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Moritz August von Thümmel:
Reise in die mittäglichen 
Provinzen von Frankreich ...
Zweyter Theil.  1791
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Es war schon ein gutes Zeichen meiner anhebenden Besserung, daß sich zwischen Paris und Fontainebleau ein Selbstgespräch in mir entspann, das mir keine Runzeln auf der Stirne zurück ließ. Ich wog zum erstenmale den Vorzug der Reisen gegen den albernen Beruf ab, immer wie ein Fixstern an Einer Stelle zu bleiben, und zu erwarten, ob uns einmal ein scharfsichtiges Auge in unserer entfernten Region entdecken werde, und sagte mit heimlicher Freude: „Gott Lob! nun bist du wahrscheinlich auf der Spur, der du in Berlin so lange irre gingest — zu verdauen und zufrieden zu seyn. Seele und Körper begegneten einander so, als suchten sie die ehemalige gute Freundschaft wieder zu erneuern, die durch ein geringes Mißverständniß unterbrochen wurde. Wenn dieses harmonische Verhältniß von Bestand ist, wie ich hoffe, was kümmert mich," fragte ich, ,,alles übrige?"

     Ich überzählte, um genau zu gehen, alle die Fälle, die mich je um Freude und Gesundheit betrogen, und überlegte, wie leicht ich ihnen durch ein paar Postpferde hätte entwischen können „Stehen dir," fuhr ich fort, „in dem einen Winkel der Welt deine Spielgesellen nicht an, rutsche nur eine Ecke weiter zu andern! Es müßte nicht gut seyn, wenn du nicht hier und da auf eine leidliche Seele stoßen wolltest, bey der du eine Weile ausruhen und vergessen könntest, wie dieser und jener dir einmal auf deinem geraden Gange ein Bein stellte oder ein Loch in deine Trommel stieß. Wie viel weniger haben unsere Thorheiten auf Reisen gegen die zu bedeuten, die wir in unserer Heimath begehen! Gewaltiger Unterschied, wenn ein Land oder eine Gasse zwischen ihnen und uns liegt!"

     Auch ihr, meine lieben Freunde und Gönner, gewannet zusehens mit jeder Station, die ich zurück legte, in meiner Neigung und Achtung. Ihr erschient mir in der Entfernung in einem viel wohlthätigern Lichte, als da ich noch euern, manchmal ungelegenen Besuchen, euern Launen, euern Schmäusen, euern Gevatterbriefen ausgesetzt war. — Ich versöhnte mich mit allen großen Männern meines Vaterlandes, ihren Schriften und Liedern, so oft ich bey einem französischen Buchladen vorbey fuhr, und lächelte in Gedanken rings umher ihre Gypsköpfe an, die mir vor drey Wochen noch überall im Wege standen.
 

* * *


     In dieser Lebhaftigkeit erhielt ich mich bis in dem Angesichte des Jagdschlosses, auf welchem einst eine junge Königin, *) auch auf einer Lustreise (welches mir in diesem Augenblicke meiner Behaglichkeit ungewöhnlich auffiel) eine empörte Leidenschaft durch einen Mord zu besänftigen suchte. Ob ihr die gute Absicht ihrer Beruhigung so leicht gelungen seyn mag, als das gefährliche Mittel, das sie einschlug, will ich nicht mit Gewißheit behaupten, und es noch weit weniger mit dem allgebietenden Leibnitz in Schutz nehmen. Mich gemein denkenden Mann brachte schon die Erinnerung dieser Geschichte ganz aus meiner glücklichen Stimmung, und verbitterte mir bis nach Auxerre jeden Aufwall freudiger Empfindung.
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*) Die Königin Christine von Schweden, die ihren Oberstallmeister Monaldeschi, zu Fontainbleau, unter ihren Augen ermorden ließ. Leibnitz vertheidigte diese That, aber diesmal ohne zu überzeugen.
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     Hier stieß mir ein desto lustigeres Abentheuer auf, an das ich mich um so begieriger hing, je alberner ich mir selbst in den veralteten Händeln vorkam, in die mich meine empfängliche Einbildungskraft verwickelt hatte. Gerade dem Posthause gegen über schrie ein Kerl an einer kleinen Bude, zu der eine Menge Menschen hinströmte: Fruges consumere natus: Bête sauvage d´Allemagne, juisqu´ici inconnue en France.

     Es wären, dachte ich, die ersten zwölf Sous, die ich in Frankreich wagte, um meiner gereizten Neugier ein Geschenk zu machen, und mochte der kleinen Versuchung nicht widerstehen, etwas näher zu untersuchen, auf welches Geschöpf wohl eine Beschreibung angewendet sey, die auf so viele in meinem Vaterlande paßte, und die ich zu einer andern Zeit wohl hypochondrisch genug gewesen wäre auf mich selbst zu ziehen. Ich fand mehr und fand weniger, als ich erwartete. Das Wunderthier, dessen ganzes Geschlecht wir gern der französischen Nation, für die Regie, die sie uns gab, zum Gegengeschenk machen würden, war freylich nur — ein Hamster: aber der Mann, der ihn in diesem Städtchen zur Schau stellte, war mir desto merkwürdiger. Diesen Anstand, diesen hohlen Ton der Stimme, diese funkelnden Augen — trug, wie mich sogleich der Augenschein lehrte, vor dem Jahre ein homme comme il faut auf unsern Redouten herum, der mit ausgezeichnetem Glücke Piket spielte, dich, lieber Freund, so gutmüthig als dringend auf sein Marquisat einlud, und dich, wer weiß? zu dieser Lustreise verführt haben würde, hätte ihn nicht endlich eine Kleinigkeit aus deinen Umarmungen gerissen! Ich bezahlte über meine zwölf Sous noch gern mein Erröthen für das seinige, als er mich erkannte, setzte mich geschwind wieder in meine Chaise und fuhr unter lautem Gelächter davon.

     Wie gern hätte ich noch zwölf Sous bezahlt, wenn ich für diesen Preis meine Ueberraschung der schönen Clitoris *) der damaligen Redoute hätte abtreten können, um sie über die teterrima belli causa, wie es der spitzige Horaz nennt, schamroth zu machen, durch die sie die Würde eines Hofmanns gegen einen — Hamsterträger aufs Spiel setzte. Du übernimmst wohl dieses Geschäft in meiner Abwesenheit, das dir ohne Zweifel zu einem desto ungestörtern Triumph im jetzigen Carneval verhelfen würde; könnte dir mein Tagebuch nur zeitig genug diese wichtige Nachricht zufertigen.
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*) Clitoris oder Clitoria, eine Nymphe, der zu Gefallen sich Jupiter in eine Ameise verwandelte. Ob das Redoutenkleid, von dem hier die Rede ist, vom richtigsten Costum war, ist zweifelhaft. Es ward als eine neue französischen Hofmaske nach Berlin geschickt, fand aber wenig Beyfall.
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     Ohne meine gute Laune zu verlieren, die ich aus der Bude deines Rivals mitnahm, fuhr ich in Einer Strecke nach Yvri. Hier warf ich mich auf eine steinharte Matratze und erwachte — Gott! — wie ich immer erwachen möchte! Ich fand mei-nen Wagen, als ich fort wollte, mit einer Menge bettelnder Kranken umgeben, die keinen bessern Zeitpunct hätten treffen können, denn der Antrieb, wohl zu thun, brauste durch alle meine Adern. — Ein gemeines Almosen war mir in meinem weit umfassenden Gefühle zu klein. Ich öffnete den Sitz meines Wagens, und theilte, ohne mich zu bedenken, den ansehnlichen Vorrath meiner theuern Arzeneyen unter diese Hülfsbedürftigen aus.

     Ein Soldat mit einem hölzernen Arm erhielt zwanzig Portionen von dem Luftsalze des Freyherrn von Hirschen; achtzehn waren noch übrig, die ich unter eben so viel Kinder vertheilte. Eine uralte Frau, die über nächtliche Anfechtung des Teufels und über Schlaflosigkeit klagte, beschenkte ich mit meinem Elexir aus Bruchsal nebst Adresse. Unter den übrigen Haufen von Schwindsüchtigen und Bleichen theilte ich meine Magnettropfen, mein Glauberisches Salz und meinen Zwieback aus. Eine schlanke Gestalt mit einem Madonnengesichte befand sich unter den letztem. Ihr würde vermuthlich die Desorganisation sehr gute Dienste geleistet haben, hätte ich das Ding nur verstanden, oder Zeit und Lust gehabt, einen Rapport unter uns aufzusuchen. Ich gab ihr indeß, bis ein Meister der Kunst auf sie trifft, eine noch unberührte Schachtel temperirenden Pulvers, der einzigen Arzeney, deren ich mich während meiner Reise nicht benöthigt gefühlt hatte; und nun warf ich mich geschwind in den Wagen, um mich den Lobsprüchen und Danksagungen zu entziehn, mit denen mich dieser unglückliche Haufen von Menschen übertäubte. Mein Herz war erleichtert. Nicht so klein, die Kosten zu überrechnen, die ich mit diesem Geschenke weggab, ohnerachtet sie gewiß mehr betrugen, als vielleicht der reichste Mann nicht bey so frühem Morgen unter Arme vertheilt, kam mir nicht einmal die Besorgniß in den Sinn, daß ich mich selbst durch meine unbegränzte Freygebigkeit, auf den Fall eigener Noth, hülflos gelassen habe. Nur Betrachtungen des menschlichen Elends, nur belohnende Empfindungen der Gabe des Mitleids, die ich in Berlin nie in diesem hoh Grade würde gekannt haben, verkürzten mir den Weg.
 

* * *


     Gesegnet sey der Mann, der das Reisen erfand, und dreymal gesegnet der trefflichste meiner Freunde, der mich aus dem tödtenden Staube meiner Bücher hervor zog, und meine kleinsten Tugenden in Bewegung und in die glückliche Lage setzte, sie anzuwenden! Ich flog leicht wie ein Zugvogel über die Echellen. — Einige Stunden Schlaf, die ich zu Lyon im Vorbeygehen mitnahm, stärkten mich einer Rastlosigkeit, deren ich mich nie fähig geglaubt hätte, und die mit dem herrlichsten Wege und der Thätigkeit der Posten verbunden, mich die folgende Nacht nach Palü, und den Morgen darauf — aber welch ein Morgen! — nach Nimes brachten, wo ich den artigen Pavillon bezog, den ich nun, nebst seinem daran stoßenden Gärtchen, schon einige Wochen bewohne, ohne daß ich mich nach einem andern, als dem dir gewidmeten Geschäfte umsah, mit meinem Tagebuche in Gang zu kommen.

     Ich bin es nun, theuerster Freund, und schreibe dir in diesem Augenblicke unter der kleinen Wölbung zweyer sich umarmenden fruchtvollen Granaten=Bäume, die mich doch kaum vor dem Eindringen der Sonne schützen. Aber wo soll ich Worte, ohne sie an allen Ecken zusammen zu suchen, hernehmen, dir das ganze Glück meiner bis jetzt gefühlten Existenz anschaulich zu machen? Welche Reitze der Neuheit für einen Deutschen umflossen den lachenden Wintermorgen, an dem ich Besitz von meiner heimlichen Wohnung nahm! Sie schwebten den Mittag um die Kost meines kleinen Karthäuser=Tischchens, um die jungen Erbsen, Erdbeeren und Feigen her, mit denen er besetzt wurde. Ein wolkenloser Abend, von dem du keinen Begriff haben kannst, voller Hoffnung eines gleich schönen Morgens, zauberte mich in den friedlichsten Schlaf; und diesem Tage glichen alle die folgenden, die ich bis heute in diesem Lande verlebt habe. — Indeß nun meine Seele, während dieses körperlichen Wohlbehagens, sich von dem Glücke ihrer theilnehmenden Empfindung belastet fühlt, sage, woher soll bey diesem Zusammenströmen geistigen und leiblichen Lebens, das vielleicht nie ein Gelehrter in dieser Verbindung gekannt hat, woher sollte die arme, von seiner Secte geordnete Sprache zu einem Kraftworte kommen, das die Seligkeit dieses Zustandes bezeichnet? Die Metallurgie hat eins für den Schimmer, den das durchglühte kochende Erz auf eine Secunde von sich wirft, wann es, von allen beygemischten fremden Theilen gereinigt, den höchsten Grad der vollendeten Scheidung erreicht hat — ein Wort, das ich ihr mit Vergunst den Obern entlehne. Diesen Tag also mit seinem Anhange erlaube mir, lieber Eduard, den Silberblick meines Lebens zu nennen! Möchte er nicht auch, wie bey den edeln Metallen, nur ein Schimmer — und der Uebergang zu Verkühlung — nicht auch schon der Anfang seiner Verdunkelung seyn! Aber wie kann hienieden Reinigkeit mit Brauchbarkeit für die Welt bestehen? Werden nicht Metalle und Seelen nur desto mehr an innerm Gehalte verlieren, je geschwinder sie unter den Händen des Künstlers eine nützliche Form erhalten, und unter dem Gepräge eines Fürsten in Umlauf gesetzt, und verdammt werden, Handel und Wandel auf ihren Märkten zu fördern? —

     Aber Jerom winkt mir — ich schweige. Ich respectire seine Warnung, seitdem es mir wahrscheinlich wird, daß seine Weissagungen nicht so ganz unerfüllt bleiben werden, als es mein Starrsinn des vorigen Monats gegen ihn behauptete. Freude, Lachen, Müßiggang und Muthwillen scheinen über meinem Schreibtische zu schweben, mir die Feder zu führen und mir die Worte unvermerkt zu vertauschen; ja, hätte mich nicht das heilige Versprechen, das du mir abnahmest, an mein Tagebuch gefesselt, o sie würden mich schon gern weit von ihm hinweg, in andere Irrgänge verlockt haben, als die sich um die Blumenbeete meines kleinen Gartens schlängeln.

     Keine Reisebeschreibung von Inhalt, keine statistisch, politisch und praktische Bemerkungen, keine Münz= und Antiquitätensammlungen, keine Untersuchung des Bodens und der Schichten der Berge — Was war es nicht alles, das du dir verbatest? — Guter Freund! Du hättest deine Ausnahmen sparen können; denn kaum habe ich Zeit, dir nur zu geben, was ich dir schuldig bin, kaum Zeit, das Votivgemälde zu entwerfen, das ich meinem Erretter gelobte! — In dieser Art Malerey ist es Herkommens, daß sie nicht nach der Kunst, sondern nach der guten Absicht beurtheilt und geschätzt wird, und schickt sich also besonders gut für meinen ungeübten, flüchtigen Pinsel. Die Wahrheit soll indeß desto weniger dabey verlieren; und findest du ja, daß hier und da die Farben zu stark aufgetragen, sich nicht genug in einander verschmelzen, so darfst du nur das Stück ein wenig höher hängen, als gewöhnlich: es wird schon seine Wirkung thun. — Hänge es so hoch, daß es kein myopisches Auge einer Dame, keine Brille eines Doctors erreichen kann. Ich bin unter dem Schutze des Merkur, in dem Garten der Circe, male nur meinem Freunde, und male nach der Natur.
 

* * *


Hier, wie du denken kannst, giebt nicht die Langeweile
Mir Arbeit in die Hand. So süße Stunden theile
Nur Freundschaft unter sich! Der blonde Phöbus sieht
Mein Morgenopfer gern. Wie freundlich überzieht
Sein Goldstrahl mein Papier, und trocknet jede Zeile,
Die meinem Schwanenkiel entflieht!
Sprich selbst, verdient´ ich wohl die Milde seiner Strahlen,
Wenn ich es unternähm´, mit deutscher Autorhand
Die Scenen dir frisch aufzumalen,
Die ich, bleich durch die Zeit, verderbt durch Unverstand,
Im Staube wurmichter Annalen
Und im Lombard des Irrthums fand?
Nein! Freund, ich und das Ding, das jetzt mit goldnem Flügel
An meiner Feder lauscht, jetzt schnell sich wieder hebt,
Und nun im Thal und auf dem Hügel,
Und immer nur auf Blumen schwebt,
Wir lassen gern dem trägen Igel,
Der Schnecke, die am Boden klebt —
Obgleich ihr Seherohr in´s Empyreum strebt —
Sehr gern den philosoph´schen Zügel,
Den ihnen die Natur gewebt.
 

* * *


Den 7ten December.


     Seit vier Tagen schon, mein Eduard, habe ich einen größern Zirkel um mich geschlagen, den ich nach und nach, wie es sich für einen Genesenden schickt, immer mehr erweitern werde. Da habe ich nun, ohne es zu ahnden, Dinge hinein gezogen, die es wohl verdienen, daß ich sie abzeichne. Ich hatte mich zum erstenmale, und nicht viel über hundert Schritte, von meinem Pavillon entfernt, als ich auf ein Menschenwerk stieß, das — wie soll ich sagen? — den Anstand einer Königin unter dem Flitterstaat einer gemeinen Buhlerin verrieht. Ein vollkommen erhaltenes römisches Bad, frisch übertüncht, mit neuern Bildsäulen und einem Garten voll Hecken umgeben.

     Ich wußte lange nicht woran ich war, bist mir das glücklichste Ungefähr einen Tagelöhner herbey führte, der selbst Hand an die Entdeckung dieses herrlichen Werks gelegt hatte. Der ausgemachteste Antiquar hätte mir schwerlich mehr Genüge thun können, als dieser Mann. So sehr er Franzos war, so gestand er doch treuherzig, daß ihm das Gebäude, als es noch einige Zeit nach der Entdeckung in seinem ehrwürdigen Alterthum da stand, weit besser gefallen habe, als jetzt. Sein Urtheil kam mir sehr glaubhaft vor. Dieses machte ihn so beredt, daß ich unterrichtet genug wäre, dir die ganze Begebenheit, an der er so wichtigen Antheil nahm, bis auf den letzten Schaufelwurf seiner Hände darzustellen. Vor dieser Epoche wurden weiße Wäsche und reine Teller für den größten Luxus eines hiesigen Einwohners gehalten. Seit vierzig Jahren ist diesem Mangel durch das wieder aufgefundene Geschenk, das die prächtigen Römer dieser Provinz machten, gänzlich abgeholfen. Du kannst dir also einen Begriff von der Freude des schmutzigen Volks machen, als der Schutt nun weggeräumt war, der so einen Reichthum verbarg, und nun auf einmal der verhaltene Strom mit Getöse hervorbrach.
 

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Der stolze Quell, den einst Agrippens Zauberstab
Aus Felsen schlug, warf jetzt die tausenjähr´ge Bürde
Der Barbarey in süßer Hoffnung ab;
Beym Zuruf eines Volks, das seinen Glanz umgab,
Verließ der Held mit Römerwürde
Auf Fleuri´s Ehrenwort sein Grab.
Doch kaum entfielen ihm die unverdienten Bande,
Die seinen Körper wund gedrückt,
So ward auch, zum Beweis, in wessen Königs Lande
Die Auferstehung ihm geglückt,
Der edeln Stirn manch Brandmal aufgedrückt,
Und mit Geräusch dem römischen Gewande
Manch Modequästchen angestickt.
So viel Prevenanc´ erschreckte
Den edeln Greis. Er freute sich
Der klugen Zeit nicht sonderlich,
Die seinen Eichenkranz mit Flittergold bedeckte,
Und seinen Harnisch überstrich.
Der schmeichelhafte West umsäuselt
Umsonst sein weiß gepudert Haar:
Schwermüthig denkt er nur, wie es noch ungekräuselt
Die Zierde seiner Jugend war.
Denn ach! um seinen Scheitel schweben
Die Wunder noch der alten Zeit,
Und alle seine Glieder beben
Bey jedem Aufblick in ein Leben,
Das mit dem Sclavenjoch verfeinter Höflichkeit
Den freygebornen Mann bedräut.
Er blickt im Drange seines Schmerzens
In´s Silber seiner Wellen hin,
Aus dem das Bildniß einst des frommen Antonin
Rein, wie der Abdruck seines Herzens,
Aus blauem Grunde wiederschien;
Und richtiger als selbst Voltaire
Wiegt er die Zeit von Ludwig und August,
Und leise, daß es nicht der strenge Clerus höre,
Bejammert er der alten Kunst und Ehre
Unwiederbringlichen Verlust.
 

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Den 8ten December.


     So viele Reitze dieser Spaziergang für mich hat, so muß man ihn doch in der Abendzeit besuchen, um ihn in seiner ganzen Schönheit zu sehen; nicht nur deswegen, weil die malerische Dämmerung die frischen Farben ein wenig bleicht, mit denen dieses Denkmal verunstaltet ist, und es dem Auge in dem gräulichen Anstriche wieder giebt, das seinem Alter so wohl ansteht: nein, es rufen einen wieder auflebenden Jüngling, als ich mich fühle, noch andere, ihm nähere Lockungen, in diese ausgezeichnete Gegend. Ein Tempel der Göttin der Keuschheit, der nicht weit vom Bade, von düsterm Gebüsch umschattet, in seinen Ruinen liegt, trägt am meisten zu den Pittoresken des Ganzen bey. Zahlreiche Wallfahrten strömen dem Tempel zu, so bald sich der Abendstern am Himmel zeigt. Du fühlest, daß du auf heiliger Erde wandelst, wie du dich ihm näherst. Schauer der Vorwelt ergreifen dich, und nicht leicht wirst du irgendwo ein gemächlicher Plätzchen finden, dem Gedanken nachzuhängen, in welchem ich und du Salomon Lucian und die Propheten einstimmig zusammen treffen: „Wie doch alles hienieden so eitel ist!"

     Ich bin hier einige Abende nach einander hinter dem Mondscheine hergeschlichen, und meine Einbildungskraft kehrte nie unbefriedigt zurück. O daß du, von deinen tobenden Winterlustbarkeiten geborgen, Arm in Arm mit mir dieses Gebüsch durchirren und mit eigenen Augen sehen könntest, wie holdselig hier, auch in einer December=Nacht, Cynthia die säuselnden Blätter der Silberpappeln und des Epheu´s durchzittert, der die gespaltenen Mauern ihres Tempels umflochten hält!
 

* * *


Oft sucht ihr Seitenblick auf den verfallnen Thron
Umsonst nach Huldigung und königlichen Rechten;
Ihr guter Ruf sogar wär´ als ein Rauch entflohn,
Gäb´ es nicht Nymphen hier, die für ein Gotteslohn
In süßer Schwärmerey ihn zu erhalten dächten!
Kein Mädchen ist zu jung, und es versuchet schon
Der Königin einen Kranz zu flechten —
Versteh mich recht — in lauen Nächten,
Als Freundin des Endymion.
Wie viele schleichen nicht aus ihrem Opferhaine,
Wie Priesterinnen ziemt, blaß, schüchtern und verstummt,
Mich Lauschenden vorbey, die erst in Lunens Scheine
Gleich Bienen um mein Ohr gesummt! —
Und Du, der jetzt vielleicht mit Schnee und Sturm im Streite
Mich, ohne Neid, aus dem Gesicht verlierst,
Groß wie ein Gott dich dünkst, wenn du an Lottchens Seite,
Die du, betäubt vom schallenden Geläute
Des Schlittens, im Triumphe führst,
Nur alle Finger nicht erfrierst.
Mein trauter Freund! ich bitte dich, entferne
Doch ja den Stolz, der sich in deinem Busen regt,
Und wisse, daß der Weg, den ich hier wandeln lerne,
Nichts weniger als Dornen trägt.
Blick einmal nur, wenn es Dir nichts verschlägt,
Auf meine magische Laterne,
Und sieh erstaunt, was hier der Glanz vom Abendsterne
Für Schatten an der Wand bewegt!
 

