Den 21sten
Februar unterwegs von
Toulon nach dem
Sonnenthal.
* * *
Marseille den 22sten Februar.
Nie stand die deutsche Kunst auf einem bessern Fuß —
Wir Dichter wiegen uns im Schooß der Aristarchen!
Entrückt dem feinen Ohr des Sängers von Venus
Verräth uns Niemand wann wir schnarchen. —
Die Leser? — O für die ist nie ein Scheitel leer;
Sie stellen, stützt sich nur ihr schlummernder Homer
Auf ihre Schulter, gleich dem thätigen Monarchen
Aus eignem Ueberfluß, das sinkende Verkehr
Mit Sinn und Wohllaut, wieder her:
Denn da nach jenem Fund, den Faust gethan und Schäfer,
Ein dritter deutscher Kopf, den, für sein Vaterland
Weit nützlichern Gedankenstrich erfand;
So singe wie ein Spatz, schreib´ als ein Siebenschläfer,
Nur sey nicht karg mit jenem Zug der Hand! –
Er gilt im Wechsel für Verstand.
Der Leser hilft so gern dem Autor aus dem Träume,
Freut gläubig sich des Sinns, der er ihm unterlegt,
Und tappt, wenn dieser ihn nun gar ein Brückchen schlägt
Zum Fortgang in dem leeren Raume,
Dem nächsten Irrlicht nach, das sein Gehirne hegt,
Bald in das Paradies zu dem verbotnen Baume,
Der ihm die Frucht erlaubt, die seinem leckern Gaume
Die saftigste bedüngt und Appetit erregt:
Bald blickt er in ein Meer, das keinen Frosch bewegt,
Sieht hier ein Nymphenbad – dort ihrem
Silberschaume
Entwunden, Cyprien, die göttlich ausgeprägt
Sich schaukelnd auf den Wellen trägt,
Und sieht – was jeder sieht, der nicht sein Pferd im Zaume
So fest, wie ich, zu halten pflegt.
Jetzt, auf der rechten Spur den Dichter zu erreichen,
Hängt er zum Ueberfluß dem stummen Redezeichen
Ein hellres Glöckchen an, das seinen Kunsttrieb weckt. –
Ihr – die vom Menschen an zum kriechendsten Insekt
Nicht – selbst ihr Bild nicht kennt, das jedem Reiz der
weichen
Jungfräulichen Natur ein Händchen vorgestreckt –
Das ganze Phänomen, das sie noch jetzt zum Bleichen
Der lieben Sonne giebt, versteckt,
In jenem Taumel nachzuschleichen,
Wo unter Vogelsang in blühenden Gesträuchen
Der Frühling ihre Landung deckt;
Wo, was sie sieht und hört, den holden Trieb bezweckt
Beym zweyten – dritten Schritt mit Ihm sich zu vergleichen,
Der bey dem ersten sie beynah bis zum Verscheuchen
In ihrer Mutter Schooß, erschreckt.
Du, dem dies tägliche Entzücken
Der Lesefreude oft genug
Vergnügt, sieh nur! Dich lockt aus vier und zwanzig Lücken
Ein Tag mit Mohn bekränzt, dich lockt mein Federzug
Auf die gemächlichste der Brücken
Die je ein müder Autor schlug –
Weg mit dem Kritiker! Gesetzt, er hätte Fug
Und Recht, bis auf den Flaum den Vogel Strauß zu pflücken,
Mein Wendehals soll nie die Flügel vor ihm bücken.
Nur dir, mein Hofkompan, der so geschickt als klug
Die Kunst versteht, das kahlste Haupt zu schmücken,
Ergiebt die Muse sich auf ihrem Eulenflug,
Um ein bleibtres Bild in ihre Form zu drücken,
Als gestern mir auf seinem breiten Rücken
Der Gott des Schlafs vorübertrug.
Die Liebe schaffte nie dir halb so viele Kunden
Als er – Wie manchem Kopf´ ersetztest du die Stunden,
Die er verschlief, du hieltst Gericht an seiner Statt,
Empfandest, was er nicht empfunden,
Und hast schon manches leere Blatt
Dem Kiel der schläfrigen entwunden;
Drum wird dein Bildungstrieb, so wie er nirgends matt
Zu Werke geht, hoff´ ich, auch meinen Schwächling runden,
Bis er mit Gott, zur rechten Zeit entbunden,
Kraft, Wohlgestalt, und Leben hat. –
Wohlan, mit Graus und Nacht im Streite
Erschein´ Aurora mir! Gleich ihr, Freund, überbreite
Dein Dichterglanz die weite Region,
Die ich im Dunkeln ließ. Ermanne dich und gleite
Mit mir vom königlichen Thron
Des weichen Lehnstuhls zu Toulon
Die Treppen abwärts und bereite
Ein Polster mir im Phaeton
An meines Krankenwärters Seite!
Sein schnaubendes Gespann verdämpfe jeden Ton
In meinem Morgengruß und fliege leicht davon!
Mein Auge strebe noch begehrlich in das Weite
Und senke sich und sterb´ auch schon!
Mit kluger Eil´ streif´ Er, den Schwalben gleich, im Hafen
Dem Rache=Schiff vorbey *). Sein erstes Gastmal ficht
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*) Vengeance – sie 7ten Theil p. 419.
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Uns nicht mehr an. Blick´ auf, und wenn das Himmelslicht
An dem, im Tod noch treuen Sclaven
Der Würfel, seine Strahlen bricht,
Wenn sein zum erstenmal erröthendes Gesicht
Nach der Galeere schielt, wo wir zusammentrafen,
Wo meines Taschentuchs entscheidendes Gewicht
Zum Sprechen ihn erhob, dem keiner widerspricht:
So schließ aus meiner Ruh´, welch´ einer Last von Strafen
Der Schlaukopf sich entzieht, der sein geheim Gericht
Mit einer Dosis Schlaf besticht;
Nur bitt´ ich, störe mich im Schlafen
Durch des Verklärten Predigt nicht!
Den Spieler hinter uns, im nächsten Wald, begegne
Ein jung Dryadchen Dir, dem jüngst der Saft gerann,
Der seinen Sprößling nährt. Hier halt die Zügel an,
Sey der Verkümmerten ein zweyter Zeus, und regne
In Gold auf sie herab; doch hüb´ ein West etwann
Gewisse heimliche, jetzt ihrem fernen Mann
Nicht halb so gut als Dir gelegne
Kleinodien aus ihrem Kirchenbann;
So wende schnell von da Dein wieherndes Gespann
Und fühl´ es, daß bey Gott! der glücklichste Verwegne
Im schlüpfrichsten Roman, den Crebillon ersann,
Sich keines festlichern Genusses rühmen kann,
Als ihr bethräntes Aug´, ihr stammelnd: Gott gesegne! –
Und deine Großmuth mir gewann.
Hat, weiter nun, dein Geist im Spalt der Felsenmauer,
Die ich Dir jüngst gemahlt, die nackte Höh´ erklimmt,
Das Ungeheuer ihn, das dort auf meiner Lauer
Den Rachen sperrt und nach dem Abgrund schwimmt,
Zur höhern Poesie gestimmt,
So segne meines Schlummers Dauer
Und schildre fürchterlich den Schauer
Des Schwindels, der Dich übernimmt.
Verfolge die Gefahr bis zu dem schmalsten Rande
Der letzten Kluft, die ins Gesicht Dir gafft!
Ein Wunder rette mich; mahl´ es so lügenhaft,
Als je auf seiner Fahrt zu Wasser und zu Lande
Ein Robinson – als je auf seiner Pilgerschaft
Ein Mitglied aus der Spielerbande
Der Heiligen, eins aufgerafft.
Durchflechte, Freund, mit Ahndungen und Schrecken,
Ein zweyter Ossian, die Räume der Natur,
Durchdonnre, wenn du willst, die Flur:
Doch hüte dich, mich aufzuwecken –
Dies einzige verbitt´ ich nur!
Nach allem Ungestüm, den du in deiner Runde
Mit Mahlerlist und Seelenkunde
Erregt, wie wird so wunderschön
Auf diesem schwarzen Hintergrunde
Das Farbenspiel der Abendstunde
Dein bald errungnes Ziel erhöhn!
Sie bring uns schnell gesund und heiter
Auf nun gebahnterm Weg in das gepries´ne Thal.
Jetzt sind wir da; doch ach, wo find´ ich eine Leiter
Aus meinem Phaeton? Wer leuchtet durch den Saal
Mich in mein Kämmerchen und weiter?
Das alles zieh´ aus dem Gedankenstrahl,
Der meinem Kiel entfloß, nun nun – zum letztenmal
Noch eine Bitte, mein Begleiter!
Sind gleich die Stunden voll, des warmen Abends Rest
Bedarf zur Krone doch noch eine –
Sie schwebe noch, bevor mein Schutzgeist mich verläßt,
Einher auf dem verbuhlten West,
Mit Düften angefüllt, die er dem Buchenhaine
Zu meinem Schlaftrunk ausgepreßt,
Und lock´ und treibe sanft das weit verflogne kleine
Geliebte Täubchen, das ich meyne,
Aus seinem, in mein Federnest.
Dann, Lieber, laß im Mondenscheine
Die Girrenden für sich alleine
Und ende dein Gedankenfest. –
Und nun dem Mahler Preis, der bis zum höchsten Lichte
Das düsterste Gemähld´ erhob,
Und dem unförmlichen Gesichte
Des Fortgangs meiner Zeit=Geschichte
Form, Kraft und Leben unterschob!
Der Tag kam in sein Gleis, der, wie es schien, vergebens
Dem Kreise des Gefühls entwich,
Kraft meines Federzugs, der in dem Gang des Lebens
Dem Faden Ariadnens glich.
Zog er denn nicht, o Freund, in deinen Händen mich
Aus Schwindel und Gefahr? und ward denn nicht durch Dich,
O Meister in der Kunst des geistigen Verwebens!
Auch er das Zauberband, an dem mein zweytes Ich
In leisen Schritten, jüngferlich
Mit allen Grazien des kindischen Erbebens
Zu meiner Kammer überschlich?
Umschlangen nicht an ihm nach langer Trennung sich
Zwey Herzen, voll so inniglich
Magnetischen Entgegenstrebens?
Gott, welch ein Schlaf! welch ein Gedankenstrich!
So sah der erste Mensch im ersten Traum sich wippen,
Und stieg und fiel bald hoch, bald tief,
Verlor in Dornen sich, stieß sich an Marmorklippen,
Und träumte von zerbrochnen Rippen,
Und wußte nicht, welch Glück er sich erschlief,
Bis ihn sein holdes Weib mit süßgespitzten Lippen
Zum fröhlichen Versuch, sich munter dran zu nippen,
Aus den geträumten Dornen rief,
Und ihm – gleich dem Montblanc im Morgenperspectiv,
Zwey Schneegewölbe zeigt, an denen im Betippen
Kein Finger bricht, gesetzt, er griff auch noch so schief
Sie an – und, wie er blinzt, wie ihm die Füße kippen!
Mit jenem Hauptjuwel, das selbst ihr Schöpfungsbrief
Still übergeht – entgegenlief.
* * *
Ehe ich mich ganz von der holden Nachterscheinung
entferne, die mit dem letzten Pünktchen meines reichhaltigen Gedankenstrichs,
schöner als ich sie, in Wahrheit, geträumt habe, aber noch lange nicht so
anschaulich hervortrat, als du, mein verständiger Freund und Leser, sie
ausmahlen wirst, muß ich dir doch der Vollständigkeit wegen die stille
Betrachtung noch mittheilen, mit der ich heute, ziemlich spät, mein Bette
verließ. Der angeborne und treuste Freund menschlicher Natur, besonders der
meinigen, zischelte ich mir zu, und rieb mir die Augen munter, hat es doch
diesmal wieder recht gut mit dir gemeint, aber fast zu gut! Es ist nicht der
erste Morgen, wo ich ihm diesen kleinen freundschaftlichen Vorwurf zu machen
habe. Ich bin in meinem Leben, das ist gewiß, manchem widrigen Augenblicke,
vielen Sorgen und Grillen, durch die Vermittlung des Schlafs, wenn keine andere
verfangen wollten, glücklich entwischt; durch ihn wurden nicht selten meine
brausenden Leidenschaften und die harten Gegenreden meines Gewissens gemildert.
Dagegen aber hat mich auch sein einschmeichelnder Besuch eben so gewiß um
manche schöne Belohnung der Wachsamkeit, um manchen Gewinnst an Kenntnissen
gebracht, der nicht zu berechnen ist. Ueber süße Träume der Nacht habe ich oft
weit süßere des Tags verloren, und bey Freuden, die man nur mit offenen Augen
genießen kann, wie heute bey der aufgehenden Sonne, das Nachsehen gehabt. Sie,
die ich kürzlich mit solcher Inbrunst besang, ist schon seit vier Stunden dem
blumigen Brautbette dieses Thales entstiegen, und hat nun für mich, wie jede
Schöne, die sich der weiten Welt Preis giebt, nicht anlockendes mehr. Auch St.
Sauveur hat, wie die Sonne, das Erwachen seines Gastes nicht abgewartet. Er
wäre, sagt mir der schnurrbärtige Kutscher, den er mir zu meinem Fortkommen
zurückließ, mit Tages Anbruche, seinen Geschäften nach, zu Fuße, durch den
Tempel des Friedens und vermuthlich nach Marseille gegangen. O warum hat mich
der gute Mann nicht geweckt! Wie gern hätt' ich seine muntere Unterhaltung, in
der Kühle des Morgens gegen die Schattenbilder meines Traums eingetauscht, da
ich jetzt, bei voller Besinnung, ein paar heiße, einsame Stunden durchbrechen muß,
um in meine verschraubte Wirthschaft zu gelangen, wohin mich ein paar alberne
Briefe auf das ängstlichste rufen. Sie beleidigten schon mein Auge, als ich sie
aufschlug, und ihre Siegel verriethen mir sogleich, als wenn es die
bekanntesten Wappen wären, von wem jeder herrührte. Auf dem einen war eine
hirnlose Maske – auf dem andern das Petschaft des Michelangelo gedrückt. Ich
griff nach dem Wahrzeichen des ersten, der mir eine wortreiche Bitte
entwickelte, an deren schleuniger Gewährung mir zwar ebensoviel gelegen war,
als den beiden Puppenspielern, die sie vortrugen, die aber auch gerade um
deswillen mir recht böses Blut machten. Dies verlangt eine Erklärung, lieber
Eduard. Du wirst dich erinnern, unter welchen Scheltworten ich mir letzthin den
armen Prologus vom Halse schaffte, als er sich mit rednerischem Anstand meinem
Schreibepulte näherte. Hätte ich nur zwey Minuten Geduld behalten, ihn
anzuhören, so würde ich erfahren und mich längst darein gefügt haben, daß die
Elektra, mit der er seine Perioden anhub, nichts weniger als griechischen
Ursprungs, sondern in jenen glücklichen Tagen seiner theatralischen Herrschaft
die prächtige Frau des ersten Akteurs gewesen, seit kurzem Witwe geworden –
Besitzerin eines weitläuftigen Sortiments treflich organisirter Puppen, und
geneigt sey, ihm, aus unveralteter Achtung, ihre Hand zu geben. Schließe ja
nicht aus dem gedrungenen Auszuge des Briefs auf seine Kürze. Ich könnte dich
damit tödten, wenn ich dir ihn in seinem ganzen Umfange vorlegen wollte. Durch
mein Zusammendrücken, wie ich es bey so heillosem Geschwätze zu tun pflege,
habe ich ihm nur das Gift benommen. In einer Nachschrift bitten beyde Brüder um
ihre Entlassung noch diesen Vormittag, mit Beybehaltung ihrer Livree, weil der
Jahrmarkt zu Montpellier, wo Elektra zuerst ihr neues Theater zu eröffnen
gedächte, schon übermorgen seinen Anfang nähme, und sie dort eines Prologs und
Epilogs gewiß benöthigter seyn würde als ich. Hierin haben nun die zwei
verbrüderten Narren vollkommen recht; auch will ich eilen und meiner eigenen
Freyheit so lange Zwang anthun, bis ich ihnen, wie einem Paar unnützen
Stubenvögeln, die ihrige geschenkt habe. Mögen sie mit ihren bunten Federn, die
ohnehin nicht von der Farbe meiner Helmdecken sind, aus einer Wildnis in die
andere ihren Talenten nachfliegen. Mir soll ihres Schicksals halber weiter kein
graues Haar wachsen. Ungleich mehr Sorge macht mir die peinliche Frage, mit der
in der zweyten Epistel der unselige Passerino mir zu Leibe geht. Freilich hatte
ich es vergessen – aber er nicht, daß der einzige Tag, den uns Saint Sauveur zu
der artistischen Reise nach Cotignac frey gab, morgen eintrete. Er wolle, sagt
er, die unglückliche Möglichkeit gar nicht voraussetzen, daß ich zum zweytenmale
anderes Sinnes geworden sey, und habe deshalb die Postpferde mit dem frühesten
in meinen Gasthof bestellt. Was will ich thun? Würde er mich wohl aus
Frankreich lassen, ehe ich ihm nicht mein Versprechen halte? So sey es denn!
Doch soll es gewiß der letzte Liebesdienst seyn, den ich meinem tollen Lehrmeister
erzeige, sowie das letzte Marienbild, das ich besuche. Ach! aber wie fällt mir
der Abschied so schwer, den ich, o Gott, auf ewig von diesem reizenden,
einzigen Thale nehmen soll. Ohne jenes abgeschmackte Berufsgeschäft hätte ich
wenigstens noch einen Tag länger – (Saint Sauveur stellte es mir ja anheim) –
hier bleiben, und diese Höhen und Tiefen – diese Landhäuser und Wiesen, die
sich vor mir hinstrecken, näher beäugeln können, als durch das Fenster. Ist es
nicht zum Tollwerden, daß ich die letzte Vorstellung eines so prächtigen
Schauspiels, als mir die Natur auf morgen verspricht, ausschlagen muß, damit
ein paar Müßiggänger einen Tag eher ihre hölzernen Puppen den Gaffern
ausstellen, und ein Schmierer an eine noch elendere als jene, seinen Pinsel versuchen
kann? Vergebens wiederhole ich mir, wie viel edler solche Hingebungen werden,
je mehr sie uns kosten. Meine Großmuth hebt den Schmerz nicht, und am meisten
ärgert es mich, daß es solche Armseligkeiten sind, die mich von hier abrufen.
Ich bin doch in der That ein sehr guter Narr, daß ich gehe! Nur noch einen
Schluck aus diesem würzhaften Luftstrom! Einen Hinblick noch auf das stärkende
Grün dieser Gefilde! und dann lege ich, mit dem Seufzer eines Liebenden, der
aus den Armen seiner Schönen – zum Sturmlaufen gerissen wird, die Feder aus der
Hand – gebe meine Nase dem Staube der Heerstraße und meinen armen Kopf den Stralen
preis, die senkrecht auf ihn herabschießen.
* * *
Marseille.
Das Gesicht voller Schweißtropfen – alle Poren von der Hitze geöffnet,
sprang ich endlich nach zwey melancholischen Stunden den Urhebern meines Mißmuths
in die Hände. Sie erwarteten meiner am Thore des Gasthofs, wie ihres Heilandes,
und spitzten die Ohren auf das erste Wort, das ich vorbringen würde, und das
war: – „Ein frisches Hemde!“ aber diese in Feuer gesetzten Genies waren schon
so fremd in meiner Haushaltung geworden, und so irre, daß sie mich an Bastian
verwiesen, der aber nicht zu Hause sey. Sprachlos vor Ärger wankte ich die
Treppe hinauf, und fand an meiner Thüre eine Dame hucken, die sich nur noch
hätte erbieten dürfen, mir eins überzuwerfen, um alle meine innern Flüche zur
Sprache zu bringen. Es war die Geliebte des Prologus, die berüchtigte Elektra,
die sich mir in einem Aufzuge zu Füßen warf, daß ich, trotz des Zugwindes für
das klügste hielt, sie sammt ihren Theaterhelden gleich auf dem Vorplatze
abzufertigen. – Ich drückte jedem zum freundlichen Lebewohl ein Goldstück unter
der kurzen Vermahnung in die Hände, ihr albernes Handwerk künftighin klüger zu
treiben, und die Trödel=Lumpen, die sie aus meinem Dienst mitnähmen, vollends
als ehrliche Kerle zu zerreißen. Heilfroh über mein erstes abgethanes Geschäft,
schlüpfte ich nun in mein Zimmer, und bald nachher kam mir auch mein
Kammerdiener zu Hülfe. Als er das Seinige besorgt hatte, fertigte ich ihn an
den Marquis ab, und suchte nun Ruhe und Friede in meinem Lehnstuhle; hatte aber
kaum einige Minuten – selbständig und selig, wie die Gottheit, ohne Prologus
und Epilogus da gesessen, als mich der Narr von Maler in das menschliche Elend
wieder zurück brachte. Aber auch ihn überhob ich, wie die Puppenspieler, des
Vortrags – „Gehen Sie jetzt wie gewöhnlich auf meine Kosten zur Wirthstafel – Morgen
früh, Herr Passerino, bin ich zu Ihrem Befehl!“ bewegte zugleich die Hand gegen
die Thür, zu der er nun, ohne den Mund zu öffnen – (so gut hatten wir einander
verstanden) hinausschlüpfte. Wundere dich nicht über meine laconische Laune,
Eduard! Wie konnte ich mich wohl gegen diese Menschengesichter, die mir einen
Tag voller Genuß auf dem schönsten Winkel des Erdbodens geraubt hatten, zu
freundlichen Gesprächen herablassen! – Doch, es kömmt noch bunter – höre nur!
Hast du nicht auch, wie ich, erwartet, daß mich S. Sauveur auf den Mittag
einladen würde? Ja, wenn er nicht durchaus an mir die Haltbarkeit seines
Systems versuchen wollte – Seine heutige Ueberraschung aber, mag er mir nicht
übel nehmen, geht über die Erlaubnis. Rathe einmal, was mir der artige Marquis
an Bastians Stelle, von dem ich, ohne mich umzusehen, glaubte, er nähere sich
jetzt mit seiner Bothschaft meinem Lehnstuhle – für einen Abgeordneten
zuschickte und mit welchen Aufträgen? Einen vornehmen Seeofficier – der sich
als einen Verwandten des Brigadiers und mir zugleich ankündigte: – „Er habe ihm
die Ehre übertragen, in seiner heutigen Abwesenheit für meine Bewirthung und
Unterhaltung zu sorgen.“ – In seiner Abwesenheit? fragte ich mit Befremden, das
dem Herrn auffiel – Nun ja; denn Sie wissen doch, antwortete er, daß Sie ihn
diesen Morgen auf seiner Bastide zurückließen? Nein, das ist mir in der That
etwas Neues, stotterte ich unter einem mißtrauischen Blick auf den Unbekannten.
– Nun, so kann ich es Ihnen bescheinigen. – Der Brief, den er mir mit diesen
Worten überreichte, war zwar nur flüchtig und mit Bleystift geschrieben,
unleugbar aber von der Hand meines Freundes – Ein Glück, daß es so war,
nimmermehr wäre ich sonst von der Stelle gegangen, so sonderbar kam mir der
Inhalt vor – „Ich“ – lautete er ungefähr, „antworte Dir sehr in Eil, wie Du
siehst, aus meinem Janustempel, den ich dringender Geschäfte wegen vor morgen
nicht verlassen kann.“ – „Aus seinem Janustempel? dringender Geschäfte wegen?
in dem Durchgange eines Steinbruchs?“ Ich suchte geschwind über meine stillen
Fragen Erläuterung in der folgenden Zeile – Was fand ich? „Die zwey ersten
Feyertage Deines Festes verlor ich zu Toulon – auf den heutigen dritten und
letzten muß ich nun zwar auch Verzicht thun – doch stelle ich Dir, um die Lücke
zu füllen, meinen Mann an einem alten Bekannten von mir, aus Berlin, der eben
in meinem Wagen nach der Stadt fährt“ – „So?“ murmelte ich, – „Er? ein sonst so
guter zuvorkommender Wirth – konnte sich doch heute vor Dir unter einem
Steinhaufen verstecken? Was in aller Welt hatte der Mann für Ursachen dazu?“
Das Ding fing an mich zu verschnupfen, doch las ich weiter, und da erklärte
sich denn der ganze Handel: doch so, daß ich beynahe außer mir kam. „Mein armer
Freund,“ erzählte er ganz unverblühmt seinem Verwandten, „hat nach seiner
Genesung von einer schweren Gemüthskrankheit tägliche Veränderung nötig – und
ich suche hierin nach Möglichkeit seinen Arzt zu ersetzen, der sich entfernt
hat: – doch sorge ich heute gewiß so sehr für Deine Unterhaltung, als für die
seinige, wenn ich Dich bitte, Deine gastfreye Einladung von mir auf seinen Kopf
überzutragen. Dieser Sonderling vom festen Lande hält, wie alle reisenden
Deutschen, so gut ein Tagebuch und selbst pünktlicher noch – als ein Admiral.
Ich möchte wohl hören, wie er sein erstes Gastmahl zwischen Himmel und Wasser beschreiben
wird. Dabei muß ich Dir nur sagen, daß ihm der Götze, dessen Wiegenfest
Du begehst, ein so großer Heiliger ist, daß er es gewiß, in dem Taumel seiner
Verehrung, allen Deinen übrigen Gästen zuvorthun wird. Was willst du mehr?
Morgen nehme ich Dir die Sorge für ihn wieder ab. Ich muß des armen Schelms
wegen zur Stadt, der auf Leben und Tod sitzt – und bin recht neugierig darauf –
„So? so?“ – wie angenehm ihn das Schrecken seines Pardons überraschen
wird. Es soll mir – und schon deswegen ist mir dies Dienstgeschäft lieb – einen
neuen herrlichen Beweis für mein System liefern.“ – Ist es nicht, überdachte
ich das Gelesene, ein recht hämischer Streich, den dir hier der saubere Marquis,
und diesmal gewiß nicht blos aus Vorliebe zu seinem albernen System, spielt? Er
übergeht zwar deine Sottise zu Toulon mit Stillschweigen, hätte er aber wohl in
seiner Missive das heutige vermaledeyte Wiegenfest zweimal unterstrichen, wenn
es ihn nicht für das schwindelnde Gastmahl rächen sollte, um das Du ihn durch
Einschub des Gehenkten gebracht hast? Wenn er glaubt, daß ein drehender Kopf zu
deiner Nachkur gehört, so verzeihe es ihm Gott – aber wer ist denn der Heilige,
dem so viel daran liegt? – Den meinigen – so berlinisch er ist – soll er
ungehudelt lassen – Doch, wie geschwind verschluckte ich meine abschlägige
Antwort, als mir der Officier auf die obige Frage Voltairen nannte. „Ich habe
das Glück,“ fuhr er fort, „die Fregatte zu commandiren, die seinen Namen führt.
Einige seiner Bewunderer haben sie ausgerüstet, und so lange sie Wasser hält,
verpflichtet mich meine Bestallung – unter welcher Zone der Erde ich auch den
20sten Februar *)
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*) Es gibt zwey Medaillen, die auf
Voltairen geschlagen sind, davon die eine den 20sten Februar, die andere
den 20sten Nov. 1694 als seinen Geburtstag angiebt. Palissot in seiner
Eloge hält den erstern Datum für den richtigen; so auch die Kaufleute zu
Nantes, die obiges Schiff ausgerüstet haben.
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vor
Anker liege, zu dreytägiger Feyer seines Geburtstags. Es kann mir kaum so leyd
tun, daß die beyden ersten ohne Theilnahme unsers Freundes vergingen, als Sie
an seiner Stelle, mein Herr, mir bei der Feier des letzten willkommen sind. Es
ist weltbekannt, wie viele Anhänger der Schutzpatron meines Schiffs in Berlin
hat, von Friedrich dem Großen an bis auf den geringsten Standartjunker.
Meine Gesellschaft wird stolz darauf seyn, einen Repräsentanten seiner dortigen
Verehrer in ihrer Mitte zu sehen; und auch ich freue mich herzlich auf die
anziehenden Anekdoten, die Sie uns von seinem Aufenthalte in Ihrer Vaterstadt
mittheilen werden.“ Jetzt war ich mir nicht klug genug, weder wie ich die
Einladung des Capitains ablehnen, noch der Verlegenheit trotzen sollte, in die
mich allemal ein Compliment verwickelt, das man mir in dieser oder jener
falschen Voraussetzung aufdringt – und gewiß würde keiner von Euch allen, die
mit Voltaires Bekanntschaft groß thun und mit den Beyträgen seines Witzes dem
ihrigen aufhelfen, meine Vocation unterschrieben haben, wenn Ihr die alberne Miene
gesehen hättet, mit der ich sie annahm. Die Bangigkeit meiner Erwartung war
unbeschreiblich. Ich konnte mir an den Fingern abzählen, daß der Ehrenposten,
den ich behaupten sollte, meinen natürlichen Schwindel nur noch vermehren
würde, und es ist die Frage, ob der Deliquent, über den man morgen
Standrecht hält, nicht mit gößerer Besinnung hinter seinem Capitain
hertraben wird, als ich heute dem meinigen nachschlich.
* * *
O was für ein Ball des Augenblicks ist der
Mensch! Daher sollten wir, nach dem Prinzip erfahrner Spieler, nicht bey jeder
widrigen Karte, die der Zufall aufschlägt, außer Fassung gerathen; immer auf
Abwechslung hoffen, und bedenken, daß der mögliche Uebergang vom Verluste zum
Gewinnste nur desto entzückender ist. Mit welchem ungestüm freudigen
Herzklopfen wird nicht der heute noch so beklemmte arme Flügelmann morgen dem
Kreis enteilen, der ihm den Tod drohte! Ich kann es mir lebhaft aus dem Gange
meines Blutes erklären. – So schwer und trübe es war, als ich den bänglichen
Wagen bestieg – wie sprudelte es nicht, als ich ihn verließ. Ein Hinblick auf
das in stolzer Ruhe prangende Meer versöhnte mich geschwind mit mir selber, und
meine kleinmüthigen Stubengrillen verkrochen sich vor der Hoheit der Natur –
Gott mag wissen, wohin? Sobald ich an der Seite meines Anführers in der letzten
der dreyen, mit Herren und Damen besetzten Gondeln, die nur sein Signal zur
Abfahrt erwarteten, Platz genommen hatte, wirbelte von den vordersten her,
unter deren Leitung wir vom Lande stießen, ein Zusammenklang blasender
Instrumente über das Meer, der, von dem Jubel der Zuschauer erwiedert, alle
Seelen zu beleben schien. Ich kann jetzt die Möglichkeit begreifen, wie eine
volltönende kriegerische Musik es dahin bringen kann, daß so viele verzartelte
Muttersöhnchen den Haß gegen ihre Werber, ihr Heimweh und ihr Zittern vor dem
Tode auf einmal verlieren – lustig dem feindlichen Feuer entgegen tanzen, und
sich einbilden können, sie haben Herz; denn siehe, auch ich lachte mit festem
Blick der Fregatte zu, die vor meinen Augen hin und her schwankte, und machte
mir keine Sorge weiter über den Ehrenposten, zu welchem ich mich, ohne mein
Zuthun, erhoben sah. O die Harmonie ist eine herrliche Anführerin für Geschöpfe
mit menschlichen Ohren! Ich habe die Donnerschläge der Kanonen nicht gezählt,
mit denen uns Voltaire zu unserm Empfang begrüßte; ich weiß nur, daß man mir,
unbeholfen wie ich war, das Vorrecht der schamhaften Damen zugestand, und auch
mich auf einem herabgelassenen Armstuhl durch eine Winde auf das Verdeck zog,
während herzhaftere Männer auf der Strickleiter hinaufstiegen. Von da schlängelte
sich die Gesellschaft in das Innere des Schiffs, einem Saale zu, dessen Größe
und Schönheit mir kein geringes Erstaunen verursachte, als jenes Spiegelcabinet
den beyden Berliner Nymphen, die sich heute vor sechs Wochen – Gott möge sie
unbeschädigt an Ort und Stelle gebracht haben – unter dem Schalle meiner
Horazischen Ode nach St. Domingo einschifften. Ich wüßte nicht. wie ich mich
bey den Musen entschuldigen wollte, wenn ich Dir diesen auf Wasser erbauten
Tempel dichterischen Ruhms nicht beschriebe. Das Erste, auf das der feurige Hinblick
der Andern meine Augen hinzog, war die Satyrfigur des Patrons in seiner
natürlichen Dürre und Blässe. Er grinzte aus einem, zum Blindwerden vergoldeten
Rahm so spöttisch auf unsere Huldigungen herab, daß mir die Schamröthe anflog,
die seinen Wangen abging. Unter diesem Bilde lag auf einem Wandtische das auf
Pergament gedruckte Trompeterstück, mit welchem Er die Fregatte anblies, die
den Schall seines glorreichen Namens als ein Landesproduct ausführen, und in
alle Winde verbreiten sollte *).
