Es war schon ein gutes Zeichen meiner anhebenden Besserung, daß
sich zwischen Paris und Fontainebleau ein Selbstgespräch in mir entspann,
das mir keine Runzeln auf der Stirne zurück ließ. Ich wog zum
erstenmale den Vorzug der Reisen gegen den albernen Beruf ab, immer wie
ein Fixstern an Einer Stelle zu bleiben, und zu erwarten, ob uns einmal
ein scharfsichtiges Auge in unserer entfernten Region entdecken werde,
und sagte mit heimlicher Freude: Gott Lob! nun bist du wahrscheinlich
auf der Spur, der du in Berlin so lange irre gingest zu verdauen und
zufrieden zu seyn. Seele und Körper begegneten einander so, als suchten
sie die ehemalige gute Freundschaft wieder zu erneuern, die durch ein geringes
Mißverständniß unterbrochen wurde. Wenn dieses harmonische
Verhältniß von Bestand ist, wie ich hoffe, was kümmert
mich," fragte ich, ,,alles übrige?"
Ich überzählte, um genau zu gehen,
alle die Fälle, die mich je um Freude und Gesundheit betrogen, und
überlegte, wie leicht ich ihnen durch ein paar Postpferde hätte
entwischen können Stehen dir," fuhr ich fort, in dem einen Winkel
der Welt deine Spielgesellen nicht an, rutsche nur eine Ecke weiter zu
andern! Es müßte nicht gut seyn, wenn du nicht hier und da auf
eine leidliche Seele stoßen wolltest, bey der du eine Weile ausruhen
und vergessen könntest, wie dieser und jener dir einmal auf deinem
geraden Gange ein Bein stellte oder ein Loch in deine Trommel stieß.
Wie viel weniger haben unsere Thorheiten auf Reisen gegen die zu bedeuten,
die wir in unserer Heimath begehen! Gewaltiger Unterschied, wenn ein Land
oder eine Gasse zwischen ihnen und uns liegt!"
Auch ihr, meine lieben Freunde und Gönner,
gewannet zusehens mit jeder Station, die ich zurück legte, in meiner
Neigung und Achtung. Ihr erschient mir in der Entfernung in einem viel
wohlthätigern Lichte, als da ich noch euern, manchmal ungelegenen
Besuchen, euern Launen, euern Schmäusen, euern Gevatterbriefen ausgesetzt
war. Ich versöhnte mich mit allen großen Männern meines
Vaterlandes, ihren Schriften und Liedern, so oft ich bey einem französischen
Buchladen vorbey fuhr, und lächelte in Gedanken rings umher ihre Gypsköpfe
an, die mir vor drey Wochen noch überall im Wege standen.
* * *
In dieser Lebhaftigkeit erhielt ich mich bis
in dem Angesichte des Jagdschlosses, auf welchem einst eine junge Königin,
*) auch auf einer Lustreise (welches mir in diesem Augenblicke meiner Behaglichkeit
ungewöhnlich auffiel) eine empörte Leidenschaft durch einen Mord
zu besänftigen suchte. Ob ihr die gute Absicht ihrer Beruhigung so
leicht gelungen seyn mag, als das gefährliche Mittel, das sie einschlug,
will ich nicht mit Gewißheit behaupten, und es noch weit weniger
mit dem allgebietenden Leibnitz in Schutz nehmen. Mich gemein denkenden
Mann brachte schon die Erinnerung dieser Geschichte ganz aus meiner glücklichen
Stimmung, und verbitterte mir bis nach Auxerre jeden Aufwall freudiger
Empfindung.
____________________
*) Die Königin Christine von Schweden, die ihren
Oberstallmeister Monaldeschi, zu Fontainbleau, unter ihren Augen ermorden
ließ. Leibnitz vertheidigte diese That, aber diesmal ohne zu überzeugen.
____________________
Hier stieß mir ein desto lustigeres Abentheuer
auf, an das ich mich um so begieriger hing, je alberner ich mir selbst
in den veralteten Händeln vorkam, in die mich meine empfängliche
Einbildungskraft verwickelt hatte. Gerade dem Posthause gegen über
schrie ein Kerl an einer kleinen Bude, zu der eine Menge Menschen hinströmte:
Fruges consumere natus: Bête
sauvage d´Allemagne, juisqu´ici inconnue en France.
Es wären, dachte ich, die ersten zwölf
Sous, die ich in Frankreich wagte, um meiner gereizten Neugier ein Geschenk
zu machen, und mochte der kleinen Versuchung nicht widerstehen, etwas näher
zu untersuchen, auf welches Geschöpf wohl eine Beschreibung angewendet
sey, die auf so viele in meinem Vaterlande paßte, und die ich zu
einer andern Zeit wohl hypochondrisch genug gewesen wäre auf mich
selbst zu ziehen. Ich fand mehr und fand weniger, als ich erwartete. Das
Wunderthier, dessen ganzes Geschlecht wir gern der französischen Nation,
für die Regie, die sie uns gab, zum Gegengeschenk machen würden,
war freylich nur ein Hamster: aber der Mann, der ihn in diesem Städtchen
zur Schau stellte, war mir desto merkwürdiger. Diesen Anstand, diesen
hohlen Ton der Stimme, diese funkelnden Augen trug, wie mich sogleich
der Augenschein lehrte, vor dem Jahre ein homme
comme il faut auf unsern Redouten herum, der mit ausgezeichnetem
Glücke Piket spielte, dich, lieber Freund, so gutmüthig als dringend
auf sein Marquisat einlud, und dich, wer weiß? zu dieser Lustreise
verführt haben würde, hätte ihn nicht endlich eine Kleinigkeit
aus deinen Umarmungen gerissen! Ich bezahlte über meine zwölf
Sous noch gern mein Erröthen für das seinige, als er mich erkannte,
setzte mich geschwind wieder in meine Chaise und fuhr unter lautem Gelächter
davon.
Wie gern hätte ich noch zwölf Sous
bezahlt, wenn ich für diesen Preis meine Ueberraschung der schönen
Clitoris *) der damaligen Redoute hätte abtreten können, um sie
über die teterrima belli
causa, wie es der spitzige Horaz nennt, schamroth zu machen,
durch die sie die Würde eines Hofmanns gegen einen Hamsterträger
aufs Spiel setzte. Du übernimmst wohl dieses Geschäft in meiner
Abwesenheit, das dir ohne Zweifel zu einem desto ungestörtern Triumph
im jetzigen Carneval verhelfen würde; könnte dir mein Tagebuch
nur zeitig genug diese wichtige Nachricht zufertigen.
____________________
*) Clitoris oder Clitoria, eine Nymphe, der zu Gefallen
sich Jupiter in eine Ameise verwandelte. Ob das Redoutenkleid, von dem
hier die Rede ist, vom richtigsten Costum war, ist zweifelhaft. Es ward
als eine neue französischen Hofmaske nach Berlin geschickt, fand aber
wenig Beyfall.
____________________
Ohne meine gute Laune zu verlieren, die ich
aus der Bude deines Rivals mitnahm, fuhr ich in Einer Strecke nach Yvri.
Hier warf ich mich auf eine steinharte Matratze und erwachte Gott!
wie ich immer erwachen möchte! Ich fand mei-nen Wagen, als ich fort
wollte, mit einer Menge bettelnder Kranken umgeben, die keinen bessern
Zeitpunct hätten treffen können, denn der Antrieb, wohl zu thun,
brauste durch alle meine Adern. Ein gemeines Almosen war mir in meinem
weit umfassenden Gefühle zu klein. Ich öffnete den Sitz meines
Wagens, und theilte, ohne mich zu bedenken, den ansehnlichen Vorrath meiner
theuern Arzeneyen unter diese Hülfsbedürftigen aus.
Ein Soldat mit einem hölzernen Arm erhielt zwanzig Portionen von dem
Luftsalze des Freyherrn von Hirschen; achtzehn waren noch übrig, die
ich unter eben so viel Kinder vertheilte. Eine uralte Frau, die über
nächtliche Anfechtung des Teufels und über Schlaflosigkeit klagte,
beschenkte ich mit meinem Elexir aus Bruchsal nebst Adresse. Unter den
übrigen Haufen von Schwindsüchtigen und Bleichen theilte ich
meine Magnettropfen, mein Glauberisches Salz und meinen Zwieback aus. Eine
schlanke Gestalt mit einem Madonnengesichte befand sich unter den letztem.
Ihr würde vermuthlich die Desorganisation sehr gute Dienste geleistet
haben, hätte ich das Ding nur verstanden, oder Zeit und Lust gehabt,
einen Rapport unter uns aufzusuchen. Ich gab ihr indeß, bis ein Meister
der Kunst auf sie trifft, eine noch unberührte Schachtel temperirenden
Pulvers, der einzigen Arzeney, deren ich mich während meiner Reise
nicht benöthigt gefühlt hatte; und nun warf ich mich geschwind
in den Wagen, um mich den Lobsprüchen und Danksagungen zu entziehn,
mit denen mich dieser unglückliche Haufen von Menschen übertäubte.
Mein Herz war erleichtert. Nicht so klein, die Kosten zu überrechnen,
die ich mit diesem Geschenke weggab, ohnerachtet sie gewiß mehr betrugen,
als vielleicht der reichste Mann nicht bey so frühem Morgen unter
Arme vertheilt, kam mir nicht einmal die Besorgniß in den Sinn, daß
ich mich selbst durch meine unbegränzte Freygebigkeit, auf den Fall
eigener Noth, hülflos gelassen habe. Nur Betrachtungen des menschlichen
Elends, nur belohnende Empfindungen der Gabe des Mitleids, die ich in Berlin
nie in diesem hoh Grade würde gekannt haben, verkürzten mir den
Weg.
* * *
Gesegnet sey der Mann, der das Reisen erfand,
und dreymal gesegnet der trefflichste meiner Freunde, der mich aus dem
tödtenden Staube meiner Bücher hervor zog, und meine kleinsten
Tugenden in Bewegung und in die glückliche Lage setzte, sie anzuwenden!
Ich flog leicht wie ein Zugvogel über die Echellen. Einige Stunden
Schlaf, die ich zu Lyon im Vorbeygehen mitnahm, stärkten mich einer
Rastlosigkeit, deren ich mich nie fähig geglaubt hätte, und die
mit dem herrlichsten Wege und der Thätigkeit der Posten verbunden,
mich die folgende Nacht nach Palü, und den Morgen darauf
aber welch ein Morgen! nach Nimes brachten, wo ich den artigen
Pavillon bezog, den ich nun, nebst seinem daran stoßenden Gärtchen,
schon einige Wochen bewohne, ohne daß ich mich nach einem andern,
als dem dir gewidmeten Geschäfte umsah, mit meinem Tagebuche in Gang
zu kommen.
Ich bin es nun, theuerster Freund, und schreibe
dir in diesem Augenblicke unter der kleinen Wölbung zweyer sich umarmenden
fruchtvollen Granaten=Bäume, die mich doch kaum vor dem Eindringen
der Sonne schützen. Aber wo soll ich Worte, ohne sie an allen Ecken
zusammen zu suchen, hernehmen, dir das ganze Glück meiner bis jetzt
gefühlten Existenz anschaulich zu machen? Welche Reitze der Neuheit
für einen Deutschen umflossen den lachenden Wintermorgen, an dem ich
Besitz von meiner heimlichen Wohnung nahm! Sie schwebten den Mittag um
die Kost meines kleinen Karthäuser=Tischchens, um die jungen Erbsen,
Erdbeeren und Feigen her, mit denen er besetzt wurde. Ein wolkenloser Abend,
von dem du keinen Begriff haben kannst, voller Hoffnung eines gleich schönen
Morgens, zauberte mich in den friedlichsten Schlaf; und diesem Tage glichen
alle die folgenden, die ich bis heute in diesem Lande verlebt habe. Indeß
nun meine Seele, während dieses körperlichen Wohlbehagens, sich
von dem Glücke ihrer theilnehmenden Empfindung belastet fühlt,
sage, woher soll bey diesem Zusammenströmen geistigen und leiblichen
Lebens, das vielleicht nie ein Gelehrter in dieser Verbindung gekannt hat,
woher sollte die arme, von seiner Secte geordnete Sprache zu einem Kraftworte
kommen, das die Seligkeit dieses Zustandes bezeichnet? Die Metallurgie
hat eins für den Schimmer, den das durchglühte kochende Erz auf
eine Secunde von sich wirft, wann es, von allen beygemischten fremden Theilen
gereinigt, den höchsten Grad der vollendeten Scheidung erreicht hat
ein Wort, das ich ihr mit Vergunst den Obern entlehne. Diesen Tag also
mit seinem Anhange erlaube mir, lieber Eduard, den Silberblick meines
Lebens zu nennen! Möchte er nicht auch, wie bey den edeln Metallen,
nur ein Schimmer und der Uebergang zu Verkühlung nicht auch schon
der Anfang seiner Verdunkelung seyn! Aber wie kann hienieden Reinigkeit
mit Brauchbarkeit für die Welt bestehen? Werden nicht Metalle und
Seelen nur desto mehr an innerm Gehalte verlieren, je geschwinder sie unter
den Händen des Künstlers eine nützliche Form erhalten, und
unter dem Gepräge eines Fürsten in Umlauf gesetzt, und verdammt
werden, Handel und Wandel auf ihren Märkten zu fördern?
Aber Jerom winkt mir ich schweige. Ich respectire
seine Warnung, seitdem es mir wahrscheinlich wird, daß seine Weissagungen
nicht so ganz unerfüllt bleiben werden, als es mein Starrsinn des
vorigen Monats gegen ihn behauptete. Freude, Lachen, Müßiggang
und Muthwillen scheinen über meinem Schreibtische zu schweben, mir
die Feder zu führen und mir die Worte unvermerkt zu vertauschen; ja,
hätte mich nicht das heilige Versprechen, das du mir abnahmest, an
mein Tagebuch gefesselt, o sie würden mich schon gern weit von ihm
hinweg, in andere Irrgänge verlockt haben, als die sich um die Blumenbeete
meines kleinen Gartens schlängeln.
Keine Reisebeschreibung von Inhalt, keine statistisch,
politisch und praktische Bemerkungen, keine Münz= und Antiquitätensammlungen,
keine Untersuchung des Bodens und der Schichten der Berge Was war es
nicht alles, das du dir verbatest? Guter Freund! Du hättest deine
Ausnahmen sparen können; denn kaum habe ich Zeit, dir nur zu geben,
was ich dir schuldig bin, kaum Zeit, das Votivgemälde zu entwerfen,
das ich meinem Erretter gelobte! In dieser Art Malerey ist es Herkommens,
daß sie nicht nach der Kunst, sondern nach der guten Absicht beurtheilt
und geschätzt wird, und schickt sich also besonders gut für meinen
ungeübten, flüchtigen Pinsel. Die Wahrheit soll indeß desto
weniger dabey verlieren; und findest du ja, daß hier und da die Farben
zu stark aufgetragen, sich nicht genug in einander verschmelzen, so darfst
du nur das Stück ein wenig höher hängen, als gewöhnlich:
es wird schon seine Wirkung thun. Hänge es so hoch, daß es
kein myopisches Auge einer Dame, keine Brille eines Doctors erreichen kann.
Ich bin unter dem Schutze des Merkur, in dem Garten der Circe, male nur
meinem Freunde, und male nach der Natur.
* * *
Hier, wie du denken kannst, giebt nicht die Langeweile
Mir Arbeit in die Hand. So süße Stunden theile
Nur Freundschaft unter sich! Der blonde Phöbus sieht
Mein Morgenopfer gern. Wie freundlich überzieht
Sein Goldstrahl mein Papier, und trocknet jede Zeile,
Die meinem Schwanenkiel entflieht!
Sprich selbst, verdient´ ich wohl die Milde seiner Strahlen,
Wenn ich es unternähm´, mit deutscher Autorhand
Die Scenen dir frisch aufzumalen,
Die ich, bleich durch die Zeit, verderbt durch Unverstand,
Im Staube wurmichter Annalen
Und im Lombard des Irrthums fand?
Nein! Freund, ich und das Ding, das jetzt mit goldnem Flügel
An meiner Feder lauscht, jetzt schnell sich wieder hebt,
Und nun im Thal und auf dem Hügel,
Und immer nur auf Blumen schwebt,
Wir lassen gern dem trägen Igel,
Der Schnecke, die am Boden klebt
Obgleich ihr Seherohr in´s Empyreum strebt
Sehr gern den philosoph´schen Zügel,
Den ihnen die Natur gewebt.
* * *
Den 7ten December.
Seit vier Tagen schon, mein Eduard, habe ich
einen größern Zirkel um mich geschlagen, den ich nach und nach,
wie es sich für einen Genesenden schickt, immer mehr erweitern werde.
Da habe ich nun, ohne es zu ahnden, Dinge hinein gezogen, die es wohl verdienen,
daß ich sie abzeichne. Ich hatte mich zum erstenmale, und nicht viel
über hundert Schritte, von meinem Pavillon entfernt, als ich auf ein
Menschenwerk stieß, das wie soll ich sagen? den Anstand einer
Königin unter dem Flitterstaat einer gemeinen Buhlerin verrieht. Ein
vollkommen erhaltenes römisches Bad, frisch übertüncht,
mit neuern Bildsäulen und einem Garten voll Hecken umgeben.
Ich wußte lange nicht woran ich war,
bist mir das glücklichste Ungefähr einen Tagelöhner herbey
führte, der selbst Hand an die Entdeckung dieses herrlichen Werks
gelegt hatte. Der ausgemachteste Antiquar hätte mir schwerlich mehr
Genüge thun können, als dieser Mann. So sehr er Franzos war,
so gestand er doch treuherzig, daß ihm das Gebäude, als es noch
einige Zeit nach der Entdeckung in seinem ehrwürdigen Alterthum da
stand, weit besser gefallen habe, als jetzt. Sein Urtheil kam mir sehr
glaubhaft vor. Dieses machte ihn so beredt, daß ich unterrichtet
genug wäre, dir die ganze Begebenheit, an der er so wichtigen Antheil
nahm, bis auf den letzten Schaufelwurf seiner Hände darzustellen.
Vor dieser Epoche wurden weiße Wäsche und reine Teller für
den größten Luxus eines hiesigen Einwohners gehalten. Seit vierzig
Jahren ist diesem Mangel durch das wieder aufgefundene Geschenk, das die
prächtigen Römer dieser Provinz machten, gänzlich abgeholfen.
Du kannst dir also einen Begriff von der Freude des schmutzigen Volks machen,
als der Schutt nun weggeräumt war, der so einen Reichthum verbarg,
und nun auf einmal der verhaltene Strom mit Getöse hervorbrach.
* * *
Der stolze Quell, den einst Agrippens Zauberstab
Aus Felsen schlug, warf jetzt die tausenjähr´ge Bürde
Der Barbarey in süßer Hoffnung ab;
Beym Zuruf eines Volks, das seinen Glanz umgab,
Verließ der Held mit Römerwürde
Auf Fleuri´s Ehrenwort sein Grab.
Doch kaum entfielen ihm die unverdienten Bande,
Die seinen Körper wund gedrückt,
So ward auch, zum Beweis, in wessen Königs Lande
Die Auferstehung ihm geglückt,
Der edeln Stirn manch Brandmal aufgedrückt,
Und mit Geräusch dem römischen Gewande
Manch Modequästchen angestickt.
So viel Prevenanc´ erschreckte
Den edeln Greis. Er freute sich
Der klugen Zeit nicht sonderlich,
Die seinen Eichenkranz mit Flittergold bedeckte,
Und seinen Harnisch überstrich.
Der schmeichelhafte West umsäuselt
Umsonst sein weiß gepudert Haar:
Schwermüthig denkt er nur, wie es noch ungekräuselt
Die Zierde seiner Jugend war.
Denn ach! um seinen Scheitel schweben
Die Wunder noch der alten Zeit,
Und alle seine Glieder beben
Bey jedem Aufblick in ein Leben,
Das mit dem Sclavenjoch verfeinter Höflichkeit
Den freygebornen Mann bedräut.
Er blickt im Drange seines Schmerzens
In´s Silber seiner Wellen hin,
Aus dem das Bildniß einst des frommen Antonin
Rein, wie der Abdruck seines Herzens,
Aus blauem Grunde wiederschien;
Und richtiger als selbst Voltaire
Wiegt er die Zeit von Ludwig und August,
Und leise, daß es nicht der strenge Clerus höre,
Bejammert er der alten Kunst und Ehre
Unwiederbringlichen Verlust.
* * *
Den 8ten December.
So viele Reitze dieser Spaziergang für
mich hat, so muß man ihn doch in der Abendzeit besuchen, um ihn in
seiner ganzen Schönheit zu sehen; nicht nur deswegen, weil die malerische
Dämmerung die frischen Farben ein wenig bleicht, mit denen dieses
Denkmal verunstaltet ist, und es dem Auge in dem gräulichen Anstriche
wieder giebt, das seinem Alter so wohl ansteht: nein, es rufen einen wieder
auflebenden Jüngling, als ich mich fühle, noch andere, ihm nähere
Lockungen, in diese ausgezeichnete Gegend. Ein Tempel der Göttin der
Keuschheit, der nicht weit vom Bade, von düsterm Gebüsch umschattet,
in seinen Ruinen liegt, trägt am meisten zu den Pittoresken des Ganzen
bey. Zahlreiche Wallfahrten strömen dem Tempel zu, so bald sich der
Abendstern am Himmel zeigt. Du fühlest, daß du auf heiliger
Erde wandelst, wie du dich ihm näherst. Schauer der Vorwelt ergreifen
dich, und nicht leicht wirst du irgendwo ein gemächlicher Plätzchen
finden, dem Gedanken nachzuhängen, in welchem ich und du Salomon Lucian
und die Propheten einstimmig zusammen treffen: Wie doch alles hienieden
so eitel ist!"
Ich bin hier einige Abende nach einander hinter
dem Mondscheine hergeschlichen, und meine Einbildungskraft kehrte nie unbefriedigt
zurück. O daß du, von deinen tobenden Winterlustbarkeiten geborgen,
Arm in Arm mit mir dieses Gebüsch durchirren und mit eigenen Augen
sehen könntest, wie holdselig hier, auch in einer December=Nacht,
Cynthia die säuselnden Blätter der Silberpappeln und des Epheu´s
durchzittert, der die gespaltenen Mauern ihres Tempels umflochten hält!
* * *
Oft sucht ihr Seitenblick auf den verfallnen Thron
Umsonst nach Huldigung und königlichen Rechten;
Ihr guter Ruf sogar wär´ als ein Rauch entflohn,
Gäb´ es nicht Nymphen hier, die für ein Gotteslohn
In süßer Schwärmerey ihn zu erhalten dächten!
Kein Mädchen ist zu jung, und es versuchet schon
Der Königin einen Kranz zu flechten
Versteh mich recht in lauen Nächten,
Als Freundin des Endymion.
Wie viele schleichen nicht aus ihrem Opferhaine,
Wie Priesterinnen ziemt, blaß, schüchtern und verstummt,
Mich Lauschenden vorbey, die erst in Lunens Scheine
Gleich Bienen um mein Ohr gesummt!
Und Du, der jetzt vielleicht mit Schnee und Sturm im Streite
Mich, ohne Neid, aus dem Gesicht verlierst,
Groß wie ein Gott dich dünkst, wenn du an Lottchens Seite,
Die du, betäubt vom schallenden Geläute
Des Schlittens, im Triumphe führst,
Nur alle Finger nicht erfrierst.
Mein trauter Freund! ich bitte dich, entferne
Doch ja den Stolz, der sich in deinem Busen regt,
Und wisse, daß der Weg, den ich hier wandeln lerne,
Nichts weniger als Dornen trägt.
