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Die dunkle Wahrheit, Freund, die dein beredter Mund
Mich ahnden ließ, seh' ich nun ganz erläutert!
Ich war nur krank im Traum; und fröhlich und gesund
Bin ich erwacht, und sehe rund
Um mich umher die Welt mit Opernglanz erheitert,
Die ehmals lichterarm, gleich einem Puppenspiel
Mir widerlich in's Auge fiel.
In meinem Büchersaal verriegelt,
Sah ich schwermüthig und erschlafft,
Die Welten über mir mit Kraft
Und Thätigkeit und Muth beflügelt
Sah unter mir die Würmchen aufgewiegelt
Zu einer kleinen Wanderschaft:
Ich gaffte mit gefärbter Brille
Das Spiel der Schöpfung an; mein Wille
War ohne Herrn Kaum regte sich
Nur noch ein dumpf Gefühl von meiner morschen Hülle,
Mit welchem schwer belastet, ich
In's traurige Gebiet der ernsten Todesstille
Aus dem Parterr hinüber schlich.
Doch da erschienst Du, Freund, mit tröstender Geberde,
Und widersetztest Dich der stolzen Uebermacht
Des Hypochonders sprachst ,,Es werde!"
Und es ward hell in meiner Nacht
Wie sorgsam hast Du nicht mein fast verloschnes Tacht
Auf diesem großen Opferheerde
Zu neuen Flammen angefacht!
Des Unmuths Nebel ist verflogen,
Der Essig meines Bluts versüßt,
Seit ich den Lerchen nachgezogen,
Und mich der freundlichste von allen Himmelsbogen
In Languedoc's Gefilde schließt.
Am Quell des Lichts erwärmt, dünk' ich mich hier dem Auge
Der Vorsicht mehr genaht zu seyn,
Und fühle mich entzückt, und sauge
Den Aether der Verklärten ein.
Auf Blumen führen mich versuchte Zeitbetrüger
Von einer kleinen Lust zu einer größern hin.
Mich kümmert's nicht, ob ich seit gestern klüger
Genug für mich, wenn ich vergnügter bin!
Kein Scrupel steigt mir auf Ich stehle
Mich heimlich aus dem Kreis der Börhav' und der Bayle
Und ihrem Criminalverhör,
Und achte nun des Körpers und der Seele
Berühmte Charlatans nicht mehr.
Wer sagt es mir, was doch im Schalle
Des Posthorns in dem muth'gen Knalle
Der Peitsche, für ein Zauber liegt?
Hoch steigt mir jetzt die Welt, gleich einem Federballe,
Der im Zenit der Kinderjahre fliegt,
Und alles lacht mich an, und froh denk ich mir alle
Mitlebende gleich mir vergnügt.
So wird der Wein, der ewig zu Madere
Gemeiner Wein geblieben wäre,
Zu dreymal besserm umgestimmt,
Wenn er als Fracht, von einer Hemisphäre
Zur andern auf und nieder schwimmt.
***
Ich kann mir nicht helfen so demüthigend
auch das Geständniß für den Stolz des innern Menschen seyn
mag so schwer es auch über die Lippen eines ausgemachten Philosophen
gehen würde, dennoch sage ich es zur Ehre der Wahrheit und unverholen,
daß ich nur dem Rütteln und Schütteln einer armseligen
Postchaise den wieder erlangten freyen Gebrauch meiner Seelenkräfte
verdanke. Mit Hülfe eines Meilenmessers könnte ich genau die
Entfernung, könnte genau auf der Postcharte jeden Punct angeben, auf
dem ich diese und jene gute Eigenschaft wieder fand, die mir, Gott weiß
wie! nach und nach von der Hand gekommen war. Ich mußte sie freylich
ziemlich einzeln zusammen lesen, und es verging manche liebe Stunde, ehe
ich meinen Verlust ersetzt sah mußte mich drehen und wenden und
manche Lage versuchen, bevor ich in meine natürliche kam.
Ich verschloß meinen Wagen, wie die Zelle
eines Karthäusers, als ich mich aus dem für mich so geräuschvollen
Berlin rettete, und glaubte der Welt einen rechten Possen zu thun, daß
ich meine Stor's herabließ. Aber die Welt ging ihren Gang, und mir
hingegen trat mit jeder Station bis Leipzig, das Unbehagliche meines abgezogenen
Lebens, immer näher an's Herz. Johann besorgte von außen alles
was nöthig war, seinen elenden Herrn weiter zu bringen, und er wäre
mit diesem unruhigen Geschäft mir auch nur lästig an meiner Seite
gewesen, so ein ehrlicher Kerl er auch seyn mag. Schon die heitere Miene,
mit der er bald die Wolken, bald die Schafe, die uns begeneten, anlächelte,
schickte sich gar nicht in die Nachbarschaft meines Ernstes. Ich mußte
einen Begleiter haben, der mir ähnelte, und ich hatte das Glück,
im blauen Engel einen auszufinden, der meinen Eigensinn, meinen
Haß gegen Scherze und Liebkosungen, mein Stillschweigen, meine gerunzelte
Stirne, ja sogar mein Asthma vollkommen in sich vereinigte. Es wird Dir
gewiß lieb zu hören seyn, daß dießmal von keinem
menschlichen Geschöpfe, sondern nur von einem Mopse die Rede ist,
den ich für einige Thaler erhandelte. Das arme Thier ward in meine
Reise verflochten, ohne zu wissen wie ihm geschah, und fand sich geschwind
genug darein, denn wir hätten zusammen um die Welt reisen können,
ohne daß einer dem andern in stärkerm Grade lästig geworden
wäre, als es gerade zur Uebung unserer gemeinschaftlichen Laune nöthig
war. Jetzt ist mir freylich der gute Mops nicht mehr so unentbehrlich:
denn ein frohes menschliches Auge weiß auch an untergeordneten Geschöpfen
ihre hellen Farben und den Instinct ihrer Freude zu schätzen, und
giebt gewiß einem muthigen Windspiele den Vorzug vor einem schnarchenden
Mopse. Für meine Erinnerung indeß behält er noch immer
seinen Werth. Wie gern lächle ich manchmal in dem Gefühl meines
Wohlbehagens dieß treue Ebenbild meines vorigen Mißmuths an!
und schlage oft, wenn ich bey seinem Lager vorüber gehe, dankbar meine
Augen zum Himmel auf! Ursache genug daß ich ihn bebehalte, um auch
Gesellschafter meiner Rückreise zu seyn!
***
Wer ist denn der blühende Mann, der da
vor mir in das Zimmer tritt? fragte ich in Frankfurt den Wirth zum Römischen
Kaiser, indem ich von seinen Leuten so behutsam, wie zerbrechliche
Waare, ausgeladen ward fragte mit so matter hohlklingender Stimme, daß
er für dringender hielt meinem Tone als meiner Neugier zu antworten.
Ich will dafür sorgen, daß Sie neben ihm zu sitzen kommen, sagte
er, es ist einer unserer geschicktesten Aerzte.
In diesem kleinen Zufalle lag es, daß
ich dem Berufe seit acht Tagen zum erstenmale Gehör gab, in Gesellschaft
von Menschen, menschlich zu essen, denn bis jetzt war das Pulver des Grafen
von Pilo, dieses herrliche Gegenmittel wider die Wechselfieber und die
böse Luft noch immer mein Frühstück geblieben. Mit dem Schlage
der zehnten Morgenstunde und hätte sie mich an dem steilsten Abhange
eines Berges getroffen ließ ich halten, um mit der Jungfer Steffens
dem Steine um eilf Uhr mit dem Freyherrn von Hirschen der Schwindsucht,
und zu Mittage mit dem berühmten d'Ailhaud der Gicht entgegen zu arbeiten,
damit ich am Abend jeden Tages der Kraftbrühe des D. Kämpf desto
würdiger seyn möchte.
So regelmäßig hatte ich gelebt,
um meine leibliche Gestalt, die sich zu Berlin schon durch ihr Ansehn überall
Platz machte, unverändert nach Frankfurt zu bringen. Den Gästen,
sobald ich in den Speisesaal trat, blieb der Bissen im Munde stecken. Sie
rückten erschrocken zusammen, und ließen mir und dem Arzte,
an den ich mich anklammerte, eine ganze Seite des Tisches frey. Ich hingegen,
da ich um mich her blickte, las in jedem Auge, welchen lächerlichen
Contrast die Blässe meines Gesichts mit dem Schimmer des seinigen
darstellen mußte. Ich weiß nicht warum? aber länger
konnte ich nun seine auszeichnende Röthe nicht ohne Verdruß
ansehen, und ich war drauf und dran, in meinen alten Irrthum zu verfallen,
sie auch an Ihm für die Leibfarbe der Ignoranz zu halten. Aber ein
gewisses Vergnügen, das ich an der ganzen Gesellschaft bemerkte, unter
seinen Augen zu essen, sprach so laut zu seinem Vortheile, und hielt mich
so lange von jedem gewagten Urtheile über ihn zurück, bis er
ach! nur zu geschwind, sein eigner Verräther ward. Gewiß bin
ich oft unwissendern Aerzten, als Er war, in die Hände gefallen, aber
einen größern Egoisten der Unmäßigkeit traf ich nie
in ihrer Zunft. Alle Sinne dieses Schmeckers waren in das thierische Geschäft
seiner Sättigung verwickelt Seine Löwenaugen flogen von einer
Schüssel zur andern, und störten von ferne schon nach der Beute,
die er mit geübten Händen den weniger aufmerksamen Gästen
abzugewinnen wußte. Seine Kunst, so groß sie auch seyn mochte,
schien er mit seinem Hut an den Nagel gehenkt zu haben, die Medicin nur
für eine Dienerin der Kochkunst, und den Ruf eines Fabius Gurges höher
zu halten, als den eines Galen's. Zur Mittagsstunde ist so ein Arzt das
unbrauchbarste Geschöpf unter der Sonne. Auch mag es ihm Gott vergeben,
was er an mir gethan hat! Ich saß kleinmütig neben ihm, und
lauerte lange umsonst auf ein freywilliges Almosen seiner Aufmerksamkeit,
das ich mir endlich bey dem ersten müßigen Augenblicke seiner
Zunge zu erbetteln beschloß.
Nach langem Harren erschien dieser günstige
Zeitpunct. Die erste Tracht Speisen ward abgehoben; und sogleich setzte
ich mich, während der kurzen Pause, da die zweyte in Ordnung gestellt
ward, in Positur, den bessern Theil des Schlemmers in mein Interesse zu
ziehen. Vergebliche Hoffnung! denn wie ich eben den Mund öffnete,
um ihm die Menge meiner Uebel zur Schau zu legen, trug man als Hauptschüssel
eine fette Gans auf, die der ganzen Gesellschaft Bewunderung und die entferntesten
Gedanken des Doctors auf sich zog. Die Zerlegung des Vogels gab mir jetzt
nur noch einen kurzen Zeitraum frey. Ich faßte Herz, ergriff freundschaftlich
die Hand meines Nachbars, und glaubte durch die feine Wendung, die ich
meinem Vortrage gab, mich seiner wenigstens so lange zu versichern, bis
der Vorschneider fertig seyn würde. ,,Der Zufall," hob ich mit ungewisser
Stimme an, ,,hat einen gefährlichen Kranken an die Seite eines berühmten
Arztes gebracht Vermuthlich kennen Sie, mein Herr, des Madai Tractat
de
morbis occultis? - dort ist meine Krankheit auf der siebenten
Seite nach dem Leben geschildert = = Aber warum sehen Sie mich so bedeutend
an? Ich beschwöre Sie, theuerster Mann, gestehen Sie es nur aufrichtig,
daß Sie ganz an meiner Genesung verzweifeln? Sollte denn aber nicht
durch eine noch strengere Diät, als ich schon halte, die materia
pec = = ="
Aber Himmel, welch ein unerwartetes Schrecken
unterbrach hier meine herzbrechende Periode, und vergällte mir das
Wort im Munde! Der grausame Arzt hatte mir bis dahin mit sichtbarem Erstaunen
zugehört. Jetzt schob er, wie von Abscheu gegen meine Krankheit ergriffen,
seinen Stuhl plötzlich zurück, wünschte mir, lakonisch wie
der Unverstand, eine glückliche Reise, langte seinen Hut und = = =
solltest Du es glauben? ließ die anlockende Gans im Stiche, indem
er, wie der Geist Hamlets, verschwand. Welch ein betäubender Schlag!
Ich glaubte von beyden Seiten meines nun ganz isolirten Stuhls in einen
Abgrund zu blicken, und der schnelle Aufbruch des Arztes und sein ominöses:
,,Reisen Sie glücklich!" statt der entscheidenden Antwort,
um die ich ihn anflehte, tönte mir nun in den Ohren, wie eine Abfertigung
in die andere Welt.
***
Wie, wenn der Wetterstrahl in Girards Beichtstuhl bricht, *)
Der Heuchler aufgeschreckt, aus Selbsterhaltungspflicht
Schnell aus dem Dunstkreis sich der Busenfreundin stürzet,
Und Sie? Vermißt nun Sie das männliche Gewicht
Des Segenspendenden, der ihre Seele würzet,
Staunt weint schlägt an die Brust, und ihr Entsetzen spricht
Mit hohlem Ton: Ich bin verkürzet!
So fuhr auch mir, Vergleichung, Freund, giebt Licht,
Des stummen Doktors Eil' und seines Gaums Verzicht
Auf eine fette Gans, elektrisch durch die Nerven.
Ich sah im Geiste schon, (denn klüger wußt' ich nicht
Das Wunder abzuthun) zu meinem Blutgericht
Ihn sein Skalpier und seine Feder schärfen,
Um, nach vollbrachter That, mit ernstem Amtsgesicht
Mir seinen Sektionsbericht
Zur Antwort hinten nach zu werfen.
Aus diesem Schreckenstraum ein wenig aufgerafft,
Sucht' ich nach mir, und fand, an Leib' und Seel' erschlafft,
Mein Selbst weit aus dem Kreis der Fröhlichen verschoben,
Als wäre zwischen mir und jeder Lebenskraft
Schon alle Freundschaft aufgehoben.
____________________
*) Mamsell Cadiere, ein schönes und so unschuldiges
Mädchen, daß sie lange Zeit den schändlichen Mißbrauch,
den Pater Girard mit ihr im Beichtstuhle trieb, für Absolution hielt.
Die Geschichte machte unter Ludwig dem Funfzehnten, so großes Aufsehen,
daß sie zu vielen Schriften Anlaß gab.
____________________
***
Diese traurige Gestalt meiner selbst, die ich
immer in einem Spiegel vor mir sah, jagte mich vom Tische auf, und sträubte
mir das Haar noch, als ich athemlos mein Zimmer erreicht hatte. Zum Ueberfluß
setzte die lang entwohnte Hitze eines beizenden Rheinweins, von dem ich
leider! ein Glas getrunken hatte, meine Einbildungskraft in Feuer und Flammen.
In jedem Pulsschlage glaubte ich die Tritte des herannahenden Todes zu
hören, glaubte zu fühlen, wie sich schon ein Faden um den andern
aus dem künstlichen Gebinde ablösete, an den hienieden meine
Marionettenrolle geknüpft ist verfiel darüber in den metaphysischen
Unsinn den unbrauchbarsten von allen meinem eigenen Selbst bis
auf die feine Endspitze nachzuschleichen, wo es sich für seine zwo
Welten theilen würde als etwas glücklicher Weise dazwischen
trat, das mich nöthigte, mein großes Experiment zu verschieben
ein Dunst, der mehr werth ist, als die hellste Betrachtung, und in dessen
N-bel ich immer Weisheit, Lebenskraft und Menschenwürde wieder fand,
die ich oft in den aufgeklärtesten Versammlungen verlor: aber gütiger
hatte er seit den Jahren meiner Kindheit nicht auf meinen Augenliedern
geruht als diesmal, und der Gedanke: Habe Muth zu leben, eile in die Arme
der Natur zurück," herrschte durch mein ganzes Wesen, als ich mit
der Morgenröthe erwachte.
***
Wie viele Schleifwege zu dem menschlichen Herzen
stehn nicht dem Unmuthe offen! Er springt über Dämme und Hecken,
und wirft alle Bollwerke über den Haufen; da hingegen die Freude mit
ihrem bescheidenen Gefolge auf der gebahntesten Straße und überall
anstößt, durch jedes Wer da? erschreckt, und, ach wie
oft! schon durch einen Schatten verscheucht wird. Die frohen Empfindungen,
die vergangene Nacht bey mir einkehrten, verweilten kaum noch die Stunde
des Frühstücks über, und ehe ich mich versah, waren sie
schon über alle Berge. Mit so seltenen Gästen, die einen noch
darzu unvermuthet überraschen, weiß man sich immer nicht recht
zu benehmen. Ich erschrack, als ich mein Nest wieder so leer fand; die
Alltagswirthschaft nahm ihren alten Gang, und ich weiß Dir nichts
weiter zu sagen, als daß wohl noch nie so runzlichte Gesichter durch
die Bergstraße gefahren sind, als ich und mein Mops diesen
Abend mit nach Heidelberg brachten.
Laß Dir, wenn Du willst, die anmuthige
Lage dieser Stadt von andern Reisenden vormalen. Ich hatte keinen Sinn
für ihre Reise, und in dem Wirthshause, das mich aufnahm, ging es
mir, wie es der Freude bey mir ging. Der Hausherr gefiel mir nicht seine
Zimmer waren staubicht sein Bett war mir zu hart, und seine Sprache beleidigte
meine Ohren. Ich träumte die ganze Nacht durch nur von dem glücklichen
Morgen, wo ich diesen Ort verlassen würde; und diese Erwartung war
bis zur Fieberbewegung gestiegen, als dieser Morgen erschien.
Wie viel oder wenig ich damit gewann, und ob
es ein Kunstwort giebt, das alle die widrigen Gefühle ausdrückt,
die mich nach Bruchsal begleiten, mag ich jetzt nicht untersuchen.
Genug, damals glaubte ich es aus dem Munde eines Arztes zu hören,
der nicht weit von der Post, über den Kreis vieler Hülfsbedürftigen
hervorragte, denen er seine Wissenschaft und Erfahrung in gemeinnütziger
Beredsamkeit Preis gab. Ich glaubte der Ueberzeugung, die er mir einflößte,
daß die Krankheit, gegen die er eben sympathetische Tropfen feil
bot, nach allen Theilen ihrer fürchterlichen Beschreibung, die meinige
sey; und nun drängte ich mich durch meine Mitbrüder hindurch,
pflanzte mich gerade vor seinen Thron, und sperrte, wie andere, das Maul
auf. Das war auch ein ganz anderer Mann, als der Hausarzt des Römischen
Kaisers, der mir gestern ein so mächtiges Schrecken einjagte.
***
Ein Zepter in der Hand, um das zwo Schlangen krochen,
Saß dieser Ehrenmann auf einem Thron von Knochen,
Wie das Symbol der Medicin.
Ich, hub er an, (was er zuvor gesprochen,
Erfuhr ich leider! nicht) ich komme von Berlin.
Den Zahn, den Ihr hier seht, hab´ ich vor wenig Wochen
Friedrich dem Einzigen hab´ ich ihn ausgebrochen,
Und gnadenvoll schenkt´ Er mir ihn.
Bey Groß und Klein Gott sey´s gedankt! gelitten,
Hätt´ ich nur Hände g´nug, sucht man mich überall.
Seht, zum Beweis, wohin ein Mann von Sitten
Nicht dringen kann, hier das Original
Der Hornkluft, die ich einst in dem Escurial
Der schönen Jo Carls des Dritten, *)
(Sobald ich mich durch die gedrängte Zahl
Der Neider meines Glücks gestritten)
In drey Minuten ausgeschnitten.
Den Tag nach dieser Cur erhielt ich das Diplom,
Das Ihr hier glänzen seht, als Leibarzt und als Ritter,
Und so bewährte sich mein altes Axiom:
Oft schwellt die Pfütze selbst zum Strom
In einem nächtlichen Gewitter:
Nicht immer geht die Kunst nach Brod.
Doch, daß wir nicht einander mißverstehen,
So hört: Ich bin mit Panaceen
Der neusten Art, mit Mitteln, seinem Tod,
So Gott will, aus dem Weg zu gehen
Sagt nur, was ihr bedürft ich bin damit versehen.
Doch kaufet in der Zeit, so habt ihr´s in der Noth
Kauft! denn das nächste Morgenroth
Sieht mein Panier in Straßburg wehen,
Wohin mich mein Patron, der Cardinal, entbot.
____________________
*) S. des Königs von Preußen Gedicht, Codicille,
in den Oeuvres posthumes
de Frederic II, Tom. 8. pag. 125.
Cet autre est occupé d´une genisse blanche
En lui pressant le sein.
