterbild der Gnaden
Den ungewohnten Ruf, als, ohne zu verziehn,
Es in dem ganzen Reiz der Nymphen von Ostaden
Dem eingeschlafnen Mönch erschien. –
„Steh!“ treibt es ihn, „steh' auf, dem König ohne Schaden
Weck' Annen auch! Ihr sei zum Possen dem Calvin
Noch diese Nacht ein Sohn, der einst durch Dragonaden
Das Volk, das mich verkennt, nach Cassel und Berlin
Zum Teufel jagen wird – verliehn!“

 

     Und der Mönch erwacht und erweckt auch Annen. –
Uns`rer lieben Frau Wirkungen begannen:
Freundlich war die Nacht, und dem Mönch gelang
Des Calvinus Untergang.

 

Und der Prinz kam an, den der fromme Pater
Kraft des Wundertraums verhieß,
Eh sich sein gekrönter Vater
Etwas von ihm träumen ließ. *)

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*) Der Autor dieses Tagebuchs kann wohl die Wahrheit seiner Erzählung nicht besser belegen, als durch das unverwerfliche Zeugnis des Geschichtschreibers Papon, eines von den Vätern des Oratorii zu Marseille. Wenn er die Schlußfolge derselben, die er dem Leser überläßt, mit Stillschweigen übergeht, so ist diese Zurückhaltung nur seinen Verhältnissen zuzuschreiben. In seiner Histoire littéraire de Provence, welche 1780 zu Paris erschien, heißt es: Ludewig der Dreizehnte hatte schon dreiundzwanzig Jahr in einer kinderlosen Ehe gelebt, als eines Tages der Bruder Fiacre, ein Barfüßer, Gott um Fruchtbarkeit für die Königin anflehte. Die heilige Jungfrau, sagt man, erschien ihm am 3. November 1637, und versicherte ihn, daß sein Gebet erhört wäre, doch mit dem Zusatze, daß die Königin ihr dreimal neun feierliche Messen und zwar neun darvon in der Kirche U. L. F. der Gnaden in der Provence sollte halten lassen. Zum Beweise, daß sein Gesicht keine Täuschung wäre, zeigte sie sich dem Bruder Fiacre so, wie sie auf dem obgedachten Gemälde vorgestellt ist. Der König und die Königin schickten diesen Mönch, nachdem sie die Nachricht von jener Erscheinung aus seinem eigenen Munde vernommen hatten, in die Provence, um zu sehen, ob die heilige Jungfrau wirklich daselbst so abgemalt wäre, wie sie ihm, seinem Vorgeben nach, erschienen war. Zugleich erhielt er den Auftrag, wenn es sich so verhielte, neun Messen in der obgedachten Kirche lesen zu lassen. Es traf alles mit der Beschreibung, die der Bruder Fiacre von seinem Gesichte gemacht hatte, überein, er leistete, was ihm aufgetragen war – und die Königin kam am 5. September 1638 mit Ludwig dem Vierzehnten nieder. Sie ließ es ihre erste Sorge sein, der heiligen Jungfrau ihre Dankbarkeit zu bezeigen, und schickte den Bruder Fiacre mit einem Gemälde nach der Kirche U. L. F. zur Gnade, auf welchem der junge Prinz vor der Mutter Gottes kniend, vorgestellt ist. In der Folge machte sie eine Stiftung zu sechs Messen, welche auf ewige Zeiten in dieser Kirche gelesen werden sollten. Zuletzt wallfahrte sie im Jahre 1660 mit ihren beiden Prinzen zu dieser Kirche, und Ludwig der Vierzehnte weihete bei dieser Gelegenheit der heiligen Jungfrau sein blaues Ordensband, welches noch jetzt sorgfältig dort aufgehoben wird, so wie er ihr auch in der Folge seinen Heuratstraktat mit der Infantin Maria Theresia und den pyrenäischen Friedensschluß, prächtig eingebunden, überschickte usw. Man vergleiche damit noch die Stellen, die der Verfasser des Tagebuchs aus dem Leben des heiligen Fiacre ausgezogen und weiterhin angeführt hat.

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     Der Erzähler einer merkwürdigen Begebenheit, der aufmerksame Zuhörer findet, ist, wie ein reicher Gutsbesitzer unter seinen Fröhnern, ein überaus glücklicher Mann. Von der einen Seite schlägt der Glanz seines Gegenstandes – von der andern das Ausströmen der erwärmten Neugier, wohlthuend über ihn zusammen. Ist aber das Feld einmal geräumt und die Aerndte im Trocknen, so macht er als Nachstoppler eine desto ärmlichere Figur. Ich sah den guten Mönch immer noch eine einzelne Aehre nach der andern auflesen, um die Garbe, die er gebunden hatte, wichtiger zu machen. Wir fühlten aber beyde gar bald das Langweilige davon, und ich fing an, mich gewaltig nach meiner Heimreise zu sehnen, als es ihm beyfiel, daß er mir für die Ehre seines Klosters noch eine Kleinigkeit zu vertrauen hätte. „Auch hat es“ – fuhr er in seinem Nachstoppeln fort – „vor allen im Reiche den Vorzug, einen Urenkel von der leiblichen Schwester des heiligen Fiacres in seiner Mitte zu sehen, indes zu gleicher Zeit, im theologischen Sinne, einer auf dem königlichen Throne sitzt. Sie würden selbst Familienähnlichkeit in den Gesichtszügen jenes Porträts und des Pater André finden, wenn es Ihnen beliebte, mir in seine Zelle zu folgen.“ „Lassen Sie uns“, erwiderte ich ängstlich, „doch vorher nachsehen, wie weit der Mahler gekommen ist.“ Dieser Pinsler aber, als wir auf ihn zugingen, winkte uns so ernstlich, wie Diogenes in der Tonne, aus dem Sonnenscheine seines Enthusiasmus, daß ich im Drange meiner Langeweile doch für klüger hielt, den gütlichen Vorschlag des Mönchs anzunehmen, als mich noch länger auf den Marmorplatten der dunkeln Kirche herumzutreiben, schimpfte aber in Gedanken desto ausgelassener auf meinen tollen Zeichenmeister. Ich hätte schon damals Ursache genug gehabt, mir diese undankbare Aufwallung meiner Laune zu verweisen; denn die Bekanntschaft mit dem Helden einer Epopee war ja wohl belohnend genug, um mich über alle und jede Unbehaglichkeit zu trösten. Mußte ich denn erst noch eine Stunde älter werden, um zur Besinnung zu kommen? Oh, du Sperling aller Sperlinge! vergieb mir um des hohen Verdienstes willen, das ich späterhin deiner Narrheit mit reuigem Herzen zugestand. Wie willig und gedemütigt tat ich Ehrenerklärung und Abbitte! Sogar in diesem Augenblicke meines ruhigen Nachdenkens beuge ich mich noch vor deinem Stümpertalente tiefer, als vor der Hoheit der Raphaele und Tiziane, die sich zu vornehm dünkten, auf dem Hochaltare zu Cotignac Dir ein Vorbild und jenem Barfüßer eine Kupplerin aufzustellen. Auch die kalte Küche, die du mir in prophetischer Ahndung riethest, mit mir zu nehmen, werde ich dir ewig verdanken: denn eben durch jenen Fasan, den ich an die Stelle des Eiergerichts schob, das der Pater André zu verzehren sich anschickte, und durch die vier Flaschen Burgunder, die den Braten umringten, gewann ich in aller Geschwindigkeit das Zutrauen des freundlichen Mannes; und was trug mir nicht dieses gegen das Ende des Mahles ein! Trocknes Brod, das Gott segnen will, bedarf keiner Brühe. Mein kleines, auf den Mittag versetztes und so wenig diplomatisches Frühstück, daß ich in Regenspurg mir nicht getrauen würde, einen Hund damit aus dem Ofen zu locken, vermittelte mir dennoch die Entdeckung eines Staatsgeheimnisses, dem mehr als hundertjährige Riegel vorgeschoben waren. Ein Seculum war verrauscht, ohne es zu verrathen, ein zweytes trug es in seinem morschen Leichentuche weiter und drohte schon mit ihm zu verschwinden, als der Genius, der über das Verborgene wacht, den Räuber im Fluge aufhielt, und wie einen Reiher zwang, seine Beute fahren zu lassen. Unbegreiflicher Zusammenhang der Dinge! Gleich dem Vogel Fantom in Arabien *),

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*) Il y a dans la Nubie un oiseau nomé Fonton, de la grosseur d´une alouette, lequel, ayant decouvert dans les bois quelque chose  de remarquable, vient voler autour des gens et ne les quitte pont jusqu´a ce qu´ils se mettent à le suivre. Quand on est arrivé au lieu qu´il veut indiquer, il s´arréte et se perche sur un arbre, où il commence à cnater, et l´on n´a au´a chercher tour à l´entour, pour trouver bientôt ce qu´il a voulu montrer. Mais il faut se donner garde de faire cette perquisition desarmé; car si on y trouve quelquefois des abeilles, ou du gibier, ou y recontre aussi souvent quelque gros serpent ou quelque bête feroce, comme un bufle, un tigre, un leopard etc.

     Description de l´Afrique par Dapper, pag. 258.

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der schreyend den Wanderern vorflatterte, um sie, wäre es auch ein Sumpf, dahin zu leiten, wo etwas merkwürdiges versteckt ist, mußte ein deutscher Narr einen andern Deutschen in dies Mönchsnest verlocken, den dort ein Schwarzkünstler für die Ewigkeit zu vergraben glaubte. Könnte ich der Schadenfreude den geringsten Geschmack abgewinnen, oder spornte mich Nationalstolz, wie würde ich mich gegen die unzähligen Franzosen brüsten, die seit dem 5ten December 1638 bis auf den heutigen 24sten Februar vergebens darnach geforscht haben; – aber bey Zufällen des Glücks steht nichts besser als Bescheidenheit.

 

     Nach dem zehnten Glase ungefähr, wo es der schweren Zunge des Paters André lästig zu werden schien, den Einfluß der Mutter Gottes auf seinen Großonkel länger in Betrachtung zu ziehen, erhob er sich und taumelte der kleinen Niederlage seiner Bücher zu, zog eins aus dem Staube hervor, und – „Hier, mein Herr!“ reichte er mir's über die Achsel, „verehre ich Ihnen zum Andenken die neueste Biographie des seligen Mannes – La vie du vénérable Frère Fiacre. Paris 1722. – Können Sie alte Papiere besser lesen als ich, so steht Ihnen auch noch der Plunder zu Diensten, der als sein einziger Nachlaß bis auf mich fortgeerbt hat.“ Ich nahm sein, wie ich wähnte, unbedeutendes Geschenk mit höflichen Blicken an, und lüftete, während die Kuttenträger ihre Gläser aufs neue füllten, das morsche Gewebe ein wenig unter dem pappenen Umschlag, und was – Eduard – fiel mir zuerst in die Augen? Nichts Geringeres als ein Handbrief der Königin Anna. Welch Glück, daß ich keinen feinern Physiognomisten gegenüber saß, als einem paar halbtrunkenen Mönchen! Ihre gebrochenen Augen irrten nur von den leeren Flaschen zu der einzigen, die noch verstöpselt vor ihnen stand – ohne meine verfärbten Wangen des Anblicks zu würdigen. Ich bekam Zeit, mich von meiner freudigen Erschütterung zu erholen, band das lockere Paket fester, warf es so gleichgültig neben meinem Hut hin, als ob es eine deutsche Monatsschrift wäre, und gab nun – die Madonna und ihr Fiacre dürfen es mir wahrlich nicht verübeln – meinem Gespräche eine Richtung, die uns immer weiter von ihrer Glorie entfernte. Desto verbindlicher betrug ich mich gegen ihre beiden Trabanten. Sie wollten mir weiß machen, es wäre ihnen in ewiger Zeit kein Fremder von so einnehmendem Umgang vorgekommen. Ich vergalt es ihnen durch die Lüge, daß ich noch Jahr und Tag in Marseille bleiben, und mir öfters das Vergnügen machen würde, sie zu besuchen, und lache mich nur aus, Eduard – aus Bangigkeit, daß es dem dummen Volke doch wohl einfallen könnte, die Handschriften vor der völligen Auslieferung noch einmal durchzusehen, stellte ich ihnen als die sicherste Zerstreuung und mit der Miene eines jovialen Tafelfreunds, eine zu, die für sie von ungleich größerm Werth war – eine Anweisung an den Heiligen Geist auf zwey Dutzend Bouteillen desselben Weins, der ihrer Zunge so wohl that. Diese Aussicht in die Zukunft warf die sanftesten Strahlen auf die Gegenwart. Das Dankgefühl der armen Geschöpfe war gränzenlos. Sie küßten meine ketzerischen Lippen so inbrünstig, als wenn es Schuhsohlen eines Apostels wären, und dem ehrlichen Passerino, der nach vollbrachter Arbeit hereintrat und sich hungrig nach dem Frühstücke, das er selbst bestellt hatte, umsah, setzten sie die leeren Flaschen und den verschrumpften Eyerkuchen unter einem so toll ausgelassenen Gelächter vor die Nase, daß der Prior nachfragen ließ, was denn hier vorginge? Glücklicherweise – denn nun pochte mir das Herz noch stärker, stieß der Postillon ins Horn. Ich fuhr geschwind nach meinem Hute und dem Geschenke darneben, umarmte die bärtigen Kerle, empfahl mich ihrem Gebete, und ach! wie heilfroh blickte ich an den blauen Himmel hinauf, als ich den Klosterhof zehn Schritte hinter mir hatte! Der Rückweg, der abwärts ging, und das doppelte Trinkgeld, mit dem ich den Fuhrmann auf Kosten der Pferde bestach, brachten mich um vieles früher nach Hause. Passerino konnte mir unterweges kein Wort abgewinnen. Dafür entließ ich ihn an der Thüre der Gaststube mit unbeschränkter Vollmacht. Ich warf meine Hülle wie ein Schmetterling ab, jagte Bastian, der ausräumen wollte, aus dem Zimmer – verschloß es, und sitze seitdem mitten unter meinen, den Motten und Mönchen abgerungenen Urkunden, an meinem lieben heimlichen Schreibtische, ohne daß ich vor Eifer mir hätte Zeit nehmen mögen, ein Billett des Marquis zu lesen, das in diesem Augenblick noch unerbrochen neben mir liegt. Nichts ist doch historischen, auch wohl andern wichtigen Untersuchungen nachteiliger, als die erste Hitze. Ich hatte schon bei einer Stunde meinen Spreuhaufen hin= und hergeworfen, ehe ich das seltne Weitzenkörnchen, das mir dabei schon oft über die Finger geschlüpft war, bemerkte. Ich blätterte und blätterte alle Briefe vorbey, die nicht von der Königin waren, und von denen ich doch jetzt die meisten wieder in ihren Staub zurückwerfe, da sie schlechterdings des Durchsiebens nicht werth scheinen – voll verliebten Unsinns in altem Styl, der, so eindringend er auch zu seiner Zeit wirken mochte, aus Herzen, wie sie in der jetzigen organisirt sind, keinen als höchstens einen lächerlichen Eindruck hervorbringen. Dafür will ich Dir ein Morgenbillett der liebenswürdigen Anna, das sich bisher immer versteckt hielt, und so unbedeutend es aussah, mir doch zuerst die Augen öffnete, seiner ganzen Länge nach abschreiben: Nos neuvaines ont fait merveille. Depuis douze ans bien ecoulés, je viens de revoir mon gracieux mari et maître. L'orage d'hier qui l'a tristement éconduit du cage de sa *)

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*) Vermutlich ein Wortspiel mit dem Namen La Fayette. (Anm. d. Herausg.)

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Fauvette, me l'a ramené. Peus-tu croire qu'il a même soupé avec moi? Oui, oui! mon reverend père, sans qu'il ait **)

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**) Hier zeigt sich, daß die Gedankenstriche keine neuere Erfindung sind.
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– touché à ton plat favori. En es-tu content? Il est reparti pour Versailles. Que Dien le conduise. J'espère chasser de ma chambre la peste de son haleine par l'encens que tu m'offriras. Je t'attens à l'heure accoutumée de ma devotion. La Beauvais te dira le reste.

Au Louvre ce 6 Decembr. 1637.

A – d'A.

 

     Mir fiel in diesen Zeilen anfangs nichts so sehr ins Ohr als das Spatgewitter, dem überall das gemeine Volk weit wichtigern Einfluß in den Winter= als in den Sommermonaten zueignet. Nach seinen Begriffen ist es ein Wecker der Vorsehung. Einem so ungewöhnlichen Tumult der Natur müsse, hofft es, ein politischer nachfolgen. Ein fataler Volksglaube! der besonders in Rußland an manchem Unfug schuld ist, so daß ich aus Anhänglichkeit an die große Catharina froh bin, daß während ihrer glorreichen Regierung sich kein dergleichen Luftzeichen ihrem Horizonte genähert hat. Es waren nur ein paar flüchtige Augenblicke, die ich an dieses himmlische Phänomen verlor; denn ich stieg sogleich einige Zeilen tiefer, zu dem weit Erklärbarern herunter, das der Name Beauvais meinen Nachforschungen preisgab. Die vielen Briefe, die mit dieser Unterschrift in meinem Portefeuille den königlichen Handschreiben beygesellt waren, könnten doch wohl, vermuthete ich, bedeutender seyn, als ich ihnen bis jetzt zugetraut hatte. Ich legte also vorerst meinen Händen die verschuldete Strafe auf, die so sehr gestörte chronologische Ordnung der Briefe wieder herzustellen, ehe ich meinen Augen anmuthete, ihre Hieroglyphen zu entziffern. Sie gingen freylich sehr scheu und ungern daran, aber, o was für eine wackere Lehrmeisterin ist nicht die Neugier! Kaum hatte ich die ersten Schwierigkeiten überwunden und mich überzeugt, daß es Annens vertrauteste Kammerfrau sei, mit der ich zu thun bekam, so las ich auch schon ihre Handschrift mit derselben Leichtigkeit als die Deinige. Ich möchte das verschmitzte Geschöpf gekannt haben! Schon der erste Brief, den ich enträthselte, flößte mir eine hohe Meynung von ihrem practischen Verstande ein. Sie empfiehlt in halber Fracturschrift dem ehrwürdigen Bruder die sorgfältigste Behutsamkeit in seinem Benehmen, und warnt ihn besonders vor den scharfsichtigen Augen Orleans. Gestern noch, erzählt sie, sey der Unverschämte ihrer Gebieterin, als sie eben aus der Kirche zurückkam, ohne nur Rücksicht auf ihre zahlreiche Begleitung zu nehmen, mit der Spottrede in den Weg getreten: Madame, vous venez de solliciter vos juges contre moi, je consens que vous gagniez votre procès, si le roi a assez de crédit pour cela. Anna wäre so aufgebracht darüber, daß sie ihren Gewissensrath zu sprechen verlange, und ihn eine Stunde früher als gewöhnlich in ihrem Andachtszimmer erwarte. Unter Leitung einer so vorsichtig geschäftigen Hand läßt sich ja eine zwölfjährige Ehetrennung wohl noch ertragen. Je länger ich an ihren Briefen meine Geduld übte, desto mehr verloren bei mir Notre Dame de Graces und ihr Fiacre an Ansehen – denn Marie Beauvais, wie mir jetzt jede Zeile verrieth, war eigentlich das große Triebrad aller Wunder des Louvre. Sie hatte den jungen Barfüßer zuerst der trostbedürftigen Königin vorgestellt – ihm seine Rolle angewiesen und ihre gemeinschaftlichen Betstunden eingerichtet. Nach Recht und Billigkeit sollte keine andere Vermittlerin als Sie den Ehrenplatz auf dem Hochaltare zu Cotignac einnehmen. Leichtsinnige und verrathene Anna! – ich würde dich entschuldigen und bedauern, und ich hätte nichts darwider, daß Dir Gott die Sünde vergebe, die das Haus Orleans um die Thronfolge betrog – möge auch Er, der gelobt hat, den Ehebruch der Aeltern zu strafen bis in das vierte und fünfte Glied, die Nachkommen Deines Bastarden – denn ach! sie sind ja schuldlos an ihrem Daseyn – gnädig verschonen, nur sey mir erlaubt an der Seligkeit einer Mutter zu zweifeln, die ihrem Erstgebornen gleich bey seinem Eintritte in die Welt den Stein an den Hals hing, der ihn in den Abgrund lebenswieriger Schwermuth versenkte. Ja, Eduard, spitze nur die Ohren! Ludewig der Vierzehnte hatte noch einen zwey Jahre ältern Bruder. Fiacre war Vater beyder Bastarde, und der Unglückliche, von dem ich eben spreche, war die unbekannte, nur zu berühmte eiserne Maske. Die Mutter gebar diesen ihren Erstling in einem entlegenen Gartenhause, unter den hülfreichen Händen der Beauvais – und belegte schon während der Geburtsschmerzen das Pfand ihrer verbotenen Liebe zu welchem Geschlecht es auch gehören möchte, mit dem Fluche der Weyhe, inzwischen ihr Buhler Messen für ihre glückliche Entbindung las. Die Nothhelferin verbarg das Kind bis in sein sechstes Jahr, und so erhielt der heilige Fiacre Zeit genug, sich nach der bequemsten Madonne umzusehen, die den unreinen Thon kneten und zu einem Gefäße der Heiligkeit bilden sollte. Er wählte die unbesuchteste von allen, die späterhin durch den geschickten Wurf ihres Deckmantels um Annens Bette, nach jener mysteriösen Gewitternacht, seine kluge Wahl nur zu gut rechtfertigte. Er erhielt den grausamen Auftrag, und führte ihn gewissenhaft aus wie ein Mönch. Dasselbe Kloster, wo ich heute seinen Urenkel berauschte, erhielt das Gott geweyhte Kind, unter der Bedingung, unbekannt mit seiner Herkunft, der Wunderthäterin so lange als Chorknabe zu dienen, bis er zur Tonsur reif seyn würde. Nimm einstweilen mit diesem flüchtigen Auszug meiner Criminalacten vorlieb, bis ich Dir die Belege dazu selbst einhändigen kann. Wenn die Köpfe einer Ehebrecherin, einer Kammerfrau und eines Mönchs zusammentreten, um den Schwefeldünsten ihres Gewissens einen Ableiter zu verschaffen, so läßt sich leicht denken, daß eine solche Vereinigung keine gemeinen Sophistereyen entwickelt. Es findet sich leider! unter meinen Papieren nur ein einziges Concept des heiligen Fiacre, das aber desto fleißiger bearbeitet ist, wie die ausgestrichenen bedenklichen und dafür eingeschalteten gewähltern Worte an den Tag legen. Gott im Himmel, welch ein Brief! an eine strafbare Königin – von ihrem Gewissensrathe – zur Fastenzeit – in dem Sterbejahre ihres Gemahls, kurz nach Antritt ihrer Regentschaft – im Jahre 1643 an einem Morgen geschrieben, wo sie durch einen nächtlichen bösen Traum erschüttert, von ihrem erschlichenen Throne herab sich nach geistlicher Beruhigung umsah. Wie würde Baile seinen gelehrten Artikel Marie mit diesem Briefe aufgestutzt haben, wenn er ihn gekannt hätte! Der untergeschobene Kronerbe stand damals in seinem fünften Jahre, und der ihm den Weg gebahnt hatte, in seinem siebenten. Mit welchen behutsamen Saftfarben weiß nicht der heilige Mann diesen Vorläufer des Führers seines Volks zu schildern. Alle himmlische Heerscharen, schmeichelt er sich, müßten die seligste Freude über die Gewandtheit des geweyhten Knabens bey den, seinem zarten Alter angemessenen Kirchendiensten – über seine Gelehrigkeit in der Schule und besonders über die süße Anwendung seiner Feyerstunden empfinden. Dann stehe er oft vor dem schönen Gemälde, das Ihro Majestät der Kirche verehrt habe – freue sich des Kindes, das dem Mutterbilde zu Füßen liege – ohne zu ahnden, wie nahe es ihm verwandt sey. Dieser rührende Instinct von Bruderliebe, fährt er gleißnerisch fort, sei ein neuer Segen der Gebenedeyten – ein deutlicher Beweis ihres Wohlgefallens an ihm, und ein Widerschein der Strahlenkrone, die seiner in jenem Leben erwarte usw. Es nahm mich Wunder, daß ich den Brief der Regentin von der Beauvais nicht unterstützt sah, so wie es mir überhaupt vorkömmt, als sey der Traum nur aus Höflichkeit gegen einen abgedankten Liebhaber erfunden, mit dem man nicht mehr weiß was man reden soll. Schon in einigen vorhergehenden Missiven vermisse ich das Herzliche der vorigen Zeit, so daß ich wohl begreife, warum allein der dritte Sohn Philipp, nachmaliger Herzog von Orleans, seinem regierenden Bruder nicht glich. Die folgenden Briefe werden immer seltener, kürzer und kälter, und behaupten ein gewisses religiöses Ceremoniel, das gegen den ehemaligen traulichen Ton sonderbar absticht. Wem etwas daran gelegen seyn könnte zu wissen, wie der heilige Fiacre die Tage seines in der Schnellwage des Hofs gesunkenen Gewichts hingebracht habe, dem könnte ich zur Erläuterung wohl noch einige Beichten mitteilen, die hier, wie verloren, daliegen, und sehr warmen Herzen entflossen scheinen. Im Jahre 1660, wo der Regentin wahrscheinlich die Neugier angekommen seyn mochte, das Kind des Gartenhauses kennen zu lernen, befragt sie ihren Wegweiser aus so manchen Gängen des Lebens, sehr herablassend – um die beste Route nach Cotignac, wohin sie eine Wallfahrt zu tun vorhabe – der einzige darauf folgende Brief meldet dem ehrwürdigen Vater ihre Zurückkunft, und befiehlt ihm, sich den Tag nachher bey ihrer Kammerfrau einzufinden, wo sie über eins und das andere mit ihm sprechen wolle, das jenes Kloster beträfe. – Noch ein paar andere weisen ihn an, Gelder zu Allmosen in ihrer Schatzkammer zu erheben. Mit den Anweisungen auf ihre Schlafkammer ist es vorbey. Diese Briefe machen meine Verzweiflung. Man lernt doch in der Welt Gottes nichts daraus. Glücklicherweise giebt noch eine heillose Epistel der Beauvais, die den ganzen Briefwechsel schließt, zu merkwürdigen Muthmaßungen Anlaß, die uns künftig einmal bey einem Glase Punsch munter genug machen werden. Sie scheint eine Antwort auf einen Bericht des heiligen Fiacres zu seyn, der sich auf einen andern vom Prior des Klosters bezieht. Jetzt will ich dir nur den Anfang und das Ende davon zugute geben: Votre Saint-Jean ne vaut pas le diable avec sa maudite ressemblance. Il est incorrigible et fou à lier. Sa mère en est desolée, outrée, et l'abandonne à son mauvais destin. Elle vient d'en instruire le roi qui saura bien que faire. — La reine, schließt sich diese drey Seiten lange Urkunde, vous loue d'avoir brulé nos lettres. Faites de même avec celle-ci. Que rien ne reste après nous de tout ce qui a trait à ce damné. Je me recommande à vos prières. Wenn mich mein Gedächtnis nicht betrügt, dem freylich jetzt keine Bücher zu Hülfe kommen, so trifft dieser Brief mit der Zeit zusammen, wo der König sein savoir faire geltend machte, und die eiserne Maske zuerst bekannt ward. Mein Herz blutet, wenn ich an das arme, unschuldige, der Entsündigung ehebrecherischer Aeltern und der Staatskunst eines unmenschlichen Bruders geweyhte Schlachtopfer denke. Ich spüre dem Gefühle nach, mit welchem der Gemarterte am Fenster seines einsamen Kerkers steht, und jenes Vultus tyranni auf die Scheibe kritzelt, die sich – wahrscheinlich sein einziger Nachlaß – in meine Sammlung geflüchtet hat, als ob sie mich für meine Theilnahme an seinem Schicksal belohnen sollte. Wie betroffen werden die Geschichtschreiber in Frankreich und Deutschland – sie, die bald einen Herzog von Bukingham, bald einen Grafen Rantzau, und endlich gar den Cardinal Mazarin mit der Königin verkuppeln, einander anstaunen, wenn ich meine Dokumente bekannt mache! Die Beauvais verstand den Handel besser. Sie wußte sehr wohl, daß in solchen Angelegenheiten, als sie betrieb, ein junger Barfüßer mehr, als alle Befehlshaber der weltlichen und geistlichen Miliz – und ein Fiaker mehr werth sey, als ein Staatswagen. Ich danke es dem heiligen Manne noch in seinem Grabe, daß er diesen wichtigen Briefwechsel, statt, wie er seinen klugen Gehülfen weiß machte, dem Feuer – der schwesterlichen Treue übergab, und entweder vergaß, die Rolle seiner Jugendjahre zurückzufodern, oder seinen Erben in ihr ein Kapital zu hinterlassen gedachte, das ihnen auch gewiß – wenn sie recht verstanden hätten, es zu benützen, hohe Zinsen hätte abwerfen müssen. Siehe doch zu, Eduard, daß du seine Legende irgendwo auftreibst. Sollte sie sich denn nicht in einem Winkel der königlichen Bibliothek finden? Ich weiß zwar ungefähr, wie viel den Lobrednern der Heiligen zu trauen ist; aber zu geschweigen, daß die Wahrheit sich doch nicht so ganz verkleistern läßt, um nicht hier und da durchzuschimmern, so kömmt es dem seinigen auch gar nicht in den Sinn, die Materialien, die ihm zu Gebote standen, zu verfälschen. Er stört nur in den gemeinsten Fripperien nach den Lumpen des Schaafpelzes, der dem Wolf hienieden ein so frommes Ansehn gab. Uns, die wir nun den ehrlichen Mann in sein wahres Licht gestellt sehen, kann ein solcher Umzug nicht blenden. Es trägt vielmehr bey, seine Physiognomie durch Vergleichung nur desto hervorstechender zu machen. So müde ich auch des Excerpirens bin, soll es mich doch nicht verdrüßen, dir aus dem Büchelchen noch eine und andere Parallelstellen zu dem vorliegenden Texte abzuschreiben.

 

     Pag. 11. – Il naquit à Marly le 21. Febr. 1609. il reçut l´habit de Religion le 19. May 1631. agé de 22. ans. – On lui changea son nom de De­nis en celui de Frère Fiacre de Sainte Margarite.

 

     Pag.   38.     Le   Frère  Fiacre pénètre de reconnoissante pour les aumônes de la reine, prioit le ciel de la rendre féconde – lorsq´ enfin 1633 de mouvemens intérieurs le sollicitoient, comme maigre lui, d'aller dire à la Reine qu'elle auroit un fils etc.

 

     Extrait du procès verbal: II se sentit une forte inspiration de faire trois neuvaînes pour saluer la sainte vierge à Notre Dame de Paris, à Notre Dame de Grâces en Provence et à No-

tre Dame de Victoires ; et Dieu qui voulut que la France eût obligation de son bonheur à ce pauvre Frère f accorda à ses prières le Dauphin attendu; car ses neuvaines finirent le 5 Dé­cembre, neuf mois précisément avant que le roi naquit. Le 5 Septembre 1633 des les deux heures du matin la Reine fut en travail—à onze heures 22 minutes avant midi le Roi étant à table fut subitement averti que la Pleine accouchoit eta Gazette et Mercure francois de 1638.

 

     Pag. 60. — Ainsi naquit le Dauphin, le fruit du frère Fiacre après 25. années de stéri­lité de la Reine. Les nouvelles publiques de ce temps re-connoissent qu'il y a du mer­veilleux dans cette naissance, Louis XIII. dans ses lettres aux Ambassadeurs, assure que tout ce qui a pre'cede' l'accouchement de] la Reine fait voir que ce fils lui est donne' de Dieu.

 

     1657. — au milieu de tant clé grâces il etoit tourmente' de mil­le pense'es impures : qui le croi-roit? il evitoit en gene'ral les conversations avec les femmes et surtout des femmes dévo­tes, parce qu'on s'y engage d'au­tant plus facilement: qu'on voit dans leur conduite plus de re­tenue et que par un artifice im­perceptible de l'amour  propre on passe de l'estime de leur vertu   à l'attachement à leur personne. Cependant il etoit tente, qui le croiroit? il regloit ses paroles, ne permettait rien à ses yeux: cependant il  etoit tente etc. niais rien au fonds n'est si facile à   comprendre. Les saints n'ont été de grands saints que parce qu'ils ont eu de grandes passions   etc. Le frère Fiacre affligé par ces pen­sées sales, s'agitait, se tourmentoit pour les repousser, il se serroit les tempes, se ridoit le front,  secouoit  la tête, et faisoit mille autres contorsions.

 

     Circonstances de sa mort: II faut savoir que de l'an 1646 c'est à dire 38. ans avant sa mort  il avoit écrit qu'il  e'toit arrête  de   toute  éternité qu'on prendrait   son   coeur après   sa mort et  que deux religieux de son ordre le porteraient à No­tre Dame de Grâces pour y être pose' sous les pieds de la glori­euse Vierge Marie ; il pria ceux qui tireroint son coeur de  son corps y. de le tirer par le cote', à cause de la pudicite religieuse. Toutes ces circonstances ont été accomplies à la lettre.

 

     Pag. 368. Il mourut le 16 fevr. 1684. dans la 75me an­née de son âge. Il avoit la taille medicore, le front grand et large, les yeux bleus, il e'toit blanc, avoit les traits as­sez réguliers; et tout cela for-moit une phisionomie belle et très religieuse etc. Les peintres ne le perdirent jamais de vues, il en eut toujours de nouveaux qui se succédèrent pour le tirer.

 

     Pag. 370. Dès qu'il fut en­terre, le P. Prieur fut à Ver­sailles porter la lettre que ce serviteur de Dieu lui avoit écrite avant de mourir. Le P. Prieur lui présenta encore la donation qu'il a voit fait de son coeur à la sainte Vierge et qui etoit signée de son sang. Le roi baisa la signature avec re­spect. Voilà, dit-il, un sang qui est bien vermeil.

 

     Pag. 372. Les supérieurs remirent  ses manuscripts qu'il avoit laisse cachetés avec prière de ne les ouvrir que  dix  ans après sa mort. Celte dixième anneé étant enfin révolue le Roi attentif   envoya Msr. de Pompone Ministre et Secrétaire d'état avec une lettre de cachet qui lui ordonna   d'ouvrir les manuscrits du frère Fiacre. Il les ouvrit  en présence des superieurs; il en tira quelques papiers qu'il fit porter au Roi.

 

     Wer das Gefühl nicht kennt, Herr eines Staatsgeheimnisses zu seyn, das er, nach Belieben, mit in die Ewigkeit nehmen oder verschwatzen kann, an wen er will, müßte einen großen Spaß an meiner Figur gefunden haben, wenn er die selbstgefälligen listigen Mienen, die bisher meiner Feder nachschlichen, hätte belauschen können. Denn freylich kann ein Auge, das so viel auf Nuditäten hält, als das meinige, sein Wohlbehagen nicht bergen, wenn es den seltenen Fall erlebt, einem Mönch seine Kutte vom Leibe, einer Kammerfrau das Tuch von der Brust zu ziehen, die das Herz eines Tiegers versteckt, und besonders, wie Peter der Große im kayserlichen Ungestüm sich an dem Bette der Maintenon herausnahm, eine Königin zu entblößen, von der man so viel Schönes erzählt. Meine Gesundheitsreise – will ich jetzt, ohne Wortwechsel, jedermann zugeben, der die Sache versteht, hat bis auf den heutigen Tag nur Vorfälle entwickelt, die der Mühe des Erzählens nicht lohnen, die keinen Menschen, als etwan dich, interessiren können, und dem gemeinsten Reisenden aufstoßen. Jetzt aber hoffe ich doch, daß mir die Statistiker, die Biographen und Archivarien, alles Geschwätz der vorigen Blätter der einzigen Perle wegen verzeihen werden, die mir heute der Zufall in die Hände spielte. Mußte nicht Cook auch lange auf dem Weltmeere herumirren, ehe er auf jene glückliche Insel stieß, wohin noch keine Cultur gekommen war, und wo die schönsten Mädchen noch nackender gehen als in meinem Tagebuche. Ich kann mich jetzt brüsten wie er – Mein Otaheite ist gefunden und mein Name verewigt wie der seinige *).

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*) Damit man jedoch wider Vermuthen einen Scherz nicht als Ernst aufnehme – so hält sich der Verfasser dieses Tagebuchs, nachdem es jetzt in Druck erscheint, verpflichtet, alles was er über die eiserne Maske gefabelt hat, als historische Gewißheit zu widerrufen. Gegen einen Freund – nicht so gegen das Publicum – glaubte er sichs erlaubt, die Hypothese, die er indeß immer noch sehr wahrscheinlich findet, mit untergeschobenen selbst gemachten Urkunden zu unterstützen. Die vielen französischen Schriftsteller, die über dies politische Geheimniß des vorigen Jahrhunderts geschrieben, kommen zwar darin überein, daß die eiserne Maske ein Bruder des 14ten Ludewigs, der eine aber wie der andre Bastard und unrechtmäßiger Erbe der Krone gewesen sey. Ludewig der 13te glaubte am wenigsten daran *).

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*) Siehe Siecle de Louis 14. p. m. 258. in den Œuvres de Voltaire, und an mehrern Stellen. Auch kann man die Nachrichten ders Abbé Soulavie in dem 6ten Bande der Memoires de Richelieu – und Mihiel – Le veritable homme etc. mit einander vergleichen. In letzterem finden sich auch gute Nachrichten über die Kammerfrau der Königin – Beauvais p. 136 – 146. so wie über die Gewitternacht, die es unnötig machte den zweyten Prinzen zu verheimlichen.

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Doch ist der Autor des Tagebuchs der Erste, der den heiligen Fiacre – als Vater beyder Brüder aufstellt, und vielleicht der Wahrheit am nächsten gekommen ist. Jeder aufmerksame und mit der damaligen Schreibart bekannte Leser wird sich ohnehin nicht weißmachen lassen, daß die Briefe der Königin Anna und ihrer Kammerfrau Beauvais von ihnen herrühren, obgleich gegen letztere, die das Geheimniß ganz in ihren Händen hatte, Ludewig der 14te bis an ihren Tod ein auffallendes Zutrauen bewies.

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     Aber soll ich denn heute gar nicht zur Ruhe kommen? Eben im Begriff, das dritte oder vierte Licht auszulöschen, das meiner nächtlichen Arbeit vorstand, fällt mir noch St. Sauveurs Brief in die schläfrigen Augen. Ach Gott, wie trieb sie nicht jede Zeile auseinander! Höre nur, Eduard, was mir der sonst so vernünftige Mann zumutet. Er, der mit Wohlgefallen der Execution erwähnt, die heute unter seinem Commando einem Verurtheilten das Leben schenkte – kann doch verlangen, daß ich ihn morgen zu einer – wo keine menschliche Gnade stattfindet – zum Opferfeste einer neuern Iphigenie – zur Einkleidung des unvergleichlichen Kindes begleiten soll, das mir vor ein paar Tagen zu Toulon so wichtig geworden ist? Ich hatte es ganz vergessen, daß morgen ihr sechzehnter Geburtstag einfällt, der sie von dem gesellschaftlichen Leben zu trennen und zu einer ewigen Gefangenschaft einzusegnen bestimmt ist! Schließt der gute Mann etwa aus meiner Fahrt nach Cotignac, daß ich sonst nichts zu thun habe als Klöster zu besuchen? Die langweiligen Stunden, die ich dort zubrachte, sind mir doch vergütet worden, und wie? Was sollte mich aber in eins verlocken können, wo ich unter ärgerlichen Ceremonien vielleicht Gefahr liefe, mir ein Gallenfieber zu holen? Ueberdieß bin ich ja morgen um neun Uhr zu meiner Sonntagsfeyer schon in einem Tollhause versagt, das sich unter keiner andern Benennung ankündigt als die ihm gebührt. Der Herr Brigadier mag allein reisen. Ich will nicht auch noch mit leiblichen Augen einer Gleißnerey nachgehen, bey der, sonderbar genug, nicht weniger als bey der eisernen Maske, ein Heuchler von Vater, eine strafbare Mutter und ein eigennütziger Bruder ihr höllisches Spiel treiben. Hat mich die Theilnahme an einem Leidenden, dessen Asche von einem vollen Seculum bedeckt ist, schon so mürbe gemacht, welches Entsetzen würde mich nicht erst ergreifen, wenn ich die holde Schöne zum ersten Male wieder nach jener herrlichen Nacht unserer Bekanntschaft im Nonnenschleyer an dem Rande eines offenen Grabes anstaunen müßte, das sie lebendig verschlingen soll, und aus dem sie, ach Eduard! nun nichts – nichts mehr zu retten vermag. So streckt denn Unvernunft, Aberglaube und Mönchswuth ihren bleyernen Zepter von einem Jahrhunderte zum andern! Wo ich auch hinblicke, sehe ich nur Thorheiten und Laster neben dem Jammer der Unschuld. Du vermutest doch schon, Eduard, daß ich nach solchen Kopf und Herz durchdringenden Gedanken den Marquis mit verweigernder Antwort abgefertigt habe – und Du hast es errathen. Doch, indem ich meinem Bastian den Brief vor das Bette tragen wollte, um ihn morgen mit dem Frühesten zu bestellen, trat mir das Bild der guten liebenswürdigen St. Aignan in den Weg, und bat mich, die Sache noch einmal zu überlegen. Ich blieb eine ganze Weile ungewiß stehen, aber die rührende Betrachtung einer Tochter, die Jugend, Schönheit und alle Ansprüche auf ein Leben voll Glück dem kindlichen Gehorsam aufopfert, entschied. Ich zerriß meine Antwort und bin entschlossen, meinem Freunde zu folgen, unsere Thränen zu vermischen, und ihr – koste es mir auch was es wolle, vor ihrem Hingang noch einmal in die blauen himmlischen Augen zu sehen. Der Besuch bey dem andern gebeugten Weibe entgeht mir ja nicht!

