Reisen zu Wasser und
zu Lande des Scaramuz
ERSTE ABTEILUNG,
WELCHE DIE REISEN ZU LANDE ENTHÄLT
Geneigter Leser! Daß du hier nicht zugleich die Reisen zu Wasser
erhältst, geschieht aus dem einfachen Grunde, weil sie der Autor selbst
zur Zeit noch nicht angestellt hat. Ich verweise dich also, falls ich nicht
unterdes im großen Weltmeer ertrunken bin, so Gott will, auf den
künftigen Jahrgang dieses Taschenbuchs!
Erste Abteilung
ERSTES KAPITEL
Scaramuz tanzt auf seiner Eltern Hochzeit
Ich erblickte das Licht der Welt in demjenigen Teile von Polen, der,
nach den neuern Landkarten, jetzt Südpreußen genannt wird. Meine
Schwester ward sehr früh, in ihrem funfzehnten Jahre, nach Warschau
verheiratet. Da auch der Notarius einmal da war, so stipulierten meine
geliebte Eltern, die nun auch des ledigen Standes nachgerade herzlich überdrüssig
wurden, zugleich und zur nämlichen Zeit ihren eignen Ehekontrakt.
Es war ein herrlicher, unvergeßlicher
Tag! So eine Liebe, so eine Eintracht! Wir Kinder waren alle ein Herz und
eine Seele und tanzten zusammen auf unsrer Eltern Hochzeit. Mutter forderte
Kasimir auf so hieß mein ältester Bruder , eine Menuett
à la Reine mit ihr zu tanzen, das er ihr auch nicht abschlug, obgleich
die ganze Nachbarschaft wußte, daß sie weder stifts- noch turnierfähig
sei. Acht Tage darauf gab´s ein großes Vogelschießen
auf unsers Vaters Schloßhof. Das war eine Lust! Vaters Schloß
war eins der angesehensten in der ganzen Provinz; denn es hatte zwei ganze
Fenstererker wiewohl der linke durch das Vogelschießen seitdem
ein wenig von den Bolzen gelitten hat. Mama galt in der ganzen umliegenden
Gegend für eine erzgelehrte Dame; denn sie las fertig weg, ohne eben
viel zu buchstabieren. Das verdankte sie denn alles unserm seligen Hofkaplan,
der, Gott tröste seine Seele! ein Herr von absonderlichen Einsichten
war. Und mäßig, mäßig dabei! Oh! Kein Mensch wird
es glauben, aber, Ehre, sag ich, dem Ehre gebühret! In der ganzen
Woiwodschaft war er unter allen seinen Herrn Amtsbrüdern es allein,
den die Bauern von den Gevatterschmäusen nicht nach Hause tragen
durften.
ZWEITES KAPITEL
Ein reisender Virtuose, ein polnisches Fräulein,
ein Marktschreier und ein Jahrmarktsaffe
Als die Festins vorbei waren, tat mein Vater mich auf das Gymnasium
zu Danzig.
Ich fuhr auf dem Postwagen. Meine Reisegesellschaft
bestand aus einem reisenden Virtuosen, einem schönen polnischen Fräulein,
einem trunknen Marktschreier und einem großen Jahrmarktsaffen.
Der Marktschreier brach sich gleich auf der
ersten Station den Hals. Auf der zweiten Station wollt ich eben aufsteigen,
als die Nachricht einlief, der reisende Virtuose sei mit dem Fräulein
ganz in der Stille, und ohne die Zeche zu bezahlen, abgereist. Wäre
nicht der Postillion noch gewesen, ich glaube, Gott verzeih mir's! ich
und der Jahrmarktsalfe wären allein nur nach Danzig gekommen.
DRITTES KAPITEL
Enthält tiefe Reflexionen
über die Nützlichkeit der Stockschläge
und den Unterschied der Stände
Der Professor des dortigen akademischen Gymnasii, bei dem ich mein Absteigequartier
nahm, galt für einen Mann von unermeßlicher Gelehrsamkeit und
noch unermeßlicherer Gravität. Seine Untergebenen nannten ihn
Sr. Exzellenz. So hießen in Danzig die Professoren, so wie die Schöppenherren
Ihro Herrlichkeit. Den Morgen nach meiner Ankunft ward ich in dem Kreuzgange
von Graumünchen introduziert; das heißt, ein Haufe künftiger
Mitschüler zog mich gewaltsam an einen Kirchenpfeiler, wo ich unter
frohlockendem Geschrei der Umstehenden ein höchst schmerzhaftes Produkt
von zwanzig Streichen mit kleinen knotigen Bambusstöcken empfing.
Nach geendigter Exekution trat ein junger Patrizier an mich, der selbst
bei dieser tragikomischen Farce eine Hauptrolle gespielt hatte. "Gratulieren
Sie sich!" hub der junge Herr in einem höchst leutseligen Tone an,
"Sie sind mit der Hälfte abgekommen, weil Sie von Adel sind. Wären
Sie bürgerlicher Extraktion, so zählten wir Ihnen zweiundvierzig
netto zu, von wegen des vorausgesetzten stärkern Knochensystems."
Ich dankte pflichtschuldigst für die ungemein ehrenvolle Distinktion
und ging sogleich nach Hause, um mir Spannadern und Rückgrat mit Seifenspiritus
einzureiben. Es war ein höllischer Schmerz, und ich hatte unterdes
die schönste Gelegenheit, über den Unterschied der Stände
und ihre Nützlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft die tiefsten
Reflexionen anzustellen.
VIERTES KAPITEL
Fünfundsechzig Definitionen von der Glückseligkeit
und ein einäugiger Kriminalrat
Alles dies war mir nur halb recht. Doch versprach ich mir in einer anhaltenden
Beschäftigung mit den Wissenschaften einige Schadloshaltung. Ich hatte
immer gehört, die Weltweisheit sei der einzig mögliche Weg zur
wahren Glückseligkeit, und glückselig wollt ich nun einmal durchaus
werden. Deshalb kauft ich alles zusammen, was ich nur von philosophischen
Kompendien, Wegweisern und Wörterbüchern aufzutreiben vermochte.
Es gab damals gerade nicht mehr als fünfundsechzig einander schnurstracks
entgegengesetzte Definitionen von dem Ausdruck Glückseligkeit. Jegliche
derselben mit deutscher Gründlichkeit aufzufassen ward zum wenigsten
ein Jahr erfordert. Da nun aber unser Leben, wenn's hoch kommt, siebzig
währt und, wenn's köstlich gewesen ist, achtzig, so sah ich gar
bald ein, daß mir wenig Zeit übrigbleiben dürfte, glückselig
zu sein, wenn ich so viel darauf verwendete, es erst zu werden. Alle drei
Wochen sah ich an den Kirchentüren Theses angeschlagen, die in dies
Kapitel einschlugen. Drüber stand gewöhnlich mit Unzialbuchstaben:
Ad majorem Dei gloriam! Der Tag erschien. Voll gespannter Erwartung betrat,
ich das Auditorium, und ich hatte drei bis vier Stunden, ad majorem Dei
gloriam, bis zum Sterben Langeweile. Überhaupt ließt ich es
mir gern einmal erklären, warum so ziemlich alles, was man zu Ehren
Gottes in der Welt unternimmt, so schlecht ausfällt, das Latein in
diesen Disputationen selbst nicht ausgenommen.
Nebenan dem Hause Sr. Exzellenz, des Herrn
Professor X., wohnte ein alter einäugiger Kriminalrat, der unter der
hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung grau geworden war. Dieser heiratete,
als ein Greis von fünfundsiebzig Jahren, eine reizende Brünette
in der Blüte ihrer Jugend, mit welcher er keine Kinder zeugte, vermutlich,
weil er es gegen seine Amtspflicht hielt, irgend jemand das Leben zu
schenken.
Der Kriminalrat hatte, wie gesagt, nur ein
Auge; Amalie war feurig und eben achtzehn Sommer alt; ich neunzehn. Der
geneigte Leser wird bemerken, daß in diesem Umstande die Hauptingredienzien
zu einem ganzen bändereichen Romane enthalten sind.
Und so ging es denn auch. Eines Tages fanden
wir uns in einer Auktion von Kupferstichen zusammen. Amalie hatte soeben
ein schönes Blatt erstanden. Es war schwarze Kunst mythologischen
Inhalts und stellte den hundertäugigen Argus, den eifersüchtigen
Wächter der Jo, vor, wie ihn Merkur durch seine Flöte soeben
einschläferte. Ich ergriff einen Bleistift und schrieb folgendes Imprornptu
flüchtig unter den weißen Rand:
Schau hin, Amalie! Gelang es einst Merkur,
Trotz hundert
Augen, doch den Argus zu berücken:
O warum zauderst
du, mich Armen zu beglücken?
Grausame! Uns
bewacht ein einzig Aug ja nur.
Sie errötete sittsam und schob das Blatt
unvermerkt unter die andern. Aber bald darauf lächelte sie mir freundlich
zu. Ich faßte Mut. Die Gelegenheit ward günstig und schien sich
von selbst einzuleiten. Hatte der verhaßte Graukopf von Kriminalrat
indes von meinen nächtlichen Besuchen etwas gemerkt oder nicht: genug,
er brachte mehrere Nächte schlaflos zu, kaufte doppelte Vorhängeschlösser
und hielt von Stund an einen getreuen Kettenhund. Amalie geriet in Verzweiflung.
Was zu tun? - Über den Hof mußt ich nun einmal! und Cerberus,
o das war das wachsamste Tier auf zehn Meilen in die Runde, das auf den
kleinsten Laut anschlug und alle Fremden anbellte, außer seinen ehemaligen
Herrn, und der war ich. Süßes Andenken zu schnell
entflohner Jugendlust! Ich lag in ihren Armen, die Sterne schienen freundlich,
und alle fünfundsechzig Definitionen von Glückseligkeit waren
rein vergessen.
FÜNFTES KAPITEL
Ein Leichenbegängnis und eine Relegation cum infamia
Noch eine Begebenheit darf ich hier nicht mit
Stillschweigen übergehen, weil sie von zu wichtigem Einfluß
auf mein übriges Leben war. Sr. Exzellenz, der Herr Professor, gingen
eines Tages mit mir zusammen auf einen Leichenschmaus. Der Zug ging die
Langasse auf, über den langen Markt, nach der Marienkirche. Wohlseliger
ließen sich dort, nach der Sitte ihrer glorreichen Älterväter,
nachdem sie so ein sechzig Jahre von fetten Deputaten gezehrt und quomodo
conviva fatur von dem großen Gastmahle dieses Lebens ihren Abtritt
genommen hatten,
Aus Marmor eine
Ruhstatt bauen,
Die lange Mahlzeit
zu verdauen.
Nach dem Leichenbegängnisse ward weidlich
pokuliert, also daß der Professor beim Nachhausefahren fest im Wagen
einschlief. Anstatt ihn aufzuwecken, war ich boshaft genug, allein auszusteigen
und ganz los und leise den Wagenschlag wieder zuzuschließen. Der
arglose Mietkutscher fuhr fort. Die Mitternacht begünstigte die Ausführung
meines Plans. Gegen zwei Uhr erhob sich ein gewaltiges Gepolter in der
Wagenremise. Der Stallknecht eilt erschrocken mit Licht herbei, und siehe
da! Sr. Exzellenz, der Herr Professor X., der, im völligen Trauerornat,
soeben vom Schlafe erwacht und aus dem Kutschkasten hervorkriecht. Der
Vorfall, wie vorauszusehen war, blieb nicht verschwiegen, und ein hochlöbliches,
akademisches Gericht trug für mich auf Relegation cum infamia an.
Man denke sich mein Erstaunen, als mir von Sr. Magnifizenz, dem Herrn Doktor
..., angedeutet wurde, das Territorium der Republik Danzig innerhalb vierundzwanzig
Stunden zu räumen. Wer die damalige Lage der Sachen nicht kennt, dem
könnte dieser Beschluß vielleicht zu peremptorisch und der anberaumte
Zeitraum zu kurz erscheinen. Allein der geneigte Leser wird bedenken, daß
Sr. Königl. Majestät von Preußen es mir durch ihre von
Zeit zu Zeit vorwärts poussierten Vedetten und Schlagbäume ungemein
erleichtert, ja es mir sogar möglich gemacht hatten, solchem Petito
innerhalb drei Viertelstunden auf das vollkommenste zu gehorsamen.
SECHSTES KAPITEL
Etwas über die deutsche Reichspost
und den deutschen Reichstag
Als die Extrapost im hohen Wasser anhielt, warf ich noch einmal einen
Blick voll unnennbarer Sehnsucht auf die allmählich zurücktretenden
Türme und Paläste. Gleich einem Träumenden, und wie verloren
in das süße Andenken einer Nacht in den Armen Amaliens, stand
ich da in der romantisch wilden Landschaft, vor mir die brausende Ostsee,
mit ihren weißen Segeln und hervorspringenden Masten, und hinter
mir das dumpfe und allmählich verstummende Getöse der Stadt und
der Schiffsreede.
Ich streckte die Arme aus und rief: "Amalie!"
Süßer Name! Die Echo hatte ihn nicht vergessen. Von Berg und
Tal, in Fels und Gesträuch hallt' es wider: Amalie! Wer könnte
dich auch vergessen, Amalie! Hier blies der Postillion. Ich trocknete ein
paar flüchtige Tränen auf. Der Wagen flog davon.
Flog? Das nun wohl nicht. Indessen wer deutsche
Poesie und deutsches Postfuhrwesen kennt, weiß ja ohnehin, wie er
dergleichen zu verstehen hat. - Die Postpferde nehmen von euern poetischen
Deskriptionen, und dem "Cito" auf euern Briefcouverten gerade gleich viel
Notiz.
Keine Mißverständnisse, bitt ich!
Überall schätz und lieb ich, was Deutsch heißt; vor allem
die deutsche Reichspost und den deutschen Reichstag. Nein, nein! ich sag
es keck heraus, es gibt keine schönere Gegenstücke.
Das Heil'ge, Römische, Deutsche Reich
Der deutschen
Reichspost ist gar gleich.
Nur vorwärts,
Schwager! Glück zur Fahrt,
Was auch die
alte Achse knarrt!
Ihr leiert fort
bei Tag und Nacht,
Obgleich im
Posthaus niemand wacht.
Ja schnarcht
auch selbst der Postillion,
Doch kommt er
auf die Poststation,
Er hält
er nur durch Peitschenschlag
Im Schlaf sein
Zug- und Lastvieh wach.
Das Zug- und
Lastvieh im Staate sind wir,
Ihr Herrn und
Fraun, nach Standsgebühr.
Der Reichstag war eben dazumal in der verwickelten
Untersuchung begriffen, ob gegenwärtiger Krieg wie der von Kaiser
Karl 1519, gegen Franz und Heinrich von Navarra, oder wie der von Anno
1618, gegen Ludwig den XIII. und den Kardinal Richelieu, zu führen
sei. Mittlerweile, und eh das Konklusum noch zur Reichsdiktatur gebracht
wurde, hatten die Franzosenn gerade 125 Dörfer in Brand gesteckt,
95 Städte geplündert, 100 Flecken gebrandschatzt und drangen,
gleich einem unaufhaltsamen Strome, durch die vorliegenden Reichskreise
in das Herz von Deutschland. Die Verwirrung war allgemein, und selbst das
mächtige Östreich unterlag am Ende seinen großmütigen
Aufopferungen. Ob übrigens gegenwärtiger Krieg wie der von Anno
1519 oder wie der von Anno 1618 zu führen sei, laß ich anheimgestellt.
Ich bin viel zu wenig mit den Reichstagsgrundstaatsgesetzen bekannt. Soviel
indes stände unsern Nachkommen unmaßgeblich zu raten, ihre Kriege
gegen den Reichsfeind zu führen, wie sie immerhin wollten, nur ja
nicht so wie Anno 1796.
SIEBENTES KAPITEL
Die Teilung von Polen, virginischer Knaster, das Sittengesetz
und ein preußischer Zollvisitator
Mein Vater hatte mir ein vorteilhaftes Empfehlungsschreiben an einen
der ersten preußischen Minister ausgewirkt. Gerade den Tag nach meiner
Ankunft ging eine sehr anständige Zivilbedienung auf. Ich meldete
mich dazu. Sr. Exzellenz drückten mir höchst menschenfreundlich
die Hand und versprachen, ihr Möglichstes zu tun. Wer war froher als
ich! Den Abend vor der Besetzung aß ich beim Minister. Das Gespräch
fiel auf Polen. Sr. Exzellenz fragten mich, ob ich nicht ganz unparteiisch
bekennen müßte, daß mein Vaterland durch die neue, vorhabende
Teilung ungemein gewinne. Ich schwieg. Er drang in mich, und ich erzogen
in den strengen Prinzipien der Kantischen Moral, die auch die kleinste
Notlüge für unerlaubt hält gestand ihm geradheraus das
Gegenteil. Alle Anwesenden zuckten die Achsel. Der Assessor N., mein Mitbewerber,
ergoß sich in einen Strom von Schmähungen gegen Polen und die
Verfügungen des Warschauer Reichstags. Den Morgen darauf ward dem
wegen seiner patriotischen Gesinnungen rühmlichst bekannten Assessor
N. durch ein allerhöchstes Kabinettsschreiben der erledigte Zivilposten
erteilt. Ein für mich höchst unangenehmer Vorfall! Zur Zerstreuung
unternahm ich eine kleine Lustreise. "Was Akzisbares?" rief der Visitator
am Brandenburger Stadttor, als ich nach Verlauf von vierzehn Tagen mit
acht bis neun Pfund virginischem Knaster im Wagenkasten wieder zurückkehrte.
Wie nun? Nach den ewig gültigen Forderungen des Kantischen Sittengesetzes
mußt ich diese Frage schlechterdings mit ja beantworten; nach meinen
gemachten Erfahrungen von der Ungültigkeit der Kantischen Philosophie
im preußischen Regierungssystern schlechterdings mit Nein! Also
nein!
"Mein Herr, belieben Sie auszusteigen!"
Mir klopfte das Herz. Mein Wagen ward durchsucht,
mein Tobak gefunden und ich selbst von zwei Mann Wache nach dem neuen Packhof
eskortiert. "Aber, meine Herren", hub ich in dem leutseligsten Tone von
der Welt an, indem ich meine ganze Barschaft an Gold und Silber auf das
Schreibepult des Obereinnehmers ausschüttete, "sagen Sie mir, weshalb
in aller Welt denn bin ich strafbar?"
"Wegen Contraband, Verheimlichung und Lügen."
"Lügen? Aber, mit Ihrer gütigen
Erlaubnis, es ist dies die offenbarste Inkonsequenz!"
"Wie verstehen Sie das?"
"Es erklärt sich von selbst."
"Kant lehrt auf einer preußischen Universität.
Gut! Sie bekennen sich zu seinem System. Ich habe nichts dagegen."
"Ewr. Wohlgeboren halten die Notlüge
für unerlaubt; ich auch. Aber nun sagen Sie mir, wie geht das zu?
Vor acht Tagen komm ich kraft eines allerhöchsten
Kabinettsbefehls um eine gewisse Exspektanz. Warum? Weil ich nicht lügen
will. Heute, kraft des königlichpreußischen Zolltarifs, um meine
Geldbörse. Und warum? Weil ich es will." Hier brach der Obereinnehmer
in ein lautes Gelächter aus, und ich verließ unter tausend Verwünschungen
den Packhof.
ACHTES KAPITEL
Die goldne Uhr
Unzufrieden mit Kant, dem preußischen Zolltarif und der Teilung
von Polen, wandelte ich den Tiergarten auf, und ab und überließ
mich den schwermütigsten Betrachtungen.
Plötzlich ward ich durch das Rauschen
eines seidnen Gewandes am niedrigen Tannengebüsch aus meiner Einsamkeit
aufgestört. "Verzeihen Sie", rief ein holseliges Geschöpf, das
plötzlich ins Dickicht trat und ebensoschnell wieder zurückfloh.
Ich folgte ihr. Wir gingen die einsamsten Schattengänge des Tiergartens
entlang. Unsre Herzen schlossen sich einander auf. Es war etwas auf ihrem
Antlitz, das mir wohltat, ein Zug von stiller Teilnahme und Schwermut.
Sie gewann bald mein Zutrauen. Ich erzählte ihr einen Teil meiner
unglücklichen Geschichte. Tränen glänzten in ihrem schönen
Auge.
"Sie haben Aufheiterung nötig, mein Lieber.
Es ist Sonnabend und heut eben ein großes Privatkonzert. Folgen Sie
mir dorthin!" Ich entschuldigte mich mit der Nachlässigkeit meines
Anzuges. "Das tut nichts", fuhr sie mit einem unaussprechlichen Ausdruck
von Herzensgüte fort, der im Innersten meiner Seele widerklang, indem
sie ihre Hand sanft auf die meinige legte, "das tut nichts! der Salon hat
Logen, Sie sind dort ungestört und, wenn Sie wollen, allein."
Somit bot ich ihr meinen Arm. Wir gingen durchs
Brandenburger Tor herein, gerade die Linden hinauf und, dann seitwärts
ab durch ein paar Querstraßen. Die Dämmerung hatte zugenommen.
Vor der Türe unterschied ich mehrere Equipagen. Bediente empfingen
uns mit Licht. Eine Seitenloge ward aufgeschlossen.
Bei dem blaßgelben, zitternden Schein
von Girandolen und einem von der Kuppel des Tempels herabschwebenden Kronleuchter
von Kristall waren die Gegenstände ringsum weniger als halb sichtbar.
Ein klagendes Adagio tönte verloren aus einer Art von Nische im Hintergrunde
hervor. Blaue Weihrauchwolken dampften aus Silberkapseln und schwebten,
liebliche Wohlgerüche verbreitend, auf und ab die Rotunde.
Still und gedankenvoll saßen wir einander
gegenüber. Die rottaffetnen Vorhänge meiner Loge warfen einen
roten, magischen Widerschein auf das weiße Gewand meiner schönen
Unbekannten. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich mich ihrem
holden Angesicht nahte. Ein unsichtbarer Zauber umfloß mich. Alle
Sinne waren mir vergangen. Ich fühlte den leisen, warmen Anhauch ihres
Atems, und in dem überirdischen Lichte, worin sich alle ihre Gesichtszüge,
je länger ich sie ansah, meiner trunknen Einbildungskraft verklärten,
glaubte ich meine Amalie, meine ewig geliebte Amalie, wiederzuerkennen.
Und als wir nun vollends nicht mehr still
und gedankenvoll einander gegenübersaßen, als unsre Lippen sich
wechselweis in glühenden Küssen begegneten, die
Hiatus in manuscripto.
Nachschrift des Herausgebers
zu diesem Kapitel
Glücklicherweise stößt hier die vermeinte Amalie mit
ihrem schönen Ellbogen ganz unwillkürlich an die halb aufgezognen,
rottaffetnen Logenvorhänge, Sie sinken herunter, und nichts in der
Welt soll meine keusche Muse bewegen, sie im Angesicht eines respektiven
deutschen Publikums wieder aufzuziehen.
Genug, unter dem heiligen Siegel einer ewigen und unverbrüchlichen
Verschwiegenheit werden dem guten, arglosen Scaramuz Gunstbezeigungen zugestanden,
die er nur mit dem höchsten Widerwillen tages darauf dem Herrn Polizeidirektor
Eisenberg anvertraut. Ich weiß, meine schöne Damen, daß
dieser Meineid auf seiner Seite sich durchaus nicht ganz entschuldigen
läßt; allein haben Sie die Geneigtheit zu bedenken, daß
es denn doch auch für einen armen Teufel wie Scaramuz keine Kleinigkeit
ist, zugleich an einem Nachmittage sein Herz und seine Uhr zu verlieren.
NEUNTES KAPITFL
Der Gendarmturm, Totengespräch,
Trenck und Charon
Ich schrieb Posttag für Posttag an meinen Vater, aber erhielt keine
Antwort. Dadurch geriet ich denn sehr bald in eine höchst bedenkliche
Situation. Aus Unmut und Verzweifelung ergriff ich die Feder.
Hatte der große Rousseau Noten kopiert,
warum sollte Scaramuz nicht Akten kopieren? So sprach ich zu mir selbst
und ließ mich bei der hiesigen Stadtkanzelei als Supernumerairkopist
anstellen. Aber dazu hatt ich nun einmal zuviel Originalität. In vierzehn
Tagen war ich des Dinges herzlich überdrüssig und beschloß,
mich bei irgendeiner deutschen Romanfabrik zu verdingen. In der Tat fand
ich auch bald genug, daß der Übergang von einem Kopisten zu
einem modernen Autor viel leichter ist als von einem Autor zum Kopisten.
Beide treffen in einem Hauptpunkt zusammen im Abschreiben. Dies veranlaßte
folgendes Sinngedicht, das durch die boshafte Vermittelung meiner Feinde
in die "Spenersche Zeitung" eingerückt ward.
An Sc.
Was in der Kanzelei
du einst gewesen bist,
Das bist du
immer noch als Autor - ein Kopist.
Man sagt von
dir sogar - was sagt man nicht! - du schriebest
Dich selbst
oft ab, damit du nur in - Übung bliebest.
Unglücklicherweise hatte ich zur nämlichen
Zeit ein Totengespräch zwischen Charon und dem Baron von Trenck verfaßt:
"Tretick bestand darauf, sich in die Barke
einzuschiffen, und Charon auf die Erlegung eines Obolus. Trenck gab ihm
einen preußischeu Böhmen *), und Charon rief verdrüßlich:
"Beim Styx! Sieh mir eins den Maulaffen! Was soll ich denn in der Unterwelt
mit der lumpichten Kupfermünze anfangen, da sie sich kaum auf der
Oberwelt mit Not und Jammer in Cours erhält?"
Das Münzdirektorium nahm diese Freimütigkeit
etwas krumm und Untersagte mir den Verkauf meines Wochenblatts. Was zu
tun? Glücklicherweise hatte ich Talent zur Zeichenkunst. Ich beschloß,
die prächtigsten Gebäude Berlins im Grundriß aufzunehmen.
Das Werk sollte heftweis erscheinen. Mit dem neuerbauten Turm auf dem Gendarmplatz
hub ich an. Bis auf die Kuppel stand er fix und fertig. Aber Unglück
über Unglück! Kaum trat ich mit meinem Reißzeuge vor dies
herrliche Monument moderner Kunst und Art, als es, Gott weiß wie,
zusammenfiel. Dadurch verging mir denn alle Lust, weiterzuzeichnen; denn
ich sah ein, daß bei unsrer gegenwärtigen Bauart diese Unternehmung
höchst tollkühn sei. Einige Zeit lang lebte ich von dem Ertrag
meiner Pränumerationsgelder und was mir etwa beiher die Verfertigung
von Bittschriften abwarf. Unter der Berliner Bürgerschaft ging dazumal
das Gerücht, die Regierung sei soeben mit der Auffindung von Maßregeln
beschäftigt, dem immer mehr einreißenden Laster der Trunkenheit
zu steuern, und schon sei zur Schließung der vielfachen Destillateurladen
ausdrücklich ein Kabinettsbefehl erteilt.
Die Bestürzung unter derjenigen Einwohnern,
die diese Verfügung unmittelbar traf, war unaussprechlich, die Gärung
unter der ihnen anhängenden Volksklasse bedenklich. In diesen merkwürdigen
Zeitraum fiel die Verfertigung meiner Bittschrift. Sie hat alle jene Besorgnisse
auf das glücklichste gehoben und die Einstellung aller weitern Untersuchungen
über diesen Gegenstand veranlaßt. Hier ist sie, bis auf einige
unbedeutende Abänderungen ...
____________________
*) Preußischer Böhme, preußisches Düttchen,
gilt bloß in einem Teil der Provinz; in der Hauptstadt nimmt es niemand..
ZEHNTES KAPITEL
Bittschrift der Berliner Destillateure
"Übelgesinnte Mitbürger haben einem hohen Generaldirektorio
durch die gehässigste Vorspiegelung einen der ergiebigsten Handlungszweige
der Mark Brandenburg verdächtig gemacht. Unstreitig aber gehören
die Destillieröfen unter die wohltätigsten Erfindungen neuerer
Zeit, und ihr unmittelbarer Einfluß
1) auf den Handel,
2) auf die Bevölkerung,
3) auf die Taktik,
4) auf die Gewerbe der Untertanen ist wohl
unleugbar.
Handel
Was diesen Punkt betrifft, so sind alle Politiker über folgenden
Grundsatz einverstanden. Je größer die Konsumption in einem
Lande ist, um so ausgebreiteter ist sein Kommerz. Nun aber läßt
es sich nachweisen, daß Monat für Monat eine Quantität
von 300 Wimpeln Roggen allein für die berlinischen Destillierkolben
geschroten wird. Ja, ein einzelner Mensch, leert er täglich eine Flasche
von diesem Getränk aus ein Fall, der unter uns, Gott sei es gedankt!
noch nicht so gar selten geworden ist , verbraucht eo ipso einen fünffach
größern Anteil von Brotkorn zu seiner Mundprovision.
Nach einer keinem Zweifel unterworfenen Bilanz
verschafft also der Trunk, im Vergleiche mit der Nüchternheit, dem
Handel einen fünffachen Vorteil. Auch dient die Verteurung der Lebensmittel
erster Gattung nicht allein zur Bereicherung unsrer Kornjuden und Erhöhung
der Getreidepreise, sondern auch zur Vermeidung aller Folgen einer gehässigen
Konkurrenz in Kauf und Verkauf.
Bevölkerung
Auch dies zweite Hauptstück meiner Einteilung ist einer aufmerksamen
Betrachtung nicht unwert.
Wie nachteilig die Bevölkerung einem
Lande von kleinem Flächeninhalt werden kann, hat unlängst ein
deutscher Autor im "Merkur" mit Scharfsinn erörtert. Sie erzeugt Teuerung,
Verzweifelung, und in dieser Stufenfolge schlummert der Keim zu allen Revolutionen.
Wie ist diesem Unglück vorzubeugen? Die Aufgabe gehört zu den
verwickeltsten in der Politik; die Geneigtheit der untern Volksklasse zur
Propagation ist grenzenlos; verschiedne Staaten ergriffen die verschiedensten
Maßregeln. Zu Amsterdam, Paris und Lyon sind es Guillotinen und Findelhäuser;
in Berlin und Potsdam Charite und Destillateurladen, wodurch man der Bevölkerung
kräftig entgegenarbeitet.
Von 5 989 Kindern starben zu Paris vor dem
fünften Jahre 5105; also von 100 immer 87. Dies erhellt unumstößlich
aus den Sterbelisten jener menschenfreundlichen Anstalt.
Im Hospitale zu Lyon waren nach Ablauf dieses
Jahres von 800 750 daraufgegangen.
Zu Amsterdarn wurden von 1761 bis 1770 Findlinge
aufgenommen - 205. Davon waren den 31. Dezember 178o noch am Leben 36.
Also fiel dem Findelhause, von 100, immer nur die Erziehung des Zehnten
zur Last.
In Ermangelung gleichförmiger Entvölkerungsinstitute
sehen wir uns in Berlin bloß auf Charite und Destillateurladen eingeschränkt.
In der Charité sterben jährlich von 6 000 Personen circiter
3 000, und der Branntwein rafft nach Percival *) jährlich mehr Europäer
hin als Krieg, Pest und alle ansteckende Seuchen zusammen. **)
__________
*) Siehe Percival, System einer vollständigen medizinischen
Polizei, z. B. S. 435.
**) Die so höchst ekelhafte Verunreinigung der Spree
verdient, unter den besten Mitteln zur Entvölkerung der Residenz,
nur einer flüchtigen Erwähnung. - Es gibt ein Geschirr, zu dessen
Bezeichnung, wie sich einer unsrer witzigsten Köpfe darüber ausdrückt,
wir der Göttin der Nacht ihren Namen abzuborgen pflegen. Die Ausleerung
desselben in einen Strom, aus dem man zugleich kocht, trinkt und braut,
mag immer die Berliner Mortalitätslisten Jahr für Jahr mit ein
paar hundert Toten mehr bereichern. Dies hat schon der selige Büsching
in. seinen "Wöchentlichen Nachrichten" 1783 bemerkt. Allein, was kommt
das in einer so volkreichen Hauptstadt in Anschlag?
Taktik
Der unleugbare Ein fluß dieses Getränks auf die Evolutionen
der modernen Taktik verdient ein ganz besonderes Augenmerk. Werfen wir
zuerst einen aufmerksamen, forschenden Blick auf die mit Rekruten angefüllten
Werbhäuser, an allen preußischen Grenzörtern, von Duisburg
am Rhein bis nach Warschau - so werden wir bald finden, daß von 85
Blauröcken immer 55 im Rausch angeworben sind. Deshalb pflegen sie
auch gemeinhin, sobald sie wieder nüchtern werden, auszutreten. Gleiche
Bewandtnis hat es mit den Siegen der Republikaner und den häufigen
Niederlagen der Alliierten. Wir alle wissen es ja aus den deutschen Hofzeitungen
und dem vortrefflichen politischen Journale befriedigend genug, daß
jene glänzen den Eroberungen nicht dein glühenden Enthusiasmus
der Nation für Freiheit und Menschenrechte, nicht der römischen
Standhaftigkeit ihrer Kohorten, nicht dem Heldenmut der Pichegru und Buonaparte,
sondern lediglich der berauschenden Kraft der Destillierkolben zuzuschreiben
sind.
Gewerbe
Durch den Vertrieb der Liköre werden der Gewerbsklasse immer neue
Nahrungszweige eröffnet.
Wie viele Werkstätten beschäftigt
nicht schon die bloße Verfertigung und Ausbesserung der Kessel, Retorten
und Destillieröfen?
Wo sonst finden die Glasfabriken ihren stärksten
Absatz als dort, wo man, in den rohen Ausbrüchen der Trunkenheit,
sich beinahe täglich die Trinkgläser und Flaschen zu ganzen Dutzenden
an die Köpfe wirft? der zerbrochenen Tobakspfeifen, Schenktische,
Schemelbeine nicht einmal zu gedenken. Welche Kontusionen aber sind unheilbarer
als die von Schemelbeinen? Welche Wunden gefahrvoller als die von Glasscherben?
Welche Kriminalhändel erklecklicher als die von Destillateurladen?
Ach! und jene armen hülflosen Geschöpfe, welche die "Stadt
Belgrad" und "Speyer" *), "Gibraltar" und "Köln am Rhein", "Der hölzerne
Schlafrock" und "Der schwarze Kater" aus ihren verborgensten Schlupfwinkeln,
in der einsamen Stunde der Mitternacht, über entfernte Schloßbrücken
und unbehorchte Kirchhöfe aussenden! Sie, deren Eroberungspläne
an so vielen grausamen Männerherzen scheitern; wo anders als in dem
zauberischen Zwielicht eines Destillateurladens öffnet sich ihren
verfallenen Reizungen eine einladende Freistatt? Wo bin ich? Welch ein
herzerschütterndes Schauspiel! Wohin ich schaue, was erblick ich?
Rotgeweinte Augen abgehärmte Wangen gesenkte Häupter! Wer
sind sie, diese ewig bedauernswerten Opfer einer treulosen Politik, die
in einem unabsehlich langen Trauerzuge vor meine geängstete Einbildungskraft
treten? Oh, ihr armen unglücklichen Kupferschmiede, Kesselflicker,
Glasschleifer, Glaser, Tischler, Häscher, Schergen, Chirurgen, Feldscherer
und Apotheker der Mark Brandenburg, Kleve, Jülich und Berg, ihr seid
es! Ach! Was ist aus euch geworden!
____________________
*) Alles sogenannte stille und laute Wirtschaften für
die niedre Volksklasse.
Allein, erhebet eure Häupter! Noch ist nicht alles verloren! Wünscht
euch Glück, unter einer Regierung geboren zu sein, die euch selbst
noch in der Tiefe eures Jammers eine trostreiche Aussicht eröffnet!
Darum mutig, mutig ihr Lieben, Gott die Zukunft, die Gegenwart eurem König
überlassen! Wie sollt er nicht einem Landesedikt seine Beistimmung
versagen, das seinen verwerflichen Endzweck so unverkennbar an der Stirne
trägt, einem Landesedikt, das eine politische Schwarzkünstelei
ganz dazu ausgeklügelt zu haben scheint, die Taktik zu zerstören,
alle Werbung zu unterbrechen, alle Tapferkeit zu lähmen, die blühendsten
Gewerbe zu untergraben, Handel und Wandel in seiner Grundverfassung zu
zerrütten und die furchtbarste aller Revolutionen über Europa
herabzurufen! Wir ersterben" usw.
Die Bittschrift gefiel ungemein. Ein glänzendes
Gastmahl ward mir zu Ehren von der Bürgerschaft veranstaltet. Als
ich nach Hause ging, war es schon tief um Mitternacht. Der Mond schien
nicht, man sah kaum die Hand vor Augen. Unglücklicherweise war gerade
die Berliner Laternenpracht mit dem letzten April zu Ende gegangen, und
die Straßen wurden nun eher nicht als mit dem Anfang des Septembers
erleuchtet. Doch hatt ich mich glücklich bis in die Gegend der Totenstraße
fortgetappt. Aber hier strauchelte ich und brach ein Bein. Es war unweit
den zwei Armenhäusern für achtzehn alte Weiber, wo dieses Unglück
mir zustieß. Ich erhub ein so unbarmherziges Geschrei, daß
alle achtzehn Matronen aus dem Spittel herbeiliefen, obgleich fünf
darunter stocktaub sind. Wie man mich darauf zum Armenchirurgus und von
dort zur Charité gebracht, übergeh ich mit Stillschweigen.