Blick einmal nur, wenn es Dir nichts verschlägt,
Auf meine magische Laterne,
Und sieh erstaunt, was hier der Glanz vom Abendsterne
Für Schatten an der Wand bewegt!
* * *
Den l2ten December.
Ich habe die letzten Tage der vergangenen Woche,
wider das Verbot des guten Jerom´s, meine Berge und Thäler,
in denen ich verwickelt war, und meine eigene stille Gesellschaft verlassen,
um mich in eine zu werfen, die man hier und überall die Gute nennt.
Ein Besuch bey dem Eveque, einer bey dem Intendanten das hätte so
hingehen mögen, wenn es dabey geblieben wäre. Doch wie kann
es das? Die ersten Leute an einem Orte sind immer mit einem Zirkel umringt,
daran ein jeder Punct die nehmliche Aufmerksamkeit von einem Fremden verlangt,
wenn die Reihe an ihn kömmt, und keiner, so klein er ist, will überhüpft
seyn. Nun treten ihre Höflichkeiten in derselbigen Ordnung um unser
Individuum her, bis es endlich müde und matt auf seinen eigenen Schwerpunct
zurück fällt. Mich verwickelt immer diese hergebrachte Sitte
der großen Welt in Schwierigkeiten, aus denen ich mich nie recht
zu ziehen weiß. Spiel und Souper sind gegenwärtig die ersten
Morgenbegrüßungen, von denen ich höre, und die mich endlich
auch von hier verjagen werden, wie von Berlin. Ich habe nun einmal keinen
Sinn, keinen Magen und keine Zeit für diese Art gesellschaftlichen
Vergnügens, um das sich doch leider! groß und klein herum dreht.
Bey dem Eveque lernte ich indeß eine
seiner Verwandtinnen kennen, die ich auch nachher oft und gern wiedersah:
die Marquise d'Antremont. Durch die Musenalmanachs sind einige ihrer
weiblichen Arbeiten bis nach Deutschland gekommen; die größere
Anzahl ist aber auf dem Grund und Boden gesunken, wo sie entstanden, und
halten ein strenges Incognito. Das Gefühl für die Dichtkunst
ist eine Art Freymäurer-Geheimniß, das seine Anhänger in
allen Himmelsstrichen eben so bald vertraulich an einander bindet, als
jenes die seinigen. Wir erkannten uns in der ersten Viertelstunde, und
wechselten, wo nicht unsere Herzen, doch unser gegenseitiges Zutrauen aus,
und ich danke ihr schon jetzt mehrere recht vergnügte Stunden.
Zwar nicht wie Hebe jung, doch der Empfindung treu,
Die wir gern geben, gern empfangen
Wie sanft vertreibt ihr Lied die Blässe meiner Wangen,
Und macht mir Wein und Liebe wieder neu!
Kann wohl ein Kranker mehr verlangen,
Den deutsche Barden längst mit ihrer Wasserscheu
Und Mondsucht hypochondrisch sangen?
Doch glaube nicht, daß sie, die mit Anakreon
Verschwistert scheint, drum auch Cytherens Sohn
Den Zoll so leicht, als ich es wünscht, entrichte.
Trotz ihrem lockenden Gesichte,
Wird keiner satt bey ihrem Lohn,
Und Sündern, wie Saint=Preux (ob sie gleich eine Nichte
Des Bischofs ist) versagt selbst ihr Gedichte
Den Trost der Absolution.
* * *
Es war auch noch ein Dichter, und mich wundert,
daß es nur Einer war, in dieser Gesellschaft; ein reicher, stattlicher
Mann, der eine Revolution von Portugal geschrieben hat, ohne eine in der
Dichtkunst zu machen. Er that mir die Ehre, noch ehe wir beyde unsere Namen
wußten, mich mit der dritten Auflage seines Trauerspiels zu beschenken.
Dieß gab mir Anlaß, mich näher nach ihm zu erkundigen,
und man machte mir eine beneidungswürdige Schilderung von seinem glücklichen
Genie. Der Mann thut in allem Wunder was er unternimmt! Sein Vater war
ein gemeiner Krämer, und Er? Er ist Baron und Besitzer einer großen
Domaine, von der er den Namen führt. Er wünschte die reitzendste
Frau im Lande, und erhielt sie; den besten Koch, ein prächtiges
Haus und Freunde die Menge der Himmel gewährte ihm das eine, und
das andere konnte ihm nicht fehlen. Keine Phantasie stößt ihm
auf, er kann sie befriedigen Nur bey guten Versen geht es ihm wie Pharao´s
Zauberern bey den Läusen; er kann sie nicht nachmachen, und muß
sagen: Das ist Gottes Finger." Ich habe sein Werkchen gelesen, das ist
alles was ich für ihn thun kann.
* * *
Den l3ten December.
Es wird wohl nichts für mich übrig
bleiben, als krank zu werden, wenn ich wieder in mein voriges Gleis kommen
will, aus dem mich meine neuen höflichen Bekanntschaften drängen.
Ich kam eben nach Hause von dem schönsten
Morgen erheitert, voller Friede und Freude, und in keiner andern Absicht,
als meinen Hunger geschwind abzuthun, um bald wieder zu der Natur zurück
zu eilen. Da kommt mir Johann mit einer Einladung zum Spiel und Abendessen
und mit einem Befehl der Marquise d'Antremont entgegen, sie auf
der Esplanade aufzusuchen und in das Schauspiel zu begleiten. Man giebt
den honête Criminel, ein Lieblingsstück der hiesigen Einwohner,
weil es über eine wahre einheimische Geschichte gemodelt ist. Sie
will mir vorher noch den braven Mann kennen lernen, der durch seine tugendhafte
Handlung der Held dieses Drama's geworden ist, Fabre' heißt, und
nicht weit von hier sein Handwerk als Strumpfwirker treibt.
Die Tugend hat auch ihre Genies! Vielleicht
hat sie deren mehrere noch als die Wissenschalten Nur bemerkt man sie
seltener, weil es schon nicht mehr Tugend seyn würde, wenn sie, wie
jene vorzüglichen Lieblinge der Musen, nur darauf ausging, Lärm
in der Welt zu machen, um, nach einem gewöhnlichen feinen Mißverstande
einer guten Lehre, ihr Licht leuchten zu lassen vor den Leuten. Das ist
jedoch nicht der Fall des ehrlichen Fabre's Er ist unschuldig an seinem
Rufe. Die prahlende Menschenliebe des Ministers Choiseul entzog ihn der
despotischen Strafe, die er freywillig seinem Vater abgenommen hatte, und
seine Mitbürger, die ziemlich gleichgültig gegen sein Schicksal
waren, ehe noch am Hofe davon gesprochen wurde, brüsten sich jetzt
mit seiner Tugend, als einer Seltenheit ihres Landes seitdem sie Aufsehen
gemacht hat, und auf dem Theater gespielt wird.
* * *
Dachte ich´s doch, daß es so gehen
würde! Ich habe in der Gesellschaft, mit der ich den Abend zubrachte,
den Artigen so gut gemacht, als es mir möglich war: dafür büße
ich jetzt in der Nachtmütze, meinem Sammtrocke gegenüber, nur
desto empfindlicher den Zwang, den ich meiner Natur anthat. Mißmüthig
sitze ich da, und suche die widersprechenden Gefühle zu vereinigen,
mit denen mich die feine Welt entließ. Meine Augen verlangen Schlaf,
und mein wohl genährter Körper verlangt Bewegung Ich habe viele
witzige Sachen gehört, und doch schleicht sich eine häßliche
Migraine um meine Stirne umher, von der ich jeden Augenblick befürchte,
daß sie mich ergreifen wird.
In solchen Umständen finde ich bey meinem
Tagebuche noch die beste Erleichterung. Es ist mir in deiner Entfernung
der trauliche Freund, dem ich mein Herz ausschütte; es zieht meine
Gedanken von den unnützen Nachforschungen ab, die ich außerdem
auf meine schwierige Verdauung heften würde, und läßt den
Schlaf nicht eher zu, als bis sich Seele und Körper die Hand bieten.
Ich habe also dießmal einen Beruf mehr, dir die Vorfälle meines
heutigen Tages zu schildern.
Du kannst nicht denken, liebster Freund, was
für einem albernen Auftritte ich diesen Nachmittag entgegen ging.
Ich fand die Marquise mit dem redlichen Fabre' auf der Esplanade, und
seine Geschichte ward, nach unserer geschwind gemachten Bekanntschaft,
der Hauptinhalt unsers Gesprächs. Er mußte mir erzählen,
wie lange er die Stelle seines Vaters auf den Galeren vertreten hätte.
Er freute sich mit uns, daß seit seiner Befreyung protestantische
Prediger keine Strafe mehr zu befürchten hätten, wenn sie, wie
sein Vater, im Stillen ihre Pflicht thäten, malte mir in natürlichen
Ausdrücken den Zustand seiner Seele, während sein Körper
in Ketten lag, und wie ihn der Gedanke an seinen guten Vater und an seine
Geliebte, die den Werth seiner That erkannte, gestärkt, und wie ihn
das Bewußtseyn, rechtschaffen zu handeln, mitten in seiner Mühseligkeit
überreichlich belohnt hätte, und rührte mich durch seine
ungezwungene Erzählung bis zu Thränen.
Während dieser Unterredung, und da wir
eben eine Seitenallee einschlugen, sahen wir am Ende derselben einen dunkeln
Rock, der sich durch einen blinkenden Stern schon in der Entfernung auszeichnete.
Wir sprachen ungestört fort, ohne auf diesen Stempel des Verdienstes
weiter zu achten, und das war eben mein Unglück.
Die Figur war immer näher gerückt,
und ehe ich ausweichen konnte, fand ich mich schon von den Armen des unerträglichen
Ritters der Annonciade, des Grafen von ** umschlungen. Ich beantwortete
seine Fragen, seine Umarmungen und sein Erstaunen so verlegen, wie zu Berlin,
und stotterte in der Angst den Namen der Marquise, an die er sich nun mit
seiner zwoten Verbeugung wendete. Ich hätte voraus sehen können,
wie geschwind er dieß für eine Aufforderung halten würde,
sich in seiner Stärke zu zeigen Gott weiß, ob er's that! Der
entscheidende Ton, der ihm eigen ist, seine verunglückte Discant-Stimme,
sein musiver Witz, sein Elsterlachen, vertrieben nur zu bald jedes Merkmal
voriger Zufriedenheit aus unsrer aller Gesichtern.
Um seiner los zu werden, verfiel ich auf das
einzige Mittel, das uns bey einem Schwätzer übrig bleibt: ihn
selbst zu verlassen. Ich sah nach meiner Uhr und fragte die Marquise: ob
es nicht Zeit sey in die Komödie zu gehen?
Kaum war diese Frage entwischt, so that er
den Sprung der Ver-wunderung zurück. Bey dem Gotte des guten Geschmacks!"
quäkte er: was wollen Sie in der Komödie machen? Doch" = = =
erholte er sich wieder: meinetwegen sollen Sie Sich nicht abhalten lassen.
Das heutige Stück ist zwar, nach dem Zettel, auf den ich dort an der
Ecke im Vorbeygehen einen Blick warf, in der That keines der ersten. Die
Scenen sind matt, und das ganze Süjet ist unter der tragischen Würde.
Indeß dergleichen Mißgeburten gehören ja zur herrschenden
Mode! Vor vielen Jahren wurde es sogar in der Hauptstadt aufgeführt
Doch das beweis´t freylich nichts für seine Güte!
,,Der Kenner klagt auch dort, die Bühne sey, zum Schimpfe
Des heutigen Geschmacks, bey´m Tode Cäsars leer.
Allein was schadet das? Weint etwa das Parterr
Beym Centfall einer Bauernnymphe
Um einen Tropfen weniger?
Sonst hatten die, die unsre Lymphe
Zu Thränen wandelten, mit Kronen nur Verkehr:
So stolz gewöhnt sind wir, gottlob, nicht mehr,
Denn unser Mode=Held wirkt Strümpfe."
* * *
Das Blut stieg dem ehrlichen Fabre´ in
das Gesicht. Die Marquise erschrak, und ich, der ich mich als die erste
Ursache dieses groben Ausfalls meines witzigen Landsmannes ansah, mir vorwarf,
daß ich unsern ehrlichen Begleiter nicht zur rechten Zeit dem Grafen
vorstellte was ich in diesem Augenblicke empfand, das wirst du dir selbst
sagen. Ein Fehler folgte in dieser unseligen Stunde aus dem andern.
Lieber Graf," sagte ich, um die Sache gut
zu machen, vergeben Sie mir, daß ich Ihnen diesen Herrn noch nicht
bekannt gemacht habe. Es ist eben der rechtschaffene Herr Fabre´,
dessen rührende Geschichte der Inhalt des heutigen Stücks ist.
Ihr Epigramm kann in Absicht der Ausführung dieses Schauspiels sehr
wahr seyn: das wird Sie aber gewiß nicht abhalten, der That selbst,
die zum Grunde liegt, und den Verdiensten dieses edeln Bürgers Ihre
schuldige Achtung zu schenken."
Ich Unbesonnener! Was für ein Gewitter
erregte ich!
Ein edler Bürger! Welch ein Schrecken
Ergriff sein deutsches Ohr bey dieser Dissonanz!
Ihm stieg der Kamm, sein Auge schwamm im Glanz,
Und ausgeschmückt mit Panzer, Helm und Decken,
Trabt´ er einher auf seinem alten Schecken
Gerade los auf Fabre´s Eichenkranz.
Doch ich, dem jetzt der Retter seines Vaters
Und deutsche Ritterschaft gleich nah´ am Herzen lag,
Fand noch, so schwer es war, ein Mittel zum Vertrag:
Den vesten Mann führt´ ich bis an die Thür des Praters
In allem Pomp von einem Ritterschlag,
Und Fabern mit dem Ernst des tragischen Theaters
Der Pforte zu, die nur am letzten Probetag
Die Tugend einzugehn vermag.
So mischt´ ich schlau mit Ernst und Spotte
Die Karten so, daß mein verdecktes Spiel,
Mit zwey Gesichtern, gleich einem Kriegesgotte,
Den Streitenden gleich wohl gefiel,
Und wie Pompilius, ward ich, kraft einer Kunde,
Die mich der Hof, die Welt, die mich mein Herz gelehrt,
Von Freund und Feind mit Einem Munde
Als Kenner des Verdiensts geehrt.
* * *
Da ich es so weit gebracht hatte, bot ich der
Marquise den Arm, und eilte mit ihr aus der Atmosphäre des Schwätzers,
um mir in der Loge den Angstschweiß abzutrocknen, in welchen mich
dieser Auftritt gesetzt hatte. Der gute Fabre' begleitete uns, und ich
hoffe, daß ihn die Empfindungen, die ihm während der Vorstellung
seiner guten That aufsteigen mußten, und der Beyfall, den ihm das
Parterr zuklatschte, mehr als hinlänglich für das Vorhergegangene
entschädigt haben soll. Mir erlaubte mein Verdruß nicht, dem
Stücke die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Ich schämte
mich in die Seele des Grafen, und trug meine Zerstreuung und Laune mit
in die Gesellschaft über, von der zu meinem Vergnügen der ehrliche
Fabre', trotz seiner Zunftmäßigkeit, nicht ausgeschlossen war.
Um den Grafen bekümmerte sich kein Mensch außer mir, dem immer
noch seine Narrheit vorschwebte. Ich war froh, als Schauspiel, Kartenspiel
und Souper überstanden war, und bin jetzt noch froher, daß ich
mich müde geschrieben und nun die nahe Hoffnung habe, meine heutige
Aergerniß zu verschlafen.
* * *
Den 14ten December.
Meine erste Sorge als ich erwachte, war, auf
die Post zu schicken und Erkundigungen einzuziehn, ob der fremde Herr mit
dem Sterne fort sey, und verschloß unterdessen meine Thüre,
bis die Antwort zurück kam, aus Furcht vor seinem Ueberfalle. Kaum
hörte ich, daß er zwar Postpferde, doch erst auf den Nachmittag
bestellt habe, so entschloß ich mich ganz kurz, ließ mir ein
gutes Frühstück geben, that Verzicht auf mein Mittagsmahl, eilte
nach meiner lieben Fontaine, und da ich mich auch da noch nicht für
sicher genug hielt, erstieg ich den hohen Berg, der daran stößt.
Nun erst schöpfte ich Athem, und sah in der stolzen Sicherheit einer
einsamen Gemse auf meinen Verfolger herab, und in kurzem verschwand Dank
sey es der gütigen Natur! jede widrige Empfindung.
Ein unförmliches, uraltes, hohes, zugespitztes
Gewölbe auf der Mitte dieses Gebirges, an welchem die Untersuchungen
des herzhaftesten Antiquars scheitern, dominirt hier, wie eine Bischofsmütze,
über das unter ihm ausgebreitete Land. Das gemeine Volk nennt dieses
sonderbare Gebäude den Leuchtturm," vermuthlich um dem Kinde einen
Namen zu geben, da der Augenschein lehrt, daß ihm dieses Beywort
so wenig zukömmt, als der Magistertitel einer Schildkröte. Die
Römer fanden es schon zu ihrer Zeit in der nehmlichen Gestalt. Mir
scheint es von Dummköpfen für die Ewigkeit gebaut zu seyn, die
hier zum erstenmale ihre Absicht erreichten. Nach der leblosen imposanten
Ruhe, die diesen Thurm umgiebt, würde ich zwar noch lieber glauben,
daß er von Tauben und Stummen dem Gotte des Stillschweigens
zu Ehren errichtet sey, wenn es mir nicht zu wehe thäte, einem solchen
Gotte einen so barbarischen Tempel anzuweisen.
Die Andacht findet indeß überall
das höhere Wesen, von dem sie voll ist, und so ging es auch mir.
Ich fühlte mich gestimmt, dem Gotte, dessen Gegenwart ich ahndete,
auf allen Fall mein Opfer zu bringen. Ernst und schaudernd blickte ich
um mich her; die Knie zitterten mir; gemach sank ich auf ein bemoostes
Felsenstück, aus dessen Ritzen hier und da eine Lotosblume hervor
sproß, legte den Finger auf den Mund, und ein stilles Gebet strömte
in frommen Entzücken aus dem gerühten Herzen:
Du Wesen, das zu mir beredter
Als Phöbus und die Musen spricht,
Sey du, bescheidenster der Götter,
So oft mich deiner Ehre Spötter
Umschnattern, meine Zuversicht!
Steh in den niedrigen Verträgen
Der großen feinen Welt mir bey,
Daß meine Zunge nie verwegen
In dem Geräusch von Gallatägen
Verräther meines Mißmuths sey!
Errette mich, wenn ich der Thoren
Verdecktes Spiel, wenn ich zu nah
Des Midas königliche Ohren,
Wenn ich Nicaisens Kopf beschoren,
Und Meßmern in die Fenster sah!
Verhülle unter einem Kranze
Von Lotus mein empörtes Haar,
Wenn mich aus ihrem Mittagsglanze
Die Göttin schrecket, die im Tanze
Des Abends meine Phryne war!
Beschütze mich vor Fürstenrache,
Den Marten eines Struensee,
Wenn ich nach mancher Ehrenwache
In meines Sohnes Vorgemache
Unkenntlich wie Ulysses steh´!
Und führe mich, den Mund verschlossen,
Durch Autor= und Sophistenschlamm;
Versüße meinen Zeitgenossen
Die Bitterkeit von meinen Glossen,
Und werde Du mein Epigramm!"
* * *
Hoch pochte mir das Herz während dieser
feyerlichen Mette. Ich blickte wild in die Ferne, und stieg vom Rande des
blauen Horizont´s mit einem forschenden Blicke in die Zukunft, hörte
den Strom der Zeit rauschen, sah mich von seinen brausenden Wellen ergriffen,
und als ein verwelktes Blatt fortschwemmen. Ich erschrak, sprang mit
sträubendem Haare von meinem harten Sitze auf, und verließ mit
eilenden Füßen diesen Felsen des Harpokrat. Unachtsam auf den
Weg, den ich nahm, kletterte ich von einer Steinstufe zur anderen herab,
und befand mich, ehe ich daran dachte, auf einer Wiese, die der Natur noch
nicht abgewonnen, und der Grund eines Kessels von Bergen war.
Wie ich mich der Erde näher fühlte,
verschwand meine Schwärmerey, aber mein Bewußtseyn kehrte desto
schreckender zurück. Unwillkürlich hatte ich mich in dem Kreise
des Gebirges gedreht, das mich umschloß, und die Spur verloren, die
mich hierher führte. In der Höhe, wohin mein starres Auge blickte,
umzog mich nur das wolkenlose Gewand des Himmels, und keck grünendes
Moos polsterte den Zirkel, in den sich vielleicht seit seiner Erschaffung
kein menschlicher Fuß verirrt hatte, und in welchem ich jetzt, wie
die Bildsäule des Erstaunens, ohne Bewegung stand. Die Sonne und alle
himmlischen Zeichen waren für mich verloschen Umsonst spannte ich
mein Ohn nach einem Laute nur nach einem einzigen Laute der Schöpfung
und hörte nichts als das Picken meiner Uhr.
Unnennbare Angst, die mich nun ergriff, stärckte
endlich meine wankenden Füße zu dem Entschlusse, auf gut Glück
den ersten besten Radium dieses Gebirges zu erklimmen. Mühselig
war mein Weg; oft glaubte ich für die Erschlaffung wieder zurück
zu stürzen: aber wie belohnend war auch endlich der Blick, den
ich nun an dem errungenen Ziele in den Abgrund that! An seinem Rande erholte
ich mich wieder von meiner Müdigkeit und Angst, und bald zeigte mir
menschliches Gefühl wiederkommender Eitelkeit, daß ich gerettet
sey. Ich versuchte zuerst meine erneuerten Kräfte an einem ungeheuern
Sandsteine, den ich kaum mit der größten Anstrengung die wenigen
Zolle fortbewegen kontne, die er vom Abhange des Felsen entfernt lag. Du
sollst," sagte ich, das Monument meines Hierseyns werden." Und nach der
Arbeit einer Stunde hatte ich das Vergnügen, ihn rollen, in seinem
Falle die Felsenspitzen abschlagen, und das tiefe Moos, in das er sich
einsenkte, um ihn herum auffahren zu sehen. Hier wirst du vielleicht
noch liegen, dachte mein Stolz, wenn die folgenden Jahrtausende alle deine
gleichzeitigen Monumente größerer Thaten und Verirrungen von
der Oberfläche der Erde weggespült haben! und mit gutmüthigem
Lächern verließ ich diesen merkwürdigen Ort.
* * *
Da ich in einer mäßigen Entfernung
auf dem Rücken des Gebirges ein großes Gebäude erblickte,
war ich außer Sorgen. Dort werden vernünftige Geschöpfe
wohnen, dachte ich, und ward meinen kleinen Irrthum nicht eher, als nach
einer guten halben Stunde gewahr. Du kannst denken, ob ich jetzt genau
auf meinen Berg Achtung gab. Behutsam stahl ich mich auf die Seite, jeden
Abhang vorbey, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, mir noch ein Monument
zu setzen, und so kam ich glücklich bis an die Mauern eines Klosters,
eben in dem glücklichen Augenblicke, da die Gesellschaft aufbrach,
um in die Abendmette zu gehen.
Ich hielt mich in gehöriger Entfernung
von ihrem Zuge, der abwärts ging, trat, wie er fortrückte, immer
weiter vor, sah mein liebes Nimes unter mir liegen, und die weiß
gekleideten Mönche mit gesenkten Häuptern in einen, wo nicht
der prächtigsten, doch geschmackvollsten Tempel treten, der, wie an
den Fuß des Berges gelehnt, mir in das Gesicht fiel.