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*) Discours
à mon vaisseau.
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Auf zwölf Feldern von Purpurholz trugen glänzendgefirnißte
Genien in erhabenem Schnitzwerk die einzeln Stufen zu der ganzen himmlischen
Tonleiter seiner Muse zusammen. Sein schriftlicher Nachlaß strahlte hinter den
Gittern von vier Eckschränken hervor. Auf der Höhe derselben prangten, als
seine Schutzgötter, die Büsten unsers Friedrich´s, Catharinen der Zweyten
– des Kaysersohns Joseph und des Königs der Sarmaten, in Pappe. – Wären
sie hier, sagte der Capitain ihrer Würde gemäß, aus Marmor, so aber sehen Sie
wohl, könnten sie bey stürmischem Weiler durch ihre eigene Härte und Schwere
leicht einander gefährlich werden. Wollte Gott, erwiederte ich, die Natur
hätte auch Rücksicht darauf genommen, als sie diese Köpfe aufstellte. In
der Mitte der Hauptwände hoben zwo Charitinnen Körbe mit frischen Blumen empor.
Jeder zu beyden Seiten, hielt ein Affe, mit allem Ausdrucke natürlichen
Ingrimms, eine Tischplatte in die Höh, die ausschlüßlich den Lobschriften auf
den Unsterblichen eingeräumt war. Um den Hals dieser angefesselten Träger
schlang sich ein Band mit den Namen eines der Menschen, die dem Dichter zu
Ableitung der Galle so nötig waren, als seine tägliche Nahrung. Freron
hielt den Ane – litteraire
*) –
____________________
*) Dies Wortspiel brauchte
Voltaire, wenn er von Ferons Anné litter. sprach.
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Beaumelle das Siec'le de Louis XIV. – Nonotte les Erreurs de Voltaire und Franc
de Pompignan seine Cantiques sacre's mit der Umschrift in den Pfoten:
Sacre's us
sont, car, personne n´y touche. Diese
zähnfletschenden Gesichter wären, sagte man, ganz den Originalen ähnlich, die
er, nach seinen vier Widersachern benennt, in dem Hofraume zu Fernai an Ketten
gelegt, täglich mit eigenen Händen fütterte und reinigte, um diesen
schuldlosen Geschöpfen die Freude seines Grolls fühlen zu lassen, den er ihren
Namens = Vettern bis an sein seliges Ende nachtrug. Alles war hier, wie Du
siehst, auf die Ehre des großen Mannes berechnet, nichts hat aber wohl jemals
sie lauter verkündigt, als die ansehnliche Versammlung, in deren Kreise ich
äußerst verlegen da stand. Meine Zunge war, gegen die Geläufigkeit der andern
genommen, wie vom Schlage gerührt, und genau überlegt, konnte vielleicht nichts
besser zu meinen gegenwärtigen Verhältnissen passen, als diese Lähmung; denn
wie leicht hätte mir sonst mein deutsches Gefühl den Streich spielen, und mich
verleiten können, aus Vergessenheit meiner Repräsentantenstelle, den Signalen
unseres Kleists, Klopstocks und Wielands zu weit in den
Irrgängen der Wahrheit zu folgen, und mir die Strafe zu erholen, die der
Prophet Jonas von seinen Zuhörern erlitt. Keiner der zwölf Jünger, die
hier zum Gedächtnisse des göttlichen Sterblichen versammelt waren, erwähnte
seiner eigenen geringen Person, außer in Verbindung mit seinem Meister, und
alle suchten einander zu überschreyen. Wenn jener im Zählen war, wie
oft er mit dem liebenswürdigen Dichter an einer Tafel gespeist habe, so störte
ihn dieser durch seinen langjährigen Briefwechsel mit dem berühmten
Manne. Mancher hatte mehrere Wochen bey ihm in Fernay verlebt, und – glaubwürdig
genug – die Affen persönlich gekannt, die dort im Leben, wie hier in hölzernen
Nachbildern, seinen Ruhm stützten. Der eine gab zu verstehen, er habe ihm,
der jede Kleinigkeit zu benutzen wußte – durch Umgang vielleicht zu mehr
glücklichen Einfällen geholfen, als sich die litterarische Welt wohl
vorstellte; der andere beschwor bey seiner Ehre, daß er vier Posten hinter
Voltaires Wagen hergefahren, und immer so glücklich gewesen sey, beym Aussteigen
ein oder zwey Worte von ihm zu hören, die bis zur nächsten Station wie eine
Herzstärkung auf ihn gewirkt hätten. Ein dritter, indem er das Kinn
vorstreckte, wie Voltaire selbst, ließ merken, er trüge wohl die Physiognomie
des Dichters nicht von ungefähr. – Sey es wie es sey, unterbrach er sich
selbst, tant mieux!
Da ich mich von allen diesen Glücksfällen keines
einzigen rühmen konnte, so kam es mir auch nicht von weitem in den Sinn, darein
zu sprechen, bis mir eine junge Dame die Zunge lößte. Ach Gott! rief sie
enthusiastisch aus, welcher Genuß gewährt nicht sein herrlicher Geist einem
denkenden Wesen! – Ich blickte ihr geschwind nach dem Busen, weil Kenner
behaupten wollen, hier säß´ den Weibern der Verstand, so wie ihr Herz hinter
der Stirne. – Beydes aber kam mir etwas platt vor. Vier Monate war der große
Mann, fuhr sie mit aufgehobenen Augen fort, in meiner Aeltern Hause zur Miethe,
und denken Sie! ich bewohne sein Arbeitszimmer. Es ist klein – aber wahrlich,
ich vertauschte es nicht mit dem schönsten Spiegelgemach – schon des Quatrains
wegen nicht, das er auf eine der Fensterscheiben gekritzelt hat. – „Was?“ fiel
ich ihr in die Rede, „Sie besitzen eine Fensterscheibe mit einem Quatrain von
Voltaire?“ „Ja,“ wiederholte sie mit stolzem Anstand, „vier Verse von seiner
eigenen Hand, und die selbst in der neuesten Ausgabe seiner Werke fehlen.“ „O
Madam!“ trat ich ihr jetzt näher, „wie glücklich könnten Sie mich durch dieses
Stückchen Glas machen! Bestimmen Sie, ich bitte, einen Preis, ich verstehe mich
unbesehen dazu.“ – Lieber, lieber Eduard, daß ich doch nie lernen werde, meine
Worte zu wägen! „Es thut mir leid,“ antwortete sie mit übrigens sehr freundlichen
Augen, „daß ich mich auf so einen Handel nicht unbedingt einlassen kann – Jene
Scheibe ist mir ein zu liebes Eigenthum und – nicht wahr, lieber Vater?“ rief
sie einem ältlichen Militair zu – „unzertrennlich von meiner Person.“ – Diese
Erklärung stopfte mir auf einmal den Mund. Ich leistete zwar ungern Verzicht
auf solch einen Schatz für mein Cabinet, that sogar ein übriges, warf zum zweytenmal
einen Blick auf das denkende Wesen; aber der Preis war und blieb mir zu hoch.
Der Aufruf zur Tafel unterbrach bald nachher das
allgemeine Gespräch. Meine Kunstgenossin setzte sich neben mir – Ich hatte nun
alle Gelegenheit, tiefer in ihren Verstand zu blicken – Sie ließ auch ihr Herz
sprechen: doch ich erwähnte die Scheibe weiter mit keiner Sylbe. Siehe, Eduard,
ich wollte gern zwey Tage hungern, wenn ich mir dadurch das Vergnügen erkaufen
könnte, Dir den Küchenzettel des herrlichen Mahls vorzulegen, das jetzt begann.
Er würde Dir unsern sinnlichen Genuß viel anschaulicher machen, als meine
wortreichste Beschreibung. Im Allgemeinen muß ich Dir jedoch angeben, wodurch
es sich vor allen andern auszeichnete, ehe ich zum Schlusse des Festes komme,
der eine reine neue Feder erfodert. Es ward – vielleicht nach Schiffsgebrauch,
vielleicht auch aus symbolischer Hinsicht – nur eine Schüssel auf Einmal
aufgesetzt – und schon das gefiel mir, denn so blieb die Bewunderung, die wir
ihr einstimmig zollten, wie bey Voltairen, so lange ungetheilt, bis eine andere
erschien, die, wie es ihm auch gehen wird, uns noch bewundernswürdiger vorkam,
als die erste. Entständen aber auch zwanzig Dichter nach ihm, deren immer einer
größer als der andere, den Geschmack an die vorangegangenen verdrängte, sie
könnten kein höheres Erstaunen bey mir erregen, als mir die Reihe eben so
vieler immer köstlichern Gerichte abnöthigte. Es war mir eine bittersüße
Betrachtung; aber ganz eines Philosophen würdig, daß mir, selbst in dem Gebiete
meiner vorzüglichsten Kenntnisse, so viel Neues entgegen kam. Denn außer dem
gesegneten Brod, dessen ich mich noch von Aix aus erinnerte, trat doch nicht
ein einziges Gericht unter meinen Gesichtskreis, das ich als einen alten
Bekannten hätte begrüßen, und im voraus errathen können, was er mir leisten
würde. Noch scheint es mir bemerkenswerth, und ich möchte wohl wissen, ob
dieses auch bey anderrn Opfern der Fall sey, daß die Gesellschaft sich nur so
lange mit der Verherrlichung ihres Götzen beschäftigte, als der Uebergang von
der leeren zur vollen Schüssel dauerte. Voltaires Bild flog in diesen
Zwischenzeiten, wie ein Schatten in der Zauberlaterne, nur flüchtig den Augen
vorüber; desto herzergreifender fesselte er aber unser aller Aufmerksamkeit,
als es lichter auf der Tafel ward, und unter den Spielwerken des Nachtisches
ein Teller mit Devisen die Erinnerung an den ganzen Umfang seiner Vorzüge
zurückbrachte; denn aus jeder noch so unbedeutenden Figur, die auf Geradewohl
genommen, belächelt und zerknickt ward, entwickelte sich ein, aus dem Schatze
seiner Schriften entlehnter ernster oder schalkhafter Gedanke. Es war die
artigste Lotterie der Art, die ich je gesehen, und allen Tafeln empfehlen
möchte, so wie es die erste ohne Nieten war, die mir vorkam. Sie erheiterte
unsern vergnügten Zirkel noch mehr. Es war beynahe so gut, als ob der gefeyerte
Dichter selbst zugegen sey, je in gewisser Rücksicht war es noch besser, denn
mancher von den Gästen, der vielleicht unter den Augen des Dichters zu blöde
gewesen wäre, ihm seinen Beyfall anders, als durch ein bescheidenen
Stillschweigen zu zeigen – betäubte jetzt unser Gehör, mancher, dem mit
Voltaires Versen heute vielleicht zum erstenmal ein kluges Wort über die Zunge
kam, spielte hier den Kenner, und schien, als wolle er ihnen nur desto mehr
Glanz durch die Einwilligung verschaffen, die er uns gab, sie ohne Bedenken für
schön zu halten. Ich hielt, bis es die andern müde waren, ihren Gewinn
auszutrommeln, mein Loos, unter der Maske eines Harlekins, mit so zögernder
Bescheidenheit zwischen den Fingern, als ob es ein Impromtu von meiner eigenen Erfindung enthielt, und
wenn mir jemand gesagt hätte, du hast Worte in deiner Gewalt, die gleiches
Schrecken um dich her verbreiten werden, als jene, die eine übermenschliche
Hand, der Tafel des Königs Belsazars gegenüber, an die Wand schrieb, ich würde
ihn für einen Fantasten gehalten, meinen Harlekin so gewiß als jetzt, und ohne
Furcht vor dem traurigen Erfolg geöffnet haben, der mir aber nur zu bald in die
Hände kam; denn ich hatte kaum die ersten Worte des Verses über die Zunge:
Le
grand monde es leger, ianpliqué, volage,
Sa
voix trouble et séduit. Est – on seul, on est sage.
so entstand, wie in der Natur vor dem Ausbruche eines
Erdbebens, eine so auffallende Stille an der Tafel, daß ich verwundert um mich
herum blickte, ohne die sonderbar andächtige Wirkung dieser Zeilen auf eine so
muntere Gesellschaft begreifen zu können. Ich sah nur niedergeschlagene Augen,
hörte nur tiefgeholte Seufzer, und unser Wirth, eine Flasche Champagner in der
Hand, schien äußerst verlegen, was er damit anfangen – ob dem Harlekin trotzen,
oder meine Neugier befriedigen sollte. Er entschloß sich aus Höflichkeit gegen
einen Fremden zu dem letztern – schob das Leichtsinn erweckende Getränke bey
Seite, und – „Wundern Sie sich nicht, mein Herr,“ wendete er sich nach mir,
„daß der Denkspruch, den das Ungefähr Ihnen zuwarf, uns alle so ernsthaft
gemacht hat. Er veranlaßte die Erinnerung an eine eben so vortreffliche
Freundin. Sie hatte diese Zeilen über den Eingang eines Eremiten=Häuschens
setzen lassen, in welchem sie eben den süßesten Träumereyen nachhing, als ein
grausames Verhängniß sie plötzlich und wahrscheinlich auf ewig daraus vertrieb.
Wenn es meine übrigen Gäste nicht zu sehr angreift, so geben sie wohl zu, daß
ich unserm lieben Fremden den traurigen Vorgang erzähle“ – Die Herren schoben
stillschweigend ihre Gläser von sich: die Damen falteten die Hände wie in einer
Betstunde, und das denkende Wesen meiner Nachbarin hob sich ein wenig. „Lassen
Sie uns, mein Herr,“ fuhr der Captain fort, „einen Augenblick in das schöne
Thal zurückgehen, von dem Sie heute herkommen. Dünkte es nicht Ihrem Herzen,
als Sie es zum erstenmal so abgezogen von der übrigen Welt überblickte, daß es
dem menschlichen Elend unmöglich sey, in diesen Wohnsitz der Ruhe zu dringen?
und doch hätte St. Sauveur, der es wahrscheinlich aber, aus Schonung Ihrer,
unterließ, Ihnen aus seinem Saalfenster den Geburtsort der Person zeigen
können, die eben dort zu einem Jammer ohne Gleichen heranwuchs. Ich berufe mich
dreust auf die selbst höchst liebenswürdigen Damen meiner Gesellschaft, ob sie
eine gekannt haben, die ihrem Geschlechte mehr Ehre machte, und an Schönheit,
Verstand und Annehmlichkeiten dem Fräulein von Larai gleich war.“ Nein, so wahr
Gott lebt, fielen sie hier alle dem Redner ins Wort, und er selbst brauchte
einige Augenblicke, sich von dem rührenden Hinblick auf sie zu erholen. Denke,
Eduard, um wie viel dieser Einnklang bey einer solchen Gewissensfrage, diese
unglaubliche Stimmung weiblicher Unpartheylichkeit über die Vorzüge einer
Andern, meine Aufmerksamkeit noch erhöhen mußte! „Der Vater dieses Engels, ging
der Seemann in seiner Erzählung fort, einer der wackersten Menschen, lebte in
jenem reitzenden Bezirke auf seinem Landgute, und widmete nach dem Tode einer
trefflichen Gattin, seine Erholungsstunden nur Freunden, die ihm glichen, und
alle Kräfte der Erziehung des einzigen Zweigs seiner glücklichen Ehe. Diese ihm
so liebe Tochter stund im dreyzehnten Jahre, als er, in der besten Meynung, den
Grund zu ihrem nachherigen entsetzlichen Schicksale legte. Er versprach sie
einem jungen Grafen – Sein Name – doch ich verschweige ihn lieber aus Achtung
für edle Verwandte. Sie wechselten die Ringe unter den übelsten Vorbedeutungen.
Er steckte den ihrigen mit einer spöttischen Miene an, die den Anwesenden
höchst mißfiel, und sie verlor den seinigen bey dem ersten Spatziergange. Bald
nachher erhielt der junge Mensch einen Gesandschaftsposten, der ihn fünf Jahre
von seiner Verlobten entfernte. In dieser Zwischenzeit fiel das, nächst an den
Wohnort des Barons gränzende Landgut durch Erbschaft an einen Herrn von
Grammont, der liebenswürdig, sittlich und von dem edelsten Herzen, weit
mehr als der Herzog gleichen Namens, verdient hätte, die Feder eines Hamilton
zu beschäftigen. Er besuchte seinen Nachbar – sah die Tochter, die in der
Blüthe ihres siebenzehnten Jahres stand, und nun erst hielt er den Zufall, der
ihn in diese Thal eingeführt hatte, für einen Würfel in der leitenden Hand der
Vorsehung, die das höchste Glück seines Lebens bezweckte, und strebte, seit
dieser unvergeßlichen Stunde, dem großen Ziele seiner Hoffnungen nach. Er
erreichte es – gewann bald die Achtung und Freundschaft des Vaters, und nur
desto geschwinder auch die Gegenliebe der Tochter, die sich in aller
Unbefangenheit der Jugend ihrer ersten Neigung hingab. Kein Ring, kein Brief,
kein Gedanke erinnerte sie an ihren entfernten Verlobten, am allerwenigsten der
Vater, der sich nur im Stillen die Uebereilung seiner ältern Zusage vorwarf,
nicht über das Herz bringen konnte, die wachsende schöne Leidenschaft der
Tochter zu stören, und, als sein Freund um ihre Hand bat, weder vermögend war,
sie ihm abzuschlagen, noch zu gewähren. Wenn die beyden Liebenden mit Thränen
der Zärtlichkeit bittend vor ihm standen, bat er sie dagegen nur um Geduld und
Aufschub – vermischte seine Seufzer mit den ihrigen, verschloß aber nur desto
sorgfältiger das Geheimniß seiner Unruhe. In diesem Kampfe mit sich selbst, war
ein Jahr vergangen, als dem alten Manne eine tödtliche Krankheit zustieß. So
bald er ihren Ausgang ahndete, fühlte sich seine beängstete Seele erleichtert.
Mit erheitertem Blicke rief er die weinende Tochter an sein Sterbebette,
umarmte sie mit sichtbarer Freude, und, O! – waren seine Worte, wie danke ich
Gott, daß er ins Mittel tritt, meinen Fehler gegen Dich wieder gut zu machen.
Du liebes treffliches Mädchen! – Mein Tod entzieht Dich noch zeitig genug der
lästigen Verbindlichkeit, die ich Dir in Deiner Kindheit auflegte – Dein Herz
nahm und konnte keinen Theil daran nehmen – aber es wird ihm nun bald frey
stehen seiner eigenen Wahl zu folgen. Du staunst? verstehst mich nicht? Ach!
hätte ich mein übereilt gegebenes Wort so leicht vergessen können, als Du
Deines, das Dir nur blinder Gehorsam abdrang. Mein letzter Wille vernichtet den
erstern – Befolge ihn, so bald Du mich unter die Erde gebracht hast, und zögere
nicht, Dich und den glücklich zu machen, der Deines Besitzes so werth ist –
weit mehr als jener, dem ich solchen einst zusagte. Ein längeres Leben würde mir
den Trost geraubt haben, der mir jetzt mein Ende versüßt: denn nun erst kann
ich hoffen, daß Du und Er mein Andenken segnen werden. –
Die liebreichen Befehle des Sterbenden – der Drang
ihres eigenen Herzens, am meisten aber das Gespenst des Grafen, setzten ihrem
kindlichen Schmerze wohlthätige Schranken. Sie drückte mit der einen Hand,
unter einem Ergusse von Thränen, ihrem Vater die Augen zu, und reichte die
andere ihrem Geliebten. Nach einer kurzen Trauer feyerten sie den Festtag ihrer
Vermählung, der ihre Herzen – Tugenden und Güter in ein schönes Ganze
verschmolz. Das glücklichste Paar auf dem schönsten Puncte der Erde! lautete
die allgemeine Stimme, und nie hatte sie wahrer gesprochen. Nach sieben Monaten
vollen Genusses aller irdischen Seligkeiten, kam der Zerstörer derselben, der
Graf, von seiner Mission zurück. Ich sah ihn den Tag nachher bey unserm
Gouverneur. Da scherzte er noch über die Untreue des ihm einst aufgedrungenen
Kindes. Er habe sie, setzte er lachend hinzu, in Neapel erfahren, wo zum Glück
ein junger Mann sich noch am geschwindesten über solche Unglücksfälle trösten
lerne. Als er aber in der Folge überall, wo er nur hinkam, von seinem Verlust
unterhalten wurde, und dessen Größe erst ganz begriff, da ihm ein glänzender
Zirkel auf die Frage, mit der er ungestüm in den Saal trat: Sagen Sie mir um
Gotteswillen, wer ist das wunderschöne Weib, und der strahlende Herr, der mir
eben im Vorzimmer begegneten? – aus allen Ecken zurief: Graf! Kennen Sie denn
Ihre ehemalige Braut nicht mehr? da fielen diese Worte wie Donnenschlag auf
sein Herz, erfüllten es mit den wüthendsten Gefühlen des Stolzes, der
Eifersucht und der beleidigten Ehre. Seine innere Empörung war allen
Gegenwärtigen sichtbar. Er veränderte die Farbe, so oft der Name Grammont ertönte.
Den ganzen Abend über mißtrauisch gegen jedes lächelnde Gesicht, in sich
gekehrt, abwesend und stumm, verließ er endlich die Gesellschaft mit dem Fluche
des Verbrechens belastet, das er den Morgen darauf ausführte. So wie er in
seine Wohnung kam, störte er die halbe Nacht hindurch unter seinen vor fünf
Jahren zurückgelassenen Kleinigkeiten, nach dem Versprechungsring der Fräulein
von Larai, zwängte ihn an den Finger, und hielt sich nun mit diesem Beweise
seiner ältern Ansprüche für berechtigt, einen Gang zu wagen, um sich an
demjenigen zu rächen, der sie in seiner Abwesenheit auf das empfindlichste
verletzt habe. Unter diesem Blendwerke sophistischer Schlußfolgen, schickte er,
ohne auf die Vorstellungen seines Secretairs, der mir diese Umstände erzählt
hat, zu achten, dem schuldlos glücklichen Manne eine beschimpfende Ausfoderung
zu. Herr von Grammont frühstückte eben mit dem Weibe seiner Jugend in einer
Laube von Weinreben, die er, bey dem ersten Erwachen seiner Liebe, aus keiner
geringern Ursache auf einer Anhöhe seines Gartens gepflanzt hatte, als weil er
von da auf das Eremiten=Häuschen überblicken konnte, wo gewöhnlich in den
Morgen= und Abendstunden das Fräulein sich ihren wehmüthigsten Gefühlen Preis
gab. Diese beyden einander zuwinkenden Plätze gaben durch die Erinnerung an
jene bängliche Zeit den Stunden, die sie jetzt hier weilten, einen
unaussprechlichen Reiz. An ihrem Hochzeitabende war die erste Traube dieser
geheiligten Pflanzung reif geworden. Sie hätten es gern für ein Wunder
gehalten, als sie auf ihrem traulichen Spatziergange damit überrascht wurden.
In einem dichterischen Schwunge der höchsten Zärtlichkeit, unter dem Abglanze
der untergehenden Sonne, der sie beyde mit klopfendem Herzen und Ahndungen der
annähernden Freuden nachblickten, bog Er, gleichsam als Vorspiel, diese noch
unberührte Frucht den Lippen seiner Geliebten zu, und zerdrückte jede Beere,
die sie faßten, mit glühenden Küssen, eine Scene, die das holde Weib noch jetzt
nicht vergessen kann. Heute feyerten die Glücklichen den ankommenden Frühling
unter dieser ihnen so theuern Laube. Er wiegte sie auf seinen Knien, und sich
an ihrem Busen, und rechnete schalkhaft ihr vor, um wie viele Pfunde seit jenem
mystischen Abend sie schwerer geworden sey, als einer seiner Bedienten ihm den
Brief brachte. Die kleine Muthwillige = = = ach! hätte sie gewußt, mit welcher
Natter sie spielte! – ergriff ihn, knickte das Siegel, drohte seine Geheimnisse
zu lesen, und stellte es zuletzt seiner Großmuth anheim, ihre Neugier zu
stillen. Gleichgültig schob er ihn zwischen die Weste, denn er hatte nur Augen
und Gedanken für Sie. Diese Tändeleyen der Liebe, die an dem Tage, der ein so
grausamen Geschick in seinem Schooße trug, der Erwähnung wohl werth sind,
beschreibe ich nach der Aussage einer Person, die das Frühstück besorgte, und
dabey ab= und zuging – eines vortrefflichen Mädchens, das, als Kind, die
Gespielin der jungen Dame, jetzt weniger ihre Dienstbotin, als bewährte
Freundin war. Sie, die nach geendigtem Frühstücke in die Laube trat, versetzte
durch den Ausruf: O das ist zum Mahlen schön! ihre Gebieterin aus einem süßen
Träume in einen andern. Du hast Recht, meine gute Anne! Geh´ und trage mir
geschwind meinen Pastellkasten in die Eremitage, und indem sie sich aus den
Armen ihre Gemahls wand – Laß mich, sagte sie mit losem Ernst, deine Laube muß
nicht immer den Vorzug vor meinem Schilfhäuschen haben. In zwey Stunden, eher
hilft aber kein Anklopfen, will ich den Herrn Gemahl mit der Kopie seines
Originals empfangen, die er mir theuer bezahlen, und die ihn ganz überzeugen
soll, wie häßlich ihm dieser lüsterne Mund, diese begehrlichen Augen und diese
glühenden Wangen zu Gesichte stehn.
Mit diesen Worten – den letzten, die er aus dem Munde
seines Weibes vernahm, flog sie in ihr Eremitenhäuschen, setzte sich vor den
Zeichentisch, wählte aus dem zarten Gewebe der vergangenen Stunde den
herzlichsten Augenblick, und bot allen Zauber der Kunst auf, um durch den
Schmelz der Farben und den Hauch der Wahrheit das liebliche Schattenbild ihrer
noch frischen Erinnerung zu beleben. Diese letzte Arbeit ihrer Hände, diese
kostbare Ueberlieferung ihres zerrütteten Glücks, wird von unserm Freunde St.
Sauveur als ein Heiligthum aufbewahrt. Ach! wie oft habe ich schon davor
gestanden, und nur mit Gewalt vermocht, meine thränenden Augen davon
abzuziehen! – In sprachloser Seelenzufriedenheit – die Hände gefalten, und die
Augen gen Himmel gerichtet, saß der überglückliche Mann noch eine Weile unter
dem Ueberhange seiner Laube, als man ihm meldete, der reutende Bote warte auf
Antwort. Jetzt erinnerte er sich des Briefs – suchte – erbrach vollends das
Siegel, überlas ihn – und nach einem kurzen ernsten Nachdenken befahl er zwey
Pferde vor der hintern Gartenthür – nannte den Reutknecht, der ihn begleiten
sollte, und verbot, als er aufstieg, den Umstehenden, der Dame nichts von
seinem Spazierritte zu sagen: in einer Stunde werde er wieder zurück seyn; –
und so flog er dem Orte zu, wo sein Gegner ihn erwartete. Sie trafen einander
auf einem Rasenplatz am Fuße der Vestung. Der Graf reichte dem Ankommenden zwey
Pistolen – Er wählte eine mit stolzem, furchtbarem Stillschweigen, und beyde –
nachdem sie zehn Schritte von einander ihre Stellung genommen – drückten los,
und in derselben Minute stürzte Grammont mit zerschmetterter Stirne zu Boden.
Der Mörder schwang sich auf sein Pferd – flüchtete auf einem gemietheten
Postschiffe nach Genua, und hat nun von dort aus die Frechheit, um freye
Rückkehr in sein Vaterland zu bitten. Im Krampfe des Entsetzens, ließ der
Reutknecht das scheugewordene Pferd seines getödteten Herrn fahren, und mit
verhängtem Zügel flog er der einsamen Schilfhütte zu, wo noch in ihrer
Glückseligkeit vertieft, die theure Unbefangene verweilte, und eben daran war,
einen Schattenzirkel um das fertige Gemählde zu ziehen. Sie hörte das Trappen
des Pferdes – hörte sich mit einem Jammerton rufen – riß sich in die Höh´ –
stürzte den Zeichentisch um – öffnete die Thür, und sah den verblaßten
Menschen, der nur noch die unselige Kraft hatte – mit zitternder Hand nach der Gegend
der Vestung zu deuten – die Namen ihres Gemahls – des Grafen – Zweykampf – und
Tod – in einzelnen Tönen, aus der beklemmenden Brust zu stoßen, ehe er
ohnmächtig niedersank. Wer es vermag, schildere den Zustand dieses weiblich
zarten Herzens, sobald es der Greuel seines Geschicks erfaßte – schildere den
entsetzlichen Fall aus einer solchen Höhe der Seligkeit, in eine so grundlose
Tiefe des Elends – den Uebergang des frohsten Selbstgefühls, das noch kurz
zuvor ihre Farbenstifte bey dem schönen Nachbilde des Geliebten so glücklich
geleitet hatte, zu der Trauerpost seiner Ermordung. In einem Augenblick lag
ihre Hütte – die Laube, der Garten – ach die ganze Welt lag hinter ihr! – Sie
flog, ohne nach Begleitung zu rufen – ohne zu wissen wohin? nur auf den ungefähren
Wink des Schreckensboten, längs dem Steinwege – allen, die ihr begegneten,
unaufhaltsam vorbey, unserer Stadt zu – flog durch das Thor – schöpfte nach
Luft, um zu schreyen – und foderte mit schmetternder Stimme ihren Gemahl – von
dem erstaunten Haufen, der sie umringte, indem sie ihre blutig zerrungenen
Hände gen Himmel hob. Ein fürchterlich schöne Figur im weißen Morgenkleide –
die Bandschleifen durch den empörten Busen gesprengt – mit braunem fliegendem
Haare – fortgetrieben durch innere Pein, und hingegeben der Verzweiflung – so
sahen wir sie alle, wie wir hier sitzen, unsern Häusern vorüber durch die
Straßen rennen und eilten ihr nach. Auf dem Marktplatze sank sie endlich
ohnmächtig darnieder. Einige aus dem Kreise, der sie auch hier mit staunendem
Mitleiden umgab, waren im Begriffe, sie in das nächste Haus zu bringen, als St.
Sauveur, durch den Lärm ans Fenster gezogen, seine Freundin erkannte –
blitzschnell herbey flog – sie jenen ab, auf den Arm nahm, und in das nahe
Kloster der barmherzigen Schwestern bis in das Zimmer trug, das man ihr
einräumte. Er schickte nach den berühmtesten Aerzten der Stadt, foderte,
ordnete, und verschaffte alles, was er zur Beruhigung und Bequemlichkeit der
Kranken für nötig hielt; konnte aber, so wenig als ein anderer, begreifen, was
dem armen Weibe begegnet sey, bis ihre gute Anna, mit Thränen und
Schweißtropfen benetzt, unter uns trat, und den schrecklichen Vorgang nach der
Angabe des Augenzeugen erzählte. Indem erholte sie sich – Wir, die das Stöhnen
der Erwachten nicht zu ertragen vermochten, verließen das Zimmer, nur St.
Sauveur blieb, ohne seiner zu schonen. – Welch eine Morgenstunde! Sie werden
den schauderhaften Eindruck leicht begreifen, mein Herr, den sie auf jeden
zurückließ, der ihr beywohnte, und sich über die Wehmuth nicht weiter
verwundern, in die uns Ihr zufälliger Fund versetzt hat. Der feinste Faden, der
mit einem solchen Gewebe des Unglücks in Verbindung steht – würde er auch noch
so leise berührt, muß seinen ganzen Umfang erschüttern.
Der Capitain hatte nun, wie er glaubte, mir allen
genüglichen Aufschluß gegeben, und regte sich aufs neue mit seinem Champagner:
aber jedermann ermunterte den Redner fortzufahren, und verbat das berauschende
Getränke – „So verlangen denn meine lieben Gäste,“ fragte er, „noch immer keine
Ruhe? Sie kennen ja alle, außer der fremde Herr da, den Fortgang des
Trauerspiels, so gut als ich“ – „Aber auch er,“ rief ein ältlicher mit
Pflastern verstellter Officier, dem der Hieb in einem Ehrengefechte Mund und
Nase gespalten hatte, „sollte nicht von uns gehen, ohne die Warnung, die der
Verfolg der Geschichte noch rührender predigt, als der Anfang, mit in seine
Heimath zu nehmen.“ „So hören Sie denn,“ fuhr der Capitain fort, „was mir nicht
nur St. Sauveur von der folgenden Stunde mitgetheilt hat, sondern so viel ich
auch noch bis heute von der Unglücklichen weiß. Sie öffnete die Augen unter
jenem krampfhaften Gestöhne, das uns verscheucht hatte, und sah sich starr um;
sobald sie aber ihre Jugendfreundin erblickte, stürzte sie ihr in die
ausgebreiteten Arme. Fest an diesem einzigen Geschöpfe geklammert, das sie in
der ganzen Natur allein noch zu erkennen schien, ließ sie ihr Herz ausbluten,
und ihre sprachlosen Gefühle verathmen. Erschöpft sank sie endlich auf ihr
Bette, und zugleich in den tiefsten Schlaf, der bis den andern Morgen anhielt.
Die Aerzte bauten große Hoffnungen auf diesen Beystand der Natur, und trösteten
alle Nachfragenden damit, die das Kloster unaufhörlich belagerten. Schöne, aber
ach! vergebliche Erwartung! Die Kranke hatte während der Ruhe nur neue Kräfte
zu der schrecklichen Folter gesammelt, die ihr bevorstand. Denn, als die
wiederkehrende Unglücksstunde ertönte, raffte sie sich in einem schauervollen
Erwachen von ihrem einsamen Lager auf – Gustav, war der erste Jammerlaut, den
sie, an den Busen ihrer Freundin gelehnt, ausstieß – ach liebe Anna! laß mich
doch meinen Gustav suchen, und mein müdes Haupt auf seinem Grabhügel ausruhn! –
Unter diesem fortdauernden Gewimmer stieg ihr Schmerz immer höher, bis auf den
Gipfel des Wahnsinns. Diese innere Pein ließ nicht eher nach, als bis sich ihre
Zunge in einen Strom noch nie erhörter Flüche gegen den Mörder ihres Gemahls
ergossen hatte; dann erst kam sie, in der äußersten Abmattung, wieder zu sich.
Welchen Drang unnennbarer Martern läßt nicht eine solche Linderung in einer so
edlen, sanften und Gott ergebenen Seele voraussetzen. Drey Wochen nachher, die
nur aus trübsinnigen Stunden zusammengesetzt waren, kam ihr zum erstenmal ein
anderer Gedanke. Anna, – erwachte sie mit ihrem in gesunden Tagen so
freundlichen Aufblick – ich möchte mir wohl eine anständigere Wohnung suchen –
Bestelle mir doch meinen Wagen. Dieses erste Zeichen von Besonnenheit
verbreitete überall Hoffnung und Freude. An der Hand ihrer Getreuen, und mit rührendem
Bezeigen ihres Danks gegen die Nonnen, die von ihr Abschied nahmen, verließ sie
das Kloster – aber wohin ließ die gute Dame sich bringen? Den dringensten
Bitten ihrer Begleiterin entgegen, nirgend anderwärts hin, als in das
öffentliche Irrenhaus! Nachdem sie die innere Einrichtung nachdenkend
untersucht hatte, schien es sie zu freuen, in einem kleinen abgesonderten Hof
ein paar leere, reinliche, vergitterte Kammern zu finden. – Diese hier, wendete
sie sich leise gegen den Aufseher, miethe ich für mich, und die anstoßende –
wehmüthig fragend blickte sie dabey Annen in die Augen – für meine Freundin.
Seit jenem Morgen wohnt nun dort die edle Dulderin, immer in sich selbst
versunken – außer dann und wann, wo sie die Gefährtin ihres Elends durch einen sanften
Händedruck zu trösten und zu bitten scheint, sie nicht zu verlassen – in
stiller Verborgenheit. Nähert sich aber die Schreckensstunde, die sie auf ewig
von ihrem Gustav trennte, so mag die Uhr solche ankündigen oder nicht, ihr
instinctgleiches Gefühl irret sich um keine Minute – dann tritt sie an das
eiserne Gitter ihres selbst gewählten Gefängnisses, und ihre zurückgehaltenen
Klagen tönen nun in sonorischen Worten gen Himmel. Allmählig umzieht
Fieberröthe die blassen Wangen, die matten Augen fangen an zu glühen, die
Stimme hebt, das Haar sträubt sich, und eine kurz vorlaufende Erschütterung des
schönen Gesichts kündigt nun den Eintritt der Wuth an, die bis zur völligen
Entkräftung des armen Weibes fürchterlich fortdauert. Dieses ist bis jetzt der
abgemessene Gang ihres verschmachtenden Lebens. Hat schon meine Erzählung sie
so tief gerührt, mein Herr, was wird nicht erst das Zeugniß Ihrer eigenen Augen
bewirken! Ich kenne den Hang des menschlichen Herzens nach dem Genusse der
Wemuth zu gut aus Erfahrung, um nicht vorauszusetzen, daß auch Sie den
merkwürdigen Gegenstand dieser allgemeinen Trauer aufsuchen werden. – Und das,
rief ich, soll morgenden Tags geschehen. – Ich würde mich zu Ihrem Begleiter
anbieten, sagte der wackre Mann, hätte ich nicht selbst schon oft das Lästige
wahrgenommen, das uns fremde Zeugen in solchen Augenblicken der Thränen
auflegen. Niemand hat deren wohl mehr um die arme Bedrängte vergossen, als
unser guter St. Sauveur. Es ist ihm ein Gesetz, sie täglich zu besuchen, und
wird er ja davon abgehalten, wie ängstlich sieht er nicht alsdann den
schriftlichen Berichten entgegen, die ihm ihre Freundin und einzige Wärterin,
die sie duldet, auf diesen Fall zuschicken muß. Es müssen gebietende Geschäfte
seyn, die ihn mehrere Tage aus ihrer Nähe entfernen. Auch ist er es, der das
Begräbnis des Entleibten in der Weinlaube besorgt, ihm ein Denkmahl errichtet,
und sich der verwaisten Diener und herrenlosen Wirthschaft dieses gesunkenen
Hauses mit der treuesten Thätigkeit angenommen hat. Hieran, rief ich voller
Entzücken, erkenne ich meinen Freund. Gott segene seine Bemühung, und belohne
seinen Eifer durch den glücklichsten Erfolg! Aber, mein Herr, richtete der
Capitain jetzt die Frage an mich, wie in aller Welt geht es zu, daß diese
tragische Begebenheit, die doch in der Zeit ihres Aufenthaltes allhier vorging,
und Stadt und Land erschüttert hat, Ihnen so ganz unbekannt bleiben konnte? Ach
erinnern Sie sich denn nicht, seufzte ich, was der Marquis mir geschrieben hat?
Glücklich für meine Ruhe, möchte ich wohl sagen, lag ich damals selbst ohne
Verstand an der Kette einer schweren Krankheit, unter den Händen der Aerzte,
und vermuthlich hat der Marquis und jedermann aus menschenfreundlichen
Rücksichten mir auch nachher den Vorgang verschwiegen. Meiner Nachbarin schien
schon lange etwas auf der Zunge zu schweben, das ich gar keine Lust hatte ihr
abzunehmen, mußte aber endlich doch herhalten. Der Herr Brigadier, zischelte
sie mir zu, mag, im Vertrauen gesagt, wohl noch gewisse zärtlichere Antriebe zu
seiner in der That sehr lobenswürdigen Sorgfalt haben als die allgemeine
Menschenliebe. Von jeher, kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, hat er nur Augen
für diese Frau gehabt, und viele, die ihn genau kennen wollen, behaupten, daß
er nur die Genesung der schönen Wittwe erwarte, um ihr seine Hand anzubieten,
die sie auch sicher nicht ausschlägt.
Sie glauben, Fräulein, blinzte ich sie an, daß diese so
tief verwundete = = = = O mein Herr, lachte sie mir ins Wort, ein
liebenswürdiger Mann, der den Verstand einer jungen Dame wieder zu rechte
bringt, weiß gewiß auch ihrem Herzen beyzukommen. „Das kann wohl,“ dachte ich,
„der Fall bey dir seyn,“ und war boshaft genug, in meine auf= und
niedersteigende Blicke, deren Wendungen nicht schwer zu errathen sind, meine ganze
Antwort zu legen. Indeß verursachte doch dieß Geschwätz, daß ich nach Tisch
meinen Koffee noch mit Nachdenken darüber einschlürfte. Unter einem andern
Gesichtspunkte genommen, kömmt mir die Sache nicht so ganz unwahrscheinlich
vor. Ich glaube es als einen Erfahrungssatz annehmen zu dürfen, daß ein sonst
gesunder Verstand, der nicht durch eine fehlerhafte Organisirung der Seele, als
zu Beyspiel durch Hochmuth, sondern durch zugestoßne geistige Verwundungen
verrückt wurde, sich auch wieder findet, sobald die Zeit diese geheilt hat, und
sage es diesmal wahrlich ohne alle Seitenblicke auf unsere oft unbändig
trostlosen Wittwen, die sich sechs Monate nachher auf das fröhlichste wieder
verheurathen. Eine jede dahin spielende Idee würde Blasphemie gegen die vortreffliche
Frau seyn, von der ich spreche. Wer wollte aber nicht wünschen, daß, wenn sich
auf den Fall ihrer völligen Herstellung ein solcher Verlustersatz als St.
Sauveur darböte, jedes vorgelaufene Gerücht einträfe!
Die Stimmung, in die wir alle uns versetzt fühlten,
konnte für jedes einzelne Herz seinen großen Werth haben, nur zum
gesellschaftlichen Tone taugte sie nicht. Der Capitain, ein viel zu guter
Wirth, um seinen Gästen Zwang anzuthun, gab daher bald das Signal zur Abfahrt.
Mir war sonderbar in meiner Barke zu Muthe. Die schreckliche Ungewißheit
menschlichen Schicksals schien ihr nachzuschwimmen. Ich hatte so wenig für die
muntere Musik, die uns zurück begleitete, als für das Jauchzen am Ufer dasselbe
Ohr mehr, und glich ich vor fünf Stunden einem Neuangeworbenen, der lustig ins
Treffen geht, so war mir das Herz jetzt gewiß so sehr gesunken, als ihm, wenn
er schwer verwundet von der Wahlstatt zurückhinkt. Der vielsagende Händedruck
des Capitains, den ich ihm stillschweigend erwiederte – die bänglich
freundlichen Blicke, die mir meine andern Tafengenossen beym Abschiede
zuwarfen, söhnten mich mit ihrem vorigen Tumulte aus: denn ein so treuer
Anhänger gesellschaftlicher Vergnügungen ich auch seyn mag, so kömmt es mir
doch vor, als würde es den meisten Menschen ganz zuträglich seyn, wenn jedes
Freudenmahl sie mit ähnlichen Empfindungen entließ, als ich, und wahrscheinlich
alle übrigen Gäste Voltaire´s mit nach Hause nahmen.
„Lieber Sperling,“ rief ich meinem alten Lehrmeister
entgegen, da er mir, wie gewöhnlich, zuerst in dem Wirthshause aufstieß,
„können Sie mir wohl den nächsten Weg nach dem Tollhause zeigen?“ „Niemand
leichter als ich,“ war seine geschwinde Antwort; „aber was in aller Welt wollen
Sie dort?“ Mit dieser Frage stieg er mir in mein Zimmer nach. Als ich hier
meinen Staat abgeworfen hatte, und noch die kleine Uhr, die Du kennst, in der
Hand hielt, um sie auf meinen Schreibtisch zu legen, veranlaßte sie folgendes
Gespräch unter uns. „Finden Sie nicht das Gehäuse allerliebst gemahlt, und die
Juwelen um dem Ziffenblatte recht artig gefaßt?“ Er besah sie auf allen Seiten.
„Das ist ein ganz superbes Stück,“ fing er sein Lob an – „Schade nur,“ fiel ich
ihm ein, „daß es nicht richtiger geht.“ Er zog seine Uhr aus der Tasche, und
verglich beyde. „Ja wohl, drey Viertelstunden und neun Minuten zu früh.“ „Und
doch,“ warf ich die Nase gegen ihn in die Höh, „ist schwerlich Ihr Werk nur
halb so viel werth als das meinige. Ehemals ging es vortrefflich, hat aber
offenbar durch die Reise gelitten. Entweder ist die Feder überspannt, ein Zahn
verbogen, oder es liegt an der Unruhe.“ „Bey einer so zarten Arbeit ist das
leicht möglich,“ erwiederte er, „und in dieser Hinsicht tausche ich meine
tombakene Uhr mit keiner andern. Mag sie noch so plump und altmodisch seyn, so
hat sie dafür auch nicht um eine Secunde gestockt, seit ich sie von meinem
Großvater geerbt habe, aber Ihr kostbares Kunstwerk muß ja endlich ganz
zugrunde gehen, mein Herr, wenn Sie nicht in Zeiten seinen Fehlern nachspüren.
Ich dächte doch wahrlich, daß es der Mühe verlohnte.“ „Meynen Sie das, lieber
Sperling? Nun so haben Sie auch die Antwort auf Ihre vorige Frage.“ „Wie denn
das?“ stutze er. „In einer großen Stadt,“ trieb ich nun meinen Spaß mit ihm
weiter, „stecken oft die verdorbensten Uhren in den glänzendsten Gehäusen. Die
Eigenthümer wissen meist selbst nicht, wie weit die ihre von der Sonne
abweicht, und bekümmern sich noch weniger um den Gang der andern. So lange noch
nicht zufällige Stöße die Feder gesprengt, die Kette zerrissen haben, sie nur
artig in die Augen fällt und nicht rasselt, gilt jede, ob sie übrigens ihre
Bestimmung erfüllt, ficht niemanden an. Wie soll nun ein Reisender, dem es mehr
um den innern Gehalt zu thun ist, als äußeres Blendwerk, dahinter kommen? Wie
soll er beurtheilen können, ob in seiner Vaterstadt, auf die er doch gern alles
bezieht, die Uhren klüger gehen oder nicht? Giebt es da eine andere
Ausmittelung, als daß er nachforscht, wie viele in der Reperatur und an welcher
Verschobenheit sie krank liegen?“ Der gute Mann sah mich mit großen Augen an.
Ich legte ihm meine Spielerey näher. – „Aus dieser Ursache, Freund, verlasse
ich nie eine ansehnliche Stadt, ohne vorher ihre Tollhäuser zu besichtigen.
Dort allein erscheinen die mannigfaltig verschobenen und lahmen Werke, ohne
Mahlerey, Diamanten und Fassung, und erschweren keinem verständigen Auge die
Uebersicht ihrer innern Gebrechen.“ Passerino – wie lange, dachte ich, wird er
noch so stumpfsinnig da stehn? – blickte mir bald in das Gesicht, bald auf die
Schuhe. „Ein Narr,“ erhob ich nun meine Stimme, „ist schon einzeln ein offenes
Buch, eine größere Anzahl derselben ist die brauchbarste Bibliothek zur
Fertigung einer moralischen Mortalitätsliste. Aus ihr entdeckt man, welche
Seelenkrankheit an diesem oder jenem Orte am häufigsten die Köpfe verdreht. Sie
lehrt, der wie vielste Bürger allemal toll ist, und beantwortet die große
Frage, in welchem Staate der Verstand am besten gedeiht, und am wenigsten
Gefahr läuft, so, daß jeder, dem daran liegt, seine Einrichtung darnach machen
kann. Welchen Verzug, zum Beyspiel, behauptet nicht hierin die deutsche Natur
mit ihrer Kruste vor dem französischen Spinnengewebe. Wenn man sich nicht
selbst muthwillig durch Reisen in dieß gefährliche Land, oder gar durch
vieljährigen Aufenthalt daselbst Schaden thut, mein lieber Passerino, so
gehören schon harte Prüfungen des Schicksals dazu, um einen von uns aus seinem
täglichen Schlendrian zu bringen, und ob es mich gleich oft genug in bittere
Verlegenheit setzt, wenn ich mit meiner deutschen Strohfiedel den feinen
flüchtigen Weltton unsrer Nachbarn nicht erreichen vermag – so“ = = = „Ha nun
merke ich – fiel mir mein Zuhörer ins Wort – Wo Sie hinaus wollen. Ja ja, wir
gehen ins Narrenhaus – dort können wir freylich dem lieben Gott viel herzlicher
danken, als in brillanten Gesellschaften, daß er uns aus den gröbern Stoffen
zusammengesetzt, und unsere deutschen Baßsaiten bis jetzt vor allen massiven
Griffen gnädiglich bewahrt hat.“ Mein Gespräch hatte mir nun zwar den Dienst
eines Verdauungsmittels nach einem großen Gastmahle geleistet; aber nicht im
mindesten meine bänglichen Gedanken an die unglückliche Dame zerstreut. Ich
fragte meinen Mann, ob er sie schon gesehen habe – „Noch nicht, war seine
Antwort, denn so oft ich auch sonst in jenes Haus kam, so habe ich doch seit
Ihrer Ankunft meine Besuche auf Sie, mein lieber Herr, alleine eingeschränkt;
aber nächstens soll dieser herrliche Gegenstand des allegemeinen Mitleidens
meine Reißfeder in Thätigkeit setzen – Ich gedenke meine Zeichnung von ihr, die
nicht anders als kräftig ausfallen kann, in Kupfer stechen zu lassen. Wenn nur
der zehnte Theil ihrer Freunde darauf subscribirt, so soll mir diese Arbeit
einen hübschen Thaler eintragen.“ „Die Speculation ist gut berechnet,“ lächelte
ich – „darum wollen wir auch unsern traurigen Spaziergang keinen Tag länger
verschieben.“ „Doch wohl Morgen noch,“ fiel er ein, mit einer Miene, die meiner
Vergessenheit bitter genug zu Hülfe kam. „Versteht sich,“ trotz meiner innern
Galle zwang ich mich, ziemlich gelassen zu antworten, „wann wir von unserer
pittoresken Reise nach Cotignac wieder zurück sind.“ „O alsdann, mein Herr,“
rief er entzückt, „stehe ich Ihnen ganz zu Diensten, und ich denke, Sie sollten
mit Ihrem Anführer zufrieden seyn. Ich habe freyen Zutritt im Tollhause – habe
schon manche Thräne dort verweint –und manchen Groschen dort hingetragen.“ „Wie
so?“ „Sehen Sie, mein Herr, schon einige Jahre liegt dort ein Mann in Ketten,
der – Gott bewahre jeden darvor! – selbst in seinen gesunden Tagen nicht recht
bey sich war. – Ein Mahler, der = = = doch Sie mögen selbst urtheilen. Er hatte
in einem hiesigen angesehenen Hause ein hübsches Verdienst – beynahe
ausschlüßlich möchte ich sagen. Zu seinem Unglücke aber kömmt dem Sammler eine
Marine vor mir zu Gesicht. Er kauft sie, und räumt ihr in seinem Saale den
vorzüglichsten Platz ein. Mehr brauchte es nicht, um seinen Stolz zu
beleidigen. Kaum entdeckte er das neue Gemählde, so stellte er sich, die Arme
in einander geschlagen, davor, aber anstatt, wie jener große Mahler, zu rufen: Auch
ich bin einer! so steigt ihm der Künstlerneid so gewaltig zu Kopfe, daß er
einige Tage nachher, wie gesagt, ein völliger Narr ward. Sein Zustand griff mir
ans Herz, ich vergaß sein Unrecht gegen mich, behandle ihn seitdem wie einen
unglücklichen Bruder, und besuche ihn, so oft als ich einen Groschen zu Rapee
entübrigen kann, der, wie allen verschobenen Gehirnen, aus ihm das
vollkommenste Geschenk ist.“ „Thun Sie das, lieber Sperling! Nun so erscheinen
Sie mir in diesem Punkte größer als Voltaire mit einen vier Affen, und ich
begleite Sie nun noch einmal so gern nach Cotignac.“ – Wann eher haben Sie die
Pferde bestellt?“ – „Mit Tagesanbruch“ – „Gut!“ – „Aber noch Eins, mein Herr!
Bey Mönchen haben wir als Ketzer wohl nicht viel Gutes auf den Mittag zu
erwarten – Sollten Sie nicht aus Fürsorge einen gebratenen Fasan und einige
Flaschen Wein mitnehmen?“ „Sehr gern, reden Sie das mit meinem Wirth ab – und
für heute leben Sie wohl! denn ich habe sehr viel in mein Tagebuch
einzutragen.“ Das wäre nun auch nach der Regel von Pünktlichkeit geschehen, auf
die ich vielleicht mehr halte, als Dir lieb ist. Ein anderer, glaube ich gern,
würde manches als unwichtig übergangen, und sich bey meinen schläfrigen Augen
kürzer gefaßt haben; doch könnte es leicht möglich seyn, daß dieser andere
seine gedrängte Schreibart in der Folge bereuen müßte. – Ich habe meine eigenen
Grillen über die Geschwätzigkeit. Was uns heute blos als Staub auf unserm
Lebensgange erscheint, kann morgen ein Kitt werden, der das Ganze verbindet. Du
darfst nur in meinem obigen Gespräch mit Passerino ein Comma weglassen, und ich
stehe weiter nicht für den Sinn. Eben so erhalten die Vorfälle des Lebens
meistens eine ganz andere lückenhafte Ansicht, indem man so genannte
Kleingkeiten nicht berührt, wodurch doch jene nur zu oft herbeygeführt werden.
Heute kann es Dir freylich so gleichgültig seyn, als es mir ist, ob der Wirth
für meinen morgenden Mittag einen Capaun oder Fasan – rothen oder weißen Wein
in den Wagen packt. Wer kann aber voraus wissen, ob und was für Folgen von
dieser Wahl abhangen? Ja, wenn ich einen Roman schriebe, so könnte ich freylich
meine Materialien sortiren; könnte zusetzen und weglassen, was ich wollte; aber
Protocolle des laufenden Tages erfodern die schwatzhafteste Treue, und gesetzt,
es wäre noch so gleichgültig, ob Cäsar in seinem gewöhnlichen Leben auf der
rechten Seite ausspuckte oder auf der linken, so konnte doch, als er mit seinem
Tagebuche über den Fluß schwamm, dieser kleine Umstand seine eigene und die Lage
der ganzen Welt verändern.
* * *
Marseille
den 23sten Febr.
Schon seit zwey Stunden sitze ich da, kaue meine Feder, und streite mit ihr, ob
sie Dich in das Geheimniß ziehen soll, dessen ich mich zu Cotignac bemächtigt
habe? Doch bist du nicht auf dem Runde der Erde mein engster Vertrauter, und
müßte ich nicht fürchten, wenn ich gegen Dich schwiege, von der Last, die mir
auf dem Herzen liegt, diese Nacht erdrückt zu werden? Für das Verschwatzen will
ich mich jedoch hüten. Ohnehin macht uns nichts lakonischer, als eine große
Entdeckung. Passerino trat schon um fünf Uhr vor mein Bette. Während ich mich
ankleidete, spitzte er seine Stifte – eine halbe Stunde nachher fuhren wir ab.
Der Weg war so schlecht und langweilig, als seine Unterhaltung. Der elende
Fleck, wo wir um zehn Uhr anlangten, war es nicht weniger, und so taumelte ich
denn aus meinem Wagen durch den Klosterhof – die Vorhalle, verstimmt bis über
die Ohren, in die rußige Kirche. Ein Mönch empfing uns mit der Miene, die allen
den guten Leutchen eigen ist, die Archive, Hausarcana, Kinderklappern der
Vorzeit, oder heilige Spielwerke im Beschlusse haben. Ich that einen Blick auf
das alberne Bild des Hochaltars und hatte auf immer genug daran. Nicht so mein
Reisegefährte. Der setzte sich gegen über auf die nächste Bank, zog sein
Pergament heraus und zeichnete, als ob es für die Ewigkeit wäre. Für mich wäre
es eine gewesen, wenn ich ihm länger hätte zusehen müssen. Aber der Mönch
kannte den Werth der Zeit, nahm mich stillschweigend bey der Hand, führte mich
durch einen dunkeln Gang in das feuerfeste Gewölbe der Sacristey und stellte
mich vor einen großen, alten, vergoldeten Schrank, der meine geringe Geduld
aufs ärgste durch sechs künstliche Schlösser prüfte, die weit über eine
Viertelstunde wegnahmen, ehe der Pater eins nach dem andern geöffnet hatte:
doch dafür gelangte auch meine Bewunderung zu einem unerwarteten Genusse. Drey
weite Schubfächer enthielten die Garderobe der Mutter Gottes – Hemden, Unterröcke,
Caleçons, Strümpfe, Spitzen, Halstücher und Roben, alles, wo nicht neumodisch,
doch fein, prächtig und unbefleckt, wie sie selbst. Das kostbarste ihrer
Kleider, und das sie nur einmal des Jahrs ihrem Hofstaate zur Schau giebt, war
von himmelblauem Atlas mit goldnen Sternen gestickt, und mit Quasten von den
reinsten Perlen besetzt. Dieses Kleid, so äußerst kostbar es auch ist, sagte
der Mönch, wird noch merkwürdiger durch die beyliegende Nachricht, daß es unversöhnliche
Feinde der Gebenedeyten, drei portugiesische Juden waren, die es besorgten, so
wie ehemals bey ihrer Niederkunft drey Könige aus Morgenland, wie das Ihnen
bekannt seyn wird. – Ja, ja, sagte ich, und nachdem er das Kleid, wie die
geschickteste Kammerjungfer, wieder in seine Falten gelegt hatte, öffnete er
einen mit schwarzem Sammet ausgeschlagenen Kasten. Gott verzeihe mir die Sünde!
aber beym ersten Hinblick flog mir der Verdacht durch den Kopf, die heilige
Jungfrau habe durch ihre dienstbaren Geister das grüne Gewölbe ausräumen
lassen. Mit dieser Juwelensammlung an Ohren= und Fingerringen – Halsbändern und
Zitternadeln – Uhren, Zahnstochern – und Tabaksbüchsen, könnte man, dächte ich,
die Bekehrung der Juden übernehmen, an der uns doch allen gelegen ist. „In der
That, ehrwürdiger Herr,“ nöthigte mir diese seltne Erscheinung die Worte ab, „habe
ich die Hochheilige nirgends noch so reich ausgestattet gesehen, als hier!
Welcher fromme Bienenschwarm muß nicht seinen irdischen Honig diesem Kloster
zugetragen haben, um sich dadurch Zellen im Himmel zu bauen!“ „Nichts weniger
als das, mein Herr,“ antwortete der Mönch: „alle Schätze dieses Schrankes
rühren von der Dankbarkeit einer einzigen Seele – von der Andacht Ludewigs des
Vierzehnten her. Auch legt die Mutter ihm zu Ehren ihre kostbarsten Kleinodien,
so wie jenes himmelblaue Kleid mit Perlen, nur zu seinem Geburtstage an.
Verlangen Sie noch stärkere Beweise von der Achtung dieses großen Monarchen für
unsere Madonne – so sehen Sie hier“ – indem er ein neues Fach herauszog – „das
Ordensband des heiligen Geists, das er ihr beym Antritte seiner glorreichen
Regierung, hier seinen Heurathscontract, den er der Wunderthäterin durch einen
Gesandten zuschickte, als er sich mit Marien von Medicis vermählte, und hier,
in diesem kostbaren Einband, den pyrenäischen Friedensschluß“ – –
„Aber warum hat denn dieser große Monarch“, fragte
ich in meiner Einfalt, „bey der Menge Madonnen in seinem weitläuftigen Reiche
eben der Ihrigen eine so übermäßige Auszeichnung erwiesen?“ „Warum? mein Herr,“
wiederholte der Mönch meine Frage mit mitleidigem Lächeln, „aus der guten
Ursache, weil er allein nur ihr sein Daseyn verdankte.“ „Das ist etwas anders,
aber ich bitte Euer Hochwürden, wie ging denn das zu?“ Der Mönch verschloß erst
mit dem bedächtlichsten Ernste seinen Schrank, faßte mich darauf
stillschweigend bey den Schultern und drehte meine stolze Figur einer demüthig
gebeugten zu, die in einem prächtigen Rahme beynahe die ganze Hauptwand der
Sacristey einnahm – dem Bilde eines Barfüßer Mönchs in Lebensgröße, von Rigaud
gemahlt – dem wichtigsten Manne, wie der Pater sich ausdrückte, in der
französischen Geschichte, und von dem ich doch – so mißlich steht es leider mit
meinen historischen Kenntnissen – kein Wort in meinem Leben gehört hatte. Desto
mehr Aufmerksamkeit schenkte ich jetzt dafür den Thaten dieses Auserwählten,
die mein Führer mit vieler Beredtsamkeit zu entfalten verstand. Bey jedem neuen
Farbenstriche, den er dem Gemählde zusetzte, machte ich immer größere Augen.
Wie hoch stieg aber nicht erst mein Erstaunen, als ich in dem schönen Ganzen,
das sich am Ende aus seiner Erzählung ergab, den Plan zu einem Heldengedicht
entdeckte, so tadellos und vollkommen, als vielleicht noch keinem Dichter der
Welt einen zu entwerfen gelungen ist. Du wirst es schon finden, daß ich das
Maul nicht zu voll nehme, denn alle Eigenschaften, die Aristoteles von der
Epopee verlangt, treffen in ihm zusammen. Der Heros ist weder ein Geschöpf der
Phantasie, noch ein gleichgültiger Spieler auf dem Schauplatze der Welt – Seine
Thaten sind kühn, und greifen in die Zukunft. In der zu besingenden Handlung
ist Anfang, Fortgang und Ende von gleich hohem Interesse – die Episoden und
Maschinen sogar sind ihr angemessen, natürlich und nothwendig: der ganze
liebliche Stoff ist reichhaltig und groß. Ach! warum versagte mir doch die
Natur alle Anlage zu der Trompete! da doch eben mir ein Stück für dieses
Instrument der höhern Dichtkunst unter die Hand kommen mußte, das gewiß, wenn
meine schwache Lunge nicht wäre, Lärm in der Welt machen sollte; und ach! warum
hat das Ungefähr nicht lieber Voltairen statt meiner mit diesem Manne der
Geschichte bekannt gemacht, der es wohl eher verdient hätte, von solch einem
Meister an das Licht gezogen zu werden, als die ärgerliche Pücelle! So schwer
auch manchem, dem es, wie dem Hahn in der Fabel, geglückt ist, ein Kleinod aus
dem Miste zu scharren, die Wahl fallen mag, ob er es in seine schmutzige
Verborgenheit zurückschleudern, oder einem Kennerauge verrathen soll; so bin
ich doch nicht so neidisch, meine Skizze Dir oder einem andern Barden, zur
Ausführung ins homerische Große, vorzuenthalten, ohne weiter zu untersuchen, wer
mir mehr Dank schuldig wird – der Sänger, den ich in Zukunft, oder der Held,
den ich schon jetzt, so gut ich kann, aus der unverdientesten Vergessenheit
ziehe.
Denn hüllt uns gleich der dickste Nebel,
Den kein Varrentrapp noch Krebel
Durchzubrechen wagt, seinen Ursprung ein,
Sollt´ Er doch den Franzen heilig und als Hebel
Ihres
größten Königs aus dem Ehverein
Ludewigs des Schwachen unvergeßlich seyn.
Vor dem neuen Spiel einer Rolle bange,
Die, – wenn nun beym Übergange
In die Vierzig – Amor sich entfernt –
Jede Frau gezwungen lernt,
Trug die Königin, die um Ehesegen
Erd und Himmel zu bewegen,
Zwanzig Jahre schon ihr Latein verlor,
Und jetzt mehr als je verlegen,
Einem Helden aus dem Chor
Der Barfüßer ihre Wünsche vor.
Fiacre hieß der Mann. Stolz führt den Ehrennamen
Noch ein Gesindel fort, das der Geborgenheit
Des
öffentlichen Wohls geweiht
Gern
sein Vehikulum Ermüdeten und Lahmen
Auf Stunden und Minuten leiht.
So jung und nackt er war, stand er zu seiner Zeit
Mehr noch, als sein Monarch, bey allen Notredamen
In glücklicher Vertraulichkeit.
Nur eine kannt er nicht, die alt und ausgeleeret
An Wunderkräften war. In Tenniers Geschmack
Gemahlt, verbleichte sie, von Wenigen verehret,
Still, auf dem Hochaltar des Städtchens Cotignac.
Der Mönch, klug wie er war, und mit dem seltnen Falle
Der Königin vertraut, that, was ihr Ehkompan
Kalt in der Andacht, nie getan,
Daß eine wenigstens nur helfe, ruft er alle
Der Christenheit Madonnen an.
Und kaum vernahm von fern das Mutterbild der Gnaden
Den ungewohnten Ruf, als, ohne zu verziehn,
Es in dem ganzen Reiz der Nymphen von Ostaden
Dem eingeschlafnen Mönch erschien. –
„Steh!“ treibt es ihn, „steh' auf, dem König ohne Schaden
Weck' Annen auch! Ihr sei zum Possen dem Calvin
Noch diese Nacht ein Sohn, der einst durch Dragonaden
Das Volk, das mich verkennt, nach Cassel und Berlin
Zum Teufel jagen wird – verliehn!“
Und der Mönch erwacht und erweckt auch Annen. –
Uns`rer lieben Frau Wirkungen begannen:
Freundlich war die Nacht, und dem Mönch gelang
Des Calvinus Untergang.
Und
der Prinz kam an, den der fromme Pater
Kraft des Wundertraums verhieß,
Eh sich sein gekrönter Vater
Etwas von ihm träumen ließ. *)
____________________
*) Der Autor dieses Tagebuchs kann wohl die Wahrheit
seiner Erzählung nicht besser belegen, als durch das unverwerfliche Zeugnis des
Geschichtschreibers Papon, eines von den Vätern des Oratorii zu Marseille. Wenn
er die Schlußfolge derselben, die er dem Leser überläßt, mit Stillschweigen
übergeht, so ist diese Zurückhaltung nur seinen Verhältnissen zuzuschreiben. In
seiner Histoire
littéraire de Provence, welche 1780 zu
Paris erschien, heißt es: Ludewig der Dreizehnte hatte schon dreiundzwanzig
Jahr in einer kinderlosen Ehe gelebt, als eines Tages der Bruder Fiacre, ein
Barfüßer, Gott um Fruchtbarkeit für die Königin anflehte. Die heilige Jungfrau,
sagt man, erschien ihm am 3. November 1637, und versicherte ihn, daß sein
Gebet erhört wäre, doch mit dem Zusatze, daß die Königin ihr dreimal neun
feierliche Messen und zwar neun darvon in der Kirche U. L. F. der
Gnaden in der Provence sollte halten lassen. Zum Beweise, daß sein Gesicht
keine Täuschung wäre, zeigte sie sich dem Bruder Fiacre so, wie sie auf dem
obgedachten Gemälde vorgestellt ist. Der König und die Königin schickten diesen
Mönch, nachdem sie die Nachricht von jener Erscheinung aus seinem eigenen Munde
vernommen hatten, in die Provence, um zu sehen, ob die heilige Jungfrau wirklich
daselbst so abgemalt wäre, wie sie ihm, seinem Vorgeben nach, erschienen war.
Zugleich erhielt er den Auftrag, wenn es sich so verhielte, neun Messen in der
obgedachten Kirche lesen zu lassen. Es traf alles mit der Beschreibung, die der
Bruder Fiacre von seinem Gesichte gemacht hatte, überein, er leistete, was ihm
aufgetragen war – und die Königin kam am 5. September 1638 mit Ludwig dem
Vierzehnten nieder. Sie ließ es ihre erste Sorge sein, der heiligen Jungfrau
ihre Dankbarkeit zu bezeigen, und schickte den Bruder Fiacre mit einem Gemälde
nach der Kirche U. L. F. zur Gnade, auf welchem der junge Prinz vor
der Mutter Gottes kniend, vorgestellt ist. In der Folge machte sie eine
Stiftung zu sechs Messen, welche auf ewige Zeiten in dieser Kirche gelesen werden
sollten. Zuletzt wallfahrte sie im Jahre 1660 mit ihren beiden Prinzen zu
dieser Kirche, und Ludwig der Vierzehnte weihete bei dieser Gelegenheit der
heiligen Jungfrau sein blaues Ordensband, welches noch jetzt sorgfältig dort
aufgehoben wird, so wie er ihr auch in der Folge seinen Heuratstraktat mit der
Infantin Maria Theresia und den pyrenäischen Friedensschluß, prächtig
eingebunden, überschickte usw. Man vergleiche damit noch die Stellen, die der
Verfasser des Tagebuchs aus dem Leben des heiligen Fiacre ausgezogen und
weiterhin angeführt hat.
____________________
Der Erzähler einer merkwürdigen Begebenheit, der
aufmerksame Zuhörer findet, ist, wie ein reicher Gutsbesitzer unter seinen Fröhnern,
ein überaus glücklicher Mann. Von der einen Seite schlägt der Glanz seines
Gegenstandes – von der andern das Ausströmen der erwärmten Neugier, wohlthuend
über ihn zusammen. Ist aber das Feld einmal geräumt und die Aerndte im
Trocknen, so macht er als Nachstoppler eine desto ärmlichere Figur. Ich sah den
guten Mönch immer noch eine einzelne Aehre nach der andern auflesen, um die
Garbe, die er gebunden hatte, wichtiger zu machen. Wir fühlten aber beyde gar
bald das Langweilige davon, und ich fing an, mich gewaltig nach meiner Heimreise
zu sehnen, als es ihm beyfiel, daß er mir für die Ehre seines Klosters noch
eine Kleinigkeit zu vertrauen hätte. „Auch hat es“ – fuhr er in seinem
Nachstoppeln fort – „vor allen im Reiche den Vorzug, einen Urenkel von der
leiblichen Schwester des heiligen Fiacres in seiner Mitte zu sehen, indes zu
gleicher Zeit, im theologischen Sinne, einer auf dem königlichen Throne sitzt.
Sie würden selbst Familienähnlichkeit in den Gesichtszügen jenes Porträts und
des Pater André finden, wenn es Ihnen beliebte, mir in seine Zelle zu folgen.“
„Lassen Sie uns“, erwiderte ich ängstlich, „doch vorher nachsehen, wie weit der
Mahler gekommen ist.“ Dieser Pinsler aber, als wir auf ihn zugingen, winkte uns
so ernstlich, wie Diogenes in der Tonne, aus dem Sonnenscheine seines
Enthusiasmus, daß ich im Drange meiner Langeweile doch für klüger hielt, den
gütlichen Vorschlag des Mönchs anzunehmen, als mich noch länger auf den
Marmorplatten der dunkeln Kirche herumzutreiben, schimpfte aber in Gedanken
desto ausgelassener auf meinen tollen Zeichenmeister. Ich hätte schon damals
Ursache genug gehabt, mir diese undankbare Aufwallung meiner Laune zu
verweisen; denn die Bekanntschaft mit dem Helden einer Epopee war ja wohl
belohnend genug, um mich über alle und jede Unbehaglichkeit zu trösten. Mußte
ich denn erst noch eine Stunde älter werden, um zur Besinnung zu kommen? Oh, du
Sperling aller Sperlinge! vergieb mir um des hohen Verdienstes willen, das ich
späterhin deiner Narrheit mit reuigem Herzen zugestand. Wie willig und
gedemütigt tat ich Ehrenerklärung und Abbitte! Sogar in diesem Augenblicke
meines ruhigen Nachdenkens beuge ich mich noch vor deinem Stümpertalente
tiefer, als vor der Hoheit der Raphaele und Tiziane, die sich zu vornehm
dünkten, auf dem Hochaltare zu Cotignac Dir ein Vorbild und jenem Barfüßer eine
Kupplerin aufzustellen. Auch die kalte Küche, die du mir in prophetischer
Ahndung riethest, mit mir zu nehmen, werde ich dir ewig verdanken: denn eben
durch jenen Fasan, den ich an die Stelle des Eiergerichts schob, das der Pater
André zu verzehren sich anschickte, und durch die vier Flaschen Burgunder, die
den Braten umringten, gewann ich in aller Geschwindigkeit das Zutrauen des
freundlichen Mannes; und was trug mir nicht dieses gegen das Ende des Mahles
ein! Trocknes Brod, das Gott segnen will, bedarf keiner Brühe. Mein kleines,
auf den Mittag versetztes und so wenig diplomatisches Frühstück, daß ich in
Regenspurg mir nicht getrauen würde, einen Hund damit aus dem Ofen zu locken,
vermittelte mir dennoch die Entdeckung eines Staatsgeheimnisses, dem mehr als
hundertjährige Riegel vorgeschoben waren. Ein Seculum war verrauscht, ohne es
zu verrathen, ein zweytes trug es in seinem morschen Leichentuche weiter und
drohte schon mit ihm zu verschwinden, als der Genius, der über das Verborgene
wacht, den Räuber im Fluge aufhielt, und wie einen Reiher zwang, seine Beute
fahren zu lassen. Unbegreiflicher Zusammenhang der Dinge! Gleich
dem Vogel Fantom in Arabien *),
____________________
*) Il
y a dans la Nubie un oiseau nomé Fonton, de la grosseur d´une alouette, lequel,
ayant decouvert dans les bois quelque chose de remarquable, vient voler autour
des gens et ne les quitte pont jusqu´a ce qu´ils se mettent à le suivre. Quand
on est arrivé au lieu qu´il veut indiquer, il s´arréte et se perche sur un
arbre, où il commence à cnater, et l´on n´a au´a chercher tour à l´entour, pour
trouver bientôt ce qu´il a voulu montrer. Mais il faut se donner garde de faire
cette perquisition desarmé; car si on y trouve quelquefois des abeilles, ou du
gibier, ou y recontre aussi souvent quelque gros serpent ou quelque bête
feroce, comme un bufle, un tigre, un leopard etc.
Description de l´Afrique par Dapper, pag. 258.
____________________
der schreyend den Wanderern vorflatterte, um sie, wäre es
auch ein Sumpf, dahin zu leiten, wo etwas merkwürdiges versteckt ist, mußte ein
deutscher Narr einen andern Deutschen in dies Mönchsnest verlocken, den dort
ein Schwarzkünstler für die Ewigkeit zu vergraben glaubte. Könnte ich der
Schadenfreude den geringsten Geschmack abgewinnen, oder spornte mich
Nationalstolz, wie würde ich mich gegen die unzähligen Franzosen brüsten, die
seit dem 5ten December 1638 bis auf den heutigen 24sten Februar vergebens
darnach geforscht haben; – aber bey Zufällen des Glücks steht nichts besser als
Bescheidenheit.
Nach dem zehnten Glase ungefähr, wo es der schweren Zunge des Paters André
lästig zu werden schien, den Einfluß der Mutter Gottes auf seinen Großonkel
länger in Betrachtung zu ziehen, erhob er sich und taumelte der kleinen
Niederlage seiner Bücher zu, zog eins aus dem Staube hervor, und – „Hier, mein
Herr!“ reichte er mir's über die Achsel, „verehre ich Ihnen zum Andenken die
neueste Biographie des seligen Mannes – La vie du vénérable Frère Fiacre. Paris 1722. –
Können Sie alte Papiere besser lesen als ich, so steht Ihnen auch noch der
Plunder zu Diensten, der als sein einziger Nachlaß bis auf mich fortgeerbt
hat.“ Ich nahm sein, wie ich wähnte, unbedeutendes Geschenk mit höflichen
Blicken an, und lüftete, während die Kuttenträger ihre Gläser aufs neue
füllten, das morsche Gewebe ein wenig unter dem pappenen Umschlag, und was –
Eduard – fiel mir zuerst in die Augen? Nichts Geringeres als ein Handbrief der
Königin Anna. Welch Glück, daß ich keinen feinern Physiognomisten gegenüber
saß, als einem paar halbtrunkenen Mönchen! Ihre gebrochenen Augen irrten nur
von den leeren Flaschen zu der einzigen, die noch verstöpselt vor ihnen stand –
ohne meine verfärbten Wangen des Anblicks zu würdigen. Ich bekam Zeit, mich von
meiner freudigen Erschütterung zu erholen, band das lockere Paket fester, warf
es so gleichgültig neben meinem Hut hin, als ob es eine deutsche Monatsschrift
wäre, und gab nun – die Madonna und ihr Fiacre dürfen es mir wahrlich nicht
verübeln – meinem Gespräche eine Richtung, die uns immer weiter von ihrer
Glorie entfernte. Desto verbindlicher betrug ich mich gegen ihre beiden
Trabanten. Sie wollten mir weiß machen, es wäre ihnen in ewiger Zeit kein
Fremder von so einnehmendem Umgang vorgekommen. Ich vergalt es ihnen durch die
Lüge, daß ich noch Jahr und Tag in Marseille bleiben, und mir öfters das
Vergnügen machen würde, sie zu besuchen, und lache mich nur aus, Eduard – aus
Bangigkeit, daß es dem dummen Volke doch wohl einfallen könnte, die
Handschriften vor der völligen Auslieferung noch einmal durchzusehen, stellte
ich ihnen als die sicherste Zerstreuung und mit der Miene eines jovialen
Tafelfreunds, eine zu, die für sie von ungleich größerm Werth war – eine
Anweisung an den Heiligen Geist auf zwey Dutzend Bouteillen desselben Weins,
der ihrer Zunge so wohl that. Diese Aussicht in die Zukunft warf die sanftesten
Strahlen auf die Gegenwart. Das Dankgefühl der armen Geschöpfe war gränzenlos.
Sie küßten meine ketzerischen Lippen so inbrünstig, als wenn es Schuhsohlen
eines Apostels wären, und dem ehrlichen Passerino, der nach vollbrachter Arbeit
hereintrat und sich hungrig nach dem Frühstücke, das er selbst bestellt hatte,
umsah, setzten sie die leeren Flaschen und den verschrumpften Eyerkuchen unter
einem so toll ausgelassenen Gelächter vor die Nase, daß der Prior nachfragen
ließ, was denn hier vorginge? Glücklicherweise – denn nun pochte mir das Herz
noch stärker, stieß der Postillon ins Horn. Ich fuhr geschwind nach meinem Hute
und dem Geschenke darneben, umarmte die bärtigen Kerle, empfahl mich ihrem
Gebete, und ach! wie heilfroh blickte ich an den blauen Himmel hinauf, als ich
den Klosterhof zehn Schritte hinter mir hatte! Der Rückweg, der abwärts ging,
und das doppelte Trinkgeld, mit dem ich den Fuhrmann auf Kosten der Pferde
bestach, brachten mich um vieles früher nach Hause. Passerino konnte mir
unterweges kein Wort abgewinnen. Dafür entließ ich ihn an der Thüre der
Gaststube mit unbeschränkter Vollmacht. Ich warf meine Hülle wie ein
Schmetterling ab, jagte Bastian, der ausräumen wollte, aus dem Zimmer –
verschloß es, und sitze seitdem mitten unter meinen, den Motten und Mönchen
abgerungenen Urkunden, an meinem lieben heimlichen Schreibtische, ohne daß ich
vor Eifer mir hätte Zeit nehmen mögen, ein Billett des Marquis zu lesen, das in
diesem Augenblick noch unerbrochen neben mir liegt. Nichts ist doch
historischen, auch wohl andern wichtigen Untersuchungen nachteiliger, als die
erste Hitze. Ich hatte schon bei einer Stunde meinen Spreuhaufen hin= und
hergeworfen, ehe ich das seltne Weitzenkörnchen, das mir dabei schon oft über
die Finger geschlüpft war, bemerkte. Ich blätterte und blätterte alle Briefe
vorbey, die nicht von der Königin waren, und von denen ich doch jetzt die
meisten wieder in ihren Staub zurückwerfe, da sie schlechterdings des Durchsiebens
nicht werth scheinen – voll verliebten Unsinns in altem Styl, der, so
eindringend er auch zu seiner Zeit wirken mochte, aus Herzen, wie sie in der
jetzigen organisirt sind, keinen als höchstens einen lächerlichen Eindruck
hervorbringen. Dafür will ich Dir ein Morgenbillett der liebenswürdigen Anna,
das sich bisher immer versteckt hielt, und so unbedeutend es aussah, mir doch
zuerst die Augen öffnete, seiner ganzen Länge nach abschreiben: Nos neuvaines ont fait merveille. Depuis douze ans bien ecoulés,
je viens de revoir mon gracieux mari et maître. L'orage d'hier qui l'a
tristement éconduit du cage de sa *)
____________________
*) Vermutlich ein Wortspiel mit dem Namen La Fayette. (Anm.
d. Herausg.)
____________________
Fauvette, me
l'a ramené. Peus-tu croire qu'il a même soupé avec moi? Oui, oui! mon reverend père, sans
qu'il ait **)
____________________
**) Hier zeigt sich, daß die Gedankenstriche keine
neuere Erfindung sind.
____________________
– touché à ton
plat favori. En es-tu content? Il est reparti pour Versailles. Que Dien le
conduise. J'espère chasser de ma chambre la peste de son haleine par l'encens
que tu m'offriras. Je t'attens à l'heure accoutumée de ma devotion. La Beauvais
te dira le reste.
Au Louvre ce 6 Decembr.
1637.
A – d'A.
Mir fiel in diesen Zeilen anfangs nichts so sehr ins Ohr als das Spatgewitter,
dem überall das gemeine Volk weit wichtigern Einfluß in den Winter= als in den
Sommermonaten zueignet. Nach seinen Begriffen ist es ein Wecker der Vorsehung.
Einem so ungewöhnlichen Tumult der Natur müsse, hofft es, ein politischer nachfolgen.
Ein fataler Volksglaube! der besonders in Rußland an manchem Unfug schuld ist,
so daß ich aus Anhänglichkeit an die große Catharina froh bin, daß während
ihrer glorreichen Regierung sich kein dergleichen Luftzeichen ihrem Horizonte
genähert hat. Es waren nur ein paar flüchtige Augenblicke, die ich an dieses
himmlische Phänomen verlor; denn ich stieg sogleich einige Zeilen tiefer, zu
dem weit Erklärbarern herunter, das der Name Beauvais meinen Nachforschungen
preisgab. Die vielen Briefe, die mit dieser Unterschrift in meinem Portefeuille
den königlichen Handschreiben beygesellt waren, könnten doch wohl, vermuthete
ich, bedeutender seyn, als ich ihnen bis jetzt zugetraut hatte. Ich legte also
vorerst meinen Händen die verschuldete Strafe auf, die so sehr gestörte
chronologische Ordnung der Briefe wieder herzustellen, ehe ich meinen Augen
anmuthete, ihre Hieroglyphen zu entziffern. Sie gingen freylich sehr scheu und
ungern daran, aber, o was für eine wackere Lehrmeisterin ist nicht die
Neugier! Kaum hatte ich die ersten Schwierigkeiten überwunden und mich
überzeugt, daß es Annens vertrauteste Kammerfrau sei, mit der ich zu thun
bekam, so las ich auch schon ihre Handschrift mit derselben Leichtigkeit als
die Deinige. Ich möchte das verschmitzte Geschöpf gekannt haben! Schon der
erste Brief, den ich enträthselte, flößte mir eine hohe Meynung von ihrem practischen
Verstande ein. Sie empfiehlt in halber Fracturschrift dem ehrwürdigen Bruder
die sorgfältigste Behutsamkeit in seinem Benehmen, und warnt ihn besonders vor
den scharfsichtigen Augen Orleans. Gestern noch, erzählt sie, sey der
Unverschämte ihrer Gebieterin, als sie eben aus der Kirche zurückkam, ohne nur
Rücksicht auf ihre zahlreiche Begleitung zu nehmen, mit der Spottrede in den
Weg getreten: Madame, vous
venez de solliciter vos juges contre moi, je consens que vous gagniez votre
procès, si le roi a assez de crédit pour cela. Anna wäre so aufgebracht darüber,
daß sie ihren Gewissensrath zu sprechen verlange, und ihn eine Stunde früher
als gewöhnlich in ihrem Andachtszimmer erwarte. Unter Leitung einer so
vorsichtig geschäftigen Hand läßt sich ja eine zwölfjährige Ehetrennung wohl
noch ertragen. Je länger ich an ihren Briefen meine Geduld übte, desto mehr
verloren bei mir Notre Dame de
Graces und ihr Fiacre an Ansehen – denn Marie Beauvais, wie mir jetzt
jede Zeile verrieth, war eigentlich das große Triebrad aller Wunder des Louvre.
Sie hatte den jungen Barfüßer zuerst der trostbedürftigen Königin vorgestellt –
ihm seine Rolle angewiesen und ihre gemeinschaftlichen Betstunden eingerichtet.
Nach Recht und Billigkeit sollte keine andere Vermittlerin als Sie den
Ehrenplatz auf dem Hochaltare zu Cotignac einnehmen. Leichtsinnige und verrathene
Anna! – ich würde dich entschuldigen und bedauern, und ich hätte nichts
darwider, daß Dir Gott die Sünde vergebe, die das Haus Orleans um die
Thronfolge betrog – möge auch Er, der gelobt hat, den Ehebruch der Aeltern zu
strafen bis in das vierte und fünfte Glied, die Nachkommen Deines Bastarden –
denn ach! sie sind ja schuldlos an ihrem Daseyn – gnädig verschonen, nur sey
mir erlaubt an der Seligkeit einer Mutter zu zweifeln, die ihrem Erstgebornen
gleich bey seinem Eintritte in die Welt den Stein an den Hals hing, der ihn in
den Abgrund lebenswieriger Schwermuth versenkte. Ja, Eduard, spitze nur die
Ohren! Ludewig der Vierzehnte hatte noch einen zwey Jahre ältern Bruder. Fiacre
war Vater beyder Bastarde, und der Unglückliche, von dem ich eben spreche, war
die unbekannte, nur zu berühmte eiserne Maske. Die Mutter gebar diesen ihren
Erstling in einem entlegenen Gartenhause, unter den hülfreichen Händen der
Beauvais – und belegte schon während der Geburtsschmerzen das Pfand ihrer
verbotenen Liebe zu welchem Geschlecht es auch gehören möchte, mit dem Fluche
der Weyhe, inzwischen ihr Buhler Messen für ihre glückliche Entbindung las. Die
Nothhelferin verbarg das Kind bis in sein sechstes Jahr, und so erhielt der
heilige Fiacre Zeit genug, sich nach der bequemsten Madonne umzusehen, die den
unreinen Thon kneten und zu einem Gefäße der Heiligkeit bilden sollte. Er
wählte die unbesuchteste von allen, die späterhin durch den geschickten Wurf
ihres Deckmantels um Annens Bette, nach jener mysteriösen Gewitternacht, seine
kluge Wahl nur zu gut rechtfertigte. Er erhielt den grausamen Auftrag, und
führte ihn gewissenhaft aus wie ein Mönch. Dasselbe Kloster, wo ich heute
seinen Urenkel berauschte, erhielt das Gott geweyhte Kind, unter der Bedingung,
unbekannt mit seiner Herkunft, der Wunderthäterin so lange als Chorknabe zu
dienen, bis er zur Tonsur reif seyn würde. Nimm einstweilen mit diesem
flüchtigen Auszug meiner Criminalacten vorlieb, bis ich Dir die Belege dazu
selbst einhändigen kann. Wenn die Köpfe einer Ehebrecherin, einer Kammerfrau
und eines Mönchs zusammentreten, um den Schwefeldünsten ihres Gewissens einen
Ableiter zu verschaffen, so läßt sich leicht denken, daß eine solche Vereinigung
keine gemeinen Sophistereyen entwickelt. Es findet sich leider! unter meinen
Papieren nur ein einziges Concept des heiligen Fiacre, das aber desto fleißiger
bearbeitet ist, wie die ausgestrichenen bedenklichen und dafür eingeschalteten
gewähltern Worte an den Tag legen. Gott im Himmel, welch ein Brief! an eine
strafbare Königin – von ihrem Gewissensrathe – zur Fastenzeit – in dem
Sterbejahre ihres Gemahls, kurz nach Antritt ihrer Regentschaft – im Jahre 1643
an einem Morgen geschrieben, wo sie durch einen nächtlichen bösen Traum
erschüttert, von ihrem erschlichenen Throne herab sich nach geistlicher
Beruhigung umsah. Wie würde Baile seinen gelehrten Artikel Marie mit diesem
Briefe aufgestutzt haben, wenn er ihn gekannt hätte! Der untergeschobene
Kronerbe stand damals in seinem fünften Jahre, und der ihm den Weg gebahnt
hatte, in seinem siebenten. Mit welchen behutsamen Saftfarben weiß nicht der
heilige Mann diesen Vorläufer des Führers seines Volks zu schildern. Alle
himmlische Heerscharen, schmeichelt er sich, müßten die seligste Freude über
die Gewandtheit des geweyhten Knabens bey den, seinem zarten Alter angemessenen
Kirchendiensten – über seine Gelehrigkeit in der Schule und besonders über die
süße Anwendung seiner Feyerstunden empfinden. Dann stehe er oft vor dem schönen
Gemälde, das Ihro Majestät der Kirche verehrt habe – freue sich des Kindes, das
dem Mutterbilde zu Füßen liege – ohne zu ahnden, wie nahe es ihm verwandt sey.
Dieser rührende Instinct von Bruderliebe, fährt er gleißnerisch fort, sei ein
neuer Segen der Gebenedeyten – ein deutlicher Beweis ihres Wohlgefallens an ihm,
und ein Widerschein der Strahlenkrone, die seiner in jenem Leben erwarte usw.
Es nahm mich Wunder, daß ich den Brief der Regentin von der Beauvais nicht
unterstützt sah, so wie es mir überhaupt vorkömmt, als sey der Traum nur aus
Höflichkeit gegen einen abgedankten Liebhaber erfunden, mit dem man nicht mehr
weiß was man reden soll. Schon in einigen vorhergehenden Missiven vermisse ich
das Herzliche der vorigen Zeit, so daß ich wohl begreife, warum allein der
dritte Sohn Philipp, nachmaliger Herzog von Orleans, seinem regierenden Bruder
nicht glich. Die folgenden Briefe werden immer seltener, kürzer und kälter, und
behaupten ein gewisses religiöses Ceremoniel, das gegen den ehemaligen
traulichen Ton sonderbar absticht. Wem etwas daran gelegen seyn könnte zu
wissen, wie der heilige Fiacre die Tage seines in der Schnellwage des Hofs
gesunkenen Gewichts hingebracht habe, dem könnte ich zur Erläuterung wohl noch
einige Beichten mitteilen, die hier, wie verloren, daliegen, und sehr warmen
Herzen entflossen scheinen. Im Jahre 1660, wo der Regentin wahrscheinlich die
Neugier angekommen seyn mochte, das Kind des Gartenhauses kennen zu lernen,
befragt sie ihren Wegweiser aus so manchen Gängen des Lebens, sehr herablassend
– um die beste Route nach Cotignac, wohin sie eine Wallfahrt zu tun vorhabe –
der einzige darauf folgende Brief meldet dem ehrwürdigen Vater ihre
Zurückkunft, und befiehlt ihm, sich den Tag nachher bey ihrer Kammerfrau
einzufinden, wo sie über eins und das andere mit ihm sprechen wolle, das jenes
Kloster beträfe. – Noch ein paar andere weisen ihn an, Gelder zu Allmosen in
ihrer Schatzkammer zu erheben. Mit den Anweisungen auf ihre Schlafkammer ist es
vorbey. Diese Briefe machen meine Verzweiflung. Man lernt doch in der Welt
Gottes nichts daraus. Glücklicherweise giebt noch eine heillose Epistel der
Beauvais, die den ganzen Briefwechsel schließt, zu merkwürdigen Muthmaßungen Anlaß,
die uns künftig einmal bey einem Glase Punsch munter genug machen werden. Sie
scheint eine Antwort auf einen Bericht des heiligen Fiacres zu seyn, der sich
auf einen andern vom Prior des Klosters bezieht. Jetzt will ich dir nur den
Anfang und das Ende davon zugute geben: Votre Saint-Jean ne vaut pas le diable avec sa maudite
ressemblance. Il
est incorrigible et fou à lier. Sa mère en est desolée, outrée, et l'abandonne
à son mauvais destin. Elle vient d'en instruire le roi qui saura bien que
faire. — La reine, schließt sich diese drey Seiten lange
Urkunde, vous
loue d'avoir brulé nos lettres. Faites de même avec celle-ci. Que rien ne reste
après nous de tout ce qui a trait à ce damné. Je me recommande à vos prières. Wenn mich mein Gedächtnis
nicht betrügt, dem freylich jetzt keine Bücher zu Hülfe kommen, so trifft
dieser Brief mit der Zeit zusammen, wo der König sein savoir faire geltend machte, und die eiserne
Maske zuerst bekannt ward. Mein Herz blutet, wenn ich an das arme, unschuldige,
der Entsündigung ehebrecherischer Aeltern und der Staatskunst eines
unmenschlichen Bruders geweyhte Schlachtopfer denke. Ich spüre dem Gefühle
nach, mit welchem der Gemarterte am Fenster seines einsamen Kerkers steht, und
jenes Vultus tyranni
auf die Scheibe kritzelt, die sich – wahrscheinlich sein einziger Nachlaß – in
meine Sammlung geflüchtet hat, als ob sie mich für meine Theilnahme an seinem
Schicksal belohnen sollte. Wie betroffen werden die Geschichtschreiber in
Frankreich und Deutschland – sie, die bald einen Herzog von Bukingham, bald
einen Grafen Rantzau, und endlich gar den Cardinal Mazarin mit der Königin
verkuppeln, einander anstaunen, wenn ich meine Dokumente bekannt mache! Die
Beauvais verstand den Handel besser. Sie wußte sehr wohl, daß in solchen
Angelegenheiten, als sie betrieb, ein junger Barfüßer mehr, als alle
Befehlshaber der weltlichen und geistlichen Miliz – und ein Fiaker mehr werth
sey, als ein Staatswagen. Ich danke es dem heiligen Manne noch in seinem Grabe,
daß er diesen wichtigen Briefwechsel, statt, wie er seinen klugen Gehülfen weiß
machte, dem Feuer – der schwesterlichen Treue übergab, und entweder vergaß, die
Rolle seiner Jugendjahre zurückzufodern, oder seinen Erben in ihr ein Kapital
zu hinterlassen gedachte, das ihnen auch gewiß – wenn sie recht verstanden
hätten, es zu benützen, hohe Zinsen hätte abwerfen müssen. Siehe doch zu,
Eduard, daß du seine Legende irgendwo auftreibst. Sollte sie sich denn nicht in
einem Winkel der königlichen Bibliothek finden? Ich weiß zwar ungefähr, wie
viel den Lobrednern der Heiligen zu trauen ist; aber zu geschweigen, daß die
Wahrheit sich doch nicht so ganz verkleistern läßt, um nicht hier und da
durchzuschimmern, so kömmt es dem seinigen auch gar nicht in den Sinn, die
Materialien, die ihm zu Gebote standen, zu verfälschen. Er stört nur in den
gemeinsten Fripperien nach den Lumpen des Schaafpelzes, der dem Wolf hienieden
ein so frommes Ansehn gab. Uns, die wir nun den ehrlichen Mann in sein wahres
Licht gestellt sehen, kann ein solcher Umzug nicht blenden. Es trägt vielmehr
bey, seine Physiognomie durch Vergleichung nur desto hervorstechender zu
machen. So müde ich auch des Excerpirens bin, soll es mich doch nicht
verdrüßen, dir aus dem Büchelchen noch eine und andere Parallelstellen zu dem
vorliegenden Texte abzuschreiben.
Pag. 11. – Il naquit à Marly
le 21. Febr. 1609. il reçut l´habit de Religion le 19. May 1631. agé de 22.
ans. – On lui changea son nom de Denis en celui de Frère Fiacre de Sainte
Margarite.
Pag. 38. Le Frère Fiacre pénètre de
reconnoissante pour les aumônes de la reine, prioit le ciel de la rendre
féconde – lorsq´ enfin 1633 de mouvemens intérieurs le sollicitoient, comme
maigre lui, d'aller dire à la Reine qu'elle auroit un fils etc.
Extrait du procès verbal: II se sentit une forte
inspiration de faire trois neuvaînes pour saluer la sainte vierge à Notre Dame
de Paris, à Notre Dame de Grâces en Provence et à No-
tre Dame de Victoires ; et Dieu qui voulut que la
France eût obligation de son bonheur à ce pauvre Frère f accorda à
ses prières le Dauphin attendu; car ses neuvaines finirent le 5 Décembre, neuf
mois précisément avant que le roi naquit. Le 5 Septembre 1633 des les deux
heures du matin la Reine fut en travail—à onze heures 22 minutes avant midi le
Roi étant à table fut subitement averti que la Pleine accouchoit eta Gazette et
Mercure francois de 1638.
Pag. 60. — Ainsi naquit le Dauphin, le fruit du
frère Fiacre après 25. années de stérilité de la Reine. Les nouvelles
publiques de ce temps re-connoissent qu'il y a du merveilleux dans cette
naissance, Louis XIII. dans ses lettres aux Ambassadeurs, assure que tout ce
qui a pre'cede' l'accouchement de] la Reine fait voir que ce fils lui est
donne' de Dieu.
1657. — au milieu de tant clé grâces il etoit
tourmente' de mille pense'es impures : qui le croi-roit? il evitoit en
gene'ral les conversations avec les femmes et surtout des femmes dévotes,
parce qu'on s'y engage d'autant plus facilement: qu'on voit dans leur conduite
plus de retenue et que par un artifice imperceptible de l'amour propre on
passe de l'estime de leur vertu à l'attachement à leur personne. Cependant il
etoit tente, qui le croiroit? il regloit ses paroles, ne permettait rien à ses
yeux: cependant il etoit tente etc. niais rien au fonds n'est si facile à
comprendre. Les saints n'ont été de grands saints que parce qu'ils ont eu de
grandes passions etc. Le frère Fiacre affligé par ces pensées sales,
s'agitait, se tourmentoit pour les repousser, il se serroit les tempes, se
ridoit le front, secouoit la tête, et faisoit mille autres contorsions.
Circonstances de sa mort: II faut savoir que de
l'an 1646 c'est à dire 38. ans avant sa mort il avoit écrit qu'il e'toit
arrête de toute éternité qu'on prendrait son coeur après sa mort et
que deux religieux de son ordre le porteraient à Notre Dame de Grâces pour y
être pose' sous les pieds de la glorieuse Vierge Marie ; il pria ceux qui
tireroint son coeur de son corps y. de le tirer par le cote', à
cause de la pudicite religieuse. Toutes ces circonstances ont été accomplies à
la lettre.