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Den l2ten December.


     Ich habe die letzten Tage der vergangenen Woche, wider das Verbot des guten Jerom´s, meine Berge und Thäler, in denen ich verwickelt war, und meine eigene stille Gesellschaft verlassen, um mich in eine zu werfen, die man hier und überall die Gute nennt. Ein Besuch bey dem Eveque, einer bey dem Intendanten — das hätte so hingehen mögen, wenn es dabey geblieben wäre. — Doch wie kann es das? Die ersten Leute an einem Orte sind immer mit einem Zirkel umringt, daran ein jeder Punct die nehmliche Aufmerksamkeit von einem Fremden verlangt, wenn die Reihe an ihn kömmt, und keiner, so klein er ist, will überhüpft seyn. Nun treten ihre Höflichkeiten in derselbigen Ordnung um unser Individuum her, bis es endlich müde und matt auf seinen eigenen Schwerpunct zurück fällt. Mich verwickelt immer diese hergebrachte Sitte der großen Welt in Schwierigkeiten, aus denen ich mich nie recht zu ziehen weiß. Spiel und Souper sind gegenwärtig die ersten Morgenbegrüßungen, von denen ich höre, und die mich endlich auch von hier verjagen werden, wie von Berlin. Ich habe nun einmal keinen Sinn, keinen Magen und keine Zeit für diese Art gesellschaftlichen Vergnügens, um das sich doch leider! groß und klein herum dreht.

     Bey dem Eveque lernte ich indeß eine seiner Verwandtinnen kennen, die ich auch nachher oft und gern wiedersah: die Marquise d'Antremont. Durch die Musenalmanachs sind einige ihrer weiblichen Arbeiten bis nach Deutschland gekommen; die größere Anzahl ist aber auf dem Grund und Boden gesunken, wo sie entstanden, und halten ein strenges Incognito. Das Gefühl für die Dichtkunst ist eine Art Freymäurer-Geheimniß, das seine Anhänger in allen Himmelsstrichen eben so bald vertraulich an einander bindet, als jenes die seinigen. Wir erkannten uns in der ersten Viertelstunde, und wechselten, wo nicht unsere Herzen, doch unser gegenseitiges Zutrauen aus, und ich danke ihr schon jetzt mehrere recht vergnügte Stunden.
 
 

Zwar nicht wie Hebe jung, doch der Empfindung treu,
Die wir gern geben, gern empfangen —
Wie sanft vertreibt ihr Lied die Blässe meiner Wangen,
Und macht mir Wein und Liebe wieder neu! —
Kann wohl ein Kranker mehr verlangen,
Den deutsche Barden längst mit ihrer Wasserscheu
Und Mondsucht hypochondrisch sangen?
Doch glaube nicht, daß sie, die mit Anakreon
Verschwistert scheint, drum auch Cytherens Sohn
Den Zoll so leicht, als ich es wünscht, entrichte.
Trotz ihrem lockenden Gesichte,
Wird keiner satt bey ihrem Lohn,
Und Sündern, wie Saint=Preux (ob sie gleich eine Nichte
Des Bischofs ist) versagt selbst ihr Gedichte
Den Trost der Absolution.
 

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     Es war auch noch ein Dichter, und mich wundert, daß es nur Einer war, in dieser Gesellschaft; ein reicher, stattlicher Mann, der eine Revolution von Portugal geschrieben hat, ohne eine in der Dichtkunst zu machen. Er that mir die Ehre, noch ehe wir beyde unsere Namen wußten, mich mit der dritten Auflage seines Trauerspiels zu beschenken. Dieß gab mir Anlaß, mich näher nach ihm zu erkundigen, und man machte mir eine beneidungswürdige Schilderung von seinem glücklichen Genie. — Der Mann thut in allem Wunder was er unternimmt! Sein Vater war ein gemeiner Krämer, und Er? Er ist Baron und Besitzer einer großen Domaine, von der er den Namen führt. — Er wünschte die reitzendste Frau im Lande, und erhielt sie; — den besten Koch, ein prächtiges Haus und Freunde die Menge — der Himmel gewährte ihm das eine, und das andere konnte ihm nicht fehlen. Keine Phantasie stößt ihm auf, er kann sie befriedigen — Nur bey guten Versen geht es ihm wie Pharao´s Zauberern bey den Läusen; er kann sie nicht nachmachen, und muß sagen: „Das ist Gottes Finger." Ich habe sein Werkchen gelesen, das ist alles was ich für ihn thun kann.
 

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Den l3ten December.


     Es wird wohl nichts für mich übrig bleiben, als krank zu werden, wenn ich wieder in mein voriges Gleis kommen will, aus dem mich meine neuen höflichen Bekanntschaften drängen.

     Ich kam eben nach Hause von dem schönsten Morgen erheitert, voller Friede und Freude, und in keiner andern Absicht, als meinen Hunger geschwind abzuthun, um bald wieder zu der Natur zurück zu eilen. Da kommt mir Johann mit einer Einladung zum Spiel und Abendessen und mit einem Befehl der Marquise d'Antremont entgegen, sie auf der Esplanade aufzusuchen und in das Schauspiel zu begleiten. Man giebt den honête Criminel, ein Lieblingsstück der hiesigen Einwohner, weil es über eine wahre einheimische Geschichte gemodelt ist. — Sie will mir vorher noch den braven Mann kennen lernen, der durch seine tugendhafte Handlung der Held dieses Drama's geworden ist, Fabre' heißt, und nicht weit von hier sein Handwerk als Strumpfwirker treibt.

     Die Tugend hat auch ihre Genies! Vielleicht hat sie deren mehrere noch als die Wissenschalten — Nur bemerkt man sie seltener, weil es schon nicht mehr Tugend seyn würde, wenn sie, wie jene vorzüglichen Lieblinge der Musen, nur darauf ausging, Lärm in der Welt zu machen, um, nach einem gewöhnlichen feinen Mißverstande einer guten Lehre, ihr Licht leuchten zu lassen vor den Leuten. Das ist jedoch nicht der Fall des ehrlichen Fabre's — Er ist unschuldig an seinem Rufe. Die prahlende Menschenliebe des Ministers Choiseul entzog ihn der despotischen Strafe, die er freywillig seinem Vater abgenommen hatte, und seine Mitbürger, die ziemlich gleichgültig gegen sein Schicksal waren, ehe noch am Hofe davon gesprochen wurde, brüsten sich jetzt mit seiner Tugend, als einer Seltenheit ihres Landes — seitdem sie Aufsehen gemacht hat, und auf dem Theater gespielt wird.
 

* * *


     Dachte ich´s doch, daß es so gehen würde! Ich habe in der Gesellschaft, mit der ich den Abend zubrachte, den Artigen so gut gemacht, als es mir möglich war: dafür büße ich jetzt in der Nachtmütze, meinem Sammtrocke gegenüber, nur desto empfindlicher den Zwang, den ich meiner Natur anthat. Mißmüthig sitze ich da, und suche die widersprechenden Gefühle zu vereinigen, mit denen mich die feine Welt entließ. Meine Augen verlangen Schlaf, und mein wohl genährter Körper verlangt Bewegung — Ich habe viele witzige Sachen gehört, und doch schleicht sich eine häßliche Migraine um meine Stirne umher, von der ich jeden Augenblick befürchte, daß sie mich ergreifen wird.

     In solchen Umständen finde ich bey meinem Tagebuche noch die beste Erleichterung. Es ist mir in deiner Entfernung der trauliche Freund, dem ich mein Herz ausschütte; es zieht meine Gedanken von den unnützen Nachforschungen ab, die ich außerdem auf meine schwierige Verdauung heften würde, und läßt den Schlaf nicht eher zu, als bis sich Seele und Körper die Hand bieten. Ich habe also dießmal einen Beruf mehr, dir die Vorfälle meines heutigen Tages zu schildern.

     Du kannst nicht denken, liebster Freund, was für einem albernen Auftritte ich diesen Nachmittag entgegen ging. — Ich fand die Marquise mit dem redlichen Fabre' auf der Esplanade, und seine Geschichte ward, nach unserer geschwind gemachten Bekanntschaft, der Hauptinhalt unsers Gesprächs. — Er mußte mir erzählen, wie lange er die Stelle seines Vaters auf den Galeren vertreten hätte. Er freute sich mit uns, daß seit seiner Befreyung protestantische Prediger keine Strafe mehr zu befürchten hätten, wenn sie, wie sein Vater, im Stillen ihre Pflicht thäten, malte mir in natürlichen Ausdrücken den Zustand seiner Seele, während sein Körper in Ketten lag, und wie ihn der Gedanke an seinen guten Vater und an seine Geliebte, die den Werth seiner That erkannte, gestärkt, und wie ihn das Bewußtseyn, rechtschaffen zu handeln, mitten in seiner Mühseligkeit überreichlich belohnt hätte, und rührte mich durch seine ungezwungene Erzählung bis zu Thränen.

     Während dieser Unterredung, und da wir eben eine Seitenallee einschlugen, sahen wir am Ende derselben einen dunkeln Rock, der sich durch einen blinkenden Stern schon in der Entfernung auszeichnete. — Wir sprachen ungestört fort, ohne auf diesen Stempel des Verdienstes weiter zu achten, und das war eben mein Unglück.

     Die Figur war immer näher gerückt, und ehe ich ausweichen konnte, fand ich mich schon von den Armen des unerträglichen Ritters der Annonciade, des Grafen von ** umschlungen. Ich beantwortete seine Fragen, seine Umarmungen und sein Erstaunen so verlegen, wie zu Berlin, und stotterte in der Angst den Namen der Marquise, an die er sich nun mit seiner zwoten Verbeugung wendete. Ich hätte voraus sehen können, wie geschwind er dieß für eine Aufforderung halten würde, sich in seiner Stärke zu zeigen — Gott weiß, ob er's that! Der entscheidende Ton, der ihm eigen ist, seine verunglückte Discant-Stimme, sein musiver Witz, sein Elsterlachen, vertrieben nur zu bald jedes Merkmal voriger Zufriedenheit aus unsrer aller Gesichtern.

     Um seiner los zu werden, verfiel ich auf das einzige Mittel, das uns bey einem Schwätzer übrig bleibt: — ihn selbst zu verlassen. Ich sah nach meiner Uhr und fragte die Marquise: ob es nicht Zeit sey in die Komödie zu gehen?

     Kaum war diese Frage entwischt, so that er den Sprung der Ver-wunderung zurück. „Bey dem Gotte des guten Geschmacks!" quäkte er: „was wollen Sie in der Komödie machen? Doch" = = = erholte er sich wieder: „meinetwegen sollen Sie Sich nicht abhalten lassen. Das heutige Stück ist zwar, nach dem Zettel, auf den ich dort an der Ecke im Vorbeygehen einen Blick warf, in der That keines der ersten. Die Scenen sind matt, und das ganze Süjet ist unter der tragischen Würde. Indeß — dergleichen Mißgeburten gehören ja zur herrschenden Mode! Vor vielen Jahren wurde es sogar in der Hauptstadt aufgeführt — Doch das beweis´t freylich nichts für seine Güte!

,,Der Kenner klagt auch dort, die Bühne sey, zum Schimpfe
Des heutigen Geschmacks, bey´m Tode Cäsars leer.
Allein was schadet das? Weint etwa das Parterr
Beym Centfall einer Bauernnymphe
Um einen Tropfen weniger?
Sonst hatten die, die unsre Lymphe
Zu Thränen wandelten, mit Kronen nur Verkehr:
So stolz gewöhnt sind wir, gottlob, nicht mehr,
Denn unser Mode=Held — wirkt Strümpfe."
 

* * *


     Das Blut stieg dem ehrlichen Fabre´ in das Gesicht. Die Marquise erschrak, und ich, der ich mich als die erste Ursache dieses groben Ausfalls meines witzigen Landsmannes ansah, mir vorwarf, daß ich unsern ehrlichen Begleiter nicht zur rechten Zeit dem Grafen vorstellte — was ich in diesem Augenblicke empfand, das wirst du dir selbst sagen. Ein Fehler folgte in dieser unseligen Stunde aus dem andern.

     „Lieber Graf," sagte ich, um die Sache gut zu machen, „vergeben Sie mir, daß ich Ihnen diesen Herrn noch nicht bekannt gemacht habe. Es ist eben der rechtschaffene Herr Fabre´, dessen rührende Geschichte der Inhalt des heutigen Stücks ist. Ihr Epigramm kann in Absicht der Ausführung dieses Schauspiels sehr wahr seyn: das wird Sie aber gewiß nicht abhalten, der That selbst, die zum Grunde liegt, und den Verdiensten dieses edeln Bürgers Ihre schuldige Achtung zu schenken."

     Ich Unbesonnener! Was für ein Gewitter erregte ich!
 

Ein edler Bürger! Welch ein Schrecken
Ergriff sein deutsches Ohr bey dieser Dissonanz!
Ihm stieg der Kamm, sein Auge schwamm im Glanz,
Und ausgeschmückt mit Panzer, Helm und Decken,
Trabt´ er einher auf seinem alten Schecken
Gerade los auf Fabre´s Eichenkranz.
Doch ich, dem jetzt der Retter seines Vaters
Und deutsche Ritterschaft gleich nah´ am Herzen lag,
Fand noch, so schwer es war, ein Mittel zum Vertrag:
Den vesten Mann führt´ ich bis an die Thür des Praters
In allem Pomp von einem Ritterschlag,
Und Fabern mit dem Ernst des tragischen Theaters
Der Pforte zu, die nur am letzten Probetag
Die Tugend einzugehn vermag.
So mischt´ ich schlau mit Ernst und Spotte
Die Karten so, daß mein verdecktes Spiel,
Mit zwey Gesichtern, gleich einem Kriegesgotte,
Den Streitenden gleich wohl gefiel,
Und wie Pompilius, ward ich, kraft einer Kunde,
Die mich der Hof, die Welt, die mich mein Herz gelehrt,
Von Freund und Feind mit Einem Munde
Als Kenner des Verdiensts geehrt.
 

* * *


     Da ich es so weit gebracht hatte, bot ich der Marquise den Arm, und eilte mit ihr aus der Atmosphäre des Schwätzers, um mir in der Loge den Angstschweiß abzutrocknen, in welchen mich dieser Auftritt gesetzt hatte. Der gute Fabre' begleitete uns, und ich hoffe, daß ihn die Empfindungen, die ihm während der Vorstellung seiner guten That aufsteigen mußten, und der Beyfall, den ihm das Parterr zuklatschte, mehr als hinlänglich für das Vorhergegangene entschädigt haben soll. Mir erlaubte mein Verdruß nicht, dem Stücke die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Ich schämte mich in die Seele des Grafen, und trug meine Zerstreuung und Laune mit in die Gesellschaft über, von der zu meinem Vergnügen der ehrliche Fabre', trotz seiner Zunftmäßigkeit, nicht ausgeschlossen war. Um den Grafen bekümmerte sich kein Mensch außer mir, dem immer noch seine Narrheit vorschwebte. Ich war froh, als Schauspiel, Kartenspiel und Souper überstanden war, und bin jetzt noch froher, daß ich mich müde geschrieben und nun die nahe Hoffnung habe, meine heutige Aergerniß zu verschlafen.
 

* * *


Den 14ten December.


     Meine erste Sorge als ich erwachte, war, auf die Post zu schicken und Erkundigungen einzuziehn, ob der fremde Herr mit dem Sterne fort sey, und verschloß unterdessen meine Thüre, bis die Antwort zurück kam, aus Furcht vor seinem Ueberfalle. Kaum hörte ich, daß er zwar Postpferde, doch erst auf den Nachmittag bestellt habe, so entschloß ich mich ganz kurz, ließ mir ein gutes Frühstück geben, that Verzicht auf mein Mittagsmahl, eilte nach meiner lieben Fontaine, und da ich mich auch da noch nicht für sicher genug hielt, erstieg ich den hohen Berg, der daran stößt. Nun erst schöpfte ich Athem, und sah in der stolzen Sicherheit einer einsamen Gemse auf meinen Verfolger herab, und in kurzem verschwand — Dank sey es der gütigen Natur! — jede widrige Empfindung.

     Ein unförmliches, uraltes, hohes, zugespitztes Gewölbe auf der Mitte dieses Gebirges, an welchem die Untersuchungen des herzhaftesten Antiquars scheitern, dominirt hier, wie eine Bischofsmütze, über das unter ihm ausgebreitete Land. Das gemeine Volk nennt dieses sonderbare Gebäude „den Leuchtturm," vermuthlich um dem Kinde einen Namen zu geben, da der Augenschein lehrt, daß ihm dieses Beywort so wenig zukömmt, als der Magistertitel einer Schildkröte. Die Römer fanden es schon zu ihrer Zeit in der nehmlichen Gestalt. Mir scheint es von Dummköpfen für die Ewigkeit gebaut zu seyn, die hier zum erstenmale ihre Absicht erreichten. Nach der leblosen imposanten Ruhe, die diesen Thurm umgiebt, würde ich zwar noch lieber glauben, daß er von Tauben und Stummen dem Gotte des Stillschweigens zu Ehren errichtet sey, wenn es mir nicht zu wehe thäte, einem solchen Gotte einen so barbarischen Tempel anzuweisen.

     Die Andacht findet indeß überall das höhere Wesen, von dem sie voll ist, und so ging es auch mir. — Ich fühlte mich gestimmt, dem Gotte, dessen Gegenwart ich ahndete, auf allen Fall mein Opfer zu bringen. Ernst und schaudernd blickte ich um mich her; die Knie zitterten mir; gemach sank ich auf ein bemoostes Felsenstück, aus dessen Ritzen hier und da eine Lotosblume hervor sproß, legte den Finger auf den Mund, und ein stilles Gebet strömte in frommen Entzücken aus dem gerühten Herzen:
 

     „Du Wesen, das zu mir beredter
Als Phöbus und die Musen spricht,
Sey du, bescheidenster der Götter,
So oft mich deiner Ehre Spötter
Umschnattern, meine Zuversicht!

     Steh in den niedrigen Verträgen
Der großen feinen Welt mir bey,
Daß meine Zunge nie verwegen
In dem Geräusch von Gallatägen
Verräther meines Mißmuths sey!

     Errette mich, wenn ich der Thoren
Verdecktes Spiel, wenn ich zu nah
Des Midas königliche Ohren,
Wenn ich Nicaisens Kopf beschoren,
Und Meßmern in die Fenster sah!

     Verhülle unter einem Kranze
Von Lotus mein empörtes Haar,
Wenn mich aus ihrem Mittagsglanze
Die Göttin schrecket, die im Tanze
Des Abends meine Phryne war!

     Beschütze mich vor Fürstenrache,
Den Marten eines Struensee,
Wenn ich nach mancher Ehrenwache
In meines Sohnes Vorgemache
Unkenntlich wie Ulysses steh´!

     Und führe mich, den Mund verschlossen,
Durch Autor= und Sophistenschlamm;
Versüße meinen Zeitgenossen
Die Bitterkeit von meinen Glossen,
Und werde Du mein Epigramm!"
 

* * *


     Hoch pochte mir das Herz während dieser feyerlichen Mette. Ich blickte wild in die Ferne, und stieg vom Rande des blauen Horizont´s mit einem forschenden Blicke in die Zukunft, hörte den Strom der Zeit rauschen, sah mich von seinen brausenden Wellen ergriffen, und als ein verwelktes Blatt fortschwemmen. — Ich erschrak, sprang mit sträubendem Haare von meinem harten Sitze auf, und verließ mit eilenden Füßen diesen Felsen des Harpokrat. Unachtsam auf den Weg, den ich nahm, kletterte ich von einer Steinstufe zur anderen herab, und befand mich, ehe ich daran dachte, auf einer Wiese, die der Natur noch nicht abgewonnen, und der Grund eines Kessels von Bergen war.

     Wie ich mich der Erde näher fühlte, verschwand meine Schwärmerey, aber mein Bewußtseyn kehrte desto schreckender zurück. Unwillkürlich hatte ich mich in dem Kreise des Gebirges gedreht, das mich umschloß, und die Spur verloren, die mich hierher führte. In der Höhe, wohin mein starres Auge blickte, umzog mich nur das wolkenlose Gewand des Himmels, und keck grünendes Moos polsterte den Zirkel, in den sich vielleicht seit seiner Erschaffung kein menschlicher Fuß verirrt hatte, und in welchem ich jetzt, wie die Bildsäule des Erstaunens, ohne Bewegung stand. Die Sonne und alle himmlischen Zeichen waren für mich verloschen — Umsonst spannte ich mein Ohn nach einem Laute — nur nach einem einzigen Laute der Schöpfung — und hörte nichts als das Picken meiner Uhr.

     Unnennbare Angst, die mich nun ergriff, stärckte endlich meine wankenden Füße zu dem Entschlusse, auf gut Glück den ersten besten Radium dieses Gebirges zu erklimmen. — Mühselig war mein Weg; oft glaubte ich für die Erschlaffung wieder zurück zu stürzen: — aber — wie belohnend war auch endlich der Blick, den ich nun an dem errungenen Ziele in den Abgrund that! An seinem Rande erholte ich mich wieder von meiner Müdigkeit und Angst, und bald zeigte mir menschliches Gefühl wiederkommender Eitelkeit, daß ich gerettet sey. Ich versuchte zuerst meine erneuerten Kräfte an einem ungeheuern Sandsteine, den ich kaum mit der größten Anstrengung die wenigen Zolle fortbewegen kontne, die er vom Abhange des Felsen entfernt lag. „Du sollst," sagte ich, „das Monument meines Hierseyns werden." Und nach der Arbeit einer Stunde hatte ich das Vergnügen, ihn rollen, in seinem Falle die Felsenspitzen abschlagen, und das tiefe Moos, in das er sich einsenkte, um ihn herum auffahren zu sehen. — Hier wirst du vielleicht noch liegen, dachte mein Stolz, wenn die folgenden Jahrtausende alle deine gleichzeitigen Monumente größerer Thaten und Verirrungen von der Oberfläche der Erde weggespült haben! — und mit gutmüthigem Lächern verließ ich diesen merkwürdigen Ort.
 

* * *


     Da ich in einer mäßigen Entfernung auf dem Rücken des Gebirges ein großes Gebäude erblickte, war ich außer Sorgen. Dort werden vernünftige Geschöpfe wohnen, dachte ich, und ward meinen kleinen Irrthum nicht eher, als nach einer guten halben Stunde gewahr. Du kannst denken, ob ich jetzt genau auf meinen Berg Achtung gab. — Behutsam stahl ich mich auf die Seite, jeden Abhang vorbey, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, mir noch ein Monument zu setzen, und so kam ich glücklich bis an die Mauern eines Klosters, eben in dem glücklichen Augenblicke, da die Gesellschaft aufbrach, um in die Abendmette zu gehen.

     Ich hielt mich in gehöriger Entfernung von ihrem Zuge, der abwärts ging, trat, wie er fortrückte, immer weiter vor, sah mein liebes Nimes unter mir liegen, und die weiß gekleideten Mönche mit gesenkten Häuptern in einen, wo nicht der prächtigsten, doch geschmackvollsten Tempel treten, der, wie an den Fuß des Berges gelehnt, mir in das Gesicht fiel.