 

*  *  *

 

Den 24sten Februar.

Wenn Du aus der Constellation meines gestrigen Blatts zu bestimmen vermagst, in welcher Gegend mein Stern leuchtet, so sind wir geschiedene Leute; denn trotz Deiner Sehkraft konnte es unmöglich mit rechten Dingen zugehen. Kaum bin ich mir selbst glaubwürdig genug, um meinen Standtpunct und die Ereignisse des abgelaufenen Tages für wahr zu halten, den ich Dir jedoch so treu, als alle vorhergegangenen, zu entwickeln verspreche; habe nur, das bitt´ ich Dich, Geduld mit meiner Feder! Du kennst ihre Weise. Sie rückt gewöhnlich nur mit dem Zeiger der Uhr fort, aber vorzüglich heute darf in meinem Tagebuche keine Stunde eher schlagen, als sie erlebt ist, damit nicht der Minuten eine, die sie herbeyführten, verloren gehe. St. Sauveur holte mich nicht ab, wie ich erwartete, sondern schickte mir seinen Wagen, um ihn abzuholen. Es fiel mir ein wenig auf, und erinnerte mich, daß er bey aller seiner Höflichkeit sich doch noch nie herabgelassen habe, mich zu besuchen. Er stand in seiner Hausthür, als ich ankam, stieg ein, indem er zugleich dem Kutscher befahl langsam zu fahren, damit wir nur kurz vor dem Anfang der Ceremonie bey den Ursulinerinnen einträfen. Konnte er aber nicht lieber um so viel später die Stadt verlassen? Das wollte ich eben fragen, als ich in seinen Augen Thränen bemerkte, die mir alle Sprachlust benahmen und meine eigene bängliche Stimmung vermehrten. Ich konnte an mir abnehmen, wie viel ihm die Gefälligkeit kosten mußte, als erbetener Zeuge einer für Herz und Verstand gleich widrigen Handlung beyzuwohnen, und fand es bey seinem Mißmuth sehr natürlich, daß er sich einen Begleiter zugestellt hatte, aber leider! hätte er zu seiner Zerstreuung keinen unfähigern wählen können als mich. Unserer beyder Seelen schwammen in gleicher Wehmuth, die unter allen sympathetischen Gefühlen am wenigsten sich mit Worten abgiebt. O wie lang ward mir der Weg nach dem, von der Stadt ohnehin ziemlich entfernten Koster, und doch wie erschrak ich, als wir endlich nach drei langweiligen Stunden vor dem Eingange der Kapelle still hielten, hinter der das mit Hängeweiden und Zypressen umgebene gothische Gebäude vorragte. Allgütiger Gott! seufzte ich, wie kannst du zugeben, daß man eins deiner freyen frohen Geschöpfe – ach deiner herrlichsten eins! in den Kerker dieser Einöde versperre. Muß nicht dem armen Kinde das Herz verbluten, wenn es jetzt auf seiner Herreise zum letztenmale von gaukelnden Vögeln umzwitschert, von balsamischen Lüften umweht, dieses rusige Gemäuer erreicht, und hinter ihm die Pforte zurasselt, die es auf ewig von dem so freundlich winkenden Frühling – den schönsten Hoffnungen seines Geschlechts und jenen Fühllosen trennt, die seiner kindlich und schwesterlich wimmernden Liebe – doch immer noch werth bleiben!

 

     Unter peinlichen Gedanken wankte ich dem Kirchner nach, der uns eine Loge dem Altar gegenüber anwies, die durch eine Glasthüre in der Mitte zweyer Fenster von dem Schiffe der Kirche abgesondert war. Durch den flornen Vorhang, der die Zuschauer verbarg, schimmerten zunächst zwey einander überstehende schwarz beschlagene Bänke meinen feuchten Augen entgegen, und an den beyden Seitenwänden zogen sich die vergitterten Schranken der Nonnen herum. So lange ich und der Marquis allein waren, übersah ich noch so ziemlich gelassen dies geistige Hochgericht; als aber bald nachher der Vater und Bruder des seinen Schlächtern nun schon ausgelieferten Lammes hereintraten, empörte sich mein Innerstes so heftig bey ihrem Anblicke, daß ich kaum über mich gewinnen konnte, ihnen ihre höfliche Verneigung kalt zu erwiedern. Die heuchlerische Miene, mit welcher der erstere sogleich auf die Knie fiel, täuschte mich so wenig als das bleiche abgehärmte Gesicht des andern. Mag es meinetwegen wahr seyn, was mir der Wirth zu Toulon von ihm erzählte; es schändet den eigennützigen Jüngling nur desto mehr, daß er lieber seiner Braut und den Pflichten der Ehre und der Menschlichkeit, als dem schwesterlichen Erbantheil entsagte, der ihm, trotz der tollen Verordnung der Mutter, nicht zukam. Ich konnte diesen Abscheulichkeiten nicht länger nachgrübeln, denn jetzt fingen die Glocken zu läuten an, und der Beförderer und Executor des schwärmerischen Testaments, der Dominicaner, erschien, warf sich vor den Altar und betete so lange im stillen, bis jene schwiegen, und nun ein zweystimmiger, aus den Klausen der Nonnen sanft hervorwallender Choral das Trauerspiel eröffnete. Indem sich der Geistliche seiner Bank zur linken Seite unserer Loge näherte, trat zugleich auf der rechten – oh, wie stiegen mir die Haare empor – die Verurtheilte, weiß gekleidet, hinter einem Kirchstuhle heraus, und bewegte sich an der Hand ihrer Erzieherin, mit niedergeschlagenen Augen feyerlich langsam nach ihrem Sitze. Diese bot ihr einen Flacon zum Riechen. Sie dankte der Freundin, ohne ihn anzunehmen, durch ein gutmüthiges Lächeln für ihre Besorgniß, und verbeugte sich gegen den Mönch, der nun, die Schreckensurkunde in der Hand, seinen Vortrag im schlichten Predigerton anhob: „Der erste Laut meines Mundes an diesem Zufluchtsort unserer Andacht sey der Glorie des Allweisen und Unerforschlichen und dem Andenken jener zu seiner Herrlichkeit Uebergegangenen geweiht, der Sie, theures Fräulein, das Daseyn verdanken. Der Glanz ihrer Sterbestunde erhelle die gegenwärtige, die uns beyde zu dem gemeinschaftlichen Zwecke vereinigt, den letzten Willen der Verewigten zu vollziehen. Die schönste und größte Verbindlichkeit eines Kindes ist Gehorsam, und Ehrerbietung für Aeltern das erste Gebot, das Verheißung hat. Sie haben sich bereits, dem mütterlichen Verlangen gemäß, zur Annahme des heiligen Schleyers erklärt, und dieß stille Kloster gewählt, wo Sie Ihre übrigen Tage ruhig und Gott gefällig zu verleben gedenken; das Ihnen zur Befolgung gesetzte Ziel ist erreicht. Sie stehen zum letztenmal freygelassen hier vor meiner segnenden Hand, um Ihren gereiften frommen Entschluß zu bestätigen und zu erfüllen, und so wird es Ihnen wohlgehen und Sie lange leben auf Erden. Wie festlich muß Ihnen, nach sechzehn verlaufenenen Jugendjahren, nicht heute die Erinnerung an den Tag Ihrer Geburt durch die Feyer Ihres Gehorsams und Gelübdes werden, das Sie abzulegen bereit sind.“ Bey diesen Worten entfielen einige Tropfen den Augen des lieben Kindes. Der Mönch, der sie nachdenkend anblickte, hielt so lange inne, bis sie wieder gefaßt war, und fuhr dann herzlicher fort: „Ihre Traurigkeit, Theuerste, ist vorübergehend, wie der Schmerz einer Gebärenden. Der Allmächtige wird sie in Freude verwandeln. Diese Thränen, hoffe ich, sind der letzte Tribut, den Ihre Dankbarkeit dem Andenken eines vergangenen glücklichen Lebens zollt; denn wie könnte, da Sie, mit heute, ein dreymal froheres beginnen, es Ihrem Herzen schwer fallen, jenen vergänglichen Freuden der Welt, an denen es Theil nahm, zu entsagen, und sie höhern Befriedigungen aufzuopfern. Habe ich wohl nöthig, Ihnen bey dieser Landung aus einem Meere voll Gefahren und Stürme tröstend entgegen zu kommen – wohl nöthig, Sie zu ermahnen, den Allwissenden durch ein freymüthiges Bekenntniß aller werthlosen Anhänglichkeiten an das Irdische, von denen sich Ihr Herz jetzt trennen und reinigen soll, zu ehren, da es längst dem meinen geöffnet, sich nie der Erforschung seines treusten Rathgebers und Beichtigers zu entziehen gesucht hat? Sollte es aber dennoch, mir unbekannt, sich einer weltlichen Sorge bewußt seyn – sollte noch ein Wunsch an ihm nagen, den es treulos begriffen wäre, gleichsam als einen verheimlichten Raub, in diese der Seelenruhe geweihte Wohnung mit hinüber zu nehmen, so –“ Hier überzog eine flimmernde Röte die blassen Wangen des erschrockenen Kindes, es brach in unaufhaltsame Thränen aus, zitterte, rang wehmüthig die Hände, und versetzte durch diesen Anblick den erstaunten Priester in einen heiligen hell auflodernden Eifer. „Fräulein,“ erhob er feyerlich seine Stimme, „ich lege, ja, unter der strengsten Verbindlichkeit eines Eides und bey der ewigen Wahrheit, deren berufener Diener ich bin, lege ich Ihrem Gewissen auf, jenes verborgene, noch nicht getilgte Gelüste Ihrer Seele unverhehlt zu bekennen, das in dieser Stunde der Entsagung noch mächtig genug ist, Ihre Sündhaftigkeit zu erschüttern, damit ich an Gottes Statt = = =“ doch hier erlaubte ihm sein Mitleiden nicht weiter zu sprechen, denn seine Beschwörung, die schon mir beynahe all Besinnung nahm, in welchen Zustand versetzte sie nicht vollends dies zarte, weibliche Wesen! Sie ergriff und drückte in höchster Seelenangst die Hand ihrer jammernden Freundin an das gepreßte Herz, und verbarg die Augen unter dem Tuche, das ihre Tränen einsog. Dieser Anblick war so rührend, daß er selbst die lieblosen Zeugen erweichte, in deren Mitte ich stand. Ich hörte, wie sie sich von den Fenstern zurückzogen, um sich nicht durch ihr Schluchzen zu verrathen, doch vergönnte ich ihnen keinen meiner Blicke, die fest an den leidenden Engel geheftet blieben. Nach einer minutenlangen, furchtbaren Stille, während welcher der Mönch für die Beruhigung der so peinlich Befragten zu beten schien, richtete sie ihr holdes Gesicht in die Höhe, wendete es mit ernster Andacht gegen den Altar, und von da zu ihm. Ihre Blicke waren erheitert. Frohes Bewußtseyn der Unschuld ruhte auf ihrer Stirn, und mit fester Stimme, die Hände in Begeisterung erhoben, begann sie: „So vernimm denn, Gesalbter des Herrn, an dieser der Buße und Wahrheit geheiligten Stätte, das Geheimniß meines schwachen, aber unsträflichen Herzens, vernimm jenen süßen Irrthum, in den es sich selbst für den trefflichen Mann verlockte, der meine Kindheit geleitet, Tugenden und Kenntnisse in mir erweckt, und sich meines dankbaren Gefühls endlich bis zur Entkräftung jeder andern Pflicht in solcher Stärke bemeistert hat, daß mir immer in seiner Abwesenheit bange, ach! so bange wie einer Verlassenen war. Ich konnte an keinem der Tage, in welchem eine Stunde der Erwartung lag, meinen Wohlthäter zu sehen, weder beten noch arbeiten. Mehrmal habe ich in nächtlicher Täuschung geträumt, daß mein Vater seine Hand in die meinige legte und uns segnete, und wenn ich erwachte und mich besann, vergoß ich bittere Thränen über die Unmöglichkeit, ihm anzuhören. Willst du das Liebe nennen, nun so habe ich hoffnungslose Liebe für einen Tugendhaften empfunden. Mein Herz unterwirft sich in Demuth dem wohlthätigen Kummer, mit dem mich o schon längst! seine Gleichgültigkeit bestraft; denn ich bekenne, ehrwürdiger Herr, daß sie es, und Gott möge sich meiner erbarmen, allein war, die mich antrieb dem mütterlichen Willen zu gehorchen, und mir, nach langem Kampfe, meine Bestimmung zum Kloster wünschenswerth gemacht hat. So gebrauchte der Allgütige die Würde dieses Mannes, um mich auf den geheiligten Weg zu leiten, den ich jetzt nur desto williger und zufriedener betrete, da er mich mit der edelsten meiner Jugendfreundinnen wieder vereinigen wird, die ihn aus mitleidiger Liebe zu mir voranging. Gute großmütige Montbasson. –“ Ein Erguß zärtlicher Thränen unterbrach eine ganze Weile den Wohlklang ihrer Stimme. Herrlicher und reizender habe ich nie ein Weib gesehen, Eduard, als es diese angehende Nonne in den erhabenen Augenblicken war, aus denen ich ihr nachlalle. Bescheidenheit, Muth und Ergebung strahlten aus den großen, blauen Augen. Die höchste Reinheit der Seele tönte von den befeuerten Lippen. Jeder warme Ausdruck ihres herzlichen Geständnisses entfaltete eine Rose mehr auf den jugendlich verschämten Wangen. Ich war so verloren in der körperlichen und geistigen Schönheit dieses unvergleichlichen Kindes, daß ich mich selbst nicht nach dem Mitgenossen meiner Trunkenheit umsehen mochte, der, vorgebogen über das Fensterpolster mit klopfendem Herzen an meine dort ruhende Hand, den Bewegungen des meinigen sympathetisch zustimmte. Sie aber, nun über alle Wehmuth erhaben und in dem glücklichen Wahne, sie stehe nur vor den Augen Gottes, und kein menschlicher Zeuge, außer den vertrauten Beyden, denen sie die Tiefe ihres hingegebenen Herzens öffnete, könne das Verathmen seiner letzten Seufzer vernehmen, rief mit schmelzender Stimme: „Meine Seele,“ rief sie dem Dominicaner in dem schauernden Augenblicke, zu, da er seine Hand aufhob, um ihr Gewissen loszusprechen und sie zu ihrem furchtbaren Beruf einzusegnen, – „fühlt sich jetzt gestärkter und zu dem Hingang aus der Welt meiner Jugend bereit, nur, daß ich aus ihr so manchen weisen Rath, so vielen Stoff zu hohen Betrachtungen in meine einsame Armuth mitnehmen soll, ohne Ihm, der mich damit ausstattete, dafür danken zu können – nur dies noch beklemmt mir die Brust. – Ach! findest du nichts tadelnswürdiges in meinem Verlangen, so übernimm und berichtige, ehrwürdiger Vater, diese Schuld meiner Erkenntlichkeit. Gott, schluchzte sie, faltete die Hände und schlug die Augen gen Himmel, möge ihn segnen und beglücken! Es soll mein tägliches Gebet seyn! Sage ihm dies zu meinem Abschied.“ – „Ja, Fräulein,“ antwortete der Greis und wischte sich die Augen, „ich will gern und gewissenhaft Ihren Auftrag ausrichten, sobald Sie mich noch belehren wollen – an Wen?“ Betroffen staunte das reizende Geschöpf bald den Geistlichen, bald ihre Aufseherin an. „Ach!“ erwiederte sie endlich, „bedarf es wohl noch des Namens? – o daß doch der Meine einmal so hoch gewürdigt, solch einem Herzen entquellen, über solche Lippen fließen möchte! – des Namens meines Wohlthäters? – Ihres edeln Freundes – St. Sauveur?“

 