____________________
***
Spottet nicht, Ihr glücklichen Gesunden, über einen ehrlichen
Semler, der in der Beängstigung seines Zwergfells, die er sich in
den vielen Büchern erschrieben hat, die jetzt eure Bequemlichkeit
nutztet, spottet nicht über ihn, wenn er nach den Lufttropfen lechzet,
die ihm eine vornehme Hand vorhält; lacht nicht über die armen
Bedrängten, die einen Meßmer reich machen, und vergebt
es auch meinem Scharfsinne, der unter der Husarenmaske dieses Arztes einen
Gesandten Gottes entdeckte, der mir in meinen angstvollen Augenblicken
zu Hülfe kam, mit für zwey armselige Goldstücke eine Flasche
seiner unbezahlbaren Tinctur verhandelte, und seine Adressen obendrein
gab. Mit welchem Vertrauen verschluckte ich den ersten Löffel davon,
den er mir aus herablassender Güte mit eigenen Händen eintropfte!
Sie werden in einen ruhigen Schlaf fallen," sagte der liebe Mann: lassen
Sie aber ja Ihren Bedienten Acht haben, daß Sie nichts in der Wirkung
meines Hilfsmittels störe."
Jener große König von Frankreich sein Name fällt mir
nicht bey dem sein Beichtvater, vor Notarius und Zeugen und mit Verpfändung
seiner eigenen Seligkeit, schriftlich versprechen mußte, ihm durch
seine Tausendkünste in den Schoos Abrahams zu verhelfen, konnte nicht
mit so viel Zuversicht aus der Welt gehen, als ich nach dem Genusse der
sympathetischen Tropfen, meinen Weg fortsetzte. Und sieh, es geschah mir,
was der große Mann verhieß! Ich verfiel zur bestimmten Zeit
in einen wahren Zauberschlaf. Für ein doppeltes Trinkgeld hatte mir
der Postillon angelobt, weder sein Horn noch seine Peitsche zu brauchen.
Die Pferde schienen so ganz die glückliche Ruhe zu fühlen, die
ihnen heute, wahrscheinlich zum erstenmale, zu Theil ward krochen wie
die Schnecken über den Sand und ich und mein Mops schnarchten um
die Wette.
Wie soll ich dir aber jetz meinen Verdruß
beschreiben, als ich nach einem vierstündigen Schlummer, so ganz wider
das Verbot meines Arztes, von einem ungestümen Reisenden aufgeschreckt
wurde, der mit seiner Chaise gerade vor der meinigen hielt, und auch meinem
Führer zu halten befahl. Darf ich fragen, mein Herr," schlug mir
seine Stimme an die Ohren, wohin Ihre Route geht?" Ich fuhr zitternd in
die Höhe, rieb mir die Augen und stotterte, wie ein Schleichhändler
vor einer preußischen Schildwache, Nach der Provence, mein Herr."
Aber für jetzt?" unterbrach er mich doch wohl nach Carlsruh?"
Ich bejahte es mit einem verdrüßlichen Kopfnicken, da mir
der Aufruhr gar nicht gefiel, den seine Zudringlichkeit verursachte.
So haben Sie wohl die Güte," fuhr er fort, da Sie einen Sitz frey
haben = = = " Zum erstenmale sprang hier mein geduckter Reisegefährte
auf, und bellte auf ihn zu, als ob er ihn verstanden hätte ein
armes ermüdetes Mädchen" (indem stieg so etwas aus dem Wagen)
bis dahin zu ihrer Mutter mitzunehmen. Denken Sie nur, mein Herr, das
arme Kind hatte sich diese Nacht im Walde verirrt. Ich war glücklich
genug, auf sie zu treffen und sie zu retten doch erlauben mir meine Geschäfte
keinen weiteren Umweg."
Eine solche Zumuthung an einen eigensinnigen
Kranken, der noch dazu in seinem theuer bezahlten Schlafe gestört
wird, konnte unmöglich ihr Glück machen. Ueberdieß glaubte
ich, so schlaftrunken ich war, aus der Lage ihres seidenen Mantels zu bemerken,
daß sie wohl länger als vergangene Nacht ihrer Mutter aus dem
Gesichte gekommen seyn müsse. Sie schlug ganz artig beschämt
ihre Augen vor den peinlichen Fragen der meinigen nieder, und lauerte in
ängstlicher Erwartung auf meinen Entschluß. Wie viel traf nicht
zusammen, mein Herz gegen die arme Verirrte zu verschließen! Ich
räusperte mich, und als ich meiner Stimme gewiß war, sagte ich
ihr mit deutlichen Worten: Aus diesem Vorschlage, mein liebes Kind, wird
nichts!
Bist du, von deiner Mutter fern,
In jenen Stunden nicht verschmachtet,
Die du mit einem jungen Herrn
In einem Walde übernachtet;
So werde dir, im Uebergang
Zur Mutter, auch die Zeit nicht lang!
Geh, geh, der Himmel wird dir helfen,
Kraft deines freundlichen Gesichts:
Und wär´ der Weg gestopft von Wölfen,
So frommen Kindern thun sie nichts!"
***
Ich legte auf die letzten Worte einen solchen
Nachdruck, und begleitete sie mit einem so bedeutenden Blicke, daß
sie mir sogleich aus dem Wege trat. Der Fremde selbst erwiderte keine Sylbe
auf meine abschlägliche Antwort, setzte sich, ohne sich weiter um
seine Pflegetochter zu bekümmern, in seinem Wagen zurechte, zog seinen
Hut gegen mich und rollte davon. Toll und böse über eine so
ungelegene Erscheinung, und voller Angst über die möglichen schlimmen
Folgen meines Erwachens, hob ich nun den Befehl auf, der meinem Führer
bis jetzt die Hände band. Sein Horn schmetterte nun desto volltönender
seine Peitsche wütete jetzt nach langer Unthätigkeit desto
heftiger, das geträumte Glück der armen Pferde war verschwunden,
und ich gewann dadurch so viel, daß ich mein grämliches Gesicht
wenigstens eine Stunde früher nach Carlsruh brachte, als vermuthlich
die freundliche Schöne das ihrige.
***
Sie werden doch wohl nur diese Nacht hier bleiben? sagte mir der Wirth
zum Erbprinzen, als ich ausstieg. Gewaltig neugierig! dachte ich, ohne
ihm zu antworten. Er wies mir ein Zimmer an, und versuchte es noch einmal,
mich zur Sprache zu bringen. Nach Hof, denke ich, werden Sie wohl nicht
gehen, so wenig als = = =" Und woher vermuthen Sie das, Herr Wirth?" fuhr
ich auf, als hätte er mir eine Grobheit gesagt. Der Mann erschrak.
Ich schließe es," stotterte er, = = = doch bitte ich um Verzeihung,
aus Ihrer Physiognomie." Zum Henker!" fluchte ich, stampfte mit dem
Fuße, und schleuderte meine Pelzmütze auf den Tisch: Ist
diese Alfanzerey auch schon bis in die kleinen Gasthöfe gedrungen?"
Der ehrliche Wirth, ganz betroffen über
meine Lebhaftigkeit, erröthete bis über die Ohren, suchte einen
noch sanfteren Ton seiner Stimme, indeß er die Vorhänge an den
Fenstern aufzog, und da er ihn gefunden hatte, kehrte er sich wieder freundlich
zu mir: Vergeben Sie mir meine Voreiligkeit; aber, mein werthester Herr!
Sie wissen vielleicht nicht, daß sich unser Hof vor allen andern
durch seine zufriedenen Gesichter auszeichnet. Nun kann ich mich zwar
irren; doch war es mir, als trügen Sie so etwas auf Ihrer Stirne,
das unser Eins Verdruß zu nennen pflegt und da dachte ich wieder:
Das Gesicht dieses Herrn paßt schwerlich zu unserm Hofe, so wenig
als unser Hof zu seinem Gesichte; hatte also keine andere Absicht bey meiner
Frage, als mich darauf zu schicken, Sie in meinem Hause gehörig zu
= = ="
Gut, gut," fiel ich ihm in die Rede wenn
es nur ein Uebergang zu dem Lobe Ihres Fürsten war, so habe ich nichts
darwider. Auch ich schätze ihn wegen seiner wohlthätigen Neigungen,
und vergebe Ihnen, der guten Absicht wegen, die Kritik über mein Gesicht.
Ein Kranker, wie ich, drängt sich freylich nicht in die Zimmer und
Vorzimmer der Fürsten; das ist nur die Schwachheit der Gesunden, die
etwas vertragen können. Vor der Hand habe ich nichts nöthig,
was an die Großen erinnern kann, als einen Bouillon à
la Reine, und ein gutes Bette."
Beydes sollen Sie auf der Stelle haben" sagte
der ehrliche Mann, und hielt Wort.
Solltest du einmal nach Carlsruh kommen, so
empfehle ich dir sein Wirthshaus. Es war wirklich keine Prahlerey, daß
er seine Gäste studierte; er richtete sich genau nach allen kleinen
Begehrlichkeiten meines Eigensinns. Ich hatte eine recht leidliche Nacht
unter seinem Dache, und den andern Morgen waren die Pferde pünctlich
vor meinen Wagen gespannt.
***
Ohnerachtet der späten Jahreszeit schenkte
mir der Himmel auch einen hellen Tag; was mich aber mehr noch aufheiterte,
als dieser, es war ein wohlgebautes freundliches Land, das ich durchreiste.
Meine kranken Augen schienen erfrischt zu werden, so oft ich einen Blick
aus dem Wagen warf, und überzeugten mich, daß der Regent dieses
Fürstenthums ein rechtschaffener Mann seyn müsse: denn nur unter
einem solchen sieht man die Natur so aufgeräumt, Dörfer und Städte
so volkreich und lachend, die Jugend so rothwangig, und das Alter so muthig.
Der Einfluß eines würdigen Landesherrn auf die sittliche Verbesserung
seiner Unterthanen ist hier so sichtbar als rührend. Wider einen
solchen Regenten kann ein Wohldenkender nichts einwenden, wenn er auch
noch so krank wie Heraklit und eben so fürstenscheu wäre, wie
er.
***
Ich gönn´ ihm seinen Hang für freundliche Gesichter,
Da er so ernst für seine Staaten sorgt;
Ob er schon seinen Ernst nicht von dem Höllenrichter,
Noch Fürstenstolz vor seinem Nachbar borgt.
Nein! freundlich herrschet er in seinem Wirkungskreise
Als Vater eines Volks, das seinen Wink versteht,
Und gern, von Ihm geführt, von Fröhlichkeit zum Fleiße
Gestärkter Tugend übergeht.
Ein himmlisch Bild von seinem Fürstenruhme
Verpflanzte die Natur aus ihrem Heiligthume
Mit seiner Schmeicheley zuerst auf sein Gebieth:
Der volle Kelch der Anemone sprüht
Die Funken ihres Geist´s auf manche Wiesenblume,
Die nun veredelt wird, und ein Geschlecht erzieht,
Das mit dem Glanz der Anemone blüht.
***
So kettete sich an den Gedanken seines wohl
verdienten Lobes die Erinnerung an den merkwürdigen Mann in seinen
Diensten, den großen Botanisten Köhlreuter, der, wie
sein Fürst im moralischen Sinne, das Geheimniß der Natur in
dem physischen entdeckt hat, geringe Arten von Blumen durch den Abstaub
einer edeln zu verbessern, und, wie es ihm so oft gelingt, eine Karthäuser
= in eine Purpurnelke zu verwandeln.
***
Kein Deutscher kann wohl aus dem baadenschen
in das französische Gebiet treten, ohne eine gewisse Achtung für
sein Vaterland mit hinüber zu nehmen, ob er gleich klug handeln wird,
wenn er diese frohe Empfindung nicht weniger zu verbergen sucht, als jede
andere contrebande Waare, deren er sich etwan bewußt ist. Ich schärfte
mir diese Vorsicht ein, sobald mir auf der letzten Poststation zu Kehl
vier Rappen vorgespannt wurden, aus denen dieselbe Empfindung zu wiehern
schien.
Dieser kleine Ort steht diesseits und jenseits
des Rheins in einem etwas zweideutigen Rufe, der ihm übrigens gleich
einer hübschen Dirne, ohne daß die Liebhaber sich durch ihr
bescheidenes unschuldiges Gesicht irre machen lassen, vortrefflich zu seinem
Gewerbe dient.
***
An diesem Gränzort zweyer Reiche lauschet
Der Contreband, und wälzt den wuchernden Gewinn
Verbotnen Tand´s, den es von Einem tauschet,
Für gleichen Tand dem Andern hin.
Auch siedelte sich jüngst in diesem Freyheitshafen
Ein zweyter Caron an *). Mit gleicher Sicherheit,
Als jener, der am Styx so lange her den braven
Piloten macht, führt sein, durch hundert Rudersklaven
Bemannter Kahn, den Proteus unsrer Zeit, **)
Wie eben der Gestalt, in dem er ihm sich beut,
Gebührt, hinüber jetzt in das Gebiet der Strafen,
Um auf den Mohn, den Freron ausgestreut,
Den Rausch der beyde hier entzweyt,
Am Lethe selbst, nicht zu verschlafen;
Hinüber jetzt in´s Thal, wo der Unsterblichkeit
Gesalbtes Priesterchor sich seiner Ankunft freut,
Und Lucian von hundert frommen Schafen
Ihm eine Hekatombe weiht.
Du kennst den Passagier! Des aufgeklärten
Spottes
Vertrautesten, der nimmer sich
Zu gleichen schien, und immer glich,
Wenn er mit dem Gesang des Gottes
Der Musen Höh´ und Thal durchstrich,
Die Geißel Rousseau´s und Nonottes,
Den großen Freund des größern Friederich.
Du kennst den Mächtigen, der des Tyrannen Riegel,
Der Unschuld Fesselband zerschlug,
Und den Geretteten auf eines Seraphs Flügel
Sanft in den Schoos des Mitleids trug;
Der oft die Quellen meines Kummers,
Eh´ es die Zeit noch that, besiegt,
Und, wie der Genius des Schlummers,
Oft meine Schmerzen eingewiegt;
Mit dem ich oft beym stillen Scheine
Der Lampe Nächte durchgewacht,
Und dessen Leben mir das meine
Erst wünschenswerth und froh gemacht.
Doch kennst du auch den wandelbaren,
Zweyzüngigen, entnervten Mann,
Deß freche Stirne den Gefahren
Der, am Vertrieb verfälschter Waaren
Gebundnen Strafe, kaum entrann;
Den, der mit der geweihten Leyer,
Die er zu Heinrichs Lob empfing,
Um niedern Lohn gemeiner Schreyer
Oft zu der frechen Mittagsfeyer
Namloser Sklaven überging;
Der nie zufriedener, nie weiser,
Die Blumen Anderer, mit heiser
Giftathmender Begier, verdarb;
Der selbst im Schutz der tausend Lorberreiser,
Die ihm sein Genius erwarb,
Nur nicht besucht von unserm Kaiser,
Am Spleen gekränkter Ehre starb?
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*) Caron de Beaumarchais, der hier, um Voltaire´s
Werke in Ruhe zu drucken, eine große Buchdruckerey angelegt.
**) Voltaire. Sein unversöhnlicher
Haß gegen Freron, der ihn in seiner Monatsschrift: l´année
litteraire und in mancherley fliegenden Blättern
angriff, ist aus seiner Schottländerin, wo er ihn unter dem
Namen Frelon aufgeführet, und aus unzähligen Epigrammen
bekannt.
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Der Gedanke, den ich an diesen großen Geist, den das mercantilische
Genie eines Beaumarchais, auf diesen Scheideweg von Deutschland und Frankreich,
gebannt hat, im Vorbeyfahren bey den weitläuftigen Werkstätten
mit mir nahm, die hier den Umtrieb seiner Schriften eben so mechanisch
befördern, als es ihr Inhalt auf eine geistige Art thut. Dieser
Gedanke war wirklich für die kürzeste unter allen Stationen zu
reichhaltig; denn man könnte sich mit dem Stoff den das Leben dieses
wundernswürdigen Sterblichen darbietet, auf einer Reise um die Welt
beschäftigen, ohne ihn zu erschöpfen. Mein Geist stand eben vor
ihm, um seine Größe zu messen, wie ein Zwerg vor einem Coloß,
als ich auf die unangenehmste Art genöthigt ward, dem Blicke meines
Erstaunens eine andere Richtung zu geben, um ihn mit Verachtung auf die
elendesten unter allen Geschäftsträgern des Königs zu werfen,
die an der Barriere von Straßburg meine Ankunft erwarteten. Der Postillon
schien so wenig an sie zu denken als ich; aber, ein aus den zehn Hälsen
dieser Lotterbuben gestoßenes Schimpfwort, das hinter ihm drein flog,
hemmte auf einmal den deutschen Trap, mit dem er eben bey ihnen vorbey
fahren wollte.
***
Schnell sprangen die Knechte
Der schimpflichen Rechte
Des Schlagbaums hervor;
Schelm!" schrie´n sie: Gehalten!"
Und Schelm" wiederschallten
Die Riegel am Thor.
Nun lauscht´ ich, der Dinge
Erwartend, im Ringe
Des Lumpengerichts.
Was soll ich von Ihren = = ="
Frug einer, plombieren"
Was geben Sie?" Nichts!
Nichts?" fuhr aus den Ecken
Des Wagens zum Schrecken
Der Nymphen am Rhein.
Nichts?" bellten die Glieder
Des Zollamtes wieder:
Schließt keinen Verein!"
Gott sah nun durchsuchen,
Betasten, befluchen
Mein armes Gepäck:
Nicht gieriger graben
Die Ratzen, die Raben
Nach duftendem Speck.
Doch da die Gesandten
Des Hungers nichts fanden,
Erhub sich ihr Scherz:
Herr! Zollfrey passieret
Der Spleen Er verlieret
In jedem Commerz."
So rechnen Verdammte,
Versetzt´ ich, und flammte
Und wünschte sie zum = = =
Und fuhr, zwar vom Zolle
Erlöst, doch im Grolle
Den Schlagbaum herum.
***
Freylich, freylich, lieber Freund! eine kleine
Bestechung hätte manches unter uns vermitteln können, wäre
nur meine Laune nicht zu verstimmt gewesen. Lieber ließ ich den Postknecht
über den langen Verzug fluchen, die Pferde toben, meine Wäsche
und Kleider unter einander werfen, mein Glauberisches Salz verzetteln,
und sogar meine Tinctur aus Bruchsal gegen den Tag halten, den sie doch
nichts weniger als vertragen konnte, ehe ich mich überwand, diesen
Bettlern, die mich so ungestüm in meiner Andacht gestört hatten,
ein Almosen zuzuwerfen.
Dafür fühlte ich aber auch meine
Galle über und über ergossen, als ich in dem Hotel anlangte,
das man mir zu Carlsruh empfahl. Mein Eigensinn (warum sollte ich das Kind
nicht bey seinem rechten Namen nennen?) hätte nach der billigsten
Moral einen tüchtigen Verweis verdient. Ich hatte aber dießmal
nicht nöthig, mir selbst diese Mühe zu geben die Belehrung,
die ich eben brauchte, war mir näher, als ich vermuthen konnte.
Mein Gott!" sagte ich mit Bitterkeit zu dem
Wirthe: das soll der beste Gasthof der Stadt seyn?" und schlenderte, als
er mich in mein Zimmer führte, mit solchem Groll und Mißtrauen
hinter ihm her, als stände der gute Mann mit meinem politischen Rechenmeister
am Thore in den engsten Verhältnissen. Das Zimmer war wenigstens um
zehn Theile geräumiger, als mein Wagenkasten, den ich eben verließ;
und doch erklärte ich dem Wirth ohne Umschweife, daß ich in
einem so engen Behälter nicht dauern könnte, daß ich meine
Suppe in dem größten Speisesaale essen wollte, der im Hause
sey, und ließ mich dahin führen.
Ich hoffte daselbst alleine zu seyn; denn der
Mittag, der nur Hungrige hier versammelt, und den ich leider ohne Hunger
so schändlich in der Gesellschaft der Zöllner verlebte, war nun
vorüber: aber ich fand noch zwey reisende Freunde, die vertraulich
in der Wölbung eines Fensters saßen, und sich durch meinen Eintritt,
in dem Fortgange ihres Gesprächs nicht stören ließen. Ich
wollte meine Suppe in Ruhe essen Aber wenn sich zwo Seelen neben dir
ergießen, läßt sich da wohl ein Bissen ruhig in den Mund
bringen? Sie zogen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich, und waren es gleich
nur Bruchstücke, die sie mir zu gute gaben, so waren sie doch mehr
als hinlänglich für mein gegenwärtiges Bedürfniß.
***
Der Zänker mit sich selbst, der zum Skelet sich denket,
Mein Traumbuch über sich befragt,
Unschlüssig was er wünscht, unwissend was ihn kränket,
Und ungewiß was ihm behagt
Der suche Menschen auf! In ihren Kreis verschlungen,
Hat oft ein fliegend Wort, das im Tumult der Zungen
Gleich einem Blitz vorüber fährt,
Des Herzens Labyrinth durchdrungen,
Und seine Tiefen aufgeklärt.