Man erlaube mir nur ein paar Worte über
diese letzte, ihrem Zwecke nach so heilsame Anstalt!
Sie liegt sehr gesund, mitten unter Wiesen,
die jeden Frühling überschwemmt sind. Die kranken Personen
haben mit den genesenden ein Wohnzimmer gemein, so daß die Unterhaltung
nie ausgehen kann. Der dirigierende Arzt kommt zweimal die Woche hinaus.
*) Doch ist man auch in der Zwischenzeit, unter der Aufsicht junger Doktoren
und Chirurgen, die hier aus allen Gegenden Deutschlands herzuströmen,
sehr wohl aufgehoben. Diese liegen ihren Übungsversuchen mit der sorgsamsten
Gewissenhaftigkeit ob, und nicht leicht wird irgendein Patient, ist er
einmal unter ihre Hände gefallen, aufstehen, sich über sie zu
beklagen.
____________________
*) Der vortreffliche Selle.
Eben fing ich wieder an, mit ein Paar Krücken
zwischen Tisch und Stühlen fortzurutschen, als ein epidemisches Lazarettfieber
*) ausbrach. Die Leichen wurden zu Hunderten hinausgetragen; alle Kommunikation
zwischen Berlin und der Charité war gleichsam abgeschnitten, die
Sterblichkeit unter den Offizianten und Aufwärtern ungeheuer. Nach
einer Abwesenheit von wenigen Tagen ging es zwischen dem Türpförtner
und dem dirigierenden Arzt nie ohne Schwierigkeit ab, bevor jener ihn einließ.
_____________________
*) Dies geschieht beinahe jährlich.
Solche kleinen Unannehmlichkeiten, wie die
Verunreinigung der engen Wohnstuben, die von lauwarmen Pestdampf geschwängerte
Atmosphäre und die durch Ausdünstungen aller Art herbeigeführten
Fieber und Seuchen sind beinahe von allen Armenanstalten unzertrennbar.
Davon also kein Wort! Durch Erweiterung des Gebäudes, die, wie man
versichert, im Werk ist, wird dem allen in Zukunft vorgebeugt. Wieviel
aber die leidende Menschheit von dieser vorhabenden Reform erwarten darf,
ist jedem einleuchtend, der die unendlich prachtvolle Ecole vétérinaire
mit ihren kostbaren Dampfbädern und angestellten Professoren für
kranke Perde und Schoßhunde in Augenschein genommen hat.
Nennt immerhin Wohltun Verschwendung! Selbst
die Ecole vétérinaire ist mir ehrwürdig. Wer mag einem
großen Herzen so rauh und unfreundlich jede Wohltat nachrechnen!
Ist die Absicht gut, liebevoll, so schweigt!
Diese mißverstandne Sparsamkeit hat
uns schon so viele Tugenden hinweggegrübelt und Mitleid und Menschlichkeit
auf die fünf Rechnungsspezies zurückgesetzt. Viel geklügelt,
wenig gehandelt! die alte Losung!
Ein Mißgriff auf der Tonleiter unsrer
Gefühle ist so verzeihlich. Wer ließ ihn sich nicht einmal zuschulden
kommen! die Hand aufs Herz, lieber Leser!
Nur einen Menschen kenn ich, den ich freisprechen
darf, aber wer spricht gern von einem Ungeheuer! Die gefühlloseste
Barbarei beschönigt er mit dem Deckmantel der Scheinheiligkeit; Almosen
betrachtet er als frevelhafte Eingriffe in die unerforschlichen Ratschläge
der Weltregierung, und die bleichen Söhne der Armut überläßt
er Gottes unmittlebarer Vorsehung, das heißt ihrem Elend, ihrem Jammer,
ihren Tränen und ihrer Verzweifelung.
Zweite Abteilung
ELFTES KAPITEL
Der kategorische Imperativ
Desunt nonnulla
Der glückliche Erfolg meiner Freimütigkeit, im Betreff der
Berliner Charité, bestätigte mich mehr als jemals in den Grundsätzen
der neusten Philosophie. Dem kategorischen Imperativ zufolge hielt ich
demnach nicht nur jedwede Lüge für unerlaubt, sondern ging auch
noch einen Schritt weiter. Ich beschloß nämlich, die Welt zu
durchreisen und allen Potentaten und Großen der Erde die Wahrheit
ohne Rückhalt gerad ins Gesicht zu sagen. Mein erster
Ausflug führte mich nach ......t.
ZWÖLFTES KAPITEL
Der kategorische Imperativ muß über die Grenze
"Meine Herren!" sagte ich zu den Friedensgesandten der deutschen Reichsstände,
die eben dort versammelt waren, "als die Stellvertreter einer großen
Nation sind Sie uns auch ein großes Beispiel schuldig! Geben Sie
uns dies dadurch, daß Sie den Geist der Kleinigkeit, der den Deutschen
in den Augen andrer Völker herabsetzt, aus ihren Verhandlungen entfernen!
Was ist aus uns geworden! Fast schäm ich mich, es zu sagen.
Während andre Nationen um uns herum Heldentaten verrichten,
rosten unsre Schwerter, und wir sind zufrieden damit, unsrer Sprache einen
Vers angeeignet zu haben, der zum Heldengedichte der passendste
ist; während zahlreiche Flotten die Meere bedecken und ebenso plötzlich
wieder verschwinden, untersuchen wir mit der größten Kaltblütigkeit,
ob im Homerischen Schiffskatalogus Archilochus oder Arthelochus zu lesen
sei, und während alle Thronen von Europa in ihrer Grundveste erschüttert
sind, streiten wir uns hier darüber, wie man der k......chen Plenipotenz
die Stühle setzen soll. Noch nicht genug! Indem wir
ernstlich damit
umgehen, eine Katastrophe dieser Art von uns abzuwenden, sind die Mittel,
deren wir uns dazu bedienen, die schicklichsten, eine herbei zuführen.
Nach der St.Aubinischen Angabe ist es bekannt,
daß sich die englische und französische Nationalschuld zu respektive
9 600 Millionen und 4820 Millionen Livres beläuft. Jeder
Krieg verdoppelt die Ausgaben, und diesen, nicht aber dem Andrange schwarzer
Buchstaben, sind alle Revolutionen zuzuschreiben. Ich weiß, die Feinde
der Preß und Denkfreiheit haben das Gegenteil ausgebracht;
aber es ist gewiß, daß eine weise Staatsverwaltung im Innern,
verbunden mit dem Wetteifer patriotischer Mitbürger, zur Abstellung
künstlicher Bedürfnisse, und freiwilliger Darbringung der bisher
darauf verwandten Summen, allein imstande sind, dem überall gesunkenen
Kredit wieder aufzuhelfen. Um nur mit einigen der unbedeutendsten
Artikel den Anfang zu machen: so würde Paris, wenn es sich des übermäßigen
Gebrauchs der Lichter, Sachsen, wenn es sich des Kaffees, Hannover, wenn
es sich des Puders enthalten könnte, nach einer leicht angestellten
Berechnung *), jenes im Zeitraume von einem Jahre 7 Millionen Livres, dieses
in der nämlichen Zeit 6 Millionen und das letzte in 25 Jahren 20 Millionen
Taler ersparen. Was tun aber alle diese Staaten? Anstatt
alte Schulden zu bezahlen, machen sie lieber neue; statt die Klippen zu
vermeiden, steuern sie geradeswegs darauf zu! Portugal verpfändet
1794 seine Juwelen an England für eine halbe Million Pfund und leiht
1795 96 97 im Lande selbst die Millionen Rees zu
Hunderten an. Dänemark errichtet 1796 eine Anleihe von 3 Millionen
Talern. Preußen negoziiert zu Frankfurt und Amsterdam seit dem Jahre
93 über 30 Millionen Schulden. Die Kriegskosten in Belgien
tragen, nach einem offiziellen brüsselschen Memoire vorn 7. Juni 1797,
die ungeheure Summe von 850 Millionen Livres aus. Die Gesamtschulden des
Reichs beliefen sich schon 1792 an 4oo Millionen Gulden.
____________________
*) Diese findet der Leser in den Anmerkungen.
Den schwäbischen Kreis drückt, nach seiner eignen Angabe im
Reichsalmanach 1797, eine Schuldenlast von 5 Millionen. Ebenso mißlich
steht es mit dem Schuldwesen von Kurmainz, Kurtrier, Pfalzbayern usw. **)
Nur das Herzoglich Braunschweigische Haus und Kursachsen machen hier eine
ehrenvolle Ausnahme. Besonders ist das vom Herzoge von Braunschweig am
!. Mai 1794 erlassene Edikt ein höchstschätzbarer Überrest
deutscher Sitten und altfürstlicher Haushaltungskunst!
Nicht so das Erzhaus Österreich, das " So weit
war ich in meinem Sermon gekommen, als man mich durch ein Kommando Österreicher,
einen Unteroffizier und fünf Mann Gemeine, über die Grenze schickte.
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
DREIZEHNTES KAPITEL
Scaramuz verteidigt die Pantalons
und kömmt auf den .......stein
Ich setzte meinen Stab weiter nach Dort sucht ich um eine Audienz
bei dem Herrn ..... nach und erhielt sie. "Ewr. Durchlaucht", hub ich an,
"haben die runden Hüte und Pantalons in; Dero Landen untersagt. Es
ist wahr, die Franzosen haben sich in ihrem Freiheitskriege häufig
dieser Kleidungsstücke bedient, allein, sollte dies ein Grund sein,
sie zu verwerfen, so müßten wir auch keinen Tee mehr trinken
und keine Äpfel essen, weil der Tee in Amerika *) und das Geißlerische
Apfelschießen in der Schweiz das Signal zur Revolution gab. Die Klagen
über Mangel und Widerspenstigkeit des Gesindes nehmen in Deutschland
mit jedem Tage mehr überhand. Dank daher dem Regenten, der auch diesem
Polizeigebrechen sein Augenmerk gönnt! Ob aber die von Ewr. Durchlaucht
genommenen Maßregeln die passendsten sind, wag ich nicht zu entscheiden.
**) So viel indes ist gewiß, daß da, wo die Schande wohlfeil
wird, das Verbrechen einkehrt; und eine Regierung, die wegen Veruntreuung
einiger Groschen auf Halseisen, Schandpfahl und Zuchthaus und wegen Diebstahls
einiger Taler auf den Strang erkennt, hat den Maßstab größerer
Vergehungen selbst mutwillig zerbrochen. Was bleibt ihr übrig als
die traurige Alternative, entweder in dieser Steigerung fortzufahren oder
von der Strenge der Gesetze, bei ihrer Ausübung, abzuweichen? Im ersten
Falle wird Hängen, Rädern, Vierteilen und Köpfen in einem
solchen Lande zur Tagesordnung gehören; im zweiten wird das Gesetz
ein bloßer Popanz sein, vor dem man nur Kinder und Unerfahrne sich
fürchten macht. Eins ist beinahe so schlimm als das andre! Denn der
fürchterlichste Gesetzzwang und eine gänzliche Gesetzlosigkeit
haben mehrere Berührungspunkte, als man glaubt. Was endlich
das am 9. Oktober 1794 zuerst erlassene und ganz kürzlich wieder eingeschärfte
Verbot wegen des Applaudierens im Schauspielhause betrifft ***), so kann
ich unmöglich glauben, daß solches von Ewr. Durchlaucht herrührt!
Die Einförmigkeit, die bei den militärischen Evolutionen, z.
B. bei Handgriffen und Gewehrkolben, ihren großen Nutzen hat, dürfte
doch bei den schönen Künsten keine Anwendung finden! und einer
großen Menge zumuten zu wollen, daß sie sich in Lob und Tadel
nach der Stimme eines einzigen beweint,und wenn dieser einzige auch selbst
ihr Landesherr wäre, scheint mir etwas so Ungereimtes, daß ..."
Ich war mit diesem Perioden noch nicht halb zu Ende, als man mich für
einige Monate auf die .....le brachte.
____________________
*) Den 13 föderierten Staaten zu Boston.
**) Siehe die Anmerkung.
***) Siehe die Anmerkung.
VIERZEHNTES KAPITEL
Welches von Magdalenens Alabasterbüchse
und einer Feder vom Hahne des heiligen Petrus
handelt
Als ich von hier wieder loskam, durchzog ich die Rheinländer und
einen Teil von der Pfalz. Zu ......d ließ der regierende Fürst
soeben, durch einen geschwornen Notar und zwei Schreiber, bei seinen Untertanen
reihherurn fragen, ob sie glaubten, daß er richtig im Kopfe sei oder
nicht *), und die jedesmal erteilte Antwort wurde sogleich ad protocollum
gebracht. Zu Köln am Rhein zeigte man mir,das Kruzifix, zu dem noch
vor nicht gar langer Zeit ganze Scharen Steuermärker **) aus dem Innern
von Osterreich wallfahrteten, die das ausschließliche Vorrecht hatten,
einem hölzernen Heilande, dem alle sieben Jahr ein neuer Bart wuchs,
den alten abzuscheren. Diese armen Leute brachten ein schönes Stück
periodisches Geld nach Köln, und der Magistrat daselbst empfing sie
mit allem Pomp einer feierlichen Gesandtschaft. Wurde diese Zeremonie nur
einmal nicht vorgenommen, so hatte, wie sie glaubten, kein Gewerbe rechten
Fortgang; jede Hantierung stockte, und keine Ernte ließ sich einbringen.
Familien, die nicht selbst imstande waren hinzureisen, schickten Deputierte
ab; und diese priesen sich mehr als glücklich, nach einer Reise von
mehr als 120 Meilen einiger Büschel dieser Haare teilhaftig zu werden.
Endlich hatte denn doch der kaiserliche Hof in diese Gaukelei ein Einsehen,
und sie wurde von Wien aus dem Magistrate zu Köln förmlich untersagt.
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
**) Vorzüglich Wenden.
Ein Seitenstück zu diesem Wunderbarte
des Heilandes zeigte man mir zu München in dem berühmten Reliquietikasten,
wo die Jesuiten sonst nicht nur ein Büschel Haare von der Mutter Gottes,
sondern auch einen Zahn aus ihrem Haarkamme, die Scherben von St. Magdalenens
Alabasterbüchse und eine Feder von dein Hahne des heiligen Petrus
aufbewahrten. Auch ging die dortige Zensur eben damit um, ein protestantisches
Kochbuch zu verbieten, weil es Fische mit einer Fleischbrühe zubereiten
lehrte.
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Lächerliche Barbarei
eines Pfälzischen Landesgesetzes
Ein trauriger Vorfall, und den ich hier noch nachholen muß, begegnete
mir auf dem Wege durch die Pfalz. Mitten in Schlacken und Regen, an einem
stürmischen Nachmittage, traf ich ein artiges Bauernmädchen,
die ihre Niederkunft auf öffentlicher Landstraße erwartete.
Sie saß unter einem Baume, und auf die Frage, warum sie nicht in
einer der umherliegenden Hütten ein Obdach suche, erhielt ich zur
Antwort, sie habe solches versucht, sei aber überall abgewiesen worden.
Bei weiterer Erkundigung brachte ich in Erfahrung, daß die Ursache
dieser unmenschlichen Hartherzigkeit nicht sowohl ursprünglich im
Charakter der Pfälzer als vielmehr in der Barbarei eines ihrer Landesgesetze
zu finden sei. Dies belegt nämlich jedes Bauernhaus, das eine Gefallene
dieser Art in seine vier Pfähle aufnimmt, mit einem ewigen Grundzins.
*)
____________________
*) Siehe Ledderhose, Anleitung zum Hessenkasselschen
Kirchenrechte, § 593.
SECHZEHNTES KAPITEL
Wie Scaramuz nach ........ kömmt, und was ihm der
kategorische Imperativ dort für neues Verderben bereitet
Zu München machte ich Bekanntschaft mit einem ..........
Ambassadeur, der eben durchging. Dieser beredete mich zu einer Reise nach
....... Ich ließ mir dies Anerbieten gefallen. Wir nahmen Extrapost,
und in wenigen Monaten hatten wir die Grenzen von Deutschland hinter uns.
Nirgends bin ich wohl so vielen Kurieren begegnet als hier! Bald war´s
eine Terrine mit Suppe à l´Esturgeon *), die ein Major über
zweitausend Werste weit dem Chef seines Regiments überbrachte, bald
eine Lettre de cachet, die einen friedlichen Landbewohner, wegen seines
langen Barts, aus dem Schoße seiner Familie riß.
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
Da die Jahrszeit schon etwas vorgerückt
war, bedienten wir uns zum Fahren meistenteils einer Kibitka, und erst
gegen Ende des Januars näherten wir uns der Hauptstadt. Nach vielen
fruchtlos abgelaufenen Versuchen, den Kaiser zu sprechen, war ich doch
endlich so glücklich, mit meinem Gesuche durchzudringen, Voll der
Ehrfurcht, die dem Beherrscher einer so großen Nation gebührt,
trat ich in einiger Entfernung zu seinem Thron. "Ewr. Majestät", begann
ich mit zitternder und anfangs etwas versagender Stimme, "ich bin einen
großen Teil von Dero Landen durchreist, und der kategorische Imperativ
gebietet mir, Höchstdenselben meine Gedanken über verschiedne
Gegenstände freimütig zu eröffnen."
"Durack!" murmelte einer der umstehenden Minister
unter dem Bart. Ich verstand ihn nicht und sprach fort . "Ewr. Majestät
wissen vielleicht nicht "
"Was wissen Seine Majestät nicht?" fiel
mir der nämliche Minister ins Wort. "Elender Europäer, er soll
wissen, daß ein Beherrscher zweier Weltteile alles weiß!"
Ich bückte mich tief. Der Kaiser war
sehr gnädig und winkte mir, daß ich nur fortreden sollte.
"Und wenn Seine Majestät nun alles wissen,
um so mehr befremdet es mich, daß Sie nicht lieber, anstatt Zensur
und Bücherverbote einzuführen oder sich um den Schnitt eines
Rocks und die Klappen einer Weste zu bekümmern, dafür sorgen,
daß Ihre Untertanen erst lesen lernen und Schuh und Strümpfe
bekommen." Der Kaiser zog ein finstres Gesicht; ich ließ mich aber
nicht irremachen und sprach weiter: "Ich bin durch Gegenden gekommen, wo
ein Fenster in der Hütte und ein Paar Stiefeln auf dem Fuße
unter dein gemeinen Manne den Maßstab des Reichtums abgibt. *) In
Deutschland gehören beide Dinge zur dringendsten Notdurft. Kaum hat
man dort einen Begriff von den Spelunken ohne Schornstein und Fenster,
worin in Ewr. Majestät Landen das Ebenbild Gottes verschmachtet. Kein
Leibeigener verwüstet dort jährlich, bloß seiner Bastschuhe
wegen, einhundertundzwanzig junge Lindenstämme! Keine Hebamme, die
zu einer Schwangern, kein Arzt, der zu einem Kranken eilt, kein Kranker,
der zum erstenmal in einem warm ausgepolsterten Wagen an die Luft fährt,
wird bei uns von einer rauhen Soldateske angehalten und, da er kaum stehen
kann, auszusteigen genötigt, um, Gott weiß warum, einige lächerliche
Corbetten zu schneiden.