So lehnte sich in königlicher Größe,
Als Hirte noch, auf seinen Stab
Ismai Sohn im blökenden Getöse
Der Herde Vieh´s, die ihn umgab.
Kein Pilger geht vorbey — ihn rühret
Der Weisheit Ernst, dies sprechende Gesicht;
Nur seine Herde, die er führet,
Blökt um ihn her, und kennt ihn nicht.
 

* * *


     Wie ein Wollust athmender Liebhaber aus fein berechneter Sinnlichkeit verweilt, um jeden einzelnen Reiz seiner Geliebten, den eine andere Stellung, eine andere Seite ein anderes Licht ihm gewähren kann, noch aufzufangen; wie er seinen Heißhunger bis zum Ungestüm wachsen läßt, ehe er sich erlaubt, den letzten Schleyer zu heben — so verzögerte auch ich manche Minuten auf dem Schlangenwege, der zu diesem Tempel führt, fing die Strahlen seines Glanzes in jeder Wendung auf, und genoß erst jede nach und nach hervortretende Schönheit meines Gemäldes, ehe ich mich dem Eindrucke des Ganzen Preis gab. Meine Augen verirrten sich jetzt bald in dem spielenden Laubwerke, das die Corniche füllte, die, wie eine königliche Binde, den Dom dieses Tempel umwand; bald weidete ich sie an der erhabenen Stellung und den herrlichen Verhältnissen seiner canelirten Säulen; und die Mannigfaltigkeit der Anmuth dieses unversehrten Denkmals römischer Größe, würde mich vielleicht noch Stunden hindurch beschäftigt haben, wenn nicht der hastige Durchbruch der Mönche meine weit schweifende Einbildungskraft geschwind wieder in die jetzigen Zeiten versetzt hätte.

     Als ihr Haufe beysammen und auf seinem Fortzuge begriffen war, und nun auch der letzte Geweihte heraus trat, der dieses Heiligthum verschließen mußte, wagte ich es, mich ihm in demüthiger Stellung zu nähern, und um die Erlaubniß zu bitten, auch das Innere dieses trefflichen Alterthums zu bewundern.

     „Sehr gern," antwortete der dicke kurz athmende Mönch. „Ich will Ihnen alles zeigen — alles erklären."

     Wir traten ein. Ein Blick schon überzeugte mich, daß hier für meine Art Schwärmerey nichts weiter zu thun sey, und die Erzählung, mit der mich mein Begleiter, während daß wir zum Hochaltare hin, und zur Halle zurück kamen, beschenkte, ließ mich ohnehin auf nichts anderes achten.

     „Welch ein Ideal!" fing ich an — das einzige Wort das er mir erlaubte: denn sogleich legte sich seine asthmatische Stimme darein, die unter ihrer Last von abgebrochenen Sätzen und zerquetschten Sylben, immer auszubleiben drohte, und ich kenne keine Muse so grotesk=komisch, deren Beyhülfe mir die Nachäffung dieses Vorbildes erleichtern könnte. Hier hast du indeß, mein nachsichtsvoller Freund, einen gewagten Versuch. Hilf deiner Einbildungskraft damit, so gut du kannst! Lies ihn aber, wenn du nicht alle Schatten der Wahrheit davon verlieren willst, nicht eher als nach einer guten Mahlzeit, und in einer Weste, die dir zu eng ist — So möchte es noch am ersten gehen!

     Traulich verschlang der Mönch meine dürre Hand mit seiner fleischigen Tatze, und fiel mir, wie folget, in die Rede:

„Das Ideal
Zu dem Gebäude
Erfand einmal
Ein blinder Heide:
Ein Mönch vor Zeit
Hat es erhandelt,
Und Dunkelheit
In Licht verwandelt.
Doch lange stritt,
Sich hier zu setzen,
Maria mit
Der Heiden Götzen.
Der Gott des Weins
Saß viele Jahre
Vor Anno Eins
Am Hochaltare.
Ihm war das Glas
Und seine Venus
Sein Gratias
Und sein Oremus;
Der Göttin nur
Aux belles fesses
Las Epikur
Zuweilen Messe.
Auch sang zur Ehr´
Dem stolzen Kaiser
Sich Flaccus mehr
Als einmal heiser.
Doch einst verhob
Ein schneller Husten
Sein Morgen=Lob=
Lied auf Augusten,
Und aus dem Hals
Fuhr dem Cantori
Kein Wörtchen als
Memento mori.
Mein Kammerad,
Auf alle Fälle
Gefaßt, vertrat
Sogleich die Stelle,
Ging hin — verband
Sich mit Marien,
Das Meßgewand
Ihm auszuziehen.
Er that´s; da fiel
Todt auf den Boden
Der große Spiel=
Mann süßer Oden.
Der Tempel roch
Nach Pech und Schwefel,
Und zeigte noch
Von seinem Frevel;
Und plötzlich sah
Man Gottes Schaaren
In Gloria
Vom Himmel fahren:
Ja, Freund, ein Schwarm
Schneeweißer Engel,
In jedem Arm
Ein Lilienstängel,
Umzog — erstieg
Der Götter Felsen.
Sieg! schrien wir, Sieg!
Aus vollen Hälsen,
Und steckten bald
Die Siegesfahne
Der Mönchsgewalt
Zum Wetterhahne —
Seitdem verziehn
Hier funfzig brave
Sanct Augustin
Geweihte Schafe,
Geweihet, zu
Mariens Füßen
Des Lebens Ruh
Ganz zu genießen.
Sie schenkt uns Most
Aus fremden Kellern,
Und Layen=Kost
Auf Kloster=Tellern.
Drum bleibt der Zweck
Von unsrer Lehre
Der unbefleck=
ten Jungfrau Ehre.
Nun, Femdling, geh
Und sag´ es weiter —
Gott aus der Höh´
Sey dein Begleiter!"
 

* * *


     Mit diesen Worten drehte er seinen schweren Schlüssel herum, nahm sein Käppchen ab, watschelte nun ruhig seinen Mitgehülfen an dem Dienste der Maria nach, und ließ mich in Erstaunen und in der wohlthätigsten Erschütterung meines Zwergfells stehen, die so lange anhielt, bis ich den Berg völlig von ihm erstiegen, und ihn seinem Kloster sicher wieder überliefert sah.

     Gehab dich wohl, fromme gutmüthige Einfalt! wünschte ich ihm hinterher. Dein Futter schmecke dir (ich habe nichts darwider) so lange wohl, als es Gott will! Und da du einmal so weit bist, so müsse dich nie Zweifel, Wissenschaft und Aufklärung um die beruhigende Finsterniß deiner frommen Maulwurfsseele bringen! — Der Weg, den du bis nach Sabinium zurück gehen müßtest, würde für dich zu ermüdend seyn. Was kannst du dafür, daß deine Begriffe nicht in dem Ideenhandel eines Diderot, Büffon und d´Alembert gewonnen sind? Und was kannst du endlich dafür, daß du nicht so mager bist als ich?

     Spät und erschöpft kam ich in meine Wohnung; ich zeichnete nur noch die Bilder meines heutigen Tages in mein Buch, ohne die Einladungszettel, die auf meinem Tische liegen, eines Blickes zu würdigen, trinke noch an einem erfrischenden Glase Wassers aus meinem benachbarten römischen Quell, und sehe dem stärkenden Schlafe mit jenem frohen Lächeln entgegen, wozu eine gute gesunde Seele sich bey menschlichen Thorheiten immer geneigter fühlt als zu Thränen.
 

* * *


Den l9ten December.


     Zwischen meinem letzten großen Spaziergange und heute liegen vier traurig verlebte Tage, die unmittelbar hinter jenem her folgten, in der Mitte. — Ein böser Wind, den man la Bise nennt, durchschneidender und gefährlicher, als keiner auf unserm Riesengebirge, hat diese Lücke meines Tagebuchs verursacht, und mich zu einem Stillstande in der Laufbahn meines Vergnügens, und zu mancher harten Buße für das kaum genossene verdammt. Ich bin wieder von Aerzten besucht und mit Arzeneyen genährt worden — habe die dürren Reiser eines ganzen Weinbergs verbrannt, und mich doch nur mit Mühe von der Menschendruse heilen können, die mich unter dem Namen la Grippe überraschte, und von Haus zu Hause ging. Wie hätte ich diesem freundlichen Lande so eine Hinterlist zutrauen können? — Aber die Sonne scheint wieder, und jeder Strahl von ihr bringt neues Leben, Freude und Gesundheit zurück.

     Es ist wohl Schade um die acht ungenießbaren Tage, die ich verhustet habe, und die ich leicht besser hätte benutzen können. Das übelste dabey ist, daß mir keine Zeit übrig bleibt, meinen Verlust einzubringen; denn, da ich gern auch die übrigen Theile von Languedoc und die benachbarte nicht minder schöne Provence durchstreifen, und in Bourdeau einen Vorsprung vor der heißen Witterung gewinnen will, die dort mit Anfange des Märzes schon drückend wird, so bleibt mir für Nimes nicht viel mehr als eine Woche übrig, und auch diese ist mir außer dieser guten Stadt angewiesen. Mein kluger Arzt hat mir gerathen, sie auf dem Lande zuzubringen, um meine Erholung durch jene einfache Lebensart — das Einzige, was in Städten nicht zu erkaufen ist, — desto sicherer zu befördern.

     Diese Cur geht mir lange nicht so bitter ein, als sich der gute Mann wohl vorstellen mochte. Ich habe ohne Schwierigkeiten Anstalten zu meinem Abzuge gemacht, und meinen Johann schon heute auf die umliegenden Dörfer geschickt, mir eine Wohnung auszusuchen. Er weiß sehr gut, was mir behagt. — Morgen will ich Abschied von der Stadt nehmen; bey dem Eveque und seiner Nichte persönlich; bey meinen übrigen im Flug gemachten Bekanntschaften durch Karten, wodurch die meisten erst, ehe sie das Blatt in den Camin werfen, erfahren werden, wie ich heiße.
 

* * *


     Johann ist zurück, doch bin ich mit seinen Verrichtungen nur halb zufrieden. Er hat mir, glaube ich, das unbequemste Quartier gemiethet, das in der Gegend zu finden war. Freylich hat es nach seiner Versicherung so vieles andere Gute, daß ich, um billig zu seyn, die Eingeschränktheit nicht achten darf, in der ich hausen soll. — „Sie müssen," sagte er so trocken, als ob es Verordnung des Arztes wäre, „mit Wirth und Wirthin in Einem Stübchen wohnen, das nicht allzu groß ist, müssen, an Einem Tische mit ihnen, vorlieb mit der Kost nehmen, die die Küche eines Bauern vermag, und müssen dem Ehebette gegen über schlafen." —

     „Kerl," fuhr ich auf, „glaubst du daß ich ein Dragoner bin?" —

     Aber Johann ließ sich nicht stören — „Mit solchen Menschen," fuhr er fort, „als diese sind, ich weiß es im voraus, treten Sie gern in alle Verbindungen, wie sie möglich seyn wollen. — Reine, unverdorbene Natur, die glückseligste Häuslichkeit, und ein = = ="

     „Laß es damit gut seyn," fiel ich ihm in's Wort, und schüttelte den Kopf: „Erzähle nur ganz einfältig und gerade, warum es eben ein so enges Stübchen seyn mußte?" —

     „Ich hätte Ihnen zwar eben so leicht," antwortete Johann, „ein großes, prächtiges, leer stehendes Haus, das dem Herrn des Dorfes gehört, miethen können, und es steht Ihnen immer noch frey' es zu thun — Doch es wird keine Noth haben — Ich kenne Ihre Bedürfnisse, und mehr Fröhlichkeit, Reinlichkeit und Dienstfertigkeit, als Sie in dieser Hütte antreffen, würden Sie sogar in den schönsten Palästen Berlins vergebens suchen. Ich habe in einigen davon gedient, ehe ich zu Ihnen kam: aber aber = = ="

     „Gut, mein lieber Johann," sagte ich etwas beruhigter: „Morgen mit dem frühesten trage meinen Namen in der Stadt herum, und übermorgen mit Tages=Anbruche wollen wir uns auf den Weg machen.["]
 

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Den 20sten December.


     Von dem heutigen Tage nichts, was sich der Mühe verlohnt! — Es ist alles abgethan, was die leidige Höflichkeit verlangt, und sogar von meiner poetischen Freundin ist mir der Abschied nicht schwer geworden. Meine Koffer habe ich meiner Hauswirthin, bis zu meiner völligen Abreise aus dieser Provinz, übergeben, und bezahle ihr das Quartier auf den ganzen Monat. Sie wimmert, daß ich ihren Pavillon so bald verlasse, und schimpft auf die häßliche Grippe, die ihr schon manchen guten Fremden verjagt hätte.

     Wirklich kann auch dem gesellschaftlichen Leben nichts nachtheiliger seyn, als der verwünschte Wind, der oft unversehens die schönsten Spiel= und Lustpartien aus einander stäupert, und der Schnupfen, den er mitbringt. Er erschlafft alle Sehnen und erkältet das Herz. Befällt er nun vollends Menschen von meiner Zusammensetzung, so ist der dünne Faden, den er zerreißt, nicht so geschwind wieder an seine Enden zusammen geknüpft. —

     Da die Winde hier einmal wie das andere ihren Strich halten, und nicht wie Salomons Winde blasen, wohin sie wollen, so hat man eine bequeme Karte, auf der man leicht übersehen kann, welche Oerter ihrem Durchzuge unterworfen sind. Wäre Nimes eine Meile seit´wärts auf der Stelle des Dörfchens gebaut, das ich morgen beziehe, so würden die Aerzte wenig hier zu thun finden, und ich hätte meinen Pavillon schwerlich so bald verlassen. Was würde aus Nimes geworden seyn, wären die Römer so empfindlich gegen den Schnupfen gewesen als ich!
 

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Den 2lsten December.


     Heute in der Wärme eines Frühlingsmorgen bezog ich mein Dörfchen, das den Namen Caverac führt, und nur anderthalb Stunden von der Stadt entfernt ist. Es ist einem Baron zuständig, der um seinen König herum kriecht, und sein Schloß unbesucht läßt, das ohne Hülfe unter seiner eigenen Pracht und Größe erliegt. Die kleinen Bauerhütten, die es umzingeln, sehen wie Brocken aus, die Wind und Wetter von seiner Felsenwand abgespült haben: aber sie liegen sicher und ruhig, indeß die zerstörende Zeit unermüdet an dem Einsturze des nachbarlichen Colosses arbeitet. Ich nahm ohne Umstände Besitz von dem Kästchen, das Johann, mit einem Gefühl, das seinem Herzen Ehre macht, für mich ausgesucht hatte, und möchte es, so hölzern es ist, für keinen Preis gegen den traurigen Aufenthalt in jener Steinmasse vertauschen, die ihm zur belehrenden Aussicht gegen über liegt. — Und die Bewohner dieser Hütte — wer wollte nicht mit ihnen zufrieden seyn?
 

Des Herz war wohl seit dem Ergusse
Des ersten Tropfen Blut's vergällt,
Der sich zu gut zum Mitgenusse
Der Freuden dieser Menschen hält;
An ihrer Patriarchen=Sitte
Der Städte Politur vermißt,
Nicht unter'm Strohdach ihrer Hütte
Gern seine Gobelins vergißt;
Dem fette Milch aus irdner Schüssel
Nun keine Fürstenkost mehr däucht,
Weil sie kein Herr vom goldnen Schlüssel
Mit ernstem Amtsgesicht ihm reicht;
Der nie den ungesuchten Scherzen,
Des Landmanns Tischgesprächen horcht,
Weil er sie nur dem frohsten Herzen,
Nicht Fontenellen abgeborgt.
 

* * *


     Reine, unverdorbene Natur! Warum verwies ich meinem Johann diesen Ausdruck, der, sooft er auch gemißbraucht wird, doch auf diesen gesunden, thätigen, fröhlichen Mann und auf sein junges, reitzendes, liebevolles Weib so passend ist, daß ich für diese glücklich zusammen Gepaarten keinen schicklichern ausfündig zu machen wüßte.

     Ein Morgen Land, der an ihre Hütte anstößt, mit Oliven, Feigen und Maulbeerbäumen besetzt; eine Oelpresse und ein Behälter im Vorhause für ihre Seidenwürmer: das sind die einfachen Mittel ihres Unterhalts, und nie, sagen sie, habe sich noch Mangel und Schwermuth ihrer Schwelle genähert. Sie treiben ihre Handarbeit wie ein Spiel, durch das sie Hunger, Schlaf und Stärke der Liebe gewinnen. An die Seele denken sie nicht: diese ist bey ihnen ein Acker, der von selbst nur reine und gesunde Frucht tragen kann, und keiner mühsamen Bearbeitung bedarf. Die Kunst, zufrieden zu seyn, liegt ihnen in dem Herzen, wie die Kunst zu sehen in den Augen. Sie nützen diese natürlichen Eigenschaften, ohne einen Augenblick über die Mechanik derselben nachzudenken.

     Da es für heute zu spät war, einen neuen Küchenzettel zu entwerfen, so mußte ich mich diesen Mittag mit ihrer gewöhnlichen Kost begnügen, und darzu gehörte fürwahr keine große Verläugnung. Kräftiger, behaupte ich, kann man nicht kochen, und freundlicher kann man nicht vorlegen, als dieses Weib. „Wer hat sie," sagte ich zu mir selbst, wenn sie durch Wahrheit und Einfalt ihrer Rede mein Herz an sich zog, „wer hat sie ohne Kenntniß', ohne Bücher, ohne Welt gelehrt, so bemächtigend zu werden? Oder ist eben dieser Abgang Ursache, daß sie es in diesem Grade ist?"

     Mein Bette, mein hölzerner Stuhl und ein Tisch für meine Schreiberey und kleine Geräthschaften stehen hinter einem Verschlage, der beynahe das Viertel von der Stube einnimmt — und damit sind hinlänglich die Gränzen des Eigenthums und der erkünstelten Schamhaftigkeit gewahret. Alles lehrt mich hier, unter welchem geringen Aufwande menschliche Zufriedenheit bestehen kann.

     Ich bot meiner Wirthin einen Vorschuß von zwölf Laubthalern an, um die Kosten der vergrößerten Wirthschaft zu bestreiten, da sie ja wohl auch, so lange ich bey ihnen bin, meine Gäste seyn müssen. — Könnte ich mich nur immer so auslachen sehen!

     „Wollen Sie ein Jahr bey uns bleiben, mein Herr?" sagte sie: „Was soll ich um des Himmels willen mit so vielem Gelde anfangen? Spärlich und nährlich! mehr kann mein kleiner Herd und meine Kochkunst nicht bestreiten. — Sie müssen, mein Herr, ich kann Ihnen nicht helfen, mit zwey Gerichten zufrieden seyn. Ihre Gesundheit und Ihre Börse werden dabey gewinnen, und doch sollen Sie mit röthern Backen von uns gehen, als Sie mitgebracht haben. Geben Sie mir drey Stücke von Ihrer Münze; ich will zusehen, wie weit ich damit komme, und übrigens thun Sie nur, als wenn Sie zu uns gehörten. In zweyen Tagen, wette ich, schicken Sie Ihre Arzeneyen in´s Spital; denn in unserm Dorfe kann sie kein Mensch brauchen." — Und so flog sie, die sechzehnjährige Hausmutter, zu ihrer ungekünstelten Wirthschaft.

     Der Mann übernahm, mich in Bewegung zu setzen. Er führte mich erst um das Schloß seines Lehnsherrn herum. „Wenn Sie," sagte er, „die großen Säle sehen könnten, die hier übereinander gewölbt sind, so würden Sie denken, der Mann habe zum Riesengeschlechte gehört, der sie gebaut hat; und doch soll er nicht mehr Mensch gewesen seyn, als sein Enkel, der ein so zierliches Männchen ist, daß er in einem Vogelbauer Raum hätte. Es hängt mancher Schweißtropfen meines armen Aeltervaters an diesen Steinen, der noch mit zu den dicken Mauern gefrohnt hat, die jetzt wieder einstürzen. Seit fünfzig Jahren ist kein Rauch aus diesen verzierten Schorsteinen gestiegen. Die Besitzer dieses unnützen Gebäudes fliehen es wie einen Abgrund, der ihr Erbtheil verschlungen hat, und mir und andern stiehlt es die schöne Aussicht auf des freye Feld, das darhinter liegt. Da lobe ich mir doch die kleinen Häuser von Klebwerk, wie das meine, die man ohne Kosten selbst flickt, wenn sie wandelbar werden — um ein geringes wieder aufbaut, wenn sie zusammenfallen, und in denen starke muthige Menschen wohnen, die darinnen grau werden."

     Alles Verödete, liebster Eduard, läßt auch das Herz leer. Wir wurden erst froh, als wir das gesellige Dorf durchwandelten. Was für ein ganz anderes Gemälde für den Geist gegen jene Einöde des kummervollen Stolzes! Hier war alles lebendig. Bald fuhr der Amorskopf eines rothwangigen Jungens zu seinem kleinen Fenster heraus; bald begleiteten uns die Rabenaugen eines blühenden Mädchens über die Gasse. Hier kam uns der Reif entgegen gerollt, hinter dem ein Dutzend spielende Kinder hersprangen. Dort entblößte ein freundlicher Alter sein graues Haupt, um uns seinen patriarchalischen Segen zu geben. Aus allen Ecken, unter allen Strohdächern hervor, blickte Friede und Freude, Thätigkeit oder Ruhe nach vollbrachter Arbeit.

     Welches Auge könnte so verwöhnt seyn, an diesen bevölkerten Hütten die Verhältnisse eines Palladio, und in dieser Männer Leben und den Spielen ihrer Kinder den Maschinengang der großen Welt zu vermissen?

     Das Dorf ist reinlich, und seine Lage höchst angenehm. Ich machte auf unserm Rückwege noch eine Entdeckung, die mir viel werth ist. Sein kleines Gebiet schließt einen Berg ein, dessen mit Fichten, Mandelbäumen und Geniste bunt unter einander bewachsenen Gipfel ich mir zum Ziel meiner Morgengänge ausersehen habe.

     So fehlt mir hier nichts, was meine einfache Diät bedarf. Johann thut sich nicht wenig zu gute auf die Zufriedenheit, die er an mir wahrnimmt, und brüstet sich manchmal wie ein Magister, der sich seit kurzem zum Wegweiser der wahren Glückseligkeit, wie man sagt, habilitirt hat.
 

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Den 22sten December.


     Ich trennte mich gestern von dir und meinem Tagebuch eher, als ich gewohnt bin. Das glückliche Paar meiner Hausleute eilte, nach hergebrachter Dorfsitte, mit heran nahender Dunkelheit seinem Bette zu, und ich — gutmüthig, sie durch das Licht, das meine Schreiberey erleuchtete, in ihrer verdienten Ruhe zu stören, ahmte ihnen nach, ohne schläfrig zu seyn, und bin herrlich für meine Verläugnung der großen Welt belohnt worden.

     Der zeitige Schlaf vor Mitternacht, in der mir ungewöhnlichen Stille, die mich bald einwiegte, brachte mir heute einen eben so ungewöhnlichen zeitigen Morgen ein. Ich strebte schon dem Fichtenberge zu, da noch die Flur in graulichem Nebel lag, sah den Vorhang sich heben, und gewann dadurch den überraschenden Anblick des immer glänzender hervor tretenden Schauspiels. So sehr es mein Herz entzückte, so neu war es ihm auch — neuer, als ich gegen die Natur verantworten konnte. Ich that ihr meine öffentliche Abbitte des verwegenen Gedankens halber, den ich mir so oft erlaubte: als habe sie mir nichts mehr vorzusetzen, als den Gaum eines so übersatten Menschen als mich, noch reitzen könne.