***
Wie bedauern mich," fuhr der eine fort, die
sechs Monate von meinem Leben, die ich an diesem Fürstenhofe in einer
Ehrenstelle verloren habe, wo keine Ehre zu ernten war! Die Seele eines
Jüngslings zu bewachen, in der nichts, weder ein= noch ausgeht, ist
das mißlichste Handwerk für einen denkenden Menschen eine
geistige Schildwache in dem leeren Raume. Wie habe ich alle meine Sehkraft
aufgeboten, um nur einen vorüber gehenden Schatten zu entdecken, der
mir das Daseyn irgend einer wirklichen Größe verrathen könnte!
Aber umsonst. Ich übernahm mein Gewehr von einem, der gähnend
davon schlich, ich übergab es gähnend einem Dritten und wir
alle verlassen den Posten, ohne Freund oder Feind gesehen zu haben. O!
des unglücklichen Jünglings! Zu schwer liegt die Stunde seiner
Erzeugung auf ihm! Keine Pflege kann das Samenkorn aufrichten, das einmal
unter dem tödtenden Einflusse widriger Witterung ausgestreut wurde;
und ein menschenfeindlicher Vater erzeugt sich gewiß eine taube Hülse
in seinem Sohne."
Seinem Freunde kam diese Schlußfolge
so dunkel und sonderbar vor, als mir. Er erbat sich eine nähere
Erläuterung seines abgebrochenen Satzes: und nun stellte der philosophische
Fremde das Gemälde eines milzsüchtigen Fürsten auf, das
nicht geschmeichelt war, mich auf eine ungewöhnliche Art erschütterte,
und in welchem Züge vorkamen = = = Doch du magst selbst urtheilen,
welche es waren, die mir Herzklopfen erregten, und mir das Blut in das
Gesicht trieben.
Wie kann der" fuhr der Maler fort,
Urheber eines markigen und in sich glücklichen Menschen eines Pitt
eines Washington, eines Haller, eines Friedrich werden, dessen Herz keine
von den Neigungen nährt, die den Saft des Lebens, den jeder seiner
Pulsschläge ausströmt, läutern und versüßen?
Ein so murrsinniger Mann, wie der Vater meins Zöglings, ist in der
moralischen Welt, was ein Gichtbrüchiger in der physischen ist für
das Wohl des Ganzen untauglich zur Fortpflanzung. Der eine betrügt
die Nachwelt mit lahmen Körpern, der andere mit Krüppeln an Geist.
Glaube es meiner Erfahrung, Freund: dieser Schnupfen der Seele, den man
viel zu gelinde üble Laune nennt, verbreitet sich über alles,
was der Angesteckte berührt, begleitet ihn zu seinen Geschäften,
hinkt neben ihm auf seinen Spaziergängen, und verlöscht die lauterste
Flamme der geheiligten Liebe in seinen ehelichen Umarmungen. Die es gut
mit der Menschheit meynen, sollten diese schleichende, jetzt so sehr um
sich greifende Krankheit mit aller Macht der Moral und Erziehung aus der
Welt zu bannen suchen, wie die Aerzte die Blattern denn es giebt keine,
die den Kranken unglücklicher macht, und der allgemeinen Freude nachtheiliger
und fortwirkender auf die Nachkommenschaft wäre, als diese.
***
Mein wahres Mitleid jedem Erdensohne,
Er trage seine Königskrone,
Er schleich´ an einem Hirtenstab,
Den ein erzürnter Gott, zur Strafe
Hier, seines Hof´s dort, seiner Schafe,
Der Laune Dämon übergab!
Ihn lockt der Mara Lied, ihn lockt der Lerche Kehle
Umsonst. Er überhört die Kunst und die Natur.
Im Krampfe seiner kranken Seele
Hört er auf ihr Gewinsel nur.
Die Laune schleicht dem Bettler in die Hütte,
Dem Fürsten in sein Staatsgemach,
Schleicht uns sogar mit abgemeßnem Schritte
Zu Hymens stillem Glücksspiel nach,
Wo, selbst beym Anspruch auf die beste Nummer,
Dem Mürrischen nur eine Niete fällt,
Die das Gepräg von seinem Stundenkummer
Oft Enkeln noch vor Augen stellt.
Wann Heinrich in dem Arm der schönen Gabriele
Nach einer edlen That der Liebe Lohn empfäht,
Wer zweifelt, daß nicht da die Farbe seiner Seele
Auf einen Bastard übergeht;
Indeß der Erbe seiner Krone
Nicht ihm, nur seinem Mißmuth gleicht,
Mit welchem er zur königlichen Frohne
In´s Bette der Infantin schleicht.
***
O! wie hat meine freye Schweizerseele mit
dem Gegendrucke des Murrsinns dieses unglücklichen Fürsten gekämpft!
Wie gerne hätte ich oft in der Beklemmung meines Herzens einen Tag
meines dortigen Lebens nur um einen Athemzug auf unsern Alpen gegeben,
um jene stärkende Luft, die die Brust erweitert und zu edlen Thaten
fest macht! Wie werde ich mich deiner wieder freuen, gesunde, unverdorbene
Natur! Mit welchem Bedacht werde ich jetzt die Süßigkeit Einer
Stunde einschlürfen, um jene verlornen Tage wieder einzubringen! Mein
kleines Feld mit dem Amphittheater jener Gebirge umringt, die durch freyen
Genuß auch mir gehören werden! Mein freundlicher Bach! Meine
Büschchen! und ihr, ihr Bewohner friedlicher Hütten! Welch
ein Schlag von Menschen gegen jene, die ich jetzt hinter mir sehe! Doch
Freund, las uns gehen, es ist angespannt."
***
Da der Mann, ich wußte selbst nicht wie,
mein Herz in seine Hände bekommen hatte, da meine Gedanken jetzt
mit ihm auf seinen Gebirgen, seinen Wiesen und unter den Horden seiner
frohen Naturmenschen herum irrten, und das Gemälde eines bald ganz
Glücklichen eines von einem traurigen Hofe Geretteten meine Seele
sympathetisch an sich zog: so erschreckte mich sein Aufbruch wie ein Donnerschlag,
der uns aus süßen Träumen, aus der Vergessenheit unseres
leidenden Daseyns erweckt. Ich stand auf, machte eine unwillkürliche
Bewegung nach ihm zu, als wenn ich ihn bitten wollte, mich nicht zu verlassen
und als er an der Hand seines Freundes aus dem Zimmer verschwand, als
sein Wagen davon rollte Gott wie ward mir zu Muthe! Die Blicke seiner
empörten Menschenliebe das schwarze Bild des Fürsten, schwebten
mir noch lange vor Augen. Sinnreich eignete sich mein Gefühl einige
entfernte Aehnlichkeiten seiner Krankheit mit der meinigen zu, und dieser
unholde Gedanke demüthigte mich so sehr, daß ich, kleinmüthig
und schwach, mich in meinen Lehnstuhl zurück warf, und um ein gutes
Wort würde geweint haben.
Als bald nachher der Wirth hereintrat, suchte
ich die freundlichsten Mienen hervor, die mir zu Gebote stehn wollten.
Seine Suppe," sagte ich, hätte mich recht gelabt." Ich bat ihn,
meinem Bedienten eine Flasche seines besten Weins zu geben, da ich selbst
keinen trinken dürfe, und ich bat ihn auch, für meinen guten
Mops zu sorgen. Wenn ich wieder zurück kommen, lieber Herr Wirth,"
sagte ich zu ihm mit schmeichelnder Stimme, und legte meine Hand dabey
vertraulich auf seine Schulter, so will ich gewiß mehrere Tage in
dieser schönen Stadt verweilen, und in keinem anderen Hotel absteigen,
als in dem Ihrigen." Mit Einem Worte, ich ging nicht eher in mein heimliches
artiges Stübchen, wie ich es jetzt nannte, als bis ich hoffen durfte,
den widrigen Eindruck meines unfreundlichen Bezeigens wieder gut gemacht
zu haben. Die Strafpredigt des Fremden über die unerkannte Sünde
der üblen Laune hatte mich so sehr gerührt, daß wenig fehlte,
so hätte ich mich für schuldig gehalten, den Einnehmern am Thore
das Trinkgeld zu vergüten, das ihnen meine Hartherzigkeit entzog.
Sobald ich mich aber allein sah, verfiel ich
erst in die ausschweifendsten Betrachtungen über das Uebel, das jetzt
in den höhern Ständen so viele Verwüstungen anrichtet
über den Krebsschaden der übeln Laune. Da ich zu ehrlich war,
mich ganz davon frey zu sprechen, so dankte ich nur Gott, daß ich
nicht Beherrscher eines Landes und dankte Gott, daß ich noch ohne
Gattin und nicht in naher Gefahr wäre, meinen Nachkommen zu schaden.
Wer weiß, wohin mich noch der Schweizer und sein System würde
gebracht haben, da ich schon anfing, Findel= und Waisenhäuser als
Magazine menschlicher Würde und vorzüglicher Genie´s anzusehen,
da alle groß gewordenen Bastarde, Erasmus, la Chapelle
und d´Alembert an der Spitze des Marschalls von Sachsen sich
zur Vertheidigung meines Grundsatzes in Reihe und Gliedern um mich herstellten,
da ich die arme unschuldige Generation zu beklagen begann, die, wie ich,
den Vorzug ehelicher Geburt so theuer mit Mangel an Kraft und Freude bezahlen
müsse, wenn mir nicht zum Glück mein dienstfertiger versöhnter
Wirth zu Hülfe gekommen wäre!
Er trat herein, um sich zu erkundigen, ob ich
nicht dem Concerte eines Virtuosen beywohnen möchte, der diesen Abend
in dem untern Saale viele Liebhaber herbey ziehen würde? Nun war meine
erste Antwort so abschläglich, als mir der Gedanke an Musik und Gesellschaft
zuwider war. Er spielt die Laute," fuhr der Wirth fort, und wie man
sagt, zum Entzücken." Die Laute! Wenn sie der Mann mit Gefühl
zu spielen versteht, dachte ich, die Laute könnte vielleicht noch
am ersten mit der Stimmung des deinigen zusammen treffen; und ohne längeres
Besinnen widerrufte ich meinen Entschluß und machte mir ein Compliment
über die fortdauernde Besserung meines Humors.
***
Ich stieg zur gesetzten Stunde in den Saal,
fand ihn aber zu voll und zu erleuchtet, und versteckte mich hinter einige
noch unbesetzte Stühle, die sich aber bald nachher eine Gesellschaft
junger Damen unter dem gewöhnlichen Geräusche ihrer seidenen
Stoffe und geläufigen Zungen zueignete; und deren Nachbarschaft, ich
kann es wohl sagen, ich in meiner ruhigen Lage gern entbehrt hätte.
Und doch, o wie viel hatte ich nicht ihrer schwatzhaften Vertraulichkeit
zu danken! Wird er wohl länger hier bleiben?" Fürchten
Sie nicht, daß ihn der Kaiser oder unser König einladen wird?"
Wie oft sind sie bey ihm gewesen?" Wollen wir ihn nicht morgen früh
besuchen?" So drängte eine Frage die andere, ohne daß eine
Antwort dazwischen Raum fand. Von was für einem seltenen Manne,
dachte ich, müssen sie doch wohl sprechen? Ich schärfte mein
Ohr, um das Räthsel zu begreifen, wie das Lob so vieler Schönen
von einem gemeinschaftlichen Lieblinge so einstimmig seyn könne!
Die Eine schrie: die feine Lebensart"
Die Andre schrie: das freundliche Gesicht"
Die Dritte schrie: und den Prophetenbart"
Und alle schrien: hat ein Betrüger nicht. "
Ein Mann," erklärte die, der, ohne auszuruhn,"
Und jene fiel ihr ein so fremde Wege geht, "
Der," rief der ganze Zirkel nun:
Ist wirklich ein Prophet! "
***
Oho! dachte ich Ist hier die Rede von einem
Propheten? Das hätte ich armer unwissender Berliner mir freylich nicht
träumen lassen. Ich horchte gewaltig.
Wer," fuhr noch Eine fort, hat diesem Wundermann
Die seltne Kunst gelehrt,
Daß da, wohin kein Ohr, kein Auge dringen kann,
Er deutlich sieht und hört?"
Ein Mann," schrie nun das Chor, der jede Weiberlist,
Den stillsten Mädchenwunsch versteht,
Der ist" = = = ja!" rief auch ich = = = der ist
Noch mehr als ein Prophet!"
***
Dieser Ausruf, der mir beynahe unwillkürlich
entfuhr, verursachte, daß ein Dutzend der artigsten Gesichter sich
herum drehten, und auf das harmvollste und blässeste im ganzen Saale
mitleidig hinblickten.
Sie sind gewiß krank, mein Herr?" fragte
mich die Nächste mit theilnehmender Güte, und die ernstliche
Freundlichkeit auf den Gesichtern der andern bestätigte mich in dem
großen Begriffe, den ich von jeher von diesem Geschlechte gefaßt
habe, daß kein Leidender ihm gleichgültig sey.
Ja wohl, meine schönen Damen," antwortete
ich, ich bin sehr krank, und mache eben eine Reise, um meine Gesundheit
wieder zu suchen."
So wünschen wir Ihnen," ruften sie mit
Einer Stimme von Herzen Glück, daß Sie jetzt Ihrer Genesung
so nahe sind."
Jetzt?" wiederholte ich erstaunt, und sah
rund umher einer um der andern in die glänzenden Augen Ach! meine
gütigen Damen, ich Armer bin zu gedemüthigt, um eines so beißenden
Epigramms werth zu seyn."
Warum da?" fuhren sie lächeln und lebhafter
fort, da sie mein Mißverständniß merkten Haben Sie
nur Zutrauen: er wird Sie gewiß in weniger Zeit so ganz wieder
herstellen, daß Sie über alle Epigrammen erhaben seyn werden."
Um des Himmels willen!" unterbrach ich den
Ausfluß ihrer Weissagungen, von welchem wohlthätigen Wesen
sprechen Sie denn?"
Von welchem?" fragten die schönen Kinder
auf ihrer Seite mit vieler Verwunderung: Sicher von keinem andern, als
dem großen Propheten, in dessen Lob Sie ja selbst eingestimmt haben
von dem Manne, der uns von Gott gesandt ist, und hier seit ein paar Monaten
recht apostolische Wunder thut."
Starr sah ich die schönen Schwätzerinnen
nach der Reihe an und schwieg weil ich nichts klügeres zu thun
wußte: doch das kümmerte sie auch nicht. Sie schienen mir
es Dank zu wissen, daß sie mich belehren konnten, und freuten sich
über mein Erstaunen. Er wird sich," nahm eine der andern das Wort
aus dem Munde, mit Ihnen in Rapport setzen wird Sie durch und
durch schauen wird Ihre geheimsten Gedanken, ihr Vergangenes und Zukünftiges,
die verstecktesten Abweichungen von dem Wahren und Guten in Ihrem Körper
wie in Ihrer Seele, wird er entdecken und alle Zweifel wird er heben,
und was Ihnen jemals dunkel war, Ihnen erklären."
Das sollte mir" rief ich mit Enthusiasmus
aus, für mich und meine Berliner Freunde, sehr lieb seyn."
Er desorganisirt die Nerven, die zu gespannt
sind."
Das ist mein Fall nicht," antwortete ich mit
schwacher Stimme.
Er exaltirt die Köpfe, die Mangel an
Kraft fühlen."
Ach Gott," versetzte ich, wenn er das könnte!"
Zweifeln Sie keinen Augenblick daran," antwortete
mir das jüngste und artigste dieser holden Geschöpfe, zog dabey
ein Portefeuille aus der Tasche, auf welchem die mit Lorbeer umgebene Silhouette
dieses großen Nothhelfers gemalt war, zeigte mir sie mit funkelnden
Augen, und überreichte mir eine Karte mit seiner Adresse.
Zugleich fing der Lautenist sein Spiel an,
und das Dutzend schöner Köpfchen drehte sich wieder zurechte.
Auch ich wollte Achtung geben, aber vergebens! Ich konnte mein Gehör
nicht finden. Das sonderbare Gespräch mit meinen Nachbarinnen hatte
mein Gemüth in einen Strudel gegenseitiger Bewegung geworfen, der
alles von der Oberfläche verschlang. Die widersprechendsten Gedanken
durchkreuzten sich, und da ich kein besseres Mittel vor mir sah, um mir
Luft zu verschaffen, so erhob ich mich in der Stille von meinem Sitze,
und schlüpfte zum Saal hinaus, ohne mich weiter um die sympathisirenden
Töne des Lautenisten zu bekümmern.
Ich rufte den Wirth, theilte ihm mein Gespräch
mit, und glaubte ihm etwas recht Sonderbares zu erzählen. Weit gefehlt!
Er verwunderte sich vielmehr über mein eigenes Erstaunen. Sind
Sie denn nicht dieser Cur wegen hier?" fragte er mit großen Augen.
Ich schüttelte den Kopf, und gestand ihm unverholen, daß ich,
außer eben in seinem Concertsaale, noch kein Wort von diesem Wunder
gehört hätte. Sie haben noch nichts davon gehört, sagen
Sie? Unmöglich! Wo waren Sie denn unterdessen, mein Herr? Ey mein
Gott! wie krank und abgezogen von der Welt müssen Sie gewesen seyn!
Wie sonderbar! Gab es je eine Zeit, wo es dem Menschen leicht ward, sich
seiner Leibes= und Seelenübel zu entledigen, so ist es die unsrige.
Sie lebten darin, und doch, wie ich Ihnen ansehe, waren Sie auf dem Punct,
wie ein blinder Heide aus der Welt zu gehen, ohne von diesen neuen Offenbarungen
Gottes eine Sylbe zu erfahren. Nun, es ist doch nichts verloren. Danken
Sie Ihrem Glücke, daß Sie hier sind! Welchen von unsern Wunderthätern
wollen Sie denn gebrauchen?"
Wie meynen Sie das, Herr Wirth? Giebt es denn
mehr als Einen hier?"
Statt der Antwort, die er vor Lachen nicht
hervorbringen konnte, streckte er mir seine zehn Finger entgegen. Denke
wie ich erschrak! Ich zog aus meiner Westentasche, in der Angst, die Adresse,
die ich von der Güte des jungen Frauenzimmers erhielt.
Der ist," rufte er aus, sobald er einen Blick
darauf warf, der ist der Rechte! Dieser hat eigne Kraft in sich selbst:
die ander müssen die ihrige erst aus dem Unterleibe eines hellsehenden
schlafenden Mädchens schöpfen."
Ist dieser Mann unsinnig," sagte ich heimlich
zu mir selbst, oder bist du es?" Er drehte sich inzwischen von mir weg,
und ließ mich in dieser Ungewißheit stehen. Mein armer Kopf
gerieth in die größte Verlegenheit. Ich legte meine Hand an
die Stirne, und wiederholte alle die hoch tönenden Kunstwörter,
die ich aus dem Saale mitgebracht hatte: aber ihre deutliche Erklärung
wer sollte mir die geben? Wer anders als der Wirth? Mag er doch den
Zeitverlust, den ich ihm schuldig werde, mit in Rechnung bringen, dachte
ich, und suchte ihn zum zweytenmale auf.
Ein welscher Hahn sang eben sein Sterbelied
unter seinen Händen, als ich ihn fand und um die Gefälligkeit
bat, mit doch etwas deutlicher den Sinn der Desorganisation zu erklären.
Er brachte nur erst noch den Schreyer zur Ruhe, ehe er sich, mit der
gefälligsten Herablassung, meiner Unwissenheit erbarmte. Der Mann
mußte vielen Umgang mit den hiesigen Gelehrten habe, denn er dachte
eben so gründlich, als er sich deutlich ausdrückte. Wirklich
habe ich auch nachher nichts gelesen, was mich über diesen Punct mehr
befriedigt hätte, als seine Erklärung. Das Beste war dabey,
daß ihm ein schickliches Beyspiel einfiel, das seinen Worten Kraft
und Deutlichkeit gab. Für Köpfe von schweren Begriffen, wie
der meinige, ist das immer eine gefundene Sache.
Sie kennen doch gewiß," fragte er mich,
nach dem vorläufigen Eingange seiner Rede, der mir noch immer zu generell
war, den berühmten Pater Mabillon?" Wie gut ihm diese Frage
in seiner Küchenschürze stand, magst du selbst urtheilen.
So, so," antwortete ich Man hält ihn,
glaube ich, für den ersten classischen Autor in der Diplomatik."