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
Alles das ist hier anders! Das Bild der Not
und des Drucks begegnet mir auf allen Gesichtern. Das sind nicht Menschen,
die ich erblicke, sondern eine Art gezähmter Haustiere, die jedem
zu Gebot stehn, der ihnen die Peitsche über dem Kopf schüttelt.
Aller orientalische Pomp und Schimmer, alle Pracht des Hofes entschädigt
mich nicht für die Herabwürdigung meines Geschlechts. Was kann
es mir helfen, wenn ich weiß, daß Dero große Vorfahrin
sich der Diamanten statt der Spielmarken bediente? daß sie in kurzer
Frist zwischen zwei und dreiundzwanzig Millionen Rubel an ihre Lieblinge
verschwendete? oder daß der Fürst ....in, als er sie bewirtete,
die Kirschen aus dem Treibhause, das Stück mit fünf Rubeln, bezahlte
und nie unter sieben bis achthundert Rubeln zu Mittag aß?
Mit einem Wort, all dieser Luxus, all diese übertünchte Kultur
gemahnen mich an die Kolonien zu ....son, wo man die Strohhütten auf
ein paar Tage versteckt und nachher wieder an ihren alten Platz stellt.
*)
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
Was soll mir ein lustig gruppierter Vordergrund,
dessen Hinterhalt dem Auge, in trauriger Beleuchtung, die brennenden Ruinen
von ...g, den Zug der .....ken an der ...ga, *) die schwankenden Menschenpyramiden
von ...ow und die Verbannung von zwölftausend **) unglücklichen
Schlachtopfern darstellt, die ihre Tugend und ihr Patriotismus nach .....ien
brachte! Ewr. Majestät haben gleich beim Antritte Dero glorreichen
Regierung diese Verwiesenen zurück berufen; dies ist wahrhaft groß
und kaiserlich gedacht! und eben deshalb wünscht ich, Dieselben wären
noch einen Schritt weiter gegangen und hätten zugleich eine Konvention
vernichtet, die mit dem Allerheiligsten ihr Spiel treibt und die Teilung
eines mächtigen Königreichs im Namen der unteilbaren Dreieinigkeit
unterzeichnet.
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
**) Nach andern funfzehntausend.
"Slove i delo!" unterbrach mich hier aufs neue
der Minister, dem man keinen unbedeutenden Teil an jenem Vertrage beimaß.
Vor Zorn schien er seiner selbst nicht mehr mächtig. Ich verstand
ihn zwar nicht, so viel merkt ich indessen bald, daß so etwas wie
die Knute dabei mit in Anschlag kam. Aber der Kaiser schüttelte den
Kopf, und indem er mir den Befehl erteilte, ihm näher zu treten, fragte
er mich mit vieler Huld, was es denn eigentlich damit für ein Bewenden
habe, daß ich ihm Dinge dieser Art so geradezu ins Gesicht sagte.
"Verzeihen Ewr. Majestät", erwiderte ich in einem festen, jedoch bescheidenen
Tone, "das ist eben der kategorische Imperativ!"
"Schtotto?" sagte der Kaiser.
"Der kategorische Imperativ!"
"Seine Majestät fragen, was dies barbarische
Wort für einen Sinn habe", schrie mir einer der umstehenden Kammejunker
ins Ohr.
"Es ist kein barbarisches Wort", gab ich ihm
zur Antwort, "sondern die Stimme in uns."
"Suckin Szün! und wenn ich dir nun die
Knute geben lasse?"
"Das steht freilich ganz in Ewr. Majestät
Belieben! Was mich betrifft, so würde sich alsdann in mir der Seufzer
regen; die Stimme aber und der Seufzer sind die beiden Fundamentalgesetze
der allerneuesten Moral."
Ich merkte wohl, daß der Kaiser von
meiner Erklärung wenig zufrieden schien, denn er ging fort. Der Minister
aber, der zurückblieb, sagte mir, Seine Majestät hätten
ihm die Ordre zurückgelassen, mich wegen meiner Insolenz unters Militär
zu stecken. Nun protestierte ich zwar dagegen aus Leibeskräften, und
in der Tat hatte ich auch keine Silbe davon aus dem Munde des Monarchen
gehört. Aber was half's? Der Minister sagte mir rundheraus, ich könne
mir gratulieren, daß ich so wohlfeilen Kaufs davonkäme: Er,
an Sr. Majestät Stelle, hätte mir wenigstens Nase und Ohren aufschlitzen
lassen oder mich auf zeitlebens nach .....ien geschickt. Als ein offenbarer
Feind des Reichs, der kurze Stiefeln, abgeschnittenes Haar und, was das
Schlimmste sei, eine Giletweste trage, hätte ich nicht nur dies, sondern
auch noch wohl was weit Schlimmeres verdient. Umsonst erbot ich mich gegen
Seine Exzellenz, falls es die öffentliche Wohlfahrt so und nicht anders
erfordre, dem Staate ein Opfer zu bringen und freiwillig die Giletweste
auszuziehn! Der Minister verwarf nicht nur diesen Antrag, sondern gab mir
auch noch ziemlich bitter zu verstehen, als möcht ich diese Zeremonie
nur bis morgen, bei der Wachparade, versparen. Und hier erfuhr ich erst,
was man mir so lange verschwiegen hatte, daß man zugleich damit umging,
mir vor der Einkleidung einhundertundzwanzig Batoggen zuzählen zu
lassen. Ich bat, ich flehte; ich stellte Sr. Exzellenz die eiserne Notwendigkeit
vor, in die mich der kategorische Imperativ, als ein moralisches Wesen,
gesetzt hätte, just so und nicht anders zu handeln, ich rüttelte
an seinem Gewissen; aber da war weder von Stimme noch von Seufzer etwas
zu hören noch zu sehen! Sie schliefen oder waren über Feld gegangen
oder genug; das Höchste, was ich erhielt, war ein Nachlaß
von zwanzig Batoggen und die Erlaubnis, nicht Land , sondern Seedienste
zu tun, die ich deshalb vorzog, damit mir die Hintertür wenigstens
zur Flucht offenblieb. Die Exekution selbst sowie die, während meiner
ersten Dienstzeit mir zugefügten, vielfachen Mißhandlungen berühr
ich hier nur mit ein paar Worten.
Von wem ich am meisten ausstand, war der alte
Exerziermeister unsers Regiments, der Herr v. .. Dieser hatte bei einem
gewissen Anlaß einen unversöhnbaren Groll auf mich geworfen,
und wie sehr er mir diesen nachtrug, zeigte sich noch kurz vor unsrer Abreise,
wo mir das Unglück begegnete, die berühmte Jagd, worauf der Kaiser
bisweilen spazierenfuhr und die, einem darüber erlassenen Spezialbefehl
gemäß, künftighin nicht mehr eine Jagd, sondern eine Fregatte
heißen sollte, bei ihrem rechten Namen zu nennen. Dies zog mir wieder
hundertundzwanzig Batoggen und einen zwölfstündigen Arrest auf
der Hauptwache zu, und wer weiß, wär ich nicht noch schlimmer
davongekommen, wäre nicht der nächstfolgende Tag der unserer
Einschiffung gewesen!
SIEBZEHNTES KAPITEL
Scaramuz geht in See Unfälle
Das Geschwader, womit wir in See stachen, wurde vom Vizeadmiral ........
am Bord des "St. Paulus" kommandiert. Es bestand aus sechs Linienschiffen,
worunter sich "Zacharias" und "Elisabeth", "Maria Magdalena" und "Die Heilige
Dreifaltigkeit", mit vierundsiebzig Kanonen, ganz besonders auszeichneten.
Unter die Fregatten von der Linie gehörten zu den vorzüglichsten:
"Das heilige Pfingstfest", "St. Michael", "St. Niklas" und "Die Heilige
Jungfrau von Kasan". Beim Vorübersegeln am Serail genossen wir des
in seiner Art einzigen Schauspiels, ein funfzig Rebellenköpfe aus
der Armee des Paßman Oglu soeben über den Torweg annageln zu
sehn. Bald darauf nahm die Belagerung von Korfu ihren Anfang. Vorteile
und Nach teile wechselten auf beiden Seiten, und es läßt sich
daher nicht leicht entscheiden, ob die Franzosen mehr von uns oder wir
mehr von ihnen litten. "Maria Magdalena" kriegte sie an Bord. "St. Michael"
verlor seine Bramstänge und "Die Heilige Dreifaltigkeit" ein paar
Masten. Noch mehr, "St. Paul" wurde sein Hinterteil abgeschossen, und "Die
Heilige Jungfrau von Kasan" konnte noch von Glück sagen, daß
sie mit einem Loch im Segeltuche davonkam. Auf ebendieser Fregatte entspann
sich auch das Komplott, dem ich nebst einigen andern meine Befreiung verdanke,
nämlich so: Im Einverständnis mit den französischen Kriegsgefangnen,
am Bord der "Magdalena", lösten wir bei nächtlicher Weile das
Schiffsboot und richteten unsern Kurs nach den italienischen Küsten.
Von hier begaben wir uns nach Mailand. Dies ist für mich eine der
traurigsten Perioden, die ich erlebte! Wie oft habe ich mir nicht mit
den Facchinis zu Pavia vor der dortigen Hospitalapotheke ein kümmerliches
Frühstück gezapft! *)
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
Zwar erboten sich die Franzosen, mich in ihre
Dienste zu nehmen; aber die Begierde, in der Welt umherzureisen und den
Großen der Erde, mit denen ich es im Grunde gut meinte, durch meine
unbestechbare Wahrheitsliebe nützlich zu sein, war durch alles erlittene
Drangsal eher vermehrt als vermindert. Früher oder später wird
man dich doch als einen Märtyrer der Wahrheit ansehen, dachte ich
bei mir selber und ging geradesweges nach Rom. Nach hundertundzwanzig
Fußfällen erhielt ich Zutritt beim Papst. Voll Demut küßt
ich ihm den Pantoffel und sagte: "Heiliger Vater, erlaubt mir, Euch zu
beweisen, daß Ihr der leibhafte Antichrist seid!" Pius der Sechste
erschrak nicht wenig, und ich fuhr fort: "Unter Antichrist versteh ich
einen, der das Gegenteil von all dem denkt und tut, was Christus, unser
Herr, gedacht und getan hat. Nun befiehlt uns Christus, unsre Feinde zu
lieben; Ihr aber laßt den wackern General Duphot umbringen. Christus
will, daß wir Böses mit Gutem vergelten; Ihr, anstatt den Franzosen,
nachdem sie Euch Avigtion genommen hatten, Rom und Bologna dazuzugeben,
bekriegt sie im Gegenteil, wo Ihr sie findet, als Feinde Gottes und der
Kirche. Christus trieb die Käufer und Verkäufer zum Tempel
hinaus; Ihr etabliert lieber selbst einen Kornhandel und bedient Euch dabei
falschen Maßes *) [*) Siehe die Anmerkung.]
und Gewichts. Christus speiste mit fünf Broten fünftausend Mann;
Ihr nehmt dem armen Mann sein letztes Stück Brot, um ein Heer von
siebentausend Mönchen damit zu speisen! Christus " Hier trat ein
Diener der Heiligen Offiz mit fünf Mann Sbirren herein, und man brachte
mich auf die Engelsburg. Dort saß ich so lange, bis die Franzosen,
die, Duphots Tod zu rächen, vordrangen, mich aus meiner Gefangenschaft
befreiten; dann ging ich nach ....el. Hier erwartete ich einen bessern
Lohn für meine Freimütigkeit als in Rom. Die Erfahrung wird
zeigen, ob und wie weit ich mich in dieser Erwartung betrog. Der König
empfing mich höchst leutselig. "Ewr. Majestät erlauben mir",
hub ich an, "Höchstdenselben die Schädlichkeit des zu großen
Übergewichts der Geistlichkeit und des Adels in Dero Landen auseinanderzusetzen!
Für ein so kleines Königreich wie ....el sind 156 Herzogtümer,
173 Marchesate, 119 Fürstenhäuser, 60 Grafschaften und 500 Baronien
wirklich ein wenig zu viel! *) Was soll dem Staate eine Last voll 22 Erzbischöfen,
50313 Weltpriestern, 116 Bischöfen, 31214 Mönchen und 23313 Nonnen,
die, bei einem jährlichen Einkommen von neun Millionen Dukaten, den
dritten Teil aller Landgüter innehaben! Natürlich, daß
der gemeine Mann da, wo alles von Spenden lebt, es am Ende müde wird,
nur immer zu arbeiten! Daher die vierzig bis funfzigtausend Lazaronis,
die ohne Feuer und Obdach auf den Straßen dieser Residenz umherliegen
und jeden neuangekommenen Fremdling weglagern, die weiter nichts als eine
Bank zu ihrer Schlafstelle, ein paar Ellen Leinewand zu ihrer Kleidung,
sechs Pfennige zu ihrem Unterhalt und höchstens noch ein kleines
Stilett nötig haben, um sich alle diese Kleinigkeiten zu verschaffen,
die heute in die Messe gehn, um des Bluts des heiligen Januarius und morgen,
um eines seidenen Schnupftuchs teilhaftig zu werden, und während sie
die eitle Hand an eine Reliquie, die andre oft an eine Uhrkette legen."
Der König hörte mir sehr aufmerksam zu, dies leitete mich immer
weiter; auf die letzt äußerte ich ihm über ein anderes
Kapitel italienischer Mißbräuche, den Mangel an Polizeianstalten,
meinen lebhaftesten Abscheu. "Wie sehr", fuhr ich mit zunehmender Wärme
fort, "muß es die Nation in den Augen andrer herabsetzen, daß
bloß in der kleinen Republik Lucca jährlich an sechzig und in
Neapel an fünfhundert Meuchelmorde vorfallen? Was soll man sagen,
wenn der König von Sardinien dem Gubernialrat Franke **) das demütigende
Bekenntnis ablegt, daß er jährlich in seinem kleinen Gebiete
über sechshundert Untertanen durch den Messerstich verliere und diesem
Übel auch schon deshalb nicht abzuhelfen stehe, weil seine Priester
selbst so häufig mordeten? Ich lebe aber der festen Hoffnung, Ewr.
Majestät, als einer der ersten Regenten dieses Landes, werden die
kräftigsten Maßregeln ergreifen, um dieser Hydra den Kopf abzuschneiden."
____________________
*) Hierbei kömmt Sizilien, das allein nah an 300
Herzogtümer, Fürstenhäuser, Marchesate, Grafschaften und
Baronien zählt, gar nicht einmal mit in Anschlag.
**) Siehe Domeyer in seinen Fragmenten über Italiens
Medizinalanstalten. "Hannöversches Magazin", 2.Jahrgang, 9.
Der König schien nicht abgeneigt. Er forderte mich sogar auf, ihm
desfalls Vorschläge zu tun. Eben aber, als ich mitten darin begriffen
war, stürzte ein Kammerherr zur Türe herein *) und meldete dem
Könige mit vielem Geräusch, daß sich soeben im Gehölz
von ...tici ein schönes Stück Wildbret sehen lasse. Sogleich
sprangen Seine Majestät von ihrem Sitze auf, griffen nach einer an
der Wand hängenden Kugelbüchse und waren mit drei Schritten zur
Türe hinaus und fort. Ich blieb wie versteinert zurück, sah
die vier Wände, dann mich an und war voller Erwartung über den
Ausgang. Endlich trat der Minister ......... herein, der mir andeutete,
....el innerhalb vierundzwanzig Stunden zu verlassen.
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
Mir blieb dabei nichts übrig, als der
hohen Willensmeinung Sr. Exzellenz ein augenblickliches Genüge zu
leisten; und auch dies wäre mir bald unmöglich gewesen, da die
Lazaronis, die unten an der Treppe meiner warteten, es für gut befanden,
mir noch ein halbes Dutzend Messerstiche auf den Weg zu geben.
ACHTZEHNTES KAPITEL
Etwas über die Ermordung der französischen Gesandten zu Rastatt
Unter diesen und ähnlichen Abenteuern verfolgte ich meinen Weg
über .....then und ...ol bis nach ....reich. Hier hielt ich mich aber
nicht lange auf, als ich der von ....r .......d errichteten geheimen Staatsinquisition
in die Hände fiel. Bei dem gemessenen Befehle, den diese von ihrer
Regierung hat, alle der gesunden Vernunft verdächtige Personen wegen
jakobinischer Grundsätze einzuziehn, war dieses früh oder spät
vorauszusehn. Den ersten Anlaß dazu gab ich indessen wohl selbst
durch ein kleines von mir verfertigtes Gedicht über den schändlichen
Meuchelmord der französischen Gesandten zu Rastatt. Ohne die Schuld
dieser fluchwürdigen Tat irgend jemand insbesondre beizumessen, sucht
ich nur den allgemeinen Abscheu darüber zu Worten zu bringen. Inwiefern
mir dies gelungen ist, wird der geneigte oder ungeneigte Leser
denn bei einer solchen Angelegenheit kann man unmöglich lauter geneigte
Leser voraussetzen am besten selbst entscheiden!
Bei der ersten Nachricht
von dem an den französischen Gesandten
durch die Szeckler Husaren zu Rastatt
verübten Meuchelmorde
O Schmach der Deutschen, Frevel ohnegleichen,
Vor dein das Licht des Tages sich verbirgt!
Dort liegen sie, des Friedens Boten Leichen
Verstümmelt blutig nächtlich hingewürgt!
Wälz ab, wälz ab von dir die Schmach
entleibter,
Wehrloser Männer, Habsburgs Haus!
Sprich über die verworfnen, niedern Häupter
Den Todesfluch der Nationen aus!
Daß sie die Blutrach ungesäumt ereile,
Die solche Missetat auf uns gehäuft;
Schon hör ich Ate nahn, mit Block und Beile;
Ein schwarzer Zug von Trauerfahnen streift
Am fernen Horizont, und über Deutschlands
Auen
Zieht's dumpf und wie ein Ungewitter hin:
O klagt, ihr Jüngling' und ihr deutschen Frauen!
Denn eure Blüte sinkt in Staub dahin.
Ihr aber leert aus bitterm Wermutskelche
Vorher den Todesbecher, leeret ihn
Bis zu den Hefen! Ungeheuer, welche
Slavonien und Hungarn ausgespien.
Nicht Deutsche seid ihr! denn im offnen Felde
Dem Tode kühn zu schaun ins Angesicht
Geziemt dem Deutschen; doch erkauft mit Gelde,
Wie ihr zu morden, das ist Söldnerpflicht!
Wie ihr, mit siebenfach gestähltem Eisen,
Das ungeborne Kind, voll wilder Lust, *)
In seiner Mutter Schoß, die Gattin zu verwaisen,
Das schwangre Weib an ihres Mannes Brust,
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
Empört ein deutsches Herz! Noch drückt
aus nord'schen Himmeln
Uns nicht der Fluch! Noch ist uns Menschlichkeit vergönnt!
Noch lernten wir ja nicht wie der Barbar verstümmeln,
Den .... mit ewigem Entsetzen nennt.
Löscht aus, löscht aus die Fackeln,
Satelliten
Des Despotismus, daß der Himmel euch nicht sieht!
Schwarz ist die Tat! Im Schutz der Nacht, Banditen,
Seid auszuführen sie bemüht!
Hör ihre Tritte nicht, sie auszuplaudern,
Du alter, angelfester Erdball du!
Zähl unsre Schande nicht der Nachwelt einst mit Schaudern
In jedem Seufzer der Gewürgten zu!
Ihr aber, Dichter Deutschlands, jetzt zu sprechen,
Ob auch der Frevel sich in Purpur hüllt,
Gebeut die Pflicht! sprecht laut! sprecht kühn! Es ist Verbrechen
Zu schweigen, da, wo es die Menschheit gilt!
Desunt nonnulla
Hier folgt eine höchst unleserliche Stelle
im Manuskript. Man unterscheidet bloß darin das Wort ...ütz.
Der arme Scaramuz wurde staatsverräterischer Pläne, und wo mir
recht ist, gar geheimer Einverständnisse mit dem Feinde beschuldigt;
doch muß es ihm bald gelungen sein, sich wieder frei zu machen, denn
schon im nächsten Kapitel finden wir ihn zu Luxemburg. Dort spricht
er ein paar Worte im Vertrauen mit den französischen Machthabern.
NEUNZEHNTES KAPITFL
Scararnuz begibt sich nach Frankreich
und von dort nach Cayenne
Noch denselben Abend, als ich in Paris ankam, hatte ich Gelegenheit,
einem sogenannten Volksfeste auf dein Marsfelde beizuwohnen. Vorauf zog
eine große Menge Kisten und Kasten aller Art, voll der seltensten,
aber zur Zeit noch verborgenen Raritäten des ehmaligen Roms und Griechenlands;
und gleich hinterdrein ein freier Zug Löwen, Bären, Tiger, Leoparden
und andrer dergleichen Bestien auch eine Beute der Republikaner! Ich
weiß nicht, wie es zuging, aber ich verfiel über diesen Anblick
in ein tiefes Nachdenken, und als ich zu Hause kam, sammelte ich die Empfindungen,
die sich in mir durchkreuzten, in ein kleines Epigramm, welches ich hier
dem Leser mitteilen will:
So manches Kunstwerk, das Italiens Sieger
Uns schickte, zeigt ihr uns in Kisten hier
verwahrt;
Dagegen gehn die Löwen und die Tiger
Ganz frei einher und wohlgepaart.
So gibt uns diese Prozession
Ein Bild der Revolution, Die auch ihr Schönes
noch dem Aug versteckt
Und nur die Tiger uns entdeckt.
Bald darauf ward ich nach Luxemburg gefordert.
Man fragte mich sehr gewissenhaft, wen ich unter dem Ausdruck Tiger verstanden
wissen wollte, den Bürger Reubel oder den Bürger Merlin. Ich
antwortete: "Keinen von beiden oder beide, falls sie sich getroffen fühlen."
Der Rat der Fünfmänner, der diese Sprache nicht gewohnt war,
sah einander mit Verwunderung an, und ich benutzte diesen Augenblick dazu,
ihm noch einige, wie ich glaubte, nützliche Wahrheiten in die Ohren
zu flüstern. "Bürger Direktoren", fing ich von neuem an, "ich
habe weise Männer den Unterschied der französischen und der englischen
Nation darin setzen hören, daß die erste in ihrer Hauptstadt
mehr als zwanzig Theater und nur drei Gefängnisse, die andre in der
ihrigen mehr als dreißig Gefängnisse und nur drei Theater hätte.
Dennoch gab es eine Zeit in Frankreich, wo man zu einer Hinrichtung lief,
als wär es eine Opera buffa; wo die Totenglocke so häufig ging,
daß niemand mehr fragte: 'Warum?' oder: "Wer wird begraben?' Wollte
ich von dieser Zeit schweigen, so würden die Steine in der Straße
Turgon aufstehen, um gegen euch zu reden. Fragt nur jene tief eingedrückten
Gleise, zwischen denen jetzt eure prächtigen Equipagen, wenn sie von
Luxemburg abrollen, versinken! sie sind von den Karren jener Unglücklichen
entstanden, die ihr auf diesem Wege scharenweise zum Gerichtsplatz führtet,
sie werden euch von ihren Seufzern erzählen! Wieviel habt ihr wieder
gutzumachen: wie viele Wunden zu heilen! wie viele Tränen zu trocknen!
Und ihr geht damit um, neue Wunden zu schlagen, neue Tränen zu vergießen?
Was hat euch die helvetische Eidgenossenschaft getan, daß ihr die
Freiheit dort in ihrer Wiege aufsucht und die Felsen Tells dafür straft
sie erzeugt zu haben? Bedürft ihr des Geldes warum bringt ihr
kein besseres Gleichgewicht in eure Einnahmen und Ausgaben? *) Warum haltet
ihr zu Konstantinopel dreißig Gesandtschaftssekretäre auf einem
Posten, wo unter der vorigen Regierung nur einer war? Wär es nicht
besser gewesen, diese zwölftausend Livres all tausend Ammen als an
neunundzwanzig diplomatische Taugenichtse anzulegen? Statt dessen laßt
ihr die armen Weiber zu Metz, nachdem sie vierzehn Monate lang vergeblich
auf ihren Sold gewartet, ihre Kinder aus Verzweiflung in die Hospitäler
zurückbringen und in dem von St. Kiklas allein zweihundertunddreiundsechzig
derselben, aus Mangel an Muttermilch, Hungers sterben. **) Doch nein, ich
irre mich! Es waren ihrer nicht soviel! denn ihr gabt sogleich an eure
Beamten den Befehl, sie in die benachbarten Departementer unterzubringen;
was konntet ihr dafür, daß diese niedrig genug dachten, ihnen
die Windeln zu stehlen und sie an der öffentlichen Landstraße
auszusetzen? Und ihr wundert euch noch, daß da, wo der gemeine Mann,
um des Gewinstes einiger Sous willen, sich zu einem solchen Bubenstücke
hergibt, in den höhern Ständen kein Mensch dem andern traut?
und jeden Halsschwuck, den er an dem Weibe seines Nachbarn erblickt, für
ein gestohlnes Nationalgut, jedes Ohrgehenk für eine geplünderte
Provinz hält? daß "
____________________
*) Siehe die Anmerkung.
**) Alles, sowie weiter unten das Stehlen der Windeln,
unleugbare Tatsachen. Siehe den gedruckten Auszug der Beratschlagungen
über die Zivilhospitäler in der Gemeinde Metz; ingleichen Ledonois
Bericht über diesen Gegenstand.
In der Hitze des Gespräches war ich es
nicht gewahr worden, daß der Direktor Reubel und die andern sich
entfernt hatten, bis ein junger Offizier vorn dritten Regiment Chevaux
legers mir höflich auf die Schulter klopfte und mit den Worten: "Kommen
Sie, mein Herr, der Transport nach Cayenne liegt fertig!" mich wieder zu
mir selbst brachte.
"Was sagen Sie", ließ ich ihn mit einiger
Heftigkeit an,"die Republik hat also auch ihr Sibirien?" Er zuckte die
Achseln und schwieg. Beim Hinausgehen aber aus dem Saale sagte er mir ins
Ohr: "Vermutlich kennen Sie nicht die Geschichte unserer Revolution? Unter
Robespierre war es eine Republik von Scharfrichtern; jetzt ist es eine
mit einem Sibirien; und weiß der Himmel, was für eine noch
folgen wird! Ich für mein Teil " Er wollte weiterreden, aber wir
wurden durch den Direktor ...bel unterbrochen, der eben über die Flur
ging. Wir machten ihm beide eine höfliche Verbeugung, und er wünschte
uns ebenso höflich eine glückliche Reise.
ZWANZIGSTES KAPITEL
Scaramuz reist nach England und von dort
nach Botany Bai
Das war sie aber nicht! denn etwa 10 Lieues auf der Höhe von Rochefort
kriegte uns ein feindlicher Kaper zu Gesichte und machte Jagd auf uns.
Nach einem beinah fünfstündigen Gefechte wurde unser Schiff genommen
und als eine gute Prise in einen .....schen Hafen aufgebracht. Kaum verbreitete
sich aber dort das Gerücht meiner Ankunft, als ich Befehl erhielt,
schleunig nach Hofe zu kommen. Der Minister, hieß es, wolle mich
sprechen, um eins und das andre durch mich zu erfahren. Ich reiste hin.
Seine erste Frage war: "Was spricht man von mir im Ausland?" "Viel
aber wenig Gutes!" gab ich ihm zur Antwort. "Man beschuldigt Ewr. Lordship,
es sei kein Glied am menschlichen Körper, das Sie nicht ihrem Budget
zinsbar gemacht. In ....and wär es durch Ihre Vermittelung dahin gekommen,
daß kein Mensch mehr eine Uhr anhängen, sein Haar pudern, seinen
Hut aufsetzen, in der Kutsche fahren, eine Prise Tabak nehmen, ein Licht
anstecken, die Zeitungen lesen, zum Fenster hinaussehen, ein Glas Porter
trinken oder bei seiner Frau schlafen dürfe, ohne den Staat erst dazu
vorher um Erlaubnis zu bitten. Man zahle dort für alles Gebühren:
Gebühren für die Erlaubnis, Kinder zu zeugen; Gebühren für
die Erlaubnis, keine zu zeugen; Gebühren für die Erlaubnis, geboren
und andre für die Erlaubnis, begraben zu werden; und frage man nun,
wozu der Staat alle diese von Kutschen, Pferden, Hunden, Rebhühnern,
Uhren, Lichtern, Riechfläschchen, Kirchhöfen und Arzneigläsern
herbeigetriebenen Summen verwende, so erhielte man zur Antwort: Da ist
der Right Honourable, Sir N.N., dessen ganzes Geschäft, als Türhüter
im Dienste Sr. britischen Majestät bei der königlichen Schatzkammer,
darin besteht, dieselbe mit Dinte, Feder, Papier und einer mächtigen
Streusandbüchse zu versorgen, und der für diese enorme Mühwaltung
46200 FI.*), das heißt, einen größern Gehalt zieht als
einige hundert Schulmeister im Kurfürstentume Hannover zusammen **),
deren jährliches Einkommen sich noch im Jahr 1790 nicht höher
als 5 bis 20 Rtlr. belief.' Oder man würde mit seinen Nachsuchungen
auf
____________________
*) 4200 Pf. Sterling. Siehe den 6. Bericht der zur Untersuchung
über den Zustand der Staatsrechnungen im Jahre 1780 niedergesetzten
Parfarnentskommission.
**) Siehe "Neues Hannöversches Magazin", 2.Jahrgang,
die Zivilliste verwiesen, und da fände sich dann, zu einer Zeit,
wo, nach Colghouns Angabe, *) bloß in London jeglichen Morgen 20000
Menschen aufstünden, ohne zu wissen, wovon sie den kommenden Tag leben
noch wo sie die folgende Nacht schlafen sollten, die Menge unnützer
Bedienungen bis zur Höhe des babylonischen Turms aufeinander geschichtet.
Da gäb es zum Beispiel königl. Brot- und Buttereinkäufer,
königl. Fisch und Gewürzcommissaire, königl. Wein
und Eierbeamten **), königl. Tischzeuginspektor, königl. Tischzeuginspektorassistenzschreiber,
königl. Küchensekretäre, königl. Küchensekretär
Ober und Unter Kontrolleur, königl. Ober und Unter Mundpastetentrabanten,
einen Cook und Cryer und sogar einen königl. großbr. Hofsekretschlüsselbewahrer.
Freilich müsse man es auf der andern Seite auch einräumen, daß,
während der gemeine Mann um und bei London noch imstande sei, in den
5204 privilegierten Bier und Branntweinschenken, diesen Schlupfwinkeln
der Liederlichkeit und des Müßigganges, jährlich über
3 Millionen Pf. Sterling durchzubringen ***), und die Hundeställe
unserer Großen, wie die Sir Walters, noch immer drei bis vier Morgen
Landes einnehmen, beide kein Recht hätten, sich über den zu großen
Druck der Abgaben zu beschweren. Nur über die gewissenlose Verwaltung
öffentlicher Gelder müsse jedermann zu reden vergönnt
sein, und da wär es denn freilich himmelschreiend, daß die Gesetze
zu einem Betruge, wie der des Lord Holland, von 48700 Pf. Sterling ****)
stillschwiegen, während sie die arme Marie Jones um ein paar gestohlener
Windeln willen zum Stricke verurteilten. *****) Selbst die 3000 Diebsbuden
in der Nähe der Hauptstadt, wo man gestohlene Sachen wieder in Umlauf
bringt und angehende Lehrlinge und Dienstmägde im Bestehlen ihrer
Herrschaft methodischen Unterricht gibt, dürften ebensowenig wie die
50 Beutelschneiderklubs, wo Damen vom ersten Range der unerfahrenen Jugend
durch ihre Croupiers auflauern, etwas dazu beitragen, jene Strenge zu entschuldigen.
Diese Kleinigkeiten indessen abgerechnet, seien im ganzen doch alle Kenner
darüber verstanden, daß nichts Vortrefflicheres in der Welt
sei als eine Verfassung wie die ...lische, die der Streitsucht und Schikane
einen Schlupfwinkel in jedem ihrer Buchstaben offenerhalte. Europa solle
doch ja nicht vergessen, was es uns alles verdanke.
____________________
*) Siehe dessen Werk, S. 33.
**) Siehe Herrn Burghs Anmerkungen über die höchst
lächerlicheZivilliste.
***) Siehe Golghoun, S.35.
****) 535700 Fl. Siehe die Anmerkung.
*****) Siehe die Anmerkung.
Bloß um es mit Kaffee und Zucker zu versehen, hätten wir,
innerhalb 35 Jahren, Indien von 36 Millionen Menschen entvölkert,
und damit es uns nicht an Baumwollzeug fehle, ein Dritteil unserer Kolonien
zu Hindostan zu einer wüsten Einöde gemacht.*) Noch nicht genug!
"
"Schon zu viel! Master D...das", fiel mir
hier der Minister ins Wort, "lassen Sie doch diesem Gentleman beim ersten
Transport nach Botany Bai eine Stelle mit anweisen! Ich glaube, bei seiner
Vorliebe für diese Art ....ischer Natitonalgebräuche, wird er
es mir Dank wissen, wenn ich ihm Gelegenheit verschaffe, auch dies Kapitel
im Originale zu studieren." Damit wandte er sich um und war fort, und ich
Mittwoch, den 7.August 1799,
an Bord des "Prinz Wallis"
Da sitz ich nun, traurig an den Mast zurückgelehnt, starre in die
weite See hinaus und überdenke von neuem mein Schicksal. Ist es möglich?
Ich erhalte 120 Batoggen und warum? weil ich eine Jagd eine Jagd, und
keine Fregatte, nenne. Ich kriege ein halb Dutzend Messerstiche in den
Unterleib weil ich will, daß man die Messerstiche abschaffen soll;
und endlich schickt man mich gar auf eine Diebsinsel, bloß weil ich
erkläre, daß ich die Diebereien im Staate nicht wohl leiden
kann! O Schicksal! O Kant! O Wahrheit! O kategorischer Imperativ!
Botany Bai, den 30.August
Gestern abend sind wir hier glücklich gelandet. Es war gerade Schauspiel.
Das Legegeld bestand in einer Hammelkeule, deren man sich hier statt der
in Europa üblichen Entreebillets bedient. **) Die Einwohner sind höflich
und zuvorkommend, und wenn man nur zur rechten Zeit seine Taschen zuknöpft,
läßt sich mit ihnen ganz gut leben. Was wir hier machen, frägst
du. Lieber, wir bauen Hanf für unsre Kollegen in Deutschland! Ich
bin fest entschlossen, unter diesen ehrlichen Leuten meine Tage zu beschließen;
doch davon künftig ein mehreres! das Schiff, womit ich dir schreibe,
will diesen Augenblick abgehn. Dies zwingt mich, kurz zu sein. Lebe wohl!
____________________
*) Siehe Lord Cornwallis' Bericht vom 18. September 1789.
Dieser schöne Strich Landes wird jetzt nur noch von wilden Tieren
bewohnt. Die Compagnie selbst hat unendliche Schulden.
**) Siehe die "Allgemeine Zeitung".
Ende der Reisen des Scaramuz
ANMERKUNGEN
ZU DEN REISEN DES SCARAMUZ
ZWÖLFTES KAPITEL
"Und während alle Thronen von Europa in ihrer Grundfeste erschüttert
sind, streiten wir uns hier darüber, wie man der k...lichen Plenipotenz
die Stühle setzen soll." "Die ... iche und Reichsgesandtschaft waren
einige Zeit wegen der Plenipotenz in Zwist. Das Reich gab nach unter dem
Beding, jene sollte von der solennen Einholung abstehen. Drauf begab sich
die k ...liche Gesandtschaft in den Sessionssaal und nahm ihre Sitze zwischen
dem Direktorials und dem kursächsischen Gesandten, auf eine
Art, wodurch sie sich, ihrer Würde gemäß, von der Deputation
auszeichnet; (d. h., die zwei Stühle der neben der Plenipotenz sitzenden
kurfürstlichen Gesandten müssen halb nach der Plenipotenz gedreht
stehen; das ist die Auszeichnung!)" Wörtlich aus der "Hamburger Zeitung",
16. Stück, d. 27.Jan. 1798.
"So würde Paris, wenn es sich des übermäßigen
Gebrauchs der Lichter, Sachsen, wenn es sich des Kaffees, Hannover, wenn
es sich des Puders enthalten könnte, jenes im Zeitraume von einem
Jahre 7 Millionen Livres, dieses in der nämlichen Zeit 6 Millionen
und das letzte in 25 Jahren 20 Millionen Taler ersparen." Rechnet man
zu Paris nur 100000 Menschen, die aus Nacht Tag machen und bis 12 Uhr aufbleiben,
so entsteht daraus für jeden einzelnen ein Lichtaufwand von wenigstens
4 Sols. Diese 4 Sols durch 100000 multipliziert, tun täglich 20000,
monatlich 600000, jährlich 7200000: also, alles in allem, ungefähr
7 Millionen Livres. Wer wollte nun, um dem Staat aufzuhelfen, nicht gern
ein paar Stunden früher zu Bette gehen! Ferner, wenn man in Kursachsen
nur zwei Millionen Menschen annimmt, wovon der vierte Teil Kaffee trinkt
und der tägliche Betrag dieses Getränks, mit Einschluß
des Zuckers, sich á Person zu sechs Pfennigen beläuft, so kömmt
doch dabei die Summe von 3 Millionen 800000 Taler heraus. Dieser Anschlag
aber ist zu gering! die Zahl der wirklichen Kaffeetrinker ist größer!