So lehnte sich in königlicher Größe,
Als Hirte noch, auf seinen Stab
Ismai Sohn im blökenden Getöse
Der Herde Vieh´s, die ihn umgab.
Kein Pilger geht vorbey ihn rühret
Der Weisheit Ernst, dies sprechende Gesicht;
Nur seine Herde, die er führet,
Blökt um ihn her, und kennt ihn nicht.
* * *
Wie ein Wollust athmender Liebhaber aus fein
berechneter Sinnlichkeit verweilt, um jeden einzelnen Reiz seiner Geliebten,
den eine andere Stellung, eine andere Seite ein anderes Licht ihm gewähren
kann, noch aufzufangen; wie er seinen Heißhunger bis zum Ungestüm
wachsen läßt, ehe er sich erlaubt, den letzten Schleyer zu heben
so verzögerte auch ich manche Minuten auf dem Schlangenwege, der
zu diesem Tempel führt, fing die Strahlen seines Glanzes in jeder
Wendung auf, und genoß erst jede nach und nach hervortretende Schönheit
meines Gemäldes, ehe ich mich dem Eindrucke des Ganzen Preis gab.
Meine Augen verirrten sich jetzt bald in dem spielenden Laubwerke, das
die Corniche füllte, die, wie eine königliche Binde, den Dom
dieses Tempel umwand; bald weidete ich sie an der erhabenen Stellung und
den herrlichen Verhältnissen seiner canelirten Säulen; und die
Mannigfaltigkeit der Anmuth dieses unversehrten Denkmals römischer
Größe, würde mich vielleicht noch Stunden hindurch beschäftigt
haben, wenn nicht der hastige Durchbruch der Mönche meine weit schweifende
Einbildungskraft geschwind wieder in die jetzigen Zeiten versetzt hätte.
Als ihr Haufe beysammen und auf seinem Fortzuge
begriffen war, und nun auch der letzte Geweihte heraus trat, der dieses
Heiligthum verschließen mußte, wagte ich es, mich ihm in demüthiger
Stellung zu nähern, und um die Erlaubniß zu bitten, auch das
Innere dieses trefflichen Alterthums zu bewundern.
Sehr gern," antwortete der dicke kurz athmende
Mönch. Ich will Ihnen alles zeigen alles erklären."
Wir traten ein. Ein Blick schon überzeugte
mich, daß hier für meine Art Schwärmerey nichts weiter
zu thun sey, und die Erzählung, mit der mich mein Begleiter, während
daß wir zum Hochaltare hin, und zur Halle zurück kamen, beschenkte,
ließ mich ohnehin auf nichts anderes achten.
Welch ein Ideal!" fing ich an das einzige
Wort das er mir erlaubte: denn sogleich legte sich seine asthmatische Stimme
darein, die unter ihrer Last von abgebrochenen Sätzen und zerquetschten
Sylben, immer auszubleiben drohte, und ich kenne keine Muse so grotesk=komisch,
deren Beyhülfe mir die Nachäffung dieses Vorbildes erleichtern
könnte. Hier hast du indeß, mein nachsichtsvoller Freund, einen
gewagten Versuch. Hilf deiner Einbildungskraft damit, so gut du kannst!
Lies ihn aber, wenn du nicht alle Schatten der Wahrheit davon verlieren
willst, nicht eher als nach einer guten Mahlzeit, und in einer Weste, die
dir zu eng ist So möchte es noch am ersten gehen!
Traulich verschlang der Mönch meine dürre
Hand mit seiner fleischigen Tatze, und fiel mir, wie folget, in die Rede:
Das Ideal
Zu dem Gebäude
Erfand einmal
Ein blinder Heide:
Ein Mönch vor Zeit
Hat es erhandelt,
Und Dunkelheit
In Licht verwandelt.
Doch lange stritt,
Sich hier zu setzen,
Maria mit
Der Heiden Götzen.
Der Gott des Weins
Saß viele Jahre
Vor Anno Eins
Am Hochaltare.
Ihm war das Glas
Und seine Venus
Sein Gratias
Und sein Oremus;
Der Göttin nur
Aux belles fesses
Las Epikur
Zuweilen Messe.
Auch sang zur Ehr´
Dem stolzen Kaiser
Sich Flaccus mehr
Als einmal heiser.
Doch einst verhob
Ein schneller Husten
Sein Morgen=Lob=
Lied auf Augusten,
Und aus dem Hals
Fuhr dem Cantori
Kein Wörtchen als
Memento mori.
Mein Kammerad,
Auf alle Fälle
Gefaßt, vertrat
Sogleich die Stelle,
Ging hin verband
Sich mit Marien,
Das Meßgewand
Ihm auszuziehen.
Er that´s; da fiel
Todt auf den Boden
Der große Spiel=
Mann süßer Oden.
Der Tempel roch
Nach Pech und Schwefel,
Und zeigte noch
Von seinem Frevel;
Und plötzlich sah
Man Gottes Schaaren
In Gloria
Vom Himmel fahren:
Ja, Freund, ein Schwarm
Schneeweißer Engel,
In jedem Arm
Ein Lilienstängel,
Umzog erstieg
Der Götter Felsen.
Sieg! schrien wir, Sieg!
Aus vollen Hälsen,
Und steckten bald
Die Siegesfahne
Der Mönchsgewalt
Zum Wetterhahne
Seitdem verziehn
Hier funfzig brave
Sanct Augustin
Geweihte Schafe,
Geweihet, zu
Mariens Füßen
Des Lebens Ruh
Ganz zu genießen.
Sie schenkt uns Most
Aus fremden Kellern,
Und Layen=Kost
Auf Kloster=Tellern.
Drum bleibt der Zweck
Von unsrer Lehre
Der unbefleck=
ten Jungfrau Ehre.
Nun, Femdling, geh
Und sag´ es weiter
Gott aus der Höh´
Sey dein Begleiter!"
* * *
Mit diesen Worten drehte er seinen schweren
Schlüssel herum, nahm sein Käppchen ab, watschelte nun ruhig
seinen Mitgehülfen an dem Dienste der Maria nach, und ließ mich
in Erstaunen und in der wohlthätigsten Erschütterung meines Zwergfells
stehen, die so lange anhielt, bis ich den Berg völlig von ihm erstiegen,
und ihn seinem Kloster sicher wieder überliefert sah.
Gehab dich wohl, fromme gutmüthige Einfalt!
wünschte ich ihm hinterher. Dein Futter schmecke dir (ich habe nichts
darwider) so lange wohl, als es Gott will! Und da du einmal so weit bist,
so müsse dich nie Zweifel, Wissenschaft und Aufklärung um die
beruhigende Finsterniß deiner frommen Maulwurfsseele bringen! Der
Weg, den du bis nach Sabinium zurück gehen müßtest, würde
für dich zu ermüdend seyn. Was kannst du dafür, daß
deine Begriffe nicht in dem Ideenhandel eines Diderot, Büffon und
d´Alembert gewonnen sind? Und was kannst du endlich dafür, daß
du nicht so mager bist als ich?
Spät und erschöpft kam ich in meine
Wohnung; ich zeichnete nur noch die Bilder meines heutigen Tages in mein
Buch, ohne die Einladungszettel, die auf meinem Tische liegen, eines Blickes
zu würdigen, trinke noch an einem erfrischenden Glase Wassers aus
meinem benachbarten römischen Quell, und sehe dem stärkenden
Schlafe mit jenem frohen Lächeln entgegen, wozu eine gute gesunde
Seele sich bey menschlichen Thorheiten immer geneigter fühlt als zu
Thränen.
* * *
Den l9ten December.
Zwischen meinem letzten großen Spaziergange
und heute liegen vier traurig verlebte Tage, die unmittelbar hinter jenem
her folgten, in der Mitte. Ein böser Wind, den man la
Bise nennt, durchschneidender und gefährlicher, als
keiner auf unserm Riesengebirge, hat diese Lücke meines Tagebuchs
verursacht, und mich zu einem Stillstande in der Laufbahn meines Vergnügens,
und zu mancher harten Buße für das kaum genossene verdammt.
Ich bin wieder von Aerzten besucht und mit Arzeneyen genährt worden
habe die dürren Reiser eines ganzen Weinbergs verbrannt, und mich
doch nur mit Mühe von der Menschendruse heilen können, die mich
unter dem Namen la Grippe
überraschte, und von Haus zu Hause ging. Wie hätte ich diesem
freundlichen Lande so eine Hinterlist zutrauen können? Aber die
Sonne scheint wieder, und jeder Strahl von ihr bringt neues Leben, Freude
und Gesundheit zurück.
Es ist wohl Schade um die acht ungenießbaren
Tage, die ich verhustet habe, und die ich leicht besser hätte benutzen
können. Das übelste dabey ist, daß mir keine Zeit übrig
bleibt, meinen Verlust einzubringen; denn, da ich gern auch die übrigen
Theile von Languedoc und die benachbarte nicht minder schöne Provence
durchstreifen, und in Bourdeau einen Vorsprung vor der heißen Witterung
gewinnen will, die dort mit Anfange des Märzes schon drückend
wird, so bleibt mir für Nimes nicht viel mehr als eine Woche
übrig, und auch diese ist mir außer dieser guten Stadt angewiesen.
Mein kluger Arzt hat mir gerathen, sie auf dem Lande zuzubringen, um meine
Erholung durch jene einfache Lebensart das Einzige, was in Städten
nicht zu erkaufen ist, desto sicherer zu befördern.
Diese Cur geht mir lange nicht so bitter ein,
als sich der gute Mann wohl vorstellen mochte. Ich habe ohne Schwierigkeiten
Anstalten zu meinem Abzuge gemacht, und meinen Johann schon heute auf die
umliegenden Dörfer geschickt, mir eine Wohnung auszusuchen. Er weiß
sehr gut, was mir behagt. Morgen will ich Abschied von der Stadt nehmen;
bey dem Eveque und seiner Nichte persönlich; bey meinen übrigen
im Flug gemachten Bekanntschaften durch Karten, wodurch die meisten erst,
ehe sie das Blatt in den Camin werfen, erfahren werden, wie ich heiße.
* * *
Johann ist zurück, doch bin ich mit seinen
Verrichtungen nur halb zufrieden. Er hat mir, glaube ich, das unbequemste
Quartier gemiethet, das in der Gegend zu finden war. Freylich hat es nach
seiner Versicherung so vieles andere Gute, daß ich, um billig zu
seyn, die Eingeschränktheit nicht achten darf, in der ich hausen soll.
Sie müssen," sagte er so trocken, als ob es Verordnung des Arztes
wäre, mit Wirth und Wirthin in Einem Stübchen wohnen, das nicht
allzu groß ist, müssen, an Einem Tische mit ihnen, vorlieb mit
der Kost nehmen, die die Küche eines Bauern vermag, und müssen
dem Ehebette gegen über schlafen."
Kerl," fuhr ich auf, glaubst du daß
ich ein Dragoner bin?"
Aber Johann ließ sich nicht stören
Mit solchen Menschen," fuhr er fort, als diese sind, ich weiß
es im voraus, treten Sie gern in alle Verbindungen, wie sie möglich
seyn wollen. Reine, unverdorbene Natur, die glückseligste Häuslichkeit,
und ein = = ="
Laß es damit gut seyn," fiel ich ihm
in's Wort, und schüttelte den Kopf: Erzähle nur ganz einfältig
und gerade, warum es eben ein so enges Stübchen seyn mußte?"
Ich hätte Ihnen zwar eben so leicht,"
antwortete Johann, ein großes, prächtiges, leer stehendes Haus,
das dem Herrn des Dorfes gehört, miethen können, und es steht
Ihnen immer noch frey' es zu thun Doch es wird keine Noth haben Ich
kenne Ihre Bedürfnisse, und mehr Fröhlichkeit, Reinlichkeit und
Dienstfertigkeit, als Sie in dieser Hütte antreffen, würden Sie
sogar in den schönsten Palästen Berlins vergebens suchen. Ich
habe in einigen davon gedient, ehe ich zu Ihnen kam: aber aber = = ="
Gut, mein lieber Johann," sagte ich etwas
beruhigter: Morgen mit dem frühesten trage meinen Namen in der Stadt
herum, und übermorgen mit Tages=Anbruche wollen wir uns auf den Weg
machen.["]
* * *
Den 20sten December.
Von dem heutigen Tage nichts, was sich der
Mühe verlohnt! Es ist alles abgethan, was die leidige Höflichkeit
verlangt, und sogar von meiner poetischen Freundin ist mir der Abschied
nicht schwer geworden. Meine Koffer habe ich meiner Hauswirthin, bis zu
meiner völligen Abreise aus dieser Provinz, übergeben, und bezahle
ihr das Quartier auf den ganzen Monat. Sie wimmert, daß ich ihren
Pavillon so bald verlasse, und schimpft auf die häßliche Grippe,
die ihr schon manchen guten Fremden verjagt hätte.
Wirklich kann auch dem gesellschaftlichen Leben
nichts nachtheiliger seyn, als der verwünschte Wind, der oft unversehens
die schönsten Spiel= und Lustpartien aus einander stäupert, und
der Schnupfen, den er mitbringt. Er erschlafft alle Sehnen und erkältet
das Herz. Befällt er nun vollends Menschen von meiner Zusammensetzung,
so ist der dünne Faden, den er zerreißt, nicht so geschwind
wieder an seine Enden zusammen geknüpft.
Da die Winde hier einmal wie das andere ihren
Strich halten, und nicht wie Salomons Winde blasen, wohin sie wollen, so
hat man eine bequeme Karte, auf der man leicht übersehen kann, welche
Oerter ihrem Durchzuge unterworfen sind. Wäre Nimes eine Meile seit´wärts
auf der Stelle des Dörfchens gebaut, das ich morgen beziehe, so würden
die Aerzte wenig hier zu thun finden, und ich hätte meinen Pavillon
schwerlich so bald verlassen. Was würde aus Nimes geworden seyn, wären
die Römer so empfindlich gegen den Schnupfen gewesen als ich!
* * *
Den 2lsten December.
Heute in der Wärme eines Frühlingsmorgen
bezog ich mein Dörfchen, das den Namen Caverac führt,
und nur anderthalb Stunden von der Stadt entfernt ist. Es ist einem Baron
zuständig, der um seinen König herum kriecht, und sein Schloß
unbesucht läßt, das ohne Hülfe unter seiner eigenen Pracht
und Größe erliegt. Die kleinen Bauerhütten, die es umzingeln,
sehen wie Brocken aus, die Wind und Wetter von seiner Felsenwand abgespült
haben: aber sie liegen sicher und ruhig, indeß die zerstörende
Zeit unermüdet an dem Einsturze des nachbarlichen Colosses arbeitet.
Ich nahm ohne Umstände Besitz von dem Kästchen, das Johann, mit
einem Gefühl, das seinem Herzen Ehre macht, für mich ausgesucht
hatte, und möchte es, so hölzern es ist, für keinen Preis
gegen den traurigen Aufenthalt in jener Steinmasse vertauschen, die ihm
zur belehrenden Aussicht gegen über liegt. Und die Bewohner dieser
Hütte wer wollte nicht mit ihnen zufrieden seyn?
Des Herz war wohl seit dem Ergusse
Des ersten Tropfen Blut's vergällt,
Der sich zu gut zum Mitgenusse
Der Freuden dieser Menschen hält;
An ihrer Patriarchen=Sitte
Der Städte Politur vermißt,
Nicht unter'm Strohdach ihrer Hütte
Gern seine Gobelins vergißt;
Dem fette Milch aus irdner Schüssel
Nun keine Fürstenkost mehr däucht,
Weil sie kein Herr vom goldnen Schlüssel
Mit ernstem Amtsgesicht ihm reicht;
Der nie den ungesuchten Scherzen,
Des Landmanns Tischgesprächen horcht,
Weil er sie nur dem frohsten Herzen,
Nicht Fontenellen abgeborgt.
* * *
Reine, unverdorbene Natur! Warum verwies ich
meinem Johann diesen Ausdruck, der, sooft er auch gemißbraucht wird,
doch auf diesen gesunden, thätigen, fröhlichen Mann und auf sein
junges, reitzendes, liebevolles Weib so passend ist, daß ich für
diese glücklich zusammen Gepaarten keinen schicklichern ausfündig
zu machen wüßte.
Ein Morgen Land, der an ihre Hütte anstößt,
mit Oliven, Feigen und Maulbeerbäumen besetzt; eine Oelpresse und
ein Behälter im Vorhause für ihre Seidenwürmer: das sind
die einfachen Mittel ihres Unterhalts, und nie, sagen sie, habe sich noch
Mangel und Schwermuth ihrer Schwelle genähert. Sie treiben ihre Handarbeit
wie ein Spiel, durch das sie Hunger, Schlaf und Stärke der Liebe gewinnen.
An die Seele denken sie nicht: diese ist bey ihnen ein Acker, der von selbst
nur reine und gesunde Frucht tragen kann, und keiner mühsamen Bearbeitung
bedarf. Die Kunst, zufrieden zu seyn, liegt ihnen in dem Herzen, wie die
Kunst zu sehen in den Augen. Sie nützen diese natürlichen Eigenschaften,
ohne einen Augenblick über die Mechanik derselben nachzudenken.
Da es für heute zu spät war, einen
neuen Küchenzettel zu entwerfen, so mußte ich mich diesen Mittag
mit ihrer gewöhnlichen Kost begnügen, und darzu gehörte
fürwahr keine große Verläugnung. Kräftiger, behaupte
ich, kann man nicht kochen, und freundlicher kann man nicht vorlegen, als
dieses Weib. Wer hat sie," sagte ich zu mir selbst, wenn sie durch Wahrheit
und Einfalt ihrer Rede mein Herz an sich zog, wer hat sie ohne Kenntniß',
ohne Bücher, ohne Welt gelehrt, so bemächtigend zu werden? Oder
ist eben dieser Abgang Ursache, daß sie es in diesem Grade ist?"
Mein Bette, mein hölzerner Stuhl und ein
Tisch für meine Schreiberey und kleine Geräthschaften stehen
hinter einem Verschlage, der beynahe das Viertel von der Stube einnimmt
und damit sind hinlänglich die Gränzen des Eigenthums und der
erkünstelten Schamhaftigkeit gewahret. Alles lehrt mich hier, unter
welchem geringen Aufwande menschliche Zufriedenheit bestehen kann.
Ich bot meiner Wirthin einen Vorschuß
von zwölf Laubthalern an, um die Kosten der vergrößerten
Wirthschaft zu bestreiten, da sie ja wohl auch, so lange ich bey ihnen
bin, meine Gäste seyn müssen. Könnte ich mich nur immer
so auslachen sehen!
Wollen Sie ein Jahr bey uns bleiben, mein
Herr?" sagte sie: Was soll ich um des Himmels willen mit so vielem Gelde
anfangen? Spärlich und nährlich! mehr kann mein kleiner Herd
und meine Kochkunst nicht bestreiten. Sie müssen, mein Herr, ich
kann Ihnen nicht helfen, mit zwey Gerichten zufrieden seyn. Ihre Gesundheit
und Ihre Börse werden dabey gewinnen, und doch sollen Sie mit röthern
Backen von uns gehen, als Sie mitgebracht haben. Geben Sie mir drey Stücke
von Ihrer Münze; ich will zusehen, wie weit ich damit komme, und übrigens
thun Sie nur, als wenn Sie zu uns gehörten. In zweyen Tagen, wette
ich, schicken Sie Ihre Arzeneyen in´s Spital; denn in unserm Dorfe
kann sie kein Mensch brauchen." Und so flog sie, die sechzehnjährige
Hausmutter, zu ihrer ungekünstelten Wirthschaft.
Der Mann übernahm, mich in Bewegung zu
setzen. Er führte mich erst um das Schloß seines Lehnsherrn
herum. Wenn Sie," sagte er, die großen Säle sehen könnten,
die hier übereinander gewölbt sind, so würden Sie denken,
der Mann habe zum Riesengeschlechte gehört, der sie gebaut hat; und
doch soll er nicht mehr Mensch gewesen seyn, als sein Enkel, der ein so
zierliches Männchen ist, daß er in einem Vogelbauer Raum hätte.
Es hängt mancher Schweißtropfen meines armen Aeltervaters an
diesen Steinen, der noch mit zu den dicken Mauern gefrohnt hat, die jetzt
wieder einstürzen. Seit fünfzig Jahren ist kein Rauch aus diesen
verzierten Schorsteinen gestiegen. Die Besitzer dieses unnützen Gebäudes
fliehen es wie einen Abgrund, der ihr Erbtheil verschlungen hat, und mir
und andern stiehlt es die schöne Aussicht auf des freye Feld, das
darhinter liegt. Da lobe ich mir doch die kleinen Häuser von Klebwerk,
wie das meine, die man ohne Kosten selbst flickt, wenn sie wandelbar werden
um ein geringes wieder aufbaut, wenn sie zusammenfallen, und in denen
starke muthige Menschen wohnen, die darinnen grau werden."
Alles Verödete, liebster Eduard, läßt
auch das Herz leer. Wir wurden erst froh, als wir das gesellige Dorf durchwandelten.
Was für ein ganz anderes Gemälde für den Geist gegen jene
Einöde des kummervollen Stolzes! Hier war alles lebendig. Bald fuhr
der Amorskopf eines rothwangigen Jungens zu seinem kleinen Fenster heraus;
bald begleiteten uns die Rabenaugen eines blühenden Mädchens
über die Gasse. Hier kam uns der Reif entgegen gerollt, hinter dem
ein Dutzend spielende Kinder hersprangen. Dort entblößte ein
freundlicher Alter sein graues Haupt, um uns seinen patriarchalischen Segen
zu geben. Aus allen Ecken, unter allen Strohdächern hervor, blickte
Friede und Freude, Thätigkeit oder Ruhe nach vollbrachter Arbeit.
Welches Auge könnte so verwöhnt seyn,
an diesen bevölkerten Hütten die Verhältnisse eines Palladio,
und in dieser Männer Leben und den Spielen ihrer Kinder den Maschinengang
der großen Welt zu vermissen?
Das Dorf ist reinlich, und seine Lage höchst
angenehm. Ich machte auf unserm Rückwege noch eine Entdeckung, die
mir viel werth ist. Sein kleines Gebiet schließt einen Berg ein,
dessen mit Fichten, Mandelbäumen und Geniste bunt unter einander bewachsenen
Gipfel ich mir zum Ziel meiner Morgengänge ausersehen habe.
So fehlt mir hier nichts, was meine einfache
Diät bedarf. Johann thut sich nicht wenig zu gute auf die Zufriedenheit,
die er an mir wahrnimmt, und brüstet sich manchmal wie ein Magister,
der sich seit kurzem zum Wegweiser der wahren Glückseligkeit, wie
man sagt, habilitirt hat.
** *
Den 22sten December.
Ich trennte mich gestern von dir und meinem
Tagebuch eher, als ich gewohnt bin. Das glückliche Paar meiner Hausleute
eilte, nach hergebrachter Dorfsitte, mit heran nahender Dunkelheit seinem
Bette zu, und ich gutmüthig, sie durch das Licht, das meine Schreiberey
erleuchtete, in ihrer verdienten Ruhe zu stören, ahmte ihnen nach,
ohne schläfrig zu seyn, und bin herrlich für meine Verläugnung
der großen Welt belohnt worden.
Der zeitige Schlaf vor Mitternacht, in der
mir ungewöhnlichen Stille, die mich bald einwiegte, brachte mir heute
einen eben so ungewöhnlichen zeitigen Morgen ein. Ich strebte schon
dem Fichtenberge zu, da noch die Flur in graulichem Nebel lag, sah den
Vorhang sich heben, und gewann dadurch den überraschenden Anblick
des immer glänzender hervor tretenden Schauspiels. So sehr es mein
Herz entzückte, so neu war es ihm auch neuer, als ich gegen die
Natur verantworten konnte. Ich that ihr meine öffentliche Abbitte
des verwegenen Gedankens halber, den ich mir so oft erlaubte: als habe
sie mir nichts mehr vorzusetzen, als den Gaum eines so übersatten
Menschen als mich, noch reitzen könne.