Recht!" sagte der Wirth, der nehmliche! Was
denken Sie nun, mein Herr? Dieser Mann war in seinen Jünglingsjahren
der einfältigste Tropf unter der Sonne; hatte kaum Verstand genug
den Katechismus zu begreifen. Aber hören Sie! Eines Tages fiel er,
aus natürlicher Ungeschicklichkeit, die Treppe herunter, und gerade
auf den Kopf. Nun das hat noch gefehlt, sagte seine Mutter, als sie ihn
aufhob! Man brachte ihn betäubt in das Bette, und erwartete mit
Zittern den ersten Ausbruch seiner Narrheit. Wie betrog man sich! Der
Natur seines Falles nach, mußte der Junge zwar irre sprechen: aber
zu aller Verwunderung, waren seine Phantasien tausendmal mehr werth, als
ehemals sein Menschenverstand. Die Erschütterung, die sein schwacher
Kopf erlitten hatte, wirkte die hellsten Ideen in ihm. Die abstracteste
Wissenschaft war jetzt sein Spielwerk. Er enthüllte die dunkelsten
und verworrensten Schriften. Mit einem Worte: dieser, so lange er nicht
auf den Kopf gefallen war, dumme Junge, ward nachher einer der ersten
Menschen seines Zeitalters. Sonach, mein Herr, wie dieses Beyspiel zeigt,
können Mittel, die einen wohl eingerichteten Kopf verwirren, umgekehrt
auf einen blödsinnigen die gegentheilige Wirkung thun: und auf diese
Analogie und diesen Grund, glaube ich, ist die Lehre der Desorganisation
und des thierischen Magnetismus gebaut. Doch, mein Herr, ich muß
Sie bitten, einstweilen mit diesem Wenigen zufrieden zu seyn. Ich habe
zu viel in meiner Haushaltung, in meiner Küche und mit meinen vielen
Gästen zu thun, die alle dieser Cur wegen hier sind. Morgen wird Ihnen
diese dunkle Sache schon deutlicher werden."
***
Ich schlich fast eben so betäubt wie Mabillon
in mein einsames Zimmer, und ließ mich kleinmüthig auf meinen
Lehnstuhl nieder. Was für eine Revolution" sagte ich zu mir selbst,
muß nicht, während daß du unter deinen Büchern in
einer idealischen Welt lebtest, in der wirklichen vorgegangen seyn!" Voller
Scham über meine Unwissenheit, machte ich mir es zur Pflicht, den
nächstfolgenden Tag alles anzuwenden, mich ihr zu entreißen
und die Bekanntschaft eines so außerordentlichen Arztes zu
suchen, der mir ungleich wunderthätiger vorkam, als der zu Bruchsal.
Mit diesem festen Entschlusse legte ich mich schlafen, und erwachte in
ihm. Es ist wahr, in der Zwischenzeit unterstand sich manchmal mein lang
gewohnter Unglaube, sein Haupt zu erheben; aber auf so wenige Stunden,
als ich noch zur Gewißheit vor mir hatte, war er doch noch so ziemlich
leicht zur Ruhe zu weisen.
Mit der Neugier eines Berliners und der ängstlichen
Erwartung eines gefährlichen Kranken, verließ ich um acht Uhr
den Gasthof, ohne mich durch das geringste Frühstück um meine
Nüchternheit zu bringen, und meine schriftliche Anweisung brachte
mich ohne Mühe in das Haus des Propheten.
***
Und an dem Haus des Erleuchteten hing,
Als Klopfer des Thors, ein symbolischer Ring
Der Ewigkeit, gleich einer sich krümmenden Schlange.
Kaum schlug ich mit Zittern daran, so sprang es auf, so empfing
Mich eine Menschengestalt von Diener, die führte mich flink,
Doch stumm wie der Tod, von einem egyptischen Gange
Zum andern, Trepp´ auf und Trepp´ ab: doch sieh! auf einmal
Stand ich, berufen zum Geisterempfange,
Am Bett des Propheten, in einem erleuchteten Saal.
Der Saal war zwar nicht um große Augen zu machen
Verziert. Noch einem fast göttlichen Plan
Schien alles was da war, für deine Freude zu wachen,
Und in gefälligen Farben sich deinen Augen zu nahn:
Des Deckenstücks Höhe war nicht mit fliegenden Drachen
Verbrämt dich schreckt aus keiner Ecke der Rachen
Des Hayfisch´s, dich blökt hier kein Todtenkopf an:
Was braucht´s auch der Wunder, die wir auf Märkten beschauen?
Hier zeigt, vom Tage bescheiden erhellt,
Ein magisches Bett, das unter elektrischen blauen
Gardinen sich bläht, dem aufgeklärten Vertrauen
Des kindlichen Glaubens das erste Wunder der Welt.
Ihr, die ihr nichts glaubt, als was euch mit Händen
Zu greifen vergönnt ist, ihr Starken an Geist!
Vermögen die Schönen der Stadt nicht eure Herzen zu wenden,
Wenn der Erforscher der Nieren und Lenden
In ihrer Schwachheit sich mächtig beweis´t:
So kommt und hört, was, meine Leiden zu enden,
Für herrliche Dinge mit sein Gesandter verheißt.
***
Der Diener des Propheten nöthigte mich
auf den Armstuhl, der so gestellt war, daß in der Entfernung einer
Mannslänge mein Gesicht gerade auf das seinige traf. So kam ich,
ohne daß ich es selbst wußte, in Rapport mit ihm, und das merkwürdige
Gespräch begann. Da es das erstemal in meinem Leben war, daß
ich mit einem Schlafredner zu sprechen hatte, so benahm ich mich sehr ungeschickt
dabey, und stockte oder erröthete einmal um's andere bey den unschuldigsten
Worten.
Zu der Zeit,
da ich noch meine weißen Zähne beysammen, ungetrübte Augen,
blühende Wangen und ein klügeres Ansehen hatte als jetzt, habe
ich dreist mit Königen und Fürsten gesprochen, ohne mich weder
durch die langweilige Rolle, die ihr Stand gegen den meinigen spielen mußte,
noch durch die Außenseite ihrer Größe irre machen zu lassen:
aber auch sahen sie nicht klärer als ich, und waren keine Propheten.
Sie konnten nie so mächtig auf mich wirken, daß ich nicht während
der tiefsten Verbeugung, in der ich vor ihnen stand, und bey dem gleichgültigen
Kopfnicken, das ich dagegen erhielt oder nicht erhielt mir sagte: ,,Possen
zweyer Drahtpuppen, davon keine von besserm Stoffe zusammen gesetzt ist,
als die andere." Sie konnten mir also auch nicht verwehren, daß
ich in Gedanken ihnen den Zepter aus der Hand und den Hermelin von der
Achsel nahm, und nachsah, ob ihre Carcasse nicht rostiger wäre als
die meinige. Diesen erhabenen Sterblichen hingegen, zu dessen Füßen
ich saß, mochte ich entkleiden wie ich wollte; irnmer schien er mir,
wenn er nicht ein Betrüger war, ein Gott zu seyn, und meine Alltagsseele
zitterte vor der seinigen.
,,Mein Herr," fing ich stotternd an, ,,Sie
sehen hier = = =" und hielt inne, weil sich, wie ich das Wort aussprach,
der Begriff von Sehen und der Begriff von Schlafen so gegen einander stießen,
daß nach gewöhnlicher Rechnung ein Unsinn zum Vorschein kommen
mußte.
Der Schlafseher ließ mich indeß
nicht lange in dieser Verlegenheit. ,,Ich kenne Sie!" fiel er mir vernehmlich
in's Wort, und wahrlich, er nannte meinen Tauf= und Zunamen. Nun wußte
ich gewiß, daß ich weder am Thore noch im Gasthofe so umständlich
mit mir gewesen war, und fühlte mich also schon nicht wenig über
diesen Beweis seiner Kenntniß betroffen. Als er aber auf die zwote
stotternde Frage, die ich vorbrachte, mit derselbigen Deutlichkeit fortfuhr:
,,Sie verließen Ihre Studierstube in dem ungläubigen Berlin,
und haben wohl gethan. Die mittägliche Sonne von Frankreich wird
Sie erwärmen und stärken" so sträubte sich mir das Haar:
doch ermannte ich mich, um auf eine Frage zu sinnen, die dem ungläubigen
Berlin keine Schande brächte. Meiner tiefliegenden Augen und meines
abgefallenen Gesichts bewußt, so dachte ich, muß derjenige
sehr klar sehen, der dein Alter errathen will. Ich fragte ihn also nach
dem Tag und der Stunde meiner Geburt; und ach! er bezeichnete beydes
auf das Bestimmteste, und setzte noch einen Umstand hinzu, der mir selbst
bisher fremd geblieben war, und nur Geistern bekannt seyn kann, die den
feinsten Zusammenhang des Universums mit Einem Blicke übersehen.
,,Sie sind, lieber Fremder" sprach er, ,,nach
unserer irrigen Zeitrechnung den funfzehnten des letzten Monats des Jahrs
1747 in der Stunde und Minute geboren, als viele Dolche, durch das Verhängniß
geleitet, die grausame Seele Schach Nadirs aus seinem Riesenkörper
in das enge baufällige Behältniß des Ihrigen verwiesen,
wo sie genug für alle ihre Uebelthaten büßet."
Pythagoras selbst hätte mich schwerlich
von der Seelenwanderung vernünftiger und überzeugender belehren
können, als diese Thatsache, die weder mein Geburtsschein noch meine
Empfindung widerlegen konnte. Ach mein Gott!" rufte ich mit kläglicher
Stimme aus: ,,Die Seele eines Tyrannen des Orients in dem ausgemergelten
Körper eines preußischen Unterthanen? Aus so einer widersinnigen
Zusammensetzung kann freylich kein glückliches Geschöpf entstehen!
Auf allen Fall ist es nicht meine Schuld. Hat sie vormals Böses gethan,
so büße sie dafür! Strafe genug, daß sie jetzt einen
schwindsüchtigen Körper lenken, und, belastet von ihm, die Vorzimmer
von Leuten durchkriechen muß, denen sie einst vielleicht kaum die
Aufsicht des Serails anvertraut hätte."
Nach einigem Nachdenken erholte ich mich jedoch
in so weit von dieser niederschlagenden Nachricht, daß ich auf die
vielen glücklichen Tage zurück sehen konnte, die ich, ohnerachtet
meiner mißlichen Zusammensetzung, dennoch gewiß erlebt hatte.
Es mußte mich nothwendig befremden, wie einer so gerecht bestraften
Seele Gefühle vergönnt wurden, die nur Belohnung der Tugend seyn
sollten. Ueber diesen wichtigen Einwurf nahm ich mir vor ein andermal
nachzudenken, da mir jetzt mehr um die Wiedererlangung jener Empfindungen,
als um die Ursache ihres vorigen Daseyns und ihres Verlusts, zu thun war.
Würdiger lieber Herr," fuhr ich also fort, ,,durch was für
Mittel kann ich diese ernste Strafe wo nicht aufheben, doch mildern?" und
wußte in diesem Augenblicke selbst nicht, ob die asiatische Seele
oder der preußische Körper sprach. ,,Nur ein herzliches Lachen"
war seine orakelmäßige Antwort, ,,kann dir Hülfe verschaffen!"
Nie ist wohl eine täuschendere Antwort
auf eine höhere Erwartung gefallen. Ich war wie versteinert, daß
er mir ein so gemeines Hausmittel empfahl, da ich nichts weniger als ein
überirdisches Specificum mir vermuthend war. Sobald ich meine Sinne
ein wenig gefaßt hatte, kam die natürlich folgende Frage von
selbst: ,,Aber, mein gütiger Herr! da nichts in der Natur mehr
die wohlthätige Wirkung auf mein unreitzbares Zwergfell hervor bringt,
wie und wo soll ein so armes niedergeschlagenes Geschöpf diese Bewegung
der Freude, die Sie ihm verordnen, aufsuchen und finden?" Und nun sprach
der wahre Geist eines Propheten aus ihm:
,,Dem harrt ein Schatz Scherz und Gelächter rufen
Trost dem Bedrängten zu, den Nadirs Geist belebt.
Wenn Gottes Mittagsstrahl auf neun und neunzig Stufen
Ihn über unsre Stadt erhebt."
***
Meine Verlegenheit war jetzt auf das höchste
gestiegen. Ich faltete die Hände, und rufte äußerst bewegt:
,,Göttlicher Mann! siehe an die Fesseln meines irdischen Leibes! Wie
sollte ich mich über den Nebel dieser Stadt erheben können?"
Denn nimmermehr hätte ich in diesem Augenblicke geglaubt, daß
die Auflösung dieser Schwierigkeit so leicht wäre, als ich es
doch nach seiner erklärenden Antwort: ,,Auf den neun und neunzig Stufen
ihres stolzen Thurmes" finden mußte. Das ist doch nun, dachte ich,
so bestimmt gesprochen, als man nur von einem Propheten erwarten kann
und was noch mehr diese Weissagung von allen andern unterscheidet: Der
Mittag die Zeit ihrer Erfüllung ist nahe. Tief bückte ich
mich gegen meinen Helfer, und warf noch die, meinen Begriffen nach, unbedeutende
Frage hin: ,,Ob er sonst noch etwas in mir entdecke, das mir unbekannt
sey?"
Zusehends entflammte sich sein Gesicht, und
blickte verächtlich auf die Kenntnisse meiner selbst herab, mit denen
mich mein geheimer Stolz zu täuschen suchte. ,,Ja," sagte er, ,,ich
sehe einen Flecken in dem Gewebe deines geistigen Daseyns einen schwarzen
hervor tretenden Zug aus der Seele Schach Nadirs." Meine zitternden Lippen
suchten zu sprechen; aber das Schreckliche dieser Ankündigung erstickte
den Laut meiner Frage. Er beantwortete sie dennoch: ,,Fluche deinem Unmuthe!
Du hast in der Abendstunde des Ruhetags dieser Woche ein armes verirrtes
Mädchen den Wölfen Preis gegeben Hast du es nicht? Nur die
Seele eines Tyrannen konnte so einen menschenfeindlichen Gedanken fassen!
Nur die Zunge eines Impotenten konnte ihn aussprechen."
Dieser harte Vorwurf kränkte meinen Stolz
über die Maßen. ,,Heiliger Prophet!" rufte ich mit männlicher
Stimme ,,Ist das arme Geschöpf ein Raub der Wölfe geworden,
so war es doch nicht meine Absicht. Das Schicksal hat unschuldige Worte
mißverstanden." Indem aber regte sich mein Gewissen Sind das
unschuldige Worte, die Unmuth und Hartherzigkeit eingiebt? Versagte ich
nicht der Bedrängten den Schutz, den sie bey mir suchte, ohne mich
um die Folgen meiner Verweigerung zu bekümmern? Ach, es ahndete mir
nicht, daß sie von so trauriger Art seyn würden.
Während dieses trüben Gedankens,
in welchen ich mich stillschweigend verlor, verliefen die wichtigen Minuten,
die mir noch vergönnt waren, in Rapport mit dem großen Seher
zu seyn, und die ich, ach! zu meinem ewigen Kummer, so ungenutzt vorbey
streichen ließ. Ich hörte nur noch Ein Wort aus seinem Munde
,,Ich will aufwachen;" sagte er: und zugleich öffnete der Bediente
die Thür und entließ mich, nicht auch ohne ein kleines Wunder
auf seiner Seite zu thun, denn er schlug einen Ducaten aus, den ich ihm
als eine Erkenntlichkeit in die Hand drücken wollte.
***
O mein geliebter Eduard! Was wäre wohl
aus mir geworden, hätte ich mich länger in der heiligen Atmosphäre
dieses Mannes aufhalten dürfen? Ich fühlte schon jetzt eine Veränderung,
einen Widerspruch in meiner bisherigen Denkungsart, die mir, ich bin es
überzeugt, das einfältigste Ansehen von der Welt geben mußte.
Ich stolperte vor mir hin, ohne auf etwas zu achten, was außer mir
war. Bald hob ich meine Augen, bald meine Hände gen Himmel, lehnte
mich zuletzt, vor überströmender Empfindung, an einen Laternenpfahl,
und sprach so laut mit mir selber, daß der Prinz von Rohan, der indessen,
und wenn ich mich nicht irre, den Arzt in dem Husarenpelze an der Seite,
bey mir vorbey fuhr, halten ließ, und mich mit Verwunderung betrachtete.
Aber so eine Erfahrung, als ich eben gemacht hatte, erhebt auch unsern
Geist zu hoch, als daß die kleinen armseligen Verhältnisse des
Wohlstandes noch einen Eindruck auf ihn machen konnten. Mit glühendem
Gesichte trat ich in meinen Gasthof, konnte dem Wirth, der mir neugierig
entgegen kam, nur stillschweigend die Hand drücken, winkte meinen
Johann, der meiner an der Treppe erwartete, auf mein Zimmer, winkte ihn
wieder hinaus, und warf mich, wie vom Schlage gerührt, in meinen Armstuhl.
Unvermögend dir zu sagen, was indeß in meinem Innern vorging,
erinnere ich mich nur, daß mein Herz in schweren Träumen, und
mein Verstand in hohen Phantasien lag, als mich die Glocke der Mittagsstunde
wie zu einem Urtheilsspruche weckte. Ich sprang von meinem Sitze auf, ergriff
Stock und Hut, und eilte dem Wunder zu, das meiner auf dem Münster
erwartete.
***
Schon hatte ich seine ersten zehn Stufen hastig
erstiegen, als mir einfiel, daß ich sie nicht zählte. Erforderlich
wie dieses war, um die mir angewiesene mystische Zahl der zwo Neunen zu
erfüllen, ging ich wieder zurück, und trat nun meine sonderbare
Pilgerschaft mit aller der Bedachtsamkeit an, deren ich nur bey meinem
hoch pochenden Herzen fähig war.
Was für mancherley unbekannte Dinge beherbergen
wir nicht in uns, liebster Eduard, die uns, bey aller unsrer belobten Selbsterkenntniß
in Erstaunen setzen, wenn sie ein Zufall aus ihrem Winkel hervor zieht!
Kannst du wohl glauben, was ich dir sagen werde? und doch ist es gewiß:
So lange meine gespannten Kräfte anhielten, verlor das Wort des Propheten
nicht das geringste von seinem Werthe in meiner Vorstellung; je schwerer
mir aber im Fortgange der Athem ward, je langsamer ich stieg, desto vernehmlicher
schien sich ein Gedanke in mir zu entwickeln, der das Gefühl meines
Glaubens immer mehr und mehr schwächte. Was," sagte ich zu mir selbst,
,,würden deine Freunde in Berlin von dir denken, wenn sie dich in
dieser mühseligen Wanderung erblickten und zu welcher wichtigen
Absicht? Um auf der Spitze eines Thurms, der täglich von Hunderten
bestiegen wird, einen Schatz zu suchen!" Zum erstenmale ward es mir höchst
verdrießlich, an Euch zu denken, und doch wollte es mir nicht gelingen,
der Vorstellung, die mich so sehr demüthigte, wieder los zu werden.
Ich fing an mich vor mir selbst zu schämen. Das heilige Zutrauen
zu den Worten des Propheten nahm merklich ab, je näher ich dem Beweise
kam dennoch stieg ich fort, und mit der letzten Neune die ich zu zählen
hatte, sah ich mich, bis zum Umfallen ermüdet, und so schwach am Glauben
als möglich, auf der berühmten Platteforme des Thurms. Ich warf
mich auf den ersten steinernen Ruhesitz, den ich erreichen konnte, doch
so entkräftet, daß ich Mühe hatte, mich sogleich der Ursache
meines Hierseyns zu erinnern. Mein zurück kommendes Bewußtseyn
war nichts weniger als angenehm; kaum wußte ich, ob ich dem Propheten
noch die Ehre erweisen sollte, mich umzusehen. Ich zwang mich indessen,
und sah, außer einem jungen Manne, der der schönen Aussicht
genoß, auf diesem weitem offenen Platze was dir gewiß auch
schon geahndet hat mit Einem Worte, Freund, ich sah Nichts.
Ein bitteres Lächeln überzog nun
mein Gesicht. Es machte mir ich will es nicht läugnen eine boshafte
Freude, einen Propheten auf der Lügen zu ertappen, und nun, ohne aufgehalten
zu werden, zu meinen gewohnten Grundsätzen zurück gehen zu können.
Ich rückte meinen Hut tiefer in die Augen, schlug hastig meinen Mantel
um mich, und setzte mich mit dem Entschlusse in die Ecke, mich erst recht
auszuschämen und auszuzanken, ehe ich meinen lächerlichen Rückzug
anträte. Doch wie gewöhnlich, ging ich lange um mich herum, ehe
ich Muth genug faßte, mein Vorhaben auszuführen, und auch dann
noch spielte ich mit meinem Herzen die Rolle einer schwachen Mutter gegen
ihr strafbares Kind, die mitten in ihren ernsten Vorwürfen ihm die
Thränen abtrocknet, und, indem sie es zu verstoßen droht, das
erste Zuckerbrod reichet, das sie bey der Hand hat. Wirklich gingen in
mir die sonderbarsten Bewegungen vor, sobald ich auf der Spur zu seyn glaubte
angeführt zu seyn. Zu deinem Zeitvertreibe wünschte ich wohl
dir sie recht anschaulich zu machen.
***
War einem Herzen je, das, ohne Ueberhang
Sich seine Blößen zu verzeihen,
Nicht rein genug sich fühlt, vor der Entschlei´rung bang,
So war es meins. Die Schnur von seinen Gaukeleyen
Schien mir schon viel zu voll und lang,
Um ihr mit diesem Pilgergang
Noch eine Schelle beyzureihen.
Doch, Freund, die Kunst, in solchem Seelendrang
Sein Selbstgefühl zu überschreyen,
Half jetzt auch mir des Spottes Uebelklang,
Der mein Gefühl durchlief, zerstreuen.
Dem Menschen, hub ich an (als ritt
Belastet ich von tröstenden Sentenzen
Dem magern Junker nach, der so viel Schläge litt,
Um Mambrins Rüstung zu erkämpfen.)
Dem Menschen fiel das Loos, mit ungewissem Schritt
Durch eine Nacht zu gehen, wo wenig Sterne glänzen;
Vielleicht daß einst der Tag auch ihr entgegen tritt.
Er nehme dieß Vielleicht bis an die äußern
Gränzen
Des Lebens zum Gefährten mit.
Dieß Trostwort wandelte die Dünste
Des träumenden Gehirns in muthiges Vertrau´n,
Gerüstet wie ein zweiter Daun,
Mit nun geweihtem Schwert das magische Gespinnste
Des neuern Sehers zu durchhau´n.
***
Ich kam nun bald in volles Gefecht mit dem
Betrüger, der sich unterstehen konnte, einen Berliner einen Freund
und Zeitgenossen Mendelssohns, zum Besten zu halten; und mein innerer
Streit ward endlich auch äußerlich so sichtbar, daß der
junge Mann, auf den ich die ganze Zeit meines Selbstgesprächs über
nicht geachtet hatte, sein Fernglas einsteckte, und sich voller Verwunderung
und Neugier mir näherte.
,,Sie scheinen sich übergangen zu haben,
mein Herr," redete er mich an ,,Hintergangen", fiel ich ihm in´s
Wort hintergangen habe ich mich, indem ich, jedoch zu meiner Ehre nur
einige Stunden, einem Betrüger geglaubt habe Doch ist es mir immer
lieb, daß ich hier bin. Ich kann wenigstens meiner Galle Luft machen,
kann über die Stadt rufen, die unter mir liegt, daß sie mit
Blindheit geschlagen sey daß ihre Einwohner betrogen, und werth
sind, von Thoren gelenkt zu werden = = ="
,,Sie sind" nahm der Fremde das Wort, ,,in
einer gewaltsamen Bewegung, mein Herr. Was für ein Unglück ist
Ihnen begegnet, und auf wen beziehen sich Ihre beschimpfenden Ausfälle?"
,,Auf wen?" erwiederte ich mit Hitze ,,Auf
wen anders, als auf den Marktschreyer, der Ihre Stadt in Verwirrung setzt,
auf Ihren großen Magnetiseur, Schlafredner, Propheten, oder wie Sie
ihn sonst nennen wollen."
,,So erlauben Sie mir," antwortete der Fremde
zu meinem großen Erstaunen, ,,daß ich Ihnen geradezu widersprechen
muß. So lange wir diesen Mann besitzen, ist keine Unwahrheit über
seine Lippen gegangen."
,,Wohl!" rufte ich aus, ,,so kann ich Ihnen
wenigstens seine erste ankündigen, die er mir, mir, wie Sie
mich hier sehen, vor ungefähr zwo Stunden gesagt hat. Wissen Sie
wohl, mein Herr, was er mir hier zu finden verhieß? Nichts geringeres,
als einen Schatz, und den lautesten Ausbruch der Freude. Und ich einfältiger
Tropf! ließ mich so anführen, und erstieg auf sein thörichtes
Wort diesen mühseligen Thurm! Lassen Sie Sich nicht abhalten, mein
Herr, lachen Sie so laut als Sie Lust haben! Ich verdiene den Spott aller
Vernünftigen."
Aber - anstatt zu lachen, weißt du wohl,
was der Mann vorbrachte? Eine so schöne Tirade, wie sie nur in einem
Commentar über den Habacuc stehen kann: daß man Weissagungen
nicht buchstäblich verstehen müsse.
,,Mein Herr," antwortete ich ihm auf das bitterste:
,,Ihr Prophet hat mir einen Schatz was man einen Schatz nennt,
hat er mir versprochen. Wo ist nun hier etwas, das in naher oder entfernter
Bedeutung diesen Namen verdient? Soll ich etwan den Zugwind dafür
annehmen, der mir schon viel zu lange unter die Nase streicht?" Mit diesen
Worten drehte ich mein Gesicht verächtlich von diesem albernen Fremden,
ohne mich weiter mit ihm einzulassen; denn ich sah nun zu deutlich, daß
er nicht um sonst hier war, und wahrscheinlich ein Emissair des falschen
Propheten seyn mochte.
Diese neue Entdeckung machte mich nur noch
muthiger. Ich konnte nicht von der Stelle kommen, bis ich meine ganze Galle
erschöpft hatte. Ich rückte noch einmal meinen Hut in die Augen,
hüllte mich noch einmal in meinen philosophischen Mantel, und trat,
sowie ich nur erst die Meßmers, Lavaters und Puysegürs, auf
deren Autorität sich der Fremde bey dem dritten Worte bezog, hinter
mir hatte, eben so geschwind wieder zu den Helden des hartnäckigsten
Unglaubens, zu meinen alten Freunden und Lehrern den Bolingbrokes Voltairen
und den Reimarus über.
***
Schneller als nach schweren Krämpfen
Der Erschlaffung Uebergang,
Rief mich nun zu neuen Kämpfen
Ein Phantom, das aus den Dämpfen
Jenes Blendwerks übersprang.
Meinen Freyheitssinn zu retten,
Wagt´ ich einen Todtensprung:
Aus des Aberglaubens Ketten
Stürzt´ ich auf die Schwanenbetten
Täuschender Beruhigung.
Zu dem schönsten Ritterzuge
Weihte mich der Traumgott ein,
Von dem Throne bis zum Pfluge
Alle Heerden vom Betruge
Ihrer Hirten zu befreyn.
Träumender als Alexander,
Drang ich bis zu Lunens Bahn;
Pech und Schwefel in einander
Steckt´ ich wüthend, wie ein Brander,
Unsers Glaubens Hafen an;
Sah im Ringeltanz der Flammen
Sich die leichten Räthsel drehn,
Die, wie sie vom Quell der Ammen
Kraftlos zu uns überschwammen,
Zu der Nachwelt übergehn;
Förderte im Heldengrimme
Meines Ungestümes Lauf:
Doch, indem ich weiter glimme,
Hielt mich eine Menschenstimme
Von der Weltzerstörung auf.
***
Ja, theuerster Eduard, eine Menschenstimme,
die aber in diesem für meinen Unglauben entscheidenden Augenblick
ein Wunder vor meinen Augen war, schlug mit unbeschreiblicher Sympathie
an meine Ohren und an mein Herz. ,,So ist denn" hörte ich in dem
Getümmel des Streites, in dem ich mich befand, ,,so ist denn alle
Freude der vorigen Zeit aus deinem Gedächtnisse verloschen, Will'm,
Will'm?" Staunend sah ich mich nach dem Fremden um, der mir seine Hände
entgegenstreckte, ,,alle die mit Freundschaft und Weisheit erfüllten
Stunden zu Leiden?" fuhr er noch zärtlicher fort ,,auch nicht die
kleinste Erinnerung mehr an die jugendliche Wallfahrt zu der Bildsäule
des Erasmus?" - Himmel, wie zitterte ich! ,,0 Wilhelm! Wer ist wohl falscher
Du? oder unser Prophet? Ach du kennst deinen redlichen Jerom nicht mehr?"
Dieser Name, der einst meiner Jugend so theuer
war, brachte mich zu mir selbst. ,,Gott! ist es möglich?" rufte
ich aus: ,,Mein Jerom?" Und sprachlos vor unnennbarer Empfindung, lag ich
in seinen Armen. Eine Pause, die ganz dem hohen Gefühle der Freundschaft
gewidmet war, ließ einige Augenblicke keinen von uns zur Sprache
kommen. Ich schmiegte mich an die pochende Brust meines Jugendfreundes,
der mit liebenden Augen sich an dem zärtlichen Erzittern weidete,
das mich übermannt hatte.
Auf´s höchste bewegt, fing er endlich
mit freudiger Stimme an: ,,So hat doch wohl der Prophet nicht so ganz unrecht?
denn du liebst mich noch, Wilhelm?"
,,Nein, Gott segne ihn" stimmte ich enthusiastisch
ein. ,,Er hat wahr geredt, der große Mann! Kein Schatz auf Gottes
Erdboden, würde solche Empfindung von Glück und Freude aus meiner
Seele hervor rufen, als es deine unerwartete Erscheinung gethan hat.
Alle die süßen Phantasien meiner Jugend, die ich auf ewig verschwunden
glaubte wie scheinen sie mit dem Wohllaut deiner Stimme von deiner Zunge
zu strömen! Dein Lächeln, dein flatterndes Haar, deine stralenden
Augen alles, alles ruft mir ihr süßes Bild wieder zurück.
O mein Jerom! Wie war es möglich, daß ich dich nur Einen Augenblick
verkennen konnte? Nicht die siebenzehn, achtzehn Jahre, die darzwischen
liegen, thaten es: aber alle die schmacklosen Stunden, die mir freundschaftleere
Menschen tropfenweis zuzählten! Böse Säfte, die mir Unmuth
und Krankheit einflößten, haben meine Augen getrübt, und
das empfänglichste Menschenherz stumpf gemacht. Ist mir doch, als
wenn ich all mein verlornes Glück in dieser Umarmung wieder fände.
Siehe dich nur um, mein Jerom Nie haben wohl Bilder der Freundschaft
auf einem höhern Fußgestelle gestanden. Aber wir werden hier
und überall den Maulwurfsaugen der Menschen zu hoch stehen. Unter
Tausenden, die unter uns weben, ist gewiß kaum Einer, der den ausgedehnten
Begriff so eines Händedrucks zu umfassen vermag.
Auf dieses Tempels Höh´, den deutscher Männer Muth
Dem Himmel näherte; von den Begeisterungen
Des süßesten Gefühls durchdrungen;
Natur, in deiner Mittagsglut
Von eines Lieblingsarm umschlungen
Ein Tropfen Zerit o Gott! gewährt mir der Ersatz
So vieler freundenleeren Stunden!
Gelobt sei der Prophet, durch den ich einen Schatz,
Durch den ich einen Freund gefunden!"
***
Je schwächer unsere Nerven sind, liebster
Eduard, desto geschickter fühlen wir uns zur Schwärmerey. Damals
schien mir das Hochtönende meines Enthusiasmus die natürliche
Sprache des Herzens zu seyn, und Gott weiß! wie lange ich noch, auf
der Zinne dieses altdeutschen Thurmes in einer, seit seiner Erbauung so
erhöhten Sprache, würde fortdeclamirt haben, hätte nicht
der gesündere Jerom den Strom meiner Rede gehemmt, und mir lächelnd
vorgeschlagen, ihn nach seiner Wohnung zu begleiten. Wohin du willst!"
sagte ich, und schwankte wie ein Trunkener hinter ihm her. Immer nur ihn
anlächelnd, waren alle anderen Menschengesichter, die uns auf der
Straße begegneten, für mich verloren, und ich hielt so gleichen
Schritt mit ihm, als wenn ich auch ihn zu verlieren gefürchtet hätte.
Mit dem Bewußtseyn, einen redlichen Freund
an seiner Seite zu haben, fühlt man sich in der Fremde so einheimisch,
als man sich, ohne diesen Umstand, in seiner Vaterstadt fremd fühlen
kann. Wie schüchtern schlich ich nicht noch diesen Morgen über
die Gasse! und jetzt kam es mir vor, als wäre ich, wo ich nur hinsah,
zu Hause. Ich stieg die Treppe zu der Wohnung meines Freundes so bekannt
hinauf, als ob ich sie schon mehrmal erstiegen hätte, und machte den
guten Jerom laut auflachen, als ich ihm treuherzig erzählte, wie mir
zu Muthe war. Wie ungleich wurde ich mir aber vollends bey dem freundschaftlichen
Mahl, zu dem wir uns jetzt niedersetzten! Ich aß und trank, scherzte
und lachte, wie ein Gesunder; die lebhafteste Erinnerung, das lieblichste
Geschwätz packte alle die farbigen Gewänder aus, und staubte
die bunten Federbüsche ab, in denen einst unsere unbefangene Jugend,
so zufrieden mit sich selbst, einhertrat. Nichts durfte sich in unser herzliches
Gespräch mischen, was nicht Bezug auf jene bilderreiche Zeit hatte.
Jeder anderen Idee, die sich zudringen wollte, waren wir so verschlossen,
wie das Zimmer, das keinem von den Anklopfenden geöffnet wurde.
So beschlich uns der Abend; und da wir in unserm
Gespräche nach und nach immer weiter vorwärts gerückt waren,
so stand ich jetzt auf einmal an dem Zeitpunkte meiner geschwächten
meiner verlornen Gesundheit, den ich in der ersten Hitze unserer freundschaftlichen
Ergießungen ganz aus dem Gesichtskreise verloren hatte. Einige milzsüchtige
Klagen auf meiner Seite, Hoffnung und Trost auf der seinigen, bahnten uns
endlich den Weg zu folgendem ernsthaften Gespräche, das mir die deutlichsten
Begriffe über die Würde unseres Zeitalters gab, und das ich dir,
so wörtlich ich kann, auch zu deiner Erbauung hersetzten will
***
Hätten wir," hub ich mit einem Seufzer
an, hätten wir es denken sollen, lieber Jerom, als wir in Leiden
zu den Füßen unserer Lehrer Wahrheit von Vorurtheilen scheiden
lernten, daß wir Körner mit unter die Spreu würfen, die
mehr wert waren, als unsre so rein gesäuberte Frucht? Hätten
wir es argwohnen können, daß Kräfte in dem animalischen
Leben lägen, metaphysische Räthsel aufzulösen, woran die
Bayle, die Leibnitze, die Rochester umsonst die Arbeit des Geistes verschwendeten?
Und welchen Köpfen, großer Gott! wurden endlich diese Geheimnisse
anvertraut! Wie viele Jahrtausende haben dazu gehört, ehe der Misthaufen
der Welt so durchgearbeitet werden konnte, um das ächte unbenutzte
Samenkorn an´s Licht zu bringen, und welche Mechanik des Zufalls,
daß es zuletzt von einer blinden Henne gefunden werden mußte!
Ist ein hell sehender Schläfer der leidenden und irrenden Menschheit
nicht mehr werth, als die ganze Summe von Verstand, der den leiblich= und
geistigen Aerzten aller Zeiten einzeln zugetheilt war, und wirft so eine
einzige Thatsache, als ich seit heute erlebt habe, nicht alle ihre herrlichenen
Systeme über den Haufen? Du bist nicht allein selbst ein berühmter
Arzt, lieber Jerom, du bist auch ein tief denkender gelehrter Mann Weißt
du mir denn nicht eine befriedigende Erklärung von dieser unbegreiflichen
Demüthigung der menschlichen Vernunft zu geben? Ich will es als ein
Almosen in meiner Armuth annehmen, ich will es = = ="
Guter Wilhelm," unterbrach Jerom meinen rednerischen
Ausfall, ich theile dir gern die Hälfte meines Reichthums mit, so
viel du ungefähr nöthig haben wirst, dir weiter fort zu helfen
Aber warte! Erst will ich zusehen, ob mein Vorsaal fest genug verschlossen
ist und nun setze dich und höre mir aufmerksam zu:
Ich bin ein Arzt, Freund, und habe bisher
die Pflichten meines Standes in dem Vaterlande des unsterblichen Boehav´s
mit gleicher Treue, wenn auch nicht mit gleicher Geschicklichkeit, ausgeübt.
Glück in meinen Curen schaffte mir indeß das Zutrauen meiner
Landsleute. Meine Erfahrung nahm täglich zu, und ich lebte mit einer
Anhänglichkeit an meine Kranken, die mir meine mißliche Kunst
ehrwürdig, angenehm und schätzbar machte. Da störte mich
nun einmal der vielzüngige Ruf der neuen Erfindung der Meßmer,
der Puysegür, und wie die großen Männer alle heißen,
in meinem thätigen Leben Haufenweis drängten sich die Wunder,
die geschahen, in meine einsame Studierstube, löschten alle Aphorismen
meiner Lehre aus, als verlorene Worte, und machten mich in der Behandlung
meiner Kranken furchtsam und kleinmüthig.
Aber schnell und als ein ehrlicher Mann entriß
ich mich diesem peinlichen Zustande. Ich verließ Bücher und
Kranke. Keine Reise schien mir zu groß und beschwerlich, um die
Ehre der Wahrheit zu retten, und meinen Glauben wie meine Kenntnisse zu
berichtigen. Ich kam in Straßburg an, und schon den Morgen darauf
stand ich vor dem Stuhle der damals berühmtesten Somnambüle
und Clairvoynate, von der du erinnere mich daran nachher noch
mehr erfahren sollst. In einem Zirkel von gelehrten Männern, die indeß
die tiefsinnigsten Bemerkungen über diesen übernatürlichen
Zustand der Verzückten anstellten, ertheilte sie einem jungen Officier,
dessen sonore Stimme besonderen Eindruck auf ihre schlafenden Sinne zu
machen schien, die richtigsten Antworten auf die verwickeltsten Fragen.
Alle Kräfte meiner Vernunft geriethen in einen Stillstand bey dieser
augenscheinlichen Thatsache. Lange quälte ich mich umsonst, nur
eine leidliche Erklärung dieses Wunders, und besonders des auffallenden
Umstandes zu entdecken, warum die Eingebungen der Somnambüle immer
nur auf die Medicin nie, etwan auf die Politik die Landwirtschaft
die Mineralogie die Naturgeschichte oder die Rechtsgelehrsamkeit gerichtet
seyen, so viel Nützliches auch in diesen Wissenschaften zu entdecken
und Irrthümer zu berichtigen wären, und so sehr oft einem armen
Teufel ein Gefalle geschehen würde, zu erfahren, wie er seinen Prozeß
gewinnen oder sein Korn säen solle?
Endlich, lieber Wilhelm, glaubte ich einigermaßen
in der Sache auf die Spur zu kommen, und den wahren Zusammenhang davon
einzusehen. Da ich immer alle Arten von Entzückungen mir als Wollust
erklärt habe, zu der ein überirdisches Wesen ein sterbliches
verleitet da man in Tollhäusern nur zu häufig Symptome dergleichen
heterogener Vermischungen gewahr wird so kann es wohl seyn, denke ich,
daß eben jetzt ein medicinischer Geist der obern Region seinen verliebten
Ausschweifungen auf unserer Erde nachgeht, und die armen unbefangenen Geschöpfe,
die er zu seinem Willen bringt, mit Kräften schwäng = = =
Doch es ist wahrlich schwer, lieber Freund, Geheimnisse der Art deutlich
zu machen, ohne eine Albernheit zu sagen. Genug, alle mannbare Mädchen,
so viel ich deren nachher noch gesehen habe, die zum Schlafreden zur
Desorganisation zum thierischen Magnetismus geschickt waren bestärken
mich in dieser gewagten Vermuthung. Sie theilen die medicinische Kraft,
die sie durchdringt, sogar, wie den Schnupfen, auch Männern mit, die
mit ihnen in genaue Verbindung kommen wie wir dieses an dem belobten
Propheten sehen, der dich heute curirt hat. Mein System, lieber Wilhelm,
macht wirklich alle andere Erklärungen überflüssig.
Kaum fühlt eine Schöne sich hier in geistigkritischen Stunden
Mit einem reisenden Arzt, der seine Praxis und Kunden
Im Empyreo verlor in heimlicher Ehe gepaart,
So wirkt die Stärkung, die sie in seiner Umarmung gefunden,
Auf ihre Nerven. Sie sieht und heilt die Uebel und Wunden
Der sublunarischen Welt nach empyreischer Art.
Die Blöden staunen sie an. Mit solcher magisch Geweihten
Tritt Lieb´ und Glaub´ und Hoffnung in Bund;
Unwissende werden belehrt, und Kranke werden gesund:
Die Kunst wer weiß es nicht längst? erhabene Träume
zu deuten,
Ward immer nur den Einfältigen kund,
Und Gott erneuert und hier das Wunder aus Bileams Zeiten,
Bis auf des Esels geöffneten Mund."