6 Millionen Taler, die auf diese Art aus dem Lande gehen, dürften
daher nicht zu viel sein! Von 800 000 Menschen im Kurfürstentume
Hannover *) leben welligstens 100 000 im Stande der Frisur. Rechnet man
nun auf jeden Kopf monatlich drei Viertelpfund Puder, das Pfund zu 2 Groschen,
so kömmt jährlich eine Summe voll 75000 Rtlr. heraus. Die Fortdauer
dieser Ausgabe auf 25 Jahre und die Kosten der Frisur jährlich nur
auf 8 Rtlr. angesetzt, macht netto für jeden Kopf im Durchschnitte
200 Rdr. und im ganzen 20 Millionen. Dabei ist der Zeitverlust gar nicht
mit in Anschlag gebracht, der, nur täglich zu eine Viertelstunde gerechnet,
für jeden einzelnen die Summe von 2975, für alle die Summe von
227 und eine halbe Million Stunden oder 51940 verlorene Jahre beträgt.
____________________
*) Siehe das "Hannöversche Magazin".
"Ebenso mißlich steht es mit dem Schuldwesen
von Kurmainz, Kurtrier, Pfalzbayern usw." Pfalzbayern steht seit 1794
bei Schmalz, Bethmann und Walther mit 700 000, seit 1795 bei Schmalz, Rüppel
und Schweitzer mit 500 000, seit 1796 bei Schmalz und Mieg, bei dem ersten
mit 3 600 000 und bei dem andern mit 150 000 und seit 1797 bei Metzler
mit 500 000 Gulden zu Buche. Der Zinsfuß steigt dabei allmählich
bis fünfundeinhalb; und doch sind die pfalzzweibrückschen Schulden
an Frankreich, Preußen und Bern hier gar nicht einmal eingerechnet.
Nun folgen Kurtrier und Kurmainz mit 500 000 Gulden; Baden, Leiningen,
Türkheim, Öttingen Wallerstein, Hessen Darmstadt, Lüttich,
der oberrheinische Kreis, die zu Frankfurt und die Frankfurter selbst,
die, aller Welt Leiher und zu Hause Borger, in ihrer eignen Mitte ein Anlehn
eröffneten. Ebenso negoziierten Hessen Homburg, Mecklenburg zu Bern
und Bamberg, die Reichsstadt Köln, Waldeck und die wirtenbergischen
Landstände, je andere an andern Orten, beträchtliche Geldsummen.
DREIZEHNTES KAPITEL
"So viel ist indessen gewiß, daß da, wo die Schande wohlfeil
wird, das Verbrechen einkehrt; und eine Regierung, die wegen Veruntreuung
einiger Groschen auf Halseisen, Schandpfahl und Zuchthaus und wegen Diebstahls
einiger Taler auf den Strang erkennt, hat den Maßstab größerer
Vergehungen selbst mutwillig Zerbrochen." Nach einer den 15. Mai 1797
zu ..... auf vier Bogen in Folio erschienenen Landesverordnung steht auf
die geringste Veruntruuung der Dienstboten gegen ihre Herrschaft das erstemal
Gefängnis bei Wasser und Brot, das zweitemal Turmhaft oder Zuchthaus,
das drittemal öffentliche Arbeit oder, ist der dritte Diebstahl über
zehn Taler an Wert der Strang. Andere Fehler werden, nach Befinden, mit
verhältnismäßig noch härterer Strafe belegt. Kauft
zum Beispiel ein Dienstbote etwas für seine Herrschaft ein und bezahlt
es unter Angabe, so wird bei Entdeckung nicht die Größe des
zugefügten Schadens berücksichtigt, sondern der Täter auf
zwei Jahre ins Zucht und Spinnhaus gesteckt oder, beträgt der
Betrug über fünf Taler, dem Kriminalgericht überliefert.
Damit auch überdem untreues Gesinde zu jedermanns Kenntnis komme,
wird es, vor Belegung mit Zucht und Spinnhausstrafe, durch die Straßen
geführt, an den Schandpfahl gestellt usw.
"Was endlich das am 9. Oktober 1794 zuerst
erlassene und ganz kürzlich wieder eingeschärfte Verbot wegen
des Applaudierens im Schauspielhause betrifft, so usw." "Auf höchsten
Befehl wird ein geehrtes Publikum an das bereits unterm 9. Oktober 1794
erlassene Verbot nochmals erinnert, daß alles Applaudieren im Schauspielhause
durchaus unterbleiben soll, es sei denn, daß die höchsten Herrschaften
zuerst ihren Beifall auf diese Weise zu bezeugen geruhen. ..., den 1. Oktober
1798."
VIERZEHNTES KAPITEL
"Zu ....d ließ der regierende Fürst soeben durch einen geschwornen
Notar und zwei Schreiber reihherum bei den Bürgern fragen, ob sie
glaubten, daß er richtig im Kopfe sei oder nicht, und die jedesmal
erteilte Antwort wurde sogleich ad protocollum gebracht." So unglaublich
das scheint, ist es doch nichtsdestoweniger buchstäblich wahr. Unter
andern ging er selbst auf die Rentkammer und forderte die sämtlich
dort versammelten Räte auf, ihm in seiner Gegenwart über ebendiese
Angelegenheit einen Revers auszustellen. Da man ihm dies Verlangen abschlug,
ward er sehr aufgebracht und schalt sie alle miteinander treulöse
Diener, um so mehr, da es ihm nun unmöglich schien, die eigens niedergesetzte
Reichskominission über diesen Punkt anders eines Bessern zu belehren
als durch einen öffentlich veranstalteten Umgang. Auch dieser hatte
nicht ganz den gewünschten Erfolg, doch fanden sich gutmütige
Seelen genug, die es mit dem Ausdruck Verstand so genau nicht nahmen
und ihren gnädigen Fürsten und Landesherrn, dieser Qualität
wegen, vielfach belobten. Von vielen nenne ich hier nur den Günstling
der Hofmaitresse, Herrn Lieutenant von ...fels, den Kammerdiener ...del,
mehrere Landbeamte und einige Titular Hofkammerräte. Was noch zu merken
ist: Dieser Herr trug seine Gewissensskrupel, deren ihn immer viele zu
drücken pflegten, in ein ordentliches Buch ein. Die Zweifel standen
in einer schwarzen und ihre Auflösung in einer roten Rubrik. Zuweilen
aber fielen sie doch etwas ins Possierliche! So stieß er sich zum
Beispiel einmal am Kinderzeugen und Viehhalten, weil durch beides der Mist,
folglich auch Salpeter und Ungewitter, vermehrt würden, er aber an
keines Menschen Tod schuld sein solle. Und dieser blödsinnige Mann
wurde, dessen ungeachtet, mit der Regierung über Land und Leute beliehen.
SECHZEHNTES KAPITEL
"Nirgends bin ich so vielen Kurieren begegnet als hier. Bald war's eine
Terrine mit Suppe á l'Esturgeon, die ein Major über zweitausend
Werste weit dem Chef seines Regiments überbrachte, bald eine Lettre
de cachet, die einen friedlichen Landbewohner, wegen seines langen Bartes,
aus dem Schoße seiner Familie riß." Die Suppe á l'Esturgeon
war ein Lieblingsgericht des Fürsten ....kin, das ihm jedesmal über
dreihundert Rubel zu stehen kam. Als sich dieser Feldherr zu ...sy aufhielt,
wollte er einige Damen von seiner Bekanntschaft diese Suppe zu kosten geben.
Unglücklicherweise aber war der Mundkoch, der sie am besten zu bereiten
verstand, abwesend. Was zu tun? Ein Major muß hin und die Suppe einige
tausend Werste weit, in einer hermetisch verriegelten Terrine, von ....rg
nach ...sy bringen. Die Geschichte mit dem Bart und die grausame Behandlung,
die dem einer bloßen Weiberlaune wegen von den äußersten
Grenzen des Reichs herbeigeholten und nachher im Kerker schmählich
vergessenen, ruhigen Landeigentümer widerfuhr, ist ebenfalls noch
in frischem Andenken. Es war das Fräulein von E., die
durch eine ungefähre Äußerung über Tische, auch wohl
einmal einen solchen Bart zu sehen, die höchst widerrechtliche Prozedur
veranlaßte.
"Ich hin durch Gegenden gekommen, wo ein Fenster
in der Hütte und ein Paar Stiefeln auf dem Fuße unter dein gemeinen
Manne den Maßstab des Reichtums abgibt." ....rg, ....au
und einige mehr oder weniger bedeutende Provinzialstädte ausgenommen,
sind die meisten Häuser in ....nd elende hölzerne Baracken.
Man fügt ein paar Balken ineinander, belegt das Dach mit Spänen
und stopft die Zuglöcher mit Moos aus. Solche Häuser werden auf
den Märkten fix und fertig an den Meistbietenden verkauft und nachher
weiter ins Land verführt. In der Mitte ist ein Backofen angebracht,
der selten kalt wird, und über demselben ein paar hölzerne Schlafstellen,
aber ohne irgendein Stück Kissen oder Pfühl. In solchem kläglichen
Zustande nun schleppt der Bauer, der Tagelöhner und der gemeine Handwerksmann,
beim Scheine räuchrichter Kienfackeln und einer Schüssel voll
Zwiebeln und Knoblauch, sein mühbeladenes, armseliges Dasein hin.
Bringt nun einer etwa es so weit, daß er ein paar Fenster in seine
Kabuse setzen oder, statt der häufig beliebten Bastschuhe, ein Paar
Stiefeln über die Füße ziehen kann, so gibt das ein Aufhebens
in der ganzen Nachbarschaft, und man. spricht davon wie von einem Zeichen
der Zeit und des immer mehr zunehmenden Luxus.
"Mit einem Worte, all dieser Luxus, all diese
übertünchte Kultur gemahnen mich an die Kolonien zu ....son,
wo man die Strohhütten auf ein paar Tage versteckt und nachher wieder
an ihren alten Platz stellt." Um der großen Kaiserin über
den wahren Zustand ihrer entfernten Provinzen, und besonders den der vernachlässigsten
und doch nützlichsten Volksklasse, die Augen zu schließen, bediente
sich der Fürst ....kin folgenden Mittels: Überall, wo ... na
durchging, waren plötzlich prächtige Chausseen, zahlreiche Dörfer,
anmutige Meiereien, voll des lebendigsten Menschengewühls, am Wege
hervorgestiegen; die Armut aber, die Not und das Elend hatten sich tief
in das Innere zurückgeflüchtet. Statt ihrer erblickte man nur
jene Scharen Leibeigener, die, den unbarmherzigen Händen ihrer Treiber
soeben entronnen, von allen Seiten herbeieilten, um dies neue ....kische
Fernei noch mehr zu beleben. Mit dem Ansehen äußerer Wohlhabenheit
verbanden diese Leute die bis zur Täuschung nachgeahmte landesübliche
Kleidung. Sie bewillkommneten ihre erhabene Monarchin als Abgeordnmte ihrer
Mitbürger und dankten ihr für den ihrem Lande verliehenen Wohlstand.
Mittlerweile wurden denn auch die Pferde wieder angespannt, die abgezogenen
Lumpen wieder hervorgesucht, die Fronknechte in ihre alten Rechte und der
Name des Fürsten ....kin, der alle diese Wunder bewirkte, wie billig,
unter die Sterne gesetzt.
"Was soll mir ein lustig gruppierter Vordergrund,
dessen Hinterhalt dem Auge, in trauriger Beleuchtung, die brennenden Ruinen
von ...g, den Zug der ....ken von ...ga, die schwankenden Menschenpyramiden
zu ....ow usw. darstellt?" Aus Abneigung und Haß gegen ihre Nachbarin,
die, alles umher unterjochend, ihr eisernes Szepter nun auch über
ihre Grenzen streckte, faßten die freien ....ken zu ...ga den eines
großen und der Herrschaft noch unentwöhnten Hirtenvolkes würdigen
Entschluß, den Herd und die alten Sitze ihrer Väter verlassend,
das Reich ihrer Vorfahren zu ...ungori aufzusuchen, dessen uralten Glanz
wieder herzustellen oder, wenn ihnen dies nicht gelingen sollte, doch wenigstens,
ihres Namens und der Abkommenschaft von solchen Männern nicht unwert,
Hunger und Tod in der Wüste dem Joche einer schimpflichen Knechtschaft
vorzuziehen. Der Auszug selbst, nachdem sie ihr Lama oder Opferpriester
daein wie in einem gottgeheiligten Vorhaben bestätiget hatte, erfolgte
imjahre eintausendsiebenhundertundeinundsiebzig. Und so sahen wir denn
noch zu unsern Zeiten jene sich in das graue Altertum verlierenden Sagen
ausgewanderter Völker, durch ein neues Beispiel in der Geschichte,
wiederholt. Mehr als hundertundzwanzigtausend Seelen nebst vielem Gepäcke
und einem unsäglichen Gefolge von Schafen, Pferden, Ziegen und Kamelen
dem einzigen Reichtume dieser nomadischen Völker begaben sich
mitten im Winter und bei der strengsten Witterung auf den Weg. ja was noch
mehr, diese Wanderung ging so glücklich vonstatten, daß die
ihnen unter dem Kommando des ....scheu Heerführers ....kow nachsetzenden
feindlichen Soldaten nur von liegengebliebenen Weibern, Greisen und Kindern,
deren entseelte Körper, so weit sie gezogen waren, die Heerstraße
bedeckten, nicht aber von lebenden und ihrer Freiheit beraubten Männern
Bericht abstatten konnten.
"Die schwankenden Menschenpyramiden zu ...ow." Nach der durch Sturm
erfolgten Eroberung von ...ow wurden sowohl Sterbende als Tote fuderweise
vor die Stadt auf das zugefrorne Wasser gebracht. Hier kamen Hunde und
fraßen an den Leichnamen. (Siehe "Minerva", Januar 1799.) Auch fand,
wie mir ein Augenzeuge versichert hat, Fürst ....kin ein eigenes Vergnügen
daran, bei eingetretenem Tauwetter, am Ufer stehend, die nun vom Grundeise
gehobenen und gewissermaßen beweglich gewordenen Menschenmassen schwanken
zu sehen.
"Eine Konvention, die mit dem Allerheiligsten
ihren Spott treibt und die Teilung eines mächtigen Königreichs,
im Namen der unteilbaren Dreieinigkeit, unterzeichnet." Die Konvention
wegen der Teilung von ...en, zwischen Ihro Majestät, der Beherrscherin
aller ....en, und Sr. Majestät, dem Könige von ...en, hebt im
Namen der hochheiligen und unteilbaren Dreieinigkeit an. (Siehe
den "Hamburger Korrespondenten", 1797, No. 128.)
",Slove i delo!' unterbrach mich hier aufs
neue der Minister, dem man keinen unbedeutenden Teil an jenem Vertrage
beimaß. Vor Zorn schien er seiner selbst nicht mehr mächtig."
So hieß die furchtbare Losung, in der man unter der Regierung ......
Tod und Knute übereinander aussprach. Beide, Ankläger sowohl
als Beklagter, wurden, sobald dieses Wort ihren Lippen entflog, in Verwahrsam
genommen, nach .....g gebracht und dort der geheimen Staatsinquisition
in die Hände geliefert. Diese bestand aus den angesehensten Männern
im Reiche, denen die unumschränkte Vollmacht erteilt war, Personen
wes Alters und Standes, ohne darnach zu fragen, auf den leisesten Verdacht
hin einzukerkern und durch Tortur und Knute auf das willkürlichste
zu mißhandeln. ...r der ... machte bald nach dem Antritte seiner
Regierung durch eine menschenfreundliche Verordnung diesem Unfug ein Ende.
SIEBZEHNTES KAPITEL
"Wie oft habe ich mir nicht um diese Zeit mit den Facchinis zu Pavia
vor der dortigen Hospitalapotheke ein kümmerliches Frühstück
gezapft!" Dies bezieht sich auf eine uralte, höchst sonderbare Gewohnheit,
vermöge deren die Hospitalapotheke dieser Universität die Obliegenheit
hat, Tag für Tag drei große mit Dekokten angefüllte Fässer
zu jedermanns Gebrauch auf die Straße zu setzen. Im ersten befindet
sich ein Dekokt von Klatschrosen, im zweiten einer von Hasenpappeln und
im dritten einer von Eibischwurzeln. An jedes Faß wird die Inschrift
dessen, was es enthält, mit lateinischen Buchstaben geheftet, und
das Volk läuft bei jedem Anstoße von Unpäßlichkeit
haufenweise herbei, diesen Dekokt zu trinken oder wohl gar wie die Facchinis,
in Ermangelung etwas Besserm, sich hier ein Frühstück zu zapfen.
"Christus trieb die Käufer und Verkäufer
zum Tempel hinaus; Ihr etabliert lieber selbst einen Kornhandel und bedient
Euch dabei falscheu Maßes und Gewichts." Seit der Regierung Innozenz
des Zehnten treibt die päpstliche Kammer folgendes höchst schändliche
Monopol. Sie kauft durch den ganzen Kirchenstaat das Getreide zu willkürlichen
Preisen auf und setzt es dann wieder an ihre Untertanen ab; in einem Maße,
das um ein Fünftel kleiner, und zu einem Preise, der um ein Drittel
höher ist als beim Einkaufe. Man geht gewiß nicht unrecht, wenn
man das Wüsteliegen der meisten Äcker um Rom dieser drückenden
Maßregel beimißt. In einem Staate, wo es gleich zuträglich
ist, die Hand an den Pflug oder an den Rosenkranz zu legen, Aussaat
oder Agnus Dei einzuhandeln, zieht jedermann das Bequemste vor; und da
ist denn freilich ein vom Balkon der Peterskirche kräftig gesprochener
Segen leichter erhalten als eine gesegnete Ernte!
"Christus speiste mit sieben Broten fünftausend
Mann; Ihr nehmt dem armen Manne sein letztes Stück Brot, um ein Heer
von siebentausend Mönchen damit zu speisen!" Dies geschieht auf
allerlei Art; selbst den am reichsten dotierten Klöstern im Kirchenstaate
muß man es nachrühmen, daß sie ihr Reichtum nicht stolz
macht. Im Gegenteil schämen sie sich ihres vorigen Gewerbes so wenig,
daß die meisten bis auf den heutigen Tag fortfahren zu betteln.
Männer in schwarzen Kitteln, und einen Leibgurt umgeschnürt,
rufen halbe Straßen entlang Almosen für arme Seelen im Fegfeuer
aus. Heisere Stimmen lassen sich wie aus den Gräbern mit einem dumpfen
"Ich bin deine Mutter dein Kind deine Schwester!" oder einem andern,
nicht weniger bedeutenden Namen vernehmen. Auf diesen Zuruf springen alle
Fenster auf, und tausend mitleidige Hände leeren ihr letztes Scherflein
in den ungeheuern Bauch einer Klosterbüchse, die ein paar Dutzend
Müßiggänger aus ihrem Einkommen besoldet. Solche indirekte
Auflagen müssen um so mehr befremden, wenn man bedenkt, daß
der päpstliche Oberhirte von seinen Untertanen an einunddreißig
direkte Auflagen bezieht und außerdem noch von jeder Last
Zwiebeln im Kirchenstaate sich sechzehn verschiedene Taxen erlegen läßt.