Was für eine Allgewalt hat nicht die Bergluft
über die bessern Empfindungen der Seele! Weißt du es noch nicht
aus eigener Erfahrung, so eile, Freund, sie zu gewinnen, so bald es nur
euer eiserner Himmel erlaubt.
Wer, in dem Bruderarm gesunden Schlafs erquicket,
Sein Lager im Gefühl der Auferstehung flieht,
Vom ersten Sonnenstrahl, der durch den Nebel zücket,
Sein Morgenopfer brennen sieht,
Dem lohnt Begeisterung. Sein frommes Auge strebet
Dem Unsichtbaren nach. Sein weis´res Herz versteht
Die edle Bangigkeit, die seinen Busen hebet,
Und jeder Blick wird ein Gebet.
Entschluß gerecht zu seyn, Muth zu der Freundschaft Thaten,
Veredeltes Gefühl der Lieb´ entsteigen nur
Der Dunkelheit des Walds, dem Wellenschlag der Saaten,
Und deinem Säuseln, o Natur!
* * *
Nach dem köstlichen ländlichen Mahl,
das mich an der Seite zweyer guter Menschen erwartete, als ich hungrig
zurück kam, führte mich mein Wirth auf den allgemeinen Kegelplatz
des Dorfs, um mich mit einem Blicke die ganze Gemeinde kennen zu lehren.
Der Nachmittag ist in diesem Lande nur dem Vergnügen und keinem
mehr gewidmet, als dem Kegelspiele; und nichts kann wohl deutlicher von
dem leichten Nahrungserwerb seiner Bewohner zeugen, als dieser Hang. Der
Seidenwurm erfordert nur sechs Wochen Aufsicht und Wartung, wie unsere
Kindbetterinnen, und belohnt dennoch dem Landmann weit reichlicher seine
kleine Mühe, als der fruchtbarste Getreidebau und die fruchtbarste
Frau bey uns. Die Olivenernte schlägt selten fehl, und der äußerst
wohlfeile Preis des trefflichsten Weines zeugt von seinem Ueberflusse.
Was für Forderungen können also diesen guten Leuten noch zu befriedigen
übrig bleiben, als die Forderungen des Vergnügens.
Mein Begleiter war allen willkommen und ich
mit ihm. Ich nahm indeß nur einen mäßigen Antheil an ihrem
Zeitvertreibe, da ich nicht weit davon die jüngere Classe des Dorfs
nach dem Takte einer Leyer ihren Muth auswalzen sah. Ich stahl mich unvermerkt
von der Seite meines Führers hinweg, und labte mein Auge an dem Ausdrucke
der Freude an feurigen Blicken der Jünglinge und dem pochenden Herzen
ihrer Geliebten. Blaise, mein Freund immer erlaube mir, auch ihm diesen
Namen zu geben überraschte mich, da eben meine Augen auf dem liebevollen
Gesichte eines Mädchens ruhten, das der Huldigung eines Sultans würdig
gewesen wäre. Er sah es, und fand ganz natürlich, daß mir
dieses Gesicht nicht gleichgültig sey.
Wenn Sie morgen," redete er mich auf meine
Miene an, mit meiner Frau allein essen wollen, so will ich Ihnen zwey
Stunden von hier eine gewisse Margot holen, die alle Schönheiten unsers
Dorfs weit übertrifft; ein glückliches munteres Geschöpf,
die Tochter meiner Schwester und unser aller Liebling. Sie soll, wenn Sie
es gut finden, so lange bey uns bleiben, als Sie bleiben werden: ich
weiß, Sie werden mir es danken."
Nun erschrak ich zwar nicht wenig über
den Zuwachs unserer Gesellschaft, da mir der Gelaß des Hauses nur
zu bekannt geworden war; doch hielt ich es weiter nicht für nöthig,
ihm meine Bedenken mitzutheilen: noch weniger getraute ich mir, ihm die
Gefahr merken zu lassen, die für mich aus der nahen Nachbarschaft
eines Geschöpfes entstehen könnte, das seiner Beschreibung glich;
denn dafür hatte der gute Mann keinen Sinn. Es bleibt mit sonach
nichts übrig, als in Geduld zu erwarten, was sein Versprechen leisten
wird.
* * *
Den 23sten December.
Spotte, wie du willst, guter Freund! Ich gefalle
mir immer mehr in meiner einförmigen Lebensart, die eben so viel Mannigfaltigkeit
hat, als sie mir neu ist. Da ist mir der heutige Vormittag wieder so angenehm
auf der hiesigen Post verstrichen, daß ich die volkreichste Stadt
auffordern kann, mir einen bessern Morgen zu schaffen. Es ist freilich
nur eine poste aux ânnes
aber was thut das? Ich habe keinen so überfeinen Geschmack, als
Ludwig der Große, und kann zu Zeiten einen Bauerntanz von Teniers
mit mehr Theilnehmung betrachten, als eine Menschenschlacht von le Brün.
Das Leben und Weben der Ankommenden und Abgehenden;
das Satteln und Absatteln; die Anforderungen und Abrechnungen; die Ordnung
und Unordnung; kurz das ganze groteske Gemälde, das sich jeden Augenblick
erneuerte, verfehlte nicht, auf mein der Freude geöffnetes Herz seinen
Eindruck zu machen. Doch gab ich nicht bloß einen müßigen
Zuschauer ab. Warum hätte ich nicht dann und wann ein artiges Kind,
das schalkhaft unter seinem Sonnenhütchen hervor blickte, aus dem
Sattel oder in den Sattel heben, ihren freundlichen Dank oder sonst eine
kleine Belohnung, die sie mir vergönnte, mitnehmen sollen?
Man kann kein fröhlicher Bild sehen, als
so ein Landmädchen, wenn es, zwey Körbchen an der Seite mit Bedürfnissen,
die es aus der Stadt geholt hat oder nach der Stadt bringen will, lustig
einher oder davon trabt, dem flinken Burschen, der ihrer wartet, das Band
reicht, das sie ihm mitbrachte, oder sich einen Kuß von ihm auf den
Weg geben läßt. In unserm traurigen Lande, lieber Eduard, wird
man sich selten den Zeitvertreib verschaffen können, auf einem so
kleinen Umkreise so viel fröhliche Gesichter beysammen zu sehen.
In dieser Rücksicht halte ich die poste
aux ânnes für eine der wichtigsten Entdeckungen,
die ich je gemacht habe.
Mein Wirth, den ich dahin begleitete, ging
von hier aus mit einem Courieresel ab, und wird auf dieselbige Art diesen
Nachmittag mit der schönen Gesellschafterin zurück kommen, die
er mir gestern versprach.
Stelle dir übrigens nur nicht unter den
hiesigen Eseln so langsame unbehülfliche Thiere vor, als sie bey uns
sind. Hier ist nichts träge und langsam, und die verächtlichste
Creatur, wie die geschätzteste, empfindet hier den wohlthätigen
Einfluß dieses so milden Himmelstrichs.
Des Himmels Segen deckt dieß Treiben der Natur:
Durch rein gefärbtes Licht erhoben,
Glänzt es dem Sohn des Epikur,
Wie ein Brillant auf unserm Globen.
Der Forscher sieht erstaunt, wie lebhaft, wie geschwind
Hier alle Räder gehen, der Weitzen seine Körner,
Der jüngste Most die Stärke des Falerner,
Contur und Gederkraft die jüngste Brust gewinnt.
Schnell läuft der Esel hier, das Füllen wieh´rt,
das Rind,
Der Bock, der Hirsch, und was etwan noch ferner
Darzu geboren ist, trägt dreymal größ´re Hörner,
Als sie bey uns gewöhnlich sind.
* * *
War ich diesen Morgen zufrieden, so habe ich
nicht weniger Ursache, es auch den Nachmittag zu seyn. Ich habe, einem
Engel von Weibe gegen über, meinen Hunger an dem schmackhaftsten Braten
gestillt, wie ihn der König nicht essen kann, wenn er seine Schöpfe
nicht auch mit Rosmarin füttern läßt, der den hiesigen
die gewöhnlichste Weide ist habe eine Flasche Landwein getrunken,
den man den Kennern in Berlin mit aller Ehre für Burgunder vorsetzen
könnte, und kaum stand ich mit glühenden Wangen von meinem Schmause
auf, so trat mein Wirth mit seiner Nichte an der Hand herein, und brachte
mehr Leben mit, als ich brauche.
Ich will es dir nicht zu Leide thun, die kleine
Margot mit allen ihren Annehmlichkeiten zu schildern; doch sey versichert,
daß sie von euern Operngesichtern wenigstens so weit absieht, als
die aufblühende von einer bis zur Hagebutte verschrumpften Rose. Und
so ein Mädchen wird mir aus lauter Gutherzigkeit zugeführt! Für
wie alt muß mich mein ehrlicher Wirth halten, wenn er glaubt, daß
dies nichts zu bedeuten habe?
Ich habe hierüber schon die erste Viertelstunde
ihres Hierseins eine mißliche Erfahrung gemacht. Ich glaubte etwas
recht kluges zu thun, setzte mich mit einem philosophischen Auge den schalkhaften
Augen des Mädchens gegen über, und wollte berechnen, durch was
für natürliche Kräfte es möglich sey, daß dieser
Körper, dieser Geist, einer so unbefangen, so unverschleyert und so
ausgebildet als der andere wie so viele leibliche und geistige Fülle
einem dreyzehnjährigen Kinde angehören können? Aber, anstatt
der Entscheidung der Hauptfrage näher zu kommen, fand ich mich am
Ende nur in den Nebenumständen, und zwar so gefährlich verwickelt,
daß ich meine Untersuchung aufgeben und Gott danken mußte,
daß ich es noch zu thun im Stande war.
Während ich dieß niederschreibe,
tragen die Leutchen, mir nichts dir nichts, die Betten zusammen, auf denen
die kleine Margot diese Nacht und die folgenden, kaum sechs Schritte von
mir, ruhen soll.
Nun ja das Bette ist fertig, und ich habe
das Fieber. Ich muß an die Luft gehen, um meine Verlegenheit über
diese Anstalten zu verschnaufen.
* * *
Ja; wenn nur alles so in der Luft verdunsten
wollte, was dem Herzen zu viel ist! Zur Erhaltung des Gleichgewichts in
unserer kleinen Welt wäre das eine treffliche Sache. Ich habe eben
keinen großen Zirkel um das Haus herum geschlagen da sitze ich
dem Kinde schon wieder gegen über, kaue an ihren kleinsten Bewegungen,
und freue mich, wie in diesem Lande, man mag seine Blicke ausschicken,
wohin man will, alles so nebellos ist Hat mir Jerom es nicht vorher gesagt?
Du bist wohl sehr gut, wenn du mir erlaubst,
in so abgebrochenen Sätzen fortzuschreiben: aber ich kann nicht
anders. Ich werfe meine Gedankenblitze auf das Papier, wenn die Kleine
zur Thüre hinaus stürmt, und werfe die Feder eben so geschwind
weg, wenn sie wieder herein gehüpft kommt.
* * *
Das kann ein gefährliches Geschöpf
für meine Ruhe werden, wenn es noch acht Tage älter unter meinen
Augen wird, und der Eindruck, den es auf mich macht, mit jeder Stunde so
fortsteigt wie heute! Sie ist schon so bekannt mit mir, als wenn sie
meine Tochter wäre. Sie ruft, verschickt, befiehlt meinem Johann,
wie es ihr einfällt bald, glaube ich, wird sie auch mir befehlen.
Ich verlor keinen Laut ihrer Stimme, als sie mir alleweile von ihrem
Hänfling erzählte, den sie so kirre gemacht hätte, daß
er ihr aus der Hand fräße und was sie für ein Glück
mit den Blumen habe! Sie dürfe, sagt sie, das dürreste Reis
nur in die Erde stecken, so blühe es.
Ich weiß es wohl, es sind armselige Kleinigkeiten,
die ich dir erzähle: sie sind es aber, Gott weiß es, wenn sie
über ihre Lippe gehen, so wenig, daß ich mich kaum erinnere,
etwas geistreicheres gehört zu haben.
Ich breche ab, liebster Freund, die kleine
Gereifte schläfert. Die Engel des Himmels mögen über ihre
Ruhe wachen! Ich will gern auch schlafen wenn ich kann.
* * *
Den 24sten December.
Noch schläft sie Ich eile nach meinem
Berge, um nicht bey ihrem Erwachen zu seyn Wirth und Wirthin sind schon
im Hause und in der Küche geschäftig was das für eine
Wirtschaft ist!
* * *
Das war wieder ein herrlicher Gang Leib und
Seele erquickend. Ich habe nun meine Sinnen in Ordnung, und bin mir jetzt
selbst um vieles lieber als gestern. Fürche nichts von dem verführerischen
Kinde! Es soll mich nur ermuntern und belustigen, und die Zierde meines
kurzen Idyllenlebens in diesem Dörfchen werden.
Zu jener Zeit, da ich mich noch mit jugendlichen
Systemen abgab, theilte ich die weibliche Tugend in zwey Classen und
ich sehe nicht, warum ich diese Eintheilung nicht noch jetzt beybehalten
sollte? Die eine ist jene wahre, einfältige, natürliche Tugend,
die mir Ehrfurcht auch unter einem leinenen Kittel gebietet: die andere
jene Scheintugend, die immer bewacht sein will, und von der ein englischer
Schriftsteller sehr richtig sagt, daß sie der Schildwache nicht werth
sey; und mit dieser letztern nehme ich es freylich nicht so genau. Aus
jener edlen Classe hat die Natur offenbar den Stoff für meine vortreffliche
Wirthin und ihre Nichte genommen, und Gott gebe, daß, wenn mich einmal
die Ehe fesseln sollte, meine Gesellschafterin für das Leben hierin
meinen jetzigen gleichen möge!
* * *
Ich habe einen Verlust erlitten, der mir nahe
geht. Mein guter Mops ist gestorben, und liegt nun unter dem großen
Oli-venbaume meines Wirths begraben. Wenn dem klügern Menschen nicht
ausschließungsweise von jeder andern Kreatur die Ehre des Selbstmordes
vorbehalten wäre, so möchte ich beinahe glauben, daß auch
mein Mops, aus Schwermuth, freiwillig die Welt verlassen habe. Es schien
ihm unausstehlich zu seyn, seinen Herrn vergnügt zu sehen; und seitdem
Margot hier ist, die mir eine Runzel um die andere aus dem Gesichte wegwischt,
bekam er jede Stunde eine mehr, und seit gestern Abend, wo wir ich und
sie freilich sehr munter zusammen waren, schien sein Verdruß auf's
höchste gestiegen zu seyn. Er kroch in einen Winkel, und heute früh
fand man ihn todt.
Ich gestehe, daß ich ihn seit einiger
Zeit vernachlässigt habe, und es thut mir wirklich leid; denn es war
ein gutes Thier, das mich liebte, und dem ich, in jenen hypochondrischen
Stunden meiner Reise manche nützliche Betrachtung verdankte.
Dieß große Warnungsbild, das ich mit ihm verloren,
So weit ich blicken kann, ersetzt ein anders nicht.
Belehrender ward nie ein Sonderling geboren,
Und keiner trug bei kürzern Ohren
Ein philosophischer Gesicht.
Zwar sah ich manche Stirn von Königsberg bis Leiden
Mit diesem mystischen gelehrten Ueberzug:
Doch sah ich keine je, die Runzeln so bescheiden
Von allen Weisen zu beneiden,
Als meines Hundes Stirne trug.
Der schönsten Stadt entführt, wo der Beruf zu schlafen,
Durch Lindenluft verstärkt, das Bürgerrecht ihm gab,
Ward er, wie Epiktet, vom ungestalten Sklaven
Mein Freund Er war's, dem Polygraphen
Der Schweiz zum Trutz bis an sein Grab.
Er warf den hohen Ernst der kritischen Geberde
Nie auf ein Mitgeschöpf nie außer sich herum.
Der Schnarcher suchte nie, so weit ihn Gottes Erde
Auch trug, daß er bewundert werde,
Ein größer Auditorium.
Nur still erbaut' er mich. Von seinem gelben Felle
Blickt' ich gestärkter auf in die beblümte Flur:
Mein krankes Auge stieg von seiner Lagerstelle
Gemach vom Dunkeln in das Helle,
Bis zu dem Lichtquell der Natur.
Wenn er sich schüttelte, las ich in seinen Blicken
Den herrlichen Beweis vortrefflich kommentirt,
Den einst, vom Uebergang des Schmerzes zum Entzücken
Aus gleicher Nothdurft sich zu jücken,
Der weise Sokrates geführt. *)
Kein unbequemer Freund, kein Trunkenbold, kein Fresser,
In richtiger Mensur nicht stolz, nicht zu gemein,
Schlief er sein Leben durch, und wahrlich desto besser!
Er schläferte, wie ein Professor,
Auch seinen klügern Nachbar ein.
Lebt wohl ein Menschenfreund, der sich nicht seiner Hunde,
nicht ihrer Tugenden und ihrer Liebe freut?
Sucht nicht selbst Friederich, kraft seiner Menschenkunde,
Das Spielwerk seiner Ruhestunde
In seines Hunds Geselligkeit?
Ulyß, von seinem Hof verkannt und ausgeschlossen,
Bewährt der Treue Ruhm, den sich sein Hund erwarb:
Alt, blind, kroch er zu dem, nach Jahren die verflossen,
Von dem er Wohlthat einst genossen,
Zog seinen Dunst noch ein und starb.
Wie hast du, guter Mops, nicht meiner Stirne Falten,
Sah ich dem Grillenspiel der deinen zu, gegleicht!
Gewarnter nur durch dich, frühzeitig zu veralten,
Sey immer dir mein Dank erhalten!
Auch dir sey Gottes Erde leicht! -
____________________
*) Plat. Phaed. pag. 150. edit. Fischer.
____________________
* * *
Margot, als sie mich in diesen ernsten Gedanken
vertieft und meine Augen getrübt sah, stellte sich gerade vor mir
hin Wie konnten Sie," fragte sie mich mit lautem Lachen, einem so grämlichen
schnaufenden Thiere nur ein Bischen gewogen seyn! Wissen Sie wohl aus
Liebe für Sie habe ich ihm Krähenaugen gegeben! Sein unfreundliches
Aussehen störte ja nur unsere lustige Gesellschaft," Und ich Narr
sitze da, blinzle dem Mädchen in´s Gesicht, weiß nicht
recht, ob ihre Anklage Ernst oder Scherz ist, und vergebe ihr eins wie
das andere, um der Perlen von Zähnen wille, die sie mir sehen läßt.
Ich werde mit diesem Kinde selbst noch zum Kinde, lieber Eduard! aber
ich kann mir nicht helfen.
* * *
Den 25sten December.
O Jerom! Jerom! Du würdest mit mir zufrieden
seyn, wenn du mich sehen könntest! Liebe und Freude durchströmen
mein Herz. Wie geschwind ist unter diesem lachenden Himmel, in dem Umgange
dieser seltenen Menschenart, die Rinde weggeschmolzen, die es umgab! Eine
Schicht nach der andern dieses verhärteten Umzugs lös´te
sich ab, und jetzt schwärmt es neu belebt, hebt sich und senkt sich,
tobet und brauset, und ich kann seiner nicht mehr Herr werden. Sogar meine
Berge und Wälder haben ihr ehrwürdiges Ansehen verloren, seitdem
sie Margot mit mir durchschweift. Dieß Kind der Natur badet sich
selbst zu gern in dem Morgenthau, fühlt selbst zu sehr das Behagliche
der Bewegung, als daß sie in der Hütte bleiben und ihren Vortheil
nicht absehen sollte, sich, so bald ich aus der Thüre trete, an meinen
Arm zu schlingen.
Heute mit dem frühesten erwachte sie,
als ich eben nach dem Hute griff, der gerade über ihrem Bette an der
Wand hing, und, wie ein aufgescheuchtes Reh, fuhr sie von ihrem Lager auf,
so daß sie mir kaum Zeit ließ, meine Augen so lange wegzuwenden,
bis sie ihr Röckchen über sich geworfen hatte. O Natur! Natur!
auch Coquetterie, wie sie aus deinen Händen kommt, ist rührend!
Ich habe manchmal ein Schminkpflästerchen aufkleben, manchmal eine
Nadel fest stecken müssen; aber nie that ich es mit der Empfindung,
die Margot in mir erweckte, da sie jetzt, so lustig als ich es wünschen
konnte, mit der Bitte vor mich trat, ihr den vermaledeyten Sonnenhut aufzusetzen,
der ihr so hübsch steht.
Wie die Toilette in Ordnung war, erstiegen,
durchliefen, umkletterten wir nun alles, was uns die Natur in den Weg warf,
und sangen, schäkerten und lachten, als wenn die ganze Welt uns zugehörte.
Auch mein Johann kam gestiegen, eben da wir beyde Kinder versuchten, wer
am weitesten in die Ferne blicken könnte, ob es ein Adler oder eine
Krähe sey, die dort am Rande des Himmels ihr Spiel trieb? Es war
mir recht lieb, daß Johann kam. Ich rief ihm zu, und er nahm herzlichen
Theil an unserer Freude.
Du glaubst nicht, wie viel dieser Mensch in
meiner Achtung gewonnen hat, seitdem der enge Kreis, der mich hier umschließ,
den Abstand unter uns beynahe ganz aufgehoben hat. Außer dem Boden,
wo er schläft, hat er Einen Aufenthalt mit mir, die der Gesellschaft
gemeinschaftliche Stube. Es ist der gutherzigste, natürlich gesittetste
Mensch, den ich vielleicht aus Berlin hätte mitnehmen können,
und es freut mich recht, daß ich noch in dem zehnten Jahre, da er
mir dient, seine Bekanntschaft gemacht habe.
Das mag wohl oft der Fall in unserm Stande
und noch weit mehr in der Classe der Großen seyn. Wir suchen
Freunde in den Vorsälen an den Spieltischen und in unsern vornehmen
Gesellschaften wundern uns, daß wir auch nicht Eine Seele finden,
die unsern Forderungen Genüge thut, indeß vielleicht nahe bey
uns, eben das gute Geschöpf, das uns fehlt, hinter unserm Stuhle steht.
Wie arm haben uns unsere leidigen Verhältnisse gemacht! Wie haben
sie den Gemeinplatz der Zufriedenheit zersplittert, daß jetzt keines
mehr von dem Brocken leben kann, der ihm von dem Ganzen zugefallen ist!
* * *
Den 26sten December.
Ich sehe mit Zittern den Zeitpunkt sich nähern,
der mich von diesen Söhnen und Töchtern der Natur trennen soll,
und nichts freut mich dabey, als daß auch Johann den Kopf hängt,
wenn ich von unserer Abreise spreche. Künftighin soll der gute Mensch
nie anders als neben mir im Wagen sitzen; ja auch, wenn der Mops noch lebte,
sollte er es. Sein Verstand, seine gute Laune, und besonders das Mitgefühl
des frohen Lebens, das ich hier führe, sind mir nützlicher und
nothwendiger geworden, als seine armseligen Dienste, die ich im Grund entbehren
kann.
Arme Margot! Auch dein empfindsamer Busen hebt
sich; auch in deinen Augen glänzen Thränen der Wehmuth; auch
an deinem Liebe athmenden Munde wagen sich Zuckungen eines heimlichen Schmerzes,
wenn du an unsere Scheidung, an die Trennung von einem Freunde denkest,
der dir nur gar zu lieb, gar zu theuer geworden ist. O daß ich der
Einzige seyn möge, wie ich der Erste bin, der deinem Herzen die Freude
verdirbt, zu der es die Natur so empfänglich gebildet hat!