     Was für eine Allgewalt hat nicht die Bergluft über die bessern Empfindungen der Seele! Weißt du es noch nicht aus eigener Erfahrung, so eile, Freund, sie zu gewinnen, so bald es nur euer eiserner Himmel erlaubt.

Wer, in dem Bruderarm gesunden Schlafs erquicket,
Sein Lager im Gefühl der Auferstehung flieht,
Vom ersten Sonnenstrahl, der durch den Nebel zücket,
Sein Morgenopfer brennen sieht,
Dem lohnt Begeisterung. — Sein frommes Auge strebet
Dem Unsichtbaren nach. Sein weis´res Herz versteht
Die edle Bangigkeit, die seinen Busen hebet,
Und jeder Blick wird ein Gebet.
Entschluß gerecht zu seyn, Muth zu der Freundschaft Thaten,
Veredeltes Gefühl der Lieb´ entsteigen nur
Der Dunkelheit des Walds, dem Wellenschlag der Saaten,
Und deinem Säuseln, o Natur!
 

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     Nach dem köstlichen ländlichen Mahl, das mich an der Seite zweyer guter Menschen erwartete, als ich hungrig zurück kam, führte mich mein Wirth auf den allgemeinen Kegelplatz des Dorfs, um mich mit einem Blicke die ganze Gemeinde kennen zu lehren. Der Nachmittag ist in diesem Lande nur dem Vergnügen — und keinem mehr gewidmet, als dem Kegelspiele; und nichts kann wohl deutlicher von dem leichten Nahrungserwerb seiner Bewohner zeugen, als dieser Hang. Der Seidenwurm erfordert nur sechs Wochen Aufsicht und Wartung, wie unsere Kindbetterinnen, und belohnt dennoch dem Landmann weit reichlicher seine kleine Mühe, als der fruchtbarste Getreidebau und die fruchtbarste Frau bey uns. Die Olivenernte schlägt selten fehl, und der äußerst wohlfeile Preis des trefflichsten Weines zeugt von seinem Ueberflusse. Was für Forderungen können also diesen guten Leuten noch zu befriedigen übrig bleiben, als die Forderungen des Vergnügens.

     Mein Begleiter war allen willkommen und ich mit ihm. Ich nahm indeß nur einen mäßigen Antheil an ihrem Zeitvertreibe, da ich nicht weit davon die jüngere Classe des Dorfs nach dem Takte einer Leyer ihren Muth auswalzen sah. Ich stahl mich unvermerkt von der Seite meines Führers hinweg, und labte mein Auge an dem Ausdrucke der Freude — an feurigen Blicken der Jünglinge und dem pochenden Herzen ihrer Geliebten. Blaise, mein Freund — immer erlaube mir, auch ihm diesen Namen zu geben — überraschte mich, da eben meine Augen auf dem liebevollen Gesichte eines Mädchens ruhten, das der Huldigung eines Sultans würdig gewesen wäre. Er sah es, und fand ganz natürlich, daß mir dieses Gesicht nicht gleichgültig sey. —

     „Wenn Sie morgen," redete er mich auf meine Miene an, „mit meiner Frau allein essen wollen, so will ich Ihnen zwey Stunden von hier eine gewisse Margot holen, die alle Schönheiten unsers Dorfs weit übertrifft; ein glückliches munteres Geschöpf, die Tochter meiner Schwester und unser aller Liebling. Sie soll, wenn Sie es gut finden, so lange bey uns bleiben, als Sie bleiben werden: — ich weiß, Sie werden mir es danken."

     Nun erschrak ich zwar nicht wenig über den Zuwachs unserer Gesellschaft, da mir der Gelaß des Hauses nur zu bekannt geworden war; doch hielt ich es weiter nicht für nöthig, ihm meine Bedenken mitzutheilen: noch weniger getraute ich mir, ihm die Gefahr merken zu lassen, die für mich aus der nahen Nachbarschaft eines Geschöpfes entstehen könnte, das seiner Beschreibung glich; denn dafür hatte der gute Mann keinen Sinn. — Es bleibt mit sonach nichts übrig, als in Geduld zu erwarten, was sein Versprechen leisten wird.
 

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Den 23sten December.


     Spotte, wie du willst, guter Freund! Ich gefalle mir immer mehr in meiner einförmigen Lebensart, die eben so viel Mannigfaltigkeit hat, als sie mir neu ist. Da ist mir der heutige Vormittag wieder so angenehm auf der hiesigen Post verstrichen, daß ich die volkreichste Stadt auffordern kann, mir einen bessern Morgen zu schaffen. Es ist freilich nur eine poste aux ânnes — aber was thut das? Ich habe keinen so überfeinen Geschmack, als Ludwig der Große, und kann zu Zeiten einen Bauerntanz von Teniers mit mehr Theilnehmung betrachten, als eine Menschenschlacht von le Brün.

     Das Leben und Weben der Ankommenden und Abgehenden; das Satteln und Absatteln; die Anforderungen und Abrechnungen; die Ordnung und Unordnung; kurz das ganze groteske Gemälde, das sich jeden Augenblick erneuerte, verfehlte nicht, auf mein der Freude geöffnetes Herz seinen Eindruck zu machen. Doch gab ich nicht bloß einen müßigen Zuschauer ab. Warum hätte ich nicht dann und wann ein artiges Kind, das schalkhaft unter seinem Sonnenhütchen hervor blickte, aus dem Sattel oder in den Sattel heben, ihren freundlichen Dank oder sonst eine kleine Belohnung, die sie mir vergönnte, mitnehmen sollen?

     Man kann kein fröhlicher Bild sehen, als so ein Landmädchen, wenn es, zwey Körbchen an der Seite mit Bedürfnissen, die es aus der Stadt geholt hat oder nach der Stadt bringen will, lustig einher oder davon trabt, dem flinken Burschen, der ihrer wartet, das Band reicht, das sie ihm mitbrachte, oder sich einen Kuß von ihm auf den Weg geben läßt. In unserm traurigen Lande, lieber Eduard, wird man sich selten den Zeitvertreib verschaffen können, auf einem so kleinen Umkreise so viel fröhliche Gesichter beysammen zu sehen. — In dieser Rücksicht halte ich die poste aux ânnes für eine der wichtigsten Entdeckungen, die ich je gemacht habe.

     Mein Wirth, den ich dahin begleitete, ging von hier aus mit einem Courieresel ab, und wird auf dieselbige Art diesen Nachmittag mit der schönen Gesellschafterin zurück kommen, die er mir gestern versprach.

     Stelle dir übrigens nur nicht unter den hiesigen Eseln so langsame unbehülfliche Thiere vor, als sie bey uns sind. Hier ist nichts träge und langsam, und die verächtlichste Creatur, wie die geschätzteste, empfindet hier den wohlthätigen Einfluß dieses so milden Himmelstrichs.

Des Himmels Segen deckt dieß Treiben der Natur:
Durch rein gefärbtes Licht erhoben,
Glänzt es dem Sohn des Epikur,
Wie ein Brillant auf unserm Globen.
Der Forscher sieht erstaunt, wie lebhaft, wie geschwind
Hier alle Räder gehen, der Weitzen seine Körner,
Der jüngste Most die Stärke des Falerner,
Contur und Gederkraft die jüngste Brust gewinnt.
Schnell läuft der Esel hier, das Füllen wieh´rt, — das Rind,
Der Bock, der Hirsch, und was etwan noch ferner
Darzu geboren ist, trägt dreymal größ´re Hörner,
Als sie bey uns gewöhnlich sind.
 

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     War ich diesen Morgen zufrieden, so habe ich nicht weniger Ursache, es auch den Nachmittag zu seyn. — Ich habe, einem Engel von Weibe gegen über, meinen Hunger an dem schmackhaftsten Braten gestillt, wie ihn der König nicht essen kann, wenn er seine Schöpfe nicht auch mit Rosmarin füttern läßt, der den hiesigen die gewöhnlichste Weide ist — habe eine Flasche Landwein getrunken, den man den Kennern in Berlin mit aller Ehre für Burgunder vorsetzen könnte, und kaum stand ich mit glühenden Wangen von meinem Schmause auf, so trat mein Wirth mit seiner Nichte an der Hand herein, und brachte mehr Leben mit, als ich brauche.

     Ich will es dir nicht zu Leide thun, die kleine Margot mit allen ihren Annehmlichkeiten zu schildern; doch sey versichert, daß sie von euern Operngesichtern wenigstens so weit absieht, als die aufblühende von einer bis zur Hagebutte verschrumpften Rose. Und so ein Mädchen wird mir aus lauter Gutherzigkeit zugeführt! Für wie alt muß mich mein ehrlicher Wirth halten, wenn er glaubt, daß dies nichts zu bedeuten habe?

     Ich habe hierüber schon die erste Viertelstunde ihres Hierseins eine mißliche Erfahrung gemacht. — Ich glaubte etwas recht kluges zu thun, setzte mich mit einem philosophischen Auge den schalkhaften Augen des Mädchens gegen über, und wollte berechnen, durch was für natürliche Kräfte es möglich sey, daß dieser Körper, dieser Geist, einer so unbefangen, so unverschleyert und so ausgebildet als der andere — wie so viele leibliche und geistige Fülle einem dreyzehnjährigen Kinde angehören können? Aber, anstatt der Entscheidung der Hauptfrage näher zu kommen, fand ich mich am Ende nur in den Nebenumständen, und zwar so gefährlich verwickelt, daß ich meine Untersuchung aufgeben und Gott danken mußte, daß ich es noch zu thun im Stande war.

     Während ich dieß niederschreibe, tragen die Leutchen, mir nichts dir nichts, die Betten zusammen, auf denen die kleine Margot diese Nacht und die folgenden, kaum sechs Schritte von mir, ruhen soll. —

     Nun ja — das Bette ist fertig, und ich habe das Fieber. — Ich muß an die Luft gehen, um meine Verlegenheit über diese Anstalten zu verschnaufen.
 

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     Ja; wenn nur alles so in der Luft verdunsten wollte, was dem Herzen zu viel ist! Zur Erhaltung des Gleichgewichts in unserer kleinen Welt wäre das eine treffliche Sache. — Ich habe eben keinen großen Zirkel um das Haus herum geschlagen — da sitze ich dem Kinde schon wieder gegen über, kaue an ihren kleinsten Bewegungen, und freue mich, wie in diesem Lande, man mag seine Blicke ausschicken, wohin man will, alles so nebellos ist — Hat mir Jerom es nicht vorher gesagt?

     Du bist wohl sehr gut, wenn du mir erlaubst, in so abgebrochenen Sätzen fortzuschreiben: — aber ich kann nicht anders. — Ich werfe meine Gedankenblitze auf das Papier, wenn die Kleine zur Thüre hinaus stürmt, und werfe die Feder eben so geschwind weg, wenn sie wieder herein gehüpft kommt.
 

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     Das kann ein gefährliches Geschöpf für meine Ruhe werden, wenn es noch acht Tage älter unter meinen Augen wird, und der Eindruck, den es auf mich macht, mit jeder Stunde so fortsteigt wie heute! — Sie ist schon so bekannt mit mir, als wenn sie meine Tochter wäre. — Sie ruft, verschickt, befiehlt meinem Johann, wie es ihr einfällt — bald, glaube ich, wird sie auch mir befehlen. — Ich verlor keinen Laut ihrer Stimme, als sie mir alleweile von ihrem Hänfling erzählte, den sie so kirre gemacht hätte, daß er ihr aus der Hand fräße — und was sie für ein Glück mit den Blumen habe! — Sie dürfe, sagt sie, das dürreste Reis nur in die Erde stecken, so blühe es. —

     Ich weiß es wohl, es sind armselige Kleinigkeiten, die ich dir erzähle: sie sind es aber, Gott weiß es, wenn sie über ihre Lippe gehen, so wenig, daß ich mich kaum erinnere, etwas geistreicheres gehört zu haben. —

     Ich breche ab, liebster Freund, die kleine Gereifte schläfert. — Die Engel des Himmels mögen über ihre Ruhe wachen! — Ich will gern auch schlafen — wenn ich kann.
 

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Den 24sten December.


     Noch schläft sie — Ich eile nach meinem Berge, um nicht bey ihrem Erwachen zu seyn — Wirth und Wirthin sind schon im Hause und in der Küche geschäftig — was das für eine Wirtschaft ist!
 

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     Das war wieder ein herrlicher Gang — Leib und Seele erquickend. — Ich habe nun meine Sinnen in Ordnung, und bin mir jetzt selbst um vieles lieber als gestern. — Fürche nichts von dem verführerischen Kinde! Es soll mich nur ermuntern und belustigen, und die Zierde meines kurzen Idyllenlebens in diesem Dörfchen werden.

     Zu jener Zeit, da ich mich noch mit jugendlichen Systemen abgab, theilte ich die weibliche Tugend in zwey Classen — und ich sehe nicht, warum ich diese Eintheilung nicht noch jetzt beybehalten sollte? Die eine ist jene wahre, einfältige, natürliche Tugend, die mir Ehrfurcht auch unter einem leinenen Kittel gebietet: die andere jene Scheintugend, die immer bewacht sein will, und von der ein englischer Schriftsteller sehr richtig sagt, daß sie der Schildwache nicht werth sey; und mit dieser letztern nehme ich es freylich nicht so genau. Aus jener edlen Classe hat die Natur offenbar den Stoff für meine vortreffliche Wirthin und ihre Nichte genommen, und Gott gebe, daß, wenn mich einmal die Ehe fesseln sollte, meine Gesellschafterin für das Leben hierin meinen jetzigen gleichen möge!
 

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     Ich habe einen Verlust erlitten, der mir nahe geht. Mein guter Mops ist gestorben, und liegt nun unter dem großen Oli-venbaume meines Wirths begraben. Wenn dem klügern Menschen nicht ausschließungsweise von jeder andern Kreatur die Ehre des Selbstmordes vorbehalten wäre, so möchte ich beinahe glauben, daß auch mein Mops, aus Schwermuth, freiwillig die Welt verlassen habe. Es schien ihm unausstehlich zu seyn, seinen Herrn vergnügt zu sehen; und seitdem Margot hier ist, die mir eine Runzel um die andere aus dem Gesichte wegwischt, bekam er jede Stunde eine mehr, und seit gestern Abend, wo wir — ich und sie — freilich sehr munter zusammen waren, schien sein Verdruß auf's höchste gestiegen zu seyn. — Er kroch in einen Winkel, und heute früh fand man ihn todt.
 

     Ich gestehe, daß ich ihn seit einiger Zeit vernachlässigt habe, und es thut mir wirklich leid; denn es war ein gutes Thier, das mich liebte, und dem ich, in jenen hypochondrischen Stunden meiner Reise manche nützliche Betrachtung verdankte.
 

Dieß große Warnungsbild, das ich mit ihm verloren,
So weit ich blicken kann, ersetzt ein anders nicht.
Belehrender ward nie ein Sonderling geboren,
  Und keiner trug bei kürzern Ohren
    Ein philosophischer Gesicht.

Zwar sah ich manche Stirn von Königsberg bis Leiden
Mit diesem mystischen gelehrten Ueberzug:
Doch sah ich keine je, die Runzeln so bescheiden
  Von allen Weisen zu beneiden,
    Als meines Hundes Stirne trug.

Der schönsten Stadt entführt, wo der Beruf zu schlafen,
Durch Lindenluft verstärkt, das Bürgerrecht ihm gab,
Ward er, wie Epiktet, vom ungestalten Sklaven
  Mein Freund — Er war's, dem Polygraphen
    Der Schweiz zum Trutz — bis an sein Grab.

Er warf den hohen Ernst der kritischen Geberde
Nie auf ein Mitgeschöpf — nie außer sich herum.
Der Schnarcher suchte nie, so weit ihn Gottes Erde
  Auch trug, daß er bewundert werde,
    Ein größer Auditorium.

Nur still erbaut' er mich. Von seinem gelben Felle
Blickt' ich gestärkter auf in die beblümte Flur:
Mein krankes Auge stieg von seiner Lagerstelle
  Gemach vom Dunkeln in das Helle,
    Bis zu dem Lichtquell der Natur.

Wenn er sich schüttelte, las ich in seinen Blicken
Den herrlichen Beweis vortrefflich kommentirt,
Den einst, vom Uebergang des Schmerzes zum Entzücken
  Aus gleicher Nothdurft sich zu jücken,
    Der weise Sokrates geführt. *)

Kein unbequemer Freund, kein Trunkenbold, kein Fresser,
In richtiger Mensur nicht stolz, nicht zu gemein,
Schlief er sein Leben durch, und wahrlich desto besser!
  Er schläferte, wie ein Professor,
    Auch seinen klügern Nachbar ein.

Lebt wohl ein Menschenfreund, der sich nicht seiner Hunde,
nicht ihrer Tugenden und ihrer Liebe freut?
Sucht nicht selbst Friederich, kraft seiner Menschenkunde,
  Das Spielwerk seiner Ruhestunde
    In seines Hunds Geselligkeit?

Ulyß, von seinem Hof verkannt und ausgeschlossen,
Bewährt der Treue Ruhm, den sich sein Hund erwarb:
Alt, blind, kroch er zu dem, nach Jahren die verflossen,
  Von dem er Wohlthat einst genossen,
    Zog seinen Dunst noch ein — und starb. —

Wie hast du, guter Mops, nicht meiner Stirne Falten,
Sah ich dem Grillenspiel der deinen zu, gegleicht!
Gewarnter nur durch dich, frühzeitig zu veralten,
  Sey immer dir mein Dank erhalten!
   Auch dir sey Gottes Erde leicht! -

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*) Plat. Phaed. pag. 150. edit. Fischer.
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     Margot, als sie mich in diesen ernsten Gedanken vertieft und meine Augen getrübt sah, stellte sich gerade vor mir hin — „Wie konnten Sie," fragte sie mich mit lautem Lachen, „einem so grämlichen schnaufenden Thiere nur ein Bischen gewogen seyn! — Wissen Sie wohl — aus Liebe für Sie habe ich ihm Krähenaugen gegeben! Sein unfreundliches Aussehen störte ja nur unsere lustige Gesellschaft," — Und ich Narr sitze da, blinzle dem Mädchen in´s Gesicht, weiß nicht recht, ob ihre Anklage Ernst oder Scherz ist, und vergebe ihr eins wie das andere, um der Perlen von Zähnen wille, die sie mir sehen läßt. Ich werde mit diesem Kinde selbst noch zum Kinde, lieber Eduard! — aber — ich kann mir nicht helfen.
 

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Den 25sten December.


     O Jerom! Jerom! Du würdest mit mir zufrieden seyn, wenn du mich sehen könntest! Liebe und Freude durchströmen mein Herz. Wie geschwind ist unter diesem lachenden Himmel, in dem Umgange dieser seltenen Menschenart, die Rinde weggeschmolzen, die es umgab! Eine Schicht nach der andern dieses verhärteten Umzugs lös´te sich ab, und jetzt schwärmt es neu belebt, hebt sich und senkt sich, tobet und brauset, und ich kann seiner nicht mehr Herr werden. Sogar meine Berge und Wälder haben ihr ehrwürdiges Ansehen verloren, seitdem sie Margot mit mir durchschweift. Dieß Kind der Natur badet sich selbst zu gern in dem Morgenthau, fühlt selbst zu sehr das Behagliche der Bewegung, als daß sie in der Hütte bleiben und ihren Vortheil nicht absehen sollte, sich, so bald ich aus der Thüre trete, an meinen Arm zu schlingen.

     Heute mit dem frühesten erwachte sie, als ich eben nach dem Hute griff, der gerade über ihrem Bette an der Wand hing, und, wie ein aufgescheuchtes Reh, fuhr sie von ihrem Lager auf, so daß sie mir kaum Zeit ließ, meine Augen so lange wegzuwenden, bis sie ihr Röckchen über sich geworfen hatte. O Natur! Natur! — auch Coquetterie, wie sie aus deinen Händen kommt, ist rührend! Ich habe manchmal ein Schminkpflästerchen aufkleben, manchmal eine Nadel fest stecken müssen; aber nie that ich es mit der Empfindung, die Margot in mir erweckte, da sie jetzt, so lustig als ich es wünschen konnte, mit der Bitte vor mich trat, ihr den vermaledeyten Sonnenhut aufzusetzen, der ihr so hübsch steht.

     Wie die Toilette in Ordnung war, erstiegen, durchliefen, umkletterten wir nun alles, was uns die Natur in den Weg warf, und sangen, schäkerten und lachten, als wenn die ganze Welt uns zugehörte. Auch mein Johann kam gestiegen, eben da wir beyde Kinder versuchten, wer am weitesten in die Ferne blicken könnte, ob es ein Adler oder eine Krähe sey, die dort am Rande des Himmels ihr Spiel trieb? — Es war mir recht lieb, daß Johann kam. Ich rief ihm zu, und er nahm herzlichen Theil an unserer Freude.

     Du glaubst nicht, wie viel dieser Mensch in meiner Achtung gewonnen hat, seitdem der enge Kreis, der mich hier umschließ, den Abstand unter uns beynahe ganz aufgehoben hat. Außer dem Boden, wo er schläft, hat er Einen Aufenthalt mit mir, die der Gesellschaft gemeinschaftliche Stube. Es ist der gutherzigste, natürlich gesittetste Mensch, den ich vielleicht aus Berlin hätte mitnehmen können, und es freut mich recht, daß ich noch in dem zehnten Jahre, da er mir dient, seine Bekanntschaft gemacht habe.

     Das mag wohl oft der Fall in unserm Stande — und noch weit mehr in der Classe der Großen seyn. — Wir suchen Freunde — in den Vorsälen — an den Spieltischen und in unsern vornehmen Gesellschaften — wundern uns, daß wir auch nicht Eine Seele finden, die unsern Forderungen Genüge thut, indeß vielleicht nahe bey uns, eben das gute Geschöpf, das uns fehlt, hinter unserm Stuhle steht. — Wie arm haben uns unsere leidigen Verhältnisse gemacht! Wie haben sie den Gemeinplatz der Zufriedenheit zersplittert, daß jetzt keines mehr von dem Brocken leben kann, der ihm von dem Ganzen zugefallen ist!
 

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Den 26sten December.


     Ich sehe mit Zittern den Zeitpunkt sich nähern, der mich von diesen Söhnen und Töchtern der Natur trennen soll, und nichts freut mich dabey, als daß auch Johann den Kopf hängt, wenn ich von unserer Abreise spreche. Künftighin soll der gute Mensch nie anders als neben mir im Wagen sitzen; ja auch, wenn der Mops noch lebte, sollte er es. Sein Verstand, seine gute Laune, und besonders das Mitgefühl des frohen Lebens, das ich hier führe, sind mir nützlicher und nothwendiger geworden, als seine armseligen Dienste, die ich im Grund entbehren kann.

     Arme Margot! Auch dein empfindsamer Busen hebt sich; auch in deinen Augen glänzen Thränen der Wehmuth; auch an deinem Liebe athmenden Munde wagen sich Zuckungen eines heimlichen Schmerzes, wenn du an unsere Scheidung, an die Trennung von einem Freunde denkest, der dir nur gar zu lieb, gar zu theuer geworden ist. O daß ich der Einzige seyn möge, wie ich der Erste bin, der deinem Herzen die Freude verdirbt, zu der es die Natur so empfänglich gebildet hat! —

     Ich schwöre dir, Eduard, daß selbst meine Eigenliebe kaum die so schnell angewachsene Leidenschaft dieses Kindes für mich zu erklären weiß — und doch ist sie da — in aller der Glorie da, durch die sich ein unerfahrenes Herz verräth, und die auch nur einem solchen gut steht.
 

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     Wenn mir manchmal das erste Blatt eines empfindsamen Romans ein unschuldiges, kaum den Händen der Natur entschlüpftes Mädchen ausstellte, das den Sonntag den Mann zum erstenmal erblickt, mit dem es auf der sechsten Seite, schon den Sonnabend nachher, bis über die Ohren in Liebe versunken, ins so regelmäßiger Vertraulichkeit lebt, daß, wenn Autor und Leser rechnen können, man beynahe voraussagen kann, auf welchem Blatte sie Mutter seyn wird: so lachte ich immer dem Geschwindschreiber gerade in´s Gesicht, und war gewiß niemals bey der Taufhandlung. — Aber man sollte, weiß Gott, über nichts lachen!

     Nicht weniger habe ich oft so krause, schäckige, verschlungene Figuren in den Wolken gesehen, daß die Bibliothek der schönen Wissenschaften den Maler, der es wagte, sie treu nachgebildet auf seine Landschaft zu bringen, ohne Widerrede für einen Narren erklären würde — und doch lag das Original, ohne ein menschliches Auge zu beleidigen — in der Natur. Schriebe ich nun einen Roman, lieber Eduard, so würde ich wenigstens aus Autorklugheit einen halbjährigen Umgang vorausgehen lassen, um das Herzklopfen, die glühenden Wangen und das Stammeln der Zunge dieses dreyzehnjährigen Kindes wahrscheinlich zu machen: aber ich schreibe ein Tagebuch, und muß die Wolken malen wie ich sie finde.

     Seelen, die für einander geschaffen sind — ich fange es jetzt an zu glauben — streben einander entgegen, wie und wo sie sich antreffen. Sollte es dich indeß, ungeachtet dieses freylich auch nur in Romanen vollgültigen Grundsatzes, dennoch wundern, wie ein so frisches, unbefangenes Kind, ohne sich durch mein blasses, abgehärmtes Gesicht schrecken zu lassen, in dem kurzen Zeitraume von vier Tagen einen Weg von solchem Umfange zurück gelegt habe; nun so wirst du über die schnelle Veränderung wohl ungleich mehr erstaunen, die diese Spanne von Zeit in mir altem erfahrnen Krieger hervorbrachte.

     Siehe! der eingewurzelte Begriff von der nothwendigen Ungleichheit der Stände ist in den paar Tagen so locker bey mir geworden, daß nicht viel fehlt, so fliegt er in alle Winde. — Seit dem Augenblicke, da ich die Leidenschaft der Kleinen gegen mich entdeckte, wozu eben kein übermäßiger Scharfsinn nöthig war, habe ich über eheliches und häusliches Glück, Sympathie der Seelen und Mißheirathen so deraisonirt, als wenn ich dafür wäre bezahlt worden. Ueber das Herz, behauptete ich sehr einleuchtend, sollte kein Grundsatz gebieten, der nicht aus der Natur sondern aus unsern erkünstelten Verhältnissen entsprang. Verschwende ich hier nicht offenbar an den Götzen des Vorurtheils eine Perle so rein und ächt, als die Liebe nur ihren Lieblingen zuzuwenden vermag, und darf ich wohl hoffen, jemals in der Verzäunung, in die mich mein Stand verbannt, ein Kleinod wieder zu finden, das diesem hier gleich ist?

     In solchen Sophistereyen, würde ich sagen, habe ich eine schöne Morgenstunde verträumt, als ich heute auf der Spitze des Berges an ihrer Seite lauschte, wenn ich mich nicht zugleich, wie ein erfrorner Priester, an der auflodernden Flamme ihrer Erstlingsliebe so durchwärmt hätte, daß ich unmöglich den Verlust der Zeit beklagen kann, ob ich gleich jetzt nach allen kaltblütigen Mitteln der Vernunft stören muß, um meine durchglühte Einbildungskraft wieder abzukühlen. Gottlob, daß es mir gelungen ist! Ich habe mir stark in das Gewissen geredet, mir bewiesen, daß ich zu der wankelmüthigsten, treulosesten Menschenclasse gehöre, die einzige ausgenommen, die in allem eine Stufe über die meine steht — daß ich viel zu lange in einer verdickten Atmosphäre gelebt habe, um nun in der Region der Wahrheit und der dunstfreyen Natur dauern zu können, und habe daraus die Schlußfolge gezogen, daß Margot, dieß Kind der Unschuld, viel zu gut für mich sey.

     Gewiß ist sie des besten Mannes werth. Aber nur einer, dessen Geburt und Lage ihn von der Amme an gegen die feindseligen Angriffe der guten Erziehung geschützt haben — der das Gift der Sitten nicht eingesogen hat — der alle Strahlen des Glücks, der Zufriedenheit noch in Einem Brennpunct vereinigt, und mit der großen Kunst der höhern Stände noch unbekannt ist, sie prismatisch in Farben zu theilen und — unkräftig zu machen — mit einem Worte, nur der beste Mann ihres Standes vermag es, dieses schöne, gefällige, tugendhafte, und mit der herrlichsten Zusammensetzung zu einem trefflichen Weibe begabte Mädchen so glücklich zu machen, als es zu seyn verdient. Von ihr ist es eine schuldlose Verirrung, daß sie mich liebt — von mir — würde es eine Treulosigkeit an der Natur seyn, wenn ich diese Verirrung mißbrauchen und sie aus dem Zauberzirkel reißen wollte, in welchem ich die schätzbaren Menschen sich drehen sehe, deren Hausgenosse ich bin, und der mich — ich stehe nicht dafür — bis zu der lächerlichsten Ehe schwindlich machen könnte, wenn ich ihnen länger zusehen sollte.

     Ihre vier Jahreszeiten, Eduard, — wie verschieden sind sie nicht von den unsrigen! Sie verlaufen ihnen so glücklich und einfach, wie die Zeiten ihrer einzelnen Tage, und ihr Leben verläuft ihnen wie ihre Jahre.
 

     Mit süßem Lächeln weckt der Morgen
Dieß der Natur geweihte Paar,
Das bey der Liebe Sorgen
Sanft eingeschlummert war.

     Der Tag entwickelt ihre Kräfte,
Uebt ihren ländlichen Verstand;
Zu nützlichem Geschäfte
Reicht jedes sich die Hand.

     Sie opfern dem Umarmungstriebe
Des kurzen Abends Ueberrest,
Bis ungern sie die Liebe
Dem Schlummer überläßt.

     Ein leichter Schlaft stärkt ihre Glieder,
Und eine schnell verträumte Nacht
Giebt sie der Liebe wieder,
So bald der Tag erwacht.
 

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Den 27sten December.


Ich habe diesen Morgen meinen Johann mit Briefen und mit dem Auftrage in die Stadt geschickt, einen Wechsel für mich zu heben, davon ich einen Theil nöthiger brauche als den andern. Ich muß durchaus diese biedern Menschen, so gut ich kann, für den Wohlgeschmack am Leben belohnen, den sie mir beygebracht haben.

     Uebrigens ist mein heutiger Tag vergangen, wie der gestrige. Wer der Einförmigkeit gut werden will, muß sich in diesem Dorfe niederlassen. Wäre es so ehrlich, als es bequem ist, lieber Freund, seinen guten Leser über den Verlauf von vierzehn bis funfzehn Stunden mit einem Gemeinsatz abzufertigen; so dürfte ich hier nur das, leeren Köpfen so gewöhnliche Mittel anwenden, mit einem klügern zu entern, einen langen  —  —  — Gedankenstrich machen, und mich und meine Feder zur Ruhe legen. Da aber meine gerühmte Einförmigkeit es doch nicht so sehr ist, als du etwan denken könntest; da auch Margot zu Bette, alles um mich herum so still ist, und es mir auf ein Blatt mehr oder weniger nicht ankommt; so wüßte ich nicht, was mich abhalten könnte, heute weniger vollständig zu seyn als gewöhnlich.

     Freylich habe ich nicht, wie du, eine neue Oper von Naumann aufführen, oder durch ein anderes Kunstwerk die Natur verhunzen gesehen: aber dafür sah ich, und weit deutlicher, als es nicht leicht ein Hofmann zu sehen bekommt, alle Federn eines gerührten weiblichen Herzens im Spiele; die schönste Pantomime, die mir die Liebe, und zwar mir allein, zu Ehren gab. Das Stück bekam dadurch, und durch die unaufhörlichen Schmeicheleyen, die ich dabey Gelegenheit fand, bald meiner Scharfsichtigkeit, bald meiner Eigenliebe zu machen, wahrlich kein geringes Interesse, ohne manches andere wohlthätige Gefühl der Großmuth, des Mitleids und so weiter, nur in Anschlag zu bringen.

     Die gute Kleine, die, während ich diesen Morgen schrieb, Verstand genug hatte, mich nicht zu stören, und sich unterdessen im Vorhause beschäftigte, meinem Johann den ganzen Roman des Seidenwurms zu erklären, konnte nun, wie ich ihn mit den Briefen abgefertigt hatte, ihren Mißmuth über ihren verlorenen Spaziergang nicht länger verbergen. Du hättest nur sehen sollen, wie so launig sie sich anstellte, wie so zärtlich sie über meine Schreiberey schmählte, und wie ich eilte, ihr den Ersatz auf den Nachmittag zu versprechen.

     Das machte alles wieder gut. — Nun flog sie in die Küche, schürte das Feuer doppelt an, und brachte es so weit, daß der Eyerkuchen — zwar ein wenig verbrannt war — wir uns indeß doch eine halbe Stunde eher um ihn herum setzen konnten. Ach! er hätte mir nicht besser schmecken können, wäre er auch in seiner größten Vollkommenheit erschienen. Ihr selbst — ihr wollte er nicht schmecken, — selbst nicht, wie ich ihr ihn vorlegte. Sie war verloren für alles gemeinere Bedürfniß. Ihre Sprache war zitternd, wie die Sprache der Sappho, und ihr glühendes Auge — von allem was zwischen Himmel und Erde ist — nur auf mich allein geheftet. Mir kam wahrlich zur rechten Zeit meine Erfahrung zu Hülfe. — Ich hörte durchaus nicht auf den Einklang meines Herzens mit dem ihrigen — wies es schon bey´m Präludiren zur Ruhe, und konnte nun desto aufmerksamer auf das natürliche Adagio der kleinen Virtuosin Acht geben, das mir — ich versichere dich, Eduard — mehr Vergnügen gewährte, als die vollständigste Tafelmusik unseres Königs.

     Wie wir aufgestanden waren, brachte mir das arme Kind, dem es in der Stube zu enge ward, meinen Hut und Stock, und trippelte vor mir her zur Hütte hinaus. Mir ward, als ich den blauen Himmel sah, angst und bange vor dem heimlichen Spaziergang, in den sie mich in aller Unschuld verlocken würde. Ich dacht in diesem Augenblick an den, in der verschwiegensten Ecke deines Parks lauschenden Amor, den sicher kein Pfuscher gemeißelt hat. Ich weiß kein belehrenderes Sinnbild von ihm. — Das bedenkliche Lächeln, mit dem er in die Stille des Waldes hineinblickt — die umfassende Kraft, die seine Flügel dehnt — das kleine Schrecken, das er jedem einjagt, der unvermuthet auf ihn trifft — alles war mir jetzt furchtbarlich gegenwärtig.

     Da dachte ich schon bey mir selbst: „Du willst ehrlich seyn, Wilhelm, da es noch Zeit ist. — Ehe du einen Schritt weiter setzest, willst du das unbefangene Mädchen von der Gefahr unterrichten, die es läuft. Du hast so viele warnende Bilder vom Amor gesehen — hast dich müde an allen den Steckbriefen gelesen, die ihm täglich nachgeschickt werden, daß es nicht gut seyn müßte, wenn du der Kleinen nicht eine Schilderung von ihm machen könntest, daß ihr die Lust wohl vergehen soll, ihn näher kennen zu lernen. Ist nicht schon manches Schulmädchen durch die Fabel vom Fuchs und dem Hühnchen von ihrem künftigen Verderben gerettet, oder durch eine gräßliche Gespenstergeschichte abgehalten worden, im Finstern zu gehen? Ja, hat mir nicht selbst die Furcht vor dem Teufel öfter meine Chatulle gerettet, als die vor dem lieben Gott?"

     Ich setzte mich also auf die hölzerne Bank vor dem Hause, faßte die Kleine bey beyden Händchen, und zog sie sanft zu mir her. —

     „Margot," sagte ich — „ehe wir weiter gehen, will ich dir etwas erzählen. — Ich habe heute wichtige Ursachen, warum ich unsern Fichtenberg nicht ersteigen mag — "

     „Und ich auch," versetzte Margot, seufzend und mit einer Naivität, die mich beynahe in meiner Fortsetzung irre gemacht hätte.

     „Wir wollen den guten Mandelbaum heute in Ruhe lassen. — Er wird schon ohne uns seine Blüten vollends entfalten."

     „Das ist zu glauben," antwortete Margot — „Aber was wollen Sie damit sagen?"

     „Margot," stotterte ich ziemlich verlegen — „du hast doch wohl schon von dem Amor gehört?"

     „Nicht eine Sylbe" — antwortete sie mit herzlich verwundernden Augen.

     „Nun gut," fuhr ich noch stotternder fort — „so muß ich dir sagen, daß es eine Art von Buschkläpper ist, der die Gegend da oben unsicher machen soll.

„Ein Strauchdieb, der die Sonne scheut,
Doch schlau genug, dem stillen Morgen
Das Jagdkleid, und der Einsamkeit
Manch feines Stellnetz abzuborgen.
Er lauert auf, bricht und entweiht
Die Gränzen und die Hegezeit,
Und spürt mit seiner Meute Sorgen
Nach jedem Wild der Lüsternheit.
Am meisten fühlt er sich erfreut,
Wenn, im Begriff nun zu erworgen,
Ein Rickchen, in dem ersten Streit
Mit jenem Molch, die Kraft verschreyt,
Der, trotz dem Ritter Sanct Georgen,
Gefahr den Sacramenten dräut. *)
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*) Unter der Jungfrau, die St. Georg aus den Klauen des Lindwurms rettete, ist nach Baronii Martyr. die christliche Kirche bildlich vorgestellt, die der heilige Ritter von dem Feinde der Stolgebühren und Sacramente befreyte.
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     „Lassen Sie Sich doch so etwas nicht weiß machen," — unterbrach mich die Kleine, und schlug ein lautes Gelächter auf — „Es ist nicht ein Wort davon wahr. Die Gegend da oben sollte nicht sicher seyn? Auf die Gefahr, glauben Sie mir, wollte ich den ganzen Wald mit Ihnen durchstreifen, ohne daß uns etwas Widriges begegnen sollte. Aber es ist mir schon recht, daß Sie Sich fürchten. Ich bin den einsamen Berg wirklich ein Bißchen überdrüssig. Er macht mich schon traurig, wenn ich ihn ansehe. Lassen Sie uns diesen Nachmittag lieber einen Gang auf den Postplatz thun, wo der heutige Markttag alle Esel und Menschen in Bewegung setzt.

     „Gut," — sagte ich ein wenig betroffen, richtete mich von meinem Lehnstuhl auf, und indem Margot, muthig wie ein Kind aus der Schule, vor mir her lief, schlich ich ihr nachdenkend wie ein Präceptor nach, der eben vor seinen Untergebenen das sechste Gebot austrommelte und durchpeitschte, das doch, ihn ausgenommen, keines in der ganzen Classe, trotz seines Unterrichts, weder zu begreifen noch zu übertreten in dem Falle war. Ging es mir wohl besser mit meinem verunglückten Apolog? Lag nicht die Ursache, warum mich Margot nicht verstehen konnte, in ihrer holden Jugend und Unschuld, so wie ihr jetziger brausender Wunsch nach Zerstreuung in jenem ihr noch fremden, bittersüßen Gefühle lag, das sie zu übertäuben suchte?

     Du kannst denken, Eduard, ob mir das liebe Mädchen, unter diesem hell strahlenden Nimbus der durchbrechenden Natur, mit dem sie mir heute wie eine leidende Heilige erschien, nicht noch lieber ward. Ich hätte entweder ein Heide, oder vor den Kopf geschlagen seyn müssen, wie ein Schulmeister, wenn ich der nächsten Eingebung, nach dem mißlungenen Versuche meines ersten Unterrichts, hätte Gehör geben, und die belobte sokratische Lehrart mißbrauchen wollen, um das sich sträubende Kind zu seiner Selbstkenntniß zu bringen, oder, welches Eins gewesen seyn würde, den Most in seiner Gärung zu stören, um mich in ihm zu berauschen. „Nein," sagte ich, „lieber will ich durstig von hier gehen, und demjenigen den künftigen Wein unverfälscht und ungetrübt gönnen, für den das Glück und die Zeit diese Labung aufbewahrt."

     Ich war fest entschlossen, mich — auf die wenigen Tage, die ich noch unter den blauen Augen dieses Mädchens verleben würde, bloß auf das mäßige Vergnügen ihres Beobachters einzuschränken, und vor allen Dingen meine Abreise um keine Stunde über die gesetzte Zeit, geschweige — wie mir schon einigemal der verwegene Gedanke gekommen war — auf mehrere Monate zu verschieben.
 

* * *


     Unter diesen heroischen Gedanken gelangte ich, einige Minuten nach Margot, auf dem Postplatze an: aber es dauerte nicht lange, so traf nur zu sehr ein, was ich gefürchtet hatte — Ihre Fiberunruhe verstattete ihr kein Bleibens. Kaum hatten wir einen Esel ab= einen andern aufsatteln gesehen, so strebte sie weiter. Sie ging, in sich gekehrt, auf der Chaussee fort, und ich folgte ihr ohne Einwendung auch auf diesem staubigen Wege nach. — Sie hing sich traulich an meinen Arm, und so schlenderten wir stillschweigend mit einander fort, und kamen, ohne es zu bemerken, dem Stadtthore bis auf einige hundert Schritte nahe. — Der gepflastete Weg hatte die arme Kleine ermüdet. Wir setzten uns auf eine der steinernen Bänke, mit welchen französische Straßen, zur Beruhigung so vieler Fußgänger, reichlich versehen sind, und vertieften uns in das bewegliche Gemälde, das vor uns lag.

     Inzwischen wurde Margot so durch und durch ernsthaft, daß ich ihr mit Bewunderung in die Augen blickte, ohne sogleich entdecken zu können, was in ihrem Innern vorging. „Sollte das Getöse menschlicher Thätigkeit," dachte ich, „das dich immer in ein gewisses unwillkürliches Staunen versetzt, auf ein dreyzehnjähriges Mädchen dieselbige Wirkung hervorbringen? Es setzt doch eine gewisse Vermischung von Gedanken voraus, die man so einem Köpfchen nicht wohl zutrauen kann." Auch war das gute Kind weit davon entfernt. Was ihre Zunge mir nicht zu erklären vermochte, als ich sie um die Ursache ihres bänglichen Ernstes befragte, das that ihr Blut desto beredter, überzog ihr Engelsgesicht mit der Schminke der Unschuld und der Rosen, und machte es mir unmöglich, diesem Naturgeständnisse ihrer uneigennützigen Liebe nicht mit dem feurigsten Kusse zu huldigen.

     In diesem köstlichen Augenblicke, den das vollströmende Herz der überraschten Vernunft abgewann, lenkte ein Phaeton hinter uns durch einen Seitenweg in die Chaussee ein, und zog langsam bey meiner Umarmung vorüber. — Ich richtete mich in die Höhe, und begegnete den verächtlichen Blicken, die ein Mann ohne Physiognomie, kurz der in Nimes so berühmte und besuchte Verfasser der Revolution in Portugal auf mich und mein Liebchen herab schoß. Ich war so betroffen, als ob es mir zum erstenmale widerführe, mich dem geschwinden Urtheile eines Kleinstädters in einem Augenblicke ausgesetzt zu sehen, wo das äußere Ansehen wider mich war. Ich hatte noch nicht durch meine lange Hoferfahrung gelernt, mich über solche Mückenstiche des Zufalls zu trösten, und mit dem ehrlichen Manne im Plautus auszurufen: Ego — vergieb mir immer das Bißchen Latein — sum promus meo pectori, Suspicio in alieno pectore est sita. Nein, ich ärgerte mich von ganzem Herzen, sowohl über die Unmöglichkeit, einem Manne von seiner Art den unschuldigen Zusammenhang so eines Kusses begreiflich zu machen, als über die spöttischen Anmerkungen, mit denen er sich in seiner Abendgesellschaft auf meine Kosten groß machen würde, und ärgerte mich endlich über mich selbst, daß ich schwach genug sey, mich über solche Armseligkeiten zu ärgern.

     Ich wußte mir in meinem Unmuthe nicht ander zu helfen, als daß ich ihm den einzigen Fehler, der mir von ihm bekannt war, aufmutzte, und meiner lieben Margot erzählte: „Dieser Mann mit dem albernen Gesichte, der eben vorbey gefahren sey, habe das mißgeschaffenste, elendeste Gedicht geschrieben, das in Frankreich zu finden sey — eine Trauerspiel ohne Mark und Kraft — das so lang und fade sey, wie die Nase des Autors."

     Aber Margot bekümmerte sich um das alles nicht im geringsten —  — „Dort kommt Ihr Johann," war ihre ganze Antwort.

     Wirklich verdiente meine Anklage auch keine andere. Wir standen auf, gingen dem guten Johann entgegen, der sich freundlich an uns anschloß. Ich vergaß den Baron, die Kleine trällerte, und Johann gab mir, während daß uns ein schöner Abend langsam nach Hause brachte, Rechenschaft von seinen Verrichtungen in der Stadt.
 

* * *


Den 28sten December.


     War ich gestern mit meinem Tage zufrieden, so bin ich es mit meinem heutigen ungleich mehr. Ich habe mich über einer unzweydeutigen Probe einer vollständigern Genesung überrascht, als ich jemals hätte hoffen können — über einer von den Thorheiten aus den glücklichen Zeiten meines funfzehnten bis achtzehnten Jahres. Es macht mir eine herzliche Freude, sie dir erzählen zu können, denn du bist zu sehr mein Freund, als daß du nicht einen warmen Antheil daran nehmen solltest.

     Du weißt — wenn du anders künftig einmal bis hieher gelesen haben wirst — wie es um das Herz der armen Margot steht. Es gehört von meiner Seite in Wahrheit ungewöhnliche Stärke darzu, ihm nicht zu Hülfe zu kommen, da vielleicht noch keinem Ritter das Mitleid so nahe gelegt worden ist, als mir, und ich zu aufmerksam auf das liebe Kind bin, um nicht, wie ein praktischer Arzt, der unter Epidemien grau geworden ist, von Stunde zu Stunde angeben zu können, um wie viele Grade sich die Krankheit verschlimmert hat. Ihre vormalige Munterkeit, wie ganz ist sie verstoben! — und ach, nun kommen die Symptome der unruhigen Nächte darzu — Was will aus dem armen Kinde werden!