Pag. 368. Il mourut le 16 fevr. 1684. dans la 75me
année de son âge. Il avoit la taille medicore, le front grand et large, les
yeux bleus, il e'toit blanc, avoit les traits assez réguliers; et tout cela
for-moit une phisionomie belle et très religieuse etc. Les peintres ne le
perdirent jamais de vues, il en eut toujours de nouveaux qui se succédèrent
pour le tirer.
Pag. 370. Dès qu'il fut enterre, le P. Prieur
fut à Versailles porter la lettre que ce serviteur de Dieu lui avoit écrite
avant de mourir. Le P. Prieur lui présenta encore la donation qu'il a voit fait
de son coeur à la sainte Vierge et qui etoit signée de son sang. Le roi baisa
la signature avec respect. Voilà, dit-il, un sang qui est bien vermeil.
Pag. 372. Les supérieurs remirent ses
manuscripts qu'il avoit laisse cachetés avec prière de ne les ouvrir que dix
ans après sa mort. Celte dixième anneé étant enfin révolue le Roi attentif
envoya Msr. de Pompone Ministre et Secrétaire d'état avec une lettre de cachet qui
lui ordonna d'ouvrir les manuscrits du frère Fiacre. Il les ouvrit en
présence des superieurs; il en tira quelques papiers qu'il fit porter au Roi.
Wer das Gefühl nicht kennt,
Herr eines Staatsgeheimnisses zu seyn, das er, nach Belieben, mit in die
Ewigkeit nehmen oder verschwatzen kann, an wen er will, müßte einen großen Spaß
an meiner Figur gefunden haben, wenn er die selbstgefälligen listigen Mienen,
die bisher meiner Feder nachschlichen, hätte belauschen können. Denn freylich
kann ein Auge, das so viel auf Nuditäten hält, als das meinige, sein
Wohlbehagen nicht bergen, wenn es den seltenen Fall erlebt, einem Mönch seine
Kutte vom Leibe, einer Kammerfrau das Tuch von der Brust zu ziehen, die das
Herz eines Tiegers versteckt, und besonders, wie Peter der Große im kayserlichen
Ungestüm sich an dem Bette der Maintenon herausnahm, eine Königin zu entblößen,
von der man so viel Schönes erzählt. Meine Gesundheitsreise – will ich jetzt,
ohne Wortwechsel, jedermann zugeben, der die Sache versteht, hat bis auf den
heutigen Tag nur Vorfälle entwickelt, die der Mühe des Erzählens nicht lohnen,
die keinen Menschen, als etwan dich, interessiren können, und dem gemeinsten
Reisenden aufstoßen. Jetzt aber hoffe ich doch, daß mir die Statistiker, die
Biographen und Archivarien, alles Geschwätz der vorigen Blätter der einzigen
Perle wegen verzeihen werden, die mir heute der Zufall in die Hände spielte.
Mußte nicht Cook auch lange auf dem Weltmeere herumirren, ehe er auf jene
glückliche Insel stieß, wohin noch keine Cultur gekommen war, und wo die
schönsten Mädchen noch nackender gehen als in meinem Tagebuche. Ich kann mich
jetzt brüsten wie er – Mein Otaheite ist gefunden und mein Name verewigt wie
der seinige *).
____________________
*)
Damit man jedoch wider Vermuthen einen Scherz nicht als Ernst aufnehme – so hält
sich der Verfasser dieses Tagebuchs, nachdem es jetzt in Druck erscheint,
verpflichtet, alles was er über die eiserne Maske gefabelt hat, als historische
Gewißheit zu widerrufen. Gegen einen Freund – nicht so gegen das Publicum –
glaubte er sichs erlaubt, die Hypothese, die er indeß immer noch sehr
wahrscheinlich findet, mit untergeschobenen selbst gemachten Urkunden zu
unterstützen. Die vielen französischen Schriftsteller, die über dies politische
Geheimniß des vorigen Jahrhunderts geschrieben, kommen zwar darin überein, daß
die eiserne Maske ein Bruder des 14ten Ludewigs, der eine aber wie der andre
Bastard und unrechtmäßiger Erbe der Krone gewesen sey. Ludewig der 13te glaubte
am wenigsten daran *).
____________________
*)
Siehe Siecle de Louis
14. p. m. 258. in den Œuvres de Voltaire, und an mehrern Stellen. Auch kann man die Nachrichten
ders Abbé Soulavie in dem 6ten Bande der Memoires de Richelieu –
und Mihiel – Le
veritable homme etc. mit einander
vergleichen. In letzterem finden sich auch gute Nachrichten über die Kammerfrau
der Königin – Beauvais p. 136 – 146. so wie über die Gewitternacht, die es
unnötig machte den zweyten Prinzen zu verheimlichen.
____________________
Doch
ist der Autor des Tagebuchs der Erste, der den heiligen Fiacre – als Vater beyder
Brüder aufstellt, und vielleicht der Wahrheit am nächsten gekommen ist. Jeder
aufmerksame und mit der damaligen Schreibart bekannte Leser wird sich ohnehin
nicht weißmachen lassen, daß die Briefe der Königin Anna und ihrer Kammerfrau
Beauvais von ihnen herrühren, obgleich gegen letztere, die das Geheimniß ganz
in ihren Händen hatte, Ludewig der 14te bis an ihren Tod ein auffallendes
Zutrauen bewies.
____________________
Aber soll ich denn heute gar
nicht zur Ruhe kommen? Eben im Begriff, das dritte oder vierte Licht
auszulöschen, das meiner nächtlichen Arbeit vorstand, fällt mir noch St. Sauveurs
Brief in die schläfrigen Augen. Ach Gott, wie trieb sie nicht jede Zeile
auseinander! Höre nur, Eduard, was mir der sonst so vernünftige Mann zumutet. Er,
der mit Wohlgefallen der Execution erwähnt, die heute unter seinem Commando
einem Verurtheilten das Leben schenkte – kann doch verlangen, daß ich ihn
morgen zu einer – wo keine menschliche Gnade stattfindet – zum Opferfeste einer
neuern Iphigenie – zur Einkleidung des unvergleichlichen Kindes begleiten soll,
das mir vor ein paar Tagen zu Toulon so wichtig geworden ist? Ich hatte es ganz
vergessen, daß morgen ihr sechzehnter Geburtstag einfällt, der sie von dem
gesellschaftlichen Leben zu trennen und zu einer ewigen Gefangenschaft
einzusegnen bestimmt ist! Schließt der gute Mann etwa aus meiner Fahrt nach
Cotignac, daß ich sonst nichts zu thun habe als Klöster zu besuchen? Die
langweiligen Stunden, die ich dort zubrachte, sind mir doch vergütet worden,
und wie? Was sollte mich aber in eins verlocken können, wo ich unter ärgerlichen
Ceremonien vielleicht Gefahr liefe, mir ein Gallenfieber zu holen? Ueberdieß
bin ich ja morgen um neun Uhr zu meiner Sonntagsfeyer schon in einem
Tollhause versagt, das sich unter keiner andern Benennung ankündigt als die ihm
gebührt. Der Herr Brigadier mag allein reisen. Ich will nicht auch noch mit leiblichen
Augen einer Gleißnerey nachgehen, bey der, sonderbar genug, nicht weniger als
bey der eisernen Maske, ein Heuchler von Vater, eine strafbare Mutter und ein
eigennütziger Bruder ihr höllisches Spiel treiben. Hat mich die Theilnahme an
einem Leidenden, dessen Asche von einem vollen Seculum bedeckt ist, schon so
mürbe gemacht, welches Entsetzen würde mich nicht erst ergreifen, wenn ich die
holde Schöne zum ersten Male wieder nach jener herrlichen Nacht unserer
Bekanntschaft im Nonnenschleyer an dem Rande eines offenen Grabes anstaunen
müßte, das sie lebendig verschlingen soll, und aus dem sie, ach Eduard! nun
nichts – nichts mehr zu retten vermag. So streckt denn Unvernunft, Aberglaube
und Mönchswuth ihren bleyernen Zepter von einem Jahrhunderte zum andern! Wo ich
auch hinblicke, sehe ich nur Thorheiten und Laster neben dem Jammer der
Unschuld. Du vermutest doch schon, Eduard, daß ich nach solchen Kopf und Herz
durchdringenden Gedanken den Marquis mit verweigernder Antwort abgefertigt habe
– und Du hast es errathen. Doch, indem ich meinem Bastian den Brief vor das
Bette tragen wollte, um ihn morgen mit dem Frühesten zu bestellen, trat mir das
Bild der guten liebenswürdigen St. Aignan in den Weg, und bat mich, die
Sache noch einmal zu überlegen. Ich blieb eine ganze Weile ungewiß stehen, aber
die rührende Betrachtung einer Tochter, die Jugend, Schönheit und alle Ansprüche
auf ein Leben voll Glück dem kindlichen Gehorsam aufopfert, entschied. Ich
zerriß meine Antwort und bin entschlossen, meinem Freunde zu folgen, unsere Thränen
zu vermischen, und ihr – koste es mir auch was es wolle, vor ihrem Hingang noch
einmal in die blauen himmlischen Augen zu sehen. Der Besuch bey dem andern
gebeugten Weibe entgeht mir ja nicht!
* * *
Den 24sten Februar.
Wenn Du aus der Constellation
meines gestrigen Blatts zu bestimmen vermagst, in welcher Gegend mein Stern
leuchtet, so sind wir geschiedene Leute; denn trotz Deiner Sehkraft konnte es
unmöglich mit rechten Dingen zugehen. Kaum bin ich mir selbst glaubwürdig
genug, um meinen Standtpunct und die Ereignisse des abgelaufenen Tages für wahr
zu halten, den ich Dir jedoch so treu, als alle vorhergegangenen, zu entwickeln
verspreche; habe nur, das bitt´ ich Dich, Geduld mit meiner Feder! Du kennst
ihre Weise. Sie rückt gewöhnlich nur mit dem Zeiger der Uhr fort, aber
vorzüglich heute darf in meinem Tagebuche keine Stunde eher schlagen, als sie
erlebt ist, damit nicht der Minuten eine, die sie herbeyführten, verloren gehe.
St. Sauveur holte mich nicht ab, wie ich erwartete, sondern schickte mir seinen
Wagen, um ihn abzuholen. Es fiel mir ein wenig auf, und erinnerte mich, daß er
bey aller seiner Höflichkeit sich doch noch nie herabgelassen habe, mich zu
besuchen. Er stand in seiner Hausthür, als ich ankam, stieg ein, indem er
zugleich dem Kutscher befahl langsam zu fahren, damit wir nur kurz vor dem
Anfang der Ceremonie bey den Ursulinerinnen einträfen. Konnte er aber nicht
lieber um so viel später die Stadt verlassen? Das wollte ich eben fragen, als
ich in seinen Augen Thränen bemerkte, die mir alle Sprachlust benahmen und
meine eigene bängliche Stimmung vermehrten. Ich konnte an mir abnehmen, wie
viel ihm die Gefälligkeit kosten mußte, als erbetener Zeuge einer für Herz und
Verstand gleich widrigen Handlung beyzuwohnen, und fand es bey seinem Mißmuth
sehr natürlich, daß er sich einen Begleiter zugestellt hatte, aber leider!
hätte er zu seiner Zerstreuung keinen unfähigern wählen können als mich.
Unserer beyder Seelen schwammen in gleicher Wehmuth, die unter allen
sympathetischen Gefühlen am wenigsten sich mit Worten abgiebt. O wie lang ward
mir der Weg nach dem, von der Stadt ohnehin ziemlich entfernten Koster, und
doch wie erschrak ich, als wir endlich nach drei langweiligen Stunden vor dem
Eingange der Kapelle still hielten, hinter der das mit Hängeweiden und
Zypressen umgebene gothische Gebäude vorragte. Allgütiger Gott! seufzte ich,
wie kannst du zugeben, daß man eins deiner freyen frohen Geschöpfe – ach deiner
herrlichsten eins! in den Kerker dieser Einöde versperre. Muß nicht dem armen
Kinde das Herz verbluten, wenn es jetzt auf seiner Herreise zum letztenmale von
gaukelnden Vögeln umzwitschert, von balsamischen Lüften umweht, dieses rusige
Gemäuer erreicht, und hinter ihm die Pforte zurasselt, die es auf ewig von dem
so freundlich winkenden Frühling – den schönsten Hoffnungen seines Geschlechts
und jenen Fühllosen trennt, die seiner kindlich und schwesterlich wimmernden
Liebe – doch immer noch werth bleiben!
Unter peinlichen Gedanken
wankte ich dem Kirchner nach, der uns eine Loge dem Altar gegenüber anwies, die
durch eine Glasthüre in der Mitte zweyer Fenster von dem Schiffe der Kirche
abgesondert war. Durch den flornen Vorhang, der die Zuschauer verbarg,
schimmerten zunächst zwey einander überstehende schwarz beschlagene Bänke
meinen feuchten Augen entgegen, und an den beyden Seitenwänden zogen sich die
vergitterten Schranken der Nonnen herum. So lange ich und der Marquis allein
waren, übersah ich noch so ziemlich gelassen dies geistige Hochgericht; als
aber bald nachher der Vater und Bruder des seinen Schlächtern nun schon
ausgelieferten Lammes hereintraten, empörte sich mein Innerstes so heftig bey
ihrem Anblicke, daß ich kaum über mich gewinnen konnte, ihnen ihre höfliche
Verneigung kalt zu erwiedern. Die heuchlerische Miene, mit welcher der erstere
sogleich auf die Knie fiel, täuschte mich so wenig als das bleiche abgehärmte
Gesicht des andern. Mag es meinetwegen wahr seyn, was mir der Wirth zu Toulon
von ihm erzählte; es schändet den eigennützigen Jüngling nur desto mehr, daß er
lieber seiner Braut und den Pflichten der Ehre und der Menschlichkeit, als dem
schwesterlichen Erbantheil entsagte, der ihm, trotz der tollen Verordnung der
Mutter, nicht zukam. Ich konnte diesen Abscheulichkeiten nicht länger
nachgrübeln, denn jetzt fingen die Glocken zu läuten an, und der Beförderer und
Executor des schwärmerischen Testaments, der Dominicaner, erschien, warf sich
vor den Altar und betete so lange im stillen, bis jene schwiegen, und nun ein
zweystimmiger, aus den Klausen der Nonnen sanft hervorwallender Choral das
Trauerspiel eröffnete. Indem sich der Geistliche seiner Bank zur linken Seite unserer
Loge näherte, trat zugleich auf der rechten – oh, wie stiegen mir die Haare
empor – die Verurtheilte, weiß gekleidet, hinter einem Kirchstuhle heraus, und
bewegte sich an der Hand ihrer Erzieherin, mit niedergeschlagenen Augen feyerlich
langsam nach ihrem Sitze. Diese bot ihr einen Flacon zum Riechen. Sie dankte
der Freundin, ohne ihn anzunehmen, durch ein gutmüthiges Lächeln für ihre
Besorgniß, und verbeugte sich gegen den Mönch, der nun, die Schreckensurkunde
in der Hand, seinen Vortrag im schlichten Predigerton anhob: „Der erste Laut
meines Mundes an diesem Zufluchtsort unserer Andacht sey der Glorie des
Allweisen und Unerforschlichen und dem Andenken jener zu seiner Herrlichkeit Uebergegangenen
geweiht, der Sie, theures Fräulein, das Daseyn verdanken. Der Glanz ihrer
Sterbestunde erhelle die gegenwärtige, die uns beyde zu dem gemeinschaftlichen
Zwecke vereinigt, den letzten Willen der Verewigten zu vollziehen. Die schönste
und größte Verbindlichkeit eines Kindes ist Gehorsam, und Ehrerbietung für Aeltern
das erste Gebot, das Verheißung hat. Sie haben sich bereits, dem mütterlichen
Verlangen gemäß, zur Annahme des heiligen Schleyers erklärt, und dieß stille
Kloster gewählt, wo Sie Ihre übrigen Tage ruhig und Gott gefällig zu verleben
gedenken; das Ihnen zur Befolgung gesetzte Ziel ist erreicht. Sie stehen zum
letztenmal freygelassen hier vor meiner segnenden Hand, um Ihren gereiften
frommen Entschluß zu bestätigen und zu erfüllen, und so wird es Ihnen wohlgehen
und Sie lange leben auf Erden. Wie festlich muß Ihnen, nach sechzehn
verlaufenenen Jugendjahren, nicht heute die Erinnerung an den Tag Ihrer Geburt
durch die Feyer Ihres Gehorsams und Gelübdes werden, das Sie abzulegen bereit
sind.“ Bey diesen Worten entfielen einige Tropfen den Augen des lieben Kindes.
Der Mönch, der sie nachdenkend anblickte, hielt so lange inne, bis sie wieder
gefaßt war, und fuhr dann herzlicher fort: „Ihre Traurigkeit, Theuerste, ist
vorübergehend, wie der Schmerz einer Gebärenden. Der Allmächtige wird sie in
Freude verwandeln. Diese Thränen, hoffe ich, sind der letzte Tribut, den Ihre
Dankbarkeit dem Andenken eines vergangenen glücklichen Lebens zollt; denn wie
könnte, da Sie, mit heute, ein dreymal froheres beginnen, es Ihrem Herzen
schwer fallen, jenen vergänglichen Freuden der Welt, an denen es Theil nahm, zu
entsagen, und sie höhern Befriedigungen aufzuopfern. Habe ich wohl nöthig,
Ihnen bey dieser Landung aus einem Meere voll Gefahren und Stürme tröstend
entgegen zu kommen – wohl nöthig, Sie zu ermahnen, den Allwissenden durch ein
freymüthiges Bekenntniß aller werthlosen Anhänglichkeiten an das Irdische, von
denen sich Ihr Herz jetzt trennen und reinigen soll, zu ehren, da es längst dem
meinen geöffnet, sich nie der Erforschung seines treusten Rathgebers und
Beichtigers zu entziehen gesucht hat? Sollte es aber dennoch, mir unbekannt,
sich einer weltlichen Sorge bewußt seyn – sollte noch ein Wunsch an ihm nagen,
den es treulos begriffen wäre, gleichsam als einen verheimlichten Raub, in
diese der Seelenruhe geweihte Wohnung mit hinüber zu nehmen, so –“ Hier
überzog eine flimmernde Röte die blassen Wangen des erschrockenen Kindes, es
brach in unaufhaltsame Thränen aus, zitterte, rang wehmüthig die Hände, und
versetzte durch diesen Anblick den erstaunten Priester in einen heiligen hell
auflodernden Eifer. „Fräulein,“ erhob er feyerlich seine Stimme, „ich lege, ja,
unter der strengsten Verbindlichkeit eines Eides und bey der ewigen Wahrheit,
deren berufener Diener ich bin, lege ich Ihrem Gewissen auf, jenes verborgene,
noch nicht getilgte Gelüste Ihrer Seele unverhehlt zu bekennen, das in dieser
Stunde der Entsagung noch mächtig genug ist, Ihre Sündhaftigkeit zu
erschüttern, damit ich an Gottes Statt = = =“ doch hier erlaubte ihm sein
Mitleiden nicht weiter zu sprechen, denn seine Beschwörung, die schon mir beynahe
all Besinnung nahm, in welchen Zustand versetzte sie nicht vollends dies zarte,
weibliche Wesen! Sie ergriff und drückte in höchster Seelenangst die Hand ihrer
jammernden Freundin an das gepreßte Herz, und verbarg die Augen unter dem
Tuche, das ihre Tränen einsog. Dieser Anblick war so rührend, daß er selbst die
lieblosen Zeugen erweichte, in deren Mitte ich stand. Ich hörte, wie sie sich
von den Fenstern zurückzogen, um sich nicht durch ihr Schluchzen zu verrathen,
doch vergönnte ich ihnen keinen meiner Blicke, die fest an den leidenden Engel
geheftet blieben. Nach einer minutenlangen, furchtbaren Stille, während welcher
der Mönch für die Beruhigung der so peinlich Befragten zu beten schien,
richtete sie ihr holdes Gesicht in die Höhe, wendete es mit ernster Andacht
gegen den Altar, und von da zu ihm. Ihre Blicke waren erheitert. Frohes
Bewußtseyn der Unschuld ruhte auf ihrer Stirn, und mit fester Stimme, die Hände
in Begeisterung erhoben, begann sie: „So vernimm denn, Gesalbter des Herrn, an
dieser der Buße und Wahrheit geheiligten Stätte, das Geheimniß meines
schwachen, aber unsträflichen Herzens, vernimm jenen süßen Irrthum, in den es
sich selbst für den trefflichen Mann verlockte, der meine Kindheit geleitet,
Tugenden und Kenntnisse in mir erweckt, und sich meines dankbaren Gefühls
endlich bis zur Entkräftung jeder andern Pflicht in solcher Stärke bemeistert
hat, daß mir immer in seiner Abwesenheit bange, ach! so bange wie einer
Verlassenen war. Ich konnte an keinem der Tage, in welchem eine Stunde der
Erwartung lag, meinen Wohlthäter zu sehen, weder beten noch arbeiten. Mehrmal
habe ich in nächtlicher Täuschung geträumt, daß mein Vater seine Hand in die
meinige legte und uns segnete, und wenn ich erwachte und mich besann, vergoß
ich bittere Thränen über die Unmöglichkeit, ihm anzuhören. Willst du das Liebe
nennen, nun so habe ich hoffnungslose Liebe für einen Tugendhaften empfunden.
Mein Herz unterwirft sich in Demuth dem wohlthätigen Kummer, mit dem mich o
schon längst! seine Gleichgültigkeit bestraft; denn ich bekenne, ehrwürdiger
Herr, daß sie es, und Gott möge sich meiner erbarmen, allein war, die mich
antrieb dem mütterlichen Willen zu gehorchen, und mir, nach langem Kampfe,
meine Bestimmung zum Kloster wünschenswerth gemacht hat. So gebrauchte der
Allgütige die Würde dieses Mannes, um mich auf den geheiligten Weg zu leiten,
den ich jetzt nur desto williger und zufriedener betrete, da er mich mit der
edelsten meiner Jugendfreundinnen wieder vereinigen wird, die ihn aus
mitleidiger Liebe zu mir voranging. Gute großmütige Montbasson. –“ Ein
Erguß zärtlicher Thränen unterbrach eine ganze Weile den Wohlklang ihrer
Stimme. Herrlicher und reizender habe ich nie ein Weib gesehen, Eduard, als es
diese angehende Nonne in den erhabenen Augenblicken war, aus denen ich ihr
nachlalle. Bescheidenheit, Muth und Ergebung strahlten aus den großen, blauen
Augen. Die höchste Reinheit der Seele tönte von den befeuerten Lippen. Jeder
warme Ausdruck ihres herzlichen Geständnisses entfaltete eine Rose mehr auf den
jugendlich verschämten Wangen. Ich war so verloren in der körperlichen und
geistigen Schönheit dieses unvergleichlichen Kindes, daß ich mich selbst nicht
nach dem Mitgenossen meiner Trunkenheit umsehen mochte, der, vorgebogen über das
Fensterpolster mit klopfendem Herzen an meine dort ruhende Hand, den Bewegungen
des meinigen sympathetisch zustimmte. Sie aber, nun über alle Wehmuth erhaben
und in dem glücklichen Wahne, sie stehe nur vor den Augen Gottes, und kein
menschlicher Zeuge, außer den vertrauten Beyden, denen sie die Tiefe ihres
hingegebenen Herzens öffnete, könne das Verathmen seiner letzten Seufzer
vernehmen, rief mit schmelzender Stimme: „Meine Seele,“ rief sie dem Dominicaner
in dem schauernden Augenblicke, zu, da er seine Hand aufhob, um ihr Gewissen
loszusprechen und sie zu ihrem furchtbaren Beruf einzusegnen, – „fühlt sich
jetzt gestärkter und zu dem Hingang aus der Welt meiner Jugend bereit, nur, daß
ich aus ihr so manchen weisen Rath, so vielen Stoff zu hohen Betrachtungen in
meine einsame Armuth mitnehmen soll, ohne Ihm, der mich damit ausstattete,
dafür danken zu können – nur dies noch beklemmt mir die Brust. – Ach! findest
du nichts tadelnswürdiges in meinem Verlangen, so übernimm und berichtige,
ehrwürdiger Vater, diese Schuld meiner Erkenntlichkeit. Gott, schluchzte sie,
faltete die Hände und schlug die Augen gen Himmel, möge ihn segnen und
beglücken! Es soll mein tägliches Gebet seyn! Sage ihm dies zu meinem
Abschied.“ – „Ja, Fräulein,“ antwortete der Greis und wischte sich die Augen, „ich
will gern und gewissenhaft Ihren Auftrag ausrichten, sobald Sie mich noch
belehren wollen – an Wen?“ Betroffen staunte das reizende Geschöpf bald den
Geistlichen, bald ihre Aufseherin an. „Ach!“ erwiederte sie endlich, „bedarf es
wohl noch des Namens? – o daß doch der Meine einmal so hoch gewürdigt, solch
einem Herzen entquellen, über solche Lippen fließen möchte! – des Namens meines
Wohlthäters? – Ihres edeln Freundes – St. Sauveur?“
Und in demselben Augenblicke,
in welchem dies große Losungswort verhallte, sprengte Er, den es zur höchsten
Seligkeit eines Sterblichen berief, dessen ahndendes Herz, wie ich nun sah, so
ungestüm über meiner Hand geschlagen hatte, die Mittelthür unsrer Halle auf –
umschlang in sprachloser Herzenserschütterung die aus dem Schrecken der Ueberraschung
ohnmächtig dahin Sinkende, riß ihr den Schleyer ab und drückte wild seine
Lippen auf die ihrigen. Und in derselben Secunde flogen diesem Engel zwey
andere aus ihren Wolken zu, die der Betäubten die Schläfe bestrichen und unter
Küssen, Wimmern und den zärtlichsten Fragen – Clara, liebe Clara, kennst Du
Deine Montbasson – siehst Du denn Deine Agathe nicht? – die Erblaßte wieder ins
Leben, und, Gott im Himmel! in was für ein wahrhafteres Leben zurückriefen. Und
in derselben Minute drängten und schmiegten sich Vater und Bruder an die
unverlorene Tochter – an die gerettete Schwester, und der Mönch ging und warf
sich in abgezogener Andacht vor den Altar. Nur ich, der nicht wußte, wie ihm
geschah, der die verdeckten Kräfte nicht begriff, die in dem Augenblicke der
Entscheidung mächtig genug seyn konnten, den Schlag aufzuhalten, der über der
armen Verurtheilten schwebte, ich, dem dieselben beitzenden Tropfen, die ihm
das herbste Gefühl kurz vorher in die Augen getrieben hatte, jetzt als labender
Thau über die Wangen zitterten – ich allein blieb, in stummem Erstaunen,
unbeweglich auf einer Stelle zwischen der offenen Glasthüre stehen. Wen sollte
ich über Wunder dieser Verwandlung befragen? Von wem konnte mein Ruf, in diesem
Sturme tobender Leidenschaften, eine hörbare Antwort erwarten? Ach, diese
Seligen genossen, wie ihre Gespielen im Himmel, ihres überschwenglichen Glücks,
ohne des Neugierigen zu achten, der sich mit geblendeten Augen in das
Unerforschliche verlor. Umsonst, daß in diesem Schauspiele des Entzückens mein
spähender Blick jeder Richtung der Freundschaft, Liebe und Hoffnung
nachschlich, die sich hier aus Mienen, Küssen und abgebrochenen Worten ergaben;
denn kaum hatte meine geschäftige Einbildungskraft aus den erlauerten
Bruchstücken einen unhaltbaren Roman zusammengesetzt, so riß ihn auch meine
kältere Beurtheilung ebenso geschwind wieder ein. So schwebten meine
verworrenen Gedanken noch über die rührende Gruppe, die sie veranlaßte, als der
Dominicaner, von seinen Knien erhoben, langsam und doch unbemerkt, sich den in
ihrem Glück Versunkenen näherte; doch sobald er in ihrem Kreis stand, waren
aller Augen auf ihn, aller Ohren auf seine Worte gerichtet. „Ich sehe Sie, würdige
Verwandte der Ewigkeit,“ entwickelte sich seine rührende Anrede, „durch die
irdische Freude des Wiedersehens zu Empfindungen hingerissen, die mit diesem
der stillen Andacht geweihten Orte unverträglich seyn würden, hätte sie nicht
der letzte Wille einer frommen Gattin und Mutter herbeygerufen, entsündigt und
zu höhern Endzwecken geheiligt. Preis und Dank dem Unendlichen, daß ich diesen
Tropfen Zeit noch zu schmecken und dem Verstummen einer Sterbenden noch meine
Stimme zu leihen vermag. Ich erkenne mit Erstaunen und Demuth, daß selbst die verhallten
Pulsschläge eines längst verwesten Herzens in der großen Harmonie der Schöpfung
noch forttönen, und die ewige Liebe jenes letzte Lallen mütterlicher
Zärtlichkeit der Erhörung noch werth achtet. Möge der helldunkle Glanz dieser
Stunde, die das Stöhnen des Todes mit dem Jubel des Lebens verknüpft, sich
hienieden, o Fräulein! über alle Ihre Handlungen verbreiten! Möge Ihre
irdische Liebe sich immer, wie heute, den Gränzen einer unvergänglichen
anschließen – der Strom Ihrer Tage unter unverwelklichen Blumen
verrauschen, und Sie einst in die Arme der Verherrlichten überschiffen, die
vormals, an dem heutigen, unter den schwersten Qualen einer Gebärenden, Sie zu
dem gegenwärtigen Freudengenuß mit Erde und Himmel verband!“ Die Begeisterung
des Greises, die sich seinen Zuhörern wundersam mittheilte, spannte seine und
ihre Kräfte bis zur Erschöpfung. Unsere hochklopfenden Herzen arbeiteten wie
Gewitterwolken; auch kam ihnen die Natur wie jenen zu Hülfe, und ein Erguß von
Zähren entlud sie des Feuers, das in ihrem Innern loderte. Sie rieselten über
den schneeweißen Bart des ehrwürdigen Mönchs und senkten sich wie Morgenthau,
der welkende Lilien aufrichtet, sanft auf jede weibliche Brust, die hier in der
seligsten Erleichterung an den ängstlichen Schleyer andrang. O Eduard,
welche Sabbatsfeyer. Sobald sich der Redner gefaßt hatte, ging er in milderem
Tone fort: „Sie, würdige gehorsame Tochter, haben nun das Recht errungen, sich
und den Mann zu belohnen, der Ihr Herz und Ihren Verstand bildete, und, Sie
längst unaussprechlich liebend, dennoch Muth genug hatte, sein Geheimniß bis
zur Aufklärung des Ihrigen – bis zu dem gegenwärtigen festlichen Augenblicke,
dem er zitternd entgegensah, zu bewahren. Sie überwanden Menschenfurcht,
weibliche Schüchternheit und trügenden Schein in der großen Entscheidungsstunde
Ihres Schicksals – nannten den Nahmen des Erwählten, und indem Sie ihm auf ewig
zu entsagen glaubten – o wie vergilt Ihnen der Gott der Wahrheit den Kampf
Ihrer edeln Seele! – fesselten Sie den Glücklichen mit Banden an sich, die
weder Zeit noch Ewigkeit zerreißen wird.“ – So rührend auch die
Herzlichkeit war, in der dem frommen Alten diese Worte entflossen, so ward es
doch seine Rede noch mehr, als er sein freundliches Gesicht von der schönen
Verlobten ab, unerwartet für uns alle, gegen den Bruder wendete, der trauernd
und blaß seinem Vater zur Seite stand. „Oh, wie hat der Allgütige“, rief er, „meinen
kurzen Hinweg zum Grabe mit Spatrosen bestreut! Sohn meiner verklärten
Freundin! So lange mir mein Eydschwur die Zunge noch band, lag es nicht in
meiner Gewalt, die Leiden Ihrer Unschuld zu endigen, Ihre hohe Tugend gegen
ungerechten Verdacht in Schutz zu nehmen, und den nagenden Gram Ihrer Seele zu
mildern. Alles peinlichen Zwanges endlich entbunden, vernehme jetzt jedermann
aus meinem Munde, daß der großmüthige Jüngling, taub für jede Lockung des
Eigennutzes, selbst der mütterlichen Prüfung nicht unterlag. Ernstere
Verordnungen, die erst heute Kraft erhalten, die vorhergegangenen scheinbaren
aufzuheben, würden ihn für den Mißgriff seiner Selbstsucht bestraft haben, wenn
er nicht, in Uebereinstimmung mit der zärtlichen Hoffnung seiner redlichen
Mutter, schon vorlängst ihrem blendenden Vermächtnisse entsagt, und es dem
Kloster zugeeignet hätte, das seine geliebte Schwester zum Aufenthalte wählen
würde. Diese für das Andenken an den Edelmuth und die Bruderliebe des
Ausstellers feststehende Urkunde erwartet jedoch, um als Schenkungsbrief gültig
zu werden, annoch die freye Einwilligung derjenigen, die von nun an über jede fromme
Anwendung ihres Erbtheils allein zu verordnen hat.“ Eine sonderbare Erwartung,
dachte, und warum, seufzte ich, muß doch der gute Mann, dessen Kutte ich bis
jetzt auf das toleranteste übersah, sie mir, mitten in seinem rührenden
Vortrage, so ärgerlich unter die Augen rücken? Doch nöthigte er mich, sie aufs
neue zu übersehen, als er in dem überzeugendsten Tone fortfuhr: „Verschwunden
ist nun der Irrthum, der auch Sie täuschte, tugendhafte Montbasson –
verschwunden das Blendwerk vieler Jahre, das Sie, alle um mich Versammelte,
durch rauhe unbekannte Wege führte, um Ihre Blicke am Ende mit der herrlichsten
Aussicht, die sich aus diesem Leben in jenes verliert, zu überraschen. Der
Lohn, meine würdigen Freunde und Freundinnen – indem er zwey versiegelte Päckchen
hervorzog, das eine der Tochter, das andere dem Sohne überreichte – der Lohn
Ihrer Beharrlichkeit in der Tugend – die glückliche Beendigung meines Auftrags
– die Beweise desselben und die Erfüllung so vieler ineinander greifender
Wünsche, liegen nun in Ihren Händen, und werden Ihnen herzerhebender
zusprechen, als ein hinfälliger Greis es vermag.“ Welch ein freudiges
Erschrecken ergriff nicht beyde Geschwister, als sie die mütterlichen Handzüge
erblickten – die Aufschrift an meine gute Clara – an meinen geliebten Ferdinand
lasen, und jene zärtlichen Töne aus ihrer Kindheit wieder zurückschallen
hörten. Wie vermischte sich nicht Vergnügen und Wehmuth in ihren Gesichtern,
als sie die Siegel des Umschlags erbrachen und jedem das Bild seiner Mutter und
ein Brief von ihr in die Hand fiel. Welches Herz hätte beym Anblick der guten
Kinder ungerührt bleiben können, die jetzt in einer langen Umarmung das
Andenken der Abgeschiedenen feyerten – dann zu den Stufen des Altars eilten, um
bey der Andacht, mit der sie sich nun in die heilige Urkunde vertieften, keinen
andern Zeugen zu haben, als die Gebenedeyte, die, von Guido Rheni gemalt,
freundlich auf die Lesenden herabblickte. Keines von uns übrigen wagte durch
einen Laut die heilige Stille, die uns umgab, und den Nachklang aus dem
mütterlichen Grabe zu stören, der an die beyden schön verschwisterten Seelen
anschlug. Dafür erhoben sich aller Herzen auf das froheste mit ihnen, als sie
zu unserm Kreis zurückeilten, und sich nun Sohn und Tochter dem glücklichen
Vater zu Füßen warfen. Ihre trunkenen Blicke mußten für sie sprechen. Sie
hatten einen Fund in der mütterlichen Zuschrift gethan, einen goldenen
Fingerring, der sich von selbst verständlich machte und den sie ihm
entgegenhielten; aber Er, der ebenso vergebens nach Worten rang, blickte gen
Himmel, umarmte – und mit bethränten Augen verwies er seine Kinder auf den
Boten Gottes, der ihre Aufmerksamkeit zu fodern schien. „Clara,“ rief der
Mönch, „Sie haben des Vaters, der Mutter und den Segen Gottes aus meinem Munde
zu dem Uebergange aus dem jungfräulichen in den ehlichen Stand, und so folgen
Sie denn Ihrem großen Beruf.“ Freudig gehorchend reichte jetzt das liebe Kind
den goldenen Reif ihrem Auserwählten, der ihn entzückter als ein Eroberer die
Krone eines Welttheils empfing. – „Und Sie, trefflicher Jüngling,“ fuhr der
Redner gegen den Bruder fort, „der Sie den Gegenstand Ihrer Liebe auf immer für
verloren hielten, als er Ihnen am gesichertsten war – lesen Sie in den Blicken
Ihrer Freundin Ihr längst verdientes, nur verzögertes Glück, das von heute an
alle Ihre Lebensstunden begleiten wird.“ Und die Edle ergriff mit ihrer Linken
die Hand der Schwester – reichte die Rechte dem Bruder, blickte auf zum Himmel,
als ob sie von der Mutter ihres Geliebten einen beyfälligen Wink auf den ersten
Kuß der Belohnung herabziehen wollte, den sie mit bebenden Lippen den noch
bebendern des als Bruder und Sohn gerechtfertigten Mannes aufdrückte, und nun
mit heiterer offener Stirne das dem Grabe abgewonnene Kleinod aus seinen Händen
nahm. Wäre in dieser feyerlichen Minute aus der obern Sphäre ein Halleluja, vom
Harfenklange der Engel begleitet, in diesen Tempel gedrungen – ich würde es
ohne Erstaunen gehört, für kein Wunder gehalten haben.