Ich schwöre dir, Eduard, daß selbst
meine Eigenliebe kaum die so schnell angewachsene Leidenschaft dieses Kindes
für mich zu erklären weiß und doch ist sie da in aller
der Glorie da, durch die sich ein unerfahrenes Herz verräth, und die
auch nur einem solchen gut steht.
* * *
Wenn mir manchmal das erste Blatt eines empfindsamen
Romans ein unschuldiges, kaum den Händen der Natur entschlüpftes
Mädchen ausstellte, das den Sonntag den Mann zum erstenmal erblickt,
mit dem es auf der sechsten Seite, schon den Sonnabend nachher, bis über
die Ohren in Liebe versunken, ins so regelmäßiger Vertraulichkeit
lebt, daß, wenn Autor und Leser rechnen können, man beynahe
voraussagen kann, auf welchem Blatte sie Mutter seyn wird: so lachte ich
immer dem Geschwindschreiber gerade in´s Gesicht, und war gewiß
niemals bey der Taufhandlung. Aber man sollte, weiß Gott, über
nichts lachen!
Nicht weniger habe ich oft so krause, schäckige,
verschlungene Figuren in den Wolken gesehen, daß die Bibliothek der
schönen Wissenschaften den Maler, der es wagte, sie treu nachgebildet
auf seine Landschaft zu bringen, ohne Widerrede für einen Narren erklären
würde und doch lag das Original, ohne ein menschliches Auge zu beleidigen
in der Natur. Schriebe ich nun einen Roman, lieber Eduard, so würde
ich wenigstens aus Autorklugheit einen halbjährigen Umgang vorausgehen
lassen, um das Herzklopfen, die glühenden Wangen und das Stammeln
der Zunge dieses dreyzehnjährigen Kindes wahrscheinlich zu machen:
aber ich schreibe ein Tagebuch, und muß die Wolken malen wie ich
sie finde.
Seelen, die für einander geschaffen sind
ich fange es jetzt an zu glauben streben einander entgegen, wie und
wo sie sich antreffen. Sollte es dich indeß, ungeachtet dieses freylich
auch nur in Romanen vollgültigen Grundsatzes, dennoch wundern, wie
ein so frisches, unbefangenes Kind, ohne sich durch mein blasses, abgehärmtes
Gesicht schrecken zu lassen, in dem kurzen Zeitraume von vier Tagen einen
Weg von solchem Umfange zurück gelegt habe; nun so wirst du über
die schnelle Veränderung wohl ungleich mehr erstaunen, die diese Spanne
von Zeit in mir altem erfahrnen Krieger hervorbrachte.
Siehe! der eingewurzelte Begriff von der nothwendigen
Ungleichheit der Stände ist in den paar Tagen so locker bey mir geworden,
daß nicht viel fehlt, so fliegt er in alle Winde. Seit dem Augenblicke,
da ich die Leidenschaft der Kleinen gegen mich entdeckte, wozu eben kein
übermäßiger Scharfsinn nöthig war, habe ich über
eheliches und häusliches Glück, Sympathie der Seelen und Mißheirathen
so deraisonirt, als wenn ich dafür wäre bezahlt worden. Ueber
das Herz, behauptete ich sehr einleuchtend, sollte kein Grundsatz gebieten,
der nicht aus der Natur sondern aus unsern erkünstelten Verhältnissen
entsprang. Verschwende ich hier nicht offenbar an den Götzen des Vorurtheils
eine Perle so rein und ächt, als die Liebe nur ihren Lieblingen zuzuwenden
vermag, und darf ich wohl hoffen, jemals in der Verzäunung, in die
mich mein Stand verbannt, ein Kleinod wieder zu finden, das diesem hier
gleich ist?
In solchen Sophistereyen, würde ich sagen,
habe ich eine schöne Morgenstunde verträumt, als ich heute auf
der Spitze des Berges an ihrer Seite lauschte, wenn ich mich nicht zugleich,
wie ein erfrorner Priester, an der auflodernden Flamme ihrer Erstlingsliebe
so durchwärmt hätte, daß ich unmöglich den Verlust
der Zeit beklagen kann, ob ich gleich jetzt nach allen kaltblütigen
Mitteln der Vernunft stören muß, um meine durchglühte Einbildungskraft
wieder abzukühlen. Gottlob, daß es mir gelungen ist! Ich habe
mir stark in das Gewissen geredet, mir bewiesen, daß ich zu der wankelmüthigsten,
treulosesten Menschenclasse gehöre, die einzige ausgenommen, die in
allem eine Stufe über die meine steht daß ich viel zu lange
in einer verdickten Atmosphäre gelebt habe, um nun in der Region der
Wahrheit und der dunstfreyen Natur dauern zu können, und habe daraus
die Schlußfolge gezogen, daß Margot, dieß Kind der Unschuld,
viel zu gut für mich sey.
Gewiß ist sie des besten Mannes werth.
Aber nur einer, dessen Geburt und Lage ihn von der Amme an gegen die feindseligen
Angriffe der guten Erziehung geschützt haben der das Gift der Sitten
nicht eingesogen hat der alle Strahlen des Glücks, der Zufriedenheit
noch in Einem Brennpunct vereinigt, und mit der großen Kunst der
höhern Stände noch unbekannt ist, sie prismatisch in Farben zu
theilen und unkräftig zu machen mit einem Worte, nur der beste
Mann ihres Standes vermag es, dieses schöne, gefällige, tugendhafte,
und mit der herrlichsten Zusammensetzung zu einem trefflichen Weibe begabte
Mädchen so glücklich zu machen, als es zu seyn verdient. Von
ihr ist es eine schuldlose Verirrung, daß sie mich liebt von mir
würde es eine Treulosigkeit an der Natur seyn, wenn ich diese Verirrung
mißbrauchen und sie aus dem Zauberzirkel reißen wollte, in
welchem ich die schätzbaren Menschen sich drehen sehe, deren Hausgenosse
ich bin, und der mich ich stehe nicht dafür bis zu der lächerlichsten
Ehe schwindlich machen könnte, wenn ich ihnen länger zusehen
sollte.
Ihre vier Jahreszeiten, Eduard, wie verschieden
sind sie nicht von den unsrigen! Sie verlaufen ihnen so glücklich
und einfach, wie die Zeiten ihrer einzelnen Tage, und ihr Leben verläuft
ihnen wie ihre Jahre.
Mit süßem Lächeln weckt der
Morgen
Dieß der Natur geweihte Paar,
Das bey der Liebe Sorgen
Sanft eingeschlummert war.
Der Tag entwickelt ihre Kräfte,
Uebt ihren ländlichen Verstand;
Zu nützlichem Geschäfte
Reicht jedes sich die Hand.
Sie opfern dem Umarmungstriebe
Des kurzen Abends Ueberrest,
Bis ungern sie die Liebe
Dem Schlummer überläßt.
Ein leichter Schlaft stärkt ihre Glieder,
Und eine schnell verträumte Nacht
Giebt sie der Liebe wieder,
So bald der Tag erwacht.
* * *
Den 27sten December.
Ich habe diesen Morgen meinen Johann mit Briefen und mit dem Auftrage
in die Stadt geschickt, einen Wechsel für mich zu heben, davon ich
einen Theil nöthiger brauche als den andern. Ich muß durchaus
diese biedern Menschen, so gut ich kann, für den Wohlgeschmack am
Leben belohnen, den sie mir beygebracht haben.
Uebrigens ist mein heutiger Tag vergangen,
wie der gestrige. Wer der Einförmigkeit gut werden will, muß
sich in diesem Dorfe niederlassen. Wäre es so ehrlich, als es bequem
ist, lieber Freund, seinen guten Leser über den Verlauf von vierzehn
bis funfzehn Stunden mit einem Gemeinsatz abzufertigen; so dürfte
ich hier nur das, leeren Köpfen so gewöhnliche Mittel
anwenden, mit einem klügern zu entern, einen langen
Gedankenstrich machen, und mich und meine Feder zur Ruhe legen.
Da aber meine gerühmte Einförmigkeit es doch nicht so sehr ist,
als du etwan denken könntest; da auch Margot zu Bette, alles um mich
herum so still ist, und es mir auf ein Blatt mehr oder weniger nicht ankommt;
so wüßte ich nicht, was mich abhalten könnte, heute weniger
vollständig zu seyn als gewöhnlich.
Freylich habe ich nicht, wie du, eine neue
Oper von Naumann aufführen, oder durch ein anderes Kunstwerk die Natur
verhunzen gesehen: aber dafür sah ich, und weit deutlicher, als es
nicht leicht ein Hofmann zu sehen bekommt, alle Federn eines gerührten
weiblichen Herzens im Spiele; die schönste Pantomime, die mir die
Liebe, und zwar mir allein, zu Ehren gab. Das Stück bekam dadurch,
und durch die unaufhörlichen Schmeicheleyen, die ich dabey Gelegenheit
fand, bald meiner Scharfsichtigkeit, bald meiner Eigenliebe zu machen,
wahrlich kein geringes Interesse, ohne manches andere wohlthätige
Gefühl der Großmuth, des Mitleids und so weiter, nur in Anschlag
zu bringen.
Die gute Kleine, die, während ich diesen
Morgen schrieb, Verstand genug hatte, mich nicht zu stören, und sich
unterdessen im Vorhause beschäftigte, meinem Johann den ganzen Roman
des Seidenwurms zu erklären, konnte nun, wie ich ihn mit den Briefen
abgefertigt hatte, ihren Mißmuth über ihren verlorenen Spaziergang
nicht länger verbergen. Du hättest nur sehen sollen, wie so launig
sie sich anstellte, wie so zärtlich sie über meine Schreiberey
schmählte, und wie ich eilte, ihr den Ersatz auf den Nachmittag zu
versprechen.
Das machte alles wieder gut. Nun flog sie
in die Küche, schürte das Feuer doppelt an, und brachte es so
weit, daß der Eyerkuchen zwar ein wenig verbrannt war wir uns
indeß doch eine halbe Stunde eher um ihn herum setzen konnten. Ach!
er hätte mir nicht besser schmecken können, wäre er auch
in seiner größten Vollkommenheit erschienen. Ihr selbst ihr
wollte er nicht schmecken, selbst nicht, wie ich ihr ihn vorlegte. Sie
war verloren für alles gemeinere Bedürfniß. Ihre Sprache
war zitternd, wie die Sprache der Sappho, und ihr glühendes Auge
von allem was zwischen Himmel und Erde ist nur auf mich allein geheftet.
Mir kam wahrlich zur rechten Zeit meine Erfahrung zu Hülfe. Ich
hörte durchaus nicht auf den Einklang meines Herzens mit dem ihrigen
wies es schon bey´m Präludiren zur Ruhe, und konnte nun desto
aufmerksamer auf das natürliche Adagio der kleinen Virtuosin Acht
geben, das mir ich versichere dich, Eduard mehr Vergnügen gewährte,
als die vollständigste Tafelmusik unseres Königs.
Wie wir aufgestanden waren, brachte mir das
arme Kind, dem es in der Stube zu enge ward, meinen Hut und Stock, und
trippelte vor mir her zur Hütte hinaus. Mir ward, als ich den blauen
Himmel sah, angst und bange vor dem heimlichen Spaziergang, in den sie
mich in aller Unschuld verlocken würde. Ich dacht in diesem Augenblick
an den, in der verschwiegensten Ecke deines Parks lauschenden Amor, den
sicher kein Pfuscher gemeißelt hat. Ich weiß kein belehrenderes
Sinnbild von ihm. Das bedenkliche Lächeln, mit dem er in die Stille
des Waldes hineinblickt die umfassende Kraft, die seine Flügel dehnt
das kleine Schrecken, das er jedem einjagt, der unvermuthet auf ihn trifft
alles war mir jetzt furchtbarlich gegenwärtig.
Da dachte ich schon bey mir selbst: Du willst
ehrlich seyn, Wilhelm, da es noch Zeit ist. Ehe du einen Schritt weiter
setzest, willst du das unbefangene Mädchen von der Gefahr unterrichten,
die es läuft. Du hast so viele warnende Bilder vom Amor gesehen
hast dich müde an allen den Steckbriefen gelesen, die ihm täglich
nachgeschickt werden, daß es nicht gut seyn müßte, wenn
du der Kleinen nicht eine Schilderung von ihm machen könntest, daß
ihr die Lust wohl vergehen soll, ihn näher kennen zu lernen. Ist nicht
schon manches Schulmädchen durch die Fabel vom Fuchs und dem Hühnchen
von ihrem künftigen Verderben gerettet, oder durch eine gräßliche
Gespenstergeschichte abgehalten worden, im Finstern zu gehen? Ja, hat mir
nicht selbst die Furcht vor dem Teufel öfter meine Chatulle gerettet,
als die vor dem lieben Gott?"
Ich setzte mich also auf die hölzerne Bank vor dem Hause, faßte
die Kleine bey beyden Händchen, und zog sie sanft zu mir her.
Margot," sagte ich ehe wir weiter gehen,
will ich dir etwas erzählen. Ich habe heute wichtige Ursachen, warum
ich unsern Fichtenberg nicht ersteigen mag "
Und ich auch," versetzte Margot, seufzend
und mit einer Naivität, die mich beynahe in meiner Fortsetzung irre
gemacht hätte.
Wir wollen den guten Mandelbaum heute in Ruhe
lassen. Er wird schon ohne uns seine Blüten vollends entfalten."
Das ist zu glauben," antwortete Margot Aber
was wollen Sie damit sagen?"
Margot," stotterte ich ziemlich verlegen
du hast doch wohl schon von dem Amor gehört?"
Nicht eine Sylbe" antwortete sie mit herzlich
verwundernden Augen.
Nun gut," fuhr ich noch stotternder fort
so muß ich dir sagen, daß es eine Art von Buschkläpper
ist, der die Gegend da oben unsicher machen soll.
Ein Strauchdieb, der die Sonne scheut,
Doch schlau genug, dem stillen Morgen
Das Jagdkleid, und der Einsamkeit
Manch feines Stellnetz abzuborgen.
Er lauert auf, bricht und entweiht
Die Gränzen und die Hegezeit,
Und spürt mit seiner Meute Sorgen
Nach jedem Wild der Lüsternheit.
Am meisten fühlt er sich erfreut,
Wenn, im Begriff nun zu erworgen,
Ein Rickchen, in dem ersten Streit
Mit jenem Molch, die Kraft verschreyt,
Der, trotz dem Ritter Sanct Georgen,
Gefahr den Sacramenten dräut. *)
____________________
*) Unter der Jungfrau, die St. Georg aus den Klauen des
Lindwurms rettete, ist nach Baronii Martyr. die christliche Kirche bildlich
vorgestellt, die der heilige Ritter von dem Feinde der Stolgebühren
und Sacramente befreyte.
____________________
Lassen Sie Sich doch so etwas nicht weiß
machen," unterbrach mich die Kleine, und schlug ein lautes Gelächter
auf Es ist nicht ein Wort davon wahr. Die Gegend da oben sollte nicht
sicher seyn? Auf die Gefahr, glauben Sie mir, wollte ich den ganzen Wald
mit Ihnen durchstreifen, ohne daß uns etwas Widriges begegnen sollte.
Aber es ist mir schon recht, daß Sie Sich fürchten. Ich bin
den einsamen Berg wirklich ein Bißchen überdrüssig. Er
macht mich schon traurig, wenn ich ihn ansehe. Lassen Sie uns diesen Nachmittag
lieber einen Gang auf den Postplatz thun, wo der heutige Markttag alle
Esel und Menschen in Bewegung setzt.
Gut," sagte ich ein wenig betroffen, richtete
mich von meinem Lehnstuhl auf, und indem Margot, muthig wie ein Kind aus
der Schule, vor mir her lief, schlich ich ihr nachdenkend wie ein Präceptor
nach, der eben vor seinen Untergebenen das sechste Gebot austrommelte und
durchpeitschte, das doch, ihn ausgenommen, keines in der ganzen Classe,
trotz seines Unterrichts, weder zu begreifen noch zu übertreten in
dem Falle war. Ging es mir wohl besser mit meinem verunglückten Apolog?
Lag nicht die Ursache, warum mich Margot nicht verstehen konnte, in ihrer
holden Jugend und Unschuld, so wie ihr jetziger brausender Wunsch nach
Zerstreuung in jenem ihr noch fremden, bittersüßen Gefühle
lag, das sie zu übertäuben suchte?
Du kannst denken, Eduard, ob mir das liebe
Mädchen, unter diesem hell strahlenden Nimbus der durchbrechenden
Natur, mit dem sie mir heute wie eine leidende Heilige erschien, nicht
noch lieber ward. Ich hätte entweder ein Heide, oder vor den Kopf
geschlagen seyn müssen, wie ein Schulmeister, wenn ich der nächsten
Eingebung, nach dem mißlungenen Versuche meines ersten Unterrichts,
hätte Gehör geben, und die belobte sokratische Lehrart mißbrauchen
wollen, um das sich sträubende Kind zu seiner Selbstkenntniß
zu bringen, oder, welches Eins gewesen seyn würde, den Most in seiner
Gärung zu stören, um mich in ihm zu berauschen. Nein," sagte
ich, lieber will ich durstig von hier gehen, und demjenigen den künftigen
Wein unverfälscht und ungetrübt gönnen, für den das
Glück und die Zeit diese Labung aufbewahrt."
Ich war fest entschlossen, mich auf die wenigen
Tage, die ich noch unter den blauen Augen dieses Mädchens verleben
würde, bloß auf das mäßige Vergnügen ihres Beobachters
einzuschränken, und vor allen Dingen meine Abreise um keine Stunde
über die gesetzte Zeit, geschweige wie mir schon einigemal der verwegene
Gedanke gekommen war auf mehrere Monate zu verschieben.
* * *
Unter diesen heroischen Gedanken gelangte ich,
einige Minuten nach Margot, auf dem Postplatze an: aber es dauerte nicht
lange, so traf nur zu sehr ein, was ich gefürchtet hatte Ihre Fiberunruhe
verstattete ihr kein Bleibens. Kaum hatten wir einen Esel ab= einen andern
aufsatteln gesehen, so strebte sie weiter. Sie ging, in sich gekehrt, auf
der Chaussee fort, und ich folgte ihr ohne Einwendung auch auf diesem staubigen
Wege nach. Sie hing sich traulich an meinen Arm, und so schlenderten
wir stillschweigend mit einander fort, und kamen, ohne es zu bemerken,
dem Stadtthore bis auf einige hundert Schritte nahe. Der gepflastete
Weg hatte die arme Kleine ermüdet. Wir setzten uns auf eine der steinernen
Bänke, mit welchen französische Straßen, zur Beruhigung
so vieler Fußgänger, reichlich versehen sind, und vertieften
uns in das bewegliche Gemälde, das vor uns lag.
Inzwischen wurde Margot so durch und durch
ernsthaft, daß ich ihr mit Bewunderung in die Augen blickte, ohne
sogleich entdecken zu können, was in ihrem Innern vorging. Sollte
das Getöse menschlicher Thätigkeit," dachte ich, das dich immer
in ein gewisses unwillkürliches Staunen versetzt, auf ein dreyzehnjähriges
Mädchen dieselbige Wirkung hervorbringen? Es setzt doch eine gewisse
Vermischung von Gedanken voraus, die man so einem Köpfchen nicht wohl
zutrauen kann." Auch war das gute Kind weit davon entfernt. Was ihre Zunge
mir nicht zu erklären vermochte, als ich sie um die Ursache ihres
bänglichen Ernstes befragte, das that ihr Blut desto beredter, überzog
ihr Engelsgesicht mit der Schminke der Unschuld und der Rosen, und machte
es mir unmöglich, diesem Naturgeständnisse ihrer uneigennützigen
Liebe nicht mit dem feurigsten Kusse zu huldigen.
In diesem köstlichen Augenblicke, den
das vollströmende Herz der überraschten Vernunft abgewann, lenkte
ein Phaeton hinter uns durch einen Seitenweg in die Chaussee ein, und zog
langsam bey meiner Umarmung vorüber. Ich richtete mich in die Höhe,
und begegnete den verächtlichen Blicken, die ein Mann ohne Physiognomie,
kurz der in Nimes so berühmte und besuchte Verfasser der Revolution
in Portugal auf mich und mein Liebchen herab schoß. Ich war so
betroffen, als ob es mir zum erstenmale widerführe, mich dem geschwinden
Urtheile eines Kleinstädters in einem Augenblicke ausgesetzt zu sehen,
wo das äußere Ansehen wider mich war. Ich hatte noch nicht durch
meine lange Hoferfahrung gelernt, mich über solche Mückenstiche
des Zufalls zu trösten, und mit dem ehrlichen Manne im Plautus auszurufen:
Ego vergieb
mir immer das Bißchen Latein sum
promus meo pectori, Suspicio in alieno pectore est sita.
Nein, ich ärgerte mich von ganzem Herzen, sowohl über die Unmöglichkeit,
einem Manne von seiner Art den unschuldigen Zusammenhang so eines Kusses
begreiflich zu machen, als über die spöttischen Anmerkungen,
mit denen er sich in seiner Abendgesellschaft auf meine Kosten groß
machen würde, und ärgerte mich endlich über mich selbst,
daß ich schwach genug sey, mich über solche Armseligkeiten zu
ärgern.
Ich wußte mir in meinem Unmuthe nicht
ander zu helfen, als daß ich ihm den einzigen Fehler, der mir von
ihm bekannt war, aufmutzte, und meiner lieben Margot erzählte: Dieser
Mann mit dem albernen Gesichte, der eben vorbey gefahren sey, habe das
mißgeschaffenste, elendeste Gedicht geschrieben, das in Frankreich
zu finden sey eine Trauerspiel ohne Mark und Kraft das so lang und
fade sey, wie die Nase des Autors."
Aber Margot bekümmerte sich um das alles
nicht im geringsten Dort kommt Ihr Johann," war ihre ganze Antwort.
Wirklich verdiente meine Anklage auch keine
andere. Wir standen auf, gingen dem guten Johann entgegen, der sich freundlich
an uns anschloß. Ich vergaß den Baron, die Kleine trällerte,
und Johann gab mir, während daß uns ein schöner Abend langsam
nach Hause brachte, Rechenschaft von seinen Verrichtungen in der Stadt.
* * *
Den 28sten December.
War ich gestern mit meinem Tage zufrieden,
so bin ich es mit meinem heutigen ungleich mehr. Ich habe mich über
einer unzweydeutigen Probe einer vollständigern Genesung überrascht,
als ich jemals hätte hoffen können über einer von den
Thorheiten aus den glücklichen Zeiten meines funfzehnten bis achtzehnten
Jahres. Es macht mir eine herzliche Freude, sie dir erzählen zu können,
denn du bist zu sehr mein Freund, als daß du nicht einen warmen Antheil
daran nehmen solltest.
Du weißt wenn du anders künftig
einmal bis hieher gelesen haben wirst wie es um das Herz der armen Margot
steht. Es gehört von meiner Seite in Wahrheit ungewöhnliche Stärke
darzu, ihm nicht zu Hülfe zu kommen, da vielleicht noch keinem Ritter
das Mitleid so nahe gelegt worden ist, als mir, und ich zu aufmerksam auf
das liebe Kind bin, um nicht, wie ein praktischer Arzt, der unter Epidemien
grau geworden ist, von Stunde zu Stunde angeben zu können, um wie
viele Grade sich die Krankheit verschlimmert hat. Ihre vormalige Munterkeit,
wie ganz ist sie verstoben! und ach, nun kommen die Symptome der unruhigen
Nächte darzu Was will aus dem armen Kinde werden!