     Und in demselben Augenblicke, in welchem dies große Losungswort verhallte, sprengte Er, den es zur höchsten Seligkeit eines Sterblichen berief, dessen ahndendes Herz, wie ich nun sah, so ungestüm über meiner Hand geschlagen hatte, die Mittelthür unsrer Halle auf – umschlang in sprachloser Herzenserschütterung die aus dem Schrecken der Ueberraschung ohnmächtig dahin Sinkende, riß ihr den Schleyer ab und drückte wild seine Lippen auf die ihrigen. Und in derselben Secunde flogen diesem Engel zwey andere aus ihren Wolken zu, die der Betäubten die Schläfe bestrichen und unter Küssen, Wimmern und den zärtlichsten Fragen – Clara, liebe Clara, kennst Du Deine Montbasson – siehst Du denn Deine Agathe nicht? – die Erblaßte wieder ins Leben, und, Gott im Himmel! in was für ein wahrhafteres Leben zurückriefen. Und in derselben Minute drängten und schmiegten sich Vater und Bruder an die unverlorene Tochter – an die gerettete Schwester, und der Mönch ging und warf sich in abgezogener Andacht vor den Altar. Nur ich, der nicht wußte, wie ihm geschah, der die verdeckten Kräfte nicht begriff, die in dem Augenblicke der Entscheidung mächtig genug seyn konnten, den Schlag aufzuhalten, der über der armen Verurtheilten schwebte, ich, dem dieselben beitzenden Tropfen, die ihm das herbste Gefühl kurz vorher in die Augen getrieben hatte, jetzt als labender Thau über die Wangen zitterten – ich allein blieb, in stummem Erstaunen, unbeweglich auf einer Stelle zwischen der offenen Glasthüre stehen. Wen sollte ich über Wunder dieser Verwandlung befragen? Von wem konnte mein Ruf, in diesem Sturme tobender Leidenschaften, eine hörbare Antwort erwarten? Ach, diese Seligen genossen, wie ihre Gespielen im Himmel, ihres überschwenglichen Glücks, ohne des Neugierigen zu achten, der sich mit geblendeten Augen in das Unerforschliche verlor. Umsonst, daß in diesem Schauspiele des Entzückens mein spähender Blick jeder Richtung der Freundschaft, Liebe und Hoffnung nachschlich, die sich hier aus Mienen, Küssen und abgebrochenen Worten ergaben; denn kaum hatte meine geschäftige Einbildungskraft aus den erlauerten Bruchstücken einen unhaltbaren Roman zusammengesetzt, so riß ihn auch meine kältere Beurtheilung ebenso geschwind wieder ein. So schwebten meine verworrenen Gedanken noch über die rührende Gruppe, die sie veranlaßte, als der Dominicaner, von seinen Knien erhoben, langsam und doch unbemerkt, sich den in ihrem Glück Versunkenen näherte; doch sobald er in ihrem Kreis stand, waren aller Augen auf ihn, aller Ohren auf seine Worte gerichtet. „Ich sehe Sie, würdige Verwandte der Ewigkeit,“ entwickelte sich seine rührende Anrede, „durch die irdische Freude des Wiedersehens zu Empfindungen hingerissen, die mit diesem der stillen Andacht geweihten Orte unverträglich seyn würden, hätte sie nicht der letzte Wille einer frommen Gattin und Mutter herbeygerufen, entsündigt und zu höhern Endzwecken geheiligt. Preis und Dank dem Unendlichen, daß ich diesen Tropfen Zeit noch zu schmecken und dem Verstummen einer Sterbenden noch meine Stimme zu leihen vermag. Ich erkenne mit Erstaunen und Demuth, daß selbst die verhallten Pulsschläge eines längst verwesten Herzens in der großen Harmonie der Schöpfung noch forttönen, und die ewige Liebe jenes letzte Lallen mütterlicher Zärtlichkeit der Erhörung noch werth achtet. Möge der helldunkle Glanz dieser Stunde, die das Stöhnen des Todes mit dem Jubel des Lebens verknüpft, sich hienieden, o Fräulein! über alle Ihre Handlungen verbreiten! Möge Ihre irdische Liebe sich immer, wie heute, den Gränzen einer unvergänglichen anschließen – der Strom Ihrer Tage unter unverwelklichen Blumen verrauschen, und Sie einst in die Arme der Verherrlichten überschiffen, die vormals, an dem heutigen, unter den schwersten Qualen einer Gebärenden, Sie zu dem gegenwärtigen Freudengenuß mit Erde und Himmel verband!“ Die Begeisterung des Greises, die sich seinen Zuhörern wundersam mittheilte, spannte seine und ihre Kräfte bis zur Erschöpfung. Unsere hochklopfenden Herzen arbeiteten wie Gewitterwolken; auch kam ihnen die Natur wie jenen zu Hülfe, und ein Erguß von Zähren entlud sie des Feuers, das in ihrem Innern loderte. Sie rieselten über den schneeweißen Bart des ehrwürdigen Mönchs und senkten sich wie Morgenthau, der welkende Lilien aufrichtet, sanft auf jede weibliche Brust, die hier in der seligsten Erleichterung an den ängstlichen Schleyer andrang. O Eduard, welche Sabbatsfeyer. Sobald sich der Redner gefaßt hatte, ging er in milderem Tone fort: „Sie, würdige gehorsame Tochter, haben nun das Recht errungen, sich und den Mann zu belohnen, der Ihr Herz und Ihren Verstand bildete, und, Sie längst unaussprechlich liebend, dennoch Muth genug hatte, sein Geheimniß bis zur Aufklärung des Ihrigen – bis zu dem gegenwärtigen festlichen Augenblicke, dem er zitternd entgegensah, zu bewahren. Sie überwanden Menschenfurcht, weibliche Schüchternheit und trügenden Schein in der großen Entscheidungsstunde Ihres Schicksals – nannten den Nahmen des Erwählten, und indem Sie ihm auf ewig zu entsagen glaubten – o wie vergilt Ihnen der Gott der Wahrheit den Kampf Ihrer edeln Seele! – fesselten Sie den Glücklichen mit Banden an sich, die weder Zeit noch Ewigkeit zerreißen wird.“ – So rührend auch die Herzlichkeit war, in der dem frommen Alten diese Worte entflossen, so ward es doch seine Rede noch mehr, als er sein freundliches Gesicht von der schönen Verlobten ab, unerwartet für uns alle, gegen den Bruder wendete, der trauernd und blaß seinem Vater zur Seite stand. „Oh, wie hat der Allgütige“, rief er, „meinen kurzen Hinweg zum Grabe mit Spatrosen bestreut! Sohn meiner verklärten Freundin! So lange mir mein Eydschwur die Zunge noch band, lag es nicht in meiner Gewalt, die Leiden Ihrer Unschuld zu endigen, Ihre hohe Tugend gegen ungerechten Verdacht in Schutz zu nehmen, und den nagenden Gram Ihrer Seele zu mildern. Alles peinlichen Zwanges endlich entbunden, vernehme jetzt jedermann aus meinem Munde, daß der großmüthige Jüngling, taub für jede Lockung des Eigennutzes, selbst der mütterlichen Prüfung nicht unterlag. Ernstere Verordnungen, die erst heute Kraft erhalten, die vorhergegangenen scheinbaren aufzuheben, würden ihn für den Mißgriff seiner Selbstsucht bestraft haben, wenn er nicht, in Uebereinstimmung mit der zärtlichen Hoffnung seiner redlichen Mutter, schon vorlängst ihrem blendenden Vermächtnisse entsagt, und es dem Kloster zugeeignet hätte, das seine geliebte Schwester zum Aufenthalte wählen würde. Diese für das Andenken an den Edelmuth und die Bruderliebe des Ausstellers feststehende Urkunde erwartet jedoch, um als Schenkungsbrief gültig zu werden, annoch die freye Einwilligung derjenigen, die von nun an über jede fromme Anwendung ihres Erbtheils allein zu verordnen hat.“ Eine sonderbare Erwartung, dachte, und warum, seufzte ich, muß doch der gute Mann, dessen Kutte ich bis jetzt auf das toleranteste übersah, sie mir, mitten in seinem rührenden Vortrage, so ärgerlich unter die Augen rücken? Doch nöthigte er mich, sie aufs neue zu übersehen, als er in dem überzeugendsten Tone fortfuhr: „Verschwunden ist nun der Irrthum, der auch Sie täuschte, tugendhafte Montbasson – verschwunden das Blendwerk vieler Jahre, das Sie, alle um mich Versammelte, durch rauhe unbekannte Wege führte, um Ihre Blicke am Ende mit der herrlichsten Aussicht, die sich aus diesem Leben in jenes verliert, zu überraschen. Der Lohn, meine würdigen Freunde und Freundinnen – indem er zwey versiegelte Päckchen hervorzog, das eine der Tochter, das andere dem Sohne überreichte – der Lohn Ihrer Beharrlichkeit in der Tugend – die glückliche Beendigung meines Auftrags – die Beweise desselben und die Erfüllung so vieler ineinander greifender Wünsche, liegen nun in Ihren Händen, und werden Ihnen herzerhebender zusprechen, als ein hinfälliger Greis es vermag.“ Welch ein freudiges Erschrecken ergriff nicht beyde Geschwister, als sie die mütterlichen Handzüge erblickten – die Aufschrift an meine gute Clara – an meinen geliebten Ferdinand lasen, und jene zärtlichen Töne aus ihrer Kindheit wieder zurückschallen hörten. Wie vermischte sich nicht Vergnügen und Wehmuth in ihren Gesichtern, als sie die Siegel des Umschlags erbrachen und jedem das Bild seiner Mutter und ein Brief von ihr in die Hand fiel. Welches Herz hätte beym Anblick der guten Kinder ungerührt bleiben können, die jetzt in einer langen Umarmung das Andenken der Abgeschiedenen feyerten – dann zu den Stufen des Altars eilten, um bey der Andacht, mit der sie sich nun in die heilige Urkunde vertieften, keinen andern Zeugen zu haben, als die Gebenedeyte, die, von Guido Rheni gemalt, freundlich auf die Lesenden herabblickte. Keines von uns übrigen wagte durch einen Laut die heilige Stille, die uns umgab, und den Nachklang aus dem mütterlichen Grabe zu stören, der an die beyden schön verschwisterten Seelen anschlug. Dafür erhoben sich aller Herzen auf das froheste mit ihnen, als sie zu unserm Kreis zurückeilten, und sich nun Sohn und Tochter dem glücklichen Vater zu Füßen warfen. Ihre trunkenen Blicke mußten für sie sprechen. Sie hatten einen Fund in der mütterlichen Zuschrift gethan, einen goldenen Fingerring, der sich von selbst verständlich machte und den sie ihm entgegenhielten; aber Er, der ebenso vergebens nach Worten rang, blickte gen Himmel, umarmte – und mit bethränten Augen verwies er seine Kinder auf den Boten Gottes, der ihre Aufmerksamkeit zu fodern schien. „Clara,“ rief der Mönch, „Sie haben des Vaters, der Mutter und den Segen Gottes aus meinem Munde zu dem Uebergange aus dem jungfräulichen in den ehlichen Stand, und so folgen Sie denn Ihrem großen Beruf.“ Freudig gehorchend reichte jetzt das liebe Kind den goldenen Reif ihrem Auserwählten, der ihn entzückter als ein Eroberer die Krone eines Welttheils empfing. – „Und Sie, trefflicher Jüngling,“ fuhr der Redner gegen den Bruder fort, „der Sie den Gegenstand Ihrer Liebe auf immer für verloren hielten, als er Ihnen am gesichertsten war – lesen Sie in den Blicken Ihrer Freundin Ihr längst verdientes, nur verzögertes Glück, das von heute an alle Ihre Lebensstunden begleiten wird.“ Und die Edle ergriff mit ihrer Linken die Hand der Schwester – reichte die Rechte dem Bruder, blickte auf zum Himmel, als ob sie von der Mutter ihres Geliebten einen beyfälligen Wink auf den ersten Kuß der Belohnung herabziehen wollte, den sie mit bebenden Lippen den noch bebendern des als Bruder und Sohn gerechtfertigten Mannes aufdrückte, und nun mit heiterer offener Stirne das dem Grabe abgewonnene Kleinod aus seinen Händen nahm. Wäre in dieser feyerlichen Minute aus der obern Sphäre ein Halleluja, vom Harfenklange der Engel begleitet, in diesen Tempel gedrungen – ich würde es ohne Erstaunen gehört, für kein Wunder gehalten haben.

 

     Welch ein Strom unnennbarer Empfindungen mußte nicht jetzt diese beseligten Herzen durchbrausen, da selbst das meine in Gefühlen strudelte, die es zuvor noch nie erfahren, nie geahndet hatte. Der frohen Theilnahme an diesem herrlichen Schauspiele stiegen verstohlene Wünsche, tief geschöpfte Seufzer nach, die sich so hoch noch nie gewagt hatten. Noch nie war mir die Liebe und ihr größtes Los – eheliches Glück – in diesem Glanze erschienen, und nie hatte ich mich verlassener gefühlt als in dieser laufenden Stunde. Im Drange mir so neuer Wallungen war mir daher wie einem Durstigen zu Muthe, dem von fern in der Einöde ein rieselnder Quell schimmert, als meine bis jetzt zerstreuten Gedanken sich auf Agathen hefteten. Ich überstaunte die holde Gestalt mit einem Feuer, das alle meine Sinne zu verschmelzen drohte, und wie sehnte ich mich, daß nur einer ihrer liebenden Blicke sich auf mich Armen verirren möchte, die sie einzig ihrer Busenfreundin zuschickte.

 

     „Die sinkende Sonne – riß jetzt der Mönch uns alle aus unserer süßen Betäubung – ziehe ihre letzten Strahlen als Krone über dies große gemeinschaftliche Fest. Fräulein von St. Aignan, Herr von St. Sauveur – ich rufe – als Priester dieses Heiligthums – rufe ich Sie beyde Verlobte, und in gleicher Eigenschaft auch Sie auf, Herr von St. Aignan, Prinzessin von Montbasson, mir an die Stätte unsrer Anbetung des Allsehenden, Unerforschlichen und Gnädigen zum Empfang der heiligen Weihe Ihrer Verbindung zu folgen.“ Er schwieg – ein wehmüthig zärtliches Lächeln durchflog die erröthenden Wangen der Aufgerufenen. Ihre feuchten Augen, zitternden Hände und gleichgestimmten Seelen begegneten sich, und in geschlossener Reihe traten sie dem ehrwürdigen Priester nach. Und als er nun vor dem Altare stand, beugte er dreymal sein graues Haupt über die gefalteten Hände, wendete sich darauf in dem Glanze seines Alters gegen die frommen, gehorsamen Kinder, sprach in rührendem Ton über jedes Paar das Gebet der Trauung, legte seine beyden Hände auf ihre Stirne und segnete sie. Und die zur Ehe geweihten fielen auf ihre Knie und erhoben in sprachloser Andacht ihre Blicke zu der Madonna, dem Sinnbilde hoher weiblicher Würde, das von dem Schimmer der Abendsonne geröthet auf die Gruppe der Betenden herrlich zurückglänzte. Eine Stufe niedriger waren Clarens Vater und ihre Erzieherin, und an der Seite Agathens auch ich niedergefallen. Mein stilles Gebet schwebte in seliger Seelenvereinigung mit dem ihrigen empor. Ich erhob, wie sie, – o Eduard, wie würde ich mich gestern zu Cotignac dessen geschämt haben – Augen und Hände zu der unbefleckten Jungfrau, und hoffte unter heißen Thränen – nenne es Verirrung, nenne es Schwäche meines Verstandes – aber hingerissen von unwiderstehlichen Empfindungen hoffte ich ihre Fürbitte bey Gott für den Besitz des lieben Kindes neben mir zu erflehen, dessen schmachtende Augen, in Betrachtung vertieft, der Seelengröße nachzueifern schienen, die Guido seinem göttlichen Ideal angeprägt hatte. Freude und Wünsche umrauschten die Vermählten, als sie von den Stufen des Altars herabstiegen, und ach! ich wähnte die Umarmung zweyer Verklärter zu sehen, als Agathe Claren an ihre Brust drückte. Der Mönch, nach einigen leisen Worten mit dem Vater, grüßte uns alle und entfernte sich. Der Kirchner öffnete eine Seitenthür der Kapelle. Eine Wendeltreppe leitete uns nach einem gewölbten Gange, in welchen wir Paar für Paar eintraten. Zu einer andern Zeit würden seine gothischen Fenster von farbigem Glas meine volle Aufmerksamkeit angezogen haben; aber ich führte Agathen, und wäre der Boden mit meiner Scheiben=Sammlung belegt gewesen, ihre Zertrümmerung hätte mich doch, glaube ich, nicht aus dem stolzen Tact meiner Tritte gebracht. Als wir an das Portal kamen, hob Clara die Hand ihres Befreyers an die Stirn und blickte, wie wir, mit Wohlbehagen noch einmal auf das düstere Gemäuer zurück, das wir verließen, indem die beyden Flügel der Klosterpforte aufflogen – und wie ich mir denke, daß es seyn wird, wenn am Tage der Auferstehung die Gräber sich öffnen – wir aus ihrer Finsterniß hervor hinüber in die Verklärung treten und einander zujauchzen: Wo bin ich? Wo bin ich? – so, Eduard, war uns in dem Augenblicke des Austritts zu Muthe – denn wir standen – und unsere Gedanken verloren – unsere Begriffe vermengten, und alle unsre Sinne empörten sich – wie durch Gottes Finger berührt und in das innere Heiligthum seiner Größe versetzt, standen wir mit hinstrebenden Augen, wankenden Füßen und aufgehobenen betenden Händen vor dem überwältigenden Schauspiele, das ich dir letzthin mit ebenso schwachen Worten, als diese, zu versinnlichen suchte, vor dem hinunterwallenden brennenden Balle der Sonne, sahen erstaunend jenes Thal der Unschuld und Freude, unter dem dunkelblauen Ueberhange des Abends, wie ein Kind der Liebe der mütterlichen Natur in dem Schoos liegen. Das Wunder dieser Erscheinung wirkte gleich einem heftigen Fieber auf diejenigen, die es zum erstenmal erblickten. Fest an einander gedrängt flammten ihre Augen, klopften ihre Herzen im Einklang – und jede Brust schmiegte sich an die andere, aber sie alle genossen des Erstaunens wie Kinder, ohne zu fragen. Mich allein belehrte die Erinnerung. Ich erkannte die Sonne, die ich besang –  das Thal, dem ich schon so viele Freuden verdanke – den Landsitz meines Freundes – den Felsen meiner Wiedergeburt, und ward bald überzeugt, daß der Balcon, von dem wir herabsahen, über dem Eingange des Steinbruchs schwebe, an dem, wie Du weißt, meine Baukunst so erbärmlich scheiterte – aber Gott im Himmel! durch welche Rätsel hängt dies alles mit dem Kloster – den Urselinerinnen und der Feengeschichte Clarens und ihres Bruders zusammen? O du Schöpfer unnennbarer Empfindungen, theurer romantischer St. Sauveur! welche Kräfte standen hier deinem Systeme zu Gebote, und wie unwiderleglich hast Du nicht heute seine ganze Schönheit entfaltet! Seine Augen hatten schon lange in stillem Seelengenusse an den süßen begeisterten Blicken des holden Kindes gesaugt, das in sich selbst vertieft mit schwellendem Busen in das magische Spiel des schwindenden Tages hinstaunte, ehe er dem noch größern Entzücken nachgab, das theuer errungene Geschöpf in die Arme schloß und sein volles Herz sprechen ließ: „Hier, Clara – hier in diesem Prachttempel der Natur wollen wir, fern von Klöstern und ihren Frömmlern, ein thätiges – und dem, der uns einander geschenkt hat – wohlgefälliges Leben genießen. Alles, was du heute gesehen, gefürchtet und erfahren hast, war Täuschung – nur die erhörten Wünsche Deiner sterbenden Mutter – der Auftrag des redlichen Mönchs – nur meine Liebe, meine langgenährte unaussprechliche Liebe waren es nicht. Was Du als verloren dahingabst, ist Dein Eigenthum geworden. Nur für den Einklang, für den Austausch unserer Herzen habe ich diesen Felsen gehöhlt, und der erste Segen Gottes, der in dieser Halle von seinem Diener gesprochen ward, fiel auf Dein Haupt. Unter allen Altären zur Ehre Gottes, wo in der weiten Welt ward ihm, als in dieser Kluft, einer errichtet, der seiner würdiger wäre? Wo ist je einer geschmückter gewesen, als dieser durch die Blüthen Deines kindlich=gehorsamen, frommen und edlen Herzens? Ewigen Dank, theures Weib, für das Wort der Liebe und Weihe, das ihm entquoll. Es müsse mich einst vor dem Throne Gottes verklagen, wenn ich je des Wohlklangs vergessen könnte, mit dem es an das meinige anschlug. Ich habe dich errungen. Kann ich wohl seliger werden?“ – – Unter welcher zarten weiblichen Erschütterung folgte nicht das holde Mädchen dem Strome dieser Worte! Nur Seufzer der innigsten Freude unterbrachen seine Rede, und heilige Thränen belohnten den geliebten Schwärmer. Seine Seele brauchte Erholung. Sie ruhte aus auf der Höhe ihres Entzückens, dann stieg sie erleichtert, sanft und freundlich zu dem niedern Zirkel herunter, der im Stillen ihrem Auffluge nachblickte. „Vergib mir,“ wendete er sich zuerst an Agathen, „die lange Angst, der ich Dich am Eingange eines ewigen Kerkers aussetzte. Der heutige Festtag führt Dich der freyen Luft, der Natur und der treusten Freundschaft zurück. Vater meiner Clara und auch Sie, vortreffliche Frau, die sie nur erzog – habt Dank, Ihr guten Menschen, für das große Geschenk, das Ihr meiner Liebe aufhobt. – O dieser einzige Abend! Welch einen edeln und glücklichen Zirkel umspannt er nicht!“ St. Aignan, für jede Teilnahme an Anderen – nur in den Blicken seiner Montbasson verloren, bemerkte nicht einmal, mit welchem feinen Gefühl ihn sein freundschaftlicher Schwager überging und seine Hand mir reichte. „Guter, stolzer Berliner, kam er mir entgegen, wie kützelt es mich, daß auch Du Zeuge des Glücks eines Franzmanns in der schwürigsten Eroberung – und“ – setzte er lächelnd hinzu – „auch der Wahrheit seiner Ueberraschungstheorie seyn konntest.“ – „Meinen ganzen Beifall,“ stammelte ich, und drückte thränend ihn an mein gepreßtes Herz. Seine trauliche Ansprache und Umarmung zog mich, als hätte mir unser Monarch das Band des Verdienstes umgehangen, auf einmal aus meiner Dunkelheit hervor. Clara erinnerte sich unseres nächtlichen Spazierganges mit bedeutenden Winken. Ihre Erzieherin bot mir ihre Dose, und Agathe von selbst ihren Arm, als die Gesellschaft ihren hohen Standpunkt verließ. Während schon die Abendröthe zu verblassen anfing, leitete uns der liebe Mann eine versteckte Treppe herab, durch schlängelnde Akaziengänge des Parks, seinem Wohnsitze zu. Ich bemerkte, so für mich, daß wir uns doch ein wenig über die Zeit mit unsern Entzückungen auf dem Balcon verweilt hätten, denn ich konnte kaum Agathens Gesichtchen mehr erkennen – aber wie schnell verstummte meine Critik, als mir beym Austritt aus dem düstern Gebüsche das Schloß unsers Anführers mit tausend bunten Lampen, wie mit Diamanten behängt, entgegenstrahlte. Ein neuer überraschender Anblick, jedoch nur wenige Minuten. Wir huldigten nur so lange der Pracht und der Kunst, bis sie uns selbst an die schönere Natur und durch eine vortretende Inschrift über dem Eingange an das dreyfache Fest der Geburt – der Erlösung und der anbrechenden Vollendung des gefeyerten Mädchens erinnerten. Unsre geblendeten Augen, alle zugleich, wie durch den Druck einer Feder, auf die Einzige gerichtet, erfaßten, umschlangen und entwickelten nun die schlanke, holde, siebzehnjährige Gestalt – Die Bebungen des durch die kleinsten Fältchen ihres sittsamen Nonnengewandes spielenden Lichts setzten ihre Schönheit in einen so ätherischen Schimmer und uns alle in eine so optische Täuschung, daß in einer Art taumelnder Erwartung: jetzt werde Sie der Erde entschweben, eine Zunge der andern den Ausruf abnahm: Welch ein Mädchen – welch ein überirdisches Mädchen! Ach, sie ist zum Engel geboren. Spotte nicht etwan, guter Freund, meiner enthusiastischen Schilderung! Niemand fühlt die Anstrengung der ohnmächtigen Sprache lebhafter als ich; aber ich kämpfe hier so vergebens mit Worten, wie Raphael bey dem letzten Gemälde seiner Hand mit den Farben: denn welcher Sterbliche vermag das Ideal einer Verklärung zu erreichen? Während dieses Vollgenusses des Gesichts schienen meine vier übrigen Sinne wie in dem tiefsten Schlafe versunken, aber nur zu bald wurden auch sie berührt, erweckt und in die Bezauberung des ersten verflochten; denn als wir auf einen Wink des Gebieters Hand in Hand uns seinem Tempel näherten, die Thüren zwischen flammenden Säulen aufflogen, – Rosenduft unseren Geruchsnerven – Töne der Harmonica unserm Gehör entgegenschwammen – zwölf gaukelnde Genien uns zum Hochzeitmahl einluden – da wußte wahrlich kein Sinn mehr, welcher, in dieser allgemeinen Befriedigung, der glücklichste sey. Wir würden uns gern für Geister gehalten haben, hätte nicht der eintretende Hunger, als wenn er von einer langen Reise zurückkäme, seine vergeßlichen Freunde belehrt, daß sie ihm noch unterthan und auch heute nichts mehr als sehr glücklich versorgte Menschen wären! Wollte ich Dir jetzt erzählen, daß wir uns setzten, aßen und tranken, bis wir satt waren – so könnte meine Beredtsamkeit den Stuhl, den ich einnahm, noch so elastisch polstern – die Tafel, die vor mir stand, noch so reich besetzen – meinem Gaumen sogar alle die Gerechtigkeit erweisen, die man ihm unter den Schlemmern zugesteht, und ich würde Dir doch nur am Ende nichts als eine alberne Wahrheit gesagt haben. Dafür bewahre mich die Harmonie des Ganzen, die dieß hochzeitliche Mahl vor allen und jeden, die mir in meinem Leben Langeweile gemacht haben, auszeichnete. Ich weiß dich besser zu schätzen. Die psychologischen, moralischen, metaphysischen Erfahrungen, die ich während diesem Vorspiele der geheimnißvollen Nacht mir und andern Gästen abnahm, und die ich Dir so unbefangen mitzutheilen verspreche, als ich sie erhielt, sind, hoffe ich, Deiner Aufmerksamkeit schon eher werth. Wenn sie Dich so gut als mich überzeugen, daß in der Natur nichts in so naher Verwandschaft steht, als ungewöhnliche Gerichte mit neuen Gedanken, wenn Du nebenbey meinen innern Menschen auf Schleichwegen der Sinnlichkeit, die Deiner Metaphysik noch unbekann waren, ertappst, so habe ich gewonnen, was ich wünschte. Ich könnte ein Buch über meine stillen Tafelbemerkungen drucken lassen; aber ich würde es nie thun, da ich weiß, daß in unsern lesesüchtigen Zeiten keines mehr, wenn es nur von außen nicht schmutzig aussieht, der Neugier unsrer Schönen entgeht, und ich keine Verräthereyen an meinem Geschlechte begehen mag, die es in den Augen des ihrigen nur noch mehr herabsetzen würden, als es ohnehin schon steht. Vor einem so verwünschten Zufalle schützt mich, zum Glück, das geheime Fach in Deinem Schreibpulte. Das beruhigt mich.

 

     Die vermuthliche Pracht des Saals, in den wir traten – zeigt mir erst jetzt mein Nachdenken – ist über der runden Tafel in seinem Centrum, die mich ungleich mehr anzog, ganz von mir übersehen worden. In ihrer Mitte – wie wäre es möglich gewesen anderwärts wohin zu blicken? – erhob sich, aus dem reinsten Alabaster geformt, Amor und Psyche, in der lebendigsten, aber zugleich in einer so behuthsamen Darstellung, daß sowohl der männliche Blick an ihre – als das weibliche Auge an seine Göttergestalt, unbeleidigt bis zu dem Kusse beyder hold verschlungenen hinanstieg. Die einzige Schwierigkeit war nur von dieser kleinen empfindsamen Reise ohne die Sehnsucht zurückzukommen, das schöne Beyspiel nachzuahmen. Wir alle unterlagen der ersten Regung, Einstimmig mit dem Gefühl des Andern, begegnete sich Auge um Auge, drückte sich Mund auf Mund. Ehrenvoller hat wohl nie die Natur der Kunst gehuldigt. O des trefflichen Bildners, der einem Steine diese gebietende Macht zu geben verstand! Dreymal gepriesen seyst Du mir! denn Deinem Amor verdanke ich, daß Agathens Lippen die meinen berührten. O daß von meinem, in dieser seligen Minute entflammten Herzen ein Fünkchen in das ihre geflogen wäre – dann hätte mir der kleine Heidengott weiter geholfen, als das Wunderbild der Maria in jenem romantischen Felsen! An diesen sehr erlaubten Wunsch, mit dem ich nun, zwischen ihr und der alten Gouvernante, meinen Platz nahm, reihten sich nach und nach, bey jeder neuen Schüssel, die man auftrug, jene zufälligen Gedanken und Betrachtungen an, die ich für Dich bey Seite legte, und die mir am Ende des Mahls – nachdem alles für meinen Genuß dahin war – so systematisch vorkam, daß ich selbst darüber erstaunte. Und nun weiter keine falsche Zeile – wenn sie sich nicht etwan ungebeten einschleicht – über ein Fest von so hohem poetischen Werthe. Der Eingang meines Selbstgesprächs entwickelte sich von selbst nach einem Blicke, den ich in die unschuldigen Augen der dem Noviciat entronnenen Schöne gethan hatte. Die folgenden minder sittsamen, aber desto philosophischern Stellen meines Gedankenspiels hatten freylich keinen so lautern Ursprung – aber sollte ich denn in einem fort dem guten Mädchen ins Gesicht sehen, um Elegien zu dichten? Da hätte die Tafel ganz anders eingerichtet seyn müssen. – Wer – hob meine Schwärmerey an,

 

     Wer ein holdseliges Weib durch Lieb´ und Achtung errungen,

Blickt von dem Gipfel herab des schönsten irdischen Guts,

Und steht dem Heros weit vor, der fünfzig Jungfern bezwungen:

Er hat nicht männlich geliebt, er hat nur thierisch verschlungen,

Erregt nur Schaudern und bleibt ein Bild verächtlichen Muths.

Mehr Kraft des Geists als des Beins sey unserm Hymen bedungen,

Der Brautkranz hefte verwelkt, dem heißen Zweykampf entschwungen,

Zur Bürgerkrone erhöht, sich an die Krempe des Huts.

Statt jenes albernen Lieds, an Euern Wiegen gesungen:

Dem Vater gliche der Sohn wie aus den Augen gesprungen,

Kläng´ es nicht klüger? – Ihr fängt – (wär´s auch im Zweifel – was thut´s?)

Es sey ein Strahl des Genies aus dem Gehirne des jungen

Belohnten Freundes der Braut in den Entsproßnen gedrungen:

Die Tugend Alfreds *) vielleicht, vielleicht die Kühnheit Canuts **),

Obschon dem Klügsten sogar dies Kunststück selten gelungen,

Drang, vor dem großen Geschäft, durch das Vehikel der Zungen

Ihm nicht ein Löwengefühl in die Behälter des Bluts.

Dies zieh´n, mit gutem Erfolg, die beyden Helden des Festes

Mehr als das Bildungssystem der neuern Zeit in Betracht.

Als Grubenlicht steigt es herauf aus dem verfallnen Schacht

Der kritisch reinen Vernunft, doch, wie gewöhnlich, verläßt es

Auch Sie, gleich einem Spion in dem Getümmel der Schlacht,

In dreyßig Reitzen vertieft, die Nevisanus ***) in Acht

Zu nehmen freundlich empfiehlt, sorgt Plato noch für ihr Bestes,

Indem in ihrem Gehirn sein altes Dreyeck erwacht,

Die eine Seele, die hier die erste Linie macht,

(Berechnet heimlich ihr Stolz) sey aus den Heiligen Nestes

Gewalt, der zweyten, durch Sturm vereits zur Seite gebracht,

Und schnell – ja schneller, als Sie sich die Erstürmung des Restes

Zum Aufriß auch der dritten gedacht –

Entsteigt dies Delta dem Thal, das nur ein Giton verlacht,

Umgaukelt Irrwischen gleich in dem Gefächel des Westes

Der Seher Augen, und hängt zuletzt noch heller gefacht

Ein wahres Freymaurerlicht sich an die Loge der Nacht.

Tief in dem Busen indeß der beyden Huldinnen hämmert,

In frommer Hülle gezwängt, die seine Höhen verdämmert,

Das blinde Schrecken noch fort, das ihn seit kurzem durchfuhr.

Ihr blaues Auge (wenn nicht der Schein das meine betrüget)

Spielt schillernd über ihn hin, so wie des Himmels Lasur

Von fern das Felsengestad der Freundschaftsinseln umschmieget.

Vergebens grübeln sie nach, welch´ eine Folge doch nur

Von höherm Wohlstand für ihn in dem erlassenen Schwur

Der Keuschheit und des Gelübd´s, ihn zu verheimlichen, lieget.

Sie überschwindeln vor Angst die angewiesene Spur

Der Liebe, glauben sich bald von einem Prior gewieget,

Und bald, wie Psyche, verklemmt an Amors Marmorfigur;

Erhöh´n zum Satanas ihn, der einen Seraph bekrieget,

Und beten heimlich zu Gott für die bedrängte Clausur.

Inzwischen nahet die Zeit, die manchen Scrupel besieget,

Die Sterne flimmern, es flüstert die Flur,

Puls, Mond und Abendgeläut, sogar das Picken der Uhr

Weckt die Erinnerung auf, wie bald die Jugend verflieget.

Doch noch geschwinder, als Wachs in heißen Dämpfen sich bieget,

Erweicht die Kochkunst ihr Herz nach dem Bedarf der Natur.

Wer mag es läugnen? Sie ist´s, der auch die schläfrigsten Geister

Entgegenträumen – Sie ist´s, die jedes Dunkel erhellt.

Schwebt sie als Schutzgöttin nicht um unsers Friedrichs Gezelt

Im Kreis der Musen? und fühlt er nicht des Mittags sich dreuster

Als nach dem Morgengebet? Hat diese Feder der Welt

Sein deutsches Herz nicht schon oft durch Frankreichs Brühen u. Kleister

Zum Kampf mit seinen Apolls und seinen Cäsars geschwellt? –

Und o! wie weise hat sie auch uns´re Tafel bestellt,

Und rund um Amors Altar drey kostverständige Meister

Zu dreyen hungrigen Kindern gesellt!

Ich prologire hier nicht nach dem System der Hyäne

Und ihres groben zermalmenden Zahns.

Ob dies Banket schon verdient, daß ich es dankend erwähne,

Preis ich doch mehr noch den Sinn des hochzeitmäßigen Plans.

Denn kein Gerippe kam hier an einer fas´rigen Sehne,

Kein Trümmer eines verklärten Organs

Der feinen Zung´ in den Weg, und keine weibliche Thräne

Fiel auf die Knöchel des Abelardischen Hahns.

Leicht und entkräftet durchfloß die weißen Klippen der Zähne

Der Goldbarsch ****), Argus *****) und Thon ******) mit der antiken Muräne

Auf süßen Mundwein des persischen Chans.

Bedient von Sylphen, was fehlt wohl unsrer Sättigungsscene

Zum Prunkgelag eines Feen=Romans?

Die Ihr berufen euch dünkt, das Glück der Schmecker zu lästern,

Mit Rosenkränzen am Stuhl des Oberpriesters geschraubt,

Von Hülsenfrüchten gebläht, euch Gottgefälliger glaubt,

O! warum hat nicht der Probst der neun barmherzigen Schwestern,

Der keuschen Musen ehrwürdiges Haupt,

Euch Sitz und Stimme, wie mir, bey diesem Nachtmahl erlaubt?

Ich wett´ – ein einziges Ey, als hier aus indischen Nestern

Ein ganzes Dutzend mir winkt, braun mit Vanille bestaubt,

Wäg´ alles Bettelbrod auf, um das ihr Arme beraubt.

Ihr Blöden, lernt Ihr denn nie die Macht der Küchen und Keller

Auf Menschenherzen verstehn? Hat nicht ein Schiffskoch oft heller

Auf blinde Heiden gewirkt und mehr Pagoden gestürzt,

Als alle Meister der Welt, die Zweifelsknoten geschürzt?

Dein Trio lieblich dem Ohr, wie Löffler, Süßmilch und Teller,

Gleich einem ländlichen Schmauß, den Frühlingsblumen gewürzt,

Zög´ leicht mehr Jünger herbey, und hätte, glaub´ ich, wohl schneller,

Als Frank´s Episteln vordem, trotz ihrer klugen Besteller,

Den Weg von Trankebar aus zum dritten Himmel verkürzt.

So setzt die Kost der Natur die Prachtgericht´ in den Schatten,

Und unsre Augen auch hier durch gleiche Wunder in Brand.

Zieht nicht des Vaters Geschenk bis diesen Abend auf Sand

Des Meers in Felsen verzwängt, zieht jener Hügel von Datten

Nicht dunkel über den Tisch wie Nonnen über ein Land?

Beym Daseyn ohne Gefühl, ohn´ allen frohen Verband

Mit Mond und Sonne, mit Freunden und Gatten,

Bleibt zwar dies arme Gewürm in seines Lebens Ermatten

Gleich der verschleyerten Schaar mit meinem Mitleid verwandt.

Doch diesmal kam es zu gut dem Drang des Hungers zu statten,

Als daß es leibliche Ruh in unsrer Nachbarschaft fand.

Geschickt wie Söhne des Mars, wenn ihre frevelnde Hand

Novizen=Zellen erbricht, erbrachen wir, suchten und hatten

Wir bald die Scheuen erreicht, und keine über den Rand

Des Munds geschwenket, die nicht die letzte Probe bestand.

Was gleicht dem Meer wie die Welt! In jedem lebenden Tropfen

Der Austern schien so vergnügt, als sie die Gurgel verschlang,

Ein Herz *******), ein weibliches Herz, das mit der Schaale noch rang,

Statt sich zu sperren, der Hand sogleicht entgegen zu klopfen,

Der, im Gedränge darnach, die Kunst des Vorgriffs gelang.

So schwelgten träumend wir fort bis zu dem folgenden Gang,

Der, wie ein Rittertournier, um uns die Mäuler zu stopfen,

Die zarte simple Natur von ihrem Platze verdrang.

Ein ernster Herold voran, gefolgt von dienenden Sylphen,

Besorget Ordnung und Rang, weist an, beschränkt und vereint

Die edle Kaste der Herrn von Bergen, Rieden und Schilfen,

Gleich der, die fest und gestreng, doch nicht so böse gemeint,

Mit Knappen grau wie Saturn, und andern wackern Gehülfen

Zuweilen arglos am Hof bey einem Landtag erscheint.

Nur muthe niemand mir zu, trotz meines Vorzugs im Schmecken,

Aus seinem Harnisch hervor den innern Mann zu erspähn.

Dem Noa selbst biet´ ich Trotz, der doch die Stammherrn dem Schrecken

Des Untersinkens entriß, der Enkel Gruß zu verstehn,

Die jetzt mit offenem Helm, beschwert mit Panzern und Decken,

Wie Butter auf der Zunge vergehn.

Doch, daß ich Rang und Verdienst nicht durcheinander verschiebe,

Zieh´ ich die Finger zurück und lass` den Gästen die Wahl.

Gnug, dieß Heroengeschlecht paßt für ein hochzeitlich Mahl

Vortrefflich, weckt und erwärmt der Vorzeit glückliche Triebe,

Und außer eh´lichem Bund und ebenbürtiger Liebe

Kennt es so wenig, als ich, vom Plato mehr als die Zahl,

Die er zum Dreyeck verschob und zu berechnen empfahl.

Doch bey der Schüsseln Gedräng tritt jeder Zufluß mir bänger

Für meine Rolle ans Herz, und Komus mag mir verzeihn,

Ich übertrage zwar gern, nur nicht aus Küchenlatein,

Das Lachen, das er erregt. Mein Genius weigert sich, länger

In Sieden, Braten und Fricassiren allein,

So sehr das Beyspiel auch reitzt, dem blinden Iliassänger

Und seinen Beleuchtern ähnlich zu seyn.

Drum führe Helios mich, der nur von Blumengerüchen

Umschwebt, Pomonen besucht, schnell durch den Nebel der Küchen

In die Verzäunung des Nachtisches ein!

Hier seh` ich, wie die Natur in ihrem Bildungsgeschäfte

Mit unbefangener Hand den größten Endzweck erreicht,

Und ohne Hülfe des Kochs und seiner gährenden Säfte

Durch Täuschung Leben erweckt, und die versunkensten Kräfte

So lange zupfet und neckt, durch Furcht und Hoffnung beschleicht,

Bis sie den streitenden Theil mit dem bestrittnen vergleicht,

Bis sie das schlaue und dennoch ewig geäffte,

Verlockte Mannthier zuletzt durch weiblichen Liebreitz erweicht.

Hat sie nicht oft durch ein Haar, auf Weiberscheiteln gewonnen,

Gekrönte Tieger bestrickt und ihr Gebiet übersponnen,

Mit Kinderspielen den Kopf der Wahrheitsforscher gefüllt,

Und manchem betenden Mönch, umglänzt von Sternen und Sonnen,

Statt den verborgenen Gott, das Unsichtbare – der Nonnen

In Zerrgemählden lebloser Wolken enthüllt?

Auch hier – wer hätte denn wohl bey den Erinnerungszeichen

Der Nectarfrüchte, die uns aus fernen Wundergesträuchen

Ihr güldenes Füllhorn, so reich an Brautgeschenken, gesandt,

Den Wink einer guten Mutter verkannt?

Wem genügt die persische Frucht, nach ihrem zarten und weichen

Geweb´ und süßen Gehalt die Brust der Venus ********) genannt,

Den Augen sinnlos vorbey, nur seinem Munde zu reichen,

Ohn´ ihre himmlische Form mit schönern noch zu vergleichen,

Die er hienieden – auf seiner Wallfahrt umspannt?

Gleich Spinnen hat die Natur uns an elektrischen Fädchen

In jedem Marmorpallast ein liebes Hüttchen gebaut.

Wer lächelnd neben sich blickt, schwingt immer leichter sein Rädchen,

Als der mit gierigem Ernst in das Unendliche schaut.

Nur durch Vergleichung schminke Dein Mädchen,

Je schwärzer Dein Mohr, je blonder wird Deine Braut.

Die große Wahrheit hat mit das näh´ste Körbchen vertraut.

Denn wer – beym Anblick der zwo Magdalenen *********)

Wär blöde genug, sich nach der größern zu sehnen,

Wenn er die kleinre darneben erblickt?

Die Stolze, schwerlich für nichts mit einem Namen geschmückt,

Der nur die Büßenden ziert, zerfließt in reuigen Thränen,

Gleich einer Opernprinzeß erweckt ihr Umfang nur Gähnen,

Und ist, besieht man sie recht, von allen Seiten gedrückt.

Preis sey der kleinen, die mich, wie vormals Margot, entzückt!

Sie, niedlicher als ein Ey, das, weit davon es zu wähnen,

Ein lauschend Vögelchen birgt, das an der Schale schon pickt,

Welch eine herrliche Frucht! Doch leider! eine von denen,

Die man, zum Unglück für Dich, nicht leicht ins Ausland verschickt.

Obschon mein träumender Geist nicht ohne Sehnsucht und Wonne

Bald ein Gewächs von der Spree mit einem an der Garonne,

Bald Asiatischen Prunk mit deutschen Flittern verglich,

Fühlt er doch heimlicher nie und nie gefesselter sich,

Als da ihm – während der Sammt der unberührten Mignonne **********)

Der Schmeicheley meiner Hand mit feinem Nachgeben wich –

Schon wieder – Kann ich dafür? – das Ideal einer Nonne,

Und durch Verbindung mit ihr das Bild Agathens beschlich.

Welch Wunder eines Fantoms! zart wie aus Stäubchen der Sonne,

Hell wie Diana bey Nacht, doch ewig Schad´, es verblich,

Als ungefähr es ein Hauch des nahen Urbilds bestrich.

Ihr reinen Herzen! Euch steht der Unschuld Engel zur Seiten,

Verweht der Ahnungen Gift, die schlüpfrig über Euch gleiten

Und Eure Würde doch scheu´n. Nur durch das Edle gerührt,

Wie könnt´ ein Spiel der Natur, ein Nichts, ein Blick in die weiten

Gefilde optischen Trugs Euch in die Träume verleiten,

Die zu enträthseln allein dem wilden Jüngling gebührt.

Nur ihn ermuntre mein Scherz in unsern eh´losen Zeiten

Den Magdalenen vorbey sich eine Frucht zu erschreiten,

Die der Mignonne verwandt, noch nie von Wespen erspürt,

Auf Hymens Lager erst reift. Versteht er Zeichen zu deuten,

Welch Glück für Augen und Herz, wenn er nach frohem Erstreiten

Sie, frisch gebrochen vom Stamm, dem Garten Amors entführt.

Nach diesem Probejuwel, dem Gränzstein meines Gesanges,

Zieh´ aus dem Orkus, wer mag, die voll unheiligen Dranges

Gespaltne gelbe Granat´ an die Bestrahlung des Lichts!

Ich eile mit der Moral zur Mangostine ***********) vom Ganges.

Ist´s möglich, deck´ ihr Gebräm, statt jenes Feigenverhanges

Des ersten nackenden Paars, die Blößen meines Gedichts!

Sie, gleich der sinnlichen Lust, zerschmilzt und giebt, wie ein langes

Verträumtes Leben, nur Schaum, und der Erinnerung Nichts,

Löscht wilden Thieren den Durst, und kühlt die menschlichen Wildern,

Wenn jen´ ein jagender Wolf – wenn Amor diese gehetzt.

Wär ich ein Pseudo=Horaz, der weder nützt noch ergötzt,

Hätt´ ich statt ihrer wohl gar das Haupt von cynischen Bildern

In der Maldivischen Nuß ************) dir vor die Augen gesetzt.

Allein die freche Natur hat hier ein Sinnbild geätzt,

Das keinen Nachstich erlaubt, auch hab´ ich über dies jetzt

Dir noch ein eignes Product aus feinem Kraftmehl zu schildern:

Dem, nach dem Landesgebrauch, als ein Orakel geschätzt,

Ein ernster Augur bereits sein Opfermesser gewetzt.

Sein Auge fodert Gehör, der Gäste Jauchzen zu mildern,

Und seine Zunge, zuvor in Wein prophetisch genetzt,

Ruft laut: Was Unschuld verbarg, erringt die Liebe zuletzt!

Nun ward das Weihungssymbol bekränzt mit Knospen der Rose

Dem Gastmahls Platos vereint. Ein einzel Bohnechen weilt

Verschlossen in dem Gebäck als Bild des größten der Loose,

Das, wenn sich´s einmal verlor, kein zweyter Festtag ereilt.

Sey ein Gewinnst noch so klein, er liegt dem Zufall im Schooße.

Oft wenn der Schmidt seines Glücks den Bolzen dreht und befeilt,

Der doch am Ende nicht trifft, hat Alexander der Große

Den Gord´schen Knoten so leicht als wie den Kuchen zertheilt.

Ein fremder Schauer durchlief der Rose Jugendgestalten

Dem ersten Angriff geweiht – doch der Begeisterte schritt

Schnell zu dem Theilungsprozeß, der keine Zögerung litt,

Im Dienst der obersten Macht das strengste Recht zu verwalten,

Das für den Ruhm eines Paars von gleichen Ansprüchen stritt.

Ein jeder Edle verdient das große Loos zu erhalten.

Sie zittern beyde, doch seht, des Schicksals Räthsel entfalten

Sich wie ein Gottesgericht. Ein Wunder leitet den Schnitt,

Es hat ein Wunder die kleine Bohne gespalten,

Und jede Hälfte, die nun das schöne Ganze vertritt,

Theilt´ auf des Augurs Befehl, den Dank und Jubel umschallten,

Gehorsam sich den Erwartenden mit.

Betroffen blickten die Freundinnen beyde

Einander in das verfärbte Gesicht;

Sie lächelten zwar der männlichen Freude,

Den Sinn nur davon begriffen sie nicht.

So saßen einmal ein paar erröthende Horen

An Leda´s Neste vor jenem mystischen Ey,

Das sie – mit Wahrheit als Gans in Zeus Umarmung verloren,

Und spielten damit und brachen´s entzwey,

Und dachten nicht das geringste dabey.

Sie ahndeten nicht, daß sie Helenen geboren,

Und daß des Kindes noch ungestilltes Geschrey

Mehr als ein bänglicher Laut für zarte Jungfrauenohren,

Daß es das Probegetön´, der erste Ruf der Schalmey

Zum blutigsten Krieg, den je die Götter beschworen,

Um den Besitz einer Kleinigkeit sey.

Zehn Jahre verstritten die Thoren,

Zuletzt verschütteten sie doch, wie deutsche Köche, den Brey.

Und Kerzen füllten den Saal. Im Nu durchzitterten Flammen

Der kalten Psyche die Brust, geschmiegt an Paphiens Sohn,

Und schlugen über die Kränze von Mohn

Der zwo Sirenen und jenen Wellen zusammen,

Die kaum vom Lichte verrathen, auch schon

Gebrochen in ihre Grotten entflohn. –

Wer kann die selige Lust an diesem Vorspiel verdammen?

Doch unsre Helden, voll Kraft der Odysseer, umschwammen

Die Brandung, senkten den Blick und stimmten leis´ in den Ton

Des ewig tröstenden Lieds des Philosophen und Ammen:

Geduld! Erwartung ist schwer, doch desto süßer der Lohn!

Jetzt tritt die Ananas vor, sie, die in feuriger Zone

Am Vorgebürge der guten Hoffnung entsprang,

Sieht auf der Tafel sich um und setzt zum endlichen Lohne

Des zärtlich schmachtenden Paars, das seine Wünsche bezwang,

Verschämt, doch unter Verzicht auf ihren weiblichen Rang

Setzt sie, geduldsam zerlegt, die beyden Finder der Bohne

In den Besitz ihres Reichs, in alle Rechte der Krone,

Auf keinen andern Beding als eine guten Empfang.

Wie tönt dem Helden das Ohr, als ihre Stunde verklang,

Als ihrem forschenden Blick, nicht ohne Beben, nicht ohne

Vertraun, sein erster Versuch auf jenes Eyland gelang,

Das bald ihr Eigenthum wird. Des Mondes Schimmer beschwang

Die nie bestiegenen Höh´n in jenem schmelzenden Tone

Des edlen Claude Lorrain, und ihren Augen wird bang´,

Um seine Sehkraft vor dem, was noch die Ferne verschlang.

Doch nahm der beste Beweis, daß sie kein Berggeist bewohne,

Schnell die Verlobten am Arm, und eingesegnet vom Sohne

Cytherens stieg nun ihr Glück mit unserm Abschiedsgesang;

Ein Lied der Trauer für mich, das meiner Jugend Vergang

Mit zum Entsetzen bewies, indem es näher zum Throne

Des Gottes eh´lichen Heils, ins stille Brautgemach drang.

Dank sey der Liebe jedoch für die paar seltnen Stunden,

Die diesen Abend einmal der armen Menschheit gelacht;

Sie hat vom Fangstrick des Papsts zwey freye Herzen gebunden,

Und was sich reitzendes je dem ungestümen Betracht

Der Männeraugen ergab, dem Sterbeküttel entwunden,

Der keine Schöne zur Heiligen macht.

Gesetzt, es hätte sogar die überraschende Nacht

Sie ohn´ ein härenes Hemd´ und fern von geistlichen Runden

Gott weiß´! in welch´ eine Lage gebracht;

Hoff´ ich doch gläubig zu dem, der gleiche Sorgfalt und Acht

Auf träge Secula nimmt als auf den Flug der Secunden,

Die kleinsten Spähren so gut, die er den Liebesgesunden

Manchmal zum Spielwerk erlaubt, als jene himmlische Pracht

Lebloser Welten, die ihnen leuchten, bewacht,

Zu dem Bewußtseyn hoff´ ich, das den Umarmten verschwunden:

Sie haben schwerlich sich jemals besser befunden,

Je freudiger ihres Schöpfers gedacht.

Die guten Kinder sind jetzt im höchsten Spielraum der Liebe

Der Fliege Kolibri gleich, die nie von Dünsten beschwert,

Sanft von dem Zephyr gewiegt, bey leichtm Sättigungstriebe

Auf Blumen schwebend sich nur von ihrem Aushauche nährt.

Wann sich dann Abends zu ihr, gleich liebeathmend und trunken

Von aromatischem Geist, der schöne Gatte gesellt,

Wie freundliche wird nicht der Blick des frommen Sehers erhellt,

Dann überschimmern vor ihm im dunkeln Aether zwey Funken,

Der großen Fackel des Universums entsunken,

Den ärmlichen Staub der sublunarischen Welt.

____________________

*)  König Eduard von England, starb 901. einer der besten Menschen und Monarchen, die je gelebt haben.

**)  Canut der Große, König v. Dänemark, der 34 Jahre nach jenem England eroberte.

***) S.J. de Nevisan – Sylva nuptialis.

Meinem verschwiegenen Leser zu gefallen, will ich ihm doch dies Richtscheid zur Beurtheilung einer schönen Frau in den eigenen Worten des Verfertigers bekannt machen :

Trignita haec habeat, quae vult formosa vocari

     Foemia: sic Helenam fama fuisse refers.

Alba tria, et totidem nigra, et tria rubra puella:

     Tres habeat longas, tres totidemque breves:

Tres crassas, totidem graciles; tria stricta, tot ampla,

     Sint ibidem latae, sint quoque parva tria :

Alba cutis; nivei dentes; flavique capilli;

     Nigri oculi, cunnus, nigra supercilia ;

Labia, genae, ungues rubri, sit corpore longa,

     Et longi crines; sit quoque longa manus;

Sintque breves dentes, auris, pes ; pectora lata

     Et clunes ; distent ipsa supercilia,

Cunnus et os strictum, stringunt ubi singula stricta ;

     Sint ora, et culus, vulvaque turgidula ;

Subtiles digiti, crines et labra puellios ;

     Parvus sit nasus, parva mamilla – caput

Cum nulli, aut rari sunt, haec formosa vocari

     Nulla puella potest, nulla puella prodest.

****)  Lat. Orata – war bey den Griechen, als Symbol der belebenden Schönheit, der Venus gewidmet.

*****)  Wegen seiner vielen, Augen ähnlichen Flecken so genannt.

******)  Scomber Thynnus – der Diana geweiht, wurde bey hochzeitlichen Gastereyen als Sinnbild ehelicher Treue aufgesetzt.

*******)  In der herrlichen Sammlung anatomischer Präparate des Hr. Cruikshank zu London befindet sich eine wohlgerathene injicirte Auster, in welcher das Herz dieses Thieres zu sehen ist. S. Schäffers Brief 1stes Bändchen S. 243.

********)  Teton de Venus.

*********)  La grosse – la petite Mdelaine.

**********)  Auch eine Art Pfirsischen.

***********)  Eine in Asien einheimische, kühlende, vortreffliche Frucht.

************)  Was kann die Natur bey der Ausbildung dieser unverschämten Nuß für eine Absicht gehabt haben? Ehemals ward sie von großen Herrn oft mit mehrern tausend Thalern bezahlt. In neuern Zeiten ist sie im Preis gefallen. Eine ziemlich treur Abzeichnung von ihr findet sich in Sonnerats Reisen nach Neuguinea.

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     Mir aber, als die Glücklichen verschwunden waren, als ich, statt eines Sylphen, von einem gemeinen Diener geleitet in das Zimmer trat, das mir seine Fackel anwies, und ich über mein einsames Bett hinblickte – mir war, als hörte ich alle Thore des Lebens und der Freude hinter mir zufallen. Ich erschrack, hob den Vorhang des Fensters, riß die Flügel auf, und meine feuchten Augen flogen über die Milchstraße hinaus, dem entgegen, der in seinem Gewühl leuchtender Welten jeden Wurm mit Liebe umfaßt – dachte an Agathen – und o, rief ich –

 

     Du, der von Ewigkeit her den Busen reizender Frauen

     Zum besten Spielraum der Männer erwog,
Der diese Stunde gelenkt, die durch ein süßes Vertrauen
An Lieb' und Wahrheit, zwei fromme Kinder den Klauen
     Der Klosterhyder entzog!
    Wie wollt' ich deiner Erbarmung
    Nicht danken, führtest auch du
        Der Andacht meiner Umarmung
            Die dritte Heilige zu!

 

     Achtete auch der Allweise die thörichten Gebete nicht, die uns in dem Rausche der Sinne entsteigen; so haben sie doch das Gute, den Verarmtesten die zwey schönsten Blumen des irdischen Lebens, Hoffnung und Geduld, in den Schoos zu legen. Auch ich kam von meinem Ausblicke in die obere Region um ein Merkliches beruhigt zurück. Meine sinnlichen Wünsche verloren ihre Heftigkeit, als ob sie erreicht wären, und ich fühlte mich abgekühlt genug, über Agathens Schleyer hinweg, nach manchen andern Räthseln zu greifen, die mir der verlaufene Tag eben so unentwickelt zurückgelassen hatte.

 