     Ich lag in dem besten Schlafe hinter meinem Closset, als mich ihre Stimme zu erwecken schien — Es war aber nur der Wiederklang ihrer Seufzer tönenden Brust. Da es ganz still um uns her war, so entwischte mir auch nicht ein Athemzug, durch den das gepreßte Herz sich zu erleichtern suchte — keiner von den jugendlichen, in manch sanftes Ach! concentrirten Wünschen, die das Blut durchsäuseln, und sich dem Kenner — noch ehe sie der unschuldigen Seele hörbar werden, wie der Hauch auf einer äolischen Harfe, verrathen. Hätte ich mich gehen lassen, so würde das seltenste Concert von Seufzern entstanden seyn, das jemals gespielt worden; denn je aufmerksamer ich mit jedem Pulsschlage ward, desto schwerer ward es mir auch, nicht mit einzustimmen.

     Wie froh war ich, als der Tag zu grauen anfing, und ich bald darauf mein Bette mit Ehren verlassen konnte! Ich kam glücklich bey dem ihrigen vorbey — nahm aber das Herz so voll von sympathetischen Gefühlen mit, daß mir für hinlängliche Unterhaltung auf meinem einsamen Spaziergange unmöglich sehr bange seyn konnte.

     Gott weiß, wie geschwind oder langsam ich heute meinen Berg erstieg! Ich hatte aus mir selbst zu viel heraus zu spinnen, als daß ich auf etwas außer mir nur Acht gehabt hätte. So viel noch erinnere ich mich — daß er mir heute nicht hoch, nicht räumlich, nicht romantisch genug vorkam. Ich mußte, ohne es zu wissen, auf seiner andern Seite herab gestiegen seyn; denn, als mir das sonderbarste Abenteuer mein Bewußtseyn wieder gab, befand ich mich in der Mitte einer mir unbekannten Wildniß — sah meinen Fichtenberg eine Stunde weit von mir liegen, und konnte kaum mit bloßen Augen mein kleines Caverac wieder finden.

     Ist es indeß wohl der Mühe werth, daß sich die drei Grazien des menschlichen Lebens — Wahrheit, Natur und Freundschaft — vereinigt bemühen sollen, dir das lächerlichste Bild aufzustellen, das dir wohl jemals von einem Menschen bey gesundem Verstande zu Gesichte gekommen ist? Wenn du so dächtest, lieber Eduard, so sähe ich mich genöthigt, mich erst darüber mit dir zu besprechen. Dergleichen Schilderungen von uns selbst, denke ich, verdienen nur dann erst, daß man den Kopf dazu schüttelt, und sich über ihren Autor ein wenig aufhält — wenn man sie, wie Rousseau, mit einer geheimnisvollen Miene auf den Altar der Unsterblichkeit niederlegt, und durch ein mit einem Anathema versehenes Codicill verordnet, daß sie nicht eher als zwanzig Jahre nach unserer Verwesung der Welt zur Schau gestellt werden. Zu was so viele Umstände? Ich gebe überhaupt nach meiner jetzigen Denkungsart — und Gott erhalte mir sie! — nicht den Augenblick einer leichten Verdauung für die ganze Ehre, der zweyten Generation namentlich bekannt zu bleiben: doch kann ich auch nicht so viel Wesens daraus machen, wenn ein Freund wie du, bey meinem Leben mich im Hemde überrascht. Das schließt jedoch, wohl zu merken, nicht den gutmüthigen Wunsch aus, durch mein Daseyn — wo nicht mit so pathetischem Ernste, wie Rousseau, oder mit dem Schrecken jenes, der das Pulver erfunden hat — doch sonst durch eine gesegnete Kleinigkeit auf die Nachwelt fortzuwirken. — Und geschähe es nur durch einen Schwefelfaden, den ich incognito zu meiner eigenen Bequemlichkeit verbesserte, und nachher damit bis an´s Ende der Welt den Armen erleichterte, ihre Lampen anzuzünden — nur durch ein Liedchen, wie Anakreon sang, das einige tausend Jahre hindurch, Menschen wie wir sind, einen frohen Augenblick mehr erträllern hälf — ich wollte damit zufrieden seyn — zufriedener, als wenn ich jetzt mein Leben an Reichs= und Kreis=Relationen verschreiben — in der Ungewißheit verschreiben müßte, ob die Nachwelt so viel Nutzen als aus meinem Schwefelfaden ziehen würde.

     Die Weisen, die hierin meiner Meinung sind — und die es nicht sind, mögen es mir vergeben, daß ich diesen reichhaltigen Text zu einer gelehrten Abhandlung  einer Armseligkeit vorausschicke, und ihn mit derselbigen Feder geschrieben habe, die dir die wichtige Neuigkeit erzählen soll, durch welche Verfassung der Seele ich dahin gebracht wurde, mir heute in der Mittagsstunde eine Beule gerade über der Nase zu stoßen. Es ging drollig genug damit zu.
 

     In dem dicksten Hein verloren,
Ohne Führer, ohne Bahn,
Frug ich nicht, ob mich die Horen
In den Abglanz von Auroren
Oder Lunens schwindeln sahn.

     Meine Phantasien flogen
Der gereizten Liebe nach,
Und, mit blauem Flor umzogen,
Fabelte des Himmels Bogen
Mein und Margots Brautgemach.

     Bald auch schwand des Haines Stille —
Meinem Jubel aufbewahrt,
Stand sie jetzt voll Jugendfülle
Zitternd vor mir, ohne Hülle
Meinen Räthseln offenbart.

     In den wunderbarsten Fugen
Sammelten die Freuden sich
Um mein Lager, übertrugen
Ihre Wirthschaft mir, und schlugen
Ihre Fittigen um mich.

     Und auch ich schlug, in dem vollen
Liebesrausche meines Traums,
Meine Arme, gleich Apollen,
Ach ihr Götter, um die Knollen —
Eines alten Feigenbaums.
 

* * *


     So derb auch die Erinnerung war, nahm ich sie doch — ohne dem Feigenbaum zu fluchen — vielmehr mit einer Resignation auf, die gewiß jedem so vor den Kopf gestoßenen Philosophen Ehre würde gemacht haben. — Ich ließ nur die Schmerzen ein wenig verrauchen, die mir meine Umarmung verursachte, dann trat ich — und zur Genüge abgekühlt — meinen Rückweg an.

     Als ich den Fichtenberg beynahe erreicht hatte, hört ich mir zurufen. — Ich blickte auf, und sah das artigste ländliche Gemälde, das man sich vorstellen kann — sah den Berg herunterwärts, durch das Gebüsche durch, einen Nymphengestalt, leicht wie der Zephir — kurz — eben die kleine liebe Margot auf mich zufliegen, der zu Ehren ich das Zeichen an der Stirne trug. Eine Strecke tiefer im Busche brach auch Johann hervor, und ganz im Hintergrunde sah ich auch meinen Wirth, mit einer Hacke bewaffnet, ansteigen. —

     „Lieber Herr" — schrie Margot, als sie näher kam, und fiel mir athemlos in die Arme — „um des Himmels Willen, wo sind Sie so lange geblieben? — Was haben Sie mir — was haben Sie uns allen nicht für Sorge gemacht? — Schon seit einer Stunde (sollte das Ahndung gewesen seyn, Eduard?) suche ich und Johann Sie auf diesem abscheulichen Berge. Wir haben alle Höhlen, alle Gebüsche durchkrochen. Wo? wo sind Sie doch nur gewesen?" — Und nun trat Johann, und nun auch Blaise herbey, und wiederholten dieselbe Frage.

     „Je nun, liebe[n] Kinder," antwortete ich lächelnd — „von einem so angenehmen Spaziergange, als ich heute gehabt habe, kommt man leicht später zurück, als man sollte. — Du hättest mich nur um ein paar Stunden eher aufsuchen müssen, Margot, um mit mir zu theilen, und dir die lächerliche Angst zu ersparen, die du wahrscheinlich meinetwegen gehabt hast."

     „Ja, die hat sie gehabt," nahm Blaise das Wort, „sie hat sich recht kindisch bezeigt."

     Indem, und da ich zufällig den Hut abnahm, um mir den Schweiß abzutrocknen — stieß sie, als sie meine blutrünstige Stirn erblickte, einen überlauten Schrey aus. „Habe ich´s doch gedacht und gesagt," schrie sie mit weinender Stimme: „aber kein Mensch wollte mir glauben."

     „Was könnte man denn dir nicht glauben, Margot?" fragte ich verwundert.

     „Daß Sie" fielen die andern ein, „einem Strauchdiebe in die Hände gefallen wären, der, wie sie uns gern bereden möchte, den Fichtenberg unsicher macht."

     Die Kleine, um sich zu rechtfertigen, drang nun in mich, ihr die Wahrheit zu bestätigen, und wollte durchaus mit dem Merkzeichen an meiner Stirne Beweis führen.

     Nun ist kaum etwas Beschämenderes für einen gesetzten Mann, als wenn er sich durch ein schwatzhaftes Kind an den Pranger gestellt sieht. Ich bedachte, daß mein Auditorium nicht so beschaffen sey, daß mir eine mythologische Erläuterung aus der Verlegenheit hätte helfen können — bedachte, daß Margot nicht in Berlin in die Schule gegangen sey, und noch keinen Begriff davon habe, daß man nicht alles, was uns gesagt wird, wörtlich verstehen müsse — und, da ich in dem Augenblicke nichts von Bestand zu antworten wußte, suchte ich wenigstens vor der Hand nur Zeit zu gewinnen, stellte mich eilender und hungriger als ich war, und bat die Kleine um die Gefälligkeit, ein wenig voraus zu laufen, damit wir bey unserer Ankunft das Essen auf dem Tische fänden. — So etwas läßt sie sich nicht zweymal sagen — Sie flog wie Anakreons Taube davon, und Johann mit ihr, und ich und mein Hauswirth trabten etwas bedächtlicher nach.

     Unterwegs erzählte er mir, wie die Angst des Kindes über mein ungewöhnliches Außenbleiben mit jeder Minute, wie ein Wetterglas, immer höher und höher gestiegen sey — wie keine vernünftige Vorstellung dagegen hätte verfangen wollen, und wie sie im Begriffe gewesen wäre, das ganze Dorf zu meiner Hülfe aufzubieten.

     „Aber woher die Beule," fuhr er fort, „die Sie da über der Nase mitgebracht haben?"

     „Ich habe einen Feigenbaum umarmt, mein lieber Mann," sagte ich. —

     „So, so," versetzte er lachend, „das kann einem ja wohl geschehen. — Vor einem Fehltritt ist niemand sicher. — Aber geben Sie Acht, unserer Närrin von Mädchen wird das zu alltäglich seyn. — Sie hat sich einmal den vermaledeyten Gaudieb in den Kopf gesetzt, und sie wird sich´s nicht ausreden lassen, daß es nicht der sey, der Ihnen den Schandfleck angehängt hat."

     Der gute Mann dachte wohl nicht, daß seine gerade Erzählung so anziehend für mich seyn würde, als sie es war. — Er war wohl weit entfernt, zu vermuthen, daß er mir die beredsamste Schilderung von der Leidenschaft seiner Nichte zu mir entwerfe, indem er sich über ihre Einfalt lustig zu machen glaubte. — Er hätte sich´s wohl nicht im Traume einfallen lassen, daß mehr Wahrheitssinn in dem Kindergeschwätze der kleinen Margot verborgen lag, als in manchen anderen Mährchen, die wir doch ohne Mühe glauben. Aber freylich konnte er auch den geheimen Zusammenhang meiner Kopfwunde mit dem, was seine Nichte albernes erzählte, nicht so gut einsehen wie ich — konnte freylich nicht ahnden, wie nahe hier Irrthum und Wahrheit an einander gränzten.
 

* * *


     Sobald wir zu Hause beysammen waren, setzten wir uns mit gleicher Eßlust zu Tische, die Kleine ausgenommen, der, vor übergroßer Neugier, mit der sie auch ihre Tante angesteckt hatte, kein Bissen schmecken wollte. Nun aber war, wie du mir leicht glauben wirst, meine Geschichte keine von denen, an die man sich gern erinnern läßt — die Zudringlichkeit der kleinen Närrin war mir daher auch nicht sonderlich angenehm — Gern wäre ich ihres Examens überhoben gewesen; aber daran war nicht zu denken. So lange wir zwar vor der Schüssel saßen, wies sie der Vetter gleich bey der ersten tollen Frage, wie er es nannte, zu Ruhe: doch kaum waren wir aufgestanden, und der Bauer und seine Frau an ihre kleinen Geschäfte gegangen, so saß mir das schmeichelnde Geschöpf auch schon zu Seite; und, indem sie mir warme Umschläge auf die Stirn legte, und mit ihren Händchen andrückte, lispelte sie mir mit mitleidigem Ernste zu, ohne im geringsten zu argwohnen, wie grausam sie mich persiflirte: „Also haben Sie wirklich dem Strauchdiebe, dem Amor begegnet? Mein Gott, wie müssen Sie erschrocken seyn! War der Stein groß, den er nach Ihnen warf? und wie haben Sie es angefangen, daß Sie ihm noch lebendig entkommen sind? Erzählen Sie mir alles, aber so genau, so umständlich als möglich."

     „Margot", sagte ich, um meinen Herzstichen mit Einemmal ein Ende zu machen, „das ist mit zwey Worten zu erzählen. — Ich sah den Unhold, vor dem ich dich gestern warnte, doch nur von weitem — faßte das Herz — (bey dir würde es Verwegenheit seyn) — ihm nachzueilen — glaubte ihn schon zu ergreifen, stieß mich aus blinder Hitze an den Baum, hinter den er sich steckte — die Beule siehst du, die ich mir schlug — und wie ich mich umsah, war er entwischt."

     „Entwischt?" wiederholte sie: — „Nun das ist mir Ihrentwegen recht lieb, — Es ist immer das sicherste, wenn man nicht selbst laufen will. — Was gehen Ihnen," setzte der kleine Naseweiß hinzu, — „unsere Buschkläpper an? und was hätten Sie in aller Welt mit diesem anfangen wollen — gesetzt Sie hätten ihn nun auch erhascht? — Wollten Sie ihm seinen Prozeß machen? Dazu ist unsre Gemeinde zu arm."

     „Du hast Recht, meine kluge Margot," antwortete ich so ernsthaft, als es mir möglich war: „Es mag wohl eine Uebereilung von mir gewesen seyn — deswegen thust du mir auch einen Gefallen, nicht viel weiter davon zu schwatzen. — Aber ich dächte, liebes Mädchen" — indem ich sie scharf in die Augen faßte — „du wärest seit gestern und heute viel neugieriger, viel furchtsamer und auch viel theilnehmender geworden, als ich dich bisher gekannt habe?" —

     Eine schnelle Röthe — ich stehe nicht dafür, Eduard, ob nicht der Grund davon in dem Bewußtseyn zu suchen war, das ihr von ihrer ersten unruhigen Nacht zurück blieb — überzog das Engelsgesichtchen, und contrastirte allerliebst zu ihrer sichtbaren Verwunderung über meine unvermuthete Frage. Beynahe hätte mich meine kleine Leichtfertigkeit gereut. — Indeß gewann ich doch so viel damit, daß sie ihr neugieriges Gespräch, vermuthlich in der Voraussetzung abbrach, daß ich auch dafür das meinige nicht fortsetzen würde.

     Unter diesem stillschweigenden Vertrage, den jedes auf das heiligste erfüllte, erreichten wir in gewöhnlicher guter Laune den Abend. Ich suchte zeitig mein Bette, aus eigenem Triebe sowohl, als auch um meinen Freunden, die nicht weniger ermüdet zu seyn schienen, die Freyheit zu verschaffen, das ihrige zu suchen.
 

* * *


     Schon hatte ich mein summendes Haupt in das Kissen gehüllt, und sah den friedlichen Schlaf sich nähern — als das Schicksal, das mich heute zu seinem Ball ausersehen zu haben schien, mir noch eine eben so unerwartete als harte Prüfungsstunde in den Weg warf. Das mitleidige Kind hatte, mit Hülfe Johanns, dürre Kräuter von dem Oberboden geholt, die sie zur Bähung meiner Wunde für dienlich hielt, und die ihr noch beifielen, wie sie eben in das Bette steigen wollte. Das hielt sie nicht ab, in bloßen Füßen und ohne Licht darnach zu gehen. — Johann hatte Feuer anfachen müssen, um den Wein warm zu machen, in welchem die Kräuter gebeizt wurden, und auf Einmal trat das gute Mädchen leise vor mein Bette, schlug die rauchende Masse in ihr Halstuch, das sie abthat, um es mir um die Stirne zu binden. —

     „Kind," sagte ich, „was beginnst du? — Du machst dir eine unnöthige Mühe."

     „Das dächte ich doch nicht," antwortete sie spöttelnd: „Oder denken Sie etwa, daß Ihnen Ihre blaue Stirne gut steht?" Zugleich bog sie sich über mein Bette, legte mir das Tuch an, und indem sie es zusammenknüpfen wollte, geschah es, daß durch die Richtung, in die ich jetzt, des Knotens wegen, nach ihr hingezogen ward, mein Gesicht auf den schönsten jugendlichsten Busen zu ruhen kam, der wohl je unter den Küssen eines Mannes gezittert hat.

     Welche geheime magische Verkettung aller Dinge! So erzeugte meine Morgenschwärmerey für den ruhigen Abend eine Wirklichkeit, deren Keim ich nimmermehr in dem unsanften Augenblicke würde geahnet haben, der mir heute die Stirne zerstieß. —

     „O Margot," flüsterte ich ihr zu, indem ich nicht widerstehen konnte, meine Arme um den schlanken Wuchs dieses lieblichen Mädchens zu schlagen. — „Du — o um wie viel rührender könntest du meine Schmerzen zertheilen — verjagen — in Entzücken verwandeln!"

     „So sagen Sie doch wodurch?" flüsterte sie mir entgegen, ohne mir nur einen Grad der Wärme zu entziehen, die mir meine glückliche Lage verschaffte.

     „O du" — fuhr ich nach einer, der höchsten Empfindung gegönnten Pause, in schmelzender Zärtlichkeit fort: „wie soll ich dich nennen, Kind der unverfälschten Natur? — O wüßtest du, meine Margot, das ganze Geheimniß dieser Wunde, die schönste Beute, die ich jemals dem Amor abjagte! — O möchtest du jetzt den Kampf meines Morgens belohnen! Ja ich sehe schon meine Athletenkrone mit den blühendsten Sprößlingen durchflochten, die je das Mitleid der Liebe gereicht hat." — Und das leichte, geschmeidige, ätherische Wesen, das während dieser Hymne unter der Federkraft meiner Arme unmerklich immer höher und höher bis über den Schwerpunkt gehoben, halb über mir schwebte — sank jetzt — der Engel sank — tiefer — immer tiefer — endlich zu mir herab — und nun erst erschrak ich vor dem Glanz seiner Würde.

     Es war nicht das Erstemal, Eduard, daß der feine Betrug, den jede symbolische Sprache mit sich führt, mir einen Streich spielte — aber nie vereinigten sich mehr Umstände, die eine Bildersprache gefährlich machen können, als in diesem kritischen Augenblicke. Unschuld und Mitleiden kamen ihrem geheimen Sinne zu Hülfe — Amor war uns kein Ideal aus der Chimärenwelt, so wenig als es die Beule war, die er mir auf die Stirn drückte, als ich seiner Gottheit zu menschlich entgegen strebte. Zu Athen hätte mir dieses sichtbare Kampfmal eben so gewiß Ruhm und Almosen verschafft, als dem heiligen Franz seine Stygmen, die ihn vor andern subalternen Menschen auszeichneten.

     Dieß Gefühl meiner Erhabenheit, und die der Andacht ähnliche Duldung des gefälligen Kindes, wie weit hätten sie uns nicht verschlagen können! Margot, ich bin es gewiß, würde in dem süßen Gedanken meiner Linderung — so unbefangen, wie sie das seidene Halstuch ablegte, um es mir um die Schläfe zu winden — mit derselben verdachtlosen Güte, mit der sie mir den freyen Gebrauch ihrer natürlichen Wärme verstattete — auch eben so theilnehmend jene mystischen Sprößlinge, von denen sie mich lallen hörte — in meinen Athletenkranz verflochten haben, ohne es für etwas viel mehr als ein einfaches Hausmittel zu halten. Aber auf Margots Busen selbst unternahm ich es, meine figürlichen Wünsche, meine sublimen Tropen — in gutes derbes Deutsch zu übersetzen; und da brachte ich zu meinem eigenen Erstaunen einen Sinn heraus, vor dem ich erschrak.

     Wie ein Verbrecher, der durch den Glauben beruhigt, daß der Teufel sein Spiel mit ihm getrieben habe, vor die Schranken trat — sie jetzt in Verzweiflung verläßt, nachdem der Richter dem verrätherischen Sprichworte seine symbolische Decke abzog — so zitterte auch ich vor mir selbst, und die Wahrheit gewann.

     „Ich danke dir, Margot," sagte ich mit männlicher Stimme, indem ich meine Umarmung aufhob und ihr wieder auf die Beine half — „für dein Mitleid — deine Umschläge und deine natürliche Wärme. — Sie thut mir wohl, aber die Ruhe wird mir noch besser thun. — Lege dich nun auch schlafen. Morgen will ich dir dein Halstuch wieder geben."

     Indem gleitete der sanfte Strahl des aufgehenden Mondes über mein Bett. — Unter seiner Erleuchtung entfernte sich Margot mit ihrer ganzen herrlichen Unschuld — und ich — mag doch der ganze Hof von Berlin über mich lachen — dünkte mich größer als Scipio — und hatte eine ruhige Nacht.
 

* * *


Den 29sten December.


     Gottlob! Meine Stirn ist von dem Schandflecke von gestern geheilt. Ich verließ, heiteren Gemüths, mein Lager, setzte mich sogleich an meinen Schreibtisch, und vertraute, ohne Erröthen, die Geschichte meines vorigen Tages meinem Journale.

     Wie ich damit fertig war, verließ ich meinen Verschlag, suchte das gutmüthige Mädchen auf, und gab ihr mit freundlicher, offener Miene, und vor den Augen ihrer Verwandten, das Halstuch zurück, das sie mir auf eine Nacht geborgt hatte. — Aber ich weiß nicht — sie kommen mir alle heute ein wenig betreten vor — Sollte ihnen eine Unannehmlichkeit zugestoßen seyn? Das sollte mir leid thun. — Sie scheinen sogar mich vermeiden zu wollen, gehen vor das Haus und flüstern zusammen, das ich gar nicht an ihnen gewohnt bin. Was mich aber am meisten verschnupft, ist — auch die kleine Margot hat Herzklopfen, ohne mir Rechenschaft davon zu geben. Ich solchen Augenblicken muß man seinen Freunden Platz machen — doch kann mich das Mädchen heute wohl begleiten.

     Ich hatte meinen Hut und Stock mit Geräusch aus dem Verschlage geholt, stäubte den einen ab, und besah so genau den andern, als ob ich noch kein Eichenholz in meinem Leben gesehen hätte: aber es half nichts. Margot bezeigte heute keine Lust mitzugehen, und blieb unbeweglich in ihrer Ecke sitzen. Ich reicht ihr die Hand im Vorbeygehen, die sie mit einer Rührung drückte, die mir an das Herz ging. „Was beginnen doch diese Kinder zusammen?" dachte ich, und verließ sie ganz betroffen. Johann folgte meinem Beyspiele und gab mir dadurch eine neue Gelegenheit, seinen feinen Tact zu bewundern. Ich winkte ihm, mir zu folgen, und so erstiegen wir beyde, jeder in seine Gedanken für sich, den Gipfel des wohl bekannten Berges.