Ich lag in dem besten Schlafe hinter meinem
Closset, als mich ihre Stimme zu erwecken schien Es war aber nur der
Wiederklang ihrer Seufzer tönenden Brust. Da es ganz still um uns
her war, so entwischte mir auch nicht ein Athemzug, durch den das gepreßte
Herz sich zu erleichtern suchte keiner von den jugendlichen, in manch
sanftes Ach! concentrirten Wünschen, die das Blut durchsäuseln,
und sich dem Kenner noch ehe sie der unschuldigen Seele hörbar werden,
wie der Hauch auf einer äolischen Harfe, verrathen. Hätte ich
mich gehen lassen, so würde das seltenste Concert von Seufzern entstanden
seyn, das jemals gespielt worden; denn je aufmerksamer ich mit jedem Pulsschlage
ward, desto schwerer ward es mir auch, nicht mit einzustimmen.
Wie froh war ich, als der Tag zu grauen anfing,
und ich bald darauf mein Bette mit Ehren verlassen konnte! Ich kam glücklich
bey dem ihrigen vorbey nahm aber das Herz so voll von sympathetischen
Gefühlen mit, daß mir für hinlängliche Unterhaltung
auf meinem einsamen Spaziergange unmöglich sehr bange seyn konnte.
Gott weiß, wie geschwind oder langsam
ich heute meinen Berg erstieg! Ich hatte aus mir selbst zu viel heraus
zu spinnen, als daß ich auf etwas außer mir nur Acht gehabt
hätte. So viel noch erinnere ich mich daß er mir heute nicht
hoch, nicht räumlich, nicht romantisch genug vorkam. Ich mußte,
ohne es zu wissen, auf seiner andern Seite herab gestiegen seyn; denn,
als mir das sonderbarste Abenteuer mein Bewußtseyn wieder gab, befand
ich mich in der Mitte einer mir unbekannten Wildniß sah meinen
Fichtenberg eine Stunde weit von mir liegen, und konnte kaum mit bloßen
Augen mein kleines Caverac wieder finden.
Ist es indeß wohl der Mühe werth,
daß sich die drei Grazien des menschlichen Lebens Wahrheit, Natur
und Freundschaft vereinigt bemühen sollen, dir das lächerlichste
Bild aufzustellen, das dir wohl jemals von einem Menschen bey gesundem
Verstande zu Gesichte gekommen ist? Wenn du so dächtest, lieber Eduard,
so sähe ich mich genöthigt, mich erst darüber mit dir zu
besprechen. Dergleichen Schilderungen von uns selbst, denke ich, verdienen
nur dann erst, daß man den Kopf dazu schüttelt, und sich über
ihren Autor ein wenig aufhält wenn man sie, wie Rousseau, mit einer
geheimnisvollen Miene auf den Altar der Unsterblichkeit niederlegt, und
durch ein mit einem Anathema versehenes Codicill verordnet, daß sie
nicht eher als zwanzig Jahre nach unserer Verwesung der Welt zur Schau
gestellt werden. Zu was so viele Umstände? Ich gebe überhaupt
nach meiner jetzigen Denkungsart und Gott erhalte mir sie! nicht den
Augenblick einer leichten Verdauung für die ganze Ehre, der zweyten
Generation namentlich bekannt zu bleiben: doch kann ich auch nicht so viel
Wesens daraus machen, wenn ein Freund wie du, bey meinem Leben mich im
Hemde überrascht. Das schließt jedoch, wohl zu merken, nicht
den gutmüthigen Wunsch aus, durch mein Daseyn wo nicht mit so pathetischem
Ernste, wie Rousseau, oder mit dem Schrecken jenes, der das Pulver erfunden
hat doch sonst durch eine gesegnete Kleinigkeit auf die Nachwelt fortzuwirken.
Und geschähe es nur durch einen Schwefelfaden, den ich incognito
zu meiner eigenen Bequemlichkeit verbesserte, und nachher damit bis an´s
Ende der Welt den Armen erleichterte, ihre Lampen anzuzünden nur
durch ein Liedchen, wie Anakreon sang, das einige tausend Jahre hindurch,
Menschen wie wir sind, einen frohen Augenblick mehr erträllern hälf
ich wollte damit zufrieden seyn zufriedener, als wenn ich jetzt mein
Leben an Reichs= und Kreis=Relationen verschreiben in der Ungewißheit
verschreiben müßte, ob die Nachwelt so viel Nutzen als aus meinem
Schwefelfaden ziehen würde.
Die Weisen, die hierin meiner Meinung sind
und die es nicht sind, mögen es mir vergeben, daß ich diesen
reichhaltigen Text zu einer gelehrten Abhandlung einer Armseligkeit
vorausschicke, und ihn mit derselbigen Feder geschrieben habe, die dir
die wichtige Neuigkeit erzählen soll, durch welche Verfassung der
Seele ich dahin gebracht wurde, mir heute in der Mittagsstunde eine Beule
gerade über der Nase zu stoßen. Es ging drollig genug damit
zu.
In dem dicksten Hein verloren,
Ohne Führer, ohne Bahn,
Frug ich nicht, ob mich die Horen
In den Abglanz von Auroren
Oder Lunens schwindeln sahn.
Meine Phantasien flogen
Der gereizten Liebe nach,
Und, mit blauem Flor umzogen,
Fabelte des Himmels Bogen
Mein und Margots Brautgemach.
Bald auch schwand des Haines Stille
Meinem Jubel aufbewahrt,
Stand sie jetzt voll Jugendfülle
Zitternd vor mir, ohne Hülle
Meinen Räthseln offenbart.
In den wunderbarsten Fugen
Sammelten die Freuden sich
Um mein Lager, übertrugen
Ihre Wirthschaft mir, und schlugen
Ihre Fittigen um mich.
Und auch ich schlug, in dem vollen
Liebesrausche meines Traums,
Meine Arme, gleich Apollen,
Ach ihr Götter, um die Knollen
Eines alten Feigenbaums.
* * *
So derb auch die Erinnerung war, nahm ich sie
doch ohne dem Feigenbaum zu fluchen vielmehr mit einer Resignation
auf, die gewiß jedem so vor den Kopf gestoßenen Philosophen
Ehre würde gemacht haben. Ich ließ nur die Schmerzen ein wenig
verrauchen, die mir meine Umarmung verursachte, dann trat ich und zur
Genüge abgekühlt meinen Rückweg an.
Als ich den Fichtenberg beynahe erreicht hatte,
hört ich mir zurufen. Ich blickte auf, und sah das artigste ländliche
Gemälde, das man sich vorstellen kann sah den Berg herunterwärts,
durch das Gebüsche durch, einen Nymphengestalt, leicht wie der Zephir
kurz eben die kleine liebe Margot auf mich zufliegen, der zu Ehren
ich das Zeichen an der Stirne trug. Eine Strecke tiefer im Busche brach
auch Johann hervor, und ganz im Hintergrunde sah ich auch meinen Wirth,
mit einer Hacke bewaffnet, ansteigen.
Lieber Herr" schrie Margot, als sie näher
kam, und fiel mir athemlos in die Arme um des Himmels Willen, wo sind
Sie so lange geblieben? Was haben Sie mir was haben Sie uns allen nicht
für Sorge gemacht? Schon seit einer Stunde (sollte das Ahndung gewesen
seyn, Eduard?) suche ich und Johann Sie auf diesem abscheulichen Berge.
Wir haben alle Höhlen, alle Gebüsche durchkrochen. Wo? wo sind
Sie doch nur gewesen?" Und nun trat Johann, und nun auch Blaise herbey,
und wiederholten dieselbe Frage.
Je nun, liebe[n] Kinder," antwortete ich lächelnd
von einem so angenehmen Spaziergange, als ich heute gehabt habe, kommt
man leicht später zurück, als man sollte. Du hättest mich
nur um ein paar Stunden eher aufsuchen müssen, Margot, um mit mir
zu theilen, und dir die lächerliche Angst zu ersparen, die du wahrscheinlich
meinetwegen gehabt hast."
Ja, die hat sie gehabt," nahm Blaise das Wort,
sie hat sich recht kindisch bezeigt."
Indem, und da ich zufällig den Hut abnahm,
um mir den Schweiß abzutrocknen stieß sie, als sie meine
blutrünstige Stirn erblickte, einen überlauten Schrey aus. Habe
ich´s doch gedacht und gesagt," schrie sie mit weinender Stimme:
aber kein Mensch wollte mir glauben."
Was könnte man denn dir nicht
glauben, Margot?" fragte ich verwundert.
Daß Sie" fielen die andern ein, einem
Strauchdiebe in die Hände gefallen wären, der, wie sie uns gern
bereden möchte, den Fichtenberg unsicher macht."
Die Kleine, um sich zu rechtfertigen, drang
nun in mich, ihr die Wahrheit zu bestätigen, und wollte durchaus mit
dem Merkzeichen an meiner Stirne Beweis führen.
Nun ist kaum etwas Beschämenderes für
einen gesetzten Mann, als wenn er sich durch ein schwatzhaftes Kind an
den Pranger gestellt sieht. Ich bedachte, daß mein Auditorium nicht
so beschaffen sey, daß mir eine mythologische Erläuterung aus
der Verlegenheit hätte helfen können bedachte, daß Margot
nicht in Berlin in die Schule gegangen sey, und noch keinen Begriff davon
habe, daß man nicht alles, was uns gesagt wird, wörtlich verstehen
müsse und, da ich in dem Augenblicke nichts von Bestand zu antworten
wußte, suchte ich wenigstens vor der Hand nur Zeit zu gewinnen, stellte
mich eilender und hungriger als ich war, und bat die Kleine um die Gefälligkeit,
ein wenig voraus zu laufen, damit wir bey unserer Ankunft das Essen auf
dem Tische fänden. So etwas läßt sie sich nicht zweymal
sagen Sie flog wie Anakreons Taube davon, und Johann mit ihr, und ich
und mein Hauswirth trabten etwas bedächtlicher nach.
Unterwegs erzählte er mir, wie die Angst
des Kindes über mein ungewöhnliches Außenbleiben mit jeder
Minute, wie ein Wetterglas, immer höher und höher gestiegen sey
wie keine vernünftige Vorstellung dagegen hätte verfangen wollen,
und wie sie im Begriffe gewesen wäre, das ganze Dorf zu meiner Hülfe
aufzubieten.
Aber woher die Beule," fuhr er fort, die
Sie da über der Nase mitgebracht haben?"
Ich habe einen Feigenbaum umarmt, mein lieber
Mann," sagte ich.
So, so," versetzte er lachend, das kann einem
ja wohl geschehen. Vor einem Fehltritt ist niemand sicher. Aber geben
Sie Acht, unserer Närrin von Mädchen wird das zu alltäglich
seyn. Sie hat sich einmal den vermaledeyten Gaudieb in den Kopf gesetzt,
und sie wird sich´s nicht ausreden lassen, daß es nicht der
sey, der Ihnen den Schandfleck angehängt hat."
Der gute Mann dachte wohl nicht, daß
seine gerade Erzählung so anziehend für mich seyn würde,
als sie es war. Er war wohl weit entfernt, zu vermuthen, daß er
mir die beredsamste Schilderung von der Leidenschaft seiner Nichte zu mir
entwerfe, indem er sich über ihre Einfalt lustig zu machen glaubte.
Er hätte sich´s wohl nicht im Traume einfallen lassen, daß
mehr Wahrheitssinn in dem Kindergeschwätze der kleinen Margot verborgen
lag, als in manchen anderen Mährchen, die wir doch ohne Mühe
glauben. Aber freylich konnte er auch den geheimen Zusammenhang meiner
Kopfwunde mit dem, was seine Nichte albernes erzählte, nicht so gut
einsehen wie ich konnte freylich nicht ahnden, wie nahe hier Irrthum
und Wahrheit an einander gränzten.
* * *
Sobald wir zu Hause beysammen waren, setzten
wir uns mit gleicher Eßlust zu Tische, die Kleine ausgenommen, der,
vor übergroßer Neugier, mit der sie auch ihre Tante angesteckt
hatte, kein Bissen schmecken wollte. Nun aber war, wie du mir leicht glauben
wirst, meine Geschichte keine von denen, an die man sich gern erinnern
läßt die Zudringlichkeit der kleinen Närrin war mir daher
auch nicht sonderlich angenehm Gern wäre ich ihres Examens überhoben
gewesen; aber daran war nicht zu denken. So lange wir zwar vor der Schüssel
saßen, wies sie der Vetter gleich bey der ersten tollen Frage, wie
er es nannte, zu Ruhe: doch kaum waren wir aufgestanden, und der Bauer
und seine Frau an ihre kleinen Geschäfte gegangen, so saß mir
das schmeichelnde Geschöpf auch schon zu Seite; und, indem sie mir
warme Umschläge auf die Stirn legte, und mit ihren Händchen andrückte,
lispelte sie mir mit mitleidigem Ernste zu, ohne im geringsten zu argwohnen,
wie grausam sie mich persiflirte: Also haben Sie wirklich dem Strauchdiebe,
dem Amor begegnet? Mein Gott, wie müssen Sie erschrocken seyn! War
der Stein groß, den er nach Ihnen warf? und wie haben Sie es angefangen,
daß Sie ihm noch lebendig entkommen sind? Erzählen Sie mir alles,
aber so genau, so umständlich als möglich."
Margot", sagte ich, um meinen Herzstichen
mit Einemmal ein Ende zu machen, das ist mit zwey Worten zu erzählen.
Ich sah den Unhold, vor dem ich dich gestern warnte, doch nur von weitem
faßte das Herz (bey dir würde es Verwegenheit seyn) ihm
nachzueilen glaubte ihn schon zu ergreifen, stieß mich aus blinder
Hitze an den Baum, hinter den er sich steckte die Beule siehst du, die
ich mir schlug und wie ich mich umsah, war er entwischt."
Entwischt?" wiederholte sie: Nun das ist
mir Ihrentwegen recht lieb, Es ist immer das sicherste, wenn man nicht
selbst laufen will. Was gehen Ihnen," setzte der kleine Naseweiß
hinzu, unsere Buschkläpper an? und was hätten Sie in aller
Welt mit diesem anfangen wollen gesetzt Sie hätten ihn nun auch
erhascht? Wollten Sie ihm seinen Prozeß machen? Dazu ist
unsre Gemeinde zu arm."
Du hast Recht, meine kluge Margot," antwortete
ich so ernsthaft, als es mir möglich war: Es mag wohl eine Uebereilung
von mir gewesen seyn deswegen thust du mir auch einen Gefallen, nicht
viel weiter davon zu schwatzen. Aber ich dächte, liebes Mädchen"
indem ich sie scharf in die Augen faßte du wärest seit
gestern und heute viel neugieriger, viel furchtsamer und auch viel theilnehmender
geworden, als ich dich bisher gekannt habe?"
Eine schnelle Röthe ich stehe nicht
dafür, Eduard, ob nicht der Grund davon in dem Bewußtseyn zu
suchen war, das ihr von ihrer ersten unruhigen Nacht zurück blieb
überzog das Engelsgesichtchen, und contrastirte allerliebst zu ihrer
sichtbaren Verwunderung über meine unvermuthete Frage. Beynahe hätte
mich meine kleine Leichtfertigkeit gereut. Indeß gewann ich doch
so viel damit, daß sie ihr neugieriges Gespräch, vermuthlich
in der Voraussetzung abbrach, daß ich auch dafür das meinige
nicht fortsetzen würde.
Unter diesem stillschweigenden Vertrage, den
jedes auf das heiligste erfüllte, erreichten wir in gewöhnlicher
guter Laune den Abend. Ich suchte zeitig mein Bette, aus eigenem Triebe
sowohl, als auch um meinen Freunden, die nicht weniger ermüdet zu
seyn schienen, die Freyheit zu verschaffen, das ihrige zu suchen.
* * *
Schon hatte ich mein summendes Haupt in das
Kissen gehüllt, und sah den friedlichen Schlaf sich nähern
als das Schicksal, das mich heute zu seinem Ball ausersehen zu haben schien,
mir noch eine eben so unerwartete als harte Prüfungsstunde in den
Weg warf. Das mitleidige Kind hatte, mit Hülfe Johanns, dürre
Kräuter von dem Oberboden geholt, die sie zur Bähung meiner Wunde
für dienlich hielt, und die ihr noch beifielen, wie sie eben in das
Bette steigen wollte. Das hielt sie nicht ab, in bloßen Füßen
und ohne Licht darnach zu gehen. Johann hatte Feuer anfachen müssen,
um den Wein warm zu machen, in welchem die Kräuter gebeizt wurden,
und auf Einmal trat das gute Mädchen leise vor mein Bette, schlug
die rauchende Masse in ihr Halstuch, das sie abthat, um es mir um die Stirne
zu binden.
Kind," sagte ich, was beginnst du? Du machst
dir eine unnöthige Mühe."
Das dächte ich doch nicht," antwortete
sie spöttelnd: Oder denken Sie etwa, daß Ihnen Ihre blaue Stirne
gut steht?" Zugleich bog sie sich über mein Bette, legte mir das Tuch
an, und indem sie es zusammenknüpfen wollte, geschah es, daß
durch die Richtung, in die ich jetzt, des Knotens wegen, nach ihr hingezogen
ward, mein Gesicht auf den schönsten jugendlichsten Busen zu ruhen
kam, der wohl je unter den Küssen eines Mannes gezittert hat.
Welche geheime magische Verkettung aller Dinge!
So erzeugte meine Morgenschwärmerey für den ruhigen Abend eine
Wirklichkeit, deren Keim ich nimmermehr in dem unsanften Augenblicke würde
geahnet haben, der mir heute die Stirne zerstieß.
O Margot," flüsterte ich ihr zu, indem
ich nicht widerstehen konnte, meine Arme um den schlanken Wuchs dieses
lieblichen Mädchens zu schlagen. Du o um wie viel rührender
könntest du meine Schmerzen zertheilen verjagen in Entzücken
verwandeln!"
So sagen Sie doch wodurch?" flüsterte
sie mir entgegen, ohne mir nur einen Grad der Wärme zu entziehen,
die mir meine glückliche Lage verschaffte.
O du" fuhr ich nach einer, der höchsten
Empfindung gegönnten Pause, in schmelzender Zärtlichkeit fort:
wie soll ich dich nennen, Kind der unverfälschten Natur? O wüßtest
du, meine Margot, das ganze Geheimniß dieser Wunde, die schönste
Beute, die ich jemals dem Amor abjagte! O möchtest du jetzt den
Kampf meines Morgens belohnen! Ja ich sehe schon meine Athletenkrone mit
den blühendsten Sprößlingen durchflochten, die je das Mitleid
der Liebe gereicht hat." Und das leichte, geschmeidige, ätherische
Wesen, das während dieser Hymne unter der Federkraft meiner Arme unmerklich
immer höher und höher bis über den Schwerpunkt gehoben,
halb über mir schwebte sank jetzt der Engel sank tiefer immer
tiefer endlich zu mir herab und nun erst erschrak ich vor dem Glanz
seiner Würde.
Es war nicht das Erstemal, Eduard, daß
der feine Betrug, den jede symbolische Sprache mit sich führt, mir
einen Streich spielte aber nie vereinigten sich mehr Umstände, die
eine Bildersprache gefährlich machen können, als in diesem kritischen
Augenblicke. Unschuld und Mitleiden kamen ihrem geheimen Sinne zu Hülfe
Amor war uns kein Ideal aus der Chimärenwelt, so wenig als es die
Beule war, die er mir auf die Stirn drückte, als ich seiner Gottheit
zu menschlich entgegen strebte. Zu Athen hätte mir dieses sichtbare
Kampfmal eben so gewiß Ruhm und Almosen verschafft, als dem heiligen
Franz seine Stygmen, die ihn vor andern subalternen Menschen auszeichneten.
Dieß Gefühl meiner Erhabenheit,
und die der Andacht ähnliche Duldung des gefälligen Kindes, wie
weit hätten sie uns nicht verschlagen können! Margot, ich bin
es gewiß, würde in dem süßen Gedanken meiner Linderung
so unbefangen, wie sie das seidene Halstuch ablegte, um es mir um die
Schläfe zu winden mit derselben verdachtlosen Güte, mit der
sie mir den freyen Gebrauch ihrer natürlichen Wärme verstattete
auch eben so theilnehmend jene mystischen Sprößlinge, von
denen sie mich lallen hörte in meinen Athletenkranz verflochten
haben, ohne es für etwas viel mehr als ein einfaches Hausmittel zu
halten. Aber auf Margots Busen selbst unternahm ich es, meine figürlichen
Wünsche, meine sublimen Tropen in gutes derbes Deutsch zu übersetzen;
und da brachte ich zu meinem eigenen Erstaunen einen Sinn heraus, vor dem
ich erschrak.
Wie ein Verbrecher, der durch den Glauben beruhigt,
daß der Teufel sein Spiel mit ihm getrieben habe, vor die Schranken
trat sie jetzt in Verzweiflung verläßt, nachdem der Richter
dem verrätherischen Sprichworte seine symbolische Decke abzog so
zitterte auch ich vor mir selbst, und die Wahrheit gewann.
Ich danke dir, Margot," sagte ich mit männlicher
Stimme, indem ich meine Umarmung aufhob und ihr wieder auf die Beine half
für dein Mitleid deine Umschläge und deine natürliche
Wärme. Sie thut mir wohl, aber die Ruhe wird mir noch besser thun.
Lege dich nun auch schlafen. Morgen will ich dir dein Halstuch wieder
geben."
Indem gleitete der sanfte Strahl des aufgehenden
Mondes über mein Bett. Unter seiner Erleuchtung entfernte sich Margot
mit ihrer ganzen herrlichen Unschuld und ich mag doch der ganze Hof
von Berlin über mich lachen dünkte mich größer als
Scipio und hatte eine ruhige Nacht.
* * *
Den 29sten December.
Gottlob! Meine Stirn ist von dem Schandflecke
von gestern geheilt. Ich verließ, heiteren Gemüths, mein Lager,
setzte mich sogleich an meinen Schreibtisch, und vertraute, ohne Erröthen,
die Geschichte meines vorigen Tages meinem Journale.
Wie ich damit fertig war, verließ ich
meinen Verschlag, suchte das gutmüthige Mädchen auf, und gab
ihr mit freundlicher, offener Miene, und vor den Augen ihrer Verwandten,
das Halstuch zurück, das sie mir auf eine Nacht geborgt hatte. Aber
ich weiß nicht sie kommen mir alle heute ein wenig betreten vor
Sollte ihnen eine Unannehmlichkeit zugestoßen seyn? Das sollte
mir leid thun. Sie scheinen sogar mich vermeiden zu wollen, gehen vor
das Haus und flüstern zusammen, das ich gar nicht an ihnen gewohnt
bin. Was mich aber am meisten verschnupft, ist auch die kleine Margot
hat Herzklopfen, ohne mir Rechenschaft davon zu geben. Ich solchen Augenblicken
muß man seinen Freunden Platz machen doch kann mich das Mädchen
heute wohl begleiten.
Ich hatte meinen Hut und Stock mit Geräusch
aus dem Verschlage geholt, stäubte den einen ab, und besah so genau
den andern, als ob ich noch kein Eichenholz in meinem Leben gesehen hätte:
aber es half nichts. Margot bezeigte heute keine Lust mitzugehen, und blieb
unbeweglich in ihrer Ecke sitzen. Ich reicht ihr die Hand im Vorbeygehen,
die sie mit einer Rührung drückte, die mir an das Herz ging.
Was beginnen doch diese Kinder zusammen?" dachte ich, und verließ
sie ganz betroffen. Johann folgte meinem Beyspiele und gab mir dadurch
eine neue Gelegenheit, seinen feinen Tact zu bewundern. Ich winkte ihm,
mir zu folgen, und so erstiegen wir beyde, jeder in seine Gedanken für
sich, den Gipfel des wohl bekannten Berges.