     Denn, wenn ich gleich jetzt ohngefähr errathen konnte, in was für Betrachtungen St. Sauveur auf unserm Wege nach Toulon so vertieft war, daß er sich wenig um meine Verzückung in den Himmel und um meine Hymne an das Gestirn des Tages bekümmerte – es mir auch ebenso begreiflich ward, warum er mich im Gasthofe zum silbernen Anker mit meiner Scheibensammlung allein ließ, und es ihm so sehr zur Unzeit kam, daß mein verlorenes Einlaßbillett einem Spieler, zur Nachfolge für andere, seinen Weg wies – wenn gleich die Seufzer, die damals Claren entstiegen, als ich ihr meinen Arm bot, und ihre stillen Thränen in den Kelch einer Passionsblume, so wenig als die Erschütterung, die ihr die Gebetglocke des nahen Klosters – der Mönch auf der Galeere und das Mitleiden mit Agathen verursachte, jetzt noch einer nähern Erklärung bedurften – ich auch meine vorgestrige Verwunderung über das Geschäft meines Freundes in dem Steinbruche herzlich belachen mußte, und nicht mehr auf ihn böse seyn konnte, daß er während der Veranstaltung seiner heutigen Ueberraschung mich auf ein Schiff bannte und gewaltsam nöthigte, Voltaire´s Geburtstag zu feyern: – so blieben mir doch genug neugierige Fragen über den Zusammenhang der heutigen seltsamen Ereignisse übrig, die ich mir schlechterdings nicht zu beantworten vermochte. Diese schwierige Aufgabe würde mein Nachdenken noch lange beschäftigt haben, wenn es nicht ein Umstand unterbrochen hätte, der für mich keine Kleinigkeit war. Ich hörte die Seitenthür öffnen, die nach dem Park führt – Das ist Agathe, sprang ich von meinem Stuhl auf, die vermuthlich, so unruhig als ich, nach Luft schnappt – trat ans Fenster – hörte sie – sah ihren Schleyer zwischen den Akazien wehen, und nun war vollends meines Bleibens nicht mehr. Ich eilte aus meinem Zimmer durch das Portal, an dessen Säulen noch einige verlöschende Lampen zitterten. Zu einer andern Zeit würde ich sie als ein treues Sinnbild der Vergänglichkeit aller menschlichen Freuden, in Vergleichung mit den ewigen Lichtern am Himmel, vielleicht länger betrachtet haben; aber in diesem Augenblicke dachte ich weder an Zeit noch Ewigkeit, sondern – solltest du es wohl glauben? an die kleine zarte Mignonne unseres Nachtisches. Großer Gott, und ich suchte Agathen! Ich hatte die längste Weile die lispelnden Sträuche durchirrt, ohne sie zu entdecken, und ich fing schon an zu fürchten, daß es mir hier noch einmal mit meiner Stirne ergehen möchte, wie vor einigen Monaten zu Caverac, als glücklicherweise ein Fünkchen, das mir in einiger Entfernung entgegenblinkte, meiner gesunkenen Hoffnung wieder aufhalf. Dort – ja dort sitzt das liebe Kind, ihr kleines Laternchen neben sich, auf einer Rasenbank, und so geschwind, als dieser Gedanke, war auch der Zaun, der den Grasplatz von dem Park abschnitt, überstiegen. Ich will sie nicht erschrecken, nahm ich mir vor, glaubte auch, ich ginge langsam, kam aber bey allem dem bald genug meinem Gegenstande so nahe, daß ich, bestrahlt vom Lichte, zwar nicht Agathen, aber eine andere menschliche Figur unterscheiden konnte, die sich langsam an einer Urne in die Höhe richtete und mir kein geringes Grausen erregte, ehe ich bemerkte, daß es der Spender des heutigen Segens – der fromme Mönch war, der mir entgegen trat. Ach, heiliger Vater, sprach ich ihn an, was macht Ihr an diesem einsamen Orte, und welchem Heiligen gilt Euer nächtliches Gebet? – Einem Unglücklichen, dessen Gebeine hier verscharrt liegen, antwortete er mit ernster Stimme, der sein schönes Daseyn – die Liebe und den herrlichen Verstand seiner Gattin, dem Vorurtheile der Ehre und einem Mörder Preis gab. Auf seinem Grabhügel unter dieser Weinlaube, die noch eine Stunde vor seinem Tode ihn in den Armen seiner Gemahlin umschloß, bitte ich täglich Gott um Vergebung seiner schweren Sünde, und flehe den Allbarmherzigen um Genesung der schuldlosen Wittwe – Ach! rief ich, so bin ich denn in dem Garten des armen Grammonts? O wie nahe liegt hier Freude und Traurigkeit – wie nahe jene stolze Brautkammer und diese Todtengruft an einander! Ach! laßt mich mit Euch beten, lieber Mönch, Hülfe für die traurig getrennte – dauerhaftes Glück für die durch Euch so fröhlich Vereinten erbeten! Der Mönch ergriff und drückte meine Hand an seine Brust; dann knieten wir beyde in andächtiger Eintracht neben dem Monumente des Entleibten nieder, und als wir uns, eine gute Weile nachher, von dieser Todtenfeyer erhoben, ich mit thränenden Augen auf=, und über den Garten blickte, und es mir schien, als ob der vortretende Mond den Trauerflor von dem Eremitenhäuschen wegzöge, das einst in bessern Tagen der armen Wahnsinnigen so lieb und theuer war, und ich es gern als ein himmlisches Zeichen angesehen hätte, daß unser Gebet erhört sey – deutete ich mattlächelnd dahin. Der gute Mann verstand mich. Wir stiegen von der Anhöhe der Laube, der kleinen glänzenden Hütte zu, und nun, da ich davor stand und mir über dem Eingang die Worte Voltaire´s, die Sie, die Erbauerin, zur Aufschrift gewählt hatte, in die Augen fielen – ich mit der Sprache rang, um sie an diesem stillen Orte der Erinnerung noch einmal zu wiederholen, und bey der letzten halben Zeile est-on seul, on es sage, meinen Begleiter bedeutend anblickte, als wenn ich sagen wollte: Wer kann diese Wahrheit besser fühlen, als ein Mönch! – ach, wie gerührt ward ich nicht durch seine Antwort! Wollte Gott, sagte er, die letzte Hälfte des Spruchs wäre so wahr als die erste! Ach wer kann denn mehr allein seyn, als die Arme es ist, die ihn hinschrieb? Was hat sie muthlos bis zum Wahnsinne gemacht, als Trennung – Entfernung und die Unmöglichkeit, ihr verschwundenes Glück wieder zu erlangen? – und sind nicht, mein Herr, indem er mir die Hand drückte, sind das nicht auch die Grundpfeiler der Klöster, und bringen sie nicht auch dieselbe Wirkung hervor? Ich war so verlegen über diese unerwartete Aeußerung eines Dominikaners, daß Gott wissen mag, wie mir zwey Worte, die ich immer für widersprechend gehalten habe: das Glück des abgezogenen Lebens, auf die Zunge geriehten – Das Leben, antwortete der Mönch, sollte nie von Thätigkeit und erlaubtem Genuß abgezogen werden, denn was wäre sonst seine Bestimmung? Wenn Dein Widerstand gegen wilde Neigungen nur von der Kette herkömmt, die man Dir anlegt, wem kann die Ehre davon gebühren, als der Kette? Ach, wie ist das Verdienst der Mönche und Nonnen so gering! Unendlich ehrwürdiger ist mir der Mann, der in den Wellen des Lebens, wo nicht fest wie ein Fels steht, doch ihnen nur so viele freye Kraft entgegen setzt, daß sie ihn nicht ganz in den Sand spielen. O! ich kenne den Wert der Tugend, die von Versuchungen entfernt ist – und verstehe die Lieder der singenden Vögel, die ein Käfig umschließt – Was enthielten die Seufzer meiner Andacht von meinem achtzehnten Jahre an bis in mein fünfzigstes? Löset die zärtlich frommen Empfindungen der Nonnen, die nächtlichen Gebete eines Klosterbruders auf, und Ihr werdet erschrecken! Wie kann das Zerreiben eines armen menschlichen Herzens, das aus der Werkstatt der Natur sich als einen unnützen Stein in eine Wüste verworfen fühlt, wie kann es zufrieden seyn, wie könnte es Gott gefallen! Das Glück, im Guten thätig und frohen Herzens zu seyn, genieße ich alter Mann erst seit funfzehn Jahren, mein Herr, und mußte es mir durch die Folge meiner sitzenden, und ohne mir einer andern Sünde bewußt zu seyn, als die mir zur Pflicht gemacht war – bußthuende Lebensart – durch eine schwere Krankheit erringen, die aus Ungeduld gegen Gott und Menschen zusammengesetzt, zu dem höchsten Grade von Melancholie erwachsen war. Hoffnung der Freyheit, die mein Arzt menschenfreundlich unter seine Arzeneyen zu mischen verstand, bewirkte allein meine Genesung, und auf seine Furcht vor einem Rückfalle, die er dem Pater Schatzmeister ans Herz legte, verlängerten meine Obern die Kette, die mich an ihre Stifung band. Ich kam unter die Zahl der Wenigen, denen als Priester einzelner Capellen, und als Beichtvater, oder, welches einerley ist, als gedungene Erbschleicher, außer dem Kloster zu leben erlaubt wird. Seit diesem sonderbar glücklichen Verhältnisse habe ich erst angefangen meiner wahren Bestimmung zu folgen, aber das Glück der Jugend – das Eingreifen der Liebe in die Zukunft, war dahin, war einem falschen Götzen aufgeopfert, und ach! kinderlos blicke ich nun in das Grab – Doch lernte ich in der Freyheit, was in meiner Zelle unmöglich war – Menschen lieb gewinnen, und gewann selbst treue und würdige Freunde. Das Bette eines Kranken brachte mich mit dem edelsten von allen, mit dem Marquis von St. Sauveur in Verbindung. – Aber hier, Eduard, will Ich das Wort nehmen, um Dir die große Seele dieser Religion anschaulicher zu machen, als aus seiner eigenen, nur allzubescheidenen Erzählung erhellen würde. Erst durch die zudringlichsten Fragen und durch Zusammenstellen seiner kurzen Antworten konnte ich mir über seine Würde – seinen Antheil an den frohen Begebenheiten des heutigen Tages und den geheimen Zusammenhang derselben Licht verschaffen. St. Sauveur, dessen hohe, thätige, romantische Tugend er mir nicht beredt genug schildern konnte, brachte ihn in die Bekanntschaft von Clarens Mutter, die zwar eine religiöse Schwärmerin, aber zum Glück für die Tochter eine ebenso rechtschaffene, verständige und lenksame Frau war. Sie hatte bey der schmerzhaften Geburt derselben der Maria das Gelübde gethan, sie der Entsagung des Ehestandes und dem Klosterleben zu weihen und durch ein feyerliches Testament ihr alle Mittel benommen, ein anderes zu führen. In einer solchen Lage fand der Dominikaner diese Gewissenssache, als er in dem Hause des Gouverneurs bekannt und von seiner Gemahlin zum Beichtvater gewählt wurde. Der rechtschaffene Mann nahm sich sogleich auf das heiligste vor, die Mutter von ihrer Verblendung zu heilen und das unschuldige Kind zu retten. Er bemächtigte sich der Freundschaft und des Vertrauens der Marquise und stieg endlich in demselben so hoch, daß er es wagen konnte, ihr seine bessern Grundsätze vorzulegen; aber welche Gewandtheit, welche sanfte Beredsamkeit mußte er nicht anwenden, um die fromme Frau nur erst bis zum Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Gelübdes – und welche List der Tugend, um sie bis zur Bereuung desselben zu bringen! Endlich gelang es seinem standhaften Eifer, den schwachen Grund insoweit zu untergraben, daß die Säule ihres Aberglaubens – wo nicht ganz einstürzte, doch um ein Merkliches sank. Als er eines Morgens das kleine liebe Mädchen auf den Arm nahm, sich an ihren Schmeicheleyen ergötzte, ihre großen blauen Augen, ihre zum Küssen einladenden Lippen und die herrlichen Züge betrachtete, die schon damals ihr Gesichtchen zum Verwundern erhoben, rief er bewegt: Und alle diese Kleinodien der Natur, diese Geschenke Gottes sollen dem menschlichen Glücke entzogen und lebendig vergraben werden, bis sie unter dem peinlichsten Gefühle zu Reliquien verschrumpfen! Diese Worte und die männliche Thräne, die dabey über seinen schneeweißen Bart rollte, erschütterten das mütterliche Herz. – Nun, so zeigt mir, grausamer Mann, schluchzte sie, einen Ausweg aus diesem Labyrinthe, ohne meinen Eyd zu brechen, und Ihr mögt es bei Gott und seiner heiligen Mutter verantworten. Ja, das will ich, rief er ernst und feyerlich, und brachte nun einige Tage nachher das Codicill zustande, das er mit ihr verabredete, selbst aufsetzte und mit einem Eyde übernahm, es unter keiner andern als den festgesetzten Bedingungen geltend zu machen, die aber immer noch schwärmerisch und durch die Möglichkeit, daß Clara auf ihrer Seite sie nicht erfüllen würde, furchtbar genug waren. Denn hätte das gute Kind, in der angeordneten Betäubung, den Wurm, der ihr Herz nagte, aus weiblicher Schwäche verheelt – vor ihrer feyerlichen Entsagung, nicht unter den Augen des Mutterbilds der Maria den Mann genannt, der ihr den Uebertritt ins klösterliche Leben so schwer mache – alle Mühe des redlichen Mönchs, das Codicill – Brief – Ring – und die Erbschaft wären für sie verloren, und dem Kloster, in das sie aus jener ländlichen Capelle versetzt zu werden in Gefahr stand, verfallen gewesen. Daher kam die angstvolle, erschütternde Beschwörung des Mönchs, daher das Schweben zwischen Furcht und Hoffnung des armen Brigadiers, der hinter dem verhängten Gitter mit gleicher Bangigkeit wie der Flügelmann, den er vor einigen Tagen überraschte, Leben oder Tod von den Lippen seiner Geliebten erwartete. Daher ärgerte ich mich ganz umsonst über die zweydeutige Voraussetzung des Dominikaners in Ansehung des Schenkungsbriefes. Die entlassene Novize wagte nichts, ihn zu bestätigen; denn er lag ja in den Domainen ihres Bräutigams und konnte nun nicht mehr in unrechte Hände fallen. Und ach! wie manche andere Dinge, die ich heute morgen ganz der Quere nahm, setzte mir diese nächtliche Unterhaltung erst ins Klare. Doch, ich habe dir noch lange nicht die Geistesgröße dieses seltenen Mönchs in ihrem ganzen Umfange dargelegt. Nach dem Tode seiner schwärmerischen Freundin widmete er alle seine Sorgfalt der verwaisten Tochter, deren gutes oder böses Schicksal in seinen Händen lag. Er sah die Rettung aus der Gefahr, die ihre Zukunft bedrohte, als den Zweck seines Daseyns an. Aber welch ein Mann! rufe ich mit der höchsten Bewunderung aus, der sich durch den langen Zeitraum, der sein Ziel verbarg, so geschickt zu winden wußte, daß der Preis seiner Anstrengung nicht verloren ging, – der so viele Menschenkenntniß besaß, um die Kräfte der verschiedenen Federn so zu berechnen und zu spannen, daß sie die beabsichtigte Wirkung hervorbrachten – der bey den Schwierigkeiten, die ihm entgegentraten, nie in der Wahl der Hülfsmittel fehl griff – und Herzen in Flammen sogar mit solcher Behutsamkeit zu lenken verstand, daß sie, ohne seine Absicht zu ahnden, den glücklichen Ausgang seines geheimen Spiels befördern mußten. Daß er dieses alles in seiner Kutte geleistet hat, wird dir der Verfolg meiner Erzählung beurkunden. Den Gouverneur schien das Testament seiner Gemahlin nicht weiter zu beunruhigen, sobald er hörte, daß die Vollstreckung seinem würdigen Hausfreunde übertragen war; er kannte seine Grundsätze und merkte bald, daß es nicht ein Kloster seyn konnte, wohin er seine Pflegbefohlene zu leiten suchte. Er verabredete den Plan ihrer Erziehung mit jener trefflichen Frau, die ihre treue Begleiterin bis vor dem Altare blieb, wo auch sie durch den Preis überrascht wurde, den ihr Liebling erhielt. Er gab ihr an der Prinzeß von Montbasson und Agathen zwo liebenswürdige Gespielinnen zu, und verbarg dies reizende Trio der Neugier und der Verführung unter die Schatten eines frohen, ländlichen Wohnsitzes, wo ihnen nur die Natur zuflüsterte und ihre Herzen und Augen unbefangen blieben. Hier tränkte er ihre Seelen mit großen, erhabenen, freundschaftlichen Empfindungen, bereicherte ihren Verstand mit den schönsten Kenntnissen, übte ihre Hände in den geschätztesten Talenten, und sorgte gleich der zärtlichsten Mutter für das Gedeihen ihrer aufblühenden Reitze. Mit allen diesen, Klosterfrauen unnützen, Vollkommenheiten, brachte er Claren in ihrem funfzehnten Jahre dem erstaunten Vater zurück und in St. Sauveurs Bekanntschaft, den er schon längst als ihren Retter ausersehen hatte. „O, der Freude, die ich damals empfand,“ strömte es ihm von der begeisterten Zunge, „da ich den tiefen Eindruck bemerkte, den das schöne herrliche Kind auf sein Herz machte! Ich hatte gewonnen – ihre gegenseitige Zuneigung stieg mit jedem Tage höher – endlich so hoch, daß sie nach meinem Wunsche einander unentbehrlich wurden. Jetzt erst, da das holde Mädchen der gebenedeyten Jungfrau schon zu weit aus den Augen war, um ihren Ruf zu hören, trat ich mit dem furchtbaren mütterlichen Testamente auf. Da ich, seitdem sie unter meiner Aufsicht stand, dessen nie mit einer Sylbe erwähnt hatte, so erschreckte sie mein unerwarteter Vortrag – ungefähr wie ein aufgefundener Wechselbrief, den man längst für verloren gehalten und vergessen hat, ob man gleich, wenn die Zahlung gefodert wird, die Schuld nicht abläugnen kann. Jeden andern aber, der davon hörte, erschütterte diese Neuigkeit, und ich mußte sogar die gehässigsten Nachreden über mich ergehen lassen. Nur sie, die fromme Tochter, benahm sich groß und edel, sobald der erste Schrecken vorbey war. Sie kämpfte zwar, aber nur wenig Minuten, mit der Nothwendigkeit ihres kindlichen Gehorsams – empfahl sich der Barmherzigkeit Gottes, und unter einigen zärtlichen Thränen, die sie dem Andenken ihrer würdigen Mutter darzubringen glaubte, wählte sie das Kloster der Urselinerinnen, von denen ich einigemal rühmlich gesprochen hatte. – Ja einige Stunden nachher konnte sie sich selbst über den Zuwachs an Vermögen freuen, den ihr guter Bruder durch ihre Annahme des Schleyers erhalten, und mit ihrer geliebten Montbasson in glücklicher Zufriedenheit genießen würde. Der Marquis, der diese Nachricht durch einen Brief erfahren hatte, schickte mir einen Wagen mit sechs rauchenden Pferden, die mich abholen und auf seinen Landsitz bringen mußten. Ich fand ihn – diesen sonst so muthvollen Mann, niedergeschlagener als ein Kind, und der hohe Grad von Wehmuth, der über sein ganzes Wesen verbreitet war, hätte wohl jedes andere Herz als das meinige, das so freundschaftlich für ihn schlägt, zum tiefsten Mitleiden bewegen müssen. – Mein Freund, wimmerte er mir thränend entgegen: – aber es war mir nicht möglich, ihn weiter fortjammern zu lassen. – Ich unterbrach ihn mit einer so gelassenen Miene – mit einem so viel versprechenden beruhigenden Händedruck – daß ihn sogleich aus der Dunkelheit meines Auftrags ein Strahl der Hoffnung überschimmerte. – Kleinlaut fragte er mich: Darf ich den Engel noch fortlieben? Ich bejahte es. Darf auch sie? Ich schwieg; aber ich bat ihn um einen Platz zur Errichtung einer Capelle. – Er bewilligte es mit einem starren Blick. – Ich hatte schon längst seinen Steinbruch umgangen und gemessen, und überreichte ihm jetzt meinen Plan zur Einrichtung. – Er billigte alles, sobald er auf der Waldseite den Eingang in die Capelle, auf der andern den Balkon mit der Treppe in seinen Park erblickte. Er umarmte mich einmal über das andere – hielt sich eine ganze Weile die Hände vor die Augen – überrechnete die Zeit bis zum Geburtstage der Fräulein, kritzelte in der Geschwindigkeit einen Brief an den berühmtesten Baumeister in Marseille – riß mir meinen Plan aus den Händen, und befahl dem Haufen seiner Bedienten, alle mögliche Maurer und Zimmerleute, die sie auftreiben könnten, für doppeltes Tagelohn anzuwerben. Wie schlug mir das Herz bey dieser leidenschaftlichen Heftigkeit, indem ich daran dachte, wie es zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich sey, daß Clara in dem entscheidenden Augenblicke verstummte; und auch bey ihm trat bald nachher die Furcht der Ungewißheit an die Stelle der kleinen Hoffnung, die ihm mein Händedruck mitgetheilt hatte. Ich konnte und durfte ihn nur mit halben Worten trösten, und verließ ihn endlich mit der ernstlichen Bitte, Claren in ihrem jetzigen Traume nicht zu stören, nie mit ihr von seiner Liebe zu sprechen, sie weniger zu sehen, und das übrige der Zeit und der Hand Gottes anheim zu geben. Eine viel größere Sorge hat mir die edle Montbasson durch ihren schnellen Entschluß gemacht, der Freundschaft das große Opfer ihrer Liebe zu bringen. Sie bekam auf einmal eine Abneigung gegen den Bruder, der sich durch das Unglück seiner Schwester, wofür sie es ansah, bereichern sollte. Durfte ich ihr wohl entdecken, wie großmüthig er gehandelt hatte, sobald er die Clausel in dem Testamente erfuhr? Mußte ich nicht fürchten, daß die heroische That einer Jugendfreundin einen nachteiligen Eindruck für St. Sauveurs Liebe auf Clarens Herz machen würde? Ich bat Gott inbrünstig um Weisheit zur Leitung dieses so verwickelten Geschäfts – teilte meine ganze Aufmerksamkeit zwischen beyde Freundinnen, belauschte das in zärtlich freundschaftlicher Wehmuth dahinschmelzende Herz der einen, und rief St. Sauveur zu Hülfe, wenn es sich ganz für ihn verlaufen wollte, und half der gewaltsam unterdrückten Liebe der andern, ohne daß sie es ahnden konnte, wieder in die Höh´, und da sie dennoch auf ihrer religiösen Schwärmerey blieb, setzte ich meine ganze Hoffnung auf den Ausgang des heutigen Festes, dem sie selbst den eifrigsten Wunsch äußerte, als Choristin beizuwohnen – als sie hörte, daß ich eine Capelle der heiligen Ursula durch Clarens Eintritt in das Noviciat einweihen würde. Sie erbat sich von der Aebtissin die Erlaubniß dazu, in der gewissen Hoffnung, gleich nach der Ceremonie mit ihrer Busenfreundin zurückzukehren und sie bey den Klosterschwestern einzuführen. O wie unendlich hat mich Gott für die Sorge belohnt, die ich für diese herrlichen Geschöpfe getragen habe! Die vielen bänglichen Jahre, die vorangingen, liegen jetzt so vergessen hinter mir, als wenn sie nie dagewesen wären, und meine Seligkeit, scheint es mir, hat mit dem heutigen Tage ihren Anfang genommen.