     Hier setzte ich mich, und ließ meinen Augen die Freyheit. Johann stand neben mir, und schien, wie ich, in der Bewunderung der herrlichen Aussicht verloren. — „Mein Herr," unterbrach er endlich die Stille — „Sie können gut in die Ferne sehen —  — Entdecken Sie wohl dort, gleich neben dem kleinen Gebüsche — einen ganz schmal zugespitzten Thurm?" —

     Ich sah hin, konnte aber nichts erkennen. —

     „So muß ich doch," fuhr er fort, „noch bessere Augen haben als Sie. Wissen Sie wohl, daß der Thurm zu dem Dorfe gehöret, wo Margot her ist?" —

     „So!" — antwortete ich darauf, und sah noch einmal hin.

     Nach einer kleinen Pause fing er wieder an: „Es soll ein ganz nahrhafter Ort seyn." —

     Ich drehte mich nach ihm um, und da stand er mit gefalteten Händen, und blaß wie ein armer Sünder, vor mir.

     „Was fehlt dir, Johann?" fragte ich hastig. — Und nun kam etwas an den Tag, das mich so lebhaft an einen Vorfall erinnerte, der in meiner Jugend einem Professor der Physik zu Würzburg *) begegnete, daß ich der Lust nicht widerstehen kann, ihn dir als einen brauchbaren Uebergang in das Folgende und als einen Beweis zu erzählen, daß auch die aufgeklärtesten Köpfe einmal in ihrem Leben in den Fall kommen können, hintergangen zu werden.

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*) D. Johann Bartholomäus Adam Beringer, Rath und Hofmedicus des Fürsten Bischofs von Würzburg, Professor d. Z. Decanus und Senior der Universität daselbst. Sein Werk führt den Titel:
Lithographiae Wirceburgensis, ducentis lapidum figuratorum, a potiori insectiformium, prodigiosis imaginibus exornatae specimen etc. Wirceb. 1726.
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     Dieser gelehrte Mann also sammelte Naturalien, und hatte das besondere Glück, eine Sandgrube ausfündig zu machen, die unglaublich reich an den seltensten Versteinerungen war. Stelle dir sein Vergnügen vor, wenn er nach jedem heimlichen Besuche derselben, alle Säcke mit Cabinets=Stücken gefüllt zurück brachte! Auch wuchs seine Sammlung in kurzem zu einem Reichthume an, der alle andere in diesem Fache verdunkelte, und ihm den sehr natürlichen Gedanken eingab, in einem gelehrten Werke seine glücklichen Entdeckungen — durch beygefügte deutliche Abbildungen den ganzen Werth dieser Kostbarkeiten der Welt bekannt zu machen, sicher, das Erstaunen aller Kenner dadurch zu erregen. — „Er habe," sagte er sehr bescheiden, „diese natürlichen Wunder — diese so deutlich in Sandstein verwandelten Vögel und Frösche, Eidexen, Fledermäuse und menschlichen Glieder, unmittelbar aus den Händen der Natur erhalten, sie selbst in den glücklichsten Stunden seines Lebens ausgegraben, und auf ihr in Kupfer gebrachten Abzeichnungen die gewissenhafteste Sorgfalt verwendet." —

     Es thut einem selbst wohl, wenn man den gelehrten Mann so von Selbstzufriedenheit strotzen sieht, und es ist gewiß, daß nichts der verdienten Ehre seiner mühsamen Entdeckungen einigen Abbruch thun konnte, als der kleine Umstand, den er erfuhr, als eben der letzte Bogen seines tiefsinnigen Werkes unter der Presse war: das nehmlich — zwar nicht die bildende Natur selbst, aber doch ein Freund derselben, Urheber aller der vorbeschriebenen Seltenheiten sey. In schalkhafter Laune hatte einer seiner Collegen, der freylich nicht die Folgen voraus sah, alle jene Dinge von einem gemeinen Steinmetz fertigen lassen, und sie allemal den Abend vorher dahin vergraben, wo er schon wußte, daß der Professor sie den Morgen darauf suchen und finden würde.

     Wie die erste Wuth über einen so unzeitigen Spaß — die ich dir selbst überlasse, sie dir in ihrem ganzen Umfange vorzustellen — ein wenig verkühlt war, er sich nun genug abgehärmt und ausgeschämt hatte, so faßte er den besten Entschluß, der ihm übrig blieb, um eines Theils seinen einmal gedruckten theuren Folianten noch einigermaßen für Bibliotheken nützlich zu machen, andern Theils um nicht selbst, wenn er seinen Verdruß im Stillen verschluckte, ein Gallenfieber davon zu tragen. Er setzte sich also, ziemlich gefaßt, an sein Schreibepult, erzählte, in einem Anhange und in sehr gutem Latein, seinen Unfall aufrichtig, und überraschte den gütigen Leser, der bis dahin seinem Werke die verdiente Aufmerksamkeit geschenkt hatte, nicht wenig mit der unerwarteten Nachricht, daß von alle dem, was er vorher gelesen hätte, auch nicht eine Sylbe wahr sey. Gutmüthig vermahnt er sie zuletzt alle, sich an seinem Exempel zu spiegeln, und die Liebhaberey ja nicht bis zur Blindheit zu treiben. Er gesteht, daß, da er jetzt die Originale ohne Vorurtheile untersuche, er nicht begreifen könne, wo er seine Augen gehabt habe — hofft, daß seine künftigen Schriften durch seine gemachte Erfahrung nur desto mehr gewinen würden, und bietet zu seiner Bestrafung die gegenwärtige um den halben Ladenpreis an.

     Man wird, wenn man das so liest, dem Professor für seine seltene Aufrichtigkeit wieder recht gut: und welcher vernünftige Mann wollte nicht — wie ich auch gethan habe — seinem Folianten, etwan neben Lavaters Bilderbuche, einen Platz in seiner Bibliothek gönnen?

     Glaube nicht, lieber Eduard, daß dieses Geschichtchen hier am unrechten Orte steht, und höre nun mit mehr Aufmerksamkeit, als du mir hoffentlich bisher gegönnt hast, die Fortsetzung des meinigen.

     Jedes Wort, das Johann vorbrachte, gab mir einen Stich in´s Herz, und trieb mir das Blut in´s Gesicht. —  — Alberner — ich schwör´ es dir zu — bin ich mir in meinem Leben nicht vorgekommen, als da ich, während daß der Kerl von seiner heißen Liebe zu Margot, und ihrer eben so feurigen Gegenliebe, mir vorstotterte, mich an meine schöne Tiraden über die Ungleichheit der Stände — über die gefundene ächte Perle und an all den Unsinn erinnerte, der mir einige Tage her durch den Kopf und durch die Feder gegangen war. Mein Zustand glich zuletzt förmlich der Stupidität, in die gewöhnlich nur große Gelehrte fallen, wenn ihnen im gemeinen Leben — in ihrer Küche und ihrem Keller etwas aufstößt, das nicht sogleich in ihr System paßt. Ich staunte vor mich hin, und verlor die Hälfte von dem, was Johann auskramte. —

     „Ja, lieber Herr," fuhr er eben fort, als ich meine Gedanken endlich besser zusammen nahm — „nun wissen Sie mein ganzes Anliegen. Es hat mir und Margotchen immer auf der Zunge geschwebt; aber — mein Gott! — keines konnte Herz genug fassen, es an den Tag zu bringen, und jedes wollte es dem andern zuschieben. Vorgestern noch, wie wir den ganzen Morgen zusammen vertändelten — es war den Tag, wie sie mich in die Stadt schickten —  — "

     „Und wie habt ihr ihn denn vertändelt?" — unterbrach ich ihn neugierig.

     „Ach es ist nicht der Rede werth," versetzte Johann: „Das Mädchen zeigte mir nur ein wenig den Gang und die Vortheile des Seidenbaues — sagte mir, daß die Liebe dieser kleinen Würmer Segen über das ganze Land verbreitete, und daß, wer nur mit einiger Sorgfalt die Begattungs=Freuden dieser kleinen Geschöpfe Gottes beförderte, reichlich dafür — wie für eine gute Tat — belohnt würde. — Und darüber kamen wir so ganz natürlich auf unsre eigene Liebe und unsern künftigen Haushalt. — Ein Wort gab das andere — und ein Kuß folgte dem andern, und da = = = Was wollte ich doch sagen? — Ja, da faßte Margot Muth, und gab mir die Hand darauf, denselben Tag noch mit Ihnen davon zu sprechen. — „Ich will dir, — sagte sie, — bis an das Thor entgegen kommen — und deinen Herrn mitbringen. — Unterweges will ich ihm erzählen, wie sehr ich dich liebe — will um dich anhalten; und damit du gleich wissen kannst, wie die Sache steht, wo will ich dir auch ein Zeichen angeben. Siehst du — Komme ich dir allein entgegen gehüpft, so ist es gut — halte ich aber deinen Herrn an dem Arme — ach so denke nur, daß wir unser Geheimniß noch für uns haben." — Wie ich nun aus dem Stadtthore trat, sah ich mit pochendem Herzen Sie beyde auf der steinernen Bank sitzen — sah die Kleine geschwind aufsteigen — ach aber, was gab es mir nicht für einen Stich, als ich bald darauf auch sah, wie sie ihr Händchen so artig um Ihren Arm schlang!"

     „O Montagne! Montagne!" rufte ich hier mit knirschenden Zähnen aus: — „du hast Recht, daß die Katzen oft mit uns spielen, wenn wir glauben, wir spielten mit ihnen."

     Johann verstand so viel Französisch, daß er sich einbildete, ich hätte etwas über den Berg gesagt, und herzlich schief darauf antwortete. — Doch mir war es jetzt nicht gegeben, über den geringsten Mißverstand zu lachen.

     „Ja, das war es auch," erwiederte ich — „aber fahre nur fort."

     „Was ist da noch fortzufahren, mein gütiger Herr?" versetzte Johann. „Gott weiß es, daß es mir in der Seele weh thut, daß ich um meine Entlassung bitten muß: aber mein Platz ist ja wohl noch zu ersetzen. — Es ist ein gar zu gutes Mädchen, das mich so herzlich liebt, und ich wüßte nicht, wie unser eins ein größer Glück in der Welt machen könnte." —

     „Unser eins?" wiederholte ich, und kaute verdrießlich an den Nägeln.

     „In diesem Lande" — stotterte er ferner — „ist es leicht, sich durchzubringen, leicht, eine Frau zu ernähren, zumal eine selbst fleißige und wirthschaftliche Frau, als Margot schon aus Liebe zu mir seyn wird. Noch gestern Morgen — als wir Sie hier auf diesem Berge suchten, und wir gerade auch auf diesem Platze traulich bey einander saßen, hat sie mir — und ohne viel zu sagen — gewiß unter tausend Küssen, hat sie mir versprochen, alles aus sich zu machen, was ich nur wollte."

     „Unter tausend Küssen!" dachte ich, „das ist abscheulich!" und hätte jetzt viel darum gegeben, wenn ich den einzigen wieder zurück gehabt hätte, bey dem mich der Tragödien=Schreiber überraschte. — Ich verwünschte die kleine Verrätherin, die für einen andern als mich so beredt stammeln und erröthen, und einem andern als mir so feurige Küsse geben konnte. Es kam mir nun ganz ausgemacht vor, daß sie meinen Mops vergiftet habe, um mich um alle meine Reisegefährten zu bringen. An das gestrige Blatt meines Tagebuchs konnte ich nicht ohne Groll gegen mich und sie denken, und du hast es bloß dem Doctor in Würzburg zu danken, daß ich dieses demüthigende Blatt nebst einigen vorher gehenden nicht in tausend Stücken zerrissen, und dich um die Nutzanwendung gebracht habe, die du daraus ziehen kannst.

     Da ich, so sehr es mich auch schmerzte, einen treuen Bedienten auf eine so hinterlistige Art zu verlieren, doch eigentlich nichts hervor zu kramen wußte, was Bestand gehalten hätte; so sagte ich ihm in der Verlegenheit: „Das ist alles gut, Johann — aber der Unterschied der Religion?"

     „Damit" war seine geschwinde Antwort, „hat es hier nichts zu sagen, wie mich Margot versichert hat.

     „Hat sie das?" fiel ich ihm ein, und schüttelte den Kopf.

     „Ja wohl, mein bester Herr," fuhr er fort. „Sie laufen auch hier den Heiligen nicht so nach, als anderwärts. — Der große Christoph allein ist in einigem Ansehen, und das mag er meinetwegen seyn. — Entschließen Sie Sich nur, mein bester Herr; denn ohne Ihre Erlaubnis will mich das Mädchen durchaus nicht nehmen. Das ist die einzige Bedingung, die sie und ihre Verwandten bey meinem Antrage gemacht haben; und auch ich — trauen Sie es mir zu! — wollte selbst eher noch meine Liebe zu Margot in meinem Blute ersticken, ehe ich Ihrem Befehle zuwider meine Sache ausführen wollte." —

     „Johann," — sagte ich ernstlich, „die Hauptschwierigkeit ist, daß ich nicht weiß, wo ich in der Geschwindigkeit einen andern guten Bedienten herbekommen will; und du weißt ja, daß du dich verbunden hast, mich während der Reise nicht zu verlassen." —

     Doch auch dafür hatten die vorsichtigen Leute gesorgt. „Ach," fiel mir Johann hastig ein — „das weiß ich nur zu gut — habe es auch dem Mädchen gesagt — und das ist auch der Stein, der uns am schwersten auf dem Herzen gelegen hat. — Aber, gnädiger Herr, Margot hat einen Bruder, der ein schöner, wohl gearteter Bursche seyn soll, und der morgen bey Ihnen anziehen kann, wenn Sie wollen. — Sie freut sich im voraus, ihn in Ihrer Livrey zu sehen. Der Gedanke war so natürlich — und doch ist er ihr erst gestern ganz spät gekommen."

     „Um welche Zeit ungefähr?" fragte ich.

     „Wie ich Ihnen sage," versetzte Johann, „ganz spät. Es war schon alles im Hause zu Bette, als sie wie ein Geist die Treppe leise herauf zu mir auf den Boden gestiegen kam, um mir ihren guten Einfall noch mitzutheilen — „

     „Das," fiel ich ihm wunderbar ärgerlich in´s Wort, „dächte ich, hätte Zeit gehabt bis den andern Morgen."

     „Freylich wohl," sagte Johann: „aber sie kann nun einmal nichts vor mir — auch nur eine Nacht auf dem Herzen behalten. — Doch daß ich weiter erzähle — so war es doch auf der andern Seite recht gescheut von ihr, daß sie auf den Boden kam — denn sie fand da einen verlornen Schachteldeckel mit Thymian und Salbey, und daraus ist der Umschlag entstanden, der Ihnen so wohl bekommen ist. So ein geschäftiges, thätiges Mädchen giebt es nicht mehr! — Sie hätte gern noch alles vor Nachts in´s Reine gebracht. — „Ueberlaß mir den Umschlag, — sagte sie mir, als er fertig war, — ich will ihn deinem Herrn selbst umbinden. Vielleicht trifft sich´s, daß ich bey ihm noch mein Wort anbringen kann. — Ach was könnte mir das für eine ruhige Nacht machen!" — Aber heute früh war sie wieder ganz muthlos — und ob ich es gleich nicht weniger bin — was will ich machen? Ihre Abreise rückt immer näher, und da ist es ja wohl die höchste Zeit, daß ich erfahre, woran ich bin."

     Ich gerieth in tiefe Gedanken. „Ihr Wort," wiederholte ich mir einmal um das andere — „wollte sie bey mir anbringen? Wohl gut, daß es unterblieb — Gestern Nachts? In der Lage, worin ich war? — Das würde einen schönen Gegenstoß von widerlaufenden Gefühlen gegeben haben! Wenn alle jene befeuerten Empfindungen — auf Einmal, so eiskalt — so schnell — so gallenbitter zurück getreten wären — wäre es ein Wunder gewesen, wenn mich der Schlag auf der Stelle gerührt hätte?"

     Während dieses Selbstgesprächs vergaß ich den armen Johann. — Wie ich wieder nach ihm hinblickte, fand ich sein Gesicht so verstört, und ihn von der Folter der Ungewißheit so zerrüttet, daß er mich erbarmte. Ich rieb mir die Stirne — griff mit Blicken des Muths in das Blaue des Himmels, und — entschloß mich.

     „Du bist nun zehn Jahre bey mir, Johann" — sagte ich gerührt — „hast mir redlich gedient, und ich habe mich an dich gewöhnt. Aber deine Wahl ist zu gut, und die Liebe eines solchen Engels von Mädchen wiegt alle Schwierigkeiten auf, die ich dir machen könnte. Ich gebe dir die gesuchte Erlaubniß, und gebe sie dir gern. — Sey immer des guten Kindes werth, und seyd glücklich!"

     Kaum daß ich ausgesprochen hatte, so schlug der gute fühlbare Mensch seine Hände zusammen. „Nun so segne Sie Gott!" — brach er mit untergemischten Thränen aus, „segne auch Sie bald mit einer würdigen reitzenden Gemahlin, die Sie für alle die Güte belohne, die Sie mir in diesem Augenblicke erweisen!" — Er konnte vor Empfindung nicht weiter sprechen, und ich — stieg — um mich von der Bewegung zu erholen, die mir der Ausdruck seiner Freude — (ich denke wenigstens, daß es so war) verursachte, langsam den Hügel hinab, und sprach unterwegs meinem ein wenig aus seiner Fassung gebrachten Herzen Muth ein, damit ich mit ganz entwölktem Blicke vor meinen Hausleuten erscheinen möchte.

     Sie erwarteten mich mit sichtbarer Unruhe vor dem Eingange ihrer Hütte. — Da sie aber aus der zufriedenen Miene meines Johanns schon schließen konnten, wie die Sachen ständen, so führten sie mich, ohne weitere Umstände, nur geschwind in die Stube, wo ihre Nichte die Zwischenzeit in Herzklopfen zugebracht hatte. —

     „Wie steht´s, Margot?" — rief ich ihr beym Eintreten entgegen, und legte alle meine mögliche Freundlichkeit in meine Blicke. — „Nun hab´ ich´s doch weg, was du vorgestern auf der staubigen Chaussee zu suchen hattest, und warum du dich auf der steinernen Bank in so ernsthafte Gedanken verlorst. Deine unruhigen Nächte — deine abgeredeten Zeichen — dein Nachtwandeln — alle deine Geheimnisse bis auf den Schachteldeckel sind verrathen. Wäre Johann nicht so schwatzhaft — du solltest ihn gewiß nicht bekommen — So aber gehört er dir von Rechts wegen. Ein so räthselhaftes Mädchen muß mit einem Schwätzer bestraft werden."

     Hier hättest du sehen sollen, wie die kleine Unschuldige lebendig ward! — Mit glühendem Gesichte, bebender Brust, und Gott weiß, mit was allen für Reitzen, hing sie mir, ehe ich es wehren konnte, an dem Halse und drang mir — wenn du es so nennen willst — das droit de Seigneur im Angesichte ihres Bräutigams auf. — Ich erhielt ihren ersten Kuß; denn ich muß es der Wahrheit zur Steuer sagen, daß, wo in den vorigen Blättern von Küssen die Rede ist, nicht Einer darunter ist, den sie mir gab — den zweyten und die folgenden bekam der glückliche Johann.

     Gleich nach dem Essen gingen wir, nach der bey Tische genommenen Verabredung, alle auf die Post. Wirth und Wirthin, Margot und Johann, eines half dem andern auf seinen Esel, und alle trabten was sie konnten dem Dörfchen zu, wo der Familien=Tractat geschlossen, und die Austauschung meines Johanns gegen den Bruder der Margot zu Stande gebracht werden sollte.

     Ich wendete die Zwischenzeit zum Vortheile meiner reisenden Freunde, so wie zu meiner eigenen Befriedigung an, und theilte eine große Rolle meines erhobenen Wechsels in drey kleinere, davon ich eine meinen Wirthsleuten — eine meinem Johann — und eine der kleinen verrätherischen Margot zudachte. Nach diesem Rechnungsgeschäfte, das erste, das ich nicht beschwerlich fand, setzte ich mich in meinen Verschlag, erzählte dir, was du gelesen hast, und erwartete in seltener Gemüthsruhe die Zurückkunft meiner Freunde.

     Ihre vielfachen Geschäfte mußten nicht die geringste Schwierigkeit gefunden haben, denn sie kamen eher wieder, als ich sie, nach der Wichtigkeit ihrer Verrichtungen, erwarten konnte. Sie wollten sich nicht zufrieden geben, als sie mich zu Hause fanden, und hörten, daß ich Verzicht auf meinen Spaziergang gethan hätte, um ihr Haus und meine kleine Wirthschaft darin nicht ohne Aufsicht zu lassen. Sie erklärten dieses für eine beschimpfende Vorsicht für ihre ehrlichen Mitnachbarn. „Oder," — trat Margot herzu — „fürchten Sie etwa, daß der Strauchdieb vom Fichtenberge sich zu Ihrem Schreibtische schleichen — Ihre Papiere in Unordnung bringen, oder gar mitnehmen würde?"

     „Hauptsächlich" — fuhr ich fort, um meine Furcht, die sie so hoch aufnahmen, zu beschönigen — „bin ich zu Hause geblieben, um mein Tagebuch bis heute zu schließen."

     „Und was ist ein Tagebuch?" fragte Margot, und konnte vor Lachen kaum zu sich kommen, als ich ihr sagte — „daß es eine Rechnung über Einnahme und Ausgabe — der Zeit — unserer Empfindungen und unserer Irrthümer sey — daß unter dieser letztern Rubrik eine Beschreibung ihrer kleinen Person vorkäme, und daß ich diese Rechnung einem Manne zuschicke, der fast täglich seinem Könige welche abzulegen hätte, die nicht viel wichtiger wären." — Sie hatte große Lust, es nicht zu glauben, wenn es ihr nicht auch Johann versichert hätte.

     Bastian, mein neuer Bedienter, gefällt mir sehr wohl. Er ist ein aufgeräumter, gewandter Bursche, von ungefähr zwanzig Jahren, dem ich es ansehe, daß er sich eben so leicht würde entschlossen haben, mit Cooken die Welt zu umschiffen, als er übermorgen mit mir nach Avignon geht. Ich möchte ihm einen Thaler mehr über seinen monatlichen Lohn geben, weil er seiner Schwester so ähnlich sieht. —

     Der Abend verging mit der Erzählung ihrer Reise, und alles dessen, was bey der Mutter der Braut vorgegangen und abgethan war. Ich konnte nicht darzu kommen, aufmerksam zu seyn. — Ich knaupelte an allen den Räthseln, die mir das dreyzehnjährige Mädchen seit unserer Bekanntschaft aufgegeben hatte und diese Stunde aufgab, und versuchte, die letzten geschickter aufzulösen, als es mir, zur ewigen Schande meiner Erfahrung, mit den ersteren gelungen ist. Ich wollte, daß dieses Gedankenspiel aufhörte, denn sonst fürchte ich, daß ich zu guter Letzt noch eine ganz leidlich unruhige Nacht haben werde.
 

* * *


Den 30sten December.


     Die Trunkenheit der Freude, mit der sie gestern einschliefen, schwebte noch diesen Morgen übermächtig auf ihrer aller Gesichtern, und beförderte den neuen Rausch, dem sie sich so gutwillig überließen.