Hier setzte ich mich, und ließ meinen
Augen die Freyheit. Johann stand neben mir, und schien, wie ich, in der
Bewunderung der herrlichen Aussicht verloren. Mein Herr," unterbrach
er endlich die Stille Sie können gut in die Ferne sehen
Entdecken Sie wohl dort, gleich neben dem kleinen Gebüsche einen
ganz schmal zugespitzten Thurm?"
Ich sah hin, konnte aber nichts erkennen.
So muß ich doch," fuhr er fort, noch
bessere Augen haben als Sie. Wissen Sie wohl, daß der Thurm zu dem
Dorfe gehöret, wo Margot her ist?"
So!" antwortete ich darauf, und sah noch
einmal hin.
Nach einer kleinen Pause fing er wieder an:
Es soll ein ganz nahrhafter Ort seyn."
Ich drehte mich nach ihm um, und da stand er
mit gefalteten Händen, und blaß wie ein armer Sünder, vor
mir.
Was fehlt dir, Johann?" fragte ich hastig.
Und nun kam etwas an den Tag, das mich so lebhaft an einen Vorfall erinnerte,
der in meiner Jugend einem Professor der Physik zu Würzburg *) begegnete,
daß ich der Lust nicht widerstehen kann, ihn dir als einen brauchbaren
Uebergang in das Folgende und als einen Beweis zu erzählen, daß
auch die aufgeklärtesten Köpfe einmal in ihrem Leben in den Fall
kommen können, hintergangen zu werden.
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*) D. Johann Bartholomäus Adam Beringer, Rath und
Hofmedicus des Fürsten Bischofs von Würzburg, Professor d. Z.
Decanus und Senior der Universität daselbst. Sein Werk führt
den Titel:
Lithographiae Wirceburgensis,
ducentis lapidum figuratorum, a potiori insectiformium, prodigiosis imaginibus
exornatae specimen etc. Wirceb. 1726.
____________________
Dieser gelehrte Mann also sammelte Naturalien,
und hatte das besondere Glück, eine Sandgrube ausfündig zu machen,
die unglaublich reich an den seltensten Versteinerungen war. Stelle dir
sein Vergnügen vor, wenn er nach jedem heimlichen Besuche derselben,
alle Säcke mit Cabinets=Stücken gefüllt zurück brachte!
Auch wuchs seine Sammlung in kurzem zu einem Reichthume an, der alle andere
in diesem Fache verdunkelte, und ihm den sehr natürlichen Gedanken
eingab, in einem gelehrten Werke seine glücklichen Entdeckungen
durch beygefügte deutliche Abbildungen den ganzen Werth dieser Kostbarkeiten
der Welt bekannt zu machen, sicher, das Erstaunen aller Kenner dadurch
zu erregen. Er habe," sagte er sehr bescheiden, diese natürlichen
Wunder diese so deutlich in Sandstein verwandelten Vögel und Frösche,
Eidexen, Fledermäuse und menschlichen Glieder, unmittelbar aus den
Händen der Natur erhalten, sie selbst in den glücklichsten Stunden
seines Lebens ausgegraben, und auf ihr in Kupfer gebrachten Abzeichnungen
die gewissenhafteste Sorgfalt verwendet."
Es thut einem selbst wohl, wenn man den gelehrten
Mann so von Selbstzufriedenheit strotzen sieht, und es ist gewiß,
daß nichts der verdienten Ehre seiner mühsamen Entdeckungen
einigen Abbruch thun konnte, als der kleine Umstand, den er erfuhr, als
eben der letzte Bogen seines tiefsinnigen Werkes unter der Presse war:
das nehmlich zwar nicht die bildende Natur selbst, aber doch ein Freund
derselben, Urheber aller der vorbeschriebenen Seltenheiten sey. In schalkhafter
Laune hatte einer seiner Collegen, der freylich nicht die Folgen voraus
sah, alle jene Dinge von einem gemeinen Steinmetz fertigen lassen, und
sie allemal den Abend vorher dahin vergraben, wo er schon wußte,
daß der Professor sie den Morgen darauf suchen und finden würde.
Wie die erste Wuth über einen so unzeitigen
Spaß die ich dir selbst überlasse, sie dir in ihrem ganzen
Umfange vorzustellen ein wenig verkühlt war, er sich nun genug abgehärmt
und ausgeschämt hatte, so faßte er den besten Entschluß,
der ihm übrig blieb, um eines Theils seinen einmal gedruckten theuren
Folianten noch einigermaßen für Bibliotheken nützlich zu
machen, andern Theils um nicht selbst, wenn er seinen Verdruß im
Stillen verschluckte, ein Gallenfieber davon zu tragen. Er setzte sich
also, ziemlich gefaßt, an sein Schreibepult, erzählte, in einem
Anhange und in sehr gutem Latein, seinen Unfall aufrichtig, und überraschte
den gütigen Leser, der bis dahin seinem Werke die verdiente Aufmerksamkeit
geschenkt hatte, nicht wenig mit der unerwarteten Nachricht, daß
von alle dem, was er vorher gelesen hätte, auch nicht eine Sylbe wahr
sey. Gutmüthig vermahnt er sie zuletzt alle, sich an seinem Exempel
zu spiegeln, und die Liebhaberey ja nicht bis zur Blindheit zu treiben.
Er gesteht, daß, da er jetzt die Originale ohne Vorurtheile untersuche,
er nicht begreifen könne, wo er seine Augen gehabt habe hofft, daß
seine künftigen Schriften durch seine gemachte Erfahrung nur desto
mehr gewinen würden, und bietet zu seiner Bestrafung die gegenwärtige
um den halben Ladenpreis an.
Man wird, wenn man das so liest, dem Professor
für seine seltene Aufrichtigkeit wieder recht gut: und welcher vernünftige
Mann wollte nicht wie ich auch gethan habe seinem Folianten, etwan
neben Lavaters Bilderbuche, einen Platz in seiner Bibliothek gönnen?
Glaube nicht, lieber Eduard, daß dieses
Geschichtchen hier am unrechten Orte steht, und höre nun mit mehr
Aufmerksamkeit, als du mir hoffentlich bisher gegönnt hast, die Fortsetzung
des meinigen.
Jedes Wort, das Johann vorbrachte, gab mir
einen Stich in´s Herz, und trieb mir das Blut in´s Gesicht.
Alberner ich schwör´ es dir zu bin ich mir in
meinem Leben nicht vorgekommen, als da ich, während daß der
Kerl von seiner heißen Liebe zu Margot, und ihrer eben so feurigen
Gegenliebe, mir vorstotterte, mich an meine schöne Tiraden über
die Ungleichheit der Stände über die gefundene ächte Perle
und an all den Unsinn erinnerte, der mir einige Tage her durch den Kopf
und durch die Feder gegangen war. Mein Zustand glich zuletzt förmlich
der Stupidität, in die gewöhnlich nur große Gelehrte fallen,
wenn ihnen im gemeinen Leben in ihrer Küche und ihrem Keller etwas
aufstößt, das nicht sogleich in ihr System paßt. Ich staunte
vor mich hin, und verlor die Hälfte von dem, was Johann auskramte.
Ja, lieber Herr," fuhr er eben fort, als ich
meine Gedanken endlich besser zusammen nahm nun wissen Sie mein ganzes
Anliegen. Es hat mir und Margotchen immer auf der Zunge geschwebt; aber
mein Gott! keines konnte Herz genug fassen, es an den Tag zu bringen,
und jedes wollte es dem andern zuschieben. Vorgestern noch, wie wir den
ganzen Morgen zusammen vertändelten es war den Tag, wie sie mich
in die Stadt schickten "
Und wie habt ihr ihn denn vertändelt?"
unterbrach ich ihn neugierig.
Ach es ist nicht der Rede werth," versetzte
Johann: Das Mädchen zeigte mir nur ein wenig den Gang und die Vortheile
des Seidenbaues sagte mir, daß die Liebe dieser kleinen Würmer
Segen über das ganze Land verbreitete, und daß, wer nur mit
einiger Sorgfalt die Begattungs=Freuden dieser kleinen Geschöpfe Gottes
beförderte, reichlich dafür wie für eine gute Tat belohnt
würde. Und darüber kamen wir so ganz natürlich auf unsre
eigene Liebe und unsern künftigen Haushalt. Ein Wort gab das andere
und ein Kuß folgte dem andern, und da = = = Was wollte ich doch
sagen? Ja, da faßte Margot Muth, und gab mir die Hand darauf, denselben
Tag noch mit Ihnen davon zu sprechen. Ich will dir, sagte sie, bis
an das Thor entgegen kommen und deinen Herrn mitbringen. Unterweges
will ich ihm erzählen, wie sehr ich dich liebe will um dich anhalten;
und damit du gleich wissen kannst, wie die Sache steht, wo will ich dir
auch ein Zeichen angeben. Siehst du Komme ich dir allein entgegen gehüpft,
so ist es gut halte ich aber deinen Herrn an dem Arme ach so denke
nur, daß wir unser Geheimniß noch für uns haben." Wie
ich nun aus dem Stadtthore trat, sah ich mit pochendem Herzen Sie beyde
auf der steinernen Bank sitzen sah die Kleine geschwind aufsteigen
ach aber, was gab es mir nicht für einen Stich, als ich bald darauf
auch sah, wie sie ihr Händchen so artig um Ihren Arm schlang!"
O Montagne! Montagne!" rufte ich hier mit
knirschenden Zähnen aus: du hast Recht, daß die Katzen oft
mit uns spielen, wenn wir glauben, wir spielten mit ihnen."
Johann verstand so viel Französisch, daß
er sich einbildete, ich hätte etwas über den Berg gesagt, und
herzlich schief darauf antwortete. Doch mir war es jetzt nicht gegeben,
über den geringsten Mißverstand zu lachen.
Ja, das war es auch," erwiederte ich aber
fahre nur fort."
Was ist da noch fortzufahren, mein gütiger
Herr?" versetzte Johann. Gott weiß es, daß es mir in der Seele
weh thut, daß ich um meine Entlassung bitten muß: aber mein
Platz ist ja wohl noch zu ersetzen. Es ist ein gar zu gutes Mädchen,
das mich so herzlich liebt, und ich wüßte nicht, wie unser eins
ein größer Glück in der Welt machen könnte."
Unser eins?" wiederholte ich, und kaute verdrießlich
an den Nägeln.
In diesem Lande" stotterte er ferner ist
es leicht, sich durchzubringen, leicht, eine Frau zu ernähren, zumal
eine selbst fleißige und wirthschaftliche Frau, als Margot schon
aus Liebe zu mir seyn wird. Noch gestern Morgen als wir Sie hier auf
diesem Berge suchten, und wir gerade auch auf diesem Platze traulich bey
einander saßen, hat sie mir und ohne viel zu sagen gewiß
unter tausend Küssen, hat sie mir versprochen, alles aus sich zu machen,
was ich nur wollte."
Unter tausend Küssen!" dachte ich, das
ist abscheulich!" und hätte jetzt viel darum gegeben, wenn ich den
einzigen wieder zurück gehabt hätte, bey dem mich der Tragödien=Schreiber
überraschte. Ich verwünschte die kleine Verrätherin, die
für einen andern als mich so beredt stammeln und erröthen, und
einem andern als mir so feurige Küsse geben konnte. Es kam mir nun
ganz ausgemacht vor, daß sie meinen Mops vergiftet habe, um mich
um alle meine Reisegefährten zu bringen. An das gestrige Blatt meines
Tagebuchs konnte ich nicht ohne Groll gegen mich und sie denken, und du
hast es bloß dem Doctor in Würzburg zu danken, daß ich
dieses demüthigende Blatt nebst einigen vorher gehenden nicht in tausend
Stücken zerrissen, und dich um die Nutzanwendung gebracht habe, die
du daraus ziehen kannst.
Da ich, so sehr es mich auch schmerzte, einen
treuen Bedienten auf eine so hinterlistige Art zu verlieren, doch eigentlich
nichts hervor zu kramen wußte, was Bestand gehalten hätte; so
sagte ich ihm in der Verlegenheit: Das ist alles gut, Johann aber der
Unterschied der Religion?"
Damit" war seine geschwinde Antwort, hat
es hier nichts zu sagen, wie mich Margot versichert hat.
Hat sie das?" fiel ich ihm ein, und schüttelte
den Kopf.
Ja wohl, mein bester Herr," fuhr er fort.
Sie laufen auch hier den Heiligen nicht so nach, als anderwärts.
Der große Christoph allein ist in einigem Ansehen, und das mag
er meinetwegen seyn. Entschließen Sie Sich nur, mein bester Herr;
denn ohne Ihre Erlaubnis will mich das Mädchen durchaus nicht nehmen.
Das ist die einzige Bedingung, die sie und ihre Verwandten bey meinem Antrage
gemacht haben; und auch ich trauen Sie es mir zu! wollte selbst eher
noch meine Liebe zu Margot in meinem Blute ersticken, ehe ich Ihrem Befehle
zuwider meine Sache ausführen wollte."
Johann," sagte ich ernstlich, die Hauptschwierigkeit
ist, daß ich nicht weiß, wo ich in der Geschwindigkeit einen
andern guten Bedienten herbekommen will; und du weißt ja, daß
du dich verbunden hast, mich während der Reise nicht zu verlassen."
Doch auch dafür hatten die vorsichtigen
Leute gesorgt. Ach," fiel mir Johann hastig ein das weiß ich
nur zu gut habe es auch dem Mädchen gesagt und das ist auch der
Stein, der uns am schwersten auf dem Herzen gelegen hat. Aber, gnädiger
Herr, Margot hat einen Bruder, der ein schöner, wohl gearteter Bursche
seyn soll, und der morgen bey Ihnen anziehen kann, wenn Sie wollen. Sie
freut sich im voraus, ihn in Ihrer Livrey zu sehen. Der Gedanke war so
natürlich und doch ist er ihr erst gestern ganz spät gekommen."
Um welche Zeit ungefähr?" fragte ich.
Wie ich Ihnen sage," versetzte Johann, ganz
spät. Es war schon alles im Hause zu Bette, als sie wie ein Geist
die Treppe leise herauf zu mir auf den Boden gestiegen kam, um mir ihren
guten Einfall noch mitzutheilen
Das," fiel ich ihm wunderbar ärgerlich
in´s Wort, dächte ich, hätte Zeit gehabt bis den andern
Morgen."
Freylich wohl," sagte Johann: aber sie kann
nun einmal nichts vor mir auch nur eine Nacht auf dem Herzen behalten.
Doch daß ich weiter erzähle so war es doch auf der andern
Seite recht gescheut von ihr, daß sie auf den Boden kam denn sie
fand da einen verlornen Schachteldeckel mit Thymian und Salbey, und daraus
ist der Umschlag entstanden, der Ihnen so wohl bekommen ist. So ein geschäftiges,
thätiges Mädchen giebt es nicht mehr! Sie hätte gern noch
alles vor Nachts in´s Reine gebracht. Ueberlaß mir den Umschlag,
sagte sie mir, als er fertig war, ich will ihn deinem Herrn selbst
umbinden. Vielleicht trifft sich´s, daß ich bey ihm noch mein
Wort anbringen kann. Ach was könnte mir das für eine ruhige
Nacht machen!" Aber heute früh war sie wieder ganz muthlos und
ob ich es gleich nicht weniger bin was will ich machen? Ihre Abreise
rückt immer näher, und da ist es ja wohl die höchste Zeit,
daß ich erfahre, woran ich bin."
Ich gerieth in tiefe Gedanken. Ihr Wort,"
wiederholte ich mir einmal um das andere wollte sie bey mir anbringen?
Wohl gut, daß es unterblieb Gestern Nachts? In der Lage, worin
ich war? Das würde einen schönen Gegenstoß von widerlaufenden
Gefühlen gegeben haben! Wenn alle jene befeuerten Empfindungen auf
Einmal, so eiskalt so schnell so gallenbitter zurück getreten
wären wäre es ein Wunder gewesen, wenn mich der Schlag auf
der Stelle gerührt hätte?"
Während dieses Selbstgesprächs vergaß
ich den armen Johann. Wie ich wieder nach ihm hinblickte, fand ich sein
Gesicht so verstört, und ihn von der Folter der Ungewißheit
so zerrüttet, daß er mich erbarmte. Ich rieb mir die Stirne
griff mit Blicken des Muths in das Blaue des Himmels, und entschloß
mich.
Du bist nun zehn Jahre bey mir, Johann"
sagte ich gerührt hast mir redlich gedient, und ich habe mich an
dich gewöhnt. Aber deine Wahl ist zu gut, und die Liebe eines solchen
Engels von Mädchen wiegt alle Schwierigkeiten auf, die ich dir machen
könnte. Ich gebe dir die gesuchte Erlaubniß, und gebe sie dir
gern. Sey immer des guten Kindes werth, und seyd glücklich!"
Kaum daß ich ausgesprochen hatte, so
schlug der gute fühlbare Mensch seine Hände zusammen. Nun so
segne Sie Gott!" brach er mit untergemischten Thränen aus, segne
auch Sie bald mit einer würdigen reitzenden Gemahlin, die Sie für
alle die Güte belohne, die Sie mir in diesem Augenblicke erweisen!"
Er konnte vor Empfindung nicht weiter sprechen, und ich stieg um
mich von der Bewegung zu erholen, die mir der Ausdruck seiner Freude
(ich denke wenigstens, daß es so war) verursachte, langsam den Hügel
hinab, und sprach unterwegs meinem ein wenig aus seiner Fassung gebrachten
Herzen Muth ein, damit ich mit ganz entwölktem Blicke vor meinen Hausleuten
erscheinen möchte.
Sie erwarteten mich mit sichtbarer Unruhe vor
dem Eingange ihrer Hütte. Da sie aber aus der zufriedenen Miene
meines Johanns schon schließen konnten, wie die Sachen ständen,
so führten sie mich, ohne weitere Umstände, nur geschwind in
die Stube, wo ihre Nichte die Zwischenzeit in Herzklopfen zugebracht hatte.
Wie steht´s, Margot?" rief ich ihr
beym Eintreten entgegen, und legte alle meine mögliche Freundlichkeit
in meine Blicke. Nun hab´ ich´s doch weg, was du vorgestern
auf der staubigen Chaussee zu suchen hattest, und warum du dich auf der
steinernen Bank in so ernsthafte Gedanken verlorst. Deine unruhigen Nächte
deine abgeredeten Zeichen dein Nachtwandeln alle deine Geheimnisse
bis auf den Schachteldeckel sind verrathen. Wäre Johann nicht so schwatzhaft
du solltest ihn gewiß nicht bekommen So aber gehört er dir
von Rechts wegen. Ein so räthselhaftes Mädchen muß mit
einem Schwätzer bestraft werden."
Hier hättest du sehen sollen, wie die
kleine Unschuldige lebendig ward! Mit glühendem Gesichte, bebender
Brust, und Gott weiß, mit was allen für Reitzen, hing sie mir,
ehe ich es wehren konnte, an dem Halse und drang mir wenn du es so nennen
willst das droit de Seigneur
im Angesichte ihres Bräutigams auf. Ich erhielt ihren ersten Kuß;
denn ich muß es der Wahrheit zur Steuer sagen, daß, wo in den
vorigen Blättern von Küssen die Rede ist, nicht Einer darunter
ist, den sie mir gab den zweyten und die folgenden bekam der glückliche
Johann.
Gleich nach dem Essen gingen wir, nach der
bey Tische genommenen Verabredung, alle auf die Post. Wirth und Wirthin,
Margot und Johann, eines half dem andern auf seinen Esel, und alle trabten
was sie konnten dem Dörfchen zu, wo der Familien=Tractat geschlossen,
und die Austauschung meines Johanns gegen den Bruder der Margot zu Stande
gebracht werden sollte.
Ich wendete die Zwischenzeit zum Vortheile
meiner reisenden Freunde, so wie zu meiner eigenen Befriedigung an, und
theilte eine große Rolle meines erhobenen Wechsels in drey kleinere,
davon ich eine meinen Wirthsleuten eine meinem Johann und eine der
kleinen verrätherischen Margot zudachte. Nach diesem Rechnungsgeschäfte,
das erste, das ich nicht beschwerlich fand, setzte ich mich in meinen Verschlag,
erzählte dir, was du gelesen hast, und erwartete in seltener Gemüthsruhe
die Zurückkunft meiner Freunde.
Ihre vielfachen Geschäfte mußten
nicht die geringste Schwierigkeit gefunden haben, denn sie kamen eher wieder,
als ich sie, nach der Wichtigkeit ihrer Verrichtungen, erwarten konnte.
Sie wollten sich nicht zufrieden geben, als sie mich zu Hause fanden, und
hörten, daß ich Verzicht auf meinen Spaziergang gethan hätte,
um ihr Haus und meine kleine Wirthschaft darin nicht ohne Aufsicht zu lassen.
Sie erklärten dieses für eine beschimpfende Vorsicht für
ihre ehrlichen Mitnachbarn. Oder," trat Margot herzu fürchten
Sie etwa, daß der Strauchdieb vom Fichtenberge sich zu Ihrem Schreibtische
schleichen Ihre Papiere in Unordnung bringen, oder gar mitnehmen würde?"
Hauptsächlich" fuhr ich fort, um meine
Furcht, die sie so hoch aufnahmen, zu beschönigen bin ich zu Hause
geblieben, um mein Tagebuch bis heute zu schließen."
Und was ist ein Tagebuch?" fragte Margot,
und konnte vor Lachen kaum zu sich kommen, als ich ihr sagte daß
es eine Rechnung über Einnahme und Ausgabe der Zeit unserer Empfindungen
und unserer Irrthümer sey daß unter dieser letztern Rubrik
eine Beschreibung ihrer kleinen Person vorkäme, und daß ich
diese Rechnung einem Manne zuschicke, der fast täglich seinem Könige
welche abzulegen hätte, die nicht viel wichtiger wären." Sie
hatte große Lust, es nicht zu glauben, wenn es ihr nicht auch Johann
versichert hätte.
Bastian, mein neuer Bedienter, gefällt
mir sehr wohl. Er ist ein aufgeräumter, gewandter Bursche, von ungefähr
zwanzig Jahren, dem ich es ansehe, daß er sich eben so leicht würde
entschlossen haben, mit Cooken die Welt zu umschiffen, als er übermorgen
mit mir nach Avignon geht. Ich möchte ihm einen Thaler mehr über
seinen monatlichen Lohn geben, weil er seiner Schwester so ähnlich
sieht.
Der Abend verging mit der Erzählung ihrer
Reise, und alles dessen, was bey der Mutter der Braut vorgegangen und abgethan
war. Ich konnte nicht darzu kommen, aufmerksam zu seyn. Ich knaupelte
an allen den Räthseln, die mir das dreyzehnjährige Mädchen
seit unserer Bekanntschaft aufgegeben hatte und diese Stunde aufgab, und
versuchte, die letzten geschickter aufzulösen, als es mir, zur ewigen
Schande meiner Erfahrung, mit den ersteren gelungen ist. Ich wollte, daß
dieses Gedankenspiel aufhörte, denn sonst fürchte ich, daß
ich zu guter Letzt noch eine ganz leidlich unruhige Nacht haben werde.
* * *
Den 30sten December.
Die Trunkenheit der Freude, mit der sie gestern
einschliefen, schwebte noch diesen Morgen übermächtig auf ihrer
aller Gesichtern, und beförderte den neuen Rausch, dem sie sich so
gutwillig überließen.