“ „O lieber, biederer, großmüthiger Mann,“ rief ich aus, als er schwieg, „möge Gott doch noch lange Euer ehrwürdiges Leben fristen und Euch noch oft auf die Spur bringen, arme Verirrte und Verlockte zu ihrem wahren Beruf zurückzuführen!“ Ich fiel ihm, als wir an das Gartenthor kamen, um den Hals, bat um seinen Segen – schlug aber, statt ihn hinaus zu begleiten, aus einem eigenen Gefühl, den Feldweg ein, den ich gekommen war. Nach dem Capuziner auf der Galere war er der zweyte Mönch, den ich umarmte, und ich kann wohl sagen, herzlicher noch als jenen. Sie verdienen beyde die Bewunderung fühlbarer Seelen – aber welcher verdient sie wohl mehr? Jener, der Unglückliche bey dem Bewußtseyn ihrer Schuld vor Verzweiflung bewahrt, oder dieser, der Unschuldige von einem moralischen Tode rettet? Gott mag entscheiden, ich kann es nicht. Ach, mit welchen herzerhebenden ganz andern Empfindungen – selbst der glückliche St. Sauveur, dächte ich, müßte mich darum beneiden – überstieg ich jetzt zum zweytenmal den Gartenzaun! O der Mensch ist nicht so bösartig, als man ihn gewöhnlich ausschreyt, oder er sich oft selbst hält! Er sucht zwar nicht gern die Scenen auf, die sein Herz rühren und bessern könnten, aber führt ihn der Zufall dahin, so hängt er sich leidenschaftlicher daran, als an seine strafbaren Irrthümer. Schon traten, als ich mich dem Park näherte, die verbleichten Bilder der Natur hinter dem grauen Vorhang, der sie verbarg, farbig wieder hervor. Das Säuseln des Erwachens – der Gesang des Lebens – die Freude des Wiedersehens – die Auferstehung eines neuen Tags begann. Wie möchtest Du jetzt an Dein Bette denken, sagte ich zu mir selbst, und wenn es Agathens Reitze umschlösse, ich würde mein Herz zuvor durch den Anblick der aufgehenden Sonne erwärmen, ehe sich meine Augen in den ihrigen berauschten; und wäre es der fröhlichste Bürger der Erde, der ungeduldig anklopfte, er müßte warten, bis ich seinen Schöpfer begrüßt und in dem Meere seines Lichts meinen Bildungstrieb gereinigt hätte. Ich lagerte mich an den Stamm einer Balsamfichte und erwartete das große Schauspiel mit dem Entzücken, das ich schon kannte. Die Wolken zerflossen – der Mond verblich – die Sterne verloschen, und nun schwenkte sich das gebietende Gestirn aus der Unterwelt über unsern Erdball herüber, ergoß seinen Lichtstrahl und wirkte. Mein Auge spiegelte sich in den Thautropfen, die, wie reine Herzen, wenn sie brechen wollen, noch einmal aufschimmerten und verdunsteten. Unwillkürlich streckten sich meine Arme dem Wunderballe entgegen, der an den Bergsaum heraufrollte, und der Drang hoher Empfindung suchte einen Ausweg über die lallenden Lippen: Ach wo, rief ich in meinem Entzücken – wo gäb' es in der Natur einen Gegenstand, der rührender an das menschliche Herz spräche? und hörte hinter mir rufen: Hier. Betroffen sah ich mich um, und St. Sauveur und Clara, an seine Brust gelehnt, waren es, die mich behorcht hatten. – „O ihr habt recht,“ sprang ich von meinem Sitze auf –  „ihr trefflichen Menschen! Eure Liebe ist rührender, ist edler noch, als der Glanz der Sonne.“ Sanft lächelnd gaben sie sich meiner Betrachtung preis, und mein Blick weidete sich an dem für ein unschuldiges Herz erstaunlichen Bewußtseyn, das in den Augen des jungen Weibes lag. Wer hätte in Anschauung ihrer nicht alles vergessen – welcher Firniß seliger Gefühle überglänzte nicht ihr verschämtes Gesicht – wie sanft verlor sich nicht ihr Nachdenken in der Glorie des ersten anbrechenden Tages ihrer großen Errettung – wie freundlich spielte nicht sein Strahl um ihren in frohlockenden Dankgebeten schwellenden Busen, der unter blaßrothen Schleifen eines weißen Gewandes sich allen Blicken noch ebenso schüchtern als gestern unter dem Nonnenschleyer verbarg. So verschließt die Nachtviole jedem Lichtstrahle ihren duftenden Kelch – hüllt sich in den Instinct ihrer angebornen Würde, und öffnet ihren Wohlgeruch nur den verschwiegenen Schatten. Doch in welches poetische Labyrinth verlockt mich nicht dieses herrliche Weib! Ich könnte alle Blumenbeete durchstöbern, und würde doch die schönste nicht bedeutend genug finden, um dir ihre – so weit von Berlinischem Prunk abstehende Grazie zu versinnlichen. St. Sauveur fühlte sein Glück und mit Recht unendlich stärker als ich – senkte schweigend sein gerührtes Auge auf die holde Gestalt, die zu ihm auflächelte, und schien sich in dem ruhigen Stolze seines Gelingens für einen Gott zu halten, dem ein seliger Engel in dem Arm liegt. Wie die Sonne höher trat und blendete, wand sich das reitzende junge Weib, wie ein bittendes Kind, aus den zögernden Händen ihres tändelnden Freundes. – Er träumte ihr einige Augenblicke nach, dann nahm er mich bey der Hand. Ich bin nun diesen Morgen ganz Dein, Wilhelm! sagte er. „Laß uns das Thal durchstreichen, und hilf mir Einen Menschen in der weiten Welt entdecken, der glücklicher ist als ich, damit sich nicht Uebermut meiner bemeistere.“ Unvermerkt leitet ihn der Hang seines Herzens zuerst auf unserm Spatziergange nach dem Janustempel, der ihm seit gestern nach seinem Brautbette wohl der liebste Fleck der Erde geworden ist. Während er nun unter der zierlichen Wölbung nur die einzelnen Stellen aufzusuchen schien, über die Clarens Füße geschwebt hatten, wo sie saß, zitterte, weinte und ohnmächtig ward, verbreitete sich meine Bewunderung über das einfache schöne Ganze. Ich sehe wohl, rief ich endlich lachend meinem Freunde zu, daß Du über die Benutzung dieses Juwels von Felsen nicht nöthig hattest, weder mich noch meinen alten Lehrer der Baukunst, den ehrlichen Sperling, zu Rathe zu ziehen. – Wie? unterbrach er mich ganz betroffen, heißt denn der alte Gurkenmaler so, der an dem Hafen wohnt? Ja wohl, sagte ich, aber er hat seinen deutschen Namen ins Italienische übersetzt, seitdem er hier ist. – Das thut mir sehr leid, versetzte St. Sauveur, denn, wenn mich mein Gedächtniß nicht ganz betrügt, so habe ich schon mehrmalen nach demselben Manne Steckbriefe in den Berliner Zeitungen gelesen, die ich blos eures Königs wegen noch halte. – Nach Theodor Sperling? – Ja gerade nach diesem. – Unmöglich, fuhr ich fort, dieser, zwar als Künstler sehr unbedeutend, ist jedoch die ehrlichste Haut, die ich kenne, und wahrlich auch nicht verschmitzt genug, der preussischen Polizey zu entwischen – Du irrst dich, lieber Mann! – Nun, das ist leicht zu erörtern, antwortete er sehr bestimmt, und befahl dem Bedienten, der uns von weitem nachgetreten war, nur die zwey letzten Monate der deutschen Zeitung bey seinem Kutscher zu holen, der sie aus Vaterlandsliebe sammelt. Mittlerweile geriethen wir in ein Gespräch, das mir mit jeder Minute wichtiger ward. St. Sauveur zeigte mir von weitem in seiner magischen Laterne den Plan, den er angelegt hatte, um den ohnehin glücklichsten Sommer seines Lebens durch Hülfe der Kunst, der Natur und seines Ueberraschungssystems noch mehr zu erhöhen. Die nächsten acht Tage, sagte er, bleiben wir in diesem Freudenthale beysammen – dann schwinge ich mich mit Claren – wie Vertumnus und Pomona, auf das erfrischende Hochgebürg meines Stammguts. Mein Ahnherr, der diese romantische Burg erbaut und mit unserm Geschlechtsnamen beehrt hat, muß die Gabe besessen haben, in die fernste Zukunft zu blicken, und mich unter seinen Nachkommen seines Schutzes am würdigsten zu halten, so genau paßt das Ideal, das ihn beym Anbau jener Gegend leitete, zu meinen glücklichen Verhältnissen. Hast Du nicht in einem gewissen Mährchen von einem Schlosse gelesen, das ein Zauberer aus Feldsteinen zusammensetzte, und die hundert Säle und Zimmer darin allen den Rittern Preis gab, die in der Folge der Zeit dort absteigen und einsprechen würden – eine einzige himmelblaue Rotunde ausgenommen, die nur dem glücklichen Sterblichen zu öffnen erlaubt und möglich war, der seinem alten Feinde, dem Schwarzkünstler auf den sieben Hügeln, den von ihm so oft mißbrauchten Talisman der wahren Seligkeit rauben, und in jene Freystätte flüchten würde. In derselben Minute, setzt das Mährchen hinzu, wo er dort den geretteten Ring an den Finger steckt – überziehen sich die grauen Mauern mit Smaragden – die himmelblaue Rotunde prangt in ätherischem Feuer, er hört die Harmonie der Spähren – athmet nur Wohlgeruch, erfaßt, wo er hingreift, nur Lilien und Rosen, und seine fünf Sinne kommen ihm als so viel Thore vor, durch die Schaaren von Liebesengeln auf sein Herz eindringen. Dieses Luftgebäude der Phantasie nun – gehört in der Wirklichkeit mir zu – der Eroberer des Kleinods, dem alle diese Wunder ankleben, bin ich, und unter Clarens Anblick werden sich jene Feldsteine meiner Burg in Bergcrystallen – Rubinen und Amethysten verwandeln – Komm mit uns, lieber Wilhelm, sieh´ und bewundere mit eigenen Augen die Wirkungen des Talismans, dessen ich mich, glücklicher als alle meine Vorfahren, bemächtigt habe. Meine Säle – Zimmer – Küchen und Keller stehen jedem Rittersmanne offen, bis auf die himmelblaue Rotunde nicht, die mein Ahnherr mir ausschlüßlich vererbt hat. Man mag sagen was man will, ein Feenmährchen hat seine eigenen Verdienste – es erwärmt, es befeuchtet bey Klein und Großen das kalte oder vertrocknete Gehirn. Kinder – um nur bey ihnen stehen zu bleiben – vergessen Essen und Trinken darüber, wenn ihnen nur kein Zuckerbrot in die Nähe kommt; aber auch dann noch leiht die einmal erregte Phantasie der Wirklichkeit einen Reitz mehr, der ihr abgeht. Es dünkt den Kleinen von der wohlthätigen Hand eines Salamanders gebacken, und schmeckt und bekommt ihnen nur desto besser. So ging es gerade auch mir. Ich folgte dem Feenmährchen meines Freundes mit kindischer Neugierde – ließ den kleinen Anspielungen auf seine wahre Geschichte alle Gerechtigkeit wiederfahren, und sein Bergschloß sammt den Rittersälen – sein Talisman und die himmelblaue Rotunde gefielen mir ganz wohl, aber so anlockend konnten sie doch für einen verständigen Mann nicht seyn, daß er darüber seine Rückreise ins Vaterland nur um einen Tag – geschweige einen ganzen Sommer verschieben sollte. Da Freund St. Sauveur sah, daß seine Bildersprache nicht wirkte, ging er zur schlichten Prose über. Meine dortigen Besitzungen, sagte er, gehören in allem Ernst zu den angenehmsten in Frankreich. Sie sind mit Wäldern durchflochten, wie du sie liebst, das Clima ist ganz deutsch, die Luft gesund, die Natur groß, fruchtbar, heiter und wohlthätig, und mit meinen romantischen Anlagen wirst Du zufrieden sein. Das mag wohl alles seinen Werth haben, dachte ich, aber treffe ich es denn nicht auch in Deutschland wieder an? Es ist eine eigene Sache mit dem Heimweh – ich überhörte nochmals seine freundschaftliche Einladung und blieb unerschütterlich bey meinem Vorsatze – aber jetzt rückte er mir das Zuckerbrot unter die Augen. Auch Agathe wird uns begleiten, warf er noch am Schluß seiner Rede so hin = = = und nun verrieth sich das Kind mit seiner ganzen Schwäche auf einmal. Ich stutzte – doch länger nicht, als ich Zeit zu dem pfeilschnellen Gedanken brauchte, welche Lust es seyn müßte, in den dortigen herrlichen Wäldern, Agathen am Arme, zu wandeln – der Vorzeit in den alten Rittersälen mit ihr nachzuspüren und ihre Meinung über die himmelblaue Rotunde zu hören. Mag doch aus meinem Vaterlande werden was Gott will! – dort komme ich immer noch zeitig genug an, und ohne mich länger zu besinnen, gab ich mein Jawort zweymal hintereinander. Indem brachte der Bediente das Paket Zeitungen, ich schob es in die Tasche, ohne es anzusehen. Mein Freund hatte mich in eine Gegend verzaubert, aus der ich mich nicht wieder wegbringen konnte. Er mußte mir alles auf das genaueste vormalen und beschreiben. – Alle Winkel in seiner Burg waren mir lieb geworden, und ich hätte mich mit Agathen finden wollen wie zu Hause. Wäre ich in diesem Momente vom Schlage gerührt worden, o Gott, wie viele köstliche Aussichten des Lebens – welche süße Erwartungen hätte ich verloren! Das geschah nun zwar nicht, dafür traf mich aber eine andere Widerwärtigkeit, die jener nichts nachgab. Man händigte mir – und die Rede blieb mir im Munde stecken – einen Brief ein, den eben eine Stafette gebracht habe. Gieb acht, erschreckte mich St. Sauveur, die Unwissenheit der Berlinischen Aerzte hat gesiegt – euer großer Friedrich wird dahin seyn, und dann erbarme sich Gott deines Vaterlandes! – Ich riß den Umschlag auf – las – erblaßte, als ob er es errathen hätte – und nun reichte ich ihm das elende Geschreibe zu seiner Beruhigung hin – Mit der meinigen war es vorbey. Ich setzte mich auf eine Altarstufe und hing den Kopf. Was zum Henker hast Du da für eine Correspondentin, fragte St. Sauveur, als er die Unterschrift zuerst an sah – Elektra? – dermalen auf dem Jahrmarkt zu Montpellier? – Ich gab ihm Aufschluß, so gut ich konnte – aber jede Zeile, die er weiter las, nöthigte ihn zu einer neuen Frage, die endlich, zusammen genommen, ein Verhör bildeten, wobey ich nur zu sehr fühlte, wie albern ich aussah – Du hast also deine Livreen auf dem Trödel gekauft? Schmuck von Werth darin gefunden? und ihn seinem Eigenthümer nicht wieder gegeben? und darüber, wie ich sehe, zwey ehrliche Kerls – als Mörder der entlaufenen Bursche, die vorher die Kleider trugen, in Ketten und Banden gebracht? – Die Frau meldet, das Gericht bedrohe beyde Brüder mit der Tortur – und – es ist schrecklich, gäbe ihnen nur drey Tage Zeit, ihre Unschuld entweder darzuthun, oder sich auf den Galgen gefaßt zu machen. Welchen fatalen Handel hast Du Dir da zugezogen, lieber Wilhelm, und was gedenkst Du nun anzufangen? Ich huckte vor dem Marquis wie ein armer Sünder – gab ihm kleinlaut über alles Bescheid – gestand ihm aufrichtig die Schuld meines unverzeihlichen Leichtsinns, und bat um seinen guten Rath. Er that mancherley Vorschläge, die er aber ihrer Weitläufigkeit – Unsicherheit oder möglicher Zufälle halber, eben so bald wieder zurücknahm. Nach langen Hin= und Herreden blieb mir nichts übrig, als um seine Pferde und Wagen bis Marseille zu bitten, von wo ich Post nach Montpellier nehmen wollte, um die Sache durch meine eigene Gegenwart ins rechte Gleis zu bringen. Der menschenfreundliche Mann war selbst zu betroffen, zwey Unschuldige, meiner Thorheit wegen, in der Todesangst schwitzen zu sehen, und kannte die Geschwindigkeit der französischen Justiz viel zu gut, als daß ihm sein Gewissen erlaubt hätte, mich aufzuhalten – Willst du nicht wenigstens vorher in unserer Gesellschaft frühstücken? fragte er zuletzt. – „In euer vortrefflichen Gesellschaft?“ jammerte ich, „ach erinnere mich nicht daran, was ich alles hier verliere – Wo sollte mir die Eßlust herkommen? Muß ich nicht eilen, um fortzukommen, da es die Ruhe und das Leben zweyer schuldlosen Menschen gilt?“ Hierauf ließ sich nichts erwiedern – Er bestellte sogleich die Pferde, und wünsche nur, daß meine Reise glücklich seyn und ich bald von Montpellier zurückkommen möchte. – Freund, fiel ich ihm ernst ins Wort, alle die frohen Tage, um die ich mich bringe, sind mir eine harte – aber wohlverdiente Strafe. Sey gerecht und suche sie nicht zu mäßigen! Von Montpellier habe ich fast ebenso weit nach Deiner Burg als zu der deutschen Gränze. Laß mich also immer den Weg, auf den mich meine einfältigen Streiche gebracht haben – nach der Heimath fortsetzen! Aber höre noch, was Dir mein Herz vorzutragen hat – die Zeit ist zu edel, um es mit Umschweifen zu thun. Versprich mir, lieber St. Sauveur – und ich flog ihm an den Hals – daß du Agathen für mich aufheben willst – und gewiß umarme ich dich eher wieder, als du denkst – Frankreich soll mir alsdann von Berlin nur ein Katzensprung seyn – dort bleibe ich nur so lange, als Noth ist, um meine Bücher – Kupferstiche und andere Kleinigkeiten zu verkaufen – dem besten meiner deutschen Freunde schenke ich meinen Gypskopf und meine Scheibensammlung – und wenn ich mich so leicht gemacht habe, wie ein Vogel – fliege ich fort und bin der Eurige auf ewig. O daß ich Dir die Lücke Deines Grammont ersetzen möchte! – Glaubst du nicht, lieber St. Sauveur, daß mir Agathe ein wenig gut werden könnte, wenn ich erst um sie bin? Darüber, antwortete der behutsame Mann, behalte ich mir vor, Dir zu schreiben – Traue übrigens in Deiner Herzensangelegenheit meiner Freundschaft und dem Wunsche, einen solchen Sonderling, wie du bist, in meiner Nähe zu haben. Indem kam der Wagen vor das Portal des Janustempels angefahren. Hochbewegt umarmte ich meinen theuern Freund. In der Hoffnung des baldigsten und glücklichsten Wiedersehens, schluchzte ich ihm vor, vergiß um Gottes willen meinen Auftrag nicht! – Sage Deiner lieben Gesellschaft guten Morgen von mir und lebe – lebe wohl! Ich warf mich unter einem Erguß zärtlicher Thränen von einer ganz eigenen Mischung in die Chaise. Als sie ein wenig verlaufen waren, gesellten sich allerley Betrachtungen zu mir, die eine trat mit vorzüglich ans Herz. Während Bastian – überrechnete ich – ein= und aufpackt, hast Du wohl noch Zeit, Deinen immer verschobenen Besuch in dem Tollhause abzulegen – denn wie möchtest Du diese Gegend verlassen ohne die bedaurungswürdige Frau kennen zu lernen, für die Du vergangene Nacht auf dem Grabe ihres entleibten Gatten so inbrünstig gebetet hast. Ich äußerte gegen meinen Landsmann den Wunsch, wenn es möglich wäre, noch vor neun Uhr in der Stadt zu seyn – Möglich? drehte er sich zu mir, ich verspreche es Ihnen um eine ganze Stunde früher. Er theilte seinen Diensteifer durch ein paar tüchtige Peitschenhiebe seinen vier Rappen mit, und hielt so gut Wort, daß er mich sogar einige Minuten eher, als er versprochen hatte, vor den heiligen Geist brachte. Es traf sich alles nach Wunsch. Bastian war zu Hause und Passerino bey ihm zum Frühstücke. Kaum waren sie von meiner ernsthaften Angelegenheit unterrichtet, so traten beyde zu meinem Dienste zusammen – der Maler besorgte die Postpferde – Bastian das Einpacken, inzwischen ich die freyen Augenblicke benutzt und dir erzählt habe, durch welche sonderbare Verkettung der Umstände – um nur das Geringste zu erwähnen, die vergangene Nacht mit einem Theile des heutigen Morgens so verschmelzt wurde, daß sich sogar darüber zum erstenmal in meinem chronologischen Tagebuche der gewöhnliche Abschnitt der Zeit verrückt hat. In den meisten Geschichten scheint es mir zwar sehr gleichgültig – wie die Uhr stand, als die Sache vorfiel, wenn sie nur wahr ist. Hier aber ist es nicht so ganz einerley, und wenn sich nicht das eine aus dem andern natürlich erklären ließ, müßte es doch wohl jedermann auffallen, daß ich eben so schmuck, als ich gestern von der Hochzeit kam, heute bey Narren auftrete. Wo hätte ich die Zeit hernehmen sollen mich umzukleiden? Passerino hat sich Bleystifte von allen Farben – Bastian einige Pfunde Schnupftabak zum Austheilen unter die armen Preßhaften geholt, und so gehen wir nun – kecker vielleicht, als wir sollten – dem belehrenden Schauspiele entgegen, das Thorheit und Raserey der ihnen nur zu nah verwandten menschlichen Vernunft zu gute geben.

 

 

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Ende des achten Theils.

 

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