"Der König schien nicht abgeneigt. Er forderte mich sogar auf,
ihm desfalls Vorschläge zu tun, und eben war ich damit beschäftigt,
als ein Kammerherr zur Türe hereinstürzte und dem Könige
mit vielem Geräusch meldete, daß sich soeben im Gehölz
von ...tici ein schönes Stück Wildbret sehen lasse." - In die
"Décade philosophique" war kürzlich von diesem Hofe folgende
Schilderung eingerückt: "Der König fühlt nicht das Traurige
seiner Lage. Er bedient sich zum Sehen der Augen ...ons und seiner Gemahlin.
Dies sind die Werkzeuge, wodurch er handelt. Irgendein Plan wird in dem
geheimen Kabinette der Königin festgesetzt und alsdann, pro forma,
dem Staatsrate vorgelegt. Der Markis ....ti approbiert ohne weitläuftige
Untersuchung. Der Markis .... dini gibt sich das Air eines tiefern Nachdenkens
und unterschreibt. Der Prinz von ....cula, um ...on den Hof zu machen,
gibt beides zugleich, Beifall und Unterschrift. Markis de ....lo erlaubt
sich keinen Widerspruch gegen den Premierininister! Nur dein einzigen
Markis de ....co steht, als dem ältesten Fürstendiener an diesem
Hofe, das Recht zu, unverschleiert einige Wahrheiten zu wagen. Sobald man
aber sieht, daß er sich desselben mit zu großem Nachdrucke
bedient, ist sogleich ein Hofschranze bei der Hand, der dem Könige
anzeigt, daß sich soeben in dein Gehölze von ...tici ein schönes
Stück Wildbret sehen lasse. Sogleich geht die Sache auseinander; der
König läuft auf die Jagd, und die Königin und ...on freuen
sich ihres gelungenen Plans, der genau so durch ging, wie sie es im Kabinette
verabredeten."
ACHTZEHNTES KAPITEL
"Das ungeborne Kind, voll wilder Lust,
In seiner Mutter Schoß, die Gattin zu verwaisen,
Das schwangre Weib an ihres Mannes Brust" Bei zwei Gemahlinnen der
französischen Gesandten war dies der Fall.
"Noch lernten wir ja nicht wie der Barbar verstümmeln,
Den .... mit ewigem Entsetzen nennt." Bonnier wurden schon während
des Herausreißens aus seiner Chaise mit Säbelhieben die Beine
zerkerbt, und von Robejot heißt es in dem Verhör der herrschaftlich
badenschen Postillione, Actum Rastatt, den 29. April, wörtlich folgendermaßen:
"Jacob Glasner, herrschaftlicher Postillion im fürstlichen Marstalle
zu Karlsruhe, 41Jahr alt, evangelischer Religion, ließ sich vernehmen:
von den Vorgängen an den vordern Chaisen wisse er nichts; aber seine
Chaise sei zu gleicher Zeit, wie er glaube, von den kaiserlichen Husaren
angegriffen, auch er zuerst gefragt worden, wen er führe. Den Namen
des Herrn in seiner Chaise habe er nicht gewußt und also seine Unwissenheit
vorgeschützt, worauf die Husaren sich an den Bedienten auf dem Bock
gewendet und von solchem den Namen seines Herrn, des Ministers Robejot,
erfahren hätten. Dann habe es geheißen: So? das ist der?' Sie
hätten darauf den Schlag auf- und den Minister herausgerissen, liervorgeschleppt,
sofort, auf ungarischen Befehl eines Wachmeisters oder Korporals, an sein
Sattelpferd mit unzähligen Säbelhieben greulich daniedergestreckt,
ihm alles, was er bei sich gehabt, genommen, unter anderm einen Ring vom
Finger gezogen und jenes Hauen, bei noch verspürter Lebensbewegung,
bis zum Ausgange wiederholt. Ihm seien mehrere Säbelhiebe aus diesem
Anlaß dicht am Leibe heruntergefahren, auch durch einen derselben
ein Strang von seinem Pferde abgehauen worden. Die Madam Robejot hätten
die Husaren auch herausgerissen, die auf gebrochen deutsch öfter gebeten
habe, sie mit ihrem Manne auch totzuhauen" usw. usw. Die Erbitterung ging
so weit, daß, als der badensche Major v. Harrant sich bei dem Schulzen
im Dorfe Rheinau nach dem entkommenen Jean de Brie erkundigte, er unter
andern in Erfahrung brachte, wie kurz vor ihm die Szeckler Husaren das
nämliche getan. Sie forschten sehr sorgfältig nach einem blessierten
Franzosen, an dessen Wiedereinbringung ihnen alles gelegen sei. Gestalt
und Kleidung wurden mit vieler Genauigkeit beschrieben und die Bauern,
falls sie seiner habhaft würden, dringend ersucht, ihn ja nicht nach
Rastatt, sondern auf einem von den Husaren bezeichneten Wege nach Muldensturm
zu bringen.
"Schwarz ist die Tat! Im Schutz der Nacht,
Banditen,
Seid auszuführen sie bemüht!" Die Ermordung Bonniers wurde
von seinem Fackelträger zuerst offiziell nach Rastatt berichtet, und
zwar in das Wirtshaus vor dem Etlinger Tore, die "Laterne" genannt, wo
der wachhabende österreichische Offizier, ein gewisser .....rd, brutalen
Andenkens, sein Standquartier hatte. Der mehrgedachte, würdige badensche
Major, Herr von Harrant, fand die Equipagen noch auf dem nämlichen
Platze und nebenher liegend die äußerst gemißhandelten
Leichname. Etwa fünfzig Szeckler Husaren standen mit Fackeln in den
Händen herum und waren eben im Begriff, die Wagen hinter der Stadtmauer
weg als eine rechtmäßige Beute abzuführen. Die Unglücklichen
darin lagen alle noch größtenteils in tödlicher Betäubung,
und nur mit Anwendung vieler Mühe und Drohungen bewirkte der Major
den Transport derselben nach Rastatt.
Nach Durchlesung aller dieser jedes Menschengefühl
empörenden Aktenstücke erregt es gewiß in jedem deutschen
Herzen die lebhafteste Teilnahme, wenn Kaiser Franz der II. in seiner an
die Reichsstände zu Regensburg erlassenen Proklamation dieselben zur
gewissenhaftesten Untersuchung in dieser Angelegenheit auffordert, um,
wie er sich ausdrückt, "die ganze unparteiische Welt zu überzeugen,
daß Kaiser und Reich nur von einerlei Empfindungen zur Handhabung
der strengsten Gerechtigkeit und Leistung der vollkommensten Genugtuung,
nur von gleichem, gerechten Abscheu gegen eine so ruchlose Schandtat und
gleicher pflichtmäßigen Achtung für Moralität und
die geheiligten Grundsätze des Völkerrechts durchdrungen sei."
Regensburg, den 12.Juli 1799
Nur einem so nichtswürdigen Parteiskribenten als dem "Courrier
de Londres" war es vorbehalten, diese Infamie zu beschönigen und dem
Erzherzog Karl Schuld zu geben, als habe er sich schon dadurch übereilt,
daß er die braven Szeckler Husaren deshalb nur eingezogen.
NEUNZEHNTES KAPITEL
"Bedürft ihr des Geldes warum bringt ihr kein besseres Gleichgewicht
in eure Einnahmen und Ausgaben?" Die Nachlässigkeit über diesen
Punkt geht so weit, daß, nach der eignen Angabe des General Jourdan,
die Armee von den 150 000 Rationen Brot, die die Commissaire dem Staate
in Rechnung brachten, täglich nicht mehr als 10 000 Rationen bekam
und dieser Betrug ganzer zwei Jahr dauerte. Ebenso sind (nach dem Bericht
Barbés im Rate der Alten) alle Militärpersonen in Frankreich
darüber einverstanden, daß die Republik im 4.Jahre für
200 000 Soldaten und 20 000 Pferde, die bloß in der Caisse d'escompte
und sonst nirgends existierten, Proviant und Lieferung bezahlte.
ZWANZIGSTES KAPITFL
,'Königl. Wein und Eierbeamten und sogar einen
königl. großbr. Hofsekretschlüsselbewahrer." "Kann denn",
so sagt Herr Burgh bei Gelegenheit der Zivilliste, "unser gnädigster
König nicht ein weich gesottenes Ei zu Abend essen, ohne sich einen
Eierkontrolleur und einen Eierkontrolleur Ober und Unterschreiber
mit einem jährlichen Aufwande voll 500 Pf. Sterl. zu halten? und das
zu einer Zeit, wo die Nation in ein bodenloses Meer voll Schulden versinkt!"
Ebenso kann man fragen: "Was nützt ihm der Intendant des heimlichen
Gemachs? Kann der König den Schlüssel dazu nicht selbst in der
Tasche führen? Und, mein kleiner Cook und Cryer, worin besteht seine
Verrichtung? Etwa, unter dem Kammerfenster des Königs mit Nachahmung
des Hahnengeschreis die Stunden der Nacht auszurufen? So etwas konnte vor
Erfindung der Repetieruhren voll gutem Nutzen sein; vor der Hand aber hat
es gar keinen!" usw.
"Himmelschreiend sei es zum Beispiel, daß
die Gesetze zu einem Betruge, wie dem des Lord Holland, von 48700 Pf. Sterling
stillschwiegen, während sie die arme Marie Jones um ein paar gestohlener
Windeln willen zum Stricke verurteilten." Lord Holland konnte von Glück
sagen, daß die Untersuchung seiner Rechnungen Herrn Bembridge in
die Hände fiel, der die Gefälligkeit hatte, gegen ein Douceur
voll 2 6oo PC Sterling *) sie richtig zu finden. Die Sache schien abgetan,
als plötzlich Lord Mansfield neue Zweifel erregte und auf weitere
Untersuchung drang. Vergeblich erklärte Herr Edmund Burke, deklamatorischen
Andenkens, Bembridge für einen ehrlichen Mann; die Jury wurde nur
zu bald vom Gegenteil überzeugt. Was nun weiter erfolgte, ist ebenso
merkwürdig; denn es zeigt genau den Gang der .....schen Justizverfassung.
Bembridge wurde zu halbjähriger Gefängnishaft und Erlegung einer
Geldbuße verurteilt, die der erhaltenen Bestechungssumme gleich war.
____________________
*) 28 600 Fl.
"Marie Jones." Ihr Mann, ein gemeiner Tagarbeiter,
wurde durch einen Preßgang aufgehoben; sie selbst aber, nachdem der
Hauswirt, um sich, für die Miete bezahlt zu machen, nebst andern Schuldnern,
ihr Stuben und Küchengeräte ausgeräumt, liebst ihrem
einzigen Kinde auf die Straße gesetzt. Von hier entfloh sie auf eine
Dachkammer und wurde bald darauf voll einem zweiten entbunden. Gleich nach
erfolgter Niederkunft, und sobald sie nur einige Kräfte zum Gehen
geschöpft, schleppte sie sich auf die Straßen von London, um
mitleidige Herzen anzusprechen. Da sie aber jegliche Tür verschlossen
fand und man sie überall gleich einer Landstreicherin behandelte,
ließ sie sich verleiten und stahl aus Verzweiflung ein Stück
Leinwand. Weder die dringende Not, ein nacktes Kind
kleiden, noch ein zuvor geführter untadelhafter Lebenswandel,
verbunden mit dem günstigen Zeugnis ihrer Nachbarn und der Vorsteher
des Kirchspiels, vermochten etwas gegen den toten Buchstaben des Gesetzes.
Nicht einmal so viel Menschlichkeit hatte man, dem armen Weibe, deren Milch
durch so viele erlittene Drangsale in Gärung übergegangen und
notwendig in Gift verwandelt sein mußte, ihr Kind von der Brust zu
reißen. Erst der Henker übernahm diesen Dienst, in
dem Augenblick, wo er ihr zu Tyburn den Strick um den Hals legte.
Ende der Anmerkungen zu den Reisen des Scararnuz
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Über Lichtenbergs
Leben und Schriften
Auszug aus einem Briefe
Auch denken Sie darin übereinstimmend mit mir, liebster Freund,
daß in diesen zwei kleinen Bänden von Lichtenbergs Nachlaß
mehr Selbstgedachtes, mehr Eignes und Orignelles anzutreffen sei als wie
in mancher bändereichen, großen Bibliothek; und doch hat, wie
sie sagen, diese Lektüre Sie auf der andern Seite so wenig befriedigt,
Sie mehr verstimmt als zu bessern Gefühlen erhoben, mehr helle Ideen
in Ihnen verwirrt, als dunkle ins Klare gesetzt: die Ursache hiervon, wie
mich dünkt, muß etwas tiefer liegen, und diese aufzusuchen sie
der Gegenstand dieses Briefes. Lichtenbergs schriftstellerischen Charakter
aufzunehmen ist nicht so leicht, wie man anfänglich zu glauben sich
versucht fühlt. Wissenschaftliches Verdienst und poetische Anlage
sind so sonderbar in diesem originelle Kopfe gemischt, daß es schwer
hält, sie voneinander abzusondern. Er selbst scheint bis an das Ende
seines Lebens mit dieser Absonderung nicht zustande gekommen zu sein. Es
gibt Stellen, wo er sich ganz bestimmt darüber erklärt, was er
in gewissen Jahren hätte treiben müssen, wenn was Rechts hätte
aus ihm werden sollen, und wieder andre, wo er sich selbst besser auszufinden
scheint und sein eigentümliches Verdienst im Klarmachen feststellt.
Einmal wünscht er sich nichts sehnlicher, als Algebra und Integralrechnung
in seinen jüngern Jahren rechtschaffen gelernt zu haben; ein andermal
will er sogar ein Gedicht schreiben, wo das utile dem dulci so gemischt
ist, daß die Verbesserung der Chausseen und des Straßenbaues
darin ihre Rubrik bekömmt. Dies letzte ist für seine ganze Manier
entscheidend. Ein Gedicht, das einem Kopf dieser Art ganz Gnüge leisten
sollte, müßte denn doch am Ende das Leben ungefähr so behandeln
wie die Experimentalphysik die Natur, und die Kunst, aus Runkelrüben
Zucker zu machen, und die, Gedichte zu verfertigen, müßten einen
Vereinigungspunkt haben, wo sie sich zu Nutz und Frommen des gemeinen Wesens
begegneten. Diese einzige beschränkte Ansicht ist in Lichtenberg bleibend
und läuft durch, weil sie in die Grundlage seines Charakters greift;
die andern sind skeptisch und leicht, wie die Anlässe, die sie von
außen bestimmen, aus einem Verhältnis in das andre beweglich.
Dahin gehören besonders seine politischen Grundsätze, wo er es
ganz dem glücklichen oder unglücklichen Erfolg gewisser Begebenheiten
überlassen zu haben scheint, ihn für oder dawider zu bestimmen.
Daß poetisches Vermögen sich frühzeitig in ihm regte, sieht
man besonders aus der naiven Frage an seinen Geist: Was ist das Nordlicht?,
die er als Knabe auf ein Zettelchen schrieb und auf den obersten Boden
legte; aber unglücklicherweise fiel seine Ausbildung in die Periode
jener sonnenhellen und klaren Aufklärung, die besonders von Frankreich
aus, über Friedrich dem Großen, über ganz Deutschland ausging,
wo alles, was Glauben hieß, völlig verhaßt wurde und wo
man es für den unauslöschlichsten aller Schandflecke hielt, in
der Natur und in und außer uns irgend etwas anders als durch Vernunft
auszumachen. Dies falsche System, das auch besonders in den höhern
Ständen unter uns noch immer seine Verehrer findet, wiewohl es mit
jedem Tage immer mehr zusammenfällt, hat gewiß auch auf Lichtenbergs
Erziehung einen nachteiligen Einfluß geäußert. Er selbst
gesteht irgendwo, schon in seinen frühern Jahren sehr frei über
Religion gedacht zu haben. Das wäre nun an sich schön, wenn man
mit diesem Denken nur nicht zugleich aller Poesie, das heißt denn
doch wohl dem Höchsten im Menschen die Axt an die Wurzeln legte.
In Lichtenberg läßt sich die erstere indes so wenig vertilgen,
daß es ordentlich scheint, als ob sich seine Phantasie für die
vielen Beleidigungen, die ihr seine so helle Vernunft öffentlich und
im Wachen antat, privatim und im Schlafe schadlos halten wollte. So hielt
er zum Beispiel viel auf Ahndungen, Träume und Vorbedeutungen, singt
mit rechter Inbrunst geistliche Lieder; ja sogar aus dem Siegeln des Briefes,
aus dem Brennen oder Nichtbrennen der Lichter usw. zieht er für sich
das Gelingen oder Nichtgelingen einer unternommenen Handlung Zeichen ab.
Späterhin kommt nun noch Kant dazu und wirft vollends das nie festgestandne
Gebäude seiner Überzeugung ganz über den Haufen. Die kritische
Philosophie, kann man sagen, hat L. alles genommen, ohne ihm das Geringste
wiederzugeben. Der moralische Beweis für das Dasein Gottes ist für
einen so spekulativen Kopf, den überall mehr die besiegte Schwierigkeit
einer Untersuchung als die daraus gewonnene beruhigende Überzeugung
reizt, zu naheliegend und zu einfach: Freiheit der Seele, Unsterblichkeit
sind ihm daher zu bloßen Worten, zu innern Anschauungen, zu Gedankenspielen
geworden, denen eben nichts von außen zu entsprechen braucht. Selbst
seine Wissenschaft, wenn man anders eine Sammlung von Erscheinungen, wie
sie die Erfahrung an die Hand gibt, mit diesem vieldeutigen Namen beehren
will, ist durch ihren ewigen und wohlbegründeten Realismus nicht imstande
gewesen, ihn von diesem Mißverständnis zu retten, wiewohl er
hier und da den Übergang vom absoluten Unglauben und Skeptizismus
zu einem höhern, geläuterten und vernünftigen Spinozismus
nur für spätere und bessere Tage des Menschengeschlechts, als
es doch wohl der Fall sein dürfte, zu ahnden scheint. Dabei ist es
immer höchst sonderbar, daß ein so trefflicher Kopf, dem sich
das Lächerliche überall aufdrang, sich selbst den Unterschied
nicht klarmachen konnte, der darin liegt, wenn man dem Philosophen den
Idealismus zur streng wissenschaftlichen Vermittlung seines Daseins verstattet
und verstatten muß und wenn man diese Vorstellungsart auf
irgendeine Wissenschaft, wie zum Beispiel die der Natur, welche durchaus
unabhängig und selbständig anzunehmen ist, überträgt.