Ich nahm gewiß einen warmen Antheil daran,
und ich hätte mich wohl sogar, als den Urheber desselben, für
den Vergnügtesten der Gesellschaft halten dürfen, wenn ich mir
diesen Vorzug, ohne erst bey meiner kalten Vernunft anzufragen, zugeeignet
hätte. So aber fühlte ich, mitten in dem allgemeinen Taumel,
das nüchterne Bedürfniß des Nachdenkens. Ich stahl mich
bis zur Mittagsstunde aus dem Zirkel dieser glücklichen Menschen,
und befand mich kaum mit mir allein auf dem einsamen Spaziergange, den
ich heute zum letztenmale um das liebe Caverac zog, als ich mich auch schon
über und über in der philosophischen Untersuchung über den
Werth, die Ursache, den Zusammenhang und die Bestandtheile meiner unläugbar
frohen Empfindungen verwickelt sah.
Diese Art geistigen Zeitvertreibs ist nun,
wie du aus Erfahrung wissen wirst, der mißlichste von der Welt, und
Gott weiß, warum so viele gelehrte Männer, von unserer Jugend
an, darauf los arbeiten, uns an dieses undankbare Grillenspiel zu gewöhnen!
Gemeiniglich hat man nichts weiter davon, als daß man das Wasser
trübt, in welchem man zu fischen gedachte seiner eigenen Figur,
die undeutlich genug daraus wiederscheint, eine tiefe Verbeugung macht,
und anstatt zufriedener nur um etwas gravitätischer in den Kreis
des Vergnügens zurück geht, aus welchem man ohne Noth getreten
ist.
Es ging mir, aufrichtig zu sagen, auch dießmal
nicht besser. So tiefsinnig auch die Betrachtungen meiner selbst seyn mochten,
so war doch ein vorüber gehendes beyfälliges Lächeln, das
ich mir, nach einer genauen Vergleichung meines Selbstgefühls zu Caverac
mit meinen Berlinischen Launen, zuwarf und ein bekümmernder Gedanke
an dich, der einzige Gewinn meines Nachforschens; und es ist noch sehr
die Frage, ob dieß Wiederkäuen der Seele, das ich wohl bis zur
Zeit des Mangels hätte aufschieben können, mir den unterbrochenen
Fortgenuß jener gesellschaftlichen Berauschung hinlänglich ersetzt
hat.
Damit indeß mein Selbstgespräch
mit allen den guten Warnungen, die ich dir, lieber Eduard, in Gedanken
an´s Herz legte, nicht ganz an den Zäunen von Caverac verhalle,
so soll es mein Tagebuch aufnehmen.
Du wirst es mir übrigens nicht übel
deuten, daß ich dich und den ganzen Hof von Berlin um mich her stellte,
um mich über euch alle zu erheben. Geschah es gleich nur der Kleinigkeit
wegen, um mir noch lieber zu werden, als ich mir schon war: so mußt
du bedenken, daß dieses für denjenigen, dem es gelingt, nichts
weniger als eine Kleinigkeit ist. Wollte Gott, ich könnte mir immer
mein trocknes Gemüße so würzen und jeden dürren Winkel
der Erde, wohin ich verjagt oder verschlagen werde, so belauben und ausschmücken
daß ich immer Elysium fände, wo ich wäre! Es ist wenigstens
das einzige Mittel für denjenigen, den seine Erziehung nun einmal
so verdorben hat, daß er nicht anders glücklich seyn kann, als
durch Hülfe der Vergleichung. Wohl mir," rufte ich also aus, nachdem
ich meine Empfindungen mit allen Gründen der Vernunft unterstützt
hatte:
Wohl mir, daß mir noch unverwöhnet
Die Lockung der Natur gefällt!
Ein solches Dörfchen, Freund, versöhnet
Mich mit dem Ueberrest der Welt.
Man wird des Lebens überdrüssig,
Bey aller Ebb´ und Flut der Stadt:
Doch hier geschäftig oder müßig,
Wird keiner seines Daseyns satt.
Kannst du den Werth der Wahrheit fühlen,
So ändre deinen stolzen Lauf;
Such´ unter ländlichen Gespielen
Die Freundschaft und die Tugend auf!
In unsern Sittenschulen tauschet
Man Falschheit gegen Falschheit ein:
Hier ist, was dir vom Herzen rauschet,
Wie eine Silberquelle rein.
Hier seh´ ich von den Fußgestellen
Der Zedern, in verdienter Ruh´
Dem Eifer meiner Kampfgesellen
Am Fuß des niedern Thrones zu,
Wie sie einander zu berücken
So helle sehend und so blind
Für Bänder und bemalte Krücken,
In nie gestilltem Aufruhr find.
Selbst ihres Führers Macht wie wenig
Naturvergnügen erntet sie!
Groß ist zu Potsdam unser König,
Froh ist er nur in Sanssouci.
Da wird er Mensch, irrt in der Stille,
Wie unser eins, im Mond herum,
Und denkt wohl auch: beatus
ille
Ut prisca gens mortalium.
Geh bald zurück zu den Gebückten,
Die fern von dir im Dunkeln stehn,
Wenn die mit Hermelin geschmückten
Dich liebevoll zu sich erhöhn.
Trau´ ihrem Schmeicheln nicht! Sie strecken
Nur gar zu gern die Krallen nach;
Selbst Doctor Luther ward zum Gecken
In Churfürst Friedrichs Vorgemach *).
____________________
*) Wenn Friedrich der Weise D. Luthern Audienz gab, begegnete
er ihm auf das gnädigste und herablassendste. Erst wenn sich der gute
Mann, voller Zufriedenheit über die ehrenvolle Aufnahme, entfernte
schlug er ihm entweder ein Schnippchen in der Tasche, oder stach ihm
wie der Ausdruck der alten gleichzeitigen Urkunde lautet einen Mönch,
welches nach Adelung so viel sagt, als einem die Feigen weisen. Man kann
denken, ob die Hofleute, von den Maitre=Chargen an bis auf die Edelknaben,
die Losung ihres gnädigsten Herrn verstanden haben.
____________________
Sey es dir Warnung, wie der Große,
Den treulos Mazarin erzog,
Der Gastfreyheit im sichern Schoose,
Mit Undank seinen Wirth betrog;
Wie er, von Fouquet´s Weine stärker,
Am Busen der Baliere flammt,
In einer Stunde, die zum Kerker
Den Mann, der ihn gelabt, verdammt *).
_____________________
*) Ludewig der Vierzehnte hatte den Untergang des Sürintendanten
Fouquet schon beschlossen, als er ihm noch die verrätherische Ehre
erwies, das prächtige Fest anzunehmen, das er ihm auf seinem Landhause
zu Beaux gab. Ohne die Vorstellung seiner Frau Mutter, Anna von Oesterreich
die es ein wenig zu stark fand, würde ihn selbst während dem
Feste in die ewige Gefangenschaft geschickt haben, zu der er ihn nachher
verdammte. Sein Hauptverbrechen bestand darin, daß er die nachmalige
Herzogin von Valiere schön fand, und ihr Anträge thun ließ,
ehe er noch wußte, daß der König bald nachher gleiche
Neigungen bekommen würde. Alle die beredten Verteidigungsschriften
Pelissons, die sich freylich nur über die Beschuldigungen verbreiteten,
die jener zum Vorwande dienten, konnten ihn nicht retten, da das Herz des
Königs selbst nicht edel genug war, ihm den natürlichen Wunsch,
und der damals seine Majestät noch nicht beleidigen konnte, zu einer
anderen Zeit zu verzeihen, wo er ihn selbst faßte, und, wie wir wissen,
königlich ausführte.
____________________
In Mitternächten ohne Schlummer,
In Tagen ohne Sonnenlicht,
Fühlt er die Fesseln selbst vor Kummer
Ob seines Königs Falschheit nicht.
Sein Fall macht alle Hofgesichter,
Die seines Blicks sonst lauschten, scheu,
Und nur ein armer Fabeldichter,
Voll hohen Muthes, blieb ihm treu *).
____________________
*) La Fontaine war, außer Pelisson, welcher den
Advocaten von Fouquet machte, der einzige Unbedachtsame, der es wagte,
das Unglück seines ehemaligen Beschützers laut zu bejammern,
anstatt einen neuen in dessen Nachfolger zu suchen. Er unterstand sich
sogar, den König mit einer Elegie zu behelligen, in der er auf´s
rührendste für den gestürzten Minister um Gnade bat. Dieser
Beweis seiner wenigen Lebensart brachte ihn so sehr um allen Credit bey
Hofe, daß der stolze Monarch, dessen Freygebigkeit sich doch sogar
auf die Gelehrten fremder Länder erstreckte für einen solchen
Schafskopf, als la Fontaine, nicht das geringste thun mochte. Der gute
Fabler lebte beynahe nur von den Almosen einiger wenigen Freunde. Er
dessen Schriften die Nation jetzt durch einen immer prächtigern Druck
nach dem andern, vor allen seinen Zeitgenossen ehrenvoll auszeichnet, hatte
nicht so viel, um sich ein neues Kleid schaffen zu können! Er der,
wie alle großen Schriftsteller, durch den Ausfluß seines Geistes,
auch nur als Kaufmannswaare betrachtet, seinem Vaterlande ein ewig fortwucherndes
Capital hinterließ, war selbst einmal im Begriff, über das Meer
zu gehen, um in der Fremde seinen Unterhalt zu suchen. Obige zwey Verse
auf Fouquet sind von ihm selbst entlehnt:
Jour
sans soleil,
Nuits sans sommeil,
Quelque peu d´air pour toute grace etc.
____________________
* * *
Es gehört unter die Glücksfälle
der Gedankenspiele, wenn wir unter den hundert Figuren, die unsere Einbildungskraft
bey solchen Gelegenheiten aufstört, unverhofft die Gestalt eines unserer
besondern Lieblinge erblicken. Das Schattenbild des guten la Fontaine zeigte
sich mir kaum, so verließ ich jedes andere, und hielt mich fest an
ihn, trollte gutmüthig hinter ihm drein, wie er, unbekannt mit seiner
Größe ohne je auf den Einfall zu kommen, sie geltend zu machen
sorglos um seine tägliche Nahrung und Kleidung durch die Welt fabelte.
Ich nahm ihn, wie er eben mit dem Buche Baruch in der Hand aus der Messe
kam, und nun an allen Ecken der Straßen die Vorbeygehenden mit der
Frage aufhielt, ob sie nicht wüßten wo der Verfasser wohne?
mit mit zu meinem Mittagsfeste, und ließ mir von ihm unterwegs
sein Fabel, les animaux malades
de la peste, vordeclamiren.
Ohne diese Aufmunterung würde ich vielleicht
Mühe gehabt haben, die schwarze Unterlage wieder los zu werden, die
ich so überaus weise als Folie gebraucht hatte, den Glanz meiner gegenwärtigen
Existenz noch mehr zu erhöhen; und ihm allein hatte ich es zu verdanken,
daß ich nicht über und über verstimmt zu meiner Gesellschaft
zurück kam, die inzwischen in dem ununterbrochenen Fortgenusse ihres
Vergnügens keinen Augenblick daran dachte, über die Natur und
die geheime Zusammensetzung desselben Rücksprache mit sich zu halten.
Ich übertrieb es, glaub´ ich, nun
wieder auf der andern Seite; denn ich möchte nicht, daß mich
ein weiser Mann fragte, wie ich meinen Nachmittag zugebracht habe. Ich
könnte ihm, Gott weiß es, nichts darauf antworten, als Ich
habe ihn vertändelt. Du weißt, Margot ist ein Kind, und da wäre
es ja lächerlich, den Verständigen in ihrer Gesellschaft zu machen.
Das läuft, das springt, das schäkert, und weiß noch in
keiner Sache, wie ihm geschieht. Wundershalber wollte ich hören, was
sich wohl für Begriffe von der Ehe und ihren künftigen Pflichten
als Hausmutter mache? Aber da fand ich alles so bunter unter einander
bey ihr, daß mir, an Johanns Stelle, angst und bange seyn würde.
Gegen Abend, nachdem wir über tausenderley
drunter und drüber geschwatzt hatten, brachte sie einmal wieder ihren
Strauchdieb auf das Tapet. Ich verwies sie damit an ihren Liebhaber Der"
sagte ich hat in der Oper zu Berlin, zwar nur von der Gallerie aus,
einen am Pranger stehen sehen."
Da ist ihm" fiel das Mädchen ein recht
geschehen. Aber geschwind sagen Sie mir, was hat er denn dort alles verbrochen?
denn ich höre gar zu gern Mordgeschichten und dergleichen."
Dinge hat er verbrochen," antwortete ich
wovon du dir keinen Begriff machen würdest, wenn ich sie dir auch
erzählen wollte."
Darüber kam sie auf einen Einfall, der
mich anfangs stutzig machte, mir nachher aber selbst so wohl gefiel, daß
ich von Stund´ an auf die ernstliche Ausführung desselben denke.
Wissen Sie was?" sagte die kleine Närrin
Wenn ich erst mit meinem Johann ein Jahr gelebt habe, und nun vierzehn
alt bin, da wollen wir Sie und meinen Bruder in Berlin besuchen. Sie haben
so manches von der Geburtsstadt meines Johanns fallen lassen, daß
ich begierig bin, das Wunderding zu sehen Ach! und die Freude," fuhr
sie fort, und schlug ihre beyden Händchen zusammen, nach so langer
Zeit den guten, lieben, vortrefflichen Herrn wieder zu finden, der hier
so gern mit mir spazieren ging der mir einen braven geliebten Mann zurück
läßt und meinen armen Schelm von Bruder so gütig von
meiner Hand angenommen hat!" Glaubst du wohl, Eduard, das Kind ließ
darüber ein paar warme Thränen auf meine Hand fallen, die mir
elektrisch mein ganzes Zellengewebe erschütterten.
Das ist einmal ein gescheuter Gedanke, Margot,"
sagte ich. Ja, ihr sollt mich beyde besuchen, und die Reise soll euch
nichts kosten. Gebt mir eure Hand darauf." Und wäre es nur, Eduard,
daß ich dich von der Wahrheit alles dessen, was ich von dem Mädchen
gesagt habe, überzeugen könnte, so sollte mir ihr Besuch lieb
seyn.
* * *
Den 31sten December.
Der letzte Tag des Jahres ist da! Das würde mich wenig bekümmern,
wenn es nicht auch der Abschiedstag von den besten Menschen wäre,
die ich jemals gekannt habe. Diese Betrachtung macht mir ihn feyerlich.
Ich darf mir meine innere Bewegung nicht merken lassen was würde
es nützten?
Sie setzen ohne Argwohn voraus, daß ich
diesen Abend wenigstens noch mit ihnen verschwatzen und vertändeln,
und meine Nacht in dem Weichbilde der kleinen Margot verträumen werde.
Wenn ich nach dem Essen meinen Hut und Knotenstock nehme, wird sie um
mich herum hüpfen, mir an der Thüre einen Kuß zuwerfen,
und mir eine baldige Zurückkunft von meinem Fichtenberge gebieten.
Die Thüre wird knarren und meine Rolle hier wird gespielt seyn.
Sobald der Tag zu verlaufen und man anfangen
wird sich nach mir umzusehen, soll Bastian auftreten und den Epilog halten.
Ich traue ihm zu, daß er ihn mit allem erforderlichen Anstand und
genau nach meiner Vorschrift halten wird. So kommen wir alle am kürzesten
davon. Die Geschenke, die ich ihnen zurück lasse, theilt Bastian nach
meiner Anweisung unter sie aus. Es wäre mir nicht möglich, der
erschütternden Szene beyzuwohnen, die das Erstaunen, die Danksagungen
und die Thränen dieser so leicht zu rührnden und zu befriedigenden
Menschen darstellen wird.
Das könnte mir indeß nur eine kurze
Ruhe verschaffen; denn in dem Ungestüm ihrer Empfindungen würde
die ganze freundschaftliche Caravane, ich bin es gewiß, mich bis
über die Gränzen verfolgen, wenn ich meinem Stellvertreter nicht
auch auf diesen Fall die gemessensten Befehle und die wirksamstzen Bitten
an sie zurück ließ.
Unterdessen, da dieses hier vorgeht, werde
ich meinen Pavillon zu Nimes einsam durchschreiten und ein Liedchen singen,
damit ich nicht höre, wie mir das Herz pocht.
Mein Tagebuch noch hat es in meinen Taschen
Raum nehme ich allein von hier mit. Meine übrigen kleinen Effecten
soll mir Bastian mit Anbruch des morgenden Tages nachbringen.
So wäre denn meine Abschiedsstunde von
Caverac mit so vieler Schonung meines wunden Gefühls angelegt, als
kaum ein Hofprediger der letzten Stunde einräumen kann, in der sein
Fürst aus der Welt geht.
Bastian soll unter acht Tagen seiner Verwandten
nicht gegen mich erwähnen. Das habe ich ihm bey meiner Ungnade eingeschärft.
* * *
Nimes.
Freund! Ich bin nun gerettet wie ein Fisch, der den Köder vom
Faden gebissen hat, und mit dem Angelhaken in der Gurgel davon schwimmt.
Hätte ich, zu einem Bettler herab gesunken, mein Land verlassen müssen,
wo ich als König regierte, bänger hätte mir kaum um das
Herz seyn können, als da mir nun die Wohnung der Unschuld und Freude
im Rücken und, abgeschnitten von allem was mir lieb war, die ganze
weite freudenlose Welt vor mir lag. Ach! nichts begleitete mich, als mein
trauriger Schatten. Mir fehlte Margots sonorische Stimme ich vermißte
den Nachtrab meines treuen schwatzhaften Johanns, und mein zerstreuter
Blick, der selbst manchmal sich nach meinem guten asthmatischen Mops umsah,
kehrte betroffen über seinen Verlust zurück. Und o wie viele
andere stachlichte Empfindungen die ich aus Zärtlichkeit gegen mich
nicht berühren mag kletteten sich nicht an dieses belastende Gefühl
von Trennung und Einsamkeit! Es war mir, als ob an jedem Pflasterstein,
über den ich auf meinem Wege fortschritt, ein Theil meines Eigenthums
hängen blieb, so daß ich es mit jeder Minute kleiner, unbedeutender
werden, und zuletzt in ein Nichts verschwunden sah.
Ich konnte es nicht über mich gewinnen,
auf der Chaussee fort bey der steinernen Bank vorbey zu gehen, auf der
sich meine Eigenliebe, und, wie du weißt, ganz ohne Noth, brüstete,
und aus einem Mißverständnisse, das ich mir noch nicht vergeben
kann, in so lebhafte Bewegung gerieth. In solchen Umständen, lieber
Eduard, ist es sehr bequem, wenn man neben der Landstraße noch einen
Rasenweg findet. Wie klein war indeß die Erleichterung, die ich mir
damit verschaffte! Denn, ob ich gleich weder Menschen noch Esel begegnete,
die mich an mein Dörfchen erinnerten, so konnte ich doch unmöglich
jedem Moose, jedem sprossenden Strauche, das den Moosen und Gesträuchen
auf dem Fichtenberge ähnlich sah, aus dem Wege gehen: und als ich
mir vollends einfallen ließ, einen seitwärts gelegenen Hügel
zu besteigen, so brachte ich mich auf einmal um allen Vortheil meines listigen
Umwegs; denn nun trat mir, in dem weiten Zirkel des freundlichen Languedocs,
den ich übersah, das kleine liebe Caverac so nahe vor die Augen, daß
sie mir übergingen, ehe ich es wehren konnte.
Ein Weilchen ließ ich meinem kindischen
Herzen seinen Willen: da aber der annähernde Abend die Gegend immer
mehr in´s Dunklere zog, so nahm ich den Zeitpunct wahr, ehe sie mir
entwischte, ihr meinen feyerlichen Segen zu geben. Es war ein süßer
belohnender Anblick, der mich über mich selbst erhob ein Gefühl,
wie es nur der heilige Vater haben kann, wenn er auf dem Balcon der Peterskirche
seine segnende Hand erhebt, und sein ganzes Volk in andächtiger Schwärmerey
von ihm zur Erde niederstürzet. Der Fleck, wo Margot wohnte, schien
noch, ehe er meinen Blicken verschwand, einen sanften Schimmer von sich
zu werfen, der meine Seele stärkte, erwärmte, beruhigte. Ich
ergriff guten Muths meinen Wanderstab, und suchte mich zu überreden,
ich wäre gefaßt und zufrieden
Überlege noch mit mir, Eduard, indem ich
unter dem Wiederscheine des Abendroths nach meinem Pavillon schleiche,
wie viele wichtige Geschenke, die vielleicht eine größere Summe
von Glückseligkeit umfassen, als das ganze Königreich Schweden
zu seinem Antheil erhielt, diesem von der Natur so begünstigten Winkel
der Erde und seinen Bewohnern zugefallen sind.
Die dreymal Glücklichen! Wie leicht
Wird´s ihnen nicht, in ihrem vollen Garten
Des Lebens Traum, durch Sorgen nie verscheucht,
Ganz durchgeführt, so weit er reicht,
In jener Einfalt abzuwarten,
Die dem Gefühl so gütlich deucht!
Die Freude tanzt hier ohne Regeln,
Der Scherz gesellt sich ohne Zwang
Zu ihrem Wein, zu ihren Kegeln
Und ihrem baskischen Gesang.
Sie haben das, was sie bedürfen:
Ein leichtes Blut und Lieb´ und Wein,
Und alle ihre Sinne schlürfen
Den Zaubertrank des Lebens ein.
Im Schatten ihres Oelbaums wohnen
Glück und Zufriedenheit. Kein Sturm der Leidenschaft
Jagt sie aus ihrer Ruh´ nach weit entfernten Frohnen
In´s magere Gebiet wurmstichiger Patronen,
Nach Gnadenmitteln ohne Kraft,
Und die der Müh´ des Wegs nicht lohnen
Giebt es für Wallungen ein sichrers, als den Saft
Von ihren kühlenden Limonen?
Wenn Colas Händedruck, im Ringeltanz
mit Rosen,
Die erste Scham des lieblichen Gesichts,
Den ersten Seufzer weckt, so fragt er nicht nach Mosen,
Nach den Propheten und dem großen
Christophel, wenig oder nichts.
Welch ein Elysium! Schon dreyzehn Jahre steuern
Des Landes Töchter aus. Ihr spähendes Gesicht
Trifft unter einem Trupp von Freyern
Bald auf den Glücklichen, dem nicht der Muth gebricht,
Auch ohne Heirathsglut der Liebe Fest zu feyern.
Willst du den ächten Ton von ihren Hochzeitsleyern,
So trällre nach, was oft der Spottgeist spricht:
Sie spinnen, säen, ernten nicht,
Und sammeln nichts in ihre Scheuern."
Doch sorge nicht für sie! Um einen Blätterschmaus
Hilft Amor hier ein Heer verliebter Spinnerinnen
Den Kindern der Natur gewinnen,
Die Schüsseln auf den Tisch, und Möbeln in das Haus,
Und Feuer auf den Herd erspinnen.
Kein leerer Raum läßt sich ersinnen;
Der Gott der Liebe füllt ihn aus!
* * *
Wie verzeichnet und verschossen kommen uns
doch unsere prächtigen und theuern Cabinetsmalereyen vor, wenn wir
sie auf eine Weile bey Seite räumten, und unsere Augen an den größern
Gemälden der Natur stärkten! Nimes mit seinen Antiquitäten,
seinen Gesellschaften und Gastmählern wie wenig ist es doch für
das Herz, gegen die ungeschmückten Freuden meines ländlichen
Aufenthalts, die keines Schmuckes bedurften! Mein Pavillon kam mir lächerlich
groß vor, wie ich eintrat. Ich setzte mich geschwind an mein Tagebuch,
um mir die Angst wegzuschreiben, die mich in dieser Einöde befiel,
und dem Schlafe freyen Eingang zu dem Herzen zu schaffen, das heute mehr
als jemals seines Balsams bedarf.
* * *
Ende des zweyten Theils.
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