ReSource / N E W S
Zeitschrift der Edition ReSource und Reihe Mitschnitt

Nr. 6 vom 29. Mai 2000
Literarischer Salon
Edition ReSource
Reihe Mitschnitt
M. A. v. Thümmel
R. M. Gerhardt
Arno Schmidt
Karl May
Die Zeitschrift NEWS bringt Neuigkeiten zu den nebenan angezeigten Themen. Dabei will sie sich nicht auf die bloße Anzeige von Neuerscheinungen beschränken; es ist daher auch möglich, daß hier Texte, Bilder und Töne erscheinen, die nicht in direktem Bezug zu diesen Themen stehen. Es kann sich erst im Laufe der Zeit zeigen, welches Gesicht diese Seite haben wird - ob sie überhaupt eins haben wird.
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Anregungen, Hinweise, Kritik, Bestellungen:  Email
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Die Eule : unser Symbol : unser Wappentier .. .
I N H A L T  : Rainer M. Gerhardt
Literarischer Salon Johann Anton Leisewitz
Moritz August von Thümmel The Mekons

Literarischer Salon:

Viele Texte, Bilder und Töne sind verschwunden. Es ist an der Zeit,sie (zumindest einige von ihnen) wieder sichtbar zu machen: Auf dieser 'Seite' soll eine kleine Anthologie erscheinen, die mehr oder vor allem weniger bekannte Texte versammelt,  die dem subjektiven Interesse des Herausgebers entsprechen und deshalb (Hochmuth kommt vor dem Phall) auch für potenzielle Leser von Interesse sein kann und wird.

Gleichzeitig mit den NEWS ist eine zweite Fassung des Literarischen Salons erschienen mit einer kleine Sammlung von Briefe(n) aus dem 18. Jahrhundert:  Sie soll einen kleinen Einblick verschaffen in ein Zeitalter ohne Email; als die Menschen noch Briefe schrieben und schreiben konnten. Umfang und Intensität dieser Schreibweise sind heute kaum mehr vorstellbar: Ich schreibe heute an die halbe Welt, um gelesen und beantwortet zu werden. Ich habe heute an Cramern zween Bogen voll freundschaftliches Nichts geschrieben; nach Copenhagen, nach Hamburg, nach Braunschweig, nach Dresden, nach Bernstadt in Schlesien habe ich nichts wichtiges geschrieben, und nun fange ich auch an, mit Ihnen zu plaudern. Ist dieser Tag nicht für mich ein vergnügter Tag? (Gottlieb Wilhelm Rabener)

Ebenso erscheint ein Schema Über den sogenannten Dilettantismus... der Firma Goethe & Schiller, das nicht nur im Jahre des Entstehens (1799), sondern auch noch heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Diese Erscheinung wird es immer geben!

Es wird nicht nur "alte" Literatur veröffentlicht . . . es wird auch Texte zu lesen und zu hören geben, die in unseren Jahrhunderten die Literatur vorwärtsgebracht haben . . .

Moritz August von Thümmel:

V o r r e d e   z u   d e r   d r i t t e n   A u f l a g e   d e r    W i l h e l m i n e

   Es ist mir des Herrn Pastors wegen nicht lieb, daß Wilhelmine, seitdem sie an ihn verheurathet ist, mit ihren Kleidern noch so oft ändert, als sie es am Hofe gewohnt war, und von jeder Leipziger Messe wenigstens mit einem Jüpon versehen wird, woran der Pastor, wie man wohl denken kann, nicht den geringsten Antheil hat.
   Das sind die Sitten der großen Welt, Madame, die Sie auf dem Lande ablegen müssen! Kann man es den Leuten verdenken, wenn sie sich darüber aufhalten? „Was bildet sich denn die Frau ein?" habe ich schon hier und da sagen hören, „Trägt sie nicht Spitzen, die mehr kosten, als die Pfarre ihres Mannes in vielen Jahren kaum einträgt — da andere ehrliche Weiber, die doch wohl ein bischen mehr werth sind, züchtig und ehrbar einhergehen — Wenn sie doch an ihren Ursprung dächte, und die Spötter nicht so oft erinnerte, daß sie einmal am Hofe gewesen ist — Wie froh sollte sie doch seyn, wenn es die Leute vergäßen!" Diese Reden, Madame, zu denen Ihr prächtiger Aufzug so vielen Anlaß giebt, bringen auch mich in eine gewisse Verlegenheit, da jedermann weiß, daß ich einige Freundschaft für Sie habe, und gern Ihre Aufführung zu entschuldigen suche, wo es nur möglich ist; Aber wirklich — ietzt gehen Sie zu weit. Sie tragen sogar, wie ich höre, noch immer seidne Strumpfbänder mit französischen Versen gestickt? — Je! zu was denn solche Strumpfbänder, Madame? An Ihrem Hochzeitstage konnte zwar dieser verborgene gelehrte Staat noch mit Ehren ans Licht kommen; denn hätte nur damals das Feuer Ihre vornehmen Gäste nicht so erschreckt, so würden sie gewiß die artigste Ceremonie nicht vergessen haben — Ihre Strumpfbänder wären gewiß, noch vor der völligen Uebergabe Ihrer kleinen Person an den Herrn Pastor, von einer adelichen Hand abgeknüpft, und in guterGesellschaft seyn verlesen worden, und ich weis, der Cammerjunker würde darbey seiner Lunge Ehre gemacht haben; aber zu was in der Welt kann Ihnen itzt diese Mode nutzen? Ich weis mir keinen Umstand zu denken, wo Ihre Strumpfbänder noch itzt der Lectüre ausgesetzt seyn könnten, und verlöhren Sie Eins einmal auf dem Kirchwege, zu welchem Aergernisse würde dieses Gelegenheit geben! Uebrigens will ich gern eingestehen, daß Ihre Kleidung sehr artig und Ihr ganzer Anzug mit vielem Geschmacke gewählt sey; Ob ichs aber billige, ist eine andere Frage. Ja, wenn Sie noch am Hofe wären: je nun da — Aber da haben Sie in Ihrer Blüte genung gefallen, und nun thäten Sie wohl, wenn Sie sich auch denen Personen zu empfehlen suchten, die bisher nicht Ihre Freunde gewesen sind. Damit Sie dieses erreichen, rathe ich Ihnen, eine stille ehrbare Miene anzunehmen, wenn sie Ihnen auch nicht natürlich seyn sollte. Eine schwarze Stirnbinde würde gut darzu stehen. Statt der durchsichtigen Halstücher legen Sie eine schwere Sammtmantille um — Ein cannefaßner Rock — florne Streifgen am Hemde — So ungefehr muß Ihr Putz seyn, wenn Sie denen Herren gefallen wollen, die sich bisher über Ihr leichtsinniges Ansehn so geärgert haben.

Zur Zeit befindet sich die Wilhelmine in Arbeit. Mit der Texterfassung wurde begonnen; zugrunde liegt die Ausgabe von 1769 (= 4. Auflage), die auch die Nachworte zur zweiten und dritten Auflage enthält.

Editionsplan:
Thümmel - Dossier bereits erschienen
Nachrichten von Thümmels Leben bereits erschienen
Das Erdbeben von Messina bereits erschienen
Die Inoculation der Liebe bereits erschienen
Vermischte Gedichte bereits erschienen
Wilhelmine erscheint am 1. Juli 2000
Die Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich .. ab Juli 2000
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Der Text erscheint im HTML-Format. - Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß das Gesamtwerk einmal gedruckt und gebunden als "richtiges" Buch erscheinen kann. - Vorerst ist auf die kleine Auswahlausgabe der Edition ReSource zu verweisen.

Rainer Maria Gerhardt:
 
UMKREISUNG

                                                                                  für Jean Arp

          I

     ein netz aus feuer                macht die nacht schweigen
     ein netz aus feuer                läßt die trompete klirren
     die trommeln hüten den schlaf
     ich habe ein rotes auge aufleuchten sehen

     das dreieck der wand         ist voller richtpfeiler
     ein goldnes tablett               wird die mitte der welt sein
     alle gefährte enden hier
     ein großes horn ist dem schlaf gegeben

     ein netz aus feuer                macht die nacht schweigen
     ein netz aus feuer                macht den bogen schwirren
     sie haben die flöte tönen machen
     es hat die hand bewegt eine musik zu schreiben

     ein goldnes tablett               wird die mitte der welt sein
     ich habe die hand bewegt eine musik zu schreiben

     es hat alle glieder entzückt        aufrecht zu gehen
     ich habe die flöte tönen machen

     es hat alle glieder entzückt        in schlaf zu fallen
     ich habe ein rotes auge aufleuchten sehen

     ein netz aus feuer                macht den schlaf wachen
 

         II

     am nachmittag des zwölften september wurde die
     sonne rot
     die geschichtsschreiben haben nichts anderes zu
     berichten
     die riegel waren geöffnet
     man sah sehr große tiere durch die stadt gehen
 

In Marbach lagern Schätze, die gehoben werden wollen. Dies dauert seine Zeit; wahrscheinlich über die "Jahrtausendwende" hinaus. - Aber: Was ist das schon bei einem Dichter. Es sind dort einige Entdeckungen zu machen: z.B. Ein kleiner Roman, Ein deutsch Weihnachstspiel anno domini 1948, Erinnerungen, u.a. (unveröffentlichte) Texte. - Sie sollten nicht in einem BlechKasten begraben sein!
Die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg, Marbach am Neckar kündigt an:
Reihe: SPUREN:  Uwe Pörksen: Rainer Maria Gerhardt in Freiburg. (noch nicht erschienen)
Neueste Veröffentlichung: Georg Patzer: Seiner Zeit voraus. Fragmente Verlag, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurt/Main, vom 22. 2. 2000, Seite 28-31 The Mekons: Music on MP3

Die MEKONS zählen zu den unkonventionellsten englischen Gruppen der 80er und 90er  Jahre. In ihrer Musik verarbeiten sie traditionelle Elemente wie Folk, Country und Dub zu einer eigenständigen Form. Der verstorbene Rockkritiker Lester Bangs nannte sie einmal die "revolutionärste Gruppe in der Rockgeschichte" und meinte weiter: "Sie sind die besten Künstler, die diese zugegebenerweise leicht degenerierte Form je mit ihrer feinnervigen Ästhetik beschenkt haben."
Die MEKONS begannen ihre Karriere im nordenglischen Leeds als Punkband, denen mit "Where Were You" (1978) sogar ein echter Punk-Klassiker gelang. Kurz darauf bekamen sie einen Vertrag mit ,Virgin‘ und veröffentlichten dort eine LP (,The Quality Of Mercy Is Not Strnen' - auf dem Cover der sprichwörtliche Affe an der Schreibmaschine, was wohl den absurden LP-Titel erklären sollte. Liveauftritte hatten jedoch Seltenheitswert, eine 2jährige Pause schien für die Band kein Problem zu sein. Erst durch den Streik der englischen Bergarbeiter unter Führung von Arthur Scargill kam die Band wieder auf die Beine: "Der Streik hat die MEKONS wieder als Live-Band zusammengebracht. Wir hatten seit ca. zwei Jahren kein Konzert mehr gegeben. Dann kamen die ganzen Wohltätigkeitskonzerte für die Bergarbeiter und da mußten wir oft Musiker aus anderen Bands mit auf die Bühne holen, sonst hätten wir unser Material gar nicht live spielen können."
Die Band gründete 1985 ihr eigenes Label ,Sin Records‘, auf dem dann auch ihre nächsten Platten erschienen: "Fear & Whiskey" (1985), "The Edge Of The World" (1986) und "Honky Tonkin" (1987). Auf all diesen Platten experimentieren sie mit den verschiedensten Stilelementen; von FoIk über Country bis zu Reggae. "Fear & Whiskey", der Titel ihrer ,85er-LP deutet schon die zwei Seiten des MEKONS-Universums an. Zum einen sind die MEKONS eine "feucht-fröhliche" Gruppe (vor allem live), auf der anderen Seite stehen immer wieder Momente von Angst, Verzweiflung und Weltschmerz im Vordergrund. "Mekons Rock‘n‘Roll", 1989 veröffentlicht, war dann - wie der Name schon andeutet - die bislang Rock-orientierteste Platte. Unter Mekonsfans gilt sie als ihre beste Produktion.
In den 90er Jahren war die Musik der Mekons ein wenig uneinheitlich, was vor allem auch daran lag, dass Jon Langford (gt, voc.), Steve Goulding (dr.) und Sally Timms nach Chicago zogen, aus sowohl privaten (Heiraten) als auch musikalischen Gründen (Nähe zum Country). Neben einer platten Rock-LP versuchten sie sich auch an einer Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Kathy Acker (Pussy, King of the Pirates). "ME" war ein Konzeptalbum über die Egozentriertheit der 90er. Neben Jon Langford und Sally Timms hat auch der Akkordeon-Spieler Rico Bell mehrere Soloplatten veröffentlicht. Einzig Ur-Mekon Tom Greenhalgh (Ich habe Jon eingeladen!) lebt noch in England ein Leben abseits vom US-Betrieb. In den letzten Jahren hat Jon Langford sowohl als Kritiker des Nashville-Kommerzes, als bildender Künstler (Haupterwerbszweig) aber auch als Leiter der Countryband Waco Brothers von sich reden gemacht. Im März erscheint „Journey to the end of the night", ein neues Album, das vor allem an die Mitachtziger Lps anknüpfen soll.
Warum gibt es die Mekons noch: „Aufzuhören hätte zu viel Stress bedeutet." (Sally Timms)
Warum kennt sie kein Mensch, obwohl sie laut Greil Marcus die wichtigste Band der 80er waren? „Totaler Verzicht auf jede Form von kommerziellem Ehrgeiz" (Jon Langford).

Hier ein Beispiel (MP3) ihrer Musik: MEMPHIS EGYPT, Mekons at the Museum of Contemporary Art Chicago, 20-09-97 (2oth Anniversary Show), (2,5 MB)

Inhalt
Johann Anton Leisewitz:

Aus einem Schreiben
an
Professor Lichtenberg
in
G ö t t i n g e n .
_________

Braunschweig, den 25. Februar 1781.


     Die Nachricht von Lessing´s Tode ist nur zu wahr. Der Mann, dem für seine mannigfaltigen Talente, auch ein rein ausgelebtes Menschenalter noch immer zu kurz gewesen wäre, starb am 15. Februar im 53sten Jahre.
     Doch ich muß Betrachtungen der Art abbrechen, wenn ich fortschreiben will, und Sie verlangen ja auch nur eine authentischen Nachricht von seinem Tode.
     Lessing bemerkte schon seit langer Zeit eine Abnahme seiner Gesundheit, und die ersten Schwachheiten ließen einen Schlagfluß befürchten. Er fühlte eine gewisse der Lähmung nahe Schwere, eine unnatürliche Neigung zum Schlafe, die ihn oft in Gesellschaften, wenn er noch den letzten Bissen oder das letzte Wort im Munde hatte, überfiel. Zuweilen konnte er das Wort, das er suchte, nicht finden, sagte unwillkürlich ein anderes, und zuweilen kam ihm sogar ein Buchstaben statt eines andern in die Feder. Lessing war in gewissen Augenblicken nicht im Stande, zwei Zeilen orthographisch zu schreiben.
     Unterdessen waren das lange Zeit Übel eines einzigen Augenblick´s, und bloß körperliche Übel, sein Geist blieb noch immer so sehr derselbe, daß verschiedene seiner vertrautesten Freunde seine Krankheit für Einblildung hielten.
     Eine Reise im vorigen Herbste schien ihm sehr vortheilhaft gewesen zu sein; allein seine Schwachheit nahm mit dem Winter auf die heftigste Art zu.. Er ward in den letzten Monaten äußerst engbrüstig, ein Weg nach Braunschweig kostete ihm Stunden, sein Gang ward schleppend, seine Stimme gedämpft, jenes durchdringende Feuer seiner Augen fing an zu verlöschen. Er klagte nun auch, daß er keine Gedanken zusammen bringen könne, daß er immer arbeiten wolle, und nie arbeiten könne, er ward gegen alles gleichgültig; wir vermissten ihn recht in seinem Umgange, denn auch da glänzten vorher alle seine Talente nur in der Richtung, die ihnen die Unterredung anwies.
     Den 3ten Februar, wie er des Abends in Gesellschaft gespeist hat, kömmt er recht engbrüstig zu Hause, er hatte sogar die Sprache verloren. Dem ungeachtet will er zu keinem Arzt schicken, und befiehlt auch dem Bedienten, ihn allein zu lassen und das Zimmer zu verschließen. Er hat eine höchst üble Nacht, und doch trifft ihn einer seiner Bekannten den andern Morgen unter den Händen des Friseurs an, weil er fest entschlossen ist, nach Wolfenbüttel zu fahren, das er wahrscheinlich nicht erreicht hätte. Es kostete Mühe, ihn davon abzubringen und ihn zu überreden, unsern Leib=Medicus Brückmann kommen zu lassen. Dieser ließ ihm sogleich eine Ader schlagen und Zugpflaster legen. Er fing nun auch an, Blut auszuwerfen, schien sich doch aber gleich den folgenden Tag ziemlich erholet zu haben.
     Während seiner Krankheit war er sehr ruhig, gelassen und zuweilen munter, oft und lange außer Bette, nahm viele Besuche an, und ließ sich vorlesen. Zu einer Zeit schien er sich seinem Tod sehr nahe, zu einer andern sehr entfernt zu denken. Auf seine gänzliche Genesung hoffte er unterdessen nicht, und erklärte einmal, er sei auf Leben und Tod gefaßt.
     Lessing hatte in seinem ganzen Leben einen ungemein folgsamen Schlaf, der sogleich kam, wenn es ihm einfiel die Augen zu schließen; er hat mich oft versichert, daß er nie geträumt hätte. Dieses Glück behielt er bis an sein Ende, und sagte noch kurz vorher, wenn er den ganzen Tag geschlafen hätte, freue er sich doch auf die Nacht.
     Unterdessen kamen die Anfälle der Engbrüstigkeit immer von neuem wieder, und es war umsonst, daß seine Ärzte, Herr Leibmedicus Brückmann und Herr Hofrath Sommer, alles anwandten, was die Freundschaft fodern, und die Kunst leisten konnte.
     Am letzten Tage glaubte er sich außerordentlich wohl zu befinden, wie er sich aber Abends in´s Bett legen ließ, befiel ihn die Engbrüstigkeit so heftig, daß er nach wenigen Minuten, sich und den Umstehenden unvermuthet, starb.
     Herr Hofrath Sommer öffnete den Leichnam, und ist so gütig gewesen mir die Erlaubnis zu geben, Ihnen den Sections=Bericht mittheilen zu dürfen. Dieser verdienstvolle Mann hält die in Lessing´s Alter ungewöhnlichen Verknöcherungen für die Ursache der Brust=Wassersucht und des Todes.
     Unter Lessing´s Nachlasse müssen sich verschiedene sehr schätzbare Handschriften finden, viele Anmerkungen über die deutsche Sprache und alte Litteratur, eine ziemliche Menge von Collectaneen über das Heldenbuch, eine nach mehreren Manuscripten berichtigte Abschrift des Renners, Reise=Anmerkungen über Italien, der Anfang einer Lebensbeschreibung des seel. Reiske, Entwürfe zu Schauspielen, und schon ausgearbeitete Scenen, wenigstens einige zu dem Doktor Faust, welche die in den Litteratur=Briefen bekannt gewordenen übertreffen, vielleicht etwas von einem Spartakus und Nero. Er hatte sich auch wenigstens vorgenommen, eine Geschichte der deutschen Dichtkunst, von den Minnesängern bis auf Luther zu schreiben; ich weiß aber nicht, ob sich davon etwas finden wird.
     Besonders muß sich jetzt ein Umstand aufklären, der für das Publicum äußerst interessant ist. Vor einigen Jahren wurde Lessingen in Leipzig ein Kasten mit Handschriften entwandt oder durch Nachlässigkeit verloren; in diesem Kasten befanden sich, nur, so viel ich weiß, ein Schauspiel, die Matrone von Epheus, eine Abhandlung über die beste Einrichtung eines deutschen Wörterbuchs, der Buchstaben A zu einem deutschen Wörterbuche, eine Litteratur=Geschichte der Aesopischen Fabel. Lessing behauptete nun zwar immer, daß er keine Concepte oder Abschriften von diesen verlor´nen Schriften mehr hätte. Allein viele seiner Freunde, die seine Abneigung, zwei Mal an dieselbe Sache zu gehen, kannten, haben immer an diesem Vorgeben gezweifelt, und ich weiß jemand, der noch nach dieser Zeit eine Abschrift der Matrone von Ephesus bei ihm gesehen haben will.
     Diese Abneigung, von der ich eben redete, ging so weit, daß er zuweilen etwas liegen ließ, wenn schon ein Theil davon gedruckt war. Zu den Fragmenten dieser Art gehört ein Schauspiel, der Schlaftrunk und ein Sophocles, der schon 1760 bei Voß in Berlin bis zur 113ten Seite abgedruckt ist. Es sollte eine Abhandlung über das Leben und die Schriften des griechischen Dichters werden, und ist ganz im Geschmack des Bayle.
     Ich bin etc.
                              L e i s e w i t z .

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Quelle: Sämmtliche Schriften von Joh. Anton Leisewitz. Zum erstenmal vollständig gesammelt und mit einer Lebensbeschreibung des Autors eingeleitet. Nebst Leisewitz´ Porträt und einem Facsimile. Einzig rechtmäßige Gesammtausgabe. Braunschweig. Verlag von Eduard Leibrock. 1838.


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