***
An die vier Monate," fuhr Jerom fort, lebe
ich nun schon in Straßburg, sehe die unglaublichen Fortschritte der
neu entdeckten Naturkraft, und verliere mich täglich mehr in meinem
Erstaunen. Doch was brauche ich dir alle Resultate meiner Erfahrung vorzulegen?
Hast du nicht genug an deiner eigenen heutigen Geschichte? Beleuchte sie
noch einmal mit aller Anstrengung deines Verstandes! Du hast doch deutlich
gesehen und gehört, hast die Weissagungen des Schlafsehers wahr befunden,
und bist überzeugt?"
Ja, bey Gott," erklärte ich meinem Freunde,
das bin ich. Ich erlaube mir von nun an kein Mißtrauen mehr, als
gegen das unbegreifliche Menschenherz, das in mir pocht. Zum Glücke,
das ich seit heute Morgen aus dem Munde des Propheten weiß, welch
eine Seele in mir wüthet. Noch sind keine zwo Stunden verlaufen,
als mich dein Zuruf an dem Abgrunde des Unglaubens zurück hielt.
Wie unüberwindlich kam ich mir nicht in dem Augenblicke vor, da ich
meiner Niederlage am nächsten war! Ich Armseliger! Ein geweihtes Schwert
in der Hand, glaubte ich allen Erfahrungen des Glaubens die Spitze bieten
zu können! Aber desto ernstlicher verabscheue ich jetzt die Sünden
meines Uebermuths. Ich lege in deinen Schoos, lieber Jerom, meine feyerliche
Abbitte an den mächtigen Gesandten der Zukunft, gegen den sich meine
Vernunft empörte, und an alle die großen Männer nieder,
die ihm anhangen, und o! daß die ganze Welt meinen Widerruf hören
könnte! Zu was haben mir die Waffen der prahlenden Vernunft geholfen?
Da liegen sie als unnütze Werkzeuge ihres Stolzes.
Ohnmächtiger, als Dauns geweihter Degen
An Friedrichs Schild, zersplitterte mein Schwert
An des Propheten Stirn. Sein räthselhafter Segen
Jetzt herrlich mir durch den Erfolg erklärt
Macht meinen Glauben fest. Gleich einem, der verlegen
Am höchsten Pranger steht und den Jan Hagel lehrt,
Ruf´ ich mit lauter Stimm´ und vollen Herzensschlägen,
Euch allen ruf´ ich zu, die ihr mein Unglück ehrt:
Wenn Geister Sturm und Drang in eurer Seel´ erregen
Wenn euch, wie mir, ein Wunder widerfährt,
Nicht lange Rath mit der Vernunft zu pflegen,
Und minder noch der Silberlinge Werth,
Die unter Puysegürs und Lavaters Geprägen
Die fromme Welt durchziehn, erst jüdisch nachzuwägen,
Wie ich gethan und Mendelssohn begehrt."
***
Nichts kann rührender und eindringender
seyn, als die Stimme der Ueberzeugung, zumal wenn schon zuvor ein gemeinschaftliches
Glas Wein Redner und Zuhörer zu einander gestimmt hat. Ich stand,
die Hand auf die Brust gelegt, mit freyer Stirn und in einer begeisterten
Stellung vor meinem Freunde, der durch die Ueberströmung meines Herzes
so hingerissen ward, daß er, während daß meine Augen sich
mit Thränen der höchsten Empfindsamkeit füllten, sein Gesicht
hinter seinen Händen verbergen mußte. Er ermannte sich am
ersten schob klüglich Flaschen und Gläser bey Seite, und so
wie Boileau, als er einst zween seiner Freunde, von Burgunder befeuert,
antraf, wie sie den Tod des großen Homer beweinten, und nicht eher
zu trösten waren, bis es ihm gelang, sie aus dem Wirthshause in die
freye Luft zu bringen; so glaubte jetzt Jerom vermuthlich auch dieselbige
Vorsicht bey mir nöthig zu haben, damit ich nicht ganz in Thränen
der Begeisterung zerfließen möchte.
Mäßige dich, bester Wilhelm," sagte
er bittend, solche Scenen sind für deine schwachen Nerven zu angreifend.
Laß uns unsern Wein auf einige Augenblicke verlassen! Vielleicht
beruhigest du dich in der kühlern Nebenstube über alles, was
dir heute das Herz erschüttert hat."
Freundschaftlich nahm er mich bey der Hand,
öffnete eine Seitenthüre und O ihr Mächte des Himmels!
wie ward mir! Kaum wirst du es glauben, Eduard, aber so wahr ich lebe!
ich befand mich mit Leib und Seele in demselbigen Zimmer des Vormittags
sahe dasselbige Bette, und vor ihm denselbigen Stuhl stehen, auf welchem
ich diesen Morgen die Orakelsprüche aus jenem erschallen hörte.
Versteinert stand ich davor, und Jerom fuhr mit schalkhaftem Lächeln
fort: ,,Was sagst du zu meiner Art abzukühlen, mein philosophischer
Freund? Soll ich dir hier noch einmal deinen Namen und die Abenteuer deiner
Seele entdecken? - dich noch einmal auf den Münsterthurm schicken?
oder bist du vor der Hand zufrieden?"
,,Also warest Du," erwiederte ich mit wiederkommendem
Be-wußtseyn ,,Du warest der große Prophet, den mir die Damen
verkündigten? Du warest es, der mich diesen Morgen beynahe um mein
bißchen Verstand brachte?"
,,Kein anderer," sagte Jerom mit zunehmendem
Lachen.
,,Komm, ich beschwöre dich," fuhr ich
fort, ,,bey allem was heilig ist! komm meinem Erstaunen geschwind zu Hülfe!
Woher" und ich schlug mich dabey mit der geballten Faust vor die Stirne
,,woher wußtest du denn, daß ich bey Carlsruh ein Mädchen
den Wölfen übergab?"
Hier stemmte mein boshafter Freund vor Lachen
die Hände in die Seite ,,Weil auch ich," rief er ,,derjenige war,
der neben deinem Wagen hielt, sie deinen Händen anvertrauen wollte,
und deine abschlägige Antwort hörte. Dieß artige Kind
eben dasselbige, das bey meiner Ankunft in Straßburg in der Crise
lag, und mir die erste Gelegenheit gab, das Wunder des thierischen Magnetismus
zu sehen, hatte seit fünf Monaten für eine gute Belohnung die
Somnambüle gespielt, war darüber mit einem jungen Officier
eben demselbigen, der sie damals ausfragte ein wenig zu sehr in Rapport
gekommen, und wurde darüber die letzte Zeit wie soll ich sagen
vor der Hand unbrauchbar = = ="
,,Das, deucht mir, habe ich ihr selbst abgemerkt,"
fiel ich ihm hitzig in's Wort.
,,Ich rettete sie nach Carlsruh' wo unsre Gesellschaft
gute Freunde hat, traf dich, wie du weißt, auf meinem Wege, erkannte
dich ohne Mühe, und erfuhr alles aus deinem eigenen Munde, was ich,
kraft meines Divinationsvermögens, dir diesen Vormittag wieder erzählte.
Es gehörte übrigens nicht viel darzu, voraus zu sehen, daß
mein Ruf dich armen Kranken gewiß vor mein Bette führen würde.
Meine Rolle war dießmal die leichteste von der Welt; und sonach,
guter Wilhelm, ist alles, was dir begegnet ist, nichts mehr und weniger,
als der Scherz eines alten Freundes, der, wie du siehest, einen recht guten
Ausgang genommen hat."
Die Decke fiel mir nun zwar von dem Gesichte
aber zu geschwind. Eine brennende Schamröthe überzog meine
Wangen, sobald das große Geheimniß in seiner armseligen Blöße
vor mir lag. Ich sah mich in Gedanken in meiner ganzen Albernheit auf dem
Lehnstuhle sitzen, und hatte kaum Muth, meine Augen gegen den falschen
Propheten aufzuschlagen.
Mein Zustand erbarmte den gutmüthigen
Jerom. Er nahm mich traulich bey der Hand, hielt allen Spott zurück,
und führte mich aus dem magischen Zimmer, das mir je länger desto
verhaßter wurde. Ich blieb noch eine Weile nachher in sichtbarer
Verlegenheit; endlich kam ich der Frage näher, die mir vorschwebte,
und gewann Kraft, sie hervor zu bringen. ,,Ich war ein Thor' lieber Jerom
= = ="
Kein größerer" fiel er mir in's
Wort, ,,als wir alle sind, wenn ängstliche Wünsche mit einiger
Hoffnung verbunden auf uns wirken"
,,Ich war ein Thor," fuhr ich fort, ohne mich
stören zu lassen: ,,aber vergieb mir was bist denn Du in dem Lichte,
in welchem du dich mir heute gezeigt hast? Was für ein Handwerk treibst
denn Du, alter ehrlicher Freund?"
,,Das Handwerk eines Brutus," antwortete Jerom,
,,der Rom von dem Tyrannen der Unschuld befreyte das Handwerk eines Pascal's,
der unter der Maske der Einfalt sich des heillosen Geheimnisses der Gesellschaft
Jesu bemeisterte. Ohne Verläugnung meines Muthes wäre ich nicht
so mächtig geworden, als ich bin. Aber die Zeit meiner Erniedrigung
ist verlaufen, bald werde ich zu meinen Kranken zurück gehen, und
meine Erfahrung, bis auf deine heutige Geschichte, soll der Welt offenbar
werden"
Diese Erklärung meines Freundes gab mir
einen Stich in das Herz. ,,Nein, mein lieber Jerom," rufte ich, ,,ich
will meinen Gönnern in Berlin nicht als ein einfältiger Tropf
zur Schau gestellt werden; mein Name werde nie in den Jahrbüchern
dieser Schwärmer, Betrüger und Betrogenen genannt."
,,Ist das deine Weisheit?" frage Jerom mit
ernsthafter Stimme ,,Verdient die Wahrheit nicht mehr um dich, als daß
du sie hinter der großen Vormauer des Irrthums, hinter einer falschen
Scham verstecken, und geruhig zugeben willst, daß die Zahl der schuldlosen
Betrogenen sich vermehre? Die Leichtgläubigkeit eines Kranken ist
der verzeihlichste Glaube. Oft traue hierinnen einem praktischen Arzte
kommt diese Schwachheit der Seele körperlicher Genesung zu Hülfe.
Der Gichtfluß, der das linke Bein lähmte, setzt sich nicht immer
nur in das rechte. Nein! er verschwindet oft, ohne wieder zu kornmen! Was
soll man aber von den frommen und gelehrten Männern denken, die nicht
nur mit der Schwäche der Kranken ihr Spiel treiben, sondern auch noch
die gesunde unbefangene Vernunft zu benebeln gedenken? Für was sollen
wir die Stifter der neuern Sekten ansehen, die solche Schriften in alle
Welt schicken, als ich dir hier vorlege?"
Ein ungeheurer Haufe! Ich wählte einige
aus, die mit berühmten Namen in dem Reiche der Gelehrsamkeit gestempelt
waren, und Jerom störte mich nicht in der Aufmerksamkeit, die ich
ihren widersinnigen Behauptungen, ihren erlogenen Erfahrungen und ihren
anstößigen Muthmaßungen länger als eine halbe Stunde
schenkte. Seufzend legte ich endlich den ganzen Wust bey Seite, und wendete
mich an meinen kalblütigen Freund. ,,Lieber Jerom," sagte ich, ,,erlaube
ja auch diesen braven Männern krank zu seyn: denn sonst bleibt keine
Entschuldigung für sie übrig."
,,Bey einigen" antwortete mein gut denkender
Arzt, ,,aber gewiß nur wenigen kann deine entschuldigende Vermuthung
wohl wahr seyn. Du würdest vielleicht auch ein Buch über das
Divinationsvermögen, über den thierischen Magnetismus, oder über
die Wunder der Desorganisation geschrieben und edirt haben, wenn ich dich
so in deinem Irrthum hätte forttaumeln lassen. Aber, glaube mir, der
größte Theil unserer Schriftsteller schreibt nicht aus Liebe
zur Wahrheit, aus Drang der Ueberzeugung oder aus Eifer für das Gute
und Nützliche; sondern aus jenem gelehrten Stolze, der, gleich dem
Kerkerfieber in England, nur in den engen finstern Studierstuben herum
schleicht, und dann und wann die glänzenden Bewohner der feinen Welt
zu Mitleiden und Almosen bewegt. Ich kenne viele dieser schreibsüchtigen
Gespenster. Der Gedanke, Aufsehn zu machen, die Augen auf sich zu ziehen,
die sich eben nach einem andern umdrehen wollen; das ist der Dämon,
der sie treibt und drängt! Keiner kann ertragen, daß er vernachlässigt
werde, und sobald einer sein Pult mit Ruhm verläßt, setzen sich
gleich hundert an das ihrige, um so geschwind als möglich das Händeklatschen
auf ihre Seite zu bringen. In Ansehung der Mittel? O da denken sie nicht
seiner, als jene Wirthin zum schwarzen Bocke in Harlem."
Und was begann denn diese? lieber Jerom!"
Das will ich dir bey einem Glase Wein erzählen,
und dir die Anwendung überlassen."
***
Es war in dem Jahre acht und vierzig, als
ihr Mann," fuhr Jerom fort, ihr den Gasthof zum schwarzen Bocke hinterließ,
der noch nicht weit von dem Leidener Thore zu Harlem zu sehen ist, und
noch jetzt, glaube ich, einem aus ihrer Verwandtschaft gehört. Das
Weib war artig, gesprächig, und von eben so guter als billiger Bewirthung,
besonders nachdem, durch den Tod ihres Mannes, ihre wohlthätigen Neigungen
von ihr allein abhingen. Der Gasthof kam auch gar bald in die größte
Aufnahme. Da war keine Schüte, die von Leiden kam, keine die abging,
die ihr nicht stündlich zu verdienen gab. Zur Zeit der berühmten
Messe war eine Wagenburg um ihr Haus geschlagen. Es geschah oft, daß
über den Zulauf Mangel an Raum in der Herberge entstand; und dennoch
lagerte man lieber unter freyem Himmel vor ihrer Hausthüre oder in
dem Hofraum, als daß man sein Pfeife in einem anderen Gasthofe geraucht
hätte.
Diese Vorliebe eines, ihren Freunden so anhänglichen
Volks, dauerte viele Jahre zu Gunsten der Frau. Sie hatte ihre Bewirthung
in ein gewisses sicheres System gebracht, von dem sie zu keiner Zeit abging,
und es war also mehr als wahrscheinlich, daß ihre Gäste sich
eher vermehren als vermindern würden. Demohnerachtet, lieber Wilhelm,
so unerklärlich es auch seyn mag, wußte der Gasthof zum Patrioten,
der noch darzu viel entlegener vom Hauptthore war, nach und nach alle ihre
Kunden an sich zu ziehen, und es ward zur Mode, bey ihr vorbey zu gehen.
Viele hatte sogar die Unhöflichkeit, sie zu grüßen, wenn
sie eben vor ihrem Hause stand: aber keine Seele fragte übrigens nach
ihrem Portwein, nach ihren schwarzen Augen, und nach ihrem Salm.
Ein ganzes Jahr beynahe ging so hin, ohne
Verdienst und Genuß. Noch immer schmeichelte sie sich mit der Hoffnung
des gewöhnlichen Wechsels der Dinge Als aber die Kirmse einfiel,
und auch da nach ihr Gasthof unbesucht blieb, ungeachtet sie den
verbleichten Bock hatte auffrischen lassen, und die weißesten Vorhänge
hinter den Fenstern durchblinkten, da ward sie durch ihr unverdientes Schicksal
zu heißen Thränen bewegt. Es thut mir leid daß ich es
sagen muß, aber sie sprach mit Bitterkeit über die Menschen,
und schimpfte mit den ausgesuchtesten Worten auf den schelmischen Wirth
zum Patrioten. Doch war sie zu klug, dabey stehen zu bleiben. Sie kannte
die Menschen, und mit dieser Kenntniß verhungert man nie. Sie schwur,
sich an ihrer Untreue zu rächen. Morgen," sagte sie, will ich dem
Patrioten zeigen, was ein entschlossenes Weib vermag! Ist euch guten Leuten
mein Gesicht zu alltäglich geworden? O dafür will ich Rath
schaffen. Morgen sollt ihr mir vierfach bezahlen, und doch bey mir einkehren."
Der Morgen kam. Was that unsere klugen Frau?
Eine Kleinigkeit; sie nahm nur eine ungewöhnliche Wendung in der Ordnung
der Natur vor. Non erubescit"
dachte sie ließ ein Paar große blaue Augen und eine Nase
darauf malen, und steckte, so bald es lebhaft auf den Gassen ward, diese
wunderliche Figur, neben der zum Ueberfluß rechts und links ein Paar
blasende Trompeter gestellt waren, zum offenen Fenster hinaus.
Von diesem Augenblick an war es um den Wirth zum Patrioten geschehen.
Kein Mensch dachte weiter an ihn. Der unerwartete witzige Einfall der Frau
entschied ihr Schicksal auf immer. Sie hatte noch keine zehn Minuten in
dieser gezwungenen Stellung verlebt, so wimmelte Haus, Hof, Garten und
Stall von immer mehr zuströmenden Gästen und Pferden, und seit
undenklichen Zeiten war nicht so viel in Holland gelacht worden, als heute.
Ein alter Offizier, der ein Circular vom Erbstatthalter in der Tasche
hatte, verzögerte noch um eine ganze Stunde den schwerfällige
Umlauf dieser Staatsschrift, und hiel gravitätisch mit seinem dürren
Pferde unter dieser Figur. Ein Matrosenjunge, der doch jüngst erst
von Indien zurück gekommen war, erkletterte eine nahe Linde, um näher
und ungestörter diese Seltenheit betrachten zu können. Ein
Quaker und seine Matrone von Frau, die Gebetbücher noch in der Hand,
hatten sich hier niedergesetzt und tranken ihr Doppelbier, ehe sie weiter
zu ihrer Versammlung schlichen; und man sagt sogar, daß die dortige
Akademie einige ihrer Mitglieder abgeschickt habe, dieß Phänomen
in Untersuchung zu nehmen. Der berühmte Trost, der Hogarth
der Holländer, wurde aus einem anderen Weinhause herbey geholt, um
diesen Auftritt, wie ich ihn die hier beschrieben habe, nach der Natur
zu malen. Es gelang ihm vortrefflich. Das Gemälde wurde aus theuerste
verkauft, kam in das berühmte Cabinet von Brancam, und A. Delfos
hat es unter der Unterschrift Les
Abusés in Kupfer gebracht. Solltest du es nicht selbst
in deiner Sammlung besitzten?"
Ja wohl besitze ich es, lieber Jerom," antwortete
ich, ohne bis jetzt gewußt zu haben, was ich dabey denken sollte,
wie mir das mit manchem andern Portrait berühmter Leute geht, in denen
man eben so wenig Physiognomie entdeckt, als in diesem. Aber fahre nur
in deiner interessanten Geschichte fort."
Da der Zulauf zu diesem Wirthshause" fuhr
Jerom fort, nicht aufhörte, der Beyfall immer lärmender ward,
so gelangte endlich ein ernstlicher Befehl des Magistrats an die Wirthin,
ihr bedenkliches Zeichen einzuziehen, ein geehrtes Publicum nicht länger
zu äffen, und ihr Blendwerk für sich zu behalten. Aber die Herren
hatten vergessen, die Volksstimme dabey zu Rathe zu ziehen. Man widersetzte
sich im Tumult diesem Befehle; schrie über Beeinträchtigung der
republikanischen Rechte; berufte sich auf die Preßfreyheit, Toleranz
und Publicität; und Vornehme und Geringe behaupteten sich in dem ungestörten
Anschauen dieses verbotenen Gesichts. Hatte der erste Tag Leute
herbey gezogen, so that es der zweyte, dritte nebst den folgenden noch
mehr. In kurzem verbreitete sich der Ruf dieses Wunderwerks durch alle
sieben Provinzen. Man machte Lustreisen von den entlegensten Flecken und
Eylanden hierher. Die Neugierigsten blieben über Nacht da, und diese
Nächte wurden theuer bezahlt. Kein fremder Prinz, kein Gesandter reiste
durch Holland, ohne das Wirthshaus zum schwarzen Bocke zu besuchen. Die
Stadt kam in bessere Nahrung. Die Zölle an den Barrieren erhöhten
sich ungewöhnlich, und da die Obrigkeit ihren Vortheil so augenscheinlich
sah, schwieg auch sie, und die Witwe Gott habe sie selig! sah sich,
ehe ein Jahr verging, zu ihrem eigenen Erstaunen, berühmter, besuchter
und reicher, als sie jemals im Traume gewesen war. Indeß erzählte
mir doch ein dortiger würdiger Gelehrter, daß eben die Frau,
die vor ihren Zeitgenossen nicht erröthete, als noch die blasenden
Trompeter neben ihr standen, sich nachher, als der allgemeine Enthusiasmus
verraucht war, nicht habe der Schamröthe erwähren können,
wenn sie auf dem Trostischen Kupfer die Hauptfigur erblickte, die
ihr Andenken auf die Nachwelt bringen würde.