     Ich nahm gewiß einen warmen Antheil daran, und ich hätte mich wohl sogar, als den Urheber desselben, für den Vergnügtesten der Gesellschaft halten dürfen, wenn ich mir diesen Vorzug, ohne erst bey meiner kalten Vernunft anzufragen, zugeeignet hätte. — So aber fühlte ich, mitten in dem allgemeinen Taumel, das nüchterne Bedürfniß des Nachdenkens. Ich stahl mich bis zur Mittagsstunde aus dem Zirkel dieser glücklichen Menschen, und befand mich kaum mit mir allein auf dem einsamen Spaziergange, den ich heute zum letztenmale um das liebe Caverac zog, als ich mich auch schon über und über in der philosophischen Untersuchung über den Werth, die Ursache, den Zusammenhang und die Bestandtheile meiner unläugbar frohen Empfindungen verwickelt sah.

     Diese Art geistigen Zeitvertreibs ist nun, wie du aus Erfahrung wissen wirst, der mißlichste von der Welt, und Gott weiß, warum so viele gelehrte Männer, von unserer Jugend an, darauf los arbeiten, uns an dieses undankbare Grillenspiel zu gewöhnen! Gemeiniglich hat man nichts weiter davon, als daß man das Wasser trübt, in welchem man zu fischen gedachte — seiner eigenen Figur, die undeutlich genug daraus wiederscheint, eine tiefe Verbeugung macht, und anstatt zufriedener — nur um etwas gravitätischer in den Kreis des Vergnügens zurück geht, aus welchem man ohne Noth getreten ist.

     Es ging mir, aufrichtig zu sagen, auch dießmal nicht besser. So tiefsinnig auch die Betrachtungen meiner selbst seyn mochten, so war doch ein vorüber gehendes beyfälliges Lächeln, das ich mir, nach einer genauen Vergleichung meines Selbstgefühls zu Caverac mit meinen Berlinischen Launen, zuwarf — und ein bekümmernder Gedanke an dich, der einzige Gewinn meines Nachforschens; und es ist noch sehr die Frage, ob dieß Wiederkäuen der Seele, das ich wohl bis zur Zeit des Mangels hätte aufschieben können, mir den unterbrochenen Fortgenuß jener gesellschaftlichen Berauschung hinlänglich ersetzt hat.

     Damit indeß mein Selbstgespräch mit allen den guten Warnungen, die ich dir, lieber Eduard, in Gedanken an´s Herz legte, nicht ganz an den Zäunen von Caverac verhalle, so soll es mein Tagebuch aufnehmen.

     Du wirst es mir übrigens nicht übel deuten, daß ich dich und den ganzen Hof von Berlin um mich her stellte, um mich über euch alle zu erheben. Geschah es gleich nur der Kleinigkeit wegen, um mir noch lieber zu werden, als ich mir schon war: so mußt du bedenken, daß dieses für denjenigen, dem es gelingt, nichts weniger als eine Kleinigkeit ist. Wollte Gott, ich könnte mir immer mein trocknes Gemüße so würzen und jeden dürren Winkel der Erde, wohin ich verjagt oder verschlagen werde, so belauben und ausschmücken — daß ich immer Elysium fände, wo ich wäre! Es ist wenigstens das einzige Mittel für denjenigen, den seine Erziehung nun einmal so verdorben hat, daß er nicht anders glücklich seyn kann, als durch Hülfe der Vergleichung. „Wohl mir," rufte ich also aus, nachdem ich meine Empfindungen mit allen Gründen der Vernunft unterstützt hatte:
 

„Wohl mir, daß mir noch unverwöhnet
Die Lockung der Natur gefällt!
Ein solches Dörfchen, Freund, versöhnet
Mich mit dem Ueberrest der Welt.
Man wird des Lebens überdrüssig,
Bey aller Ebb´ und Flut der Stadt:
Doch hier — geschäftig oder müßig,
Wird keiner seines Daseyns satt.

     Kannst du den Werth der Wahrheit fühlen,
So ändre deinen stolzen Lauf;
Such´ unter ländlichen Gespielen
Die Freundschaft und die Tugend auf!
In unsern Sittenschulen tauschet
Man Falschheit gegen Falschheit ein:
Hier — ist, was dir vom Herzen rauschet,
Wie eine Silberquelle rein.

     Hier seh´ ich von den Fußgestellen
Der Zedern, in verdienter Ruh´
Dem Eifer meiner Kampfgesellen
Am Fuß des niedern Thrones zu,
Wie sie einander zu berücken
So helle sehend — und so blind
Für Bänder und bemalte Krücken,
In nie gestilltem Aufruhr find.

     Selbst ihres Führers Macht — wie wenig
Naturvergnügen erntet sie!
Groß ist zu Potsdam unser König,
Froh — ist er nur in Sanssouci.
Da wird er Mensch, irrt in der Stille,
Wie unser eins, im Mond herum,
Und denkt wohl auch: beatus ille —
Ut prisca gens mortalium.

     Geh bald zurück zu den Gebückten,
Die fern von dir im Dunkeln stehn,
Wenn die mit Hermelin geschmückten
Dich liebevoll zu sich erhöhn.
Trau´ ihrem Schmeicheln nicht! Sie strecken
Nur gar zu gern die Krallen nach;
Selbst Doctor Luther ward zum Gecken
In Churfürst Friedrichs Vorgemach *).
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*) Wenn Friedrich der Weise D. Luthern Audienz gab, begegnete er ihm auf das gnädigste und herablassendste. Erst wenn sich der gute Mann, voller Zufriedenheit über die ehrenvolle Aufnahme, entfernte — schlug er ihm entweder ein Schnippchen in der Tasche, oder stach ihm — wie der Ausdruck der alten gleichzeitigen Urkunde lautet — einen Mönch, welches nach Adelung so viel sagt, als einem die Feigen weisen. Man kann denken, ob die Hofleute, von den Maitre=Chargen an bis auf die Edelknaben, die Losung ihres gnädigsten Herrn verstanden haben.
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     Sey es dir Warnung, wie der Große,
Den treulos Mazarin erzog,
Der Gastfreyheit im sichern Schoose,
Mit Undank seinen Wirth betrog;
Wie er, von Fouquet´s Weine stärker,
Am Busen der Baliere flammt,
In einer Stunde, die zum Kerker
Den Mann, der ihn gelabt, verdammt *).
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*) Ludewig der Vierzehnte hatte den Untergang des Sürintendanten Fouquet schon beschlossen, als er ihm noch die verrätherische Ehre erwies, das prächtige Fest anzunehmen, das er ihm auf seinem Landhause zu Beaux gab. Ohne die Vorstellung seiner Frau Mutter, Anna von Oesterreich — die es ein wenig zu stark fand, würde ihn selbst während dem Feste in die ewige Gefangenschaft geschickt haben, zu der er ihn nachher verdammte. Sein Hauptverbrechen bestand darin, daß er die nachmalige Herzogin von Valiere schön fand, und ihr Anträge thun ließ, ehe er noch wußte, daß der König bald nachher gleiche Neigungen bekommen würde. Alle die beredten Verteidigungsschriften Pelissons, die sich freylich nur über die Beschuldigungen verbreiteten, die jener zum Vorwande dienten, konnten ihn nicht retten, da das Herz des Königs selbst nicht edel genug war, ihm den natürlichen Wunsch, und der damals seine Majestät noch nicht beleidigen konnte, zu einer anderen Zeit zu verzeihen, wo er ihn selbst faßte, und, wie wir wissen, königlich ausführte.
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     In Mitternächten ohne Schlummer,
In Tagen ohne Sonnenlicht,
Fühlt er die Fesseln selbst vor Kummer
Ob seines Königs Falschheit nicht.
Sein Fall macht alle Hofgesichter,
Die seines Blicks sonst lauschten, scheu,
Und nur ein armer Fabeldichter,
Voll hohen Muthes, blieb ihm treu *).
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*) La Fontaine war, außer Pelisson, welcher den Advocaten von Fouquet machte, der einzige Unbedachtsame, der es wagte, das Unglück seines ehemaligen Beschützers laut zu bejammern, anstatt einen neuen in dessen Nachfolger zu suchen. Er unterstand sich sogar, den König mit einer Elegie zu behelligen, in der er auf´s rührendste für den gestürzten Minister um Gnade bat. Dieser Beweis seiner wenigen Lebensart brachte ihn so sehr um allen Credit bey Hofe, daß der stolze Monarch, dessen Freygebigkeit sich doch sogar auf die Gelehrten fremder Länder erstreckte — für einen solchen Schafskopf, als la Fontaine, nicht das geringste thun mochte. Der gute Fabler lebte beynahe nur von den Almosen einiger wenigen Freunde. Er — dessen Schriften die Nation jetzt durch einen immer prächtigern Druck nach dem andern, vor allen seinen Zeitgenossen ehrenvoll auszeichnet, hatte nicht so viel, um sich ein neues Kleid schaffen zu können! Er — der, wie alle großen Schriftsteller, durch den Ausfluß seines Geistes, auch nur als Kaufmannswaare betrachtet, seinem Vaterlande ein ewig fortwucherndes Capital hinterließ, war selbst einmal im Begriff, über das Meer zu gehen, um in der Fremde seinen Unterhalt zu suchen. Obige zwey Verse auf Fouquet sind von ihm selbst entlehnt:
     Jour sans soleil,
     Nuits sans sommeil,
     Quelque peu d´air pour toute grace etc.
____________________
 

* * *


     Es gehört unter die Glücksfälle der Gedankenspiele, wenn wir unter den hundert Figuren, die unsere Einbildungskraft bey solchen Gelegenheiten aufstört, unverhofft die Gestalt eines unserer besondern Lieblinge erblicken. Das Schattenbild des guten la Fontaine zeigte sich mir kaum, so verließ ich jedes andere, und hielt mich fest an ihn, trollte gutmüthig hinter ihm drein, wie er, unbekannt mit seiner Größe — ohne je auf den Einfall zu kommen, sie geltend zu machen — sorglos um seine tägliche Nahrung und Kleidung durch die Welt fabelte. Ich nahm ihn, wie er eben mit dem Buche Baruch in der Hand aus der Messe kam, und nun an allen Ecken der Straßen die Vorbeygehenden mit der Frage aufhielt, ob sie nicht wüßten wo der Verfasser wohne? — mit mit zu meinem Mittagsfeste, und ließ mir von ihm unterwegs sein Fabel, les animaux malades de la peste, vordeclamiren.

     Ohne diese Aufmunterung würde ich vielleicht Mühe gehabt haben, die schwarze Unterlage wieder los zu werden, die ich so überaus weise als Folie gebraucht hatte, den Glanz meiner gegenwärtigen Existenz noch mehr zu erhöhen; und ihm allein hatte ich es zu verdanken, daß ich nicht über und über verstimmt zu meiner Gesellschaft zurück kam, die inzwischen in dem ununterbrochenen Fortgenusse ihres Vergnügens keinen Augenblick daran dachte, über die Natur und die geheime Zusammensetzung desselben Rücksprache mit sich zu halten.

     Ich übertrieb es, glaub´ ich, nun wieder auf der andern Seite; denn ich möchte nicht, daß mich ein weiser Mann fragte, wie ich meinen Nachmittag zugebracht habe. Ich könnte ihm, Gott weiß es, nichts darauf antworten, als — Ich habe ihn vertändelt. Du weißt, Margot ist ein Kind, und da wäre es ja lächerlich, den Verständigen in ihrer Gesellschaft zu machen. Das läuft, das springt, das schäkert, und weiß noch in keiner Sache, wie ihm geschieht. Wundershalber wollte ich hören, was sich wohl für Begriffe von der Ehe und ihren künftigen Pflichten als Hausmutter mache? — Aber da fand ich alles so bunter unter einander bey ihr, daß mir, an Johanns Stelle, angst und bange seyn würde.

     Gegen Abend, nachdem wir über tausenderley drunter und drüber geschwatzt hatten, brachte sie einmal wieder ihren Strauchdieb auf das Tapet. Ich verwies sie damit an ihren Liebhaber — „Der" — sagte ich — „hat in der Oper zu Berlin, zwar nur von der Gallerie aus, einen am Pranger stehen sehen." —

     „Da ist ihm" fiel das Mädchen ein — „recht geschehen. Aber geschwind sagen Sie mir, was hat er denn dort alles verbrochen? denn ich höre gar zu gern Mordgeschichten und dergleichen." —

     „Dinge hat er verbrochen," antwortete ich — „wovon du dir keinen Begriff machen würdest, wenn ich sie dir auch erzählen wollte."

     Darüber kam sie auf einen Einfall, der mich anfangs stutzig machte, mir nachher aber selbst so wohl gefiel, daß ich von Stund´ an auf die ernstliche Ausführung desselben denke.

     „Wissen Sie was?" — sagte die kleine Närrin — „Wenn ich erst mit meinem Johann ein Jahr gelebt habe, und nun vierzehn alt bin, da wollen wir Sie und meinen Bruder in Berlin besuchen. Sie haben so manches von der Geburtsstadt meines Johanns fallen lassen, daß ich begierig bin, das Wunderding zu sehen — Ach! und die Freude," fuhr sie fort, und schlug ihre beyden Händchen zusammen, „nach so langer Zeit den guten, lieben, vortrefflichen Herrn wieder zu finden, der hier so gern mit mir spazieren ging — der mir einen braven geliebten Mann zurück läßt — und meinen armen Schelm von Bruder so gütig von meiner Hand angenommen hat!" — Glaubst du wohl, Eduard, das Kind ließ darüber ein paar warme Thränen auf meine Hand fallen, die mir elektrisch mein ganzes Zellengewebe erschütterten.

     „Das ist einmal ein gescheuter Gedanke, Margot," — sagte ich. — „Ja, ihr sollt mich beyde besuchen, und die Reise soll euch nichts kosten. — Gebt mir eure Hand darauf." Und wäre es nur, Eduard, daß ich dich von der Wahrheit alles dessen, was ich von dem Mädchen gesagt habe, überzeugen könnte, so sollte mir ihr Besuch lieb seyn.
 

* * *


Den 31sten December.


Der letzte Tag des Jahres ist da! Das würde mich wenig bekümmern, wenn es nicht auch der Abschiedstag von den besten Menschen wäre, die ich jemals gekannt habe. Diese Betrachtung macht mir ihn feyerlich. Ich darf mir meine innere Bewegung nicht merken lassen — was würde es nützten? —

     Sie setzen ohne Argwohn voraus, daß ich diesen Abend wenigstens noch mit ihnen verschwatzen und vertändeln, und meine Nacht in dem Weichbilde der kleinen Margot verträumen werde. — Wenn ich nach dem Essen meinen Hut und Knotenstock nehme, wird sie um mich herum hüpfen, mir an der Thüre einen Kuß zuwerfen, und mir eine baldige Zurückkunft von meinem Fichtenberge gebieten. — Die Thüre wird knarren — und — meine Rolle hier wird gespielt seyn. —

     Sobald der Tag zu verlaufen und man anfangen wird sich nach mir umzusehen, soll Bastian auftreten und den Epilog halten. — Ich traue ihm zu, daß er ihn mit allem erforderlichen Anstand und genau nach meiner Vorschrift halten wird. — So kommen wir alle am kürzesten davon. Die Geschenke, die ich ihnen zurück lasse, theilt Bastian nach meiner Anweisung unter sie aus. Es wäre mir nicht möglich, der erschütternden Szene beyzuwohnen, die das Erstaunen, die Danksagungen und die Thränen dieser so leicht zu rührnden und zu befriedigenden Menschen darstellen wird.

     Das könnte mir indeß nur eine kurze Ruhe verschaffen; denn in dem Ungestüm ihrer Empfindungen würde die ganze freundschaftliche Caravane, ich bin es gewiß, mich bis über die Gränzen verfolgen, wenn ich meinem Stellvertreter nicht auch auf diesen Fall die gemessensten Befehle und die wirksamstzen Bitten an sie zurück ließ.

     Unterdessen, da dieses hier vorgeht, werde ich meinen Pavillon zu Nimes einsam durchschreiten und ein Liedchen singen, damit ich nicht höre, wie mir das Herz pocht.

     Mein Tagebuch — noch hat es in meinen Taschen Raum — nehme ich allein von hier mit. Meine übrigen kleinen Effecten soll mir Bastian mit Anbruch des morgenden Tages nachbringen.

     So wäre denn meine Abschiedsstunde von Caverac mit so vieler Schonung meines wunden Gefühls angelegt, als kaum ein Hofprediger der letzten Stunde einräumen kann, in der sein Fürst aus der Welt geht.

     Bastian soll unter acht Tagen seiner Verwandten nicht gegen mich erwähnen. Das habe ich ihm bey meiner Ungnade eingeschärft.
 

* * *


Nimes.


Freund! Ich bin nun gerettet — wie ein Fisch, der den Köder vom Faden gebissen hat, und mit dem Angelhaken in der Gurgel davon schwimmt. Hätte ich, zu einem Bettler herab gesunken, mein Land verlassen müssen, wo ich als König regierte, bänger hätte mir kaum um das Herz seyn können, als da mir nun die Wohnung der Unschuld und Freude im Rücken — und, abgeschnitten von allem was mir lieb war, die ganze weite freudenlose Welt vor mir lag. Ach! nichts begleitete mich, als mein trauriger Schatten. — Mir fehlte Margots sonorische Stimme — ich vermißte den Nachtrab meines treuen schwatzhaften Johanns, und mein zerstreuter Blick, der selbst manchmal sich nach meinem guten asthmatischen Mops umsah, kehrte betroffen über seinen Verlust zurück. Und o wie viele andere stachlichte Empfindungen — die ich aus Zärtlichkeit gegen mich nicht berühren mag — kletteten sich nicht an dieses belastende Gefühl von Trennung und Einsamkeit! Es war mir, als ob an jedem Pflasterstein, über den ich auf meinem Wege fortschritt, ein Theil meines Eigenthums hängen blieb, so daß ich es mit jeder Minute kleiner, unbedeutender werden, und zuletzt in ein Nichts verschwunden sah.

     Ich konnte es nicht über mich gewinnen, auf der Chaussee fort — bey der steinernen Bank vorbey zu gehen, auf der sich meine Eigenliebe, und, wie du weißt, ganz ohne Noth, brüstete, und aus einem Mißverständnisse, das ich mir noch nicht vergeben kann, in so lebhafte Bewegung gerieth. In solchen Umständen, lieber Eduard, ist es sehr bequem, wenn man neben der Landstraße noch einen Rasenweg findet. Wie klein war indeß die Erleichterung, die ich mir damit verschaffte! — Denn, ob ich gleich weder Menschen noch Esel begegnete, die mich an mein Dörfchen erinnerten, so konnte ich doch unmöglich jedem Moose, jedem sprossenden Strauche, das den Moosen und Gesträuchen auf dem Fichtenberge ähnlich sah, aus dem Wege gehen: und als ich mir vollends einfallen ließ, einen seitwärts gelegenen Hügel zu besteigen, so brachte ich mich auf einmal um allen Vortheil meines listigen Umwegs; denn nun trat mir, in dem weiten Zirkel des freundlichen Languedocs, den ich übersah, das kleine liebe Caverac so nahe vor die Augen, daß sie mir übergingen, ehe ich es wehren konnte.

     Ein Weilchen ließ ich meinem kindischen Herzen seinen Willen: da aber der annähernde Abend die Gegend immer mehr in´s Dunklere zog, so nahm ich den Zeitpunct wahr, ehe sie mir entwischte, ihr meinen feyerlichen Segen zu geben. Es war ein süßer belohnender Anblick, der mich über mich selbst erhob — ein Gefühl, wie es nur der heilige Vater haben kann, wenn er auf dem Balcon der Peterskirche seine segnende Hand erhebt, und sein ganzes Volk in andächtiger Schwärmerey von ihm zur Erde niederstürzet. — Der Fleck, wo Margot wohnte, schien noch, ehe er meinen Blicken verschwand, einen sanften Schimmer von sich zu werfen, der meine Seele stärkte, erwärmte, beruhigte. Ich ergriff guten Muths meinen Wanderstab, und suchte mich zu überreden, ich wäre gefaßt und zufrieden

     Überlege noch mit mir, Eduard, indem ich unter dem Wiederscheine des Abendroths nach meinem Pavillon schleiche, wie viele wichtige Geschenke, die vielleicht eine größere Summe von Glückseligkeit umfassen, als das ganze Königreich Schweden zu seinem Antheil erhielt, diesem von der Natur so begünstigten Winkel der Erde und seinen Bewohnern zugefallen sind.
 

Die dreymal Glücklichen! Wie leicht
Wird´s ihnen nicht, in ihrem vollen Garten
Des Lebens Traum, durch Sorgen nie verscheucht,
Ganz durchgeführt, so weit er reicht,
In jener Einfalt abzuwarten,
Die dem Gefühl so gütlich deucht!

     Die Freude tanzt hier ohne Regeln,
Der Scherz gesellt sich ohne Zwang
Zu ihrem Wein, zu ihren Kegeln
Und ihrem baskischen Gesang.
Sie haben das, was sie bedürfen:
Ein leichtes Blut und Lieb´ und Wein,
Und alle ihre Sinne schlürfen
Den Zaubertrank des Lebens ein.
Im Schatten ihres Oelbaums wohnen
Glück und Zufriedenheit. Kein Sturm der Leidenschaft
Jagt sie aus ihrer Ruh´ nach weit entfernten Frohnen
In´s magere Gebiet wurmstichiger Patronen,
Nach Gnadenmitteln ohne Kraft,
Und die der Müh´ des Wegs nicht lohnen —
Giebt es für Wallungen ein sichrers, als den Saft
Von ihren kühlenden Limonen?

     Wenn Colas Händedruck, im Ringeltanz mit Rosen,
Die erste Scham des lieblichen Gesichts,
Den ersten Seufzer weckt, so fragt er nicht nach Mosen,
Nach den Propheten und dem großen
Christophel, wenig oder nichts.
Welch ein Elysium! Schon dreyzehn Jahre steuern
Des Landes Töchter aus. Ihr spähendes Gesicht
Trifft unter einem Trupp von Freyern
Bald auf den Glücklichen, dem nicht der Muth gebricht,
Auch ohne Heirathsglut der Liebe Fest zu feyern.
Willst du den ächten Ton von ihren Hochzeitsleyern,
So trällre nach, was oft der Spottgeist spricht:
„Sie spinnen, säen, ernten nicht,
Und sammeln nichts in ihre Scheuern."
Doch sorge nicht für sie! Um einen Blätterschmaus
Hilft Amor hier ein Heer verliebter Spinnerinnen
Den Kindern der Natur gewinnen,
Die Schüsseln auf den Tisch, und Möbeln in das Haus,
Und Feuer auf den Herd erspinnen.
Kein leerer Raum läßt sich ersinnen;
Der Gott der Liebe füllt ihn aus!
 

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     Wie verzeichnet und verschossen kommen uns doch unsere prächtigen und theuern Cabinetsmalereyen vor, wenn wir sie auf eine Weile bey Seite räumten, und unsere Augen an den größern Gemälden der Natur stärkten! — Nimes mit seinen Antiquitäten, seinen Gesellschaften und Gastmählern — wie wenig ist es doch für das Herz, gegen die ungeschmückten Freuden meines ländlichen Aufenthalts, die keines Schmuckes bedurften! Mein Pavillon kam mir lächerlich groß vor, wie ich eintrat. — Ich setzte mich geschwind an mein Tagebuch, um mir die Angst wegzuschreiben, die mich in dieser Einöde befiel, und dem Schlafe freyen Eingang zu dem Herzen zu schaffen, das heute mehr als jemals seines Balsams bedarf.
 
 

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Ende des zweyten Theils.
 

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