Welch ein Strom unnennbarer
Empfindungen mußte nicht jetzt diese beseligten Herzen durchbrausen, da selbst
das meine in Gefühlen strudelte, die es zuvor noch nie erfahren, nie geahndet
hatte. Der frohen Theilnahme an diesem herrlichen Schauspiele stiegen
verstohlene Wünsche, tief geschöpfte Seufzer nach, die sich so hoch noch nie
gewagt hatten. Noch nie war mir die Liebe und ihr größtes Los – eheliches Glück
– in diesem Glanze erschienen, und nie hatte ich mich verlassener gefühlt als
in dieser laufenden Stunde. Im Drange mir so neuer Wallungen war mir daher wie
einem Durstigen zu Muthe, dem von fern in der Einöde ein rieselnder Quell
schimmert, als meine bis jetzt zerstreuten Gedanken sich auf Agathen hefteten.
Ich überstaunte die holde Gestalt mit einem Feuer, das alle meine Sinne zu
verschmelzen drohte, und wie sehnte ich mich, daß nur einer ihrer liebenden
Blicke sich auf mich Armen verirren möchte, die sie einzig ihrer Busenfreundin
zuschickte.
„Die sinkende Sonne – riß jetzt der Mönch uns alle aus unserer süßen Betäubung
– ziehe ihre letzten Strahlen als Krone über dies große gemeinschaftliche Fest.
Fräulein von St. Aignan, Herr von St. Sauveur – ich rufe – als Priester
dieses Heiligthums – rufe ich Sie beyde Verlobte, und in gleicher Eigenschaft
auch Sie auf, Herr von St. Aignan, Prinzessin von Montbasson, mir an die
Stätte unsrer Anbetung des Allsehenden, Unerforschlichen und Gnädigen zum
Empfang der heiligen Weihe Ihrer Verbindung zu folgen.“ Er schwieg – ein wehmüthig
zärtliches Lächeln durchflog die erröthenden Wangen der Aufgerufenen. Ihre
feuchten Augen, zitternden Hände und gleichgestimmten Seelen begegneten sich,
und in geschlossener Reihe traten sie dem ehrwürdigen Priester nach. Und als er
nun vor dem Altare stand, beugte er dreymal sein graues Haupt über die
gefalteten Hände, wendete sich darauf in dem Glanze seines Alters gegen die
frommen, gehorsamen Kinder, sprach in rührendem Ton über jedes Paar das Gebet
der Trauung, legte seine beyden Hände auf ihre Stirne und segnete sie. Und die
zur Ehe geweihten fielen auf ihre Knie und erhoben in sprachloser Andacht ihre
Blicke zu der Madonna, dem Sinnbilde hoher weiblicher Würde, das von dem
Schimmer der Abendsonne geröthet auf die Gruppe der Betenden herrlich
zurückglänzte. Eine Stufe niedriger waren Clarens Vater und ihre Erzieherin,
und an der Seite Agathens auch ich niedergefallen. Mein stilles Gebet schwebte
in seliger Seelenvereinigung mit dem ihrigen empor. Ich erhob, wie sie, –
o Eduard, wie würde ich mich gestern zu Cotignac dessen geschämt haben –
Augen und Hände zu der unbefleckten Jungfrau, und hoffte unter heißen Thränen –
nenne es Verirrung, nenne es Schwäche meines Verstandes – aber hingerissen von
unwiderstehlichen Empfindungen hoffte ich ihre Fürbitte bey Gott für den Besitz
des lieben Kindes neben mir zu erflehen, dessen schmachtende Augen, in
Betrachtung vertieft, der Seelengröße nachzueifern schienen, die Guido seinem
göttlichen Ideal angeprägt hatte. Freude und Wünsche umrauschten die
Vermählten, als sie von den Stufen des Altars herabstiegen, und ach! ich wähnte
die Umarmung zweyer Verklärter zu sehen, als Agathe Claren an ihre Brust
drückte. Der Mönch, nach einigen leisen Worten mit dem Vater, grüßte uns alle
und entfernte sich. Der Kirchner öffnete eine Seitenthür der Kapelle. Eine
Wendeltreppe leitete uns nach einem gewölbten Gange, in welchen wir Paar für
Paar eintraten. Zu einer andern Zeit würden seine gothischen Fenster von
farbigem Glas meine volle Aufmerksamkeit angezogen haben; aber ich führte
Agathen, und wäre der Boden mit meiner Scheiben=Sammlung belegt gewesen, ihre
Zertrümmerung hätte mich doch, glaube ich, nicht aus dem stolzen Tact meiner
Tritte gebracht. Als wir an das Portal kamen, hob Clara die Hand ihres Befreyers
an die Stirn und blickte, wie wir, mit Wohlbehagen noch einmal auf das düstere
Gemäuer zurück, das wir verließen, indem die beyden Flügel der Klosterpforte
aufflogen – und wie ich mir denke, daß es seyn wird, wenn am Tage der
Auferstehung die Gräber sich öffnen – wir aus ihrer Finsterniß hervor hinüber
in die Verklärung treten und einander zujauchzen: Wo bin ich? Wo bin ich? – so,
Eduard, war uns in dem Augenblicke des Austritts zu Muthe – denn wir standen –
und unsere Gedanken verloren – unsere Begriffe vermengten, und alle unsre Sinne
empörten sich – wie durch Gottes Finger berührt und in das innere Heiligthum
seiner Größe versetzt, standen wir mit hinstrebenden Augen, wankenden Füßen und
aufgehobenen betenden Händen vor dem überwältigenden Schauspiele, das ich dir
letzthin mit ebenso schwachen Worten, als diese, zu versinnlichen suchte, vor
dem hinunterwallenden brennenden Balle der Sonne, sahen erstaunend jenes Thal
der Unschuld und Freude, unter dem dunkelblauen Ueberhange des Abends, wie ein
Kind der Liebe der mütterlichen Natur in dem Schoos liegen. Das Wunder dieser
Erscheinung wirkte gleich einem heftigen Fieber auf diejenigen, die es zum
erstenmal erblickten. Fest an einander gedrängt flammten ihre Augen, klopften
ihre Herzen im Einklang – und jede Brust schmiegte sich an die andere, aber sie
alle genossen des Erstaunens wie Kinder, ohne zu fragen. Mich allein belehrte
die Erinnerung. Ich erkannte die Sonne, die ich besang – das Thal, dem ich
schon so viele Freuden verdanke – den Landsitz meines Freundes – den Felsen
meiner Wiedergeburt, und ward bald überzeugt, daß der Balcon, von dem wir herabsahen,
über dem Eingange des Steinbruchs schwebe, an dem, wie Du weißt, meine Baukunst
so erbärmlich scheiterte – aber Gott im Himmel! durch welche Rätsel hängt dies
alles mit dem Kloster – den Urselinerinnen und der Feengeschichte Clarens und
ihres Bruders zusammen? O du Schöpfer unnennbarer Empfindungen, theurer
romantischer St. Sauveur! welche Kräfte standen hier deinem Systeme zu Gebote,
und wie unwiderleglich hast Du nicht heute seine ganze Schönheit entfaltet!
Seine Augen hatten schon lange in stillem Seelengenusse an den süßen
begeisterten Blicken des holden Kindes gesaugt, das in sich selbst vertieft mit
schwellendem Busen in das magische Spiel des schwindenden Tages hinstaunte, ehe
er dem noch größern Entzücken nachgab, das theuer errungene Geschöpf in die
Arme schloß und sein volles Herz sprechen ließ: „Hier, Clara – hier in diesem
Prachttempel der Natur wollen wir, fern von Klöstern und ihren Frömmlern, ein thätiges
– und dem, der uns einander geschenkt hat – wohlgefälliges Leben genießen. Alles,
was du heute gesehen, gefürchtet und erfahren hast, war Täuschung – nur die
erhörten Wünsche Deiner sterbenden Mutter – der Auftrag des redlichen Mönchs –
nur meine Liebe, meine langgenährte unaussprechliche Liebe waren es nicht. Was
Du als verloren dahingabst, ist Dein Eigenthum geworden. Nur für den Einklang,
für den Austausch unserer Herzen habe ich diesen Felsen gehöhlt, und der erste
Segen Gottes, der in dieser Halle von seinem Diener gesprochen ward, fiel auf Dein
Haupt. Unter allen Altären zur Ehre Gottes, wo in der weiten Welt ward ihm, als
in dieser Kluft, einer errichtet, der seiner würdiger wäre? Wo ist je einer
geschmückter gewesen, als dieser durch die Blüthen Deines kindlich=gehorsamen,
frommen und edlen Herzens? Ewigen Dank, theures Weib, für das Wort der Liebe
und Weihe, das ihm entquoll. Es müsse mich einst vor dem Throne Gottes
verklagen, wenn ich je des Wohlklangs vergessen könnte, mit dem es an das
meinige anschlug. Ich habe dich errungen. Kann ich wohl seliger werden?“
– – Unter welcher zarten weiblichen Erschütterung folgte nicht das holde
Mädchen dem Strome dieser Worte! Nur Seufzer der innigsten Freude unterbrachen
seine Rede, und heilige Thränen belohnten den geliebten Schwärmer. Seine Seele
brauchte Erholung. Sie ruhte aus auf der Höhe ihres Entzückens, dann stieg sie
erleichtert, sanft und freundlich zu dem niedern Zirkel herunter, der im Stillen
ihrem Auffluge nachblickte. „Vergib mir,“ wendete er sich zuerst an Agathen,
„die lange Angst, der ich Dich am Eingange eines ewigen Kerkers aussetzte. Der
heutige Festtag führt Dich der freyen Luft, der Natur und der treusten Freundschaft
zurück. Vater meiner Clara und auch Sie, vortreffliche Frau, die sie nur erzog
– habt Dank, Ihr guten Menschen, für das große Geschenk, das Ihr meiner Liebe
aufhobt. – O dieser einzige Abend! Welch einen edeln und glücklichen Zirkel
umspannt er nicht!“ St. Aignan, für jede Teilnahme an Anderen – nur in den
Blicken seiner Montbasson verloren, bemerkte nicht einmal, mit welchem feinen
Gefühl ihn sein freundschaftlicher Schwager überging und seine Hand mir
reichte. „Guter, stolzer Berliner, kam er mir entgegen, wie kützelt es mich,
daß auch Du Zeuge des Glücks eines Franzmanns in der schwürigsten Eroberung –
und“ – setzte er lächelnd hinzu – „auch der Wahrheit seiner Ueberraschungstheorie
seyn konntest.“ – „Meinen ganzen Beifall,“ stammelte ich, und drückte thränend
ihn an mein gepreßtes Herz. Seine trauliche Ansprache und Umarmung zog mich,
als hätte mir unser Monarch das Band des Verdienstes umgehangen, auf einmal aus
meiner Dunkelheit hervor. Clara erinnerte sich unseres nächtlichen
Spazierganges mit bedeutenden Winken. Ihre Erzieherin bot mir ihre Dose, und
Agathe von selbst ihren Arm, als die Gesellschaft ihren hohen Standpunkt
verließ. Während schon die Abendröthe zu verblassen anfing, leitete uns der
liebe Mann eine versteckte Treppe herab, durch schlängelnde Akaziengänge des
Parks, seinem Wohnsitze zu. Ich bemerkte, so für mich, daß wir uns doch ein
wenig über die Zeit mit unsern Entzückungen auf dem Balcon verweilt hätten,
denn ich konnte kaum Agathens Gesichtchen mehr erkennen – aber wie schnell
verstummte meine Critik, als mir beym Austritt aus dem düstern Gebüsche das
Schloß unsers Anführers mit tausend bunten Lampen, wie mit Diamanten behängt,
entgegenstrahlte. Ein neuer überraschender Anblick, jedoch nur wenige Minuten.
Wir huldigten nur so lange der Pracht und der Kunst, bis sie uns selbst an die
schönere Natur und durch eine vortretende Inschrift über dem Eingange an das
dreyfache Fest der Geburt – der Erlösung und der anbrechenden Vollendung des
gefeyerten Mädchens erinnerten. Unsre geblendeten Augen, alle zugleich, wie
durch den Druck einer Feder, auf die Einzige gerichtet, erfaßten, umschlangen
und entwickelten nun die schlanke, holde, siebzehnjährige Gestalt – Die
Bebungen des durch die kleinsten Fältchen ihres sittsamen Nonnengewandes
spielenden Lichts setzten ihre Schönheit in einen so ätherischen Schimmer und
uns alle in eine so optische Täuschung, daß in einer Art taumelnder Erwartung:
jetzt werde Sie der Erde entschweben, eine Zunge der andern den Ausruf abnahm:
Welch ein Mädchen – welch ein überirdisches Mädchen! Ach, sie ist zum Engel
geboren. Spotte nicht etwan, guter Freund, meiner enthusiastischen Schilderung!
Niemand fühlt die Anstrengung der ohnmächtigen Sprache lebhafter als ich; aber
ich kämpfe hier so vergebens mit Worten, wie Raphael bey dem letzten Gemälde
seiner Hand mit den Farben: denn welcher Sterbliche vermag das Ideal einer
Verklärung zu erreichen? Während dieses Vollgenusses des Gesichts schienen
meine vier übrigen Sinne wie in dem tiefsten Schlafe versunken, aber nur zu
bald wurden auch sie berührt, erweckt und in die Bezauberung des ersten
verflochten; denn als wir auf einen Wink des Gebieters Hand in Hand uns seinem
Tempel näherten, die Thüren zwischen flammenden Säulen aufflogen, – Rosenduft
unseren Geruchsnerven – Töne der Harmonica unserm Gehör entgegenschwammen –
zwölf gaukelnde Genien uns zum Hochzeitmahl einluden – da wußte wahrlich kein
Sinn mehr, welcher, in dieser allgemeinen Befriedigung, der glücklichste sey.
Wir würden uns gern für Geister gehalten haben, hätte nicht der eintretende
Hunger, als wenn er von einer langen Reise zurückkäme, seine vergeßlichen
Freunde belehrt, daß sie ihm noch unterthan und auch heute nichts mehr als sehr
glücklich versorgte Menschen wären! Wollte ich Dir jetzt erzählen, daß wir uns
setzten, aßen und tranken, bis wir satt waren – so könnte meine Beredtsamkeit
den Stuhl, den ich einnahm, noch so elastisch polstern – die Tafel, die vor mir
stand, noch so reich besetzen – meinem Gaumen sogar alle die Gerechtigkeit
erweisen, die man ihm unter den Schlemmern zugesteht, und ich würde Dir doch
nur am Ende nichts als eine alberne Wahrheit gesagt haben. Dafür bewahre mich die
Harmonie des Ganzen, die dieß hochzeitliche Mahl vor allen und jeden, die mir
in meinem Leben Langeweile gemacht haben, auszeichnete. Ich weiß dich besser zu
schätzen. Die psychologischen, moralischen, metaphysischen Erfahrungen, die ich
während diesem Vorspiele der geheimnißvollen Nacht mir und andern Gästen
abnahm, und die ich Dir so unbefangen mitzutheilen verspreche, als ich sie
erhielt, sind, hoffe ich, Deiner Aufmerksamkeit schon eher werth. Wenn sie Dich
so gut als mich überzeugen, daß in der Natur nichts in so naher Verwandschaft
steht, als ungewöhnliche Gerichte mit neuen Gedanken, wenn Du nebenbey meinen
innern Menschen auf Schleichwegen der Sinnlichkeit, die Deiner Metaphysik noch
unbekann waren, ertappst, so habe ich gewonnen, was ich wünschte. Ich könnte
ein Buch über meine stillen Tafelbemerkungen drucken lassen; aber ich würde es
nie thun, da ich weiß, daß in unsern lesesüchtigen Zeiten keines mehr, wenn es
nur von außen nicht schmutzig aussieht, der Neugier unsrer Schönen entgeht, und
ich keine Verräthereyen an meinem Geschlechte begehen mag, die es in den Augen
des ihrigen nur noch mehr herabsetzen würden, als es ohnehin schon steht. Vor
einem so verwünschten Zufalle schützt mich, zum Glück, das geheime Fach in
Deinem Schreibpulte. Das beruhigt mich.
Die vermuthliche Pracht des Saals, in den wir traten – zeigt mir erst jetzt
mein Nachdenken – ist über der runden Tafel in seinem Centrum, die mich
ungleich mehr anzog, ganz von mir übersehen worden. In ihrer Mitte – wie wäre
es möglich gewesen anderwärts wohin zu blicken? – erhob sich, aus dem reinsten
Alabaster geformt, Amor und Psyche, in der lebendigsten, aber zugleich in einer
so behuthsamen Darstellung, daß sowohl der männliche Blick an ihre – als das
weibliche Auge an seine Göttergestalt, unbeleidigt bis zu dem Kusse beyder hold
verschlungenen hinanstieg. Die einzige Schwierigkeit war nur von dieser kleinen
empfindsamen Reise ohne die Sehnsucht zurückzukommen, das schöne Beyspiel
nachzuahmen. Wir alle unterlagen der ersten Regung, Einstimmig mit dem Gefühl des
Andern, begegnete sich Auge um Auge, drückte sich Mund auf Mund. Ehrenvoller
hat wohl nie die Natur der Kunst gehuldigt. O des trefflichen Bildners, der
einem Steine diese gebietende Macht zu geben verstand! Dreymal gepriesen seyst
Du mir! denn Deinem Amor verdanke ich, daß Agathens Lippen die meinen
berührten. O daß von meinem, in dieser seligen Minute entflammten Herzen ein
Fünkchen in das ihre geflogen wäre – dann hätte mir der kleine Heidengott
weiter geholfen, als das Wunderbild der Maria in jenem romantischen Felsen! An
diesen sehr erlaubten Wunsch, mit dem ich nun, zwischen ihr und der alten
Gouvernante, meinen Platz nahm, reihten sich nach und nach, bey jeder neuen
Schüssel, die man auftrug, jene zufälligen Gedanken und Betrachtungen an, die
ich für Dich bey Seite legte, und die mir am Ende des Mahls – nachdem alles für
meinen Genuß dahin war – so systematisch vorkam, daß ich selbst darüber
erstaunte. Und nun weiter keine falsche Zeile – wenn sie sich nicht etwan
ungebeten einschleicht – über ein Fest von so hohem poetischen Werthe. Der
Eingang meines Selbstgesprächs entwickelte sich von selbst nach einem Blicke,
den ich in die unschuldigen Augen der dem Noviciat entronnenen Schöne gethan
hatte. Die folgenden minder sittsamen, aber desto philosophischern Stellen
meines Gedankenspiels hatten freylich keinen so lautern Ursprung – aber sollte
ich denn in einem fort dem guten Mädchen ins Gesicht sehen, um Elegien zu
dichten? Da hätte die Tafel ganz anders eingerichtet seyn müssen. – Wer – hob
meine Schwärmerey an,
Wer ein holdseliges Weib durch Lieb´ und Achtung errungen,
Blickt
von dem Gipfel herab des schönsten irdischen Guts,
Und
steht dem Heros weit vor, der fünfzig Jungfern bezwungen:
Er
hat nicht männlich geliebt, er hat nur thierisch verschlungen,
Erregt
nur Schaudern und bleibt ein Bild verächtlichen Muths.
Mehr
Kraft des Geists als des Beins sey unserm Hymen bedungen,
Der
Brautkranz hefte verwelkt, dem heißen Zweykampf entschwungen,
Zur
Bürgerkrone erhöht, sich an die Krempe des Huts.
Statt
jenes albernen Lieds, an Euern Wiegen gesungen:
Dem
Vater gliche der Sohn wie aus den Augen gesprungen,
Kläng´
es nicht klüger? – Ihr fängt – (wär´s auch im Zweifel – was thut´s?)
Es
sey ein Strahl des Genies aus dem Gehirne des jungen
Belohnten
Freundes der Braut in den Entsproßnen gedrungen:
Die
Tugend Alfreds *) vielleicht, vielleicht die Kühnheit Canuts **),
Obschon
dem Klügsten sogar dies Kunststück selten gelungen,
Drang,
vor dem großen Geschäft, durch das Vehikel der Zungen
Ihm
nicht ein Löwengefühl in die Behälter des Bluts.
Dies
zieh´n, mit gutem Erfolg, die beyden Helden des Festes
Mehr
als das Bildungssystem der neuern Zeit in Betracht.
Als
Grubenlicht steigt es herauf aus dem verfallnen Schacht
Der
kritisch reinen Vernunft, doch, wie gewöhnlich, verläßt es
Auch
Sie, gleich einem Spion in dem Getümmel der Schlacht,
In
dreyßig Reitzen vertieft, die Nevisanus ***) in Acht
Zu
nehmen freundlich empfiehlt, sorgt Plato noch für ihr Bestes,
Indem
in ihrem Gehirn sein altes Dreyeck erwacht,
Die
eine Seele, die hier die erste Linie macht,
(Berechnet
heimlich ihr Stolz) sey aus den Heiligen Nestes
Gewalt,
der zweyten, durch Sturm vereits zur Seite gebracht,
Und
schnell – ja schneller, als Sie sich die Erstürmung des Restes
Zum
Aufriß auch der dritten gedacht –
Entsteigt
dies Delta dem Thal, das nur ein Giton verlacht,
Umgaukelt
Irrwischen gleich in dem Gefächel des Westes
Der
Seher Augen, und hängt zuletzt noch heller gefacht
Ein
wahres Freymaurerlicht sich an die Loge der Nacht.
Tief
in dem Busen indeß der beyden Huldinnen hämmert,
In
frommer Hülle gezwängt, die seine Höhen verdämmert,
Das
blinde Schrecken noch fort, das ihn seit kurzem durchfuhr.
Ihr
blaues Auge (wenn nicht der Schein das meine betrüget)
Spielt
schillernd über ihn hin, so wie des Himmels Lasur
Von
fern das Felsengestad der Freundschaftsinseln umschmieget.
Vergebens
grübeln sie nach, welch´ eine Folge doch nur
Von
höherm Wohlstand für ihn in dem erlassenen Schwur
Der
Keuschheit und des Gelübd´s, ihn zu verheimlichen, lieget.
Sie
überschwindeln vor Angst die angewiesene Spur
Der
Liebe, glauben sich bald von einem Prior gewieget,
Und
bald, wie Psyche, verklemmt an Amors Marmorfigur;
Erhöh´n
zum Satanas ihn, der einen Seraph bekrieget,
Und
beten heimlich zu Gott für die bedrängte Clausur.
Inzwischen
nahet die Zeit, die manchen Scrupel besieget,
Die
Sterne flimmern, es flüstert die Flur,
Puls,
Mond und Abendgeläut, sogar das Picken der Uhr
Weckt
die Erinnerung auf, wie bald die Jugend verflieget.
Doch
noch geschwinder, als Wachs in heißen Dämpfen sich bieget,
Erweicht
die Kochkunst ihr Herz nach dem Bedarf der Natur.
Wer
mag es läugnen? Sie ist´s, der auch die schläfrigsten Geister
Entgegenträumen
– Sie ist´s, die jedes Dunkel erhellt.
Schwebt
sie als Schutzgöttin nicht um unsers Friedrichs Gezelt
Im
Kreis der Musen? und fühlt er nicht des Mittags sich dreuster
Als
nach dem Morgengebet? Hat diese Feder der Welt
Sein
deutsches Herz nicht schon oft durch Frankreichs Brühen u. Kleister
Zum
Kampf mit seinen Apolls und seinen Cäsars geschwellt? –
Und
o! wie weise hat sie auch uns´re Tafel bestellt,
Und
rund um Amors Altar drey kostverständige Meister
Zu
dreyen hungrigen Kindern gesellt!
Ich
prologire hier nicht nach dem System der Hyäne
Und
ihres groben zermalmenden Zahns.
Ob
dies Banket schon verdient, daß ich es dankend erwähne,
Preis
ich doch mehr noch den Sinn des hochzeitmäßigen Plans.
Denn
kein Gerippe kam hier an einer fas´rigen Sehne,
Kein
Trümmer eines verklärten Organs
Der
feinen Zung´ in den Weg, und keine weibliche Thräne
Fiel
auf die Knöchel des Abelardischen Hahns.
Leicht
und entkräftet durchfloß die weißen Klippen der Zähne
Der
Goldbarsch ****), Argus *****) und Thon ******) mit der antiken Muräne
Auf
süßen Mundwein des persischen Chans.
Bedient
von Sylphen, was fehlt wohl unsrer Sättigungsscene
Zum
Prunkgelag eines Feen=Romans?
Die
Ihr berufen euch dünkt, das Glück der Schmecker zu lästern,
Mit
Rosenkränzen am Stuhl des Oberpriesters geschraubt,
Von
Hülsenfrüchten gebläht, euch Gottgefälliger glaubt,
O!
warum hat nicht der Probst der neun barmherzigen Schwestern,
Der
keuschen Musen ehrwürdiges Haupt,
Euch
Sitz und Stimme, wie mir, bey diesem Nachtmahl erlaubt?
Ich
wett´ – ein einziges Ey, als hier aus indischen Nestern
Ein
ganzes Dutzend mir winkt, braun mit Vanille bestaubt,
Wäg´
alles Bettelbrod auf, um das ihr Arme beraubt.
Ihr
Blöden, lernt Ihr denn nie die Macht der Küchen und Keller
Auf
Menschenherzen verstehn? Hat nicht ein Schiffskoch oft heller
Auf
blinde Heiden gewirkt und mehr Pagoden gestürzt,
Als
alle Meister der Welt, die Zweifelsknoten geschürzt?
Dein
Trio lieblich dem Ohr, wie Löffler, Süßmilch und Teller,
Gleich
einem ländlichen Schmauß, den Frühlingsblumen gewürzt,
Zög´
leicht mehr Jünger herbey, und hätte, glaub´ ich, wohl schneller,
Als
Frank´s Episteln vordem, trotz ihrer klugen Besteller,
Den
Weg von Trankebar aus zum dritten Himmel verkürzt.
So
setzt die Kost der Natur die Prachtgericht´ in den Schatten,
Und
unsre Augen auch hier durch gleiche Wunder in Brand.
Zieht
nicht des Vaters Geschenk bis diesen Abend auf Sand
Des
Meers in Felsen verzwängt, zieht jener Hügel von Datten
Nicht
dunkel über den Tisch wie Nonnen über ein Land?
Beym
Daseyn ohne Gefühl, ohn´ allen frohen Verband
Mit
Mond und Sonne, mit Freunden und Gatten,
Bleibt
zwar dies arme Gewürm in seines Lebens Ermatten
Gleich
der verschleyerten Schaar mit meinem Mitleid verwandt.
Doch
diesmal kam es zu gut dem Drang des Hungers zu statten,
Als
daß es leibliche Ruh in unsrer Nachbarschaft fand.
Geschickt
wie Söhne des Mars, wenn ihre frevelnde Hand
Novizen=Zellen
erbricht, erbrachen wir, suchten und hatten
Wir
bald die Scheuen erreicht, und keine über den Rand
Des
Munds geschwenket, die nicht die letzte Probe bestand.
Was
gleicht dem Meer wie die Welt! In jedem lebenden Tropfen
Der
Austern schien so vergnügt, als sie die Gurgel verschlang,
Ein
Herz *******), ein weibliches Herz, das mit der Schaale noch rang,
Statt
sich zu sperren, der Hand sogleicht entgegen zu klopfen,
Der,
im Gedränge darnach, die Kunst des Vorgriffs gelang.
So
schwelgten träumend wir fort bis zu dem folgenden Gang,
Der,
wie ein Rittertournier, um uns die Mäuler zu stopfen,
Die
zarte simple Natur von ihrem Platze verdrang.
Ein
ernster Herold voran, gefolgt von dienenden Sylphen,
Besorget
Ordnung und Rang, weist an, beschränkt und vereint
Die
edle Kaste der Herrn von Bergen, Rieden und Schilfen,
Gleich
der, die fest und gestreng, doch nicht so böse gemeint,
Mit
Knappen grau wie Saturn, und andern wackern Gehülfen
Zuweilen
arglos am Hof bey einem Landtag erscheint.