Nun frage ich dich, lieber Wilhelm, ob die
Geschichte meiner Harlemer Wirthin mit der Geschichte unserer meisten
neuern Schriftsteller nicht ganz von Einem Schlage ist? In beyden einerley
Triebfedern und Räder Unverschämtheit aus Ruhmsucht, und Ruhmsucht
aus Gewinn Das ist die Progression, nach welcher sie handeln, denken
und schreiben und du siehst, ob es ihnen gelingt! Schlage alle unsere
gelehrten Zeitungen und Journale nach! Welche Namen sind es, die am meisten
darinnen flimmern? Die Namen der Schwärmer, der Lügner, der
Mitglieder geheimer Gesellschaften, und die sich´s etwas kosten lassen,
gelobt zu werden. Was für Winkelzüge werden nicht gebraucht,
um den Recensenten so schwer es ihm auch ankommen mag eine beyfällige
Miene abzulocken, und was für Antikritiken treten ihm frech unter
die Augen, wenn er die guten Leute wie sie sagen nicht verstanden hat!
***
Der Urtheilsspruch, der aus den Fingern
Gelehrter Ruhmvertheiler schleicht,
Das ist der Kranz, der unsern Ringern
So vieler Lanzen würdig deucht.
Sie überlaufen sich, und werfen
In ihres Angesichtes Schweiß
Den letzten Pfeil den letzten Scherfen
Nach diesem ausgesteckten Preis.
Non
erubescit denken Alle,
Vom Tyberstrom bis an den Rhein,
Im schmetternden Trompetenschalle
Mit meiner Witwe überein;
Belohnt, wenn unter ihrem Schilde
Die Marktgeschäfte stille stehn,
Und Tausende mit ihrem Bilde
Und ihrer Schrift hausiren gehn!
Bezeichnet dir Apollens Stimme
Den Weisesten von Griechenland,
So weißt du nicht, durch welche Krümme
Sich Sokrates nach Delphi fand.
Indem dem Accoucheur der Dichter
Die Pythonissin sich entblößt,
Wer mag´s enträthseln, welch ein Trichter
Ihr die Begeistrung eingeflößt!"
***
Dein Geschichtchen, lieber Jerom," sagte ich
lächelnd, ist ernsthafter, als man nach dem ersten Ansehen vermuthen
sollte, und deine boshafte Anwendung auf unsere Schriftsteller nur allzu
wahr. Paßt das Sprüchlein des Shakespear, (hinter das einer
von denen, die vor uns liegen, seine neue Entdeckung zu verschanzen sucht,)
nicht eben so richtig unter das Fenster deiner Harlemer Wirthin? Es giebt
vieles zwischen dem Mond und der Erde," betet er dem Dichter nach wovon
sich unsere Compendien nichts träumen lassen." Nichts ist wohl leichter,
als zu einer Thorheit eine klugen Sentenz zu finden! Doch was geht mich
aller dieser Schnickschnack an! Ich danke dir übrigens herzlich für
deinen theoretischen und praktischen Unterricht: nur wollte ich wünschen,
daß die hübschen artigen Mädchen, die mich zu dir geschickt
haben, ihn mit mir getheilt hätten. Die armen liebevollen Kinder fangen
mich an recht ernstlich zu dauern. Welcher vorsichtige Mann wird eine Schöne
heirathen, die unter den Händen der Manipuleurs, Desorganisateurs
und Magnetisten gezappelt hat?"
O deswegen sey ohne Sorgen, lieber Wilhelm!"
antwortete Jerom. Das schöne Geschlecht weiß aus allem Vortheile
für seine Versorgung zu ziehen, und unsere jungen Herren besuchen
unser einen am liebsten, je blühender und reitzender das Mädchen
ist, das in der Crise liegt. Ueberall findest du jetzt Adepten der neuen
Curart, die mit der ersten besten hinfälligen Schönen ihre Kunst
probiren. Von beyden Theilen spielt man seine Rolle so geschickt, daß
eins den andern betrügt, ohne Betrug zu argwohnen. Wenn das nicht
Heirathen schließt, so weiß ich nicht was es thun soll. Aber
sage mir, lieber Wilhelm, möchtest du nicht selbst einige Tage darauf
verwenden, unsere Handgriffe zu lernen? Du könntest für deinen
Spaß, sogar für dein Ansehen in der Fremde, nichts Wichtigeres
von hier mitnehmen. Ohne Mitglied irgend einer geheimen Gesellschaft zu
seyn, sollte jetzt kein vernünftiger Mann einen Tritt aus dem Hause
thun. Freymäurer bis du doch wohl schon längst?"
Nein! auch das" antwortete ich beynahe verschämt,
bin ich nicht, bester Jerom. Ich habe nie viel auf die Triangel gehalten.
Sogar der Platonische *) ist mir gleichgültig geworden, seitdem
ich nicht gut mehr damit zurecht kommen kann."
____________________
*) Die Platonische Liebe
und das Platonische Dreyeck sind einander gerade entgegen gesetzt. Das
Wesen einer jeden Zeugung, sagt dieser Weltweise, besteht in der Einheit
der Uebereinstimmung der Zahl Drey oder des Dreyecks, wozu der Vater, die
Mutter und das Kind die Linien geben.
____________________
Armer Freund!" sagte Jerom, wäre es
nicht schon so spät doch morgen will ich früh zu dir
kommen, und dich als Arzt in Untersuchung nehmen. Noch eine herzliche Umarmung!
und nun für heute Gott befohlen!"
***
Ungern trennte ich mich zwar von meinem Freunde: aber ich nahm doch
eine Ruhe, eine Sicherheit der Seele und ein so voll zugemessenes Vergnügen
mit, das ich nicht beredt genug bin dir zu beschreiben. Die Nacht sagt
das Sprichwort ist keines Menschen Freund! Aber nach dem Schlusse eines
solchen Tages ist sie´s, und sie war es mir heute mehr als jemals.
***
Wie könnte dem des Schlafs Erquickung mangeln,
Den der Gedanke wiegt: Er, ohne den kein Haar
Von deinem Scheitel fällt, dreht noch, unwandelbar
An Kräften und Gewicht, die Welt in ihren Angeln!
Dir schloß die Sonne nicht in ihrem Tagelauf
Ein neu entdecktes Thor der Offenbarung auf,
Erfüllte nicht dein Herz mit neuen Glaubenssorgen,
Und gab, aus einem Sturm, der Tausende zerstreut
Und Tausende verschlang, geborgen,
Dir einen Freund zurück aus deiner Jugendzeit,
Und dieser Freund umarmt dich morgen!
***
Ich lächelte aus dem Gefühle der
innigsten Zufriedenheit, als ich mein Deckbette über mich warf, wie
ein Mensch, der einen verwickelten Prozeß gewonnen; und dieß
Lächeln schwebte mir noch um den Mund, als mich, nach genossener Ruhe,
die Ankunft meines Freundes und Rathgebers weckte.
Ich hebe dir von dem süßen Geschwätze,
das mit ihm kam und den Morgen ausfüllte, dasjenige aus, womit er
mich als Arzt abfertigte. ,,Du hast," sagte er ernstlich, ,,viele Umwege
genommen, um dich von der Natur zu entfernen: jetzt nimmt sie und es
kann dich wundern? eben so viele, ehe sie sich wieder zu dir findet.
Du hast über dein eigenes Selbst hinweg, starr auf die Menschen gesehen,
bis es dir vor den Augen flimmerte. Du hast gelesen, gelesen, bis du dich
selbst nicht mehr verstanden hast. Du hast so viel über das Leben
und Weben des Erschaffenen nachgedacht, bis du am Ende nicht wußtest,
dich in dein eigenes Daseyn zu finden - hast Schlüsse an Schlüsse
gekettet, und so fest um dich hergeschlungen, daß du keinen Schlupfwinkel
mehr vor dir siehst, durch den du ungedrängt und unbeschädigt
dich retten könntest. Thörichter, thörichter Freund! Und
um so hohe Vollkommenheiten zu erlangen was hast du von dem Deinigen
darauf verwendet? Das größte Gut, das die Natur geben kann
Gesundheit! In ihr liegt die wahre Weisheit. Dein Kopf ist geschwächt,
dein Magen verdorben, deine Brust ausgetrocknet, dein Eingeweide zusammen
gezogen, und dein Puls in Unordnung Und Du verlangst mit dieser knarrenden,
verstopften, schwerfälligen Maschine menschliche Pflichten erfüllen
zu können? Wie will so ein elendes Geschöpf ein nützlicher
Bürger, ein thätiger Freund, ein gütiger Hausherr, ein zärtlicher
Ehemann und ein Vater munterer und gesunder Kinder seyn? Zu welcher Rolle
auf dem Theater der Welt ist so eine verrostete Puppe geschickt? Gehöhnet,
geflohn, gemißbraucht zu werden, unbedauert und unvermißt in's
Grab zu schleichen: das ist ihr Loos, und o, daß ich es sagen muß
ist das deinige!"
,,Höre auf, lieber Jerom" unterbrach
ich den Fluß seiner Rede mit bebenden Lippen, ,,du tödtest mich
sonst mit deiner gräßlichen Vorstellung! Hätte ich doch
nicht geglaubt, daß man so gesund seyn müsse, um nur die Achtung
eines Arztes zu verdienen? Aber setze den Arzt bey Seite: rathe mir als
ein schonender Freund, oder nimm nur so viel von jenem darzu, als nöthig
ist, diese knarrende, ungelenke Maschine wieder in Stand zu setzen!"
Mit mitleidiger Freundlichkeit drückte
mir der gutmüthige Mann die Hand. ,,Höre meinen Rath," fuhr
er traulicher fort, ,,lieber Wilhelm und es kann sich noch ändern.
Du gehst zu deinem Glücke in das Land des Leichtsinns: nutze diesen
Umstand zu deiner geistigen und körperlichen Genesung, wie ihn andere
zu ihrem Verderben mißbrauchen. Suche den Scherz und das Lachen auf,
wo du es antriffst. Die Wahl unter ihrer Sippschaft lasse ich geruhig dir
frey. Meide alle und jede, die man dir als große Männer ankündigt
alle Schriftsteller die Wunderdoctoren aller Facultäten und
fliehe besonders jene Magazine der Vielwisserey, die Bibliotheken, die
jetzt fast alle Städte verengen, die Miethen theurer, und die besten
Säle unbrauchbar machen die, wenn die Wuth sie zu sammeln noch tausend
Jahre so fortgeht, endlich die weite Welt einnehmen und das Menschengeschlecht
daraus verdrängen werden, ohne es um einen Grad glücklicher zu
machen.
Hörst du von Wunderkraft entflammte Zungen schrey´n:
Auf unserm Mark ist Himmelsbrod gemein!
So geh vorbey und glaube keiner;
Der Koth wird immerfort gemeiner
Als Himmelsbrod auf ihren Märkten seyn.
Die Wenigsten sind klug." Auf diesen Grund erbaue
Dir dein System; und hüte dich und traue
Der Stimmen Mehrheit nicht, obgleich die schwache Welt
Sie über uns zum Richter aufgestellt.
Wie leicht vereinigen sich Thoren
In einem Zweifelspunct! Sie achten deiner Ohren
Und deines Widerspruches nicht
Geht es ad plurima
am letzten Weltgericht,
So ist der Philosoph verloren
Und dennoch bleibt sein nützlichstes Geschäfte,
Verirrten nachzuspähn. Sein scharfes Auge hefte
Vor allen sich auf das, was Untersuchung flieht!
Die Rose, die auf unsern Beeten blüht,
Zieht aus dem Dünger ihre Balsamkräfte;
Und aus dem stinkenden Gebiet
Des Truges und der Thorheit zieht
Die Weisheit ihre Nahrungssäfte.
Suche nirgends Erbauung, als in den Wäldern
unter dem Gesange der Vögel, und an dem rieselnden Bache! So lange
das Blöken der Lämmer dir nicht näher an´s Herz tritt,
als das Blöken der Menschen, so sage noch nicht, daß du gesund
bist, und werde noch wachsamer über dich selbst! Ueberlasse dich auf
einige Zeit ganz jener glücklichen Art vom Müßiggange,
die mehr Thätigkeit in sich enthält, als manches Aemtchen im
Staate.
Wenn von dem Morgenschleyer nun
Dein Liebesblick das Land enthüllet,
Die Saaten tief im Rauche ruhn,
Der aus der Aehren Blüte quillet,
Und sich dein Herz mit Freude füllet,
Und dir es Noth wird wohlzutun;
Wenn alles mit dir lebt und fühlet,
Sich sympathienvoll dein Fuß
Am Tausendschön vorüber stiehlet,
In dessen Kelch mit Schnellgenuß
Des Lebens eine Mücke wühlet;
Dein Geist in Harmonie gewiegt,
Kraftvoller durch sein Wohlbehagen
Die Lobgesänge überfliegt,
Die deiner Zunge sich versagen;
Dein volles Herz die Adern spannt,
Mit Rosenöhl die Wangen schminket,
Und von Gefühlen übermannt
Im Strudel der Natur versinket
Sprich! ob dann besser angewandt
Dir einer deiner Tage dünket?
Und will ein Thor, den im Gebrauch der Zeit
Nur Sorgen der Geschäfte quälen,
So fromme Tage für entweiht
Im Laufe deines Lebens zählen;
So lohne der Vermessenheit
Das Hohngelächter weis´rer Seelen.
Selbst der Verwesung ausgestreut,
Wird über unsrer Gräber Höhlen
Der Same eines Tags von solcher Fruchtbarkeit,
Den besten Tagen beygereiht,
Nie unserm Erntenfeste fehlen.
,,Hüte dich, so viel du auch Kohlenstaub
von deinem Heerde zutragen könntest, an dem großen Prozesse
der Aufklärung mitzuarbeiten, und hüte dich vor dem Laster der
übeln Laune, damit du, wenn deine Hütte brennt, nicht mit Ferngläsern
suchest, wo der Rauch herkomme. Deine Weisheit lehre dich, mit den Thorheiten
und Schwachheiten der Menschen zu spielen, und ihnen dieselbige Freyheit
bey den deinigen zu lassen, ohne Mißtrauen, ohne Strenge. Denke
selbst, wie rein die Tugenden desjenigen wohl seyn mögen, der andern
keine zutraut, da wir doch nur mit dem Gefühl unsers eigenen Herzens
die Bewegungen aller andern verstehen können? Weise auch nicht gleich
jede schalkhafte Leidenschaft, die bey dir anklopft, wie einen Bettler
von dir! Der herrliche Wein, der jenes Land bekränzt, sey deine Arzeney,
das flammende Gesicht des braunen Mädchens dein Arzt, und das Spielwerk
der Liebe deine Philosophie!"
Länger konnte ich vor Ungeduld nicht zuhören.
,,Deinen medicinischen Rath in Ehren und der Moral unbeschadet, lieber
Jerom, brach ich mit Unwillen gegen ihn los, ,,wohin könnten mich
deine Epikurischen Verordnungen nicht bringen? Doch es hat keinen Anschein,
daß ich sie mißbrauchen werde. Das Spielwerk der Liebe? Sehr
wohl! Eben so leicht könntest du mir die Trommel und das Steckenpferd
meiner Kindheit empfehlen. Wüßtest du, mit welcher neidlosen
Gleichgültigkeit ich auf jene Berauschung der Sinne herab sehe wüßtest
du, daß mein Nachdenken mich noch um einige Grade weiter gebracht
hat, als den großen Büffon das seinige daß ich nicht
nur, so gut wie er, auf der geistigen Seite der Liebe nichts finde, was
der Mühe eines Mannes lohne, sondern auch selbst für das Gute
keinen Sinn habe, was er ihrer physischen zugesteht: gewiß, lieber
Jerom, du würdest dein Recept ändern! Wenn nur von den Reitzen
eines Mädchengesichts, von den Küssen ihres Mundes wenn nur
von Wein und Scherz, Müßiggang und Liebe meine Genesung abhängt
Freund! Freund! so bin ich verloren."
,,O ihr weisen Geschöpfe!" rufte
Jerom aus, ,,habt ihr denn noch nicht einsehen gelernt, daß andere
Verhältnisse auch andere Menschen, und ein ander Clima auch andere
Empfindungen erzeugen? Wenn mein Rath für einen flatternden Jüngling
Schierling in unverständigen Händen seyn würde, so ist er
Dir hingegen ein wohlthätiger Balsam auf dein erstarrendes Haupt.
Ziehe, wenn du nicht anders willst, den weitern Weg nach diesem freundlichen
Lande, dem kürzern vor! Behandle dich meinetwegen noch eine Weile
als einen Klumpen, von dem der Rost sich erst abschleifen muß, ehe
seine wahren Bestandtheile hervor treten! Uebrigens lache ich zu deiner
trotzigen, noch über Büffon erhabenen Stärke. Wie geschwind
wird deine dickblütige Moral verdunsten, wann dich erst die auflösende
Sonne jenes Landes durchwärmt haben wird!
Dort, wo geheimer Jugend Zauber
Durch lachende Gefilde walzt;
Wo schon der Auerhahn und Tauber
In dem December girrt und balzt,
Und dir kein Kämpf und dir kein Glauber
Das Brod nimmt und den Wein versalzt;
Wo unter lauter Schäferstunden
Der Gott der Zeit sich schwindlich dreht,
Und nicht so leicht ganz unempfunden
Ein Jugendwunsch verloren geht;
Wo statt des Nordwinds nur Gefieder
Schalkhafter Weste dich umwehn,
Und alle Herzen, alle Mieder,
Und alle Fenster offen stehn!
Dort ist die Kunst, das zu entbehren,
Was die Natur im Uebermaß verschenkt,
Im süßen Kampfe mit Cytheren
Sich ehrlich seiner Haut zu wehren,
Nicht halb so leicht als Mosheim denkt."
Ich fürchte, lieber scherzender Freund,"
sagte ich halb lächelnd, daß ich deine heutigen Weissagungen
noch apokryphischer finden werde, als deine gestrigen. Du würdest
mich nicht wenig damit geängstiget haben, als ich noch vor deinem
Bette saß, und deine Orakelsprüche für excentrische Eingebungen
hielt. Heute ist mir schon leichter dabey ums Herz, und deine Freundschaft
wichtiger als dein Divinationsvermögen. Doch, Bester Warum eilts
du von mir, mein Jerom?"
Um einem artigen Kinde zu Hülfe zu kommen,"
flüsterte er mir zu, indem er mich mit nassen Augen an seine Brust
drückte. Sie ist freylich nicht von Eisen und Stahl," setzte
er hinzu wie man aus der Magnetcur schließen sollte, in die sie
sich begeben will: aber so reitzend und unbefangen, daß es für
einen Naturforscher schon der Mühe werth ist, ihr ihre funfzehnjährige
Beichte abzunehmen, und sie mit einem guten Rathe zu entlassen."
Nur um des Himmels willen," rufte ich ihm
nach keinen von dem Umfange, als du mir zu deinem Andenken zurück
lässest! Und nun lebe wohl!"
So trennten wir uns zwar bänglich und
zärtlich; aber doch durch ein gegenseitiges heiliges Versprechen beruhigter,
uns einander nicht wieder so weit aus dem Gesichte zu verlieren. Bald nachher
nahm ich Abschied von dem Orte, der mir einen Jugendfreund in die Arme
führte, meine Kenntnisse so erstaunlich bereicherte, und mich, welches
Dir
zu Haus und Hof kommt, so geschwätzig gemacht hat.
***
Ich hoffte, als mir Straßburg und der
Münster mit seiner Plateforme und seinen neun und neunzig Stufen im
Rücken lag, aus der Ernte, die ich dort eingescheuert hatte, so viele
erlesene Frucht zu gewinnen, daß ich den ganzen Weg über davon
zehren, und für dein Bedürfniß die feinsten Körner
zurück legen könnte. Aber ich betrog mich in meiner Rechnung.
Die Geschwindigkeit und das Rasseln meines Fuhrwerks auf dem herrlichsten
Pflaster, wodurch nur ein Sieger eine eroberte Provinz an seine Lande fesseln
kann, ließen keinen Gedanken aufkommen. Wie ich merkte, daß
es mit dem Denken nicht ging und das äußere Gefühl das
innere immer überschrie, faßte ich meine Seele in Geduld, ließ
mich von einem Postillon nach dem andern fortschleppen, ohne auf Tag und
Nacht zu achten, und sicher, daß ich nicht der erste seyn würde,
der gedankenlos nach Paris käme, freute ich mich nur der heilsamen
Erschütterung, in der sich alle Theile meines Körpers befanden,
und dachte, wenn sich jetzt nicht der Rost von deinem Golde abschleifet,
so geschieht es nie.