Hängt diese Schwerfälligkeit, sich der Verklärung des Idealismus
durch den Realismus und umgekehrt der Vergeistigung des Realismus durch
den Idealismus bewußt zu werden, vielleicht mit dem oben erwähnten
poetischen Unvermögen zusammen, so ist freilich alles begreiflich.
Dies möchte um so eher der Fall sein, wenn man erwägt, daß
das echt Wissenschaftliche in der Moral, Theologie wie in der
Physik zugleich das echt Poetische ist, also mit dem Schwärmerischen
beinahe auf einer Linie steht, für welches letztere Lichtenberg, wie
sein Streit mit Lavater beweist, eine beinah leidenschaftliche Apathie
hatte. Viel trug dazu auch seine öffentlich übernommene Rolle
bei, wie, um mich seines eigenen Gleichnisses zu bedienen, gewisse Leute,
wenn sie sich malen lassen und sich sozusagen vor dem Publikum ausstellen,
ein schlechteres Gesicht annehmen als das ihrige. Er hatte sich einmal
zum Bekämpfer der Schwärmerei und des Aberglaubens aufgeworfen.
Alles, was ihm daher aus diesem Kapitel entgegenkömmt, muß dies
innewerden. Nicht nur Werther kömmt schlimm weg, sondern auch sogar
Agathon heißt ihm ein schwärmerischer Jesuitenschüler,
dem er es durchaus nicht vergeben kann, daß ein so großer Mann
wie Wieland sich für ihn interessiert hat. An dem ersten Roman sind
der rauhen Ecken für Lichtenberg natürlich noch mehr. Was kann
auch eine so übersinnlich-sinnliche Liebe für einen Mann sein,
der seine Geliebte ungefähr wie ein Stück Pudding oder Roßbeef
betrachtet? Man höre nur: Ihr (heißt es Teil I. S.191), die
ihr so empfindsam von der Seele eures Mädchens sprechen könnt,
ich gönne euch diese Freude. Glaubt aber ja nicht, daß ihr so
was Erhabenes tut oder sagt; oder dünkt euch nicht edler als der Pöbel,
der gewiß sogar Unrecht nicht hat, sich hauptsächlich an den
Körper zu halten. Was doch ein junger Rezensionen-Leser für eine
Idee von einem so feinen Sentiment hat! Der Bauersknecht schielt nach
dem Unterrock und sucht den Himmel dort, den du in den Augen suchst.
Wer hat recht? Ich wäge keine Gründe in dieser Frage, und noch
viel weniger entscheide ich sie, aber raten will ich es aus treuem Herzen
allen empfindsamen Kandidaten, daß sie sich mit dem Bauern setzen,
es könnte sonst auf verdrießliche Weitläuftigkeiten hinauslaufen.
Daß der Held jenes Goethischen Romans
den Homer liest, hält er weiterhin für leere Modeaffektation,
für Nachbeterei des herrschenden Journalistentons. Überhaupt
hat er von Dichtern die wunderlichsten, ungereimtesten Vorstellungen. So
meint er zum Beispiel, sie wären eben nie die größten Denker
gewesen. Die vielen trefflichen Sachen im Horaz erinnern ihn nur an die
noch trefflicheren, die in den Gesellschaften, die Horaz besuchte,
mochten gesprochen worden sein. Sonderbar ist es freilich, daß Horaz,
wie der Brief an Mäcenas beweist, sich diesen Gesellschaften späterhin
so hartnäckig verweigerte, also sich diese reiche Fundgrube selbst
mutwillig zuschloß. Von den Hexametern wird nur nicht mit dürren
Worten herausgesagt, daß sie eine übelklingende, harte Versart
wären, die weder Franzosen noch Engländer hätten; was
freilich für jemand, der weiter nichts als die neue Literatur kennt,
ein Hauptpunkt ist. Auch soll Homer ein schwerer Dichter sein; ein Ausspruch,
wozu denn doch einer und der andere, der die Odyssee mit seinen Kindern
gelesen hat, lächelnd den Kopf schütteln möchte. Ebenso
dürften Lichtenbergs schneidende Urteile über andre große
Schriftsteller, gleich die wegwerfende Art, wie er zum Beispiel Klopstock,
Goethen und Herder behandelt, vielen und gerechten Widerspruch finden.
Sie beweisen, außer der Beschränktheit in der Natur ihres Urhebers,
zugleich, daß auch er von dem akademischen Stolze nicht frei geblieben,
der einige gelehrte Individuen seiner Zeit, zu Anfang und noch mehr in
der Mitte seiner schriftstellerischen Laufbahn, in Rücksicht auf vaterländische
Literatur und Dichter, beherrschte. Nichts kann ergötzender sein,
als sich von L. die Ursachen aufzählen zu lassen, warum wir Deutsche,
seiner Meinung nach, zu keiner Darstellung echter Originalität imstande
sind. Immer sieht man, schweben ihm dabei die streng individuell gezeichneten
Formen englischer Romane und Komödien vor, und er vergißt ganz,
daß das eigentlich Ewige und Unvergängliche der Poesie weder
dies- noch jenseits des Kanals zu Hause sei, daß Charaktere wie die
der Eurykleia des Odysseus usw. allen Völkern und allen Nationen angehören
und daß jene englischen, von ihm so beliebten Portraitmaler in der
Kunst einen sehr untergeordneten, niedrigen Rang einnehmen, anstatt daß
er ihnen gern den höchsten und womöglich noch einen Platz über
dem Homer anweisen möchte. Dabei muß man ihn nun freilich die
schon oben erwähnte Unentschiedenheit seiner Natur zugute kommen lassen,
die, indem sie ihn zum Dichter und Gelehrten gleich ungeschickt macht,
ihn auf die Grenze von beiden hinstellt. Als Dichter und dieses Wort
kann und darf nicht anders als zur Bezeichnung eines so ewig regen, aufmerksamen
Selbstdenkers, wie Lichtenberg wirklich war, in unsrer Sprache Platz gewinnen
ist ihm das ganze hohle Kompilator- und Registerwesen, das unter uns
Deutschen noch immer, unter dem Namen Gelehrsamkeit, im Schwange geht,
anstößig und einleuchtend geworden. Er fühlt, daß
ein durch eignes Nachdenken gewonnenes sichres Resultat, wobei man ausruhen,
wornach man handeln kann, mit einem Wort, das echt Poetische einer Kunst,
einer Wissenschaft mehr wert sei als eine ganze Fuhre mit Kathedergezänk
und Inauguralprogrammen; dabei will er sich aber als Gelehrter nichts vergeben.
Außerdem ahndet er als Naturforscher, der eins der schönsten
Fächer menschlicher Kenntnisse mit großen poetischen Blicken
bereicherte, wohl noch eine höhere Anwendung der Poesie, als sie in
seinen Tagen üblich war. Er äußert es ziemlich unverholen,
wie uns die himmlische Muse noch erst besuchen müßte, wenn wir
es wert sein wollten, in der Geschichte der Poesie unter andern Völkern
einen ehrenwerten Rang einzunehmen, und wie wohl unsere gelehrten Gesellschaften
daran tun würden, statt eines Preises auf das beste Schauspiel einen
auf das beste Lehrgedicht zu setzen. Mit diesem Vorschlage sei es nun,
wie es wolle; genug, es ist begreiflich, wie ein mit echten Naturkenntnissen
ausgerüsteter Geist den Mondscheintransparents aus einer gewissen
Epoche und dem, was einige von Wein und Liebe begeisterte Dichter dem Publikum,
unter der Firma Natur, aufdringen wollten, keinen sonderlichen Geschmack
abgewinnen konnte. In den Bemerkungen hierüber ist auch noch für
unsre Zeiten manches Treffende. Zum Beispiel, wenngleich niemand Lichtenberg
darin beistimmen wird, daß ein Weib dem Manne bloß durch die
in der Tat etwas unfeine Ideenassoziation von Bett- und Schlafkameradin
usw. angenehm sein dürfte; so kann man doch auf der andern Seite nicht
in Abrede sein, daß der kleinliche Gang in der Kultur der Neuern,
sowohl was die Poesie als was die Politik betrifft, mit den unsern Weibern
zu unbedingt eingeräumten Rechten aufs innigste zusammenhängt.
Die Weiber sind es meistens, man kann es nicht oft genug sagen, die uns
zu diesem kleinlichen Ton, diesem ängstlichen Hinhorchen nach allen
Enden, das des Mannes so äußerst unwürdig ist, verleiten,
und das sich von den Brunnen und Teetischen, von den Märkten in die
Häuser und in die Studierstuben der Gelehrten verpflanzte. Soll hierin
eine Veränderung mit uns vorgehn, so muß sie von ihnen ihren
Anfang nehmen. Die Gattin, die Mutter, die Matrone, die Schwester seht
da die Verhältnisse, worin das Weib uns ehrwürdig bleiben wird
und soll: aber wert des großen Wendepunkts der Zeit, deren mächtiger
Einfluß sie wie uns beherrscht und ein größeres Geschlecht
von ihren Händen fordert, können sie nichts dawider haben, wenn
die Geliebte in ihnen künftig etwas mehr zurücktritt. Ginge also
der Lichtenbergische Unwille gegen dies kranke Sehnen und Schmachten, mit
einem Wort, gegen die Unendlichkeit der Leidenschaft überhaupt,
die noch jetzt in Romanen und Gedichten, nur in andern Zeitverkleidungen,
unter uns auftritt, wer könnte es ihm verargen? Nur vergessen
muß er nicht, um gerecht zu sein, daß beinah überall die
Kunst, in ihren erst rohen Anfängen, auf Erregung heftiger Affekten
hinarbeitet; nur offen mußte er die Augen behalten für die Entwicklung
des großen plastischen Sinns, der sich mitten unter diesen augenblicklichen
Verirrungen und vorbereitenden Versuchen keinem aufmerksamen Auge entzog
und der, indem er die herrlichsten Kunstbildungen andeutete, nach und nach
diesen Andeutungen in Erfüllung zu bringen bemüht war. Wenn er
statt dessen die augenblickliche Verirrung, und nur diese, ins Auge faßt,
wenn ihm selbst Homer so wenig oder vielmehr so nichts ist, daß dagegen
Popens Essay und der Fündling in Betracht kömmt, so deutet
dies auf etwas in seiner Natur, was die Voraussetzung eines gänzlichen
Mangels an höherm poetischen Sinn zur Genüge rechtfertigt. Lichtenberg,
scheint es, hat überall mehr das Individuelle, das Einzelne als das
Ganze, das Ideale gefaßt und gesucht, und so wird es begreiflich,
wie er, bei aller Gabe des Scharfsinns, bei allem großen und seltnen
Beobachtungsgeiste, sich dennoch gleichsam selbst vereinzelte und nie zu
einem Kunstwerke oder einer Komposition erhob. Ich eile von dieser Seite
des Nachlasses, die doch nur den Verstorbenen in einen wiewohl verdienten
Schatten stellt, zu einer andern, die ihn in dem hellsten Lichte und Glanze
zeigt. Dies ist das eigentümliche Bestreben seines originellen Kopfes,
verbunden mit der Maxime, nach denen er, was er studierte, mit wahrem Sinn
und tiefer Gründlichkeit angriff. Sein Verfahren hierin ist weit über
das Jahrhundert, worin er lebte, hinausgestellt, und man kann sagen, erst
dann, wenn ein ähnliches in der Erziehung allgemein wird, darf man
sich etwas von unsrer Literatur versprechen. Ihn kümmert es wenig,
was Cajus oder Sempronius über einen Gegenstand gedacht oder geschrieben;
mit ursprünglichem Beginnen geht er daran und konstruiert ihn aufs
neue. Ihm ist ein Buch, was es den Griechen auch war, was es immer sein
sollte und was es wieder werden muß, nicht Anhäufung von toten
Zitaten, von Historien-, Anekdoten- und Antiquitätenkram, sondern
Resultat eignes Nachdenkes, Anlaß zu lebendiger Forschung in der
Seele dessen, der es liest und den es zu eigner Selbsttätigkeit aufregt.
Vor nichts warnt er daher so dringend und so wiederholt als vor den großen
Marktbuden der Gelehrsamkeit, vor jenen polyhistorischen Werken, wo einem
mittendrin so zumute wird, als ob man sich in einer Stube befände,
wo funfzig Leute durcheinander sprächen und jeder eine eigne Meinung
hätte. Das ist nicht ein Buch, das sind funfzig Bücher; das ist
nicht ein Kopf, das sind funfzig Köpfe, die dort ihr
Wesen treiben; und ihr werdet sie nie unter einen Hut bringen. Mit großer
Wahrscheinlichkeit prophezeit er diesem falschen System der Gelehrsamkeit,
das Deutschland um mehrere Jahrhunderte in seiner Kultur zurücksetzte,
unausbleiblich bei der Nachwelt seinen Verfall. Er spottet bitter über
jene pedantische Unart, mit gelehrten Nichtswürdigkeiten den Geist
zu töten, das Leben hinzubringen und das Wichtigste, das Selbstdenken,
zu versäumen. Mechanik des Geistes ist ihm Mechanik, sie mag anzutreffen
sein, wo sie will; sie mag mit Reimen oder mit Zahlen spielen. Der nachbetende
Mathematiker und der nachahmende Dichter sinken beide unter sein strenges
Richtscheit. Nichts ist ihm lächerlicher als eine Erziehung, wo man
mit Jahreszahlen, Namen, usw. das Gedächtnis überladt, ohne zu
bedenken, wie alles dieses so konventionell ist, wie zum Beispiel jemand
Böhmen, wie es Shakespeare wirklich getan, für ein am Meer gelegnes
Königreich halten und doch einer der ersten Denker seines Jahrhunderts
sein könne. Sind denn Gelehrte weiter nichts wie lebende Mausoleen,
von denen es gleichgültig ist, ob sie über oder unter der Erde
stehen? nichts als Bibliotheken, die man, ihrer eignen Schätze unbewußt,
aus einem Jahrhundert in das andre rückt? Ist denn von ihnen nie eine
Einwirkung auf den Geist der Gesellschaft, auf das menschliche Leben zu
hoffen? und welche kann dies sein, wenn sie, anstatt selbst zu denken,
mit gedankenlosem Treiben immer nur ängstlich über das Gedachte
Buch und Register halten und sich höchstens mit dem Ruhm einer
neuen und lichtvollen Anordnung begnügen? Fürwahr, die heilige
Ehrfurcht vor solchem leeren Gedächtniskram, vor diesem echten deutschen
Popanz ist bei uns noch so groß und unbedingt, daß, wenn morgen
ein neuer Linné für die Sandkörner aufstünde, nicht
zu zweifeln ist, man würde ihm bald auf irgendeiner unserer zahlreichen
Universitäten ein Katheder einräumen. Was helfen uns doch die
Namen von unzähligen Pflanzen, Menschen und Tieren, die wir auf diese
Weise in das Gedächtnis propfen, bloß, damit sie da sind? Es
ist ein schönes Ding um Schaumünzen, aber was soll man von dem
sagen, der seinen letzten Notpfennig hingibt, um sich welche dafür
einzukaufen? Dieser Notpfennig im Leben ist das Nachdenken, diese Schaumünzen
sind die Gelehrsamkeit. Nicht oft genug kann man es daher wiederholen,
um einem unnützen Prunk in Dingen dieser Art Einhalt zu tun, daß
überall nicht die Erscheinung, sondern die Idee, das heißt das,
was die Natur bei einem Dinge gedacht hat, unsrer Aufmerksamkeit wert
ist. Dadurch unterscheiden sich ja eben Menschen von unvernünftigen
Tieren. Nach diesen vorläufigen Betrachtungen wird es dem Leser vielleicht
interessant sein, etwas über die Art zu hören, wie Lichtenberg
selber studierte. Soviel wie möglich las er mit der Feder in der Hand,
konstruierte das Buch mit dem Verfasser aufs neue, wobei sich ihm, wie
er sagt, immer eine gleichlaufende Reihe Ideen entwickelte und er der schlimmsten
Wirkung eines Buches, die in Vernichtung der eignen Selbsttätigkeit
besteht, aus dem Wege ging. Nulla dies sine linea war im eigentlichen
Verstande sein Wahlspruch. Das leicht zerstreute Nachdenken wußte
er am Schreibtische unaufhörlich festzuhalten. Alles, was ihm daher
Merkwürdiges begegnete, schrieb er erst in ein großes Buch,
was er mit der Benennung der Kaufleute, waft book, bezeichnete,
von wo er es, mit eignen Reflexionen vermischt, wieder, in seinem sogenannten
Ledger at double extrance, ins Kürzere zog. Von der Nützlichkeit
dieses Verfahrens ist er so unbedingt überzeugt, daß er es noch
kurz vor seinem Tode auf das dringenste anempfiehlt und es zugleich als
von sich zu spät ergriffen bedauert. In der Tat ist die Kunst, Folianten
und Quartanten, durch Aufwendung weniger Federstriche, in dünne Oktavbände
zu verwandeln, vielleicht die größte Aufgabe der Erziehung.
Die Geständnisse der ersten Köpfe der Nation, wollten diese sie
vor dem Publikum so offenherzig wie Lichtenberg ablegen, könnten leicht
dieser Methode, vor allen übrigen des Nachdenkens, den Vorzug verschaffen.
Das Lesen ist und bleibt eine viel zu passive Beschäftigung, der Geist
wird zu wenig dabei angeregt, vollends das Vorlesen, oder vielmehr übliche
Herstottern vom Blatt, taugt gar nicht.
Ein lebendiger, mündlicher Vortrag ist
freilich etwas anders, aber wie selten ist dies Talent! In den mehresten
Fällen ist es gleich, ob man ein Buch oder einen Lehrer aufs Katheder
stellt, in den meisten oft noch schlimmer: daher muß man bei Ermanglung
dieses Vorteils die Bücher zwingen, daß sie uns die Stelle eines
lebendigen mündlichen Vortrags vertreten, und dies kann man nur dadurch
bewirken, daß man häufig aus ihnen übersetzt, abschreibt
usw. und dann das Übersetzte und Geschriebene mit seinen eignen Ideen
in Konflikt bringt. Hier kommt es nun freilich auf die größte
Auswahl in der Lektüre an und daß man sich nicht sowohl die
Gedanken eines Verfassers als die Maxime in der Behandlungsart zu eigen
macht. Auch hierüber sind schöne, beherzigungswerte Winke im
Lichtenberg, die dazu dienen können, alle diejenigen, welche noch
nicht von einer gänzlichen, geistlosen Untätigkeit ergrifffen
und in eine gelehrte Abgestorbenheit versunken sind, die Augen zu öffnen
und sie zum eignen Nachdenken zurückzubringen. Auf jeden Fall ist
es äußerst interessant, sich gleichsam in die innerste Werkstatt
eines so originellen Geistes eingeführt zu sehen und ein Zeuge von
der Entstehung seiner geheimsten Gedanken zu sein; die Herren Heraugeber
verdienen daher für ihre würdigen Bemühungen nicht nur die
Erkenntlichkeit, sondern auch die wärmste Unterstützung des Publikums.
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