Nur
muthe niemand mir zu, trotz meines Vorzugs im Schmecken,
Aus
seinem Harnisch hervor den innern Mann zu erspähn.
Dem
Noa selbst biet´ ich Trotz, der doch die Stammherrn dem Schrecken
Des
Untersinkens entriß, der Enkel Gruß zu verstehn,
Die
jetzt mit offenem Helm, beschwert mit Panzern und Decken,
Wie
Butter auf der Zunge vergehn.
Doch,
daß ich Rang und Verdienst nicht durcheinander verschiebe,
Zieh´
ich die Finger zurück und lass` den Gästen die Wahl.
Gnug,
dieß Heroengeschlecht paßt für ein hochzeitlich Mahl
Vortrefflich,
weckt und erwärmt der Vorzeit glückliche Triebe,
Und
außer eh´lichem Bund und ebenbürtiger Liebe
Kennt
es so wenig, als ich, vom Plato mehr als die Zahl,
Die
er zum Dreyeck verschob und zu berechnen empfahl.
Doch
bey der Schüsseln Gedräng tritt jeder Zufluß mir bänger
Für
meine Rolle ans Herz, und Komus mag mir verzeihn,
Ich
übertrage zwar gern, nur nicht aus Küchenlatein,
Das
Lachen, das er erregt. Mein Genius weigert sich, länger
In
Sieden, Braten und Fricassiren allein,
So
sehr das Beyspiel auch reitzt, dem blinden Iliassänger
Und
seinen Beleuchtern ähnlich zu seyn.
Drum
führe Helios mich, der nur von Blumengerüchen
Umschwebt,
Pomonen besucht, schnell durch den Nebel der Küchen
In
die Verzäunung des Nachtisches ein!
Hier
seh` ich, wie die Natur in ihrem Bildungsgeschäfte
Mit
unbefangener Hand den größten Endzweck erreicht,
Und
ohne Hülfe des Kochs und seiner gährenden Säfte
Durch
Täuschung Leben erweckt, und die versunkensten Kräfte
So
lange zupfet und neckt, durch Furcht und Hoffnung beschleicht,
Bis
sie den streitenden Theil mit dem bestrittnen vergleicht,
Bis
sie das schlaue und dennoch ewig geäffte,
Verlockte
Mannthier zuletzt durch weiblichen Liebreitz erweicht.
Hat
sie nicht oft durch ein Haar, auf Weiberscheiteln gewonnen,
Gekrönte
Tieger bestrickt und ihr Gebiet übersponnen,
Mit
Kinderspielen den Kopf der Wahrheitsforscher gefüllt,
Und
manchem betenden Mönch, umglänzt von Sternen und Sonnen,
Statt
den verborgenen Gott, das Unsichtbare – der Nonnen
In
Zerrgemählden lebloser Wolken enthüllt?
Auch
hier – wer hätte denn wohl bey den Erinnerungszeichen
Der
Nectarfrüchte, die uns aus fernen Wundergesträuchen
Ihr
güldenes Füllhorn, so reich an Brautgeschenken, gesandt,
Den
Wink einer guten Mutter verkannt?
Wem
genügt die persische Frucht, nach ihrem zarten und weichen
Geweb´
und süßen Gehalt die Brust der Venus ********) genannt,
Den
Augen sinnlos vorbey, nur seinem Munde zu reichen,
Ohn´
ihre himmlische Form mit schönern noch zu vergleichen,
Die
er hienieden – auf seiner Wallfahrt umspannt?
Gleich
Spinnen hat die Natur uns an elektrischen Fädchen
In
jedem Marmorpallast ein liebes Hüttchen gebaut.
Wer
lächelnd neben sich blickt, schwingt immer leichter sein Rädchen,
Als
der mit gierigem Ernst in das Unendliche schaut.
Nur
durch Vergleichung schminke Dein Mädchen,
Je
schwärzer Dein Mohr, je blonder wird Deine Braut.
Die
große Wahrheit hat mit das näh´ste Körbchen vertraut.
Denn
wer – beym Anblick der zwo Magdalenen *********)
Wär
blöde genug, sich nach der größern zu sehnen,
Wenn
er die kleinre darneben erblickt?
Die
Stolze, schwerlich für nichts mit einem Namen geschmückt,
Der
nur die Büßenden ziert, zerfließt in reuigen Thränen,
Gleich
einer Opernprinzeß erweckt ihr Umfang nur Gähnen,
Und
ist, besieht man sie recht, von allen Seiten gedrückt.
Preis
sey der kleinen, die mich, wie vormals Margot, entzückt!
Sie,
niedlicher als ein Ey, das, weit davon es zu wähnen,
Ein
lauschend Vögelchen birgt, das an der Schale schon pickt,
Welch
eine herrliche Frucht! Doch leider! eine von denen,
Die
man, zum Unglück für Dich, nicht leicht ins Ausland verschickt.
Obschon
mein träumender Geist nicht ohne Sehnsucht und Wonne
Bald
ein Gewächs von der Spree mit einem an der Garonne,
Bald
Asiatischen Prunk mit deutschen Flittern verglich,
Fühlt
er doch heimlicher nie und nie gefesselter sich,
Als
da ihm – während der Sammt der unberührten Mignonne **********)
Der
Schmeicheley meiner Hand mit feinem Nachgeben wich –
Schon
wieder – Kann ich dafür? – das Ideal einer Nonne,
Und
durch Verbindung mit ihr das Bild Agathens beschlich.
Welch
Wunder eines Fantoms! zart wie aus Stäubchen der Sonne,
Hell
wie Diana bey Nacht, doch ewig Schad´, es verblich,
Als
ungefähr es ein Hauch des nahen Urbilds bestrich.
Ihr
reinen Herzen! Euch steht der Unschuld Engel zur Seiten,
Verweht
der Ahnungen Gift, die schlüpfrig über Euch gleiten
Und
Eure Würde doch scheu´n. Nur durch das Edle gerührt,
Wie
könnt´ ein Spiel der Natur, ein Nichts, ein Blick in die weiten
Gefilde
optischen Trugs Euch in die Träume verleiten,
Die
zu enträthseln allein dem wilden Jüngling gebührt.
Nur
ihn ermuntre mein Scherz in unsern eh´losen Zeiten
Den
Magdalenen vorbey sich eine Frucht zu erschreiten,
Die
der Mignonne verwandt, noch nie von Wespen erspürt,
Auf
Hymens Lager erst reift. Versteht er Zeichen zu deuten,
Welch
Glück für Augen und Herz, wenn er nach frohem Erstreiten
Sie,
frisch gebrochen vom Stamm, dem Garten Amors entführt.
Nach
diesem Probejuwel, dem Gränzstein meines Gesanges,
Zieh´
aus dem Orkus, wer mag, die voll unheiligen Dranges
Gespaltne
gelbe Granat´ an die Bestrahlung des Lichts!
Ich
eile mit der Moral zur Mangostine ***********) vom Ganges.
Ist´s
möglich, deck´ ihr Gebräm, statt jenes Feigenverhanges
Des
ersten nackenden Paars, die Blößen meines Gedichts!
Sie,
gleich der sinnlichen Lust, zerschmilzt und giebt, wie ein langes
Verträumtes
Leben, nur Schaum, und der Erinnerung Nichts,
Löscht
wilden Thieren den Durst, und kühlt die menschlichen Wildern,
Wenn
jen´ ein jagender Wolf – wenn Amor diese gehetzt.
Wär
ich ein Pseudo=Horaz, der weder nützt noch ergötzt,
Hätt´
ich statt ihrer wohl gar das Haupt von cynischen Bildern
In
der Maldivischen Nuß ************) dir vor die Augen gesetzt.
Allein
die freche Natur hat hier ein Sinnbild geätzt,
Das
keinen Nachstich erlaubt, auch hab´ ich über dies jetzt
Dir
noch ein eignes Product aus feinem Kraftmehl zu schildern:
Dem,
nach dem Landesgebrauch, als ein Orakel geschätzt,
Ein
ernster Augur bereits sein Opfermesser gewetzt.
Sein
Auge fodert Gehör, der Gäste Jauchzen zu mildern,
Und
seine Zunge, zuvor in Wein prophetisch genetzt,
Ruft
laut: Was Unschuld verbarg, erringt die Liebe zuletzt!
Nun
ward das Weihungssymbol bekränzt mit Knospen der Rose
Dem
Gastmahls Platos vereint. Ein einzel Bohnechen weilt
Verschlossen
in dem Gebäck als Bild des größten der Loose,
Das,
wenn sich´s einmal verlor, kein zweyter Festtag ereilt.
Sey
ein Gewinnst noch so klein, er liegt dem Zufall im Schooße.
Oft
wenn der Schmidt seines Glücks den Bolzen dreht und befeilt,
Der
doch am Ende nicht trifft, hat Alexander der Große
Den
Gord´schen Knoten so leicht als wie den Kuchen zertheilt.
Ein
fremder Schauer durchlief der Rose Jugendgestalten
Dem
ersten Angriff geweiht – doch der Begeisterte schritt
Schnell
zu dem Theilungsprozeß, der keine Zögerung litt,
Im
Dienst der obersten Macht das strengste Recht zu verwalten,
Das
für den Ruhm eines Paars von gleichen Ansprüchen stritt.
Ein
jeder Edle verdient das große Loos zu erhalten.
Sie
zittern beyde, doch seht, des Schicksals Räthsel entfalten
Sich
wie ein Gottesgericht. Ein Wunder leitet den Schnitt,
Es
hat ein Wunder die kleine Bohne gespalten,
Und
jede Hälfte, die nun das schöne Ganze vertritt,
Theilt´
auf des Augurs Befehl, den Dank und Jubel umschallten,
Gehorsam
sich den Erwartenden mit.
Betroffen
blickten die Freundinnen beyde
Einander
in das verfärbte Gesicht;
Sie
lächelten zwar der männlichen Freude,
Den
Sinn nur davon begriffen sie nicht.
So
saßen einmal ein paar erröthende Horen
An
Leda´s Neste vor jenem mystischen Ey,
Das
sie – mit Wahrheit als Gans in Zeus Umarmung verloren,
Und
spielten damit und brachen´s entzwey,
Und
dachten nicht das geringste dabey.
Sie
ahndeten nicht, daß sie Helenen geboren,
Und
daß des Kindes noch ungestilltes Geschrey
Mehr
als ein bänglicher Laut für zarte Jungfrauenohren,
Daß
es das Probegetön´, der erste Ruf der Schalmey
Zum
blutigsten Krieg, den je die Götter beschworen,
Um
den Besitz einer Kleinigkeit sey.
Zehn
Jahre verstritten die Thoren,
Zuletzt verschütteten sie
doch, wie deutsche Köche, den Brey.
Und Kerzen füllten den Saal.
Im Nu durchzitterten Flammen
Der kalten Psyche die Brust,
geschmiegt an Paphiens Sohn,
Und schlugen über die Kränze
von Mohn
Der zwo Sirenen und jenen
Wellen zusammen,
Die kaum vom Lichte
verrathen, auch schon
Gebrochen in ihre Grotten
entflohn. –
Wer kann die selige Lust an
diesem Vorspiel verdammen?
Doch unsre Helden, voll Kraft
der Odysseer, umschwammen
Die Brandung, senkten den
Blick und stimmten leis´ in den Ton
Des ewig tröstenden Lieds des
Philosophen und Ammen:
Geduld! Erwartung ist schwer,
doch desto süßer der Lohn!
Jetzt tritt die Ananas vor,
sie, die in feuriger Zone
Am Vorgebürge der guten
Hoffnung entsprang,
Sieht auf der Tafel sich um
und setzt zum endlichen Lohne
Des zärtlich schmachtenden
Paars, das seine Wünsche bezwang,
Verschämt, doch unter
Verzicht auf ihren weiblichen Rang
Setzt sie, geduldsam zerlegt,
die beyden Finder der Bohne
In den Besitz ihres Reichs,
in alle Rechte der Krone,
Auf keinen andern Beding als
eine guten Empfang.
Wie tönt dem Helden das Ohr,
als ihre Stunde verklang,
Als ihrem forschenden Blick,
nicht ohne Beben, nicht ohne
Vertraun, sein erster Versuch
auf jenes Eyland gelang,
Das bald ihr Eigenthum wird.
Des Mondes Schimmer beschwang
Die nie bestiegenen Höh´n in
jenem schmelzenden Tone
Des edlen Claude Lorrain, und
ihren Augen wird bang´,
Um seine Sehkraft vor dem,
was noch die Ferne verschlang.
Doch nahm der beste Beweis,
daß sie kein Berggeist bewohne,
Schnell die Verlobten am Arm,
und eingesegnet vom Sohne
Cytherens stieg nun ihr Glück
mit unserm Abschiedsgesang;
Ein Lied der Trauer für mich,
das meiner Jugend Vergang
Mit zum Entsetzen bewies,
indem es näher zum Throne
Des Gottes eh´lichen Heils,
ins stille Brautgemach drang.
Dank sey der Liebe jedoch für
die paar seltnen Stunden,
Die diesen Abend einmal der
armen Menschheit gelacht;
Sie hat vom Fangstrick des
Papsts zwey freye Herzen gebunden,
Und was sich reitzendes je
dem ungestümen Betracht
Der Männeraugen ergab, dem
Sterbeküttel entwunden,
Der keine Schöne zur Heiligen
macht.
Gesetzt, es hätte sogar die
überraschende Nacht
Sie ohn´ ein härenes Hemd´
und fern von geistlichen Runden
Gott weiß´! in welch´ eine
Lage gebracht;
Hoff´ ich doch gläubig zu
dem, der gleiche Sorgfalt und Acht
Auf träge Secula nimmt als
auf den Flug der Secunden,
Die kleinsten Spähren so gut,
die er den Liebesgesunden
Manchmal zum Spielwerk
erlaubt, als jene himmlische Pracht
Lebloser Welten, die ihnen
leuchten, bewacht,
Zu dem Bewußtseyn hoff´ ich,
das den Umarmten verschwunden:
Sie haben schwerlich sich
jemals besser befunden,
Je freudiger ihres Schöpfers
gedacht.
Die guten Kinder sind jetzt
im höchsten Spielraum der Liebe
Der Fliege Kolibri gleich,
die nie von Dünsten beschwert,
Sanft von dem Zephyr gewiegt,
bey leichtm Sättigungstriebe
Auf Blumen schwebend sich nur
von ihrem Aushauche nährt.
Wann sich dann Abends zu ihr,
gleich liebeathmend und trunken
Von aromatischem Geist, der
schöne Gatte gesellt,
Wie freundliche wird nicht
der Blick des frommen Sehers erhellt,
Dann überschimmern vor ihm im
dunkeln Aether zwey Funken,
Der großen Fackel des
Universums entsunken,
Den ärmlichen Staub der
sublunarischen Welt.
____________________
*) König Eduard von England, starb 901. einer der
besten Menschen und Monarchen, die je gelebt haben.
**) Canut der Große, König v. Dänemark, der 34 Jahre
nach jenem England eroberte.
***) S.J. de Nevisan – Sylva nuptialis.
Meinem verschwiegenen Leser zu gefallen, will ich ihm
doch dies Richtscheid zur Beurtheilung einer schönen Frau in den eigenen Worten
des Verfertigers bekannt machen :
Trignita haec habeat, quae
vult formosa vocari
Foemia: sic Helenam
fama fuisse refers.
Alba tria, et totidem nigra,
et tria rubra puella:
Tres habeat longas,
tres totidemque breves:
Tres crassas, totidem
graciles; tria stricta, tot ampla,
Sint ibidem latae, sint
quoque parva tria :
Alba cutis; nivei dentes;
flavique capilli;
Nigri oculi, cunnus,
nigra supercilia ;
Labia, genae, ungues rubri,
sit corpore longa,
Et longi crines; sit
quoque longa manus;
Sintque breves dentes,
auris, pes ; pectora lata
Et clunes ;
distent ipsa supercilia,
Cunnus et os strictum,
stringunt ubi singula stricta ;
Sint ora, et culus,
vulvaque turgidula ;
Subtiles digiti, crines et
labra puellios ;
Parvus sit nasus, parva
mamilla – caput
Cum nulli, aut rari sunt,
haec formosa vocari
Nulla puella potest,
nulla puella prodest.
****) Lat. Orata – war bey den
Griechen, als Symbol der belebenden Schönheit, der Venus gewidmet.
*****) Wegen seiner vielen, Augen ähnlichen Flecken
so genannt.
******) Scomber Thynnus – der
Diana geweiht, wurde bey hochzeitlichen Gastereyen als Sinnbild ehelicher Treue
aufgesetzt.
*******) In der herrlichen Sammlung anatomischer
Präparate des Hr. Cruikshank zu London befindet sich eine wohlgerathene
injicirte Auster, in welcher das Herz dieses Thieres zu sehen ist. S. Schäffers
Brief 1stes Bändchen S. 243.
********) Teton de Venus.
*********) La grosse – la petite Mdelaine.
**********) Auch eine Art Pfirsischen.
***********) Eine in Asien einheimische, kühlende,
vortreffliche Frucht.
************) Was kann die Natur bey der Ausbildung
dieser unverschämten Nuß für eine Absicht gehabt haben? Ehemals ward sie von
großen Herrn oft mit mehrern tausend Thalern bezahlt. In neuern Zeiten ist sie
im Preis gefallen. Eine ziemlich treur Abzeichnung von ihr findet sich in
Sonnerats Reisen nach Neuguinea.
____________________
Mir aber, als die Glücklichen verschwunden waren, als ich, statt eines Sylphen,
von einem gemeinen Diener geleitet in das Zimmer trat, das mir seine Fackel
anwies, und ich über mein einsames Bett hinblickte – mir war, als hörte ich
alle Thore des Lebens und der Freude hinter mir zufallen. Ich erschrack, hob
den Vorhang des Fensters, riß die Flügel auf, und meine feuchten Augen flogen
über die Milchstraße hinaus, dem entgegen, der in seinem Gewühl leuchtender
Welten jeden Wurm mit Liebe umfaßt – dachte an Agathen – und o, rief ich –
Du, der von Ewigkeit her den Busen reizender Frauen
Zum besten Spielraum der Männer erwog,
Der diese Stunde gelenkt, die durch ein süßes Vertrauen
An Lieb' und Wahrheit, zwei fromme Kinder den Klauen
Der Klosterhyder entzog!
Wie wollt' ich deiner Erbarmung
Nicht danken, führtest auch du
Der Andacht meiner Umarmung
Die dritte Heilige zu!
Achtete auch der Allweise die thörichten Gebete nicht, die uns in dem Rausche der
Sinne entsteigen; so haben sie doch das Gute, den Verarmtesten die zwey
schönsten Blumen des irdischen Lebens, Hoffnung und Geduld, in den Schoos zu
legen. Auch ich kam von meinem Ausblicke in die obere Region um ein Merkliches
beruhigt zurück. Meine sinnlichen Wünsche verloren ihre Heftigkeit, als ob sie
erreicht wären, und ich fühlte mich abgekühlt genug, über Agathens Schleyer
hinweg, nach manchen andern Räthseln zu greifen, die mir der verlaufene Tag
eben so unentwickelt zurückgelassen hatte.
Denn, wenn ich gleich jetzt ohngefähr errathen
konnte, in was für Betrachtungen St. Sauveur auf unserm Wege nach Toulon so
vertieft war, daß er sich wenig um meine Verzückung in den Himmel und um meine
Hymne an das Gestirn des Tages bekümmerte – es mir auch ebenso begreiflich
ward, warum er mich im Gasthofe zum silbernen Anker mit meiner Scheibensammlung
allein ließ, und es ihm so sehr zur Unzeit kam, daß mein verlorenes
Einlaßbillett einem Spieler, zur Nachfolge für andere, seinen Weg wies – wenn gleich
die Seufzer, die damals Claren entstiegen, als ich ihr meinen Arm bot, und ihre
stillen Thränen in den Kelch einer Passionsblume, so wenig als die
Erschütterung, die ihr die Gebetglocke des nahen Klosters – der Mönch auf der
Galeere und das Mitleiden mit Agathen verursachte, jetzt noch einer nähern
Erklärung bedurften – ich auch meine vorgestrige Verwunderung über das Geschäft
meines Freundes in dem Steinbruche herzlich belachen mußte, und nicht mehr auf
ihn böse seyn konnte, daß er während der Veranstaltung seiner heutigen Ueberraschung
mich auf ein Schiff bannte und gewaltsam nöthigte, Voltaire´s Geburtstag zu feyern:
– so blieben mir doch genug neugierige Fragen über den Zusammenhang der
heutigen seltsamen Ereignisse übrig, die ich mir schlechterdings nicht zu
beantworten vermochte. Diese schwierige Aufgabe würde mein Nachdenken noch
lange beschäftigt haben, wenn es nicht ein Umstand unterbrochen hätte, der für
mich keine Kleinigkeit war. Ich hörte die Seitenthür öffnen, die nach dem Park
führt – Das ist Agathe, sprang ich von meinem Stuhl auf, die vermuthlich, so
unruhig als ich, nach Luft schnappt – trat ans Fenster – hörte sie – sah ihren
Schleyer zwischen den Akazien wehen, und nun war vollends meines Bleibens nicht
mehr. Ich eilte aus meinem Zimmer durch das Portal, an dessen Säulen noch
einige verlöschende Lampen zitterten. Zu einer andern Zeit würde ich sie als
ein treues Sinnbild der Vergänglichkeit aller menschlichen Freuden, in
Vergleichung mit den ewigen Lichtern am Himmel, vielleicht länger betrachtet
haben; aber in diesem Augenblicke dachte ich weder an Zeit noch Ewigkeit,
sondern – solltest du es wohl glauben? an die kleine zarte Mignonne unseres
Nachtisches. Großer Gott, und ich suchte Agathen! Ich hatte die längste Weile
die lispelnden Sträuche durchirrt, ohne sie zu entdecken, und ich fing schon an
zu fürchten, daß es mir hier noch einmal mit meiner Stirne ergehen möchte, wie
vor einigen Monaten zu Caverac, als glücklicherweise ein Fünkchen, das mir in
einiger Entfernung entgegenblinkte, meiner gesunkenen Hoffnung wieder aufhalf.
Dort – ja dort sitzt das liebe Kind, ihr kleines Laternchen neben sich, auf
einer Rasenbank, und so geschwind, als dieser Gedanke, war auch der Zaun, der
den Grasplatz von dem Park abschnitt, überstiegen. Ich will sie nicht
erschrecken, nahm ich mir vor, glaubte auch, ich ginge langsam, kam aber bey
allem dem bald genug meinem Gegenstande so nahe, daß ich, bestrahlt vom Lichte,
zwar nicht Agathen, aber eine andere menschliche Figur unterscheiden konnte,
die sich langsam an einer Urne in die Höhe richtete und mir kein geringes
Grausen erregte, ehe ich bemerkte, daß es der Spender des heutigen Segens – der
fromme Mönch war, der mir entgegen trat. Ach, heiliger Vater, sprach ich ihn
an, was macht Ihr an diesem einsamen Orte, und welchem Heiligen gilt Euer
nächtliches Gebet? – Einem Unglücklichen, dessen Gebeine hier verscharrt
liegen, antwortete er mit ernster Stimme, der sein schönes Daseyn – die Liebe
und den herrlichen Verstand seiner Gattin, dem Vorurtheile der Ehre und einem
Mörder Preis gab. Auf seinem Grabhügel unter dieser Weinlaube, die noch eine
Stunde vor seinem Tode ihn in den Armen seiner Gemahlin umschloß, bitte ich
täglich Gott um Vergebung seiner schweren Sünde, und flehe den Allbarmherzigen
um Genesung der schuldlosen Wittwe – Ach! rief ich, so bin ich denn in dem
Garten des armen Grammonts? O wie nahe liegt hier Freude und Traurigkeit – wie
nahe jene stolze Brautkammer und diese Todtengruft an einander! Ach! laßt mich
mit Euch beten, lieber Mönch, Hülfe für die traurig getrennte – dauerhaftes
Glück für die durch Euch so fröhlich Vereinten erbeten! Der Mönch ergriff und
drückte meine Hand an seine Brust; dann knieten wir beyde in andächtiger
Eintracht neben dem Monumente des Entleibten nieder, und als wir uns, eine gute
Weile nachher, von dieser Todtenfeyer erhoben, ich mit thränenden Augen auf=,
und über den Garten blickte, und es mir schien, als ob der vortretende Mond den
Trauerflor von dem Eremitenhäuschen wegzöge, das einst in bessern Tagen der
armen Wahnsinnigen so lieb und theuer war, und ich es gern als ein himmlisches
Zeichen angesehen hätte, daß unser Gebet erhört sey – deutete ich mattlächelnd
dahin. Der gute Mann verstand mich. Wir stiegen von der Anhöhe der Laube, der
kleinen glänzenden Hütte zu, und nun, da ich davor stand und mir über dem
Eingang die Worte Voltaire´s, die Sie, die Erbauerin, zur Aufschrift gewählt
hatte, in die Augen fielen – ich mit der Sprache rang, um sie an diesem stillen
Orte der Erinnerung noch einmal zu wiederholen, und bey der letzten halben
Zeile est-on seul, on es sage,
meinen Begleiter bedeutend anblickte, als wenn ich sagen wollte: Wer kann diese
Wahrheit besser fühlen, als ein Mönch! – ach, wie gerührt ward ich nicht durch
seine Antwort! Wollte Gott, sagte er, die letzte Hälfte des Spruchs wäre so
wahr als die erste! Ach wer kann denn mehr allein seyn, als die Arme es ist,
die ihn hinschrieb? Was hat sie muthlos bis zum Wahnsinne gemacht, als Trennung
– Entfernung und die Unmöglichkeit, ihr verschwundenes Glück wieder zu erlangen?
– und sind nicht, mein Herr, indem er mir die Hand drückte, sind das nicht auch
die Grundpfeiler der Klöster, und bringen sie nicht auch dieselbe Wirkung
hervor? Ich war so verlegen über diese unerwartete Aeußerung eines
Dominikaners, daß Gott wissen mag, wie mir zwey Worte, die ich immer für
widersprechend gehalten habe: das Glück des abgezogenen Lebens, auf die Zunge
geriehten – Das Leben, antwortete der Mönch, sollte nie von Thätigkeit und
erlaubtem Genuß abgezogen werden, denn was wäre sonst seine Bestimmung? Wenn
Dein Widerstand gegen wilde Neigungen nur von der Kette herkömmt, die man Dir
anlegt, wem kann die Ehre davon gebühren, als der Kette? Ach, wie ist das
Verdienst der Mönche und Nonnen so gering! Unendlich ehrwürdiger ist mir der
Mann, der in den Wellen des Lebens, wo nicht fest wie ein Fels steht, doch
ihnen nur so viele freye Kraft entgegen setzt, daß sie ihn nicht ganz in den
Sand spielen. O! ich kenne den Wert der Tugend, die von Versuchungen entfernt
ist – und verstehe die Lieder der singenden Vögel, die ein Käfig umschließt –
Was enthielten die Seufzer meiner Andacht von meinem achtzehnten Jahre an bis
in mein fünfzigstes? Löset die zärtlich frommen Empfindungen der Nonnen, die
nächtlichen Gebete eines Klosterbruders auf, und Ihr werdet erschrecken! Wie
kann das Zerreiben eines armen menschlichen Herzens, das aus der Werkstatt der
Natur sich als einen unnützen Stein in eine Wüste verworfen fühlt, wie kann es
zufrieden seyn, wie könnte es Gott gefallen! Das Glück, im Guten thätig und frohen
Herzens zu seyn, genieße ich alter Mann erst seit funfzehn Jahren, mein Herr,
und mußte es mir durch die Folge meiner sitzenden, und ohne mir einer andern
Sünde bewußt zu seyn, als die mir zur Pflicht gemacht war – bußthuende
Lebensart – durch eine schwere Krankheit erringen, die aus Ungeduld gegen Gott
und Menschen zusammengesetzt, zu dem höchsten Grade von Melancholie erwachsen
war. Hoffnung der Freyheit, die mein Arzt menschenfreundlich unter seine
Arzeneyen zu mischen verstand, bewirkte allein meine Genesung, und auf seine
Furcht vor einem Rückfalle, die er dem Pater Schatzmeister ans Herz legte,
verlängerten meine Obern die Kette, die mich an ihre Stifung band. Ich kam
unter die Zahl der Wenigen, denen als Priester einzelner Capellen, und als Beichtvater,
oder, welches einerley ist, als gedungene Erbschleicher, außer dem Kloster zu
leben erlaubt wird. Seit diesem sonderbar glücklichen Verhältnisse habe ich
erst angefangen meiner wahren Bestimmung zu folgen, aber das Glück der Jugend –
das Eingreifen der Liebe in die Zukunft, war dahin, war einem falschen Götzen
aufgeopfert, und ach! kinderlos blicke ich nun in das Grab – Doch lernte ich in
der Freyheit, was in meiner Zelle unmöglich war – Menschen lieb gewinnen, und
gewann selbst treue und würdige Freunde. Das Bette eines Kranken brachte mich
mit dem edelsten von allen, mit dem Marquis von St. Sauveur in Verbindung. –
Aber hier, Eduard, will Ich das Wort nehmen, um Dir die große Seele dieser
Religion anschaulicher zu machen, als aus seiner eigenen, nur allzubescheidenen
Erzählung erhellen würde. Erst durch die zudringlichsten Fragen und durch
Zusammenstellen seiner kurzen Antworten konnte ich mir über seine Würde –
seinen Antheil an den frohen Begebenheiten des heutigen Tages und den geheimen
Zusammenhang derselben Licht verschaffen. St. Sauveur, dessen hohe, thätige,
romantische Tugend er mir nicht beredt genug schildern konnte, brachte ihn in
die Bekanntschaft von Clarens Mutter, die zwar eine religiöse Schwärmerin, aber
zum Glück für die Tochter eine ebenso rechtschaffene, verständige und lenksame
Frau war. Sie hatte bey der schmerzhaften Geburt derselben der Maria das
Gelübde gethan, sie der Entsagung des Ehestandes und dem Klosterleben zu weihen
und durch ein feyerliches Testament ihr alle Mittel benommen, ein anderes zu
führen. In einer solchen Lage fand der Dominikaner diese Gewissenssache, als er
in dem Hause des Gouverneurs bekannt und von seiner Gemahlin zum Beichtvater
gewählt wurde. Der rechtschaffene Mann nahm sich sogleich auf das heiligste
vor, die Mutter von ihrer Verblendung zu heilen und das unschuldige Kind zu
retten. Er bemächtigte sich der Freundschaft und des Vertrauens der Marquise
und stieg endlich in demselben so hoch, daß er es wagen konnte, ihr seine
bessern Grundsätze vorzulegen; aber welche Gewandtheit, welche sanfte
Beredsamkeit mußte er nicht anwenden, um die fromme Frau nur erst bis zum
Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Gelübdes – und welche List der Tugend, um
sie bis zur Bereuung desselben zu bringen! Endlich gelang es seinem standhaften
Eifer, den schwachen Grund insoweit zu untergraben, daß die Säule ihres
Aberglaubens – wo nicht ganz einstürzte, doch um ein Merkliches sank. Als er
eines Morgens das kleine liebe Mädchen auf den Arm nahm, sich an ihren
Schmeicheleyen ergötzte, ihre großen blauen Augen, ihre zum Küssen einladenden
Lippen und die herrlichen Züge betrachtete, die schon damals ihr Gesichtchen
zum Verwundern erhoben, rief er bewegt: Und alle diese Kleinodien der Natur,
diese Geschenke Gottes sollen dem menschlichen Glücke entzogen und lebendig
vergraben werden, bis sie unter dem peinlichsten Gefühle zu Reliquien
verschrumpfen! Diese Worte und die männliche Thräne, die dabey über seinen
schneeweißen Bart rollte, erschütterten das mütterliche Herz. – Nun, so zeigt
mir, grausamer Mann, schluchzte sie, einen Ausweg aus diesem Labyrinthe, ohne
meinen Eyd zu brechen, und Ihr mögt es bei Gott und seiner heiligen Mutter
verantworten. Ja, das will ich, rief er ernst und feyerlich, und brachte nun
einige Tage nachher das Codicill zustande, das er mit ihr verabredete, selbst
aufsetzte und mit einem Eyde übernahm, es unter keiner andern als den
festgesetzten Bedingungen geltend zu machen, die aber immer noch schwärmerisch und
durch die Möglichkeit, daß Clara auf ihrer Seite sie nicht erfüllen würde,
furchtbar genug waren. Denn hätte das gute Kind, in der angeordneten Betäubung,
den Wurm, der ihr Herz nagte, aus weiblicher Schwäche verheelt – vor ihrer feyerlichen
Entsagung, nicht unter den Augen des Mutterbilds der Maria den Mann genannt,
der ihr den Uebertritt ins klösterliche Leben so schwer mache – alle Mühe des
redlichen Mönchs, das Codicill – Brief – Ring – und die Erbschaft wären für sie
verloren, und dem Kloster, in das sie aus jener ländlichen Capelle versetzt zu
werden in Gefahr stand, verfallen gewesen. Daher kam die angstvolle,
erschütternde Beschwörung des Mönchs, daher das Schweben zwischen Furcht und
Hoffnung des armen Brigadiers, der hinter dem verhängten Gitter mit gleicher
Bangigkeit wie der Flügelmann, den er vor einigen Tagen überraschte, Leben oder
Tod von den Lippen seiner Geliebten erwartete. Daher ärgerte ich mich ganz
umsonst über die zweydeutige Voraussetzung des Dominikaners in Ansehung des
Schenkungsbriefes. Die entlassene Novize wagte nichts, ihn zu bestätigen; denn
er lag ja in den Domainen ihres Bräutigams und konnte nun nicht mehr in
unrechte Hände fallen. Und ach! wie manche andere Dinge, die ich heute morgen
ganz der Quere nahm, setzte mir diese nächtliche Unterhaltung erst ins Klare.
Doch, ich habe dir noch lange nicht die Geistesgröße dieses seltenen Mönchs in
ihrem ganzen Umfange dargelegt. Nach dem Tode seiner schwärmerischen Freundin
widmete er alle seine Sorgfalt der verwaisten Tochter, deren gutes oder böses
Schicksal in seinen Händen lag. Er sah die Rettung aus der Gefahr, die ihre
Zukunft bedrohte, als den Zweck seines Daseyns an. Aber welch ein Mann! rufe
ich mit der höchsten Bewunderung aus, der sich durch den langen Zeitraum, der
sein Ziel verbarg, so geschickt zu winden wußte, daß der Preis seiner
Anstrengung nicht verloren ging, – der so viele Menschenkenntniß besaß, um die
Kräfte der verschiedenen Federn so zu berechnen und zu spannen, daß sie die
beabsichtigte Wirkung hervorbrachten – der bey den Schwierigkeiten, die ihm
entgegentraten, nie in der Wahl der Hülfsmittel fehl griff – und Herzen in
Flammen sogar mit solcher Behutsamkeit zu lenken verstand, daß sie, ohne seine
Absicht zu ahnden, den glücklichen Ausgang seines geheimen Spiels befördern
mußten. Daß er dieses alles in seiner Kutte geleistet hat, wird dir der Verfolg
meiner Erzählung beurkunden. Den Gouverneur schien das Testament seiner
Gemahlin nicht weiter zu beunruhigen, sobald er hörte, daß die Vollstreckung
seinem würdigen Hausfreunde übertragen war; er kannte seine Grundsätze und
merkte bald, daß es nicht ein Kloster seyn konnte, wohin er seine
Pflegbefohlene zu leiten suchte. Er verabredete den Plan ihrer Erziehung mit
jener trefflichen Frau, die ihre treue Begleiterin bis vor dem Altare blieb, wo
auch sie durch den Preis überrascht wurde, den ihr Liebling erhielt. Er gab ihr
an der Prinzeß von Montbasson und Agathen zwo liebenswürdige Gespielinnen zu,
und verbarg dies reizende Trio der Neugier und der Verführung unter die
Schatten eines frohen, ländlichen Wohnsitzes, wo ihnen nur die Natur
zuflüsterte und ihre Herzen und Augen unbefangen blieben. Hier tränkte er ihre
Seelen mit großen, erhabenen, freundschaftlichen Empfindungen, bereicherte
ihren Verstand mit den schönsten Kenntnissen, übte ihre Hände in den
geschätztesten Talenten, und sorgte gleich der zärtlichsten Mutter für das
Gedeihen ihrer aufblühenden Reitze. Mit allen diesen, Klosterfrauen unnützen,
Vollkommenheiten, brachte er Claren in ihrem funfzehnten Jahre dem erstaunten
Vater zurück und in St. Sauveurs Bekanntschaft, den er schon längst als ihren
Retter ausersehen hatte. „O, der Freude, die ich damals empfand,“ strömte es
ihm von der begeisterten Zunge, „da ich den tiefen Eindruck bemerkte, den das
schöne herrliche Kind auf sein Herz machte! Ich hatte gewonnen – ihre
gegenseitige Zuneigung stieg mit jedem Tage höher – endlich so hoch, daß sie
nach meinem Wunsche einander unentbehrlich wurden. Jetzt erst, da das holde
Mädchen der gebenedeyten Jungfrau schon zu weit aus den Augen war, um ihren Ruf
zu hören, trat ich mit dem furchtbaren mütterlichen Testamente auf. Da ich,
seitdem sie unter meiner Aufsicht stand, dessen nie mit einer Sylbe erwähnt
hatte, so erschreckte sie mein unerwarteter Vortrag – ungefähr wie ein
aufgefundener Wechselbrief, den man längst für verloren gehalten und vergessen
hat, ob man gleich, wenn die Zahlung gefodert wird, die Schuld nicht abläugnen
kann. Jeden andern aber, der davon hörte, erschütterte diese Neuigkeit, und ich
mußte sogar die gehässigsten Nachreden über mich ergehen lassen. Nur sie, die
fromme Tochter, benahm sich groß und edel, sobald der erste Schrecken vorbey
war. Sie kämpfte zwar, aber nur wenig Minuten, mit der Nothwendigkeit ihres
kindlichen Gehorsams – empfahl sich der Barmherzigkeit Gottes, und unter
einigen zärtlichen Thränen, die sie dem Andenken ihrer würdigen Mutter
darzubringen glaubte, wählte sie das Kloster der Urselinerinnen, von denen ich
einigemal rühmlich gesprochen hatte. – Ja einige Stunden nachher konnte sie
sich selbst über den Zuwachs an Vermögen freuen, den ihr guter Bruder durch
ihre Annahme des Schleyers erhalten, und mit ihrer geliebten Montbasson in
glücklicher Zufriedenheit genießen würde. Der Marquis, der diese Nachricht
durch einen Brief erfahren hatte, schickte mir einen Wagen mit sechs rauchenden
Pferden, die mich abholen und auf seinen Landsitz bringen mußten. Ich fand ihn
– diesen sonst so muthvollen Mann, niedergeschlagener als ein Kind, und der
hohe Grad von Wehmuth, der über sein ganzes Wesen verbreitet war, hätte wohl
jedes andere Herz als das meinige, das so freundschaftlich für ihn schlägt, zum
tiefsten Mitleiden bewegen müssen. – Mein Freund, wimmerte er mir thränend
entgegen: – aber es war mir nicht möglich, ihn weiter fortjammern zu lassen. –
Ich unterbrach ihn mit einer so gelassenen Miene – mit einem so viel
versprechenden beruhigenden Händedruck – daß ihn sogleich aus der Dunkelheit
meines Auftrags ein Strahl der Hoffnung überschimmerte. – Kleinlaut fragte er
mich: Darf ich den Engel noch fortlieben? Ich bejahte es. Darf auch sie? Ich
schwieg; aber ich bat ihn um einen Platz zur Errichtung einer Capelle. – Er
bewilligte es mit einem starren Blick. – Ich hatte schon längst seinen
Steinbruch umgangen und gemessen, und überreichte ihm jetzt meinen Plan zur
Einrichtung. – Er billigte alles, sobald er auf der Waldseite den Eingang in
die Capelle, auf der andern den Balkon mit der Treppe in seinen Park erblickte.
Er umarmte mich einmal über das andere – hielt sich eine ganze Weile die Hände
vor die Augen – überrechnete die Zeit bis zum Geburtstage der Fräulein,
kritzelte in der Geschwindigkeit einen Brief an den berühmtesten Baumeister in
Marseille – riß mir meinen Plan aus den Händen, und befahl dem Haufen seiner
Bedienten, alle mögliche Maurer und Zimmerleute, die sie auftreiben könnten,
für doppeltes Tagelohn anzuwerben. Wie schlug mir das Herz bey dieser
leidenschaftlichen Heftigkeit, indem ich daran dachte, wie es zwar nicht wahrscheinlich,
aber doch möglich sey, daß Clara in dem entscheidenden Augenblicke verstummte;
und auch bey ihm trat bald nachher die Furcht der Ungewißheit an die Stelle der
kleinen Hoffnung, die ihm mein Händedruck mitgetheilt hatte. Ich konnte und
durfte ihn nur mit halben Worten trösten, und verließ ihn endlich mit der
ernstlichen Bitte, Claren in ihrem jetzigen Traume nicht zu stören, nie mit ihr
von seiner Liebe zu sprechen, sie weniger zu sehen, und das übrige der Zeit und
der Hand Gottes anheim zu geben. Eine viel größere Sorge hat mir die edle
Montbasson durch ihren schnellen Entschluß gemacht, der Freundschaft das große
Opfer ihrer Liebe zu bringen. Sie bekam auf einmal eine Abneigung gegen den
Bruder, der sich durch das Unglück seiner Schwester, wofür sie es ansah,
bereichern sollte. Durfte ich ihr wohl entdecken, wie großmüthig er gehandelt
hatte, sobald er die Clausel in dem Testamente erfuhr? Mußte ich nicht
fürchten, daß die heroische That einer Jugendfreundin einen nachteiligen
Eindruck für St. Sauveurs Liebe auf Clarens Herz machen würde? Ich bat Gott
inbrünstig um Weisheit zur Leitung dieses so verwickelten Geschäfts – teilte
meine ganze Aufmerksamkeit zwischen beyde Freundinnen, belauschte das in
zärtlich freundschaftlicher Wehmuth dahinschmelzende Herz der einen, und rief
St. Sauveur zu Hülfe, wenn es sich ganz für ihn verlaufen wollte, und half der
gewaltsam unterdrückten Liebe der andern, ohne daß sie es ahnden konnte, wieder
in die Höh´, und da sie dennoch auf ihrer religiösen Schwärmerey blieb, setzte
ich meine ganze Hoffnung auf den Ausgang des heutigen Festes, dem sie selbst
den eifrigsten Wunsch äußerte, als Choristin beizuwohnen – als sie hörte, daß
ich eine Capelle der heiligen Ursula durch Clarens Eintritt in das Noviciat
einweihen würde. Sie erbat sich von der Aebtissin die Erlaubniß dazu, in der
gewissen Hoffnung, gleich nach der Ceremonie mit ihrer Busenfreundin zurückzukehren
und sie bey den Klosterschwestern einzuführen. O wie unendlich hat mich Gott
für die Sorge belohnt, die ich für diese herrlichen Geschöpfe getragen habe!
Die vielen bänglichen Jahre, die vorangingen, liegen jetzt so vergessen hinter
mir, als wenn sie nie dagewesen wären, und meine Seligkeit, scheint es mir, hat
mit dem heutigen Tage ihren Anfang genommen.“ „O lieber, biederer, großmüthiger
Mann,“ rief ich aus, als er schwieg, „möge Gott doch noch lange Euer
ehrwürdiges Leben fristen und Euch noch oft auf die Spur bringen, arme Verirrte
und Verlockte zu ihrem wahren Beruf zurückzuführen!“ Ich fiel ihm, als wir an
das Gartenthor kamen, um den Hals, bat um seinen Segen – schlug aber, statt ihn
hinaus zu begleiten, aus einem eigenen Gefühl, den Feldweg ein, den ich
gekommen war. Nach dem Capuziner auf der Galere war er der zweyte Mönch, den
ich umarmte, und ich kann wohl sagen, herzlicher noch als jenen. Sie verdienen
beyde die Bewunderung fühlbarer Seelen – aber welcher verdient sie wohl mehr?
Jener, der Unglückliche bey dem Bewußtseyn ihrer Schuld vor Verzweiflung
bewahrt, oder dieser, der Unschuldige von einem moralischen Tode rettet? Gott
mag entscheiden, ich kann es nicht. Ach, mit welchen herzerhebenden ganz andern
Empfindungen – selbst der glückliche St. Sauveur, dächte ich, müßte mich darum
beneiden – überstieg ich jetzt zum zweytenmal den Gartenzaun! O der Mensch ist
nicht so bösartig, als man ihn gewöhnlich ausschreyt, oder er sich oft selbst
hält! Er sucht zwar nicht gern die Scenen auf, die sein Herz rühren und bessern
könnten, aber führt ihn der Zufall dahin, so hängt er sich leidenschaftlicher
daran, als an seine strafbaren Irrthümer. Schon traten, als ich mich dem Park
näherte, die verbleichten Bilder der Natur hinter dem grauen Vorhang, der sie
verbarg, farbig wieder hervor. Das Säuseln des Erwachens – der Gesang des
Lebens – die Freude des Wiedersehens – die Auferstehung eines neuen Tags
begann. Wie möchtest Du jetzt an Dein Bette denken, sagte ich zu mir selbst, und
wenn es Agathens Reitze umschlösse, ich würde mein Herz zuvor durch den Anblick
der aufgehenden Sonne erwärmen, ehe sich meine Augen in den ihrigen
berauschten; und wäre es der fröhlichste Bürger der Erde, der ungeduldig
anklopfte, er müßte warten, bis ich seinen Schöpfer begrüßt und in dem Meere
seines Lichts meinen Bildungstrieb gereinigt hätte. Ich lagerte mich an den
Stamm einer Balsamfichte und erwartete das große Schauspiel mit dem Entzücken,
das ich schon kannte. Die Wolken zerflossen – der Mond verblich – die Sterne
verloschen, und nun schwenkte sich das gebietende Gestirn aus der Unterwelt
über unsern Erdball herüber, ergoß seinen Lichtstrahl und wirkte. Mein Auge
spiegelte sich in den Thautropfen, die, wie reine Herzen, wenn sie brechen
wollen, noch einmal aufschimmerten und verdunsteten. Unwillkürlich streckten
sich meine Arme dem Wunderballe entgegen, der an den Bergsaum heraufrollte, und
der Drang hoher Empfindung suchte einen Ausweg über die lallenden Lippen: Ach
wo, rief ich in meinem Entzücken – wo gäb' es in der Natur einen Gegenstand,
der rührender an das menschliche Herz spräche? und hörte hinter mir rufen: Hier.
Betroffen sah ich mich um, und St. Sauveur und Clara, an seine Brust gelehnt,
waren es, die mich behorcht hatten. – „O ihr habt recht,“ sprang ich von meinem
Sitze auf – „ihr trefflichen Menschen! Eure Liebe ist rührender, ist edler
noch, als der Glanz der Sonne.“ Sanft lächelnd gaben sie sich meiner
Betrachtung preis, und mein Blick weidete sich an dem für ein unschuldiges Herz
erstaunlichen Bewußtseyn, das in den Augen des jungen Weibes lag. Wer hätte in
Anschauung ihrer nicht alles vergessen – welcher Firniß seliger Gefühle
überglänzte nicht ihr verschämtes Gesicht – wie sanft verlor sich nicht ihr
Nachdenken in der Glorie des ersten anbrechenden Tages ihrer großen Errettung –
wie freundlich spielte nicht sein Strahl um ihren in frohlockenden Dankgebeten
schwellenden Busen, der unter blaßrothen Schleifen eines weißen Gewandes sich
allen Blicken noch ebenso schüchtern als gestern unter dem Nonnenschleyer
verbarg. So verschließt die Nachtviole jedem Lichtstrahle ihren duftenden Kelch
– hüllt sich in den Instinct ihrer angebornen Würde, und öffnet ihren
Wohlgeruch nur den verschwiegenen Schatten. Doch in welches poetische Labyrinth
verlockt mich nicht dieses herrliche Weib! Ich könnte alle Blumenbeete
durchstöbern, und würde doch die schönste nicht bedeutend genug finden, um dir
ihre – so weit von Berlinischem Prunk abstehende Grazie zu versinnlichen. St. Sauveur
fühlte sein Glück und mit Recht unendlich stärker als ich – senkte schweigend
sein gerührtes Auge auf die holde Gestalt, die zu ihm auflächelte, und schien
sich in dem ruhigen Stolze seines Gelingens für einen Gott zu halten, dem ein
seliger Engel in dem Arm liegt. Wie die Sonne höher trat und blendete, wand
sich das reitzende junge Weib, wie ein bittendes Kind, aus den zögernden Händen
ihres tändelnden Freundes. – Er träumte ihr einige Augenblicke nach, dann nahm
er mich bey der Hand. Ich bin nun diesen Morgen ganz Dein, Wilhelm! sagte er. „Laß
uns das Thal durchstreichen, und hilf mir Einen Menschen in der weiten
Welt entdecken, der glücklicher ist als ich, damit sich nicht Uebermut meiner
bemeistere.“ Unvermerkt leitet ihn der Hang seines Herzens zuerst auf unserm
Spatziergange nach dem Janustempel, der ihm seit gestern nach seinem Brautbette
wohl der liebste Fleck der Erde geworden ist. Während er nun unter der
zierlichen Wölbung nur die einzelnen Stellen aufzusuchen schien, über die Clarens
Füße geschwebt hatten, wo sie saß, zitterte, weinte und ohnmächtig ward,
verbreitete sich meine Bewunderung über das einfache schöne Ganze. Ich sehe
wohl, rief ich endlich lachend meinem Freunde zu, daß Du über die Benutzung
dieses Juwels von Felsen nicht nöthig hattest, weder mich noch meinen alten
Lehrer der Baukunst, den ehrlichen Sperling, zu Rathe zu ziehen. – Wie? unterbrach
er mich ganz betroffen, heißt denn der alte Gurkenmaler so, der an dem Hafen
wohnt? Ja wohl, sagte ich, aber er hat seinen deutschen Namen ins Italienische
übersetzt, seitdem er hier ist. – Das thut mir sehr leid, versetzte St.
Sauveur, denn, wenn mich mein Gedächtniß nicht ganz betrügt, so habe ich schon
mehrmalen nach demselben Manne Steckbriefe in den Berliner Zeitungen gelesen,
die ich blos eures Königs wegen noch halte. – Nach Theodor Sperling? – Ja
gerade nach diesem. – Unmöglich, fuhr ich fort, dieser, zwar als Künstler sehr
unbedeutend, ist jedoch die ehrlichste Haut, die ich kenne, und wahrlich auch
nicht verschmitzt genug, der preussischen Polizey zu entwischen – Du irrst
dich, lieber Mann! – Nun, das ist leicht zu erörtern, antwortete er sehr
bestimmt, und befahl dem Bedienten, der uns von weitem nachgetreten war, nur
die zwey letzten Monate der deutschen Zeitung bey seinem Kutscher zu holen, der
sie aus Vaterlandsliebe sammelt. Mittlerweile geriethen wir in ein Gespräch,
das mir mit jeder Minute wichtiger ward. St. Sauveur zeigte mir von weitem in
seiner magischen Laterne den Plan, den er angelegt hatte, um den ohnehin
glücklichsten Sommer seines Lebens durch Hülfe der Kunst, der Natur und seines
Ueberraschungssystems noch mehr zu erhöhen. Die nächsten acht Tage, sagte er, bleiben
wir in diesem Freudenthale beysammen – dann schwinge ich mich mit Claren – wie
Vertumnus und Pomona, auf das erfrischende Hochgebürg meines Stammguts. Mein
Ahnherr, der diese romantische Burg erbaut und mit unserm Geschlechtsnamen
beehrt hat, muß die Gabe besessen haben, in die fernste Zukunft zu blicken, und
mich unter seinen Nachkommen seines Schutzes am würdigsten zu halten, so genau
paßt das Ideal, das ihn beym Anbau jener Gegend leitete, zu meinen glücklichen
Verhältnissen. Hast Du nicht in einem gewissen Mährchen von einem Schlosse
gelesen, das ein Zauberer aus Feldsteinen zusammensetzte, und die hundert Säle
und Zimmer darin allen den Rittern Preis gab, die in der Folge der Zeit dort
absteigen und einsprechen würden – eine einzige himmelblaue Rotunde
ausgenommen, die nur dem glücklichen Sterblichen zu öffnen erlaubt und möglich
war, der seinem alten Feinde, dem Schwarzkünstler auf den sieben Hügeln, den
von ihm so oft mißbrauchten Talisman der wahren Seligkeit rauben, und in jene
Freystätte flüchten würde. In derselben Minute, setzt das Mährchen hinzu, wo er
dort den geretteten Ring an den Finger steckt – überziehen sich die grauen
Mauern mit Smaragden – die himmelblaue Rotunde prangt in ätherischem Feuer, er
hört die Harmonie der Spähren – athmet nur Wohlgeruch, erfaßt, wo er hingreift,
nur Lilien und Rosen, und seine fünf Sinne kommen ihm als so viel Thore vor,
durch die Schaaren von Liebesengeln auf sein Herz eindringen. Dieses
Luftgebäude der Phantasie nun – gehört in der Wirklichkeit mir zu – der
Eroberer des Kleinods, dem alle diese Wunder ankleben, bin ich, und unter
Clarens Anblick werden sich jene Feldsteine meiner Burg in Bergcrystallen –
Rubinen und Amethysten verwandeln – Komm mit uns, lieber Wilhelm, sieh´ und
bewundere mit eigenen Augen die Wirkungen des Talismans, dessen ich mich,
glücklicher als alle meine Vorfahren, bemächtigt habe. Meine Säle – Zimmer –
Küchen und Keller stehen jedem Rittersmanne offen, bis auf die himmelblaue
Rotunde nicht, die mein Ahnherr mir ausschlüßlich vererbt hat. Man mag sagen
was man will, ein Feenmährchen hat seine eigenen Verdienste – es erwärmt, es
befeuchtet bey Klein und Großen das kalte oder vertrocknete Gehirn. Kinder – um
nur bey ihnen stehen zu bleiben – vergessen Essen und Trinken darüber, wenn
ihnen nur kein Zuckerbrot in die Nähe kommt; aber auch dann noch leiht die
einmal erregte Phantasie der Wirklichkeit einen Reitz mehr, der ihr abgeht. Es
dünkt den Kleinen von der wohlthätigen Hand eines Salamanders gebacken, und
schmeckt und bekommt ihnen nur desto besser. So ging es gerade auch mir. Ich
folgte dem Feenmährchen meines Freundes mit kindischer Neugierde – ließ den
kleinen Anspielungen auf seine wahre Geschichte alle Gerechtigkeit
wiederfahren, und sein Bergschloß sammt den Rittersälen – sein Talisman und die
himmelblaue Rotunde gefielen mir ganz wohl, aber so anlockend konnten sie doch
für einen verständigen Mann nicht seyn, daß er darüber seine Rückreise ins
Vaterland nur um einen Tag – geschweige einen ganzen Sommer verschieben sollte.
Da Freund St. Sauveur sah, daß seine Bildersprache nicht wirkte, ging er zur
schlichten Prose über. Meine dortigen Besitzungen, sagte er, gehören in allem
Ernst zu den angenehmsten in Frankreich. Sie sind mit Wäldern durchflochten,
wie du sie liebst, das Clima ist ganz deutsch, die Luft gesund, die Natur groß,
fruchtbar, heiter und wohlthätig, und mit meinen romantischen Anlagen wirst Du
zufrieden sein. Das mag wohl alles seinen Werth haben, dachte ich, aber treffe
ich es denn nicht auch in Deutschland wieder an? Es ist eine eigene Sache mit
dem Heimweh – ich überhörte nochmals seine freundschaftliche Einladung und
blieb unerschütterlich bey meinem Vorsatze – aber jetzt rückte er mir das
Zuckerbrot unter die Augen. Auch Agathe wird uns begleiten, warf er noch am
Schluß seiner Rede so hin = = = und nun verrieth sich das Kind mit seiner
ganzen Schwäche auf einmal. Ich stutzte – doch länger nicht, als ich Zeit zu
dem pfeilschnellen Gedanken brauchte, welche Lust es seyn müßte, in den
dortigen herrlichen Wäldern, Agathen am Arme, zu wandeln – der Vorzeit in den
alten Rittersälen mit ihr nachzuspüren und ihre Meinung über die himmelblaue
Rotunde zu hören. Mag doch aus meinem Vaterlande werden was Gott will! – dort
komme ich immer noch zeitig genug an, und ohne mich länger zu besinnen, gab ich
mein Jawort zweymal hintereinander. Indem brachte der Bediente das Paket
Zeitungen, ich schob es in die Tasche, ohne es anzusehen. Mein Freund hatte
mich in eine Gegend verzaubert, aus der ich mich nicht wieder wegbringen
konnte. Er mußte mir alles auf das genaueste vormalen und beschreiben. – Alle
Winkel in seiner Burg waren mir lieb geworden, und ich hätte mich mit Agathen
finden wollen wie zu Hause. Wäre ich in diesem Momente vom Schlage gerührt
worden, o Gott, wie viele köstliche Aussichten des Lebens – welche süße
Erwartungen hätte ich verloren! Das geschah nun zwar nicht, dafür traf mich
aber eine andere Widerwärtigkeit, die jener nichts nachgab. Man händigte mir –
und die Rede blieb mir im Munde stecken – einen Brief ein, den eben eine
Stafette gebracht habe. Gieb acht, erschreckte mich St. Sauveur, die
Unwissenheit der Berlinischen Aerzte hat gesiegt – euer großer Friedrich wird
dahin seyn, und dann erbarme sich Gott deines Vaterlandes! – Ich riß den
Umschlag auf – las – erblaßte, als ob er es errathen hätte – und nun reichte
ich ihm das elende Geschreibe zu seiner Beruhigung hin – Mit der meinigen war
es vorbey. Ich setzte mich auf eine Altarstufe und hing den Kopf. Was zum
Henker hast Du da für eine Correspondentin, fragte St. Sauveur, als er die
Unterschrift zuerst an sah – Elektra? – dermalen auf dem Jahrmarkt zu
Montpellier? – Ich gab ihm Aufschluß, so gut ich konnte – aber jede Zeile, die
er weiter las, nöthigte ihn zu einer neuen Frage, die endlich, zusammen genommen,
ein Verhör bildeten, wobey ich nur zu sehr fühlte, wie albern ich aussah – Du
hast also deine Livreen auf dem Trödel gekauft? Schmuck von Werth darin
gefunden? und ihn seinem Eigenthümer nicht wieder gegeben? und darüber, wie ich
sehe, zwey ehrliche Kerls – als Mörder der entlaufenen Bursche, die vorher die
Kleider trugen, in Ketten und Banden gebracht? – Die Frau meldet, das Gericht
bedrohe beyde Brüder mit der Tortur – und – es ist schrecklich, gäbe ihnen nur
drey Tage Zeit, ihre Unschuld entweder darzuthun, oder sich auf den Galgen
gefaßt zu machen. Welchen fatalen Handel hast Du Dir da zugezogen, lieber
Wilhelm, und was gedenkst Du nun anzufangen? Ich huckte vor dem Marquis wie ein
armer Sünder – gab ihm kleinlaut über alles Bescheid – gestand ihm aufrichtig
die Schuld meines unverzeihlichen Leichtsinns, und bat um seinen guten Rath. Er
that mancherley Vorschläge, die er aber ihrer Weitläufigkeit – Unsicherheit
oder möglicher Zufälle halber, eben so bald wieder zurücknahm. Nach langen Hin=
und Herreden blieb mir nichts übrig, als um seine Pferde und Wagen bis
Marseille zu bitten, von wo ich Post nach Montpellier nehmen wollte, um die
Sache durch meine eigene Gegenwart ins rechte Gleis zu bringen. Der
menschenfreundliche Mann war selbst zu betroffen, zwey Unschuldige, meiner Thorheit
wegen, in der Todesangst schwitzen zu sehen, und kannte die Geschwindigkeit der
französischen Justiz viel zu gut, als daß ihm sein Gewissen erlaubt hätte, mich
aufzuhalten – Willst du nicht wenigstens vorher in unserer Gesellschaft
frühstücken? fragte er zuletzt. – „In euer vortrefflichen Gesellschaft?“
jammerte ich, „ach erinnere mich nicht daran, was ich alles hier verliere – Wo
sollte mir die Eßlust herkommen? Muß ich nicht eilen, um fortzukommen, da es
die Ruhe und das Leben zweyer schuldlosen Menschen gilt?“ Hierauf ließ sich
nichts erwiedern – Er bestellte sogleich die Pferde, und wünsche nur, daß meine
Reise glücklich seyn und ich bald von Montpellier zurückkommen möchte. –
Freund, fiel ich ihm ernst ins Wort, alle die frohen Tage, um die ich mich
bringe, sind mir eine harte – aber wohlverdiente Strafe. Sey gerecht und suche
sie nicht zu mäßigen! Von Montpellier habe ich fast ebenso weit nach Deiner
Burg als zu der deutschen Gränze. Laß mich also immer den Weg, auf den mich
meine einfältigen Streiche gebracht haben – nach der Heimath fortsetzen! Aber
höre noch, was Dir mein Herz vorzutragen hat – die Zeit ist zu edel, um es mit
Umschweifen zu thun. Versprich mir, lieber St. Sauveur – und ich flog ihm an
den Hals – daß du Agathen für mich aufheben willst – und gewiß umarme ich dich
eher wieder, als du denkst – Frankreich soll mir alsdann von Berlin nur ein
Katzensprung seyn – dort bleibe ich nur so lange, als Noth ist, um meine Bücher
– Kupferstiche und andere Kleinigkeiten zu verkaufen – dem besten meiner
deutschen Freunde schenke ich meinen Gypskopf und meine Scheibensammlung – und
wenn ich mich so leicht gemacht habe, wie ein Vogel – fliege ich fort und bin
der Eurige auf ewig. O daß ich Dir die Lücke Deines Grammont ersetzen möchte! –
Glaubst du nicht, lieber St. Sauveur, daß mir Agathe ein wenig gut werden könnte,
wenn ich erst um sie bin? Darüber, antwortete der behutsame Mann, behalte ich
mir vor, Dir zu schreiben – Traue übrigens in Deiner Herzensangelegenheit
meiner Freundschaft und dem Wunsche, einen solchen Sonderling, wie du bist, in
meiner Nähe zu haben. Indem kam der Wagen vor das Portal des Janustempels
angefahren. Hochbewegt umarmte ich meinen theuern Freund. In der Hoffnung des
baldigsten und glücklichsten Wiedersehens, schluchzte ich ihm vor, vergiß um
Gottes willen meinen Auftrag nicht! – Sage Deiner lieben Gesellschaft guten
Morgen von mir und lebe – lebe wohl! Ich warf mich unter einem Erguß zärtlicher
Thränen von einer ganz eigenen Mischung in die Chaise. Als sie ein wenig
verlaufen waren, gesellten sich allerley Betrachtungen zu mir, die eine trat
mit vorzüglich ans Herz. Während Bastian – überrechnete ich – ein= und aufpackt,
hast Du wohl noch Zeit, Deinen immer verschobenen Besuch in dem Tollhause
abzulegen – denn wie möchtest Du diese Gegend verlassen ohne die
bedaurungswürdige Frau kennen zu lernen, für die Du vergangene Nacht auf dem
Grabe ihres entleibten Gatten so inbrünstig gebetet hast. Ich äußerte gegen
meinen Landsmann den Wunsch, wenn es möglich wäre, noch vor neun Uhr in der
Stadt zu seyn – Möglich? drehte er sich zu mir, ich verspreche es Ihnen um eine
ganze Stunde früher. Er theilte seinen Diensteifer durch ein paar tüchtige
Peitschenhiebe seinen vier Rappen mit, und hielt so gut Wort, daß er mich sogar
einige Minuten eher, als er versprochen hatte, vor den heiligen Geist brachte.
Es traf sich alles nach Wunsch. Bastian war zu Hause und Passerino bey ihm zum
Frühstücke. Kaum waren sie von meiner ernsthaften Angelegenheit unterrichtet,
so traten beyde zu meinem Dienste zusammen – der Maler besorgte die Postpferde
– Bastian das Einpacken, inzwischen ich die freyen Augenblicke benutzt und dir
erzählt habe, durch welche sonderbare Verkettung der Umstände – um nur das
Geringste zu erwähnen, die vergangene Nacht mit einem Theile des heutigen
Morgens so verschmelzt wurde, daß sich sogar darüber zum erstenmal in meinem
chronologischen Tagebuche der gewöhnliche Abschnitt der Zeit verrückt hat. In
den meisten Geschichten scheint es mir zwar sehr gleichgültig – wie die Uhr
stand, als die Sache vorfiel, wenn sie nur wahr ist. Hier aber ist es nicht so
ganz einerley, und wenn sich nicht das eine aus dem andern natürlich erklären
ließ, müßte es doch wohl jedermann auffallen, daß ich eben so schmuck, als ich
gestern von der Hochzeit kam, heute bey Narren auftrete. Wo hätte ich die Zeit
hernehmen sollen mich umzukleiden? Passerino hat sich Bleystifte von allen
Farben – Bastian einige Pfunde Schnupftabak zum Austheilen unter die armen
Preßhaften geholt, und so gehen wir nun – kecker vielleicht, als wir sollten –
dem belehrenden Schauspiele entgegen, das Thorheit und Raserey der ihnen nur zu
nah verwandten menschlichen Vernunft zu gute geben.
* * *
Ende des achten
Theils.
* * *