In diesem Mittelzustande ist man in der Ecke
eines bequemen Wagens vortrefflich aufgehoben. Selbst das Getös, das
um und neben mir herrschte, je näher ich der Hauptstadt kam, vermochte
nicht eher mich aus meiner vortheilhaften Lage zu bringen, bis es in immer
zunehmendem Wachsthum endlich zu einem Grade der Tortur anstieg, der wohl
noch einen hartnäckigern Verläugner seiner selbst überwältiget
hätte. Ich fuhr erschrocken auf, und hätte organisirt seyn müssen,
wie J.D., wenn ich nicht hätte errathen wollen, wo ich wäre.
Das ganze große bewegliche Gemälde, als wenn es vom Höllen-Breugel
gemalt wäre, stand vor mir.
***
Ein bettelndes, mit dem erhab'nen Schwindel
Des vaterländ'schen Ruhms beseligtes Gesindel;
Das höchste Mißgetön des städtischen Gewühls;
Der Amoretten Schaar in aufgefärbtem Zindel,
Mit allem Ungestüm des hungrigsten Gefühls;
Der spähende Betrug, der mich, mit seiner raschen
Gehülfen Zahl, vertraut willkommen hieß
Rief warnend mir in's Ohr: ,,Verschließ
Verschließ dein Herz und dein Taschen:
Du bist im Weichbild von Paris!"
***
Man hatte in Straßburg meinem Johann
das Hotel der vier Nationen empfohlen ein nicht unebenes Gegenbild des
berühmten Zufluchtsorts der Wissenschaften, den der Cardinal Mazarin
den vier cultivirtesten Völkern der Erde, zu ihrer noch höhern
Vervollkommnung, in seinem Testamente aufschloß. Da diese contrastirende
Vergleichung keine hinlängliche Ursache enthielt, der Anweisung meines
Johanns nicht zu folgen, so versprach ich mir, obschon ein krankes Mitglied
einer dieser so vorzüglich an Leib und Seele dotirten Völkerschaften,
dennoch eine gute Aufnahme; merkte aber bald, daß die deutsche Nation
nach französischer Rechnung unter den vieren wohl nicht die geachtetste
seyn mochte.
,,Gute Zimmer?" fing der Wirth meine Frage
auf, indem er mich, von meiner Bibermütze an, bis zu meinen Pelzstiefeln
herab, in Untersuchung nahm, und bedenkliche Blicke bald auf meinen Johann,
bald auf meinen Mops warf ,,Gute Zimmer? O ja, diese fehlen in diesem
Hotel nicht; die schönsten werden für Engländer aufgehoben,
die Verstand genug haben, sie nach ihrem Werthe zu bezahlen." Er sah
mir während dieser trockenen Erklärung steif in's Gesicht, und
fuhr, da ich mich hinter den Ohren kratzte, noch trockener fort ,,Auch
stehen zwey Treppen hoch noch ganz artige Zimmer frey etwan für
einen deutschen Prinzen oder Grafen." Und da ich, auch diese Wendung seiner
Rede nicht zu verstehen, verstopft genug war, sagte er mir endlich, mit
sichtbarer Aergerniß über meine schweren Begriffe, rund heraus:
,,Mit Einem Worte, mein Herr, ich kann Ihnen im Hinterhause nur mit einer
Kammer für Sie und Ihren Bedienten aufwarten, wenn Sie Sich noch so
lange in dem Ansprachzimmer gedulden wollen, bis sie der Koch des Herzogs
von Dorset, der eben im Begriff ist abzureisen, geräumt hat." ,,Gut!"
sagte ich, um dem Geschwätze eine Ende zu machen, und ward in das
Sprachzimmer gewiesen.
Hat jemals ein Ort seinem Name Ehre gemacht,
so war es dieser. Es war eine wahre Marterkammer für deutsche Ohren.
Ich flüchtete, so bald ich hinein trat, nach einem Lehnstuhl, der
in der entferntesten Ecke stand. Doch diese Vorsicht war von schlechtem
Nutzen: vielmehr machte ich mich der Masse Menschen nur noch bemerklicher,
die sich nun wie ein Knaul entwickelte, und mich in einen sich immer verengernden
Kreis einschloß, der aus Kürschnern, Spitzenhändlern, Huthmachern,
Modekrämern, Lottowerbern, Haarkräuslern, Schneidern, Schwertfegern,
Mädchen= und Roßtäuschern zusammen gesetzt war, die mir
alle, mit einem großen Aufwande von Worten, ihre wichtigen Dienste
und ihre Waaren feil boten. Zu was für einer Figur würden sie
mich in der Geschwindigkeit umgestaltet haben, wenn ich der Laune gewesen
wäre, mich ihrer Ausbildung zu überlassen! Statt aller Antwort
auf ihre beredten Anfälle, hielt ich mir die Ohren zu, und drückte
mein Kinn tiefer in meinen Oberrock.
Diese hypochondrische Unhöflichkeit fertigte
sie geschwinder ab, als die beste Rhetorik denn ein Franzos hört
sich gern und will gern gehört seyn. Ein einziger Lehnlakey ließ
sich nicht davon anfechten, und brachte mich durch seinen ausdauernden
Ungestüm so aus der Fassung, daß mir das ernstlichste allez
au diable entfuhr, das vielleicht heute im ganzen Königreiche
gesprochen wurde.
Daraus erwuchs aber eine neue Verlegenheit
für mich. Die harte Aussprache meines Fluchs störte einen Abbé
auf, der bisher mitten in dem allgemeinen Lärm in einer Fensterecke
geschnarcht hatte. Er erhub sich taumelte schlaftrunken auf mich zu,
rückte vertraulich einen Stuhl neben den meinigen gab sich mir als
ein Membre du Musée de
Paris zu erkennen, und bot mir, ehe ich mich so etwas versah,
einen Cours de belles lettres,
die Stunde für einen Louis, an. Er habe, fuhr er fort, Deutsche im
Unterricht gehabt, die bey ihrer Ankunft nicht im Stande gewesen wären,
nur Charmante Gabriele
ohne Fehler auszusprechen, und die jetzt = = = Indem pflanzte sich, zu
meinem Glücke, ein stammhafter Miethkutscher vor uns hin, der mein
wahres Bedürfniß ungleich besser zu errathen schien, als jener.
Mein Herr" unterbrach seine rauhe Stimme
das sonorische Geschwätz des Gelehrten, Sie dürfen nicht hoffen,
so lange Sie hier sitzen bleiben, dieser Zudringlichkeiten und Ausfälle
auf Ihre Geldbörse" Hier nahm der Abbé eine Prise Tabak
los zu werden. Ich habe eine bequeme Equipage zu ihren Diensten vor der
Thüre stehen. Retten Sie Sich durch eine Spazierfahrt aus diesem Getümmel,
bis Ihr Stübchen geräumt ist. Befehlen Sie nur, ob Sie nach
St.
Cloud nach Marly Trianon oder la Meute wollen.
Oder haben Sie mehr Lust, ein paar Stunden auf dem Boulevard hin und
her zu fahren?" Ich machte eine unentschlossene Miene Oder wollen Sie,"
fuhr er mit großer Menschenkenntniß fort, da Ihnen die Lustschlösser
unserer Könige zu mißfallen scheinen, etwan ihre Suplices
zu St. Denis besuchen?"
Dieser Vorschlag verfing. Du bist mein Mann!"
sagte ich, ja dahin sollst du mich fahren ich kann die Zwischenzeit,
bis der Koch der Herzogs von Dorset mit Platz macht, nicht besser anwenden."
Das Membre du Musée
schien in diesem Augenblicke zu bereuen, einem so alltäglichen Menschen,
der ihn einem Miethkutscher nachsetzen konnte, nur das Wort gegönnt
zu haben. Er drehte sich verächtlich von mir weg, und mir ich gestehe
es aufrichtig war es ziemlich einerley, ob ich jemals Charmante
Gabriele gut aussprechen würde oder nicht. Ich folgte
meinem Kutscher, der mir mit wichtigen Tritten den Weg durch das Sprachzimmer
frey machte, und mir glücklich in seinen Wagen half.
Der Wunsch, aus dem Gedränge aller dieser
dienstfertigen Geschöpfe zu kommen, traf hier mit einem geheimen Zuge
zusammen, den mein Herz immer nach den Mausoleen der Großen, oder
ehemals glücklichen und berühmten Männer, gehabt hat.
Ich gestehe dir, lieber Eduard, daß ich in keinem von allen Sprichwörtern,
die ich kenne, so viele wahre praktische Philosophie finde, als in jener
populären Sentenz: daß selbst ein kranker Hase besser sey, als
ein todter Löwe. Die naive Wahrheit, die dieses Sprichwort enthält,
ob es gleich nicht so prächtig klingt, als manches andere, ist nichts
desto weniger von dem wohlthätigsten Sinne, und ich kann mich dreist
auf das Gefühl des größern Theils der Menschen berufen,
ob sie ein tröstlicheres wissen. Es streute auch dießmal Rosen
auf meinen Weg. Ich fühlte mich, so krank ich auch war, doch lebend
und kraft dieses Gefühls schien ich mir gutmüthiger als Heinrich
der Vierte, größer als Ludwig der Große, und herzhafter
als der Ritter Bayard zu seyn, und diese Empfindung hielt bis vor das alte
Gebäude nach, das ihre Asche verschließt.
***
Vermuthlich erwartest du jetzt, lieber Freund, daß ich alle Winkel
der Kirche durchstören, alle die königlichen Namen nach Henaults
Verzeichniß vergleichen, und nachsehen werde, welche Titel auf ihren
Steindecken verwischt sind. Aber, leider! kann ich dir nicht damit dienen:
denn ich stieg nicht einmal aus dem Wagen; so ganz war das Anziehende,
das dieser Ort in der Entfernung für mich gehabt hatte, verschwunden,
so bald ich da war. Trotz dem tröstenden Sprichworte und allen den
schönen Anwendungen, die man hier davon zu machen die beste Gelegenheit
hat, muß man, glaube ich, ein Pferd oder ein Mönch seyn, um
gutwilliger länger als eine Minute hier zu dauern.
***
Auf Schädeln, die sich einst des Kronenschmucks gefreuet,
Eh´ sie ein Todtenkranz in dieses Reich verwies,
Als Perlen für das Paradie
Jetzt an einander angereihet,
Thront hier ein Mönchsconvent. Symbolischer als dieß
Ward keins dem Heiligen geweihet;
Keins, dem die Billigkeit den Abgang des Genie´s
So überschwenglich gern verzeihet:
Denn, der von oben her dem Häuflein Schutz verleihet,
Ist der enthauptete Denis.
Kennst du zum Flügelmann bey einer Mönchsparade
Wohl einen schicklichern in dem Prälatenchor?
Selbst die Legende sagt: Mit seinem Kopf verlor
Er weniger als Nichts. Er blieb durch Gottes Gnade
So klug und heilig wie zuvor."
Wer seinen Kopf noch fühlt, und, sein
Gefühl zu retten,
Nicht Wundermittel gern versucht,
Vermeide diese Todtenbucht,
Und nehm´ aus diesem Lärm von Metten,
So eilig als er kann die Flucht!
Die schwersten Wetterwolken fliehen,
Der schnellste Rabe selbst, in seinem Fluge, kehrt
An diesem Kloster um, das Tag und Nacht belehrt,
Wie viel von Bourbons Stamm im Fegefeuer glühen:
Und ich dem ein Abbé schon viel zu laut geschrien,
Dem schon ein Wort das Trommelfell versehrt,
Das nicht mit lindem Hauch sanft von der Zunge fährt
Könnt´ ich dieß Mißgetön geduldig
in mich ziehen?
Ich wär´ der Nahrung nicht von Wielands Harmonien,
Nicht meiner Menschenohren werth.
***
Ich befahl meinem Kutscher, ohne mich einen
Augenblick zu besinnen, sogleich wieder umzukehren, und gelobte dem heiligen
Denis,
daß mich kein Sprichwort in der Welt je wieder zu so einer Spazierfahrt
verführen sollte. Lange hinter her sausten mir noch die Ohren von
diesem Glockengeheul, und verwehrten mir an etwas anders zu denken.
O du Unglücklicher!" redete ich mich
endlich an, indem mir´s auf´s Herz fiel, daß ich jetzt
zwischen St. Denis, das nur hinter mir, und dem Sprachzimmer, das vor mir
lag wie zwischen Thür und Angel steckte in welchen abgelegenen
Winkel wirst du dich endlich mit deinem Tympanum retten müssen!
Es ist doch eben so sonderbar als unverantwortlich, wie die Menschen auch
die elendeste Gelegenheit nutzen mögen, Lärmen in der Welt zu
machen von der Trommel des Knaben an bis zu den Seelenmetten der Könige!"
Die Eigenliebe dieser glücklichen Nation
ist doch in der That nicht von gewöhnlichem Schlage. Sie belebt, bewegt
und verbindet, gleich einer allgemeinen Eroberungssucht, jedes einzelne
Mitglied des Staats zu dem gemeinschaftlichen großen Endzwecke, den
Beyfall und die Bewunderung aller Völker der Erde zu erbeuten. Sie
ziehen öffentlich zu Feld, und thun geheime Ausfälle darnach,
und halten sich, wodurch sie eigentlich unüberwindlich werden, niemals
für geschlagen. Wenn der erste, dem du auf der Straße begegnest,
auch so bettelarm ist, daß er dir weder Tabac
des Fermes aus einer verschabten Dose anbieten, oder dir
unter einem zerrissenen Küttel wenigstens ein paar Manschetten zur
Schau geben kann, so ist doch zu wetten, ihr seyd noch keine Viertelstunde
mit einander fortgeschlendert, so glaubt er dir das Geständniß
abgenöthiget zu haben, daß kein Volk so mächtig, so reich,
so witzig, so artig, so erhaben sey, als das seinige; und sollte sein Antheil
an diesem Nationalvermögen auch noch so gering seyn, so ist er doch
gewiß mit seinem Loose zufriedener, als du mit dem deinigen. Die
guten Leute wissen jede Einwendung, die wir etwan dagegen merken lassen,
so geschwind zu entkräften, glauben, daß jedes menschliche Auge
so geformt sey, wie das ihrige, und können nicht begreifen, wie ein
Fremder unter ihren bunten Kleidern Armuth, eine verdorbene Haut unter
ihrer Schminke, und Elend und Verzweiflung in den Labyrinthen ihrer Hoffarth
entdecken könne.
Ein jeder deutsche Miethkutscher würde
gewiß auf meinen ersten Wink, sehr vergnügt sein abgekürztes
Tagewerk, nach Hause gefahren seyn. Meinem Franzosen aber war der Gedanke,
wie mächtig wohl der Fremde über die Wunder seiner Stadt erstaunen
werde, wichtiger, als jede andere Rücksicht, und er machte gern einen
freywilligen Umweg nach den schönsten Plätzen, um sich dieser
Empfindung desto gewisser zu versichern.
Ich hätte vielleich gar nicht gemerkt,
daß ich in diesem Augenblicke mehr ihm zu Diensten sey, als
er mir, hätte er nicht, als er den Standpunct erreicht hatte,
den er suchte, von wo man auf einer Seite das Palais de Bourbon,
auf der andern den Platz Ludwigs des Vierzehnten übersehen kann
auf einmal stille gehalten, und mir mit einem Gesichte voll unbeschreiblicher
Selbstzufriedenheit zugewinkt. O wäre er mit seinen müden Pferden
auf gut Deutsch den geraden Weg gefahren! Der gute Kerl dacht wohl nicht,
daß meine Blicke nur schlaff über alle diese prächtigen
Gegenstände hinweg, auf ganz gegenseitige gleiten würden, über
die Er wegsah dachte wohl nicht, wie viel er mir durch seinen Stillstand
zu leide that.
***
Ich sah mich um, und Thränen trübten
Mein Aug´, als ich ein Volk, dem Hungertode nah,
Am Fußgestell des Vielgeliebten
Sich in dem matten Strahl der Sonne wärmen sah.
Ein Jüngling, aus der Zahl der Leidenden gerissen,
Traf meinen zweyten Blick. Gesetz und Fesselzwang
Hielt den Gemarterten, der unter Schlangenbissen
Vergebner Reu´ die dürren Hände rang.
Ein feister Mönch, voll Lebensdrang,
Begleitet tröstend ihn auf seinem finstern Wege.
Zunächst ein Savoyard, der zu der Zitter sang:
Der arme Broddieb stirbt den Tod der Keulenschläge
Bis nach der Sonne Untergang!"
***
O um Gottes willen," rufte ich zum Schlage
heraus, fahrt zu, mein Freund, fahrt zu!" Und ich wiederholte meine Bitte,
als er bey der Façade des Louvres noch einmal in Versuchung kam,
mein Erstaunen zu erregen; denn ich sah nur das Fenster, aus welchem der
Held der Bartholomäusnacht sich das königliche Vergnügen
machte, sein Gewehr auf seine protestantischen Unterthanen abzufeuern.
***
So kam ich endlich in den heftigsten Gemüthsbewegungen
und mit dem festen Entschlusse in mein Hotel, bis zu meiner morgenden Abreise,
außer dem Stübchen, das mir der englische Koch einräumte,
nichts weiter von Paris kennen zu lernen.
Der Wirth hatte jedoch unterdessen das Geschäft,
bey welchem ich mich so ungeschickt benahm, mit meinem Johann in's klare
gebracht. Ich wurde mit vielen Entschuldigungen von ihm empfangen, und
zu meinem Vergnügen bey dem unglücklichen Parloir vorbey, in
das Apartement eingeführt, das vorhin nur deutschen Prinzen und Grafen
bestimmt war, ohne daß ich mich, welches einem kranken Manne wohl
zu vergeben ist, im geringsten darum für distinguirter gehalten hätte,
als vorher.
Hier war mir nun zwar etwas besser zu Muthe,
als in dem Sprachzimmer: aber doch nicht viel. Der Tropfen Thau in der
Fabel, der in das Meer fällt, und ich in Paris, waren ungefähr
in gleichem Verhältnisse. Ich stand mit nichts in Verbindung, als
mit dem unbändigen Getöse, das aus den Gassen dieses städtischen
Ungeheuers heraufstieg, gleich einer unsichtbaren Macht durch meine Zimmer
walzte, mir keinen sichern Sitz, kein ruhiges Lager verstattete, und das
in hypochondrischen Stunden den König selbst, dächte ich
so ängstigen müßte als mich, wenn er die Gewalt dieses
tobenden Stroms mit der geringen Kraft vergleicht, durch die sie in Schranken
gehalten wird. Die Folge war, daß es mir damit ging wie ihm. Ich
horchte und horchte wieder, gewöhnte mich daran, und schlief ein.
Als ich den Morgen erwachte, konnte ich nur
einen einzigen Bewegungsgrund finden, noch eine kurze Zeit in dieser Betäubung
verweilen. Ich gab dem Triebe nach, der stärker war, als meine Milzsucht,
um einen alten Bekannten von so liebenswürdigen Verdiensten zu besuchen,
daß selbst einem Kranken wohl bey ihm seyn kann ich meine den Baron
von Grimm.
Ein Mann, der offnen Markt mit deutscher Treu' und Glauben
Im Angesicht des Louvres hält,
Wie Schlangen klug, und ohne Falsch wie Tauben,
Und Garrick in dem Spiel der Welt,
In dem Geschäft, die Wahrheit zu erkennen,
Von Lockens Geist und von Saumaisens Fleiß, *)
Doch der den Stuhl nicht nur zu nennen,
Nein! sich auch drauf zu setzen weiß.
____________________
*) Die Königin Christina sagte vom Salmaslus, daß
er so gelehrt sey, den Stuhl in allen Sprachen der Welt nennen zu können
nur wüßte er sich nicht darauf zu setzen.
____________________
Ich brachte einige höchst glückliche
Stunden bey ihm zu, bewunderte auf's neue die feine Dienstfertigkeit, die
bey ihm der reinste Ausfluß einer allgemeinen Menschenliebe ist,
die von dem redlichsten Charakter, dem herrlichsten Verstande, der seltensten
Erfahrung, und den ausgebreitetsten Kenntnissen genährt und unterstützt
wird.
Als ich ihn mit dem stillen Wunsche verließ,
immer so gute Menschen auf meiner Wallfahrt zu finden, war alles in Paris
für mich abgethan. Ich ließ Opern, Thuillerien und Boulevard
gut seyn, übergab mich der Poste royale, hielt mir die Ohren zu, bis
ich außer der Barriere war, und küßte meinen Mops, als
ich mich aus diesem Getümmel gerettet sah.
Ende des ersten Theiles.
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Leipzig,
gedruckt bey Christ. Friedr. Solbrig.
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