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Moritz August von Thümmel: 
Reise in die mittäglichen 
Provinzen von Frankreich ... 
Dritter Theil.  1794 


Nimes.


den ersten Januar.


 Freund! daß ein frisches Gesicht, im Schatten wild fliegenden Haares,
Dem keine Feder, kein Schmuck den Bau der Locken verbog;
Ein Busen, welcher, bey Gott! mit allem, was er auch Rares
Entdeckt´ und verbarg, zwo Mirabellen kaum wog;
Ein kleines närrisches Ding, das gaukelnd — sonder ein klares
Bewußtseyn seines Berufs, mit dem Geschwätze des Stahres
Den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen umflog —
Daß eine Fee dieser Art jüngst auf ein eben so wahres
Als seltenes Weihnachtsgeschenk an ihre Tafel mich zog,
Und, als ich hungrig erschien, mich, wie wir wissen, betrog —
Für einen Schüler Berlin´s war das zum Schlusse des Jahres
Ein ärgerlicher Epilog!

     Doch daß, zu meinem Ruhm, es Welt und Nachwelt wisse!
Ich stahl bey dem Geräusch mir nicht bestimmter Küsse
Vom Schauplatz mich hinweg, und wie ein Held, verwies
Ich mir sogar den Blick, den hinter die Culisse
Die Lüsternheit mich werfen hieß;
Der letzte Rest von Amors Sorgen
Schwand mit dem Traum der letzten Nacht. —
Aus solchem Sturm der Leidenschaft geborgen,
Ist wohl nie muthiger am ersten Feiermorgen
Des Jahrs ein Philosoph erwacht! —

     So bang um den Ersatz, so ernst, als ein Verschwender
Das Gold, das er verlor, im Geist zusammen reiht,
Durchzählt´ auch ich den Werth der mir entflohnen Zeit,
Und webte mir ein Jahr im künftigen Calender
Aus Festen der Enthaltsamkeit.

     O Weisheit! rief ich aus, o du, die in der Mitte
Der Freuden sitzt, die keine Reu´ vergällt —
Entziehe mich der Schmach, die jede niedre Bitte
Um eines Weibes Gunst enthält!
Verleih´ daß ich, selbst unerschüttert
Im Brennpunkt einer Griechin steh´,
Und, wenn auch schon an ihrem Neligee
Das Band sich bläht, der Atlaß knittert,
Doch nicht in Gährung übergeh´!
Gieb, daß ein höhrer Zweck der Neugier Zügel lenke,
Und auch dem Glücklichsten, dem dort die Zeit verrauscht,
Doch nur armselige Geschenke
Auf Kosten seiner selbst vertauscht! —

     Ist´s möglich, daß ein Geist, der Sonnen zu erklettern
Vermag, und ihre Strahlen theilt,
Zum Thron des Ewigen in blitzerfüllten Wettern
Mit unversengtem Fittig eilt,
Nun diesen Fittig senkt, und kindisch sich verweilt,
Um eine Rose zu entblättern?
So tief sank Newton nie. An weis´re Sorgen band
Er seine Thätigkeit und seines Namens Ehre;
Zu stolz für sein System, das weniger Verstand
Als Mark erheischt — war ihm ein Kuß — ein Druck der Hand,
Und was ein Mann nur wünscht, daß ihm ein Weib gewähre,
Ein Spiel, daß er nicht werth der Untersuchung fand,
Unnöthig zum Beweis der Lehre,
Die er von dem Gesetz der Schwere
Der sträubenden Natur entwand.
Von allen Globen, die uns Licht
Und Ebb´ und Flut und Tag und Nacht gewähren,
Kannt´ er den Lauf und das Gewicht,
Hob alle Schleyer auf, das Dunkel aufzuklären,
Selbst von Johannes Traumgesicht: *)
Die Globen nur, die, wie ihr Schmeichler spricht,
Den Musen gleich, **) uns in der Kindheit nähren,
Als Mann, als Greis erfreun, selbst unsern Wohlstand ehren,
Und unsre Freunde sind, wenn Rath und Trost gebricht,
Nur die besuchtesten von allen Hemisphären
Besucht´ er nie und kannt´ er nicht. ***)

____________________
*) Er suchte die Apokalypse zu erklären, und brachte, wie es scheint, der menschlichen Schwachheit dieß Opfer, um sich, wegen seiner überschwenglichen Größe, mit den Menschen auszusöhnen.
**) Nach einer Stelle des Cicero pr. Arehia. Cap. 7. Haec studia adolescentiam alunt, senectutem oblectant, secundas res ornant, in adversis solatium praebent.
***) Er starb in hohem Alter, und, wie seine Section bewies, ohne je, bey vollkommnem Zustande der Mannheit, ihren Forderungen untergelegen zu haben.
____________________
 


* * *


Es ist eine herzerhebende Empfindung für einen Mann, der an seiner Vervollkommnung arbeitet, wenn er sich beym Erwachen, klüger wieder findet, als er sich den Abend vorher verließ. — Ich fühlte die frommen Morgengedanken, die ich dir eben mittheilte, mein Eduard, mir so nahe und so warm am Herzen liegen, daß ich sie, ehrlicher Weise, für sichere Anzeigen seiner Verbesserung hielt, und schon mit Vergnügen die guten Folgen davon berechnete; ein kleiner Umstand aber, der dazwischen kam, zeigte mir bald, daß es nichts weiter als philosophische Dünste waren, die gern so geschwind verfliegen als sie aufsteigen, und zu allen Zeiten wohl selten etwas beytragen mögen, die Gesundheit einer kranken Seele zu befestigen.

     Der gute Junge,den ich gestern miethete — ich hatte ihn ganz aus der Acht gelassen — trat seinen Dienst bey mir an, und pflanzte sich, da ich mich seiner am wenigsten versah, schön gekräuselt und in die Lievrey gekleidet, die sein Schwager ehrlich getragen und glücklich abgelegt hatte, vor mein Bette. Die Sache ging sehr natürlich zu, und doch kam sie mir als eine unerwartete Erscheinung vor, und erregte Ideen bey mir, die meiner armen Philosophie nichts weniger als zuträglich waren. — Urtheile nun selbst, wie es mit einem solchen Kopfe aussehen mag, den so gleichgültige Dinge schon aus seiner Fassung bringen. Das reisefertige Aussehen Bastians, sein freundlicher Glückwunsch zum neuen Jahre, und seine überraschende Frage: ob er das Anspannen bestellen solle? machten mich, eins wie das andere, mit mir selbst irre. — Ich blickte ihm ungewiß in das Gesicht, als ob mir eine dunkle Erinnerung von ihm vorschwebte, und runzelte, statt ihm zu antworten, die Stirn. Endlich merkte ich was mir war. — „Keinen Gruß von Margot?“ sagte ich heimlich zu mir; „das heißt deine Befehle fast zu pünktlich befolgt!“ und legte mich unwillig auf das andere Ohr. Er mußt mich noch ein paarmal mit der sonorischen Stimme seiner Schwester und mit den Aehnlichkeiten ihres lieben Gesichtchens erschrecken, ehe ich gefaßt genug war, ihm mit einem grämlichen Ja! abzufertigen. — Er verließ mich — und ich — nicht halb mehr so zufrieden mit mir als vor einigen Minuten, stand lässig auf; meine Morgenbetrachtungen blieben unvollendet in der Nachtmütze hängen, die ich abwarf, und ich trat mit einer Art von Trotz in das Nebenzimmer, wo eine Kleinigkeit, die meiner wartete, mich vollends, und eben so geschwind verstimmte, als sie mir in die Augen fiel.

     Es war eine Rose, die mir Bastian von seiner Schwester mit gebracht, und auf den Bogen, woran ich jetzt schreibe, gelegt hatte. Ich erkannte sie sogleich, wie ich ihrer ansichtig ward. Es war die oberste von den dreyen, die gestern noch als Knospen an dem Stocke hingen, den Margot täglich in die Sonne trug und begoß. — „Die erste die sich entfalten wird,“ sagte immer das liebe Kind, soll niemand bekommen als Sie, mein gütiger Herr!“ und wie wird sie sich freuen, daß sie mir noch Wort halten konnte! Ich hob die Blume zitternd in die Höhe, und die Thränen traten mir in die Augen. Alle die frohen Erinnerungen der ländlichen Stunden, wo sie mit aufgestreiften Aermeln vor ihrem Blumenstocke stand, ihn genau musterte, und bald eine summende Mücke, bald eine näschige Wespe davon verjagte — schienen jetzt mit dem Geruche dieser lieblichen Blume in mich überzuströmen, und ich konnte mich an der frischen Farbe dieser Erstlingin des Jahres nicht satt sehen.

     Du kennst doch die Provencer Rosen, trauter Eduard? Viel kleiner als die unsern, röther, elastischer und concentrischer, als es bey weitem unsre Centifolien sind, scheinen sie dem Auge eines Deutschen nur desto reitzender — und nun vollends so früh im Jahre, und in der feyerlichen Nacht entfaltet, die mich, ach! auf immer, von dem nachbarlichen Bette meiner guten Margot entfernt hat! Wäre es ein Wunder, wenn ich, trotz einem Brokes und seinem irdischen Vergnügen in Gott, über die Betrachtung dieser Blume zum Kinde würde? Ich habe sie zwischen meinem Busenstreife verborgen, nahe bey meinem pochenden Herzen, und würde es für Sünde halten, wenn ich sie mit prahlendem Leichtsinn auf meinem Reisehut stecken wollte. Nein! sie soll durch ihren sanften Gegendruck — durch den Aushauch ihres Wohlgeruchs, mir nur fühlbarer machen, daß ich noch athme, und ein Mensch bin; und selbst über ihre sterbenden Blätter will ich eine gewissenhafte Rechnung halten, sie, wie sie abfallen, in meine Brieftasche sammeln, und sie nur empfindsamen Freunden, als kostbare Reliquien aus dem heiligen Caverac, zeigen.

     Der ungeduldige Junge hat mir schon zweymal gemeldet, daß alles zu meiner Abreise fertig sey. Er that es, und das weiß ich ihm Dank — ohne des wichtigen Geschenks zu erwähnen, das er mir so heimlich zugebracht hat. Ich werde suchen ihm in der Unbefangenheit nachzuahmen, die er gegen mich über das Vergangene heuchelt. Ich will ihn von nun an nicht weiter als den Bruder meiner Margot, sondern als Johanns Schwager und meinen Bedienten betrachten, und nie gegen ihn meine Empfindungen laut werden lassen: denn, kann Etwas unserm Ansehen nachtheilig werden, so ist es wohl die Schwachheit unsres Herzens. Verrathe sie ja keiner, wer sich in jenem bey seinen Untergebenen zu erhalten wünscht! Die Hengste vor meinem Wagen wiehern und stampfen, und der Postillion knallt einmal über das andere. — So muß ich denn wohl mein Tagebuch einpacken. Ich muß fort, trauter Eduard, fort aus der paradiesischen Gegend, wo ich jenes herrliche Mädchen fand, das einzige vielleicht, das der Unkosten der Liebe noch werth ist.
 


* * *
 

Avignon Abends.


Kaum hatte ich mich heute Morgens mit meiner Provencer Rose in den Wagen, und Bastian sich mir gegen über zurechte gesetzt; so sah ich schon, daß ich eine Thorheit begangen hatte, ihm diesen vornehmen Platz anzuweisen. Sein Anblick war mir so sonderbar im Wege, daß ich beynahe an seine Stelle meinen alten schnarchenden Begleiter aus seiner Verwesung zurück gewünscht hätte, der mir, wie du weißt, immer zu einem guten Gedanken verhalf. Doch da der Mensch einmal da saß, mußte ich ihn nun auch schon sitzen, und mir gefallen lassen, daß sein spähendes Auge, manchmal zu einer ganz ungelegenen Zeit, den freyen Aufblick der meinigen hinderte.

     Ich ließ mir nicht einfallen, als ich durch die Stadt rollte, nur nach einem Fenster meiner Bekannten in die Höhe zu fahren, oder die römischen Alterthümer, so gewiß ich auch bey ihnen zum letztenmale vorbey kam, nur eines Abschiedsblickes zu würdigen. Dafür zog ich mein Fernglas aus der Tasche, wie ich in´s Freye kam, und hob es immer mechanisch vor die Augen, so oft mir die Wendung meines Wagens die Thurmspitze von Caverac zu Gesicht brachte. Welche bittersüße Erinnerungen wehten mir immer noch von dorther entgegen! Einigemal wurden sie so lebhaft, daß ich im Begriffe stand den Postknecht umlenken zu lassen; so groß war der Kampf meiner Nachwehen: ja, ich verzweifelte, daß die Zeit jemals im Stande seyn würde, dieses nagende Gefühl zu zertheilen.

     Indeß that ich der Zeit Unrecht, Eduard, und ich hätte mir diese Sorge ersparen können; denn ich will dir es nicht verschweigen, daß mir eine Stunde nachher die Sache lange nicht mehr so unmöglich schien. Mein Herz ward müde, länger für ein Mädchen zu pochen, das so weit hinter mir war, und meine sympathetische Rose verlor nach und nach immer etwas mehr von ihrer anziehenden Kraft. Ich fühlte nur noch, daß sie welkte, daß sie mir die Haut rieb, daß sie mir beschwerlich ward — schob sie ein paarmal seitwärts — und steckte sie endlich, da sie mir es zu arg machte, ohne mich weiter mit ihr einzulassen, in die Weste. Nun ging es, zu meinem Erstaunen auch mit jeder andern Beruhigung so geschwind, daß ich mich selbst darüber mit mir hätte verfeinden mögen. Ich machte mir Vorwürfe über Vorwürfe — nannte mich den Wankelmüthigsten unter dem Monde: aber es fruchtete wenig. Je weiter ich mich von dem guten Dörfchen entfernte, je näher ich dem Gebiete des Papstes kam, desto muthwilliger ward mein Blut, und ich betrat endlich das Comtat mit Ahndungen, die mir angst und bange für mich selbst machten.

     Als ich über die Französische Gränze hinaus war, steckte ich mein Fernglas ein, das mir zu nichts weiter dienen konnte, schlug munter meine Arme in einander, ließ meine Blicke einige Zeit mit Wohlgefallen auf dem hübschen Jungen ruhen, der mir gegen über saß, ward bald nachher seines ehrerbietigen Stillschweigens müde, und forderte ihn, indem ich zugleich mit Verwunderung nach meiner Uhr blickte, endlich selbst auf, mich von seiner Schwester zu unterhalten. Er schien nur auf meinen Befehl gewartet zu haben. Ich erführ von ihm, daß er das Haus in den großen Anstalten zu ihrer Hochzeitfeyer verlassen habe, hörte es ohne merkliche Bewegung, und, indem mir mancher im Geschmack des Ostade gelungener Zug seines Gemäldes ein gutmüthiges Lächeln abnöthigte, rührte es mich öfter noch durch die feinsten Züge, die selbst ein Poussin zu seinen arkadischen Bildern, oder ein Berghem zu einem Stilleben nicht würde verschmäht haben.

     Nachdem ich die Kunst seiner Darstellung lange genug bewundert hatte, und mancher verstohlne Blick, den ich mitunter dabey in mein Herz that, mich hoffen ließ, daß ich mich noch angenehmer mit mir selbst unterhalten würde, drückte ich meinen Hut um einen Zoll tiefer in die Augen, und legte mich in die Ecke des Wagens. Bastians Takt war auch fein genug, mich zu verstehn. Er besah den Aufschlag seines Rocks — blies eine Feder davon ab, und schwieg. Ungesucht legte sich nun das Glück so vieler guten Seelen, das ich mir aus dem Vorhergehenden deutlich genug vorstellen konnte, als der reichhaltigste Text meinen Betrachtungen unter: es stand, sammt allen seinen möglichen Folgen, in einem so sonderbaren Zusammenhange mit dem heillosen Schnupfen, den mir die Bise zu Nimes an die Nase warf, daß ich nicht genug den Zufall bewundern konnte, der so heterogene Dinge zu vereinigen wußte, um, wie es mir vorkam, durch den systematischsten Gang von der Welt, am Ende auch noch meine eigene Zufriedenheit zu bewirken.

     Ja wohl, Eduard, meine eigene Zufriedenheit! denn ich ging hier nicht so leer aus, als du dem ersten Ansehn nach wohl denken könntest. Wolltest du wohl das wieder erlangte Vermögen — um ein Mädchen seufzen, und den Glücklichen beneiden zu können, dem ihr Besitz zu Theil ward — für nichts achten? Wie wäre mir noch vor vier Wochen in Berlin so etwas eingefallen? — Der ganze Hof, von dem Vornehmsten bis zum Geringsten, hätte sich zwey- und dreymal verheirathen mögen — ich würde mich wenig um das Glück ihrer ersten Nächte bekümmert, noch weniger daran geglaubt, oder nur Einen Augenblick gewünscht haben in ihrer Lage zu seyn. Zu solchen menschlichen Wünschen gehört eine gewisse Spannkraft des Herzens, von der ich schon langeher keinen Begriff mehr hatte, und ohne die doch selbst ein Monarch — zwar groß und bewundert, so viel du willst — aber für seine Person nie so glücklich seyn wird, als der Taglöhner, dem sie die Natur, vielleicht zur Entschädigung für alle andre ihm versagte Herrlichkeiten, in vollem Maße geschenkt hat. In welchem wohlthätigen Lichte mußte mir also nicht der Zufall erscheinen, der mich zwar mit einer kranken Nase nach Caverac brachte, mich nun aber dafür mit jenem männlichen Bewußtseyn in die offene und mädchenreiche Welt weiter schickte! Diesen schnellen Uebergang von Kleinmuth zu einem edlen Selbstvertrauen, das über den erschlafftesten Geist Wohlbehagen verbreitet — wem habe ich es zu verdanken, als allein dem mächtigen Zufalle?

     „So sollst du mich denn, du Freund aller der Weisen, die ohne Anmaßung, ohne Rechnung und Forderung, ihr Leben durchschlendern, auch fernhin leiten,“ rief ich andächtig aus, stieß alle die überklugen Aussprüche, die mir seine Wirklichkeit verdächtig machten, mit Gewalt von mir, und fand ihn, bey zunehmendem Nachdenken, auf allen Blättern der Menschengeschichte, unwiderleglich bewiesen. Ich übersah den Umlauf irdischer Dinge — ihre Anlagen, ihre Absichten, und ihren Erfolg, in einigen ernsten Minuten. Das Feuer der Ode ergriff mich — Ich warf bedeutende Blicke auf das päpstliche Gebiet, das, wie ein Ball des Ungefährs, vor mir lag — bald auf Bastian, der seine Augen von dem Brande der meinigen wegwandte und zitterte. Es flogen mir mehr Gedanken zu, als mein Gehirn auffassen konnte. — Ich knetete nur die zusammen, die sich am nächsten wagten, und überließ den übrigen Vorrath größern Dichtern, die, wenn sie wollen, ihn zu einem dicken Gesangbuche von Klag= und Trostliedern verarbeiten mögen, das auch wohl einmal — wer kann dafür stehen? seine Gemeinde findet. „O du!“ — rief ich mit innerer Erschütterung aus, die selbst, wie ich vermuthe, meine Gesichtsmuskeln verzog: denn Bastians Unruhe war nur zu sichtbar, und verrieth nur zu sehr, wie bange ihm in meiner Nähe seyn mochte. Aber welcher Dichter, der in der Begeisterung liegt, bekümmert sich um das staunende Gaffen seines prosaischen Dieners? —

Du, der auf unsrer Pilgerreise
Bald Blinde führst, bald aus dem Gleise
Die Führer anderer verdrängst;
Belasteten das Leitband ihrer Fesseln
Oft selbst im Riesenarm der Tyranney zersprengst,
     Und einen Zaum von Nesseln
     Ihr in die Fäuste hängst!

So weit des Adlers Augen sehen,
Vom Gotthard zu den Pyrenäen,
Vom Rhein bis an den Quell des Nils,
Horcht die Natur vom Isopp bis zur Zeder
Nur Dir, und von dem Schwarm, der nach dem Kranz des Ziels
     Hinströmet, dienet jeder
     Zum Würfel Deines Spiels.

Zwar nennen Dich die stolzen Buhlen
Des Sokrates auf hohen Schulen
Verwegner Phantasien Kind:
Doch fühlen sie erschrocken Dich, und heulen,
Gebeugt von Deiner Kraft, die Nächte durch, und sind
     Scheu wie Minervens Eulen,
     Und deinem Glanze blind.

Sie scheu´n des Schöpfers Plan zu schelten,
Daß er von Myriaden Welten
An Dich den Ball der unsern band;
Begreifen nicht, daß er nur seine Zügel
Zur Lehn dir übertrug, weil Ordnung und Bestand
     Er diesem Todtenhügel
     Nicht angemessen fand:

Nein! Sie begreifen´s nicht, und stellen
Den Sturz, selbst ihrer Mitgesellen,
Als Zweck zum Wohl des Ganzen dar.
Des Staubes Sohn berechnet nicht, wie eitel
Für ihn das Ganze sey, und, trotzend der Gefahr,
     Ruft er: Von meiner Scheitel
     Fällt ungezählt kein Haar.

So opferten im Spiel der Lanzen
Sich Tausende dem Wohl des Ganzen,
So wenig auch ihr Wahn gelang;
Indeß hälst Du, den ein Lucrez erhoben,
Und den von seinem Sitz kein Polignac verdrang, *)
     In Ordnung unsern Globen
     Und sein Gewirr im Gang.

So war´s nur Spielwerk Deiner Grillen,
Was, als Beweis vom höchsten Willen;
Auf Welt und Nachwelt überging?
So kam allein die komische Verkettung
Von Dir, die unser Heil an einen Fischerring, **)
     Und Galliens Errettung
     An ein Paar Handschuh´ hing. ***)

Ihr Seher! steigt von eurem Sitze,
Steigt, wenn ihr könnt, bis zu der Spitze,
Wo menschliches Verhängnis schwebt:
Ist nicht die Schnur der folgenreichen Stunden,
Die auf dem Rad der Zeit sich zu entwickeln strebt,
     Vom Zufall aufgewunden,
     Vom Zufall abgewebt?

Wer öffnete von allen Zwergen
Auf euern Warten Guttenbergen
Und Fausten der Erfindung Thor?
Was auszuspähn kein Doctor=Witz vermochte,
Im Dickicht der Natur seit Seculn sich verlor,
     Bei guter Laune pochte
     Sein Jagdspieß es hervor.

Das Wild springt auf — und nun erst setzen
Ihm eure Jäger nach, durchhetzen
Die weite Welt nach seinem Lauf:
Sie fangen es, sie satteln es, sie führen
Es ohne Ruh´ und Rast zur Schau und zum Verkauf,
     Und rennen Thor und Thüren
     Zu seinem Einlaß auf.

Ihr Lärm von Trommeln und Posaunen
Treibt alle Messen neuer Launen
Auf Guttenbergs Gefahr herbey;
Ihr wüthend Heer auf Faustens Mantel schwebet
Bis in das Feenland zum Thron der Schwärmerey;
     Selbst der Olymp erbebet
     Von ihrem Jagdgeschrei;

Kein Laut zufälliger Gedanken
Entfährt dem Mund, ersteigt die Schranken
Der Nachwelt ohne Wiederklang;
Kein Lied verhallt, und wenn es auch in Nächten
Wollüstigen Tumults ein kranker König sang; ****)
     Es kürzet den Gerechten
     Des Lebens Uebergang.

O Zufall! freundlicher Erhalter
Des Lorbers, der uns Neid und Alter
Gern von dem Haupte nimmt, verleih
Auch mir den Schutz, den Du dem hohen Sänger
Verliehst, daß mein Gesang, gleich seiner Litaney,
     Noch manchen Müßiggänger
     Der Nachwelt heilig sey.

Wie vieler Unsinn, klug betitelt,
Hätt´es Dein Compaß nicht vermittelt,
Schwämm unbemerkt im Strom der Nacht!
Dir danken wir die Kunst den Schall zu malen,
Du hast manch Quentchen Witz zu einer Zentnerfracht
     Erhöht, und Kern und Schalen
     Der Schreibsucht flott gemacht.

Gewohnt dem Grübler nachzuwandern,
So weit ein Zirkel in den andern
Bis über unsre Gränzen tritt,
Sprichst du ihm Hohn, wenn er das Unsichtbare
In einer Tiefe sucht, die noch kein Mensch beschritt,
     Und bringst dafür uns Waare,
     Die wir bedürfen, mit.

Der Propaganda Jünger dringen,
Für Gott mehr Ernten zu erringen,
Bis in der Bonzen Heiligthum.
Der Feind verderbt zwar ihre frommen Saten:
Doch Du entschädigst sie, Du schickst sie heim mit Ruhm,
     Mit Putern und Pataten
     In´s Refectorium;

Und Heidenkost strömt neuen Segen
Auf Länder, die des Lichtes pflegen,
Das aus der Offenbarung strahlt.
Schmaust ein Prälat — seht, ob nicht in der Mitte
Des christlichen Gelags, das die Commun bezahlt,
     Ein fetter Proselyte
     Des Lands Calcutta prahlt?

So bringen selbst aus Deinen Schachten
Die Heiligen, die Dich verachten,
Beweise deiner Huld an Bord:
Europens Ruhm trägst Du nach China über,
Führst uns Rhabarber zu, getauscht um Gottes Wort,
     Und peitschest deutsche Fieber
     Mit Peru´s Ruthen fort.

So trage denn, o mein Begleiter
Und Freund, auch meinen Schnupfen weiter
Nach Monomotapa, zum Schach. *****)
Dort feyert man der hohen Zirbeldrüsen
Getös: kaum niest der Fürst, so niest das Vorgemach;
     Bis an die Gränzen niesen
     Ihm seine Sklaven nach.

Doch, ohne Nasen zu verhöhnen,
Die Hof und Stadt und Land durchtönen,
Wie viel hingst Du der meinen an!
Hingst Du nicht ihr die jugendliche Runde,
Die ich nicht ganz umsonst um Amors Zelt gethan,
     Und die Vollendungsstunde
     Der guten Margot dran?

Und alle die Erobrungsplane,
Die Amor dem zu ihrer Fahne
Geschwornen Femdling überträgt —
Das falsche Kind! Wie freundlich, wie ermuntert,
Giebt sie die Rosen Preis, die ich so treu gehegt,
     Und die ihr Freund verwundert
     Nun, Blatt vor Blatt, zerlegt.

Hört mich, ihr Glücklichen! Verirret
Euch nicht zu weit! Der Zufall schwirret
Dem Traume nach der euch verzückt:
Ach! möglich, daß auf euerm Schwanenbette
Zu rasche Lüsternheit ein Wesen niederdrückt,
     Das an des Schicksals Kette
     Mehr als Ein Glied verrückt!

Doch möglich auch der Weihungsstille,
Daß Merciers erhabne Grille
Mit in die Zukunft überschwimmt,
Und daß vielleicht dieß Kinderspiel, das sausend
Mir jetzt das Ohr zerreißt, den Gang des Wohllauts nimmt,
     Der zu dem Jahr: Zweytausend
     Vierhundert vierzig stimmt; ******)

Und daß, der nächsten Nacht entsprossen,
Ein Keim, fortwuchernd nur Genossen
Der Tugend, an einander reiht,
Aus deren Schooß zum Wohl der bessern Erde,
Gott, welch ein Traum! der Genius gedeiht,
     Der einst der Menschenherde
     Das höchste Gut verleiht.

Wohlan! so folg ich Deinen Zügeln
Gutwillig, Du, den auszuklügeln
Selbst Meistern nicht vom Stuhl gelingt;
Weil doch der Weg zum wahren Menschenglücke,
Den oft ein Magus zeigt, der selbst die Hände ringt,
     Uns eher an die Krücke,
     Als an die Schreibe bringt.

____________________
*) Der Cardinal von Polignac, der den Antilucrez geschrieben.
**) Ring des Papstes, womit die apostolischen Breve besiegelt werden. Das Siegel stellt den heiligen Petrus als einen Fischer vor.
***) Ein Paar neumodische Handschuhe, die Sara Jennings, vermählte Herzogin von Marlborough, sich weigerte ihrer Freundin, der Königin Anna, abzutreten, verursachten in einer Reihe von Folgen die große Revolution, durch die Philipp der Fünfte auf dem Spanischen Throne befestigt, Oesterreich davon ausgeschlossen, der verdunkelte Ruhm Ludwigs des Vierzehnten wieder hergestellt, und die stolzen Hoffnungen seiner Feinde vereitelt wurden. Der Keim dieser großen Begebenheiten kam aus den Händen eines armseligen französischen Beutlers, dem es nicht träumte, was für glückliche Folgen für seinen König und für sein Vaterland der Zufall auf sein Tagwerk legen würde.
****) Erst in neuern Zeiten wird das Hohe Lied für das gehalten was es ist, nachdem mystische Andacht ihr Spiel lange genug damit getrieben hat.
*****) Au Monomotapa, quand le roi éternue, tous les courtisans son par obligés d`éternuement gagnat de la cour à la ville, et de la ville aux provinces, tout l´empire paroit affligé d´un rhume général. Helvetius de l´Ésprit p. m. 113
******) l´An deux mille quatre cent auarante, par M. Mercier.
____________________
 


* * *



Nichts ist doch geschickter uns sanft über einen lästigen Zeitraum zu heben, als der Bau einer Ode. Ich hatte meine Station so unbemerkt zurück gelegt, daß mich die ausgezackten Mauern von Avignon mitten in meinem hoch tönenden Gesange, wie ein Epigramm, überraschten, das den ernsten Gang eines Heldengedichts unterbricht, und uns zum Lachen bewegt. Kaum hatte ich noch Zeit, meinem Feentempel den Schlußstein aufzusetzen, als ich mich schon mitten auf dem Markte befand. Doch konnte mich das Geräusch, das mir von allen Ecken her zuströmte, so wenig in meiner fortschreitenden Andacht stören, daß ich vielmehr, um sogleich von der frommen Sorglosigkeit, zu der mich meine Hymne gestärkt hatte, Gebrauch zu machen, und noch ehe ich den schmutzigen Gasthof betrat, vor welchem ich ausstieg, meinen Bastian abfertigte, mir in der Stadt irgend wo auf gut Glück eine Wohnung zu suchen.
 

     Ich hätte dem Zufall auf keine thätigere Art mein unbegränztes Zutrauen beweisen können, als daß ich die bedenkliche Wahl meines Quartiers einem jungen Flüchtlinge überließ, der nur seit wenig Stunden in meinen Diensten stand, meinen Geschmack nicht kannte, und die erste Probe des seinigen, in einer ihm ganz fremden Stadt ablegen sollte — in einer Stadt, wo der Vorzug, den man einer von den vier Classen ihrer Einwohner giebt, seine eigene Gefahr hat, und wo es nicht gleichgültig ist, ob man sich bey einem Orangenhändler, bey einem Juden, neben einem geistlichen Herrn, oder bey einer Seidenspinnerin einmiethet.

     Ich machte unterdeß einen Spaziergang nach der Burg des Legaten, die, wie fast alle Prälaten=Schlösser, ihre demüthige Lage auf dem höchsten Flecke der Stadt hat. Der Hausknecht, der mich dahin führte, schwatzte mir unterwegs viel von einem dort befindlichen offenen Platze vor, auf welchem man das ganze päpstliche Gebiet übersehen könne. Ich nahm seine Versicherung in dem eingeschränktesten Sinne, den er vermuthlich nur darein legen wollte, und fand daher die Ansicht der herrlichen Gegend, die, wie ein ausgebreitetes großes Gemälde, da lag, für mein leibliches Auge so erquickend, als ein Ermüdeter nur wünschen kann. Auf diesem schönen Vorplatze des geistlichen Palasts soll zu Zeiten ein gewaltiger Zugwind herrschen, der über die französische Gränze herkommt, und dem Legaten, der nie viel Gutes von daher erwartet, oft den Athem versetzt. Heute, zu meinem Vergnügen, ruhte er in dem Abglanze der Sonne, die gerade über ihm stand, als ob sie meiner erwartete. Mit welcher Freundlichkeit begrüßte sie hier den ersten Tag des Jahres, den sie höchstens nur matt bey euch überschimmert! O, ihr armen erfrornen Berliner! Wie glücklich fühlte ich mich in diesem warmen Augenblicke gegen euch, da ich an den beschwerlichen Kreislauf zurück dachte, in welchem euch das neue Jahr zu dem albernsten Vertausche abgenützer Wünsche herum treibt, die ihr mit erstarrender Zunge einander feil bietet, während daß ich mich im Sonnenscheine gleichsam badete, und nur in Gedanken fror, wenn ich mich unter die Sonne meiner Heimath versetzte. Wahrlich, es scheint nicht dieselbe zu seyn — so unvergleichbar ist sie sich selbst in dieser Verschiedenheit.
 


* * *


     Als hätt´ ein Vorgefühl der Freude
Dieß Incarnat ihr angeweht,
Tritt sie hier auf in ihrem Sonntagskleide,
Stolz, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer geht.
Da sie, gey Gott! im Dunstkreis eures Landes,
Kalt, abgezehrt und ausgebleicht,
Wie ein Skelet des Ehestandes
Am Horizont vorüber schleicht.
 


* * *


     Ich stand lange ganz unbeweglich auf diesem Sonnenplatze, sog ihre wohltätigen Strahlen ein, wie die Säule des Memnon; und daß ich auch nicht ohne Klang war, zeigt dir die Harmonie meiner Rede.

     Bastian war mir schon eine Weile unter die Augen getreten; aber ich blinzelte in das majestätische Lich, und er mußte mich anreden, um mir seine Gegenwart bekannt zu machen. „Wollten Sie wohl,“ lispelte er mir endlich zu, „einen Ihrer feurigen Blicke auf die Wohnung werfen, die ich Ihnen ausgemacht habe?“ —

     „So! mein Herr Abgesandter,“ erwiederte ich, „ich höre du bist wieder zurück, denn sehen kann ich dich durchaus nicht.“ — Wirklich war ich in diesem Augenblicke in so hohem Grade geblendet, daß ich glaube, Paulus und Schwedenburg haben nur einige Minuten länger in die Sonne gesehen, um jene unaussprechlichen Dinge zu entdecken, die unsere gemeine Vorstellungskraft so weit übersteigen.

     „Ich hoffe,“ fuhr Bastian fort, „das Quartier wird Ihnen gefallen, wenn Sie nur Ihres Gesichts erst wieder mächtig sind. — Wie? Sie suchen mich ja auf der Gegenseite — Sehen Sie mich denn noch nicht? Mein Gott, wie Angst machen Sie mir! Ach, mein Herr! mit der hiesigen Sonne ist nicht zu spaßen.“ —

     „O, mit der hiesigen habe ich es auch nicht gethan, mein lieber Bastian,“ antwortete ich und rieb mir die Augen: „wenn mir die Berliner Sonne nur nichts nachträgt! Doch führe ich mich in meine Miethe; denn meine Blindheit, Gott sey Dank! fängt an zu vergehen.“ —

     „Der Weg dahin ist nicht weit,“ führ Bastian nun in seinem Hauptberichte fort, indem er, stolz auf seine gute Verrichtung, ziemlich anmaßlich neben mir hertrabte. „Sie werden das Quartier gewiß lieb gewinnen, denn zufälliger Weise liegt es an der Mittagsseite. Ein helles freundliches Haus — eine schöne bequeme Stiege, die in einen großen Vorsaal führt, wovon Sie in ein weitläuftiges Zimmer treten, an das eine Kammer mit dem artigsten Bette, und an diese wieder ein Verschlag stößt, der eine kleine Bibliothek enthält. Unter dem Spiegel in dem Hauptgemache ein schlafender Amor von Marmor — und Rousseau's Brüste von Gyps gegen über auf dem Gesimse des Camins — und das alles, mein Herr, in dem ersten Stockwerke! Aber, das Beste kommt noch: Sie sind, so lange es Ihnen gefällt da zu wohnen, Herr allein im Hause; denn es gehört einer todten Hand zu — dem Hospitale der Propstey, dem eine andächtige Seele die Einkünfte davon vermacht hat. Ein einzelnes altes Weib, die man für nichts rechnen kann, ist auf der Seite der großen Stube Ihre Nachbarin, aber wie hier durch die Mauer, so auch auf dem gemeinschaftlichen Vorsaale, ganz von Ihnen geschieden. Das Weib ist aus der Commun des Hospitals genommen, und in dieß Haus gesetzt, um es in Aufsicht und Beschluß zu halten, und sie macht ihrem Amte Ehre. Zufällig traf ich es so glücklich, daß sie eben aus der Messe kam, als ich vor ihrer Thüre stand, und das logement à deux Louis par Sémaine nicht so recht heraus bringen konnte; denn vermuthlich ist das Haus schon für sich in zu gutem Rufe, als daß es einer leserlichen Aufschrift bedürfte.“

     „Ich fand,“ fuhr mein geschwätziger Geschäftsträger fort, „die Zimmer, das Geräthe und die ganze Gelegenheit artig genug für einen einzelnen Herrn; aber der Miethzins, bey alle dem, zu hoch. Doch konnte ich es nicht über das Herz bringen, dem alten Mütterchen ein geringeres Gebot zu thun, da jeder Liard, wie sie mir sagte, den das Haus abwirft, unter Nothleidende verteilt wird. Dieser Umstand, dachte ich, ist gewiß deinem guten Herrn mehr werth, als die paar Livres, die er vielleicht zu viel bezahlt! Doch das ist seine Sache, der Handel ist ja noch nicht so fest abgeschlossen, daß es nicht bey ihm stände, ihn fallen zu lassen, wenn ihm die Wohnung, die Wirthin, oder der Preis nicht gefällt.“

     Ich habe dir, lieber Eduard, das ganze umständliche Geschwätz meines Gesandten hergesetzt, weil es mich der Mühe überhebt, dir meine schöne Wohnung selbst zu beschreiben. Sie empfahl sich mir schon durch das zufälliger Weise, das Bastian einigemal so geschickt anbrachte, als hätte er meine Ode gelesen, und ich hatte sie schon in Gedanken gemiethet, ehe ich mich noch mit eigenen Augen überzeugte, daß sie des Zinses werth sey, denn ich allenfals, (darin hat Bastian Recht,) nur als ein wöchentliches Almosen ansehen darf, um ihn nicht zu hoch zu finden.

     Hätte mich etwas von dem Handel abschrecken können, so wäre es wohl die alte Ausgeberin gewesen, bey der es beynahe unmöglich ist, eine gute Absicht des Zufalls zu vermuthen. Sie ist das wahre Gegenbild meiner vortrefflichen Wirthin zu Caverac, für den Anblick sowohl als für das Herz. Da ich ich nicht so gernz Runzeln male als Denner, so scheide ich von ihrem Porträte, selbst ohne näher zu untersuchen, ob sie des Criminis rugarum *) schuldig sey, als es leider! das Ansehen hat. Fromm, wie man es hier zu Lande nennt, mag sie wohl seyn; denn sie ist mit so viel Heiligenbildern, Amuletten und Rosenkränzen behängt, daß sie bey der geringsten Bewegung, wie ein Skelet im Zugwind, klappert. Als sie mir mein Stubengeräthe, zugleich mit dem Verzeichnisse davon, übergab, that sie mir die freundschaftliche Erklärung, daß sie, außer dem, was sie mir hier zum Gebrauche überließ, sich weiter um keines meiner Bedürfnisse bekümmern könne: und das ist mir auch ganz recht. Mit dem Anfange jeder Woche, fuhr sie fort, würde sie den bedungenen Miethzins abholen, nahm den jetzigen in Empfang, und empfahl sich meinem Gebete.
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*) Scilicet ut careat rugarum crimine venter,
Sternatur pugnae tristis arena tuae.
         Ovid, Amor. lib. 2. eleg. 14. v. 7,8.
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     Ich untersuchte nun etwas genauer, was mich umgab, fand alles reinlich und artig, aber ohne Schmuck, wenn ich den schlafenden Amor ausnehme, der aus weißem Marmor und wirklich schön gearbeitet ist. Wie mag sich ein solches Kabinetstück in dieses Haus verirrt haben? Ich begriff es nicht eher, bis ich das Verzeichnis nachschlug, wo ich die Auflösung fand: denn hier stand die Figur als ein heiliger Engel, mit dem Beysatze eingetragen, daß er bey der ersten Besitzerin des Hauses versetzt worden, und ihr für aufgelaufene Zinsen verfallen sey. Man ist von Jugend auf an die Abweichungen der Künstler von dem Sprachgebrauche bey dieser Art von Geschöpfen so gewöhnt, daß ich überlaut lachen mußte, hier zum erstenmale einen so decidirten männlichen Engel zu finden, als seit ihrer Entstehung noch keiner gemodelt und gemalt worden. Wo muß die gute Frau ihre Augen gehabt haben? Ich glaube, man brächte kein Mädchen mehr in die Kirche, wenn sie mit solchen Figuren umgeben wäre, oder am Feste der Verkündigung vor so einem Engel knieen sollte! Indeß, da Freund Amor in diesem Hause dafür gilt, so mag er es, so lange Gott will! Woher mag nun aber in aller Welt dieser conventionelle Verstoß der Künstler, die uns diese Boten Gottes darstellen, wider die Analogie der Sprache wohl herrühren? Es muß doch eine Ursache haben! aber wer weiß sie mir anzugeben? Ich vertiefte mich umsonst in dieser artistischen Untersuchung, und selbst weit länger, als es mir gut war; denn ich kann fast über nichts mehr kaltblütig nachdenken.

     Die Büchersammlung, vor der ich mich Anfangs am meisten fürchtete, wird mir hoffentlich kein Kopfweh verursachen. Sie besteht, so viel ich nach einem flüchtigen Blick entdeckt habe, in nichts, als in theologisch=moralischen, dialektischen und casuistischen Abhandlung[en] und anderen dergleichen Meisterstücken des vorigen Jahrhunderts.

     Sebastian wohnt eine Treppe höher, steht aber durch einen Schellenzug in gehöriger Verbindung mit seinem Herrn.

     Ich dächte für meine stillen Absichten hätte der Zufall mir keine bequemere Wohnung verschaffen können. Scheint die Sonne die vier Wochen hindurch, die ich etwann hier zubringen werde, mir immer so freundlich wie heute; so wüßte ich in der That nicht was meinen einfachen Gang nach Gesundheit und Seelenruhe stören sollte? Mein Aufenthalt in Avignon wird sonach, lieber Eduard, wie das immer der Fall bey den wahrhaft glücklichen Epochen unsres Lebens ist, einen ganz kleinen Raum in meiner Geschichte einnehmen. Wenn ich dir nicht täglich aufs neue erzählen will, wie ich nach einem gesunden Schlaf, einer mäßigen Mahlzeit, müde von meinem einsamen Spaziergange, nach Hause komme, um den folgenden Tag denselben Zirkel zu wiederholen; so begreife ich wahlich nicht, wovon ich dich unterhalten soll. Bei einem Leser, wie du mir bist, Eduard, sollte mir das zwar nicht schaden. Du dürftest mich nur desto gesunder, klüger, zufriedener, und desto näher am Ziele meiner Reise denken, je mehr mein Tagebuch an Interesse abnimmt; aber bey aller deiner Theilnahme, mein guter Freund, fürchte ich, wird es dir dennoch um nichts merkwürdiger vorkommen. Schreiber und Leser stehen gar zu leicht in Ansehung ihrer Empfindung im umgekehrten Verhältnisse zu einander. Was dem ersten behagt, ist leicht dem zweyten zuwider. Ihr wollt immer nur euren Robinson mit Wetter und Wellen im Streite sehen — Je trauriger und gefahrvoller seine Lage wird, desto anziehender kömmt sie euch vor. Wehe ihm aber, wenn er nun Land gewonnen hat, und sich einfallen läßt, euch nun auch seine Ruhe nach vollbrachter Arbeit, und seine häusliche Glückseligkeit zu schildern — wenn er endlich seine Amada heirathet, und von den großen Anlagen seiner Kleinen euch vorplaudern will: dazu habt ihr keine Ohren — ihr fangt an zu gähnen, und schlagt die langweiligen Blätter ohne Barmherzigkeit um. Da bin ich nun zum Beyspiele diesen Nachmittag wieder auf meinem Sonnenplatze gewesen,  um meinen Spinat recht gemächlich zu verdauen. Habe den Himmel ohne Wolken, und die Sonne sich so rosenroth zu ihrem Untergange neigen sehen, daß ich mir morgen einen gleich heitern Tag versprechen darf, als der heutige war. Das ist nun für mich freylich sehr wichtig; aber eben so gut fühle ich, daß, wenn du nun diese Merkwürdigkeiten ein paar Dutzend Male hinter einander wirst gelesen haben, deine Ungeduld wohl gereitzt werden dürfte, mir Hagel und Frost auf den Hals zu wünschen; geschähe es auch nur aus Liebe zur Veränderung.

     Nach dieser vorläufigen Erklärung eines schachmatten Schriftstellers, bleibt mir für heute nichts Klügeres zu thun übrig, als daß ich mein Bette suche, um die Stunde Schlaf zu ersetzen, die ich mir diesen Morgen abbrach. Du siehst, lieber Freund, wie ich anfange alles in Ordnung zu halten.
 


* * *


     Da stößt mir doch noch etwas so Drolliges auf, daß ich nicht umhin kann, die Feder wieder aufzunehmen, und es dir als eine Seltenheit des hiesigen Landes zu erzählen. Indem ich mich auskleide, singt meine veraltete Nachbarin einen Psalm ab, der mir warm an das Herz geht; so volltönend — so einschmeichelnd singt sie ihn! — Wie hätte ich ihr dieß Talent zutrauen sollen? Eine solche Stimme in dem Munde einer Margot? — bey allen Heiligen! die Scheidewand sollte uns nicht lange scheiden. Indeß wirst du selbst gestehen, daß es schon angenehmer ist, unter dem Gesang eines alten Weibes, als unter ihrem hektischen Husten einzuschlafen, wie es leider! manchem armen Sklaven von Manne geht, der sich von seiner Gebieterin nicht wegbetten darf.
 


* * *


Den zweyten Januar.

 Wenn die Eigenthümer dieses Hauses in ihren Besitzungen so gut geschlafen, als ihr Miethmann diese Nacht geruht hat, so wollte ich zum Wohl der Menschen, daß sie deren recht viel hätten — so wollte ich manchem Großen der Erde, dem seine Sorgen, sein Gewissen, oder was es sonst ist, keinen Schlaf verstatten, wohl rathen, sich in dieß Hospital einzukaufen: ich glaube, und wäre es ein Sünder wider alle zehn Gebote — er würde doch hier das Glück finden, das ihm abgeht; so eine Kraft der Ruhe scheint an diesem Hause zu kleben. Auch bin ich so gestärkt an Leib und Seele erwacht, daß ich, um mein Feuer zu vertheilen, einen neuen Lobgesang auf den freundschaftlichen Zufall dichten möchte, der mir diese heitere Wohnung verrieth, die alles gewährt, was dem Aufenthalte eines Philosophen angemessen seyn kann: Reinlichkeit, Stille, und jenen einfachen Schmuck, der aller sybaritischen Weichlichkeit, allen Lockungen der Leidenschaften eben so entgegen arbeitet, als er mit dem Gefühle der unschuldigen Natur und der Sittlichkeit in naher Verbindung steht.

Wie versah´s die Frömmigkeit,
Daß sie diese stille Klause
In dem Gott geschenkten Hause
Der Philosophie geweiht?
Und ob sie zum Hospitale
Manchen Weisen schon verwies,
Ihn doch hier zum erstenmale
Freundlich bey ihr wohnen hieß?
Wem´s behaget, sich zum Jünger
Eines Plato zu kasteyn,
     Könnte dem ein Sittenzwinger
     Wohl bequemer seyn?

Was vielleicht zur Ritterzeit
Reitzung und Betrug entfaltet,
Predigt mir jetzt mißgestaltet
Nur den Trost der Sicherheit:
Von ihr an, die Gottes Wunder
Mir zur Ehrenwache gab,
Bis zu dem gelehrten Plunder
Ihres Büchersschranks herab,
Was, die Sinne zu berücken,
Sich die Phatansie erträumt,
     Hat dem geistigen Entzücken
     Hier das Feld geräumt.

Trümmer nächtlichen Gelags,
China´s nackte Schildereyen
An der bunten Wand, entweihen
Nicht die Lauterkeit des Tags.
Statt des Götzen nach der Mode, *)
Ueberdeckt Minervens Schild,
An dem Standort der Pagode,
Des erhabnen Rousseau Bild.
Meinem und Emilens Lehrer
Unter´m ersten Auge, liegt
     Fest in Schlaf der Friedensstörer
     Juliens gewiegt.

Auf mein Polster hingestreckt,
Allem Weltgeräusch verborgen,
Siehe! wie zum frohsten Morgen
Mich der Strahl der Sonne weckt!
Wie sie den bescheidnen Wänden
Ihren Glanz entgegenstrahlt,
Freundlich, ohne mich zu blenden,
Meinen Bogen übermalt!
Möchten, ihrem sanften Schimmer
Aehnlich, — ungefärbt und rein
     Auch die Ohrenbeichten immer
     Deines Freundes seyn!

Gott! welch ein Entzücken nimmt
Jetzt den Weg zu meiner Seele!
Welcher Seraph hat die Kehle
Jener Heiligen gestimmt,
Die auf Pergolesens Flügel
Ihren frommen Geist erhebt,
Immer näher zu dem Hügel
Der Verklärten überschwebt,
Zu der Glorie des Psalters
Assaphs ihre Stimme mischt,
     Alle Spuren ihres Alters
     Von der Stirn gewischt?
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*) Voltaire.
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* * *


Ich war so in Andacht versunken, daß es mir höchst zuwider war, als Bastian, der mir eben mein irdisches Frühstück brachte, mich in diesem Feste der Empfindung störte.Wie hätte ich ihm ansehen können, daß er solches noch erhöhen, ja selbst meinen leiblichen Augen das Wunder der Verklärung versinnlichen sollte, worüber er meinen Geist brütend antraf? Ich hatte ihm kaum aufmerksam auf das erstaunliche Talent unserer Wirthin gemacht, so schlug er seine Hände zusammen, als ob er meine wenige Kenntniß in der Musik bemitleiden wollte. „O, mein bester Herr,“ rief er aus, „wie konnten Sie nur einen Augenblick denken, daß der zahnlose, häßliche Rachen unserer Aufseherin diesen Nachtigallenton hervorzugurgeln geschickt sey? Nein! mein lieber Herr: das alte Weib hat einen Engel bey sich, der ihr vorsingt. Ich habe ihn hinter dem Fenster stehen sehen, und erschrak so sehr über seinen Anblick, daß ich bald Ihren Koffee verschüttet hätte, den ich über die Straße trug. Ohne daß ich geradezu behaupten will, daß er vom Himmel gestiegen sey — denn das müßte in einer mittelmäßigen Stadt, wie Avignon, schon mehreren Lärm machen — so versichere ich Sie doch bey alle dem, daß es selbst Ihnen so schwer werden sollte als mir, es nicht zu glauben, wenn Ihnen diese himmlische Figur eben so unerwartet erschiene.“

     Dieses enthusiastische Lob eines Engels, — denn der unter dem Spiegel machte mich nicht irre — dieses Lob sage ich aus dem Munde eines Menschen, der eine Margot zur Schwester hat, mußte nothwendig den Eindruck auf meine Seele machen, den du dir denken kannst. Ich winkte ihm zu schweigen, bekümmerte mich um kein Frühstück, setzte mich so nah als möglich an die Scheidewand, und ließ nun meine nüchterne Seele auf dem Strome der Harmonie, wie eine Feder, hin und her schaukeln. Ich glaubte in meinem Entzücken, alle die Schönheiten zu hören, die mir zu sehen verwehrt waren — die gewölbte Brust — den kleinen, mit Perlen besetzten Mund — die liebevollen, schmachtenden Augen — ja, es kamen sogar Noten vor, bey denen ich auf die unverletzte Tugend hätte schwören wollen, die mit der Kehle eines Mädchens, wie du wissen wirst, in so sonderbarer Verbindung steht. Meine Einbildungskraft, die, großer Gott! noch vor einer Viertelstunde so ruhig war, gerieth in Aufruhr. Ich war heilfroh, als der erschütternde Psalm zu Ende war, und ich nun den Empfindungen Luft machen konnte, die sich indeß in meiner beklommenen Brust gehäuft hatten.

     „Woher — um aller Barmherzigkeit willen, mag diese reitzende Sängerin in dieß einsame Haus kommen?“ kehrte ich mich gegen Bastian, der während des Gesanges sich mäuschenstill in den Bogen des Fensters gelehnt hatte. „Das“ antwortete er seufzend, „mag Gott, und jener kleine verschobene Kerl von Buchhändler wissen, der uns gegen über wohnt. — Der muß den Diskant so sehr lieben als Sie, mein Herr. Sehen Sie nur, wie verloren er da steht! Blickt er nicht nach dem Fenster des Engels, wie ein Salamander, der ein Colibri belagert? Er, mein lieber Herr, möchte wohl am ersten Ihre Neugier befriedigen können.“ —

     „Wahrlich,“ rief ich aus, „du bist ein kluger Kerl, Bastian! Geschwind gieb mir die Schuhe und meinen Frack! Mit der Frisur kann es anstehen, bis ich zurück komme.“ Und so trabte ich denn bald darauf über die Gasse, ohne an die Warnung meines Jerom´s eher zu denken, als bis ich mich schon inmitten unter der mir verbotensten Waaren von allen befand.

     Der Name des Mannes, der hier den gelehrten Handlanger machte, stand über der Thüre seines Ladens mit goldenen Buchstaben geschrieben, und verdiente es auch mehr als ein anderer. Ein Streit der Großmuth mit Voltairen hatte mir ihn schon längst rühmlichst bekannt gemacht. Es war, mit Einem Worte, wo nicht der berühmte Herr Fez selbst, doch wenigstens sein Sohn, den ich hier, von der Natur zwar ein wenig gemißhandelt, übrigens aber als einen sehr gebildeten Mann kennen lernte. Du wirst dich erinnern, daß ihm einst P. Nonotte eine Handschrift in Verlag gab, die schon durch ihren Titel: Les Erreurs de Voltaire, diesen wahrheitsliebenden Dichter auf das gröbste beleidigen mußte. Aber Herr Fez — ehe er sie zum Druck beförderte, schrieb höflich an ihn, meldete ihm den Vorgang, und erbot sich, gegen einen Ersatz von zwey tausend Livres, das anzügliche Werk zu unterdrücken. Doch Voltaire, wie du ihn kennst, viel zu edel, jemanden in Schaden zu setzen, widerrieth dem Buchhändler ernstlich sein großmüthiges Opfer, rechnete in seiner Antwort den außerordentlichen Gewinn ihm gutmüthig vor, den er gegen eine so geringe Summe auf´s Spiel setzen würde, nahm das höfliche Erbieten nicht an, sondern bot sogar nacher seinen ganzen Witz auf, dem so wackern Herrn Fez recht viele Abnehmer zu werben. Diese Anekdote schon verschaffte ihm mein ganzes Zutrauen, noch ehe es seine nähere Bekanntschaft that. Er nöthigte mich mit einer Freundlichkeit in seinen Laden, die nur bey jenen abgeschliffenen Menschen sich findet, die immer in guter Gesellschaft leben, und zog sogleich, als ob er mich seinen Freunden vorstellen wollte, ein paar Vorhänge zurück, die mir eine ganze Wand der glänzendsten Werke entdeckten. Doch dießmal trug ich zu meinem Glücke ein Gegengift in mir, das mich gegen alle Gefahren der Litteratur, gegen die Verführung der Schreiber aller Zeiten und Völker, vollkommen fest machte.

     Ich ließ sie stehn, wie jetzt, nach einer matten,
Durch´s todte Meer der Bücherwelt
Gehaltnen Fahrt — ihr Schutzgeist sie den Schatten
Der Unbegrabnen beygesellt —
Der Größe nach, die sie errungen hatten,
In Reih´ und Gliedern aufgestellt.
Sie, die der Freude sich verweigert,
Als noch die Sonne sie beschien;
Um in Journalen ausgeschrien,
Einmal verkauft, zehnmal versteigert,
Gespenstern gleich herum zu ziehn.
Ich ließ sie stehn, die aufgeblähten Werke,
Geburten mancher kalten Nacht,
Sammt dem Gefolg in Kindertracht
Des Zwerggeschlechts, das ihre Riesenstärke
Mit flinker Hand in eine Nuß gebracht.
Vergebens luden mich an ihres Tempels Thoren
Minervens Schreyer ein! Ich schätzte den Gewinn,
Den sie verheißen, als verloren;
Und hatt´ ich noch für eine Muse Sinn,
So lag er mir, wenn ich nicht irrig bin,
Doch anderwärts als in den Ohren.
 


* * *


     Ungeachtet dessen erwartete ich doch von der Dienstfertigkeit eines Mannes, der in so aufgeklärter Gesellschaft, einer Sängerin gegen über, wohnte, zu viel, um nicht in meiner geringen Kenntniß der französischen Litteratur Mittel aufzusuchen, mich seiner Freundschaft so viel als möglich zu versichern, ohne daß ich doch selbst etwas mehr, als allenfalls ein paar verschleuderte Louisdor, dabey wagte.

     Wie gut kam mir nicht jetzt eine und die andere langweilige Stunde zu Statten, die ich beym Durchlesen der Gazette ecclésiastique — des Journals von Trevoux, und anderer dergleichen berühmter Zeitschriften, viel zu voreilig, wie ich nun wohl sah, für verloren gehalten hatte! Ich strengte mein Gedächtniß an, und forderte, zu dem freudigen Erstaunen des Herrn Fez, manche dort angepriesene Schrift, nach der seit ihrem Daseyn wohl keinem vernünftigen Menschen noch eingefallen seyn mochte zu fragen und versorgte mich zuletzt, um mein Ansehn bey ihm ganz zu befestigen, mit einem Dutzend Exemplaren des belobten Trauerspiels jenes glücklichen Dichters zu Nimes, für mich und meine auswärtigen Freunde.

     Der Mann ward zusehens freundlicher, je länger und tiefer er unter dem seit Jahren angewachsenen Schutte nach diesen vergessenen Kleinodien suchen mußte. Er konnte nicht aufhören, die so seltenen Kenntnisse eines Ausländers in der französischen Litteratur — und meinen gebildeten Geschmack zu erheben; und ich dachte wahrlich, er würde mich gar umarmen, als ich ihm beyläufig vertraute, daß ich in der gelehrten Absicht reiste, nach und nach alle die fliegenden Blätter zu sammeln, die, ihrer Leichtigkeit ungeachtet, so selten bis über die Gränzen des Königreichs flögen.

     „Ich opfere“ sagte ich mit einer Treuherzigkeit, die den Mann entzückte, „den größten Theil meiner Zeit den keuschen Musen, suche deshalb immer den berühmtesten Buchhändlern in der Nähe zu wohnen, und habe auch hier, wie Sie sehen, die stillste Wohnung bezogen, die in Ihrer Nachbarschaft zu finden war; die alte Dame, deren Miethmann ich bin, wird mich sicher nicht in meinen Studien stören. — „Das wohl nicht“ fiel mir Herr Fez ins Wort, „wenn es nur nicht
ihre Nichte thut, die das alte Weib bey sich hat!“ —

     „So?“ antwortete ich ganz gelassen, „eine Nichte?“ —

     „Ja,“ erwiederte er laut seufzend, „eine gewisse Clara. Gott gebe Ihnen Ruhe vor ihr! Mich jagt sie allemal von meinen Rechnungen auf, so oft in die Kirche geläutet wird; denn zu keiner andern Zeit ist sie mir sichtbar. Eine wahre Heilige! und dabey — denken Sie, mein Herr! — erst funfzehn Jahr alt. Als Kind schon soll ihr ein Marienbild lieber gewesen seyn, als alle andere Puppen. Schließen Sie nun, wie groß erst jetzt ihre Andacht für die Gebenedeyte seyn mag, da sie zu reifern Jahren gekommen! Sie soll, sagt man, alle ihre Gliedmaßen der Mutter Gottes geweiht haben; und es ist zu glauben, wenn man sie gehn sieht, so jungfräulich sind alle ihre Bewegungen. Wollten Sie nur wenige Augenblicke verziehen, und Sich einstweilen in meinen Büchern umsehen, so würden Sie Sich mit eigenen Augen überzeugen, wie groß die Gefahr Ihrer Wohnung sey. Das Frühamt bey den Minimen wird bald angehn, und da muß sie ganz nahe bey meinem Laden vorbey — da sollen Sie sehen, mein Herr! da sollen Sie erstaunen!“

     Inzwischen nun Herr Fez nach Maculatur suchte, um diejenige einzuschlagen, die ich gekauft hatte, las ich, die Zeit hinzubringen, die Aufschriften seiner Ballen, und zählte gähnend die Bände der Encyklopädie. Die Minimen ließen uns nicht lange warten; und kaum fingen ihre Glocken, bey dem Einklange meines ungeduldigen Herzens, ihr Spiel an, so warf der Buchhändler geschwind seinen Plunder aus der Hand, und: „Kommen Sie mein Herr! — hier! — hie her! — Lassen Sie jetzt den Abbadie und den Bourdaloue stehen!" schrie er mir zu, und zog mich mit Gewalt an die Thür seines Ladens. Und in demselben Augenblicke erschien  wie sich ein Frühlingstag an ein Seculum schließt — Clara, unter Voraustretung der Alten. Je näher sie meinen Augen kam, je stiller und tiefgefühlter meine Bewunderung ward, desto schwatzhafter und lärmender ward Herr Fez in der seinigen.

     „Welch ein Gang!“ flüsterte er mir einmal über das andere in's Ohr: „was das für ein Wuchs ist! und mit welcher natürlichen Bescheidenheit sie einher tritt! O, über das herrliche Madonnengesichtchen! So sanft und glänzend, wie ein Didotischer Druck, und rein, wie in Kupfer gestochen. Ah! sehen Sie nur, wie aller Augen auf ihre niedlichen Schritte geheftet sind, indeß sie, nur in sich gekehrt, keinen Blick ausschickt, der nicht Andacht und Ruhe der Seele verräth. Sie weiß es nicht — sie hat es nie gewußt, wie alt und wie reitzend sie ist.

     Gern wiederholt mein Herz die Klagen ihres bangen
Gefühls, zur Zeit als ihr die Blumenhülsen sprangen,
Ein Morgenlied, bey Gott! als ob sie fest geglaubt,
Es hätten in der Nacht Hyänen oder Schlangen
Den reinen Körper angeschnaubt —
Doch waren´s Blüthen nur, die hier ein Schleifchen zwangen,
Dort einen leeren Raum verdrangen
Nur Priemeln, die vielleicht zum Theil nun abgestaubt,
Erstorben sind und heim gegangen.
Ach! rechnete sie nach, wie viel auf ihren Wangen
Andächteley uns Ernten schon geraubt!
Begriff sie nur einmal, welch neidisches Verlangen
Uns quält, wenn sie das Glück an ihrem Hals zu hangen
Nur einem Todtenbein erlaubt!
Sie ringt nur um ein Loos, das viele wohl errangen,
Die nicht so rein die Metten sangen,
Wünscht sich, mit Einem Wort, bald Strahlen um das Haupt:
Denn eher hofft sie nicht — das nenn´ ich unbefangen —
Von einem Pater angeschraubt,
In einem Klostergang zu prangen.
 

* * *


     „Das, mein Herr,“ fuhr Herr Fez fort, „ist ihre einzige Sorge; und es ist abscheulich, daß ihre alte Tante ihr solche kindische Einfälle nicht ausredet, und keine gutherzige Seele zu ihr läßt, die ihr den Verstand öffnen könnte. Aber mein bester Herr,“ indem er sich nach mir kehrte, ohne darum vor eigener allzu großer Bewegung die meinige zu bemerken, so schlecht ich sie auch verbarg: „Sie sagen ja kein Wort? Wie wünsche ich Ihnen Glück zu der Ruhe Ihres Temperaments! Sie müssen es nothwendig in der Gelehrsamkeit hoch bringen, da solch eine Erscheinung sie nicht einmal zerstreuen kann. So gut wird es mir leider nicht! Die Stunden, die das liebe Mädchen in der Kirche bleibt, sind auch für mich verloren — ich kann an nichts denken, als an den süßen Augenblick, wo sie wieder zurück kommen wird; und dann sehne ich mich gleich wieder auf ihren nächsten Kirchgang. In der Länge muß mein Handel darüber zu Grunde gehn — das sehe ich zum voraus: aber ich kann wahrlich — ich kann mir nicht helfen!“

     Ich hatte nicht das Herz, über den guten Mann zu spotten, da mir für meinen eigenen Verstand nur zu bange war: doch fänd ich auch keinen sonderlichen Beruf über den Text meiner geheimen Empfindungen einen andem predigen zu hören als mich. Ich bezahlte also dem Herrn Fez seine Maculatur, ließ sie nach meiner Wohnung tragen, und zitterte so ängstlich hinder drein, als ob ich sie auch lesen müßte.  Ich übergab meinem Bastian den ganzen Ankauf zu beliebigem Verbrauch, ohne daß es mir nur einfiel, wie unmanierlich ich mich gegen Schriftsteller betrüge, denen ich doch im Grunde Dienste verdanke, die mir der gesuchteste — der geschätzteste Autor nicht halb so gut würde erwiesen haben. Die schnelle, aufbrausende, plaudernde Freundschaft des guten Fez, an der mir so viel gelegen war, ist ihr Werk! Ihnen verdanke ich das belohnende Anschauen der liebenswürdigsten Heiligen, und alle die unnennbaren frohen Empfindungen, die es mir zurück ließ; und ich glaube, daß selbst der strenge Jerom sie bey den kleinen Diensten für unschädlich erklären würde, zu denen ich sie gegenwärtig noch aufhebe. So sehr, lieber Eduard, kommt alles auf Zeit und Umstände an, und mein Freund, der Zufall, kann uns in so unglaublich sonderbare Verhältnisse verwickeln, wo uns Lünichs Reden großer Herren — wichtiger als ein Plutarch und Lucian, und Masius Schriften auf weichem Druckpapier brauchbarer werden können, als der schönste Codex auf Pergament.
 

* * *


     Da ich bey den Minimen keinen Bescheid wußte, so blieb mir nichts übrig, als meinen Stuhl an das Fenster zu rücken, und, während mir Bastian das Haar in Locken schlug, mit pochendem Herzen die Zurückkunft der Psalmistin zu erwarten. Die letzte Stufe, auf die ich sie vorhin in die Halle treten sah, zog jetzt meine Blicke, wie auf einen Brennpunkt zusammen. Ich bot alle meine Geduld auf, mir beyzustehen, und sah dennoch immer eine Secunde um die andere, fluchend, nach meiner zu langsamen Uhr. „Wird sie denn ewig in der Kirche bleiben?“ murmelte ich, und ließ mir angst werden, die Minimen möchten sie wohl, ohne sich an den Mangel ihres Nimbus zu kehren, schon jetzt mit der ausgezeichneten Ehre überraschen, nach der das gute unbefangene Kind fast athemlos hinstrebt. Aber in diesem Augenblicke erlebte ich die Freude — daß die Thüre der Halle sich öffnete, erst andere gestärkte Seelen, dann die Alte, und zwey Schritte hinter derselben auch nun sie, die Erwartete, in ihrem ganzen Engelsschmucke heraus trat.

     War mir's doch, als ob sie mir geschenkt würde, so bald ich sie nur außer dem Kloster sah! Ich zählte jeden ihrer kleinen Schritte über die Gasse. Aber mit dem letzten, den sie in das Haus setzte, trat auch ich aus meinem Zimmer, mit Hut und Stock, um nicht das Ansehn zu haben, als ob es ihrer schönen Augen wegen geschähe.

     Wir begegneten einander auf der Mitte der Treppe  Ehrerbietig stellte ich mich seitwärts — Die Alte erwiederte mir mit grämlichem Ernst meinen Gruß, der ihr auch am wenigsten galt; und wie schielte ihr gelbes Auge auf die bescheidene Verbeugung, die ich von ihrer Nichte erhielt, als sie in dem Anstand einer Novice bey mir vorbey zog!

     Nun erst kann ich sagen, Eduard, daß ich sie gesehn habe; denn wohl zwey Secunden habe ich mit ihr auf Einer Stufe gestanden. O! ich würde mich brüsten, wie ein Apelles, wenn ich dir die ganze Lieblichkeit, alle die Grazien ihrer Nymphen=Gestalt, alle die schönen Formen, die ich aus jedem Faltenschlag ihres Florkleides mir abzog, so anschaulich darstellen könnte, daß du weiter nicht nöthig hättest, mich über den Eindruck abzuhören, den dieser vereinte Reichthum von Schönheit auf meine Sinnlichkeit machte. Komm — ich bitte dich — dem Unvermögen meiner Sprache mit deiner schwelgenden Einbildungskraft zu Hülfe! Hole dir aus den Werkstätten der Künstler ein Bild der Liebe; modele so lange daran, bis du deine Vorstellung so erhöht hast, daß du nicht ohne Widerwillen an ein andres sterbliches Mädchen denken kannst, und schließe dann aus dem blumigen Irrgange, den deine Wünsche einschlagen, auf das Hinstreben der meinigen.

Nun hole nicht aus Winklers Cabinette
Der Venus Busenbild von Cigniani´s Hand!
So göttlich schön es ist, so setzt es doch, ich wette,
Kein wahres Männerherz in Brand.
Ein Kopf des Boileau, des Racine,
Ist freylich uns genug. Was hier das Aug´ entbehrt,
Ob das auch einen Blick verdiene,
Ist keiner Untersuchung werth.
Sieht man nicht klar genug in jenes Satyrs Miene
Den Autor der Pücell´ erklärt?
Doch wer bleibt wohl, dem´s nicht gelüste,
Der Fülle der Natur, so weit die Kraft zu sehn
Die Augen spannet, nachzugehn? —
Wer bleibt gelassen bey der Büste
Der winkenden Cythere stehn?
Sie winkt — allein wohin? — Und da fällt erst der Fehler
Des Künstlers dir auf´s Herz; sein Stückwerk unterbricht
Den wärmsten Trieb der Uebersicht.
Der Blöde, der es schuf, begriff den Werth der Thäler
In einem heißen Klima nicht!
 

* * *


     Es ging mir schwer ein, die Treppe vollends herab zu steigen, wie ich doch Schande halber wohl thun mußte: aber was soll ich nun erst mit mir anfangen, als ich mich, der Richtung meiner Wünsche ganz entgegen, auf der staubigen Gasse befand? Ideen von der Art, wie sie jetzt auf mich losstürmten, verlangen beynahe eine gleiche Abgezogenheit der Seele, als die Träume der Metaphysik: und da ich mich doch nicht wohl auf einen Eckstein setzen, und, den Finger auf der Nase, nach Clärchens Fenster hinstaunen konnte, wie ich unstreitig am liebsten gethan hätte; so mußte ich mir wohl die erste beste Zerstreuung gefallen lassen, die sich mir darbot. Ich erinnerte mich zum Glücke eines Empfehlungsschreibens in meiner Brieftasche, das mir der gute Bischof von Nimes, als ich ihn das letztemal sah, an einen hiesigen Domherrn von seiner Bekanntschaft, Namens Ducliquet, mitgab. Das brachte mich endlich vom Platze, und versetzte mich mit aller der Fülle meiner weltlichen Schwärmereyen in das Studierzimmer eines geistlichen Herrn.

     Ich habe in meinem Leben angenehmere Bestellungen gehabt, das kann ich dir sagen! Der Himmel weiß, in was für einem Gedankenkram ich den ehrlichen Mann stören mochte; aber hätte ich ihn auch in flagranti überrascht, verlegener hätte er sich kaum betragen können. Gleich nach dem ersten steifen Complimente, das unsere Bekanntschaft eröffnete, sahen wir es gegenseitig uns an, daß Gott gewiß keinen zur Unterhaltung des andern geschaffen hätte; und über der Sorge, unsere erste Unterredung so geschickt einzuleiten, daß es zeitlebens keiner weiter bedürfe — konnten wir nicht dazu kommen, sie anzufangen. Ihm glückte es indeß eher noch als mir, diese alberne Stille zu unterbrechen. Das morgende Fest der heiligen Genovia löste ihm die Zunge, und gab sogar zu einem Gespräche Anlaß, von dem ich mir nie hätte träumen lassen, daß es am Ende noch so belehrend für mich ausfallen würde. Er bürstete er ein parmal [sic!] mir der flachen Hand seinen Aerme; dann that es ihm sehr leid, daß er heute so ganz außer Stande sey, einem so lieben und gut empfohlenen Fremden die geringste Höflichkeit zu erzeigen; und dann freute er sich wieder, daß er hoffen könne, morgen alles desto reichlicher wieder gut zu machen.

     Das gab mir einen Stich in´s Herz. Du weißt, lieber Eduard, daß ich nichts so sehr hasse, als ein großes vorbereitetes Mittagsmahl, das ich nach der Wendung, die sein Gespräch nahm, schon so gut als aufgetischt sah. — Gewiß ist morgen Markttag, sagte ich zu mir, und da wirst du wieder einmal zu Mittage alles das ausgelegt finden, woran du dir des Morgens schon deinen Ekel ersehen hast. Ich ging also geschwind dem guten Manne mit der Versicherung entgegen, daß ich meine Gesundheit sehr schonen, und es ernstlich verbitten müßte, sich meinetwegen in die geringsten Unkosten zu stecken — und berief mich auf den redenden Beweis meines blassen Gesichts. Aber das half mir nichts. — „Nein,“ erhob er seine Stimme „Sie dürfen meine Einladung nicht ausschlagen. — Ich will Sie morgen selbst, — es macht mir ein gar zu großes Vergnügen, — bey guter Zeit zu — dem prächtigen Hochamte abholen, das der heiligen Genovia zu Ehren in der Domkirche gehalten wird, und ich werde Ihnen, verlassen Sie Sich auf mich, einen guten Platz verschaffen.“

     War mir´s doch jetzt auf einmal so leicht um´s Herz, als ob ich das ängstliche Diner wirklich verdaut hätte, das doch dem wackern Domherrn gar nicht in den Sinn gekommen war mir zu geben. Es geschieht mir zuweilen, daß ich danke, und den Hut anziehe, ehe ich gegrüßt werde, und es macht mich immer heimlich zu lachen. Jetzt konnte ich meinem Manne schon ruhiger zuhören.

     „Wenn Sie mich,“ fuhr er fort, „heute in meinem Alltagsrocke überrascht haben, so sollen Sie mich morgen dafür im Purpur sehen, den das hiesige Kapitel, wie Sie aus der Geschichte wissen werden, mit den Cardinälen und Königen gemein hat.“

     „ Ist nicht sonst noch ein Spectakel hier?“ fragte ich in der albernsten Zerstreuung, die aber dem guten Manne nicht im mindesten auffiel. — „Nein,“ antwortete er, „vor dem Feste der heiligen drey Könige nicht, das in unserm Lande den sechsten dieses gefeyert wird.“

     „Auch in dem meinigen,“ antwortete ich gähnend, „Aber Hochwürdiger Herr,“ fragte ich weiter, weil es mir nicht länger möglich war, das schlaffe Gespräch fortzusetzen, ohne wenigstens meinem Ohre mit dem Klange jenes süßen Namens zu schmeicheln, den mir die Liebe in das Herz geschrieben hatte, „ist denn nicht auch ein Hochamt für die heilige Clara gestiftet, die, nach meinem Gefühle, so viel Anbetung verdient als vielleicht keine andere?“

     „Da haben Sie Recht, mein Herr,“ fiel mir der Domherr mit einer Hitze in´s Wort, die mich beynahe erschreckt hätte: „Ihr Fest fällt auf den achtzehnten August, und wird, wie billig, unter unsere vornehmsten gerechnet. Clara von Falkenstein“ — jetzt merkte ich erst, wie schief er mir wieder antwortete — „hat in einer Reliquie der christlichen Kirche eine Erbschaft hinterlassen, die der höchsten Verehrung werth ist — Kleinodien von dem wunderbarsten Gehalt, und durch die uns Gott selbst das Geheimniß der heiligen Dreifaltigkeit versinnlichet hat.“

     Diese Nachricht überraschte mich so, daß ich dem Manne, der sie mir gab, mit einer Art von Mißtrauen in das Gesicht blickte. Da ich aber nicht die entfernteste Spur von Zerrüttung des Gehirns darin wahrnahm, so erkundigte ich mich, mit zunehmender Verwunderung, nach der eigentlichen Beschaffenheit dieses schweren Beweises. Sogleich langte er ohne die mindeste Verlegenheit nach einem beschmutzten Quartanten, schlug die Beweisstelle auf, und las sie mit pathetischer Stimme vor:

     „In der S. V. Blase der heiligen Clara de monte flacone,“ las er, fand man drei runde Steine von der Größe einer Nuß, von gleichem Umfange, gleicher Farbe und gleichem Gewichte. Wenn man einen dieser Steine auf die eine Wagschale, und auf die andere die zwey übrigen legte, so hat der Eine so viel als beyde gewogen; hat man dann in jede Schale nur einen gelegt, so haben sie abermals gleiches Gewicht gehabt; daraus denn klärlich abzunehmen, wie tief bey ihr das Geheimniß der heiligen Dreyfaltigkeit eingedrückt war, welche einig im Wesen, dreyfaltig in Personen, und deren keine weder größer, noch älter, noch mächtiger ist, als die andere.“

     Ich ward, als ich ihm zuhörte, beynahe so ernsthaft als er. „Um Vergebung,“ fragte ich ihn jetzt, „hat denn dieser Autor, der so bestimmt spricht, auch diejenige Glaubwürdigkeit, die“ = = =

     „Wie, mein Herr?“ fiel er mir hitzig ein, und schlug das Titelblatt auf: „Es ist ja, sehen Sie, die verbesserte Legende Pater Martin´s von Cochim, vor zehn Jahren, ungefähr 1779 gedruckt! Dieses vortreffliche Buch trägt den Stempel der Wahrheit wie die Bibel; denn, sehen Sie, hier steht auch die Censur, und die Approbation der Sorbonne.“

     Der Domherr freute sich wie ein Kind über mein sichtbares Erstaunen. Um es zu erhöhen, war er im Begriff, mir noch ältere Schriftsteller vorzulegen, die dieses Wunders Erwähnung thun, und es als Augenzeigen [sic!] bestätigen. Ich verbat es jedoch, nahm mir nur noch so viel Zeit, die Blattseite dieser merkwürdigen Stelle in meiner Schreibtafel aufzuzeichnen, um bey Gelegenheit unsern Kant damit in die Enge zu treiben. Das Buch selbst findet sich ja wohl in der königlichen Bibliothek, oder doch gewiß bey einem unserer Consistorialen; und da ohnehin über dieses belehrende Gespräch der Mittag unvermerkt herbey gerückt war, so begnügte ich mich um so viel eher mit dieser Seelenspeise aus der Vorrathskammer des Domherrn, und empfahl mich.

     Dieser für meine Kenntnisse zwar nicht gleichgültige für mein Herz aber desto ermüdendere Besuch war indeß nur eine Kleinigkeit gegen den Verdruß, der meiner zu Hause wartete. Schon zehn höllische Stunden würge ich daran, und sehe mich jetzt um alle die metaphysischen Freuden gebracht, die ich mir für diesen Abend aufhob.

     Höre nun, lieber Eduard! Ungefähr hundert Schritte, sah ich, als ich das Haus des Domherrn verließ, einen ungleich jüngern und stattlichern Geistlichen, als jener war, vor mir hergehen, gab jedoch nicht eher Acht auf ihn, als bis er sich durch den Umstand nur zu bemerklich machte, daß er ganz meinen Weg nahm, sich zuweilen nach mir umsah, und gerade die genannten hundert Schritte eher eintraf, als ich; denn als ich mein Zimmer erreichte, saß er bey Clärchen schon fest.

     Daß ein geistlicher Herr eine angehende Heilige besucht, ist in der Ordnung: daß er aber vom Mittag an bis in die sinkende Nacht bey ihr verweilt — die Scheidewand nicht einmal das fröhliche Geschwätz, das laute Lachen und die bedenkliche Stille, die von Zeit zu Zeit nachfolgt, von meinem lauschenden Ohre abhalten kann, und daß ich jetzt ohne Psalm schlafen gehen muß, scheint mir eine offenbare Verletzung der guten Sitten, ein verpönter Eingriff in meine Rechte auf Ruhe und Hausfrieden zu seyn, die mir nach meinem Miethcontracte gebühren. Kurz, es ist unverantwortlich!
 

* * *


Den dritten Januar.

Die Ungeduld über den lärmenden Geistlichen, auf dessen Abzug aus meiner Nachbarschaft ich gestern Abends nicht länger warten mochte, brachte mich auch noch die halbe Nacht um meinen ruhigen Schlaf. Darüber verrückte sich meine ganze Lebensordnung. Ob sie diesen Morgen gesungen hat, mag Gott wissen; denn ich erwachte weit später als gewöhnlich, und hatte kaum meine Nachtmütze vom Kopfe geschleudert, als mir auch schon der Domherr seinen gestern angekündigten Gegenbesuch abstattete. Wäre ich nicht schon ziemlich mit ihm bekannt gewesen, so würde es mich vermuthlich noch mehr, als es that, außer Fassung gesetzt haben, einen Mann im Purpur bey meinem petit Lever zu sehen; so aber hatte ich statt aller Entschuldigung nur nöthig, den Contrast unsers Aufzuges recht hell in´s Licht zu setzen, um seine Selbstzufriedenheit so lange zu beschäftigen, bis ich angekleidet und zu seinem Befehle war.

     Wir schlenderten nun zusammen in die Kirche. Ich bekam einen sehr guten Platz: wenn nur das Stück besser gewesen wäre, das man aufführte! Es ward mir eine freye Seitenloge, neben der Hauptloge des Kapitels, angewiesen. Hier stand ich in mich gekehrt, unter der beständigen Abwechselung heiliger Gebräuche, die mir jedoch zu fremd waren, als daß sie auf meine Andacht wirken konnten. Ueberhaupt war wohl von den mancherley Vorzügen, mit denen ich mich in meinem Leben dann und wann beehrt sah, schwerlich einer so übel auf meine Verhältnisse berechnet gewesen, als die Höflichkeit, die mir der Domherr zu erzeigen glaubte. Mein Mißbehagen wuchs mit jeder Minute, und war eben in dem Augenblicke auf´s höchste gestiegen, als der dienende Geistliche am Hauptaltar das Venerabile in die Höhe hob, und die ganze Versammlung mit einem Getöse zur Erde niederfiel, das meine längst verlorne Aufmerksamkeit wieder herbey zog. War ich nun gleich der Einzige, der ruhig in seiner ersten Stellung blieb, so war ich es doch nicht auf lange. Die Pseudo=Cardinäle, denjenigen nicht ausgenommen, der mich hierher verlockt hatte, winkten mir mit so ernsten, mürrischen Blicken zu, daß ich, aus Furcht vor einer Kirchenstrafe, geschwind ihrer Weisung folgte, und, indem ich meine Kniee beugen wollte, aus Mangel an Uebung, mit beyden Füßen auf den harten Marmor hingleitete. Ich hätte den Schmerz für etwas Verdienstliches halten müssen, wie ein Bramine oder ein Büßender, wenn diese Erschütterung eine nur leidlich wohlthätige Wirkung auf mich hätte hervorbringen sollen: da ich keines von beyden war, folgte ich meiner natürlichen Empfindung, rieb mir die Kniee, und fluchte so lange heimlich über das Bittere und Lächerliche eines erzwungenen Gottesdienstes, bis ich, da die Versammlung sich nach geendigter Ceremonie wieder erhob, und nun Chor und Gemeinde ihren hoch tönenden Gesang anstimmten, der Gelegenheit wahrnahm, meinem innern Verdrusse Luft zu machen.

     Aus Andachtsspott, (das Wort ist neu,
So alt die Sach´ auch ist im päpstlichen Gebiete,)
Mischt´ ich in ihre Litaney
Ein Epigramm von unserm Luther bey,
Und sang: „Uns fernerhin behüte
Vor Papsts Lehr´ und Abgötterey!“
Das sang ich laut im päpstlichen Gebiete,
Nach wohlbekannter Melodey.

     So verrichtete ich, im Angesicht des ganzen Kapitels, und in seiner eigenen Kirche, meine Andacht nach Grundsätzen meiner Religion, und ging nach diesem Simultaneo, und ohne dem Domherrn für erwiesene Ehre zu danken, gerächt und fröhlichen Muthes meinem Mittagsmahle entgegen.

     Diese gute Laune nahm zu, so bald ich mich wieder in Clärchens Nähe befand. Der Enthusiasmus für ihre übermenschliche Tugend, mit dem mich mein Freund, der Buchhändler, auf eine Weile angesteckt hatte, war zwar seit gestern Abend auf und davon: er hatte mir aber seine Stätte noch immer warm genug zurück gelassen, um eine andere Art von Gefühl, das, obgleich nicht so uneigennützig, doch darum nicht minder angenehm war, leidlich genug zu beherbergen. Doch war ich entschlossen, ihm nicht eher Raum zu geben, bis ich vorerst Herrn Fez über einige Artikel verhört hätte, die das wahre Verhältniß betrafen, worin ohngefähr der geistliche Herr mit der kleinen Heiligen stehen möchte. Diese Vorkenntnisse schienen mir so unentbehrlich, daß ich nach dem Essen keine Minute zauderte, sie mir zu verschaffen.

     Die kleinen unschuldigen Mittel, die ich gestern gebrauchte, dem schwatzhaften Manne Vertrauen zu mir einzuflößen, thaten auch heute ihre Wirkung. Ich erfuhr auf die ungezwungenste Weise, erst den Ladenpreis dieses oder jenes, in Vergessenheit gekommenen Dichters und Prosaisten, und erfuhr, so bald mein Conto gemacht war, eben so genau den wahren Zusammenhang des Besuchs, der mir so verdächtig schien.

     Daß man doch, der vielen Erfahrungen ungeachtet, sich durch den äußern Anschein noch immer so leicht zu übereilten Urtheilen verleiten läßt! Es macht der menschlichen Vernunft wirklich wenig Ehre. Herr Fez hob durch ein paar Worte, die mir viele Unruhe würde erspart haben, wenn sie mir gestern zu Ohren gekommen wären, alle die nachtheiligen Zweifel, die ich gegen die Sittsamkeit meiner lieben Nachbarin gefaßt hatte. Die Sache verhält sich so: Das Haus, wo wir wohnen, gehört, wie mehrere in der Stadt — und das wußte ich ja vorher — dem Hospitale der Propstey. Nun ist der junge Geistliche seit kurzem zum Propste erwählt worden, und besucht sonach, in Gemäßheit seines Amtes, eins um das andere, um theils die Miethzinsen einzucassieren, theils für Bau und Besserung der Gebäude zu sorgen, und die Rechnungen abzunehmen, die dahin einschlagen. So mancherley Geschäfte können ja wohl einen etwas pünktlichen Mann, der nichts gern auf den andern Tag verschiebt, bis in die Nacht aufhalten; und ich wüßte nicht, wie ich denken müßte, wenn ich noch länger nachtheilig von seinen Cabinetsarbeiten urtheilen, oder der kleinen Heiligen es aufmutzen wollte, daß sie, auch noch im Stande sey, wenn es nöthig ist, die gute Gesellschafterin zu machen, und durch Witz und Laune die trockenen Geschäfte ihres Vorgesetzten aufzuheitern. Sie gewinnt vielmehr dadurch in meiner hohen Vorstellung von ihren Verdiensten; und so wenig ich, wie du dich erinnern wirst, bey meinem vorgestrigen Einzuge, und so lange ich nur die alte Tante gesehen hatte, die guten Absichten den Zufalls mit meinem Individuum spitz kriegen konnte, so trefflich scheint mir jetzt, seitdem ich auch die Nichte kenne, alles von ihm angelegt zu seyn, damit mein Bestreben nach Weisheit und Gesundheit mich nicht in der Länge durch zu viele Einförmigkeit ermüde und stumpf mache.

     Das Mädchen ist ganz geschaffen, das Phlegma eines überladenen Gehirns durch das flüchtige Salz ihres Umgangs zu reitzen, aufzulösen, und vor einer gänzlichen Vertrocknung zu bewahren. Müssen wir nicht immerfort arbeiten, lieber Eduard, den Firniß, den wir kochen, flüssig zu erhalten, wenn er seine Dienste leisten und Festigkeit und Glanz zugleich gewähren soll? Jetzt ist mir auch nicht weiter für mein Tagebuch und für deine Unterhaltung bange. Wir sind doch beyde in unsern Wanderungen noch an keine Heilige gerathen. Dieß unbebaute Feld unserer Erfahrungen blieb uns noch zu bestellen übrig; und ob ich mir gleich nicht schmeichle, bey Clärchen den Beweis eines so großen Geheimnisses auszufinden, als der war, den ihre berühmte Namensschwester den Gläubigen vererbt hat, so hoffe ich doch, ohne bis auf ihre Section zu warten, manche andere feine Entdeckung zu machen, die keinen geringern Reitz der Neuheit für uns haben, und die Mühe reichlich belohnen soll, die ich mir von Stund´ an geben werde, der jungen Heiligen, sammt ihren Abweichungen von dem Gewöhnlichen, so nahe als möglich zu kommen.

     „Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich von dem geistlichen Herrn weiß, der Sie gestern so langen in ihren Studien störte,“ fuhr Herr Fez fort indem er die Erreurs de Voltaire und die Lettres édifiantes für mich zusammen packte. „Sollte Ihnen aber gedient seyn, mehr noch von diesem Manne zu wissen, und überhaupt, sollte Ihnen in unserer Stadt etwas aufstoßen, wovon sie gern gründlich unterrichtet seyn möchten, so kann ich Ihnen einen Mann empfehlen, der in dieser Rücksicht ungleich mehr Genüge leisten kann, als ich und jeder andere. Es ist ein getaufter Jude, der Jahr aus Jahr ein nur zwey Beschäftigungen hat, denen er aber auch desto pünktlicher vorsteht. Die eine ist, das Grab der Laura zu bewachen, und es den Fremden zu zeigen; die andere, in allen Dingen der Neugier ihnen Auskunft zu geben. Vor seiner Bekehrung stand er eben so pünktlich an der Ecke des Stadthauses, bot den Vorübergehenden Lotteriezettel an, und fragte sich heiser, ob sie etwas zu verschachern hätten? Sein Bart schadete ihm in allen seinen Unternehmungen. Jetzt hingegen, seit er ein Christ ist, ist es ein Wunder, wie ihm alles gelingt! Sollten Sie es glauben? aber er ist gesuchter, geschätzter und reicher als ich!“

     „Das Grab der Laura?“ sagte ich. „Da haben Sie mir einen rechten Gefallen getan, lieber Herr Fez, daß Sie dieser Merkwürdigkeit erwähnten: es hätte sonst leicht kommen können, daß ich, zu meiner ewigen Schande in mein Vaterland zurück gegangen wäre, ohne an dieß Wahrzeichen der Stadt, eher zu denken, als bis mich meine Landsleute darum befragt hätten. Was hätte ich ihnen antworten wollen? Jetzt habe ich einen Beruf mehr, meinen Spaziergang dahin zu lenken, da Sie mir dort eine so nützliche Bekanntschaft versprechen. Nächstens will ich auch eine Fahrt nach Vauclüse thun, um das alte Schloß des guten Petrarchs zu besuchen = = = Mein Paket Bücher? — Legen Sie es nur einstweilen bey Seite! Mein Bedienter soll es abholen.“

     Ich schlenderte durch die Gassen, die Nase immer nach der Thurmspitze gerichtet, die mir Herr Fez zum Merkmahl angab. Es währte nicht lange, so sah ich die Kirche des Cordeliers frey vor mir liegen, und auch den Convertiten, den ich suchte, wie einen Sphinx an dem einen Pfeiler der Thüre gelehnt, auf den zufälligen Tribut neugieriger Reisenden lauern. Schon von weitem zog ich meinen Hut, und näherte mich ihm mit dem launigen Lächeln, mit dem ich immer die Zeile im Voltaire las, die sich mir jetzt als die natürliche Anrede, ungesucht darbot:
„De cette église êtes vous Sacristain?“ *)
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*) S. la Pucelle chant 14.
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     Ich wollte, du hättest den feinen Gesichtszug gesehen, der jetzt in seine Physiognomie trat und mir mehr, als sein einsylbiges Ja! bewies, wie gut er meine Frage verstanden habe.

     Um uns beyde nicht unnöthig aufzuhalten, schielte ich nur von fern nach dem einfachen Steine, dessen Lage er mir zeigte, und sich nun anschickte, mich seine tägliche Predigt darüber hören zu lassen. Ich ließ es nicht dazu kommen — „Es ist hinlänglich,“ sagte ich, und wies mit zwey Laubthalern, die ich ihm in demselben Augenblick in die Hand drückte, seine drohende Beredsamkeit glücklich von mir. Dieß stiftete in der Geschwindigkeit eine gewisse Sympathie unter uns, von der ich mir in der Folge manches Gute verspreche. „Ihre zuvorkommende Art, mein Herr,“ sagte er lächelnd, „mit der Sie Sich dieser heiligen Grabstätte nähern, läßt mich ungefähr vermuthen, wie begierig sie seyn mögen, die Geschichte meiner Pflegbefohlnen zu hören. Es ist schwer von ihr zu schweigen — doch thue ich es, da Sie mir es so eindringend befehlen.“

     „Sie haben mich in der That errathen,“ antwortete ich: „aber, wie Schade, daß ein Mann von so feinem Tact nur die Asche eines hübschen Weibes bewachen soll! Dieses Geschäfte, mein Herr, ist doch so eingeschränkt, so traurig, und enthält so wenig Belohnendes für einen denkenden Geist!“

     „Im Ganzen, mein Herr,“ versetzte der Kirchner, „mögen Sie wohl Recht haben; doch sollten Sie, däucht mich, einen Wächter an dem Grabe einer Laura davon ausnehmen. Nicht das schöne Weib, das hier begraben liegt, und das, als sie noch ganz beysammen war, neben ihrem Gemahle auch noch das Herz eines andern entflammte, — nicht diese gewöhnlichen Vorfälle machen ihre Gruft merkwürdig, und veredeln die Sorge dessen, der sie bewacht — sondern der reine Geist ist es, der nach Jahrhunderten noch, gleich einem Phönix, über ihrer Asche zu schweben scheint, der einem fühlenden Herzen dieses sonst unbedeutende Aemtchen so werth macht; der Geist der Liebe ist es, ihres unsterblichen Dichters.“

     Er sprach das unsterblich so pathetisch aus, wie ein Professor. Ich verzog den Mund nur ein wenig, und dennoch verstand mich der Schlaue, als ob er mir in das Herz geblickt hätte, und antwortete mir nach meiner Miene: „Wenn Sie, mein Herr, Laurens berühmten Liebhaber nur als einen gesunden jungen Mann von gewöhnlichem Schlage betrachten, so verdenke ich Ihnen nicht, daß Sie seiner Unsterblichkeit ein wenig spotten. Ein solcher thut freylich für eine einzige schwelgende Nacht bey seiner Geliebten, gern auf allen Plunder des Nachruhms Verzicht. Aber Petrarch, mein Herr, calculirte ins Große. Seine weit sehende Seele zog die Sättigung einer fortdauernden Gemeinde seinem luxuriösen Hunger vor, und ohne selbst, wie ein Hochzeitsbitter, an dem Gastmahle Platz zu nehmen, zu dem seine süßen Worte tausend andere einladen, sparte er das Feuer der Liebe, statt es auf die gewöhnliche Art zu verschnaufen, nur zum Stoffe seiner ewigen Gesänge. So gewiß er auch war, daß sie bey Lauren für ihn ohne Wirkung blieben, zählte er in dichterischem Enthusiasmus alle die Seufzer, die er nach Jahrhunderte noch erregen, alle die Herzen, die er erwärmen und öffnen, und alle die Schwierigkeiten, die er unter Liebenden vermitteln würde, und tröstete sich auf seinem einsamen Lager, mit dem traulichen Geflüster, das er auf tausend andern hervorzurufen gewiß war. Könnten Sie ihn wegen dieses umfassenden Gefühls bedauern? O, gewißt nicht! Denn welcher Großdenkende wird nicht gern sein einzelnes Leben daran setzen, wenn er hoffen darf, dadurch ein allgemeines Wohlbehagen zu befördern, auf unzählige Geschlechter Freude und Genuß zu verbreiten; — wenn er hoffen darf, daß eine Schaar empfindsamer Geschöpfe sich das Verdienst seiner Leiden zurechnen, und den Lohn ernten werde, dem er gutmüthig entsagte! Dieser stolze Gedanke, ist er nicht der letzte Trost aller der heiligen Märtyrer gewesen, die zum Vortheile des Ganzen freywillig ihr eigenes Glück opferten?“

     Bey diesen Worten sah mir der Redner scharf in die Augen, und wäre ich nicht von seinem Uebertritte zum christlichen Glauben, unterrichtet gewesen, wer weiß, ob ich nicht seine schöne Tirade für eine strafbare Ironie aufgenommen hätte, auf die ich, oder D. Leß hätte antworten müssen! So aber wußte ich nicht, was ich davon denken sollte — lüftete meinen Hut und seufzte, und der Redner fuhr fort: „Sie nannten vorhin meinen Wirkungskreis traurig und eingeschränkt — Wie leicht wollte ich Sie eines bessern überzeugen, müßte ich nicht“ = = = und er hielt inne — doch besann er sich bald — „Habe ich nicht“ sagte er nach einer kleinen Pause, „einen höflichen Fremden, einen Mann von Ehre vor mir, der mein Zutrauen nicht mißbrauchen wird? Das ist mir genug. Sie wissen, daß ich von der geistlichen Obrigkeit, nach vorher gegangenem scharfen Examen, eingesetzt bin, dieses Grab zu bewachen, und jedem der es verlangt, eine und eben dieselbe veraltete Liebesgeschichte zu erklären. Ein armseliges Geschäfte dem ersten Ansehn nach! Aber auch das armseligste kann, unter der Behandlung eines thätigen und nachdenkenden Mannes, wichtig für seine Zeitgenossen, wichtig sogar für die Nachwelt werden. Freylich würde ich, ohne Kenntniß des menschlichen Herzens, in dem beschränkten Zirkel, den man mir anwies, nicht weit gekommen seyn — aber wo kommt man auch weit, ohne sie? Ich begnügte mich nicht, meine aufhabenden beschwornen Pflichten so schlechtweg zu erfüllen. Nein, mein Herr! ich besah sie, so bald sie mir erst Brod geschafft hatten, auf allen Seiten, und studierte sie aufmerksam, in der Absicht, um sie mit der Zeit zu veredeln. Ich erlangte bald eine gewisse Fertigkeit in meinem Vortrage, den keiner meiner Vorgänger in dieser Vollkommenheit besessen hat, sogar daß ich die hundert und acht Sonnette, die Petrarch seiner Geliebten sang, mit aller der Zärtlichkeit wiedergeben kann, die er hinein legte. Dieses Talent, mein Herr, so wenig es auch gemein ist, würde jedoch nur ein vorübergehendes Vergnügen gewähren, wenn ich es nicht zum Besten des gemeinen Wesens, das doch immer der vorzüglichste Augenmerk jedes guten Bürgers seyn muß, anzuwenden gelernt hätte. Die Asche der Laura ist, mit aller Ehrfurcht für das, was sie sonst war — doch jetzt nur ein Caput mortuum. Ihr Grabmahl ist unscheinbar und unbedeutend, und es wird darum um nichts ehrwürdiger, weil es einmal ein König *) besuchte, es öffnen ließ, und seine schlechten Verse hinein legte. Aber seit es unter meiner Aufsicht steht, ist es der feinste Probierstein des Tugendgehalts meiner Mitbürgerinnen geworden.“
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*) Franz der Erste, König von Frankreich.
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     „In der That, mein Herr,“ fiel ich ihm lächeln ein, „es ist das kein kleines Verdienst um den Staat — Aber in aller Welt, durch was haben Sie diesem gemeinen Sandstein eine so magische Kraft zu geben gewußt?“

     „Wenn Sie mir zuhören wollen, ohne mich weiter zu unterbrechen,“ versetzte er, „so sollen Sie den ganzen Prozeß — von den Grundsätzen an, von denen ich ausging, bis zu den Resultaten erfahren; die er mir täglich abwirft.“

     „Weibliche Unschuld, wie man es im gemeinen Leben so nennt,“ fuhr er fort, indem er dabey, vermuthlich aus alter Gewohnheit, an sein spitziges Kinn griff, „ist den Goldstücken gleich die unter einerley Stempel im Umlaufe sind: eins glänzt so gut als das andere, und trägt im Commerz den Werth, den ihm der Wechselcours und der gute Glaube beylegt.“ — O, über die Juden! dachte ich — „Aber wie rein, wie frey von fremden Zusatze jedes seyn mag, kann doch selbst der Scheidekünstler nicht eher wissen, als bis er es auf die Capelle gebracht hat. Nun kann ich aber, kraft meines Amtes, jedem, dem hiebey um besondere Sicherheit zu thun ist, diesen um deswillen mißlichen Prozeß, weil er meistentheils eine gewisse Destruction voraussetzt, Rundung und Prägerlohn immer darbey verloren geht, um vieles erleichtern. Und wäre einer noch so mißtrauisch; ohne Bedenken kann er doch nach dem pretiösen Stücke greifen, das er im Auge hat, ohne zu befürchten, das es in seinem Umlaufe aufgesotten, beschnitten, oder vermischt ist, so bald ich ihm dafür Gewähr leiste.“

     „Der bessern Deutlichkeit wegen,“ unterbrach ich hier den seltenen Währmann, „wünschte ich wohl, daß Sie die Vergleichungen bey Seite setzten, und mit mir ohne Allegorie sprechen wollten.“

     „Ohne Allegorie?“ wiederholte er. „Das, mein Herr ist bey dem Thema, das ich abhandle, wirklich nicht so leicht, als Sie wohl denken. Doch ich will mein Möglichstes thun! Ich stand nicht lange auf meinem Posten, als ich schon wahrnahm, daß kein weibliches Herz (da falle ich doch wieder in die Allegorie aber ich kann mir nicht helfen) zu fühlen anfing, das nicht den Antritt seiner Wallfahrten bey dem heiligen Grabe der Laura eröffnet hätte. Durch wiederholte Erfahrungen brachte ich meine Bemerkungen zur Gewißheit und endlich in ein förmliches System. Wenn ich jetzt ein neues Gesichtchen von vierzehn, funfzehn Jahren in mein Heiligthum treten sehe, so weiß ich ziemlich genau anzugeben, was für dunkle Träume ihm die Nacht vorher vorgeschwebt haben. Die armen Unbefangenen! Sie gehorchen auf die Geschichte der selig Verstorbenen mit einem Nachdenken, das wirklich recht rührend ist. Mit welchem Heißhunger eignen sie sich nicht die harmonischen Weissagungen und Aufforderungen zu, die ich ihnen, nach Befinden ihrer Bedürfnisse, aus dem Magazine meines Petrarchs zu Gute gebe! Jede glaubt ihre Empfindungen flott werden zu sehen, und die geheime Geschichte ihres Gefühls zu hören. So lange nun, meine Herr, dieses Spiel ihrer Einbildungskraft dauert, so lange die junge Schöne ihren Besuch bey Lauren und mir fortsetzt, und der Herzensergießungen des ehrlichen Petrarchs an seine Geliebte nicht satt werden kann, stehe ich auch mit Leib und Seele für ihre — Unschuld. Aber, aber, mein Herr, wenn ihre Morgenbesuche anfangen seltener zu werden — wenn sie gar aufhören — alsdann,“ setzte der schlaue Kirchner leiser hinzu, „weiß ich auch eben so gewiß, was die Glocke geschlagen hat. Sie begreifen nun doch, wie einzig in ihrer Art eine solche Kenntniß ist, und wie wohl die jungen Herren thun, die zum Ehe=Sacramente schreiten wollen, daß, ehe sie sich mit ihrer Angelegenheit an den Bischof wenden, sie zuvor ein geheimes Gutachten bey dem Kirchner einholen? Vielleicht ist bey keinem andern öffentlichen Amte das Nützliche mit dem Angenehmen so fest verbunden, als bey dem meinigen. Da es mich nöthiget, wie eine Bildsäule, auf Einem Flecke stehen zu bleiben — da jedermann gewiß ist, daß ich ihm Stand halten muß; so müssen schon deswegen eine Menge Geschäfte an mich gelangen, die keinen Aufschub vertragen; und das sind unstreitig immer die interessantesten. So bin ich nach und nach, ohne Bemühung auf meiner Seite, von den geheimsten Anliegen der hiesigen Einwohner unterrichtet worden — wirke jetzt auf den Sohn, wie ich auf den Vater — auf die Tochter, wie ich auf die Mutter gewirkt habe — sehe mich, wie die Orakel der Alten, in den Stand gesetzt, das allgemeine Zutrauen der Familien zum Vortheile ihrer einzelnen Glieder zu nutzen — wie ein heimliches Gericht, hier zu belohnen, dort zu bestrafen, manchen traulichen Wunsch des einen mit der Erwartung des andern auszugleichen, und sonach, ganz in der Stille, wie es einem Weisen geziemt, auf Welt und Nachwelt zu wirken. — Aber, mein werthester Herr, was ist Ihnen? Sie stehen ja in gar tiefen Gedanken!“

     „Halten Sie mir meine Zerstreuung zu Gute, lieber Herr Kirchner,“ versetzte ich: „aber eben ging mir eine sehr neugierige und zudringliche Frage durch den Kopf, die ich = = =“

     „Nicht das Herz haben mir vorzulegen?“ faßte er selbst höflich meinen Gedanken auf. „O, machen Sie mit mir keine Umstände! — Ich bin an allerley Fragen gewöhnt, und selten verlegen, darauf zu antworten.“

     „Nun so sagen Sie mir aufrichtig,“ fuhrt ich fort, „setzt denn wohl die schöne Clara, die dort oben in der Stiftsgasse bey einer alten Tante wohnt, ihre jugendlichen Wallfahrten bey diesem heiligen Grabe fort, oder ist sie auch schon über Ihre Petrarchischen Vorbereitungen hinaus, mit denen Sie der hiesigen Jugend zu Hülfe kommen?“

     „Welch eine Verbindung von Ideen!“ rufte der Kirchner mit sichtbarer Verwunderung. „Wie in aller Welt kommen Sie doch von meiner Mädchenprobe auf das zerknirschte Herz dieser Heiligen?“ —

     „Das geht doch sehr natürlich zu,“ antwortete ich. „Schon drey Tage wohne ich neben ihrer Kammer, höre sie täglich einen oder ein paar Psalmen mit einer Engelsstimme singen, kann keinen Blick auf sie werfen, wenn sie in die Messe geht, ohne durch und durch erschüttert zu werden, und“ = = =

     „Und so wird es freylich begreiflich,“ half mir der gute Kirchner wieder ein, „warum Sie einen so warmen Antheil an ihren Wallfahrten nehmen. In ganz Avignon hätten Sie für Ihre Ruhe Sich in keine gefährlichere Nachbarschaft einmiethen können; so viel kann ich Ihnen anvertrauen.“

     „Und meine Frage?“ rief ich mit Ungeduld = = =

     „Ist sehr verfänglich,“ fiel er mir in die Rede: „Aber Sie verdienen,“ hier rasselte er mit meinen zwey Laubthalern — „daß ich sie ohne Zurückhaltung beantworte. Es mögen ungefähr zwey Jahre her seyn, als sie mir, mit den schüchternen und verschämten Blicken eines dreyzehnjährigen Mädchens, zum erstenmale unter die Augen trat. So lange ich meinem Amte vorstehe, sah ich noch auf keinem Gesichte den Uebergang der ruhigen Einfalt in die glückliche Zeit der Erwartung sanfter bezeichnet, sah das letzte Verathmen der Kindheit nie in einer sittsameren Bewegung — Ich hätte der jungen Brust helfen mögen, sich auszudehnen! Ich that, was ich konnte, und wurde für die einschmeichelnde Erzählung meiner alten Geschichte durch immer lebhaftere Blicke ihrer feurigen Augen nur zu sehr belohnt; denn ich stotterte mehrmalen, was mir sonst nicht widerfährt, und fühlte, daß ich noch roth werden konnte. Wie bedauerte sie nicht den armen Petrarch, und was für Geschmack fand ihre harmonische Seele nicht an seinen herrlichen Sonnetten! Sie hat sie so oft, unter klopfendem Herzen und mit feuchten Augen, angehört, daß ich nicht zweifle, sie weiß sie nun so auswendig als ich. Seit einiger Zeit hat sie sich jedoch ganz auf die sublime Seite der Andacht gewendet, auf der sie, wie es scheint, einzig ihr Glück zu machen gedenkt: nicht, als ob sie nicht dann und wann noch die heilige Grabstätte besuchte; nur geschieht es seitdem nie anders, als unter Begleitung ihres zeitigen Gewissensraths, deren sie drey — einen nach dem andern versteht sich — vorher gehabt hat, ehe das Glück ihr unsern Herrn Probst zuführte, der seine meiste Zeit auf die Seelsorge dieses ausgezeichneten Mädchens zu wenden — und mit dem auch sie vollkommen zufrieden zu seyn scheint.“

     Das Blut stieg mir ins Gesicht — „Kennen Sie,“ fragte ich stotternd, „diesen Mann genau?“

     „Ob ich ihn kenne?“ fiel mir der Kirchner so hitzig ein, als ob ihn meine Frage verdrösse. „Ein Steinfremder, dächte ich, dürfte ihn nur einmal über die Straße gehen sehen, um ihn ganz zu kennen. Die Männer grüssen ihn demüthig wie einen Apostel, die flüchtigsten Mädchen sogar bleiben stehen, wenn er vorüber geht, heben die Augen gen Himmel, und drücken seine segnende Hand gegen ihren schwellenden Busen. Seitdem dieser brave Herr das Amt der Schlüssel trägt, so hat er“ = = =

     „Ohne Unterbrechung, lieber Herr Kirchner,“ fiel ich dem enthusiastischen Lobredner ein, „was für ein Amt bezeichnen Sie unter dieser sonderbaren Benennung?“

     Der gute Mann schien Mitleiden mit meiner Unwissenheit zu tragen, die wirklich auch in allem, was zur Kirchenverfassung gehört, über die Maßen seicht ist; und um mir die Sache recht anschaulich zu machen, zählte er mir alle die Schlüssel an den Fingern her, die der junge Mann, durch seine Beförderung zum Propst, in seine geistliche Gewalt bekommen hatte. — „Er ist,“ sagte der Kirchnere mit anständigem Ernst —

     „Er löst die Bande der Natur,
Und schiebt ihr Riegel vor —
Von der verborgenen Clausur,
Bis zu dem offnen Thor;
Hat seinen Gang, nach eigner Wahl,
Zu allen Schlössern frey,
Vom Kirchthurm, zu dem Speisesaal,
Bis zu der Kellerey.“

     „Sie begreifen doch nun,“ fuhr der Kirchner mit unveränderten Gesichtszügen fort, „in welcher wahren Pastoral=Glückseligkeit, dieser würdige Mann, auf die Zukunft des Herrn wartet? Ich kenne von den vielen Freunden eines guten Hirten in der That nur Eine, die ihm noch zur Zeit abgeht, ihm jedoch gewiߓ = = =

     Hier hielt er auf einmal inne, als ob er Bedenken fände, sich weiter heraus zu lassen, spannte aber dadurch, wie du denken kannst, meine Neugier nur desto höher; und da seine Pause dießmal länger anhielt, als ich an ihm gewohnt war, so ergriff ich traulich seine Hand, und: „Ich verstehe Sie nicht, theuerster Freund,“ sagte ich so freundlich, als ich nur konnte. „Bey all den Schlüsseln, die Ihrem Propste zu Gebote stehen, was für eine Freude könnte ihm mangeln?“

     „Nur die,“ fuhr der Kirchner durch meine Herablassung gewonnen, jedoch mit gedämpfter Stimme fort, „daß er kein verirrtes Schaf zu seiner Herde zurück kehren sieht, weil, zu seynem Lobe sey es gesagt, bey der guten Art, mit der er sie weidet, ihm noch keins verloren ging.“

     Nach diesen geheimnisvollen Worten verfiel der Mann aufs neue in eine so ministerielle Miene, als ob er mir nicht geradezu sagen wolle, er habe nun, wie es ihm dünke, seine zwey Laubthaler ehrlich und redlich verdient. Sie schreckte mich ab, weiter in ihn zu dringen; und, so viel es mir auch kostete, schickte ich mich an, ihn zu verlassen.

     Er begleitete mich stillschweigend bis an die Thür; hier aber gab er mir noch einen kleinen Nachtrag zu dem Panegyrikus, dessen ich schon lange satt hatte, mit auf den Weg. — „Hoffentlich,“ sagte er, „gehen Sie nun ganz überzeugt von den Verdiensten unsers würdigen Propstes von mir! ja, ich schmeichle mir sogar, daß Sie mit dem guten Entschlusse von mir gehen, die Summe seiner Freuden zu vermehren, wenn Sie Gelegenheit finden. — Unterdeß leben Sie wohl!“ —

     „Eine schöne Zumuthung!“ murmelte ich vor mich hin. „Der Kerl ist der erste Rasende, den ich für seinen Vorgesetzten betteln höre.“ Meine Laubthaler fingen an mich zu reuen. Ich schlich wie belastet nach Hause. Das Bild des Propstes, von dem ich hier eine viel vortheilhaftere Zeichnung erkauft hatte als ich erwartete, sein ausgebreiteter guter Ruf, sein beneidungswerthes Amt, sein Wirkungskreis, seine Thätigkeit, alles vereinigte sich, um mich zu demüthigen. Ich warf mich höchst mißmüthig auf meinen Stuhl, saß lange vertieft in schwermüthige Gedanken, und fühlte, wie drückend die Verdienste anderer sind, wenn man keinen Muth hat, sie nachzuahmen. „Daß doch,“ rief ich mit Bitterkeit, „mir ein Mann in die Nähe kommen — die Stille meines Museums — und die hohen Gedanken, die mir über der Seele schwebten — verscheuchen mußte; der zu jedem geistlichen Geschäfte — wenn nicht etwann auch das Graben in den Pontinischen Sümpfen darunter gehört, verdorben ist — ein Mann, der sich im Besitze aller menschlichen Freuden schaukelt, während daß ich einen Stein nach dem andern einzeln zusammen lesen, um den Bau eines idealischen Glücks aufzuführen — und daß — ach! ein Engel wie Clara, sich von ihrer Höhe herab lassen muß, um ihn durch ihre Scherze, ihr harmonisches Lachen, und durch ihr melodisches Organ in die Entzückungen des Paradieses zu versetzen — und das alles bloß deswegen, weil er Propst ist!“

     Ach! der Neid, lieber Eduard, ist doch ein dummes, häßliches Laster, mit Sophismen und Uebertreibungen überladen, und aus Giften zusammen gesetzt, die wir, wie Rasende, verschlucken, so gewiß wir auch sind, daß sie Grimmen in unsern Eingeweiden erregen werden. Dieß Gefühl ward mir bald so unerträglich, daß ich den schnellen Entschluß faßte, es abzuschütteln.

     Das erste Hilfsmittel, nach dem ich griff, war die Klingelschnur. Bastian, dachte ich, soll dir die überlästige Einsamkeit verscheuchen, und deiner ärgerlichen Unterredung mit dir selbst durch die Dazwischenkunft seines muntern Geschwätzes ein Ende machen. „Wie steht es, Freund,“ rief ich ihm entgegen, als er herein trat: „weißt du mir nichts von meinen Hausgenossen zu erzählen?“

     „O! sehr viel,“ antwortete er mir mit einer selbst gefälligen Miene: „ich habe in Ihrer Abwesenheit das Glück gehabt, sie beyde zu sprechen. Die Alte, mein Herr, hat einen Anschlag auf Sie!“

     „Auf mich?“ fuhr ich auf: „das verzeihe ihr Gott!“ —

     „Ja, mein Herr,“ erwiederte Bastian: „aber er ist nicht böse gemeynt, und ich wünsche selbst = = = doch lassen Sie Sich nur erst den ganzen Vorfall erzählen. Ist es Ihnen nicht schon aufgefallen, wie ich Ihre Entfernung genützt, wie ich Ihre Zimmer gekehrt, und Ihre Möbeln gesäubert habe? Nun war ich eben daran, der Figur unterm Spiegel den Staub abzublasen, als die Damen aus der Kirche zurück kamen, und mich in dieser Beschäftigung auf dem Vorsaale antrafen. Die alte Tante trat zuerst zu mir. — Nehme Er Sich in Acht, mein Freund, sagte sie mir, daß Er ja über das Putzen dem schlafenden Engel nicht schade! — Und, mein guter Freund, sagte die Nichte, die auch herzu trat: Sein Blasen wird Ihm wenig helfen — der Staub sitzt zu fest — Warte Er! ich hole ihm etwas Baumwolle, damit wird es eher gehen. — Sie trippelte in ihr Zimmer, kam bald zurück; da sie mich aber mit ihrer Tante im Gespräche sah, nahm sie mir die Figur ab — und es währte keine zehn Minuten, so ward der Engel, unter ihren Händen wieder wie neu.“

     „Wie?“ unterbrach ich den weitläuftigen Burschen: „Clärchen hat ihn mit eigenen Händen geputzt? Da muß ich doch = = =

     Ich sehe es nun zum voraus, Eduard, es wird dir sehr geringfügig vorkommen, wenn ich dir jetzt erzähle, wie ich bey diesen Worten aufsprang, und mich bedächtig und langsam über den schlafenden Amor bog, um zu sehen, wie glänzend er aus Clärchens Händen gekommen sey. Du hast aber Unrecht! Nichts ist dem Beobachter geringfügig, wenn es darauf ankommt, Charaktere zu schildern. Die unmerklichsten Züge, die der große Haufe übersieht, können dem Seelenmaler von Bedeutung werden, und durch eine glückliche Uebertragung auf die Leinewand seinem Gemälde vielleicht alle die Physiognomie geben, die der gemeine Pinsler vergebens herum stören. Rubens hatte ein lachendes Kind gemalt — Er that einen einzigen Pinselstrich — und siehe! es weinte zum Erstaunen der Umstehenden.

     Gesetzt also, daß mein Hinblick auf den gereinigten Amor mir zu einer Bemerkung verholfen hätte, die der Aufbehaltung werth sey, die es verdiente, einst ihren Platz in Clärchens Legende zu finden; würdest du nicht gezwungen seyn, das Auge zu bewundern, das nie vergebens auf seine Entdeckungen ausgeht — dem Scharfsinne des Mannes zu huldigen, der auch in Sonnenstäubchen Farben bemerkt, die sich zu seinen psychologischen Schattirungen benutzen lassen; und würde dir nicht die Sicherheit seiner Hand gefallen, die mit so kleinen Mitteln die Wirkung eines Rubens hervorbrächte?

     Hätte mir Bastian auch nicht gesagt, daß Clärchen den Engel gesäubert hätte, es wäre doch für mich entschieden gewesen, daß es nur eine jungfräuliche Hand seyn könne, die es that. Sie hatte die Figur im Ganzen zwar funkelnd und weiß wieder hergestellt, bis auf eine Kleinigkeit, die, da sie unmöglich zu übersehen war, ihr also wohl so erstaunlich befremdend gewesen seyn mußte, daß sie ihre Baumwolle darüber verlor. Dieß, schloß ich weiter, würde ihr nicht geschehen seyn, wenn sie mehr bewandert in der Mythologie, weniger fremd in der Naturgeschichte, und nicht so schreckhaft wäre, wie ein kleines Kind, das bey allem was ihm ungewohntes aufstößt, große Augen macht, und davon läuft. Ich schloß ferner, und, wie ich glaube, sehr richtig, daß, da sie die Figur so gar wenig kannte, sich wohl noch kein Miethmann rühmen könne, daß ihn die schöne Nachbarin auf der Stube besucht habe, in welcher der Engel schläft. Und ich schloß endlich, daß, bey allen ihren Petrarchischen Vorbereitungen und ihrem Umgange mit drey geistlichen Vätern, ihre Kenntnisse doch zum Erstaunen beschränkt, und von einer so ruhigen Einfalt seyn müßten, als sie wohl noch nie auch der strengste Richter von einer Heiligen verlangt oder erwartet hat. Das alles, Freund, schloß ich aus dem Staube, der, höchstens in der Länge eines Zolls, an dem schlafenden Engel zurück blieb.

     Ob man von dem Gesichtspunkte, den ich in´s Auge gefaßt hatte, allemal ausgehen müsse, um über den Werth oder Unwerth eines rätselhaften Mädchens zu urtheilen, will ich nicht entscheiden: so viel ist aber gewiß, daß Clärchen durch den Mangel ihrer Kenntnisse, und durch das augenscheinlich erste Schrecken ihrer Hand, unendlich in meiner Vorstellung gewann. Auch die einzelnen Züge, dich ich vorher schon von ihr aufgefaßt hatte, wurden durch diesen noch hervortretender, und trugen das ihrige bey, mich mit mir selbst über die Ehrfurcht zu vereinigen, die ich einer so frisch erhaltenen Tugend schuldig bin. Ach! wenn es wahr ist, daß es Heilige giebt — und wie könnte ich jetzt daran zweifeln? — so verdient Clärchen wohl diesen Titel vor allen ihres Geschlechts: Sie, die schon als Kind nur in den Kramläden der Klöster ihre Spielwerke suchte, und immerfort, wie es die Figur zeigt, unbekannt mit denen blieb, die für ihr Alter gehören; Sie, deren Stimme noch unverdorben blieb, ob sie gleich so oft mit ihren Beichtvätern gewechselt hat, wie ich mit meinen Spazier=Schuhen, das heißt, bis ich ein Paar gefunden habe, das mir recht sitzt.

     Was hat mir nicht alles Herr Fez von ihren kleinen Speculationen erzählt, die mir nach und nach wieder beyfallen werden! Eins nur davon: Ihr erster Vertrag mit der Maria — ist er nicht eben so fein ausgedacht, als er fromm ist? Ich frage dich selbst, Eduard, welche Schöne würde bey dem Uebergange in die Zeit ihrer Rosen so viele Besonnenheit behalten, als dieses unschuldige Kind? so daß es sie alle, wie sie unter seiner Hand aufschießen, mit der minorennen Angst, es möchte die ganze Stadt ihren Reichthum erfahren, und mit der Sorge in Empfang nimmt, was es damit anfangen, und wer sie bewachen solle? und bey der Unerfahrenheit, welche wohl dem Verwelken, welche der Beraubung am nächsten sey? einzeln erst diese — dann jene, und endlich den ganzen Strauß — der Mutter in den Schooß legt. Es liegt ein System von Unschuld in diesen kindischen Begriffen, daß ich den Kurzsichtigen bedauern würde, der keinen Zusammenhang darin fände. Er muß nie ein unbefangenes Herz unter Augen gehabt — nie eine Clara gekannt, oder gar das Unglück haben, an keine weibliche Tugend zu glauben.

     Für eine solche Heldin ihres Geschlechts, als ich dir jetzt gemalt habe, Eduard, könnte ich selbst meine Stimme zu den Beyträgen ihres verarmten Vaterlandes geben, um ihre Seligsprechung zu befördern; um so mehr, da eine so billige Steuer schwerlich öfter als Einmal in einem Jahrhundert vorfallen dürfte. — Und gegen dieß herrliche Geschöpf konnte ich auf Augenblicke verblendet genug seyn niedrige Absichten zu hegen?

     „Fahre nun fort, Bastian,“ rief ich aus einer Art von Bedürfniß, eine andere Stimme zu hören als die meinige; denn ich hatte mir nichts Höfliches zu sagen. — „Sie suchte mich auszuforschen,“ fuhr der Erzähler fort — „Wer denn?“ unterbrach ich ihn. — „Sie sind zerstreut, mein Herr,“ antwortete Bastian: „Sie haben verhört, oder vergessen, was ich Ihnen eben in diesem Augenblicke erzählte. Die alte Tante war es, die mich über den Besuch ausforschen wollte, den Ihnen diesen Morgen der Herr im Purpur abstattete. Diese vornehme Bekanntschaft mochte in ihren einfältigen Augen wohl einen gewaltigen Glanz auf Sie werfen, mein Herr. Ich wußte nun freylich selbst nicht viel davon; aber was thut das? Man muß niemanden seine gute Meinung von andern benehmen, am wenigsten ein treuer Bedienter, wenn es das Ansehn seines Herrn betrifft: so muß man im gemeinen Leben denken, wie man in der Religion thut. Auch suchte ich es so sehr aufzustutzen, als ich konnte, und so erzählte ich am Ende mehr Rühmliches von Ihnen, mein Herr, als mir selbst bekannt war. Was wollen Sie sagen, Madam? antwortete ich: das ist nicht der erste Purpurmantel, den mein Herr vor seinem Bette sieht. Von einem Erzbischof, von einem Prälaten an den andern empfohlen, wird er von allen wie ein Freund vom Hause empfangen. Es ist ein Spaß mit so einem Herrn auf Reisen zu seyn; denn wo wir nur hinkommen, fliegen uns die vornehmsten Geistlichen wie die Spatzen ins Haus. — Sollte nicht etwann Sein guter Herr, muthmaßte dabey die Alte, gar die fromme Absicht haben, zu unserer einzig selig=machenden Religion überzugehen? — Kann wohl seyn, erwiederte ich, und ich wünsche es von Herzen; denn seine jetzige mag so gut seyn wie sie will, so sieht man doch wohl, wie blaß und mager er dabey geworden ist. — Das dünkt mich auch, fiel mir her Mamsell Clara ins Wort: er dauert mich, wenn ich ihn ansehe. — Laßt es gut seyn, Kinder! war zuletzt der Ausspruch der Tante. Ich müßte mich sehr irren, wenn es bey einem Manne, der solche Anzeigen giebt, der so weit her kommt, um unsere Clerisey aufzusuchen, der einen so verständigen Menschen von unserm Glauben, sagte die Tante, in seinen Diensten hat, und der seine Wohnung bey uns nahm, es müßte sonderbar zugehen, wenn es bey dem nicht zum Durchbruch kommen sollte. — Hier schwieg sie, und da ich an ihren Lippen und Zeichen sah, daß sie ein Paternoster für Sie betete, so that ich ein Gleiches; auch Clärchen setzte den Engel bey Seite, schlug ihre Augen in die Höhe, und knötelte an ihrem Rosenkranze, und es war einige Minuten ganz still auf dem Vorsaale.“ —

     „Ist das der Anschlag, den die Alte auf mich hat?“ fragte ich meinen Bastian lächelnd. „Nun der mag noch hingehen — aber nur weiter!“ —

     „Ach, mit welchem Seelenvergnügen,“ fuhr er jetzt noch lebhafter fort, „haben Tante und Nichte die Andacht nicht heute Morgens bemerkt, mit der Sie, mein Herr, als ob Sie schon zum Kapitel gehörten, dem heiligen Hochamte beywohnten!“ —

     „Was sagst du?“ fuhr ich auf: „Clärchen war in der Kirche, und ich habe es nicht geahndet?“

     „Und doch“ — erwiederte Bastian, „stand sie gar nicht weit von Ihrer Loge. Als Hausgenosse, hatte ich mich neben sie gestellt; aber Sie waren so vertieft in Ihrer eigenen Andacht, daß Sie die unsere gar nicht gewahr wurden. Ich wünschte, Sie hätte das liebe Kind beten gesehen! Sie erbaute den ganzen Zirkel, der um sie her kniete, und ich bin versichert, es wurden ihr aus allen Ecken und Enden mehr Blicke, mehr Seufzer zugeschickt, als der heiligen Genovia selbst.“ —

     „Hohle mir eine Flasche oeil de perdrix, Bastian!“ unterbrach ich hier den Schwätzer. „Thue dir auch selbst für deine heutig leibliche und geistliche Anstrengung etwas zu gute. — Hier hast du einen kleinen Thaler dazu: aber um meine Bekehrung bekümmere dich weiter nun nicht! Hörst du?“

     Bastian machte eine erbärmliche Miene, steckte sein Trinkgeld ein, und ging. Der gute Narr! Könnte ich in seine Munterkeit, in seine fröhliche Laune, in seine blühende Gesichtsfarbe und in seine Jugendkräfte so leicht übertreten als in seine Religion! — ! Von so einem Umtausch ließe sich schon eher sprechen. Er kam bald wieder zurück, setzte mir den Wein stillschweigend auf den Tisch, und entfernte sich mit einem so bedeutenden Blicke, als wollte er mir sagen: Brauchen Sie nur dieses Mittel! es ist das wirksamste zu Ihrer Bekehrung. Nun, das wollen wir sehen, dachte ich, zog den Pfropf aus meiner Bouteille, und warf ihn wieder die Wand.
 

* * *


Abends Eilf Uhr.


Ich habe in meinem Tagebuche eine Lücke von sechs wichtigen Stunden auszufüllen. Ich möchte sie auch nicht bis zu dem andern Tage verschieben, selbst nicht wenn ich bis zu seinem Anbruche fortschreiben sollte. Nur bitte ich dich, Eduard, gieb genauer Acht, als gewöhnlich; denn ich bin im Begriffe, dir einen neuen Beweis von der ungleichen, schwankenden und materiellen Zusammensetzung meiner Seele zu geben, der vollständiger ist, als alle vorhergehende. Ich selbst, da ich ihn niederschreibe, möchte beynahe glauben, daß ich, seit der vorigen Blattseite, um zehn Jahre zurück getreten sey; so ausschweifend muß ich mich, wenn ich der Wahrheit treu bleiben will, auf dieser hier schildern. Welch ein unbegreifliches Wesen, das in mir wirkt! Ich hoffe für das Glück der Welt, daß die Form davon, wie bey Rousseau´s Seele, zerbrochen seyn soll, und daß meine einzelne Anomalie in dem Universo nicht so gar viel zu bedeuten habe. — Doch wozu diese Vorrede? Sie ist nach der Zeitordnung, die ich doch gern beobachte, viel zu voreilig. Ich will mich fassen! Denn wenn du die Anklage meiner richtig beurtheilen sollst, so mußt du ja wohl erst sehen, wie, und wodurch ich sie verdient habe.

     Sobald ich diesen Nachmittag den Propf aus der Hand warf, und mich mit meiner Flasche allein sah, entrunzelte sich meine Stirne, die noch von dem System her, das ich mir von Clärchens Unschuld zusammen setzte, alle Zeichen eines ernsthaften Nachdenkens trug. Ich lächelte meinen freundlichen Wein an, und, wie er mir erst unter der Nase sprudelte, setzte auch sein Geist den meinigen augenblicklich in Gährung. Ein flüchtiger Gedanke zog nach dem andern vorüber, ohne daß ich ihn aufhielt; bis endlich einer so zudringlich ward, daß ich ihn faßte, und mir durch alle mögliche Sophistereyen den Spaß machte, ihn so lange aufzustutzen, bis er mir am Ende zu meinem Unglücke über den Kopf wuchs.

     Ich habe dir, — du hast es auch gewiß gefühlt, Eduard, — mit aller Stärke der Wahrheit die Gründe vorgelegt, die für die Heiligkeit meiner vortrefflichen Nachbarin sprechen. Wie konnte es mir nun einkommen, jetzt, als ein Advocatus Diaboli, Beweise aufzusuchen, die sich auf das unverschämteste ihrer Seligsprechung gerade entgegen stellten? Es ist unglaublich, und doch wahr. Wie ich diesen Irrweg einschlug, ahndete mir freylich nicht, daß ich so weit, und bis zu dem Abgrunde vorrücken würde, vor dem mich noch schaudert. Mein Blut gerieth bey jedem frischen Glase, das ich hinunter stürzte, mehr in Feuer, und meine Einbildungskraft gewann die Oberhand über meine bessern Gesinnungen. Ich konnte immer weniger an das herrliche Geschöpf hinter der Scheidewand ohne Begierde denken, und setzte sie mit einer unerklärbaren Frechheit, nach jedem Schlucke, den ich zu viel that, von den hohen Stufen ihrer Würde immer tiefer und tiefer herab, bis ich sie endlich, nicht ohne Schwierigkeiten, mit mir unter Eine Linie gebracht hatte; und nun erst ging ich unbarmherzig mit ihr um. Die klärsten Beweise ihrer Unschuld schickte ich mit einem Schnippchen in die Luft. Ihre Heiligkeit schien mir nichts mehr, als eine angenommene Rolle zu seyn, die sie gut genug vor dem Publicum spielte. Und um dir alles zu sagen, wie es in so einer Seele aussieht, konnte ich sie mir endlich unter keinem andern Bilde mehr denken, als dem — der Iphigenie von Tauris, die wir einmal, noch als junge Leute, von dem Theater nach Hause führten, und die uns, wie wir damals dachten, einen so frohen Abend verschaffte.

     Nun kennst du meine Grundsätze, Eduard, wenn du anders das Wort hier gelten lassen willst. Von jeher hat mich nichts mehr aufbringen können, als wenn ein Fürst zum Beyspiele, mich durch seinen lakonischen Ernst, über seine Regententugend — ein Minister durch höfische Zurückhaltung, über seine Staatsklugheit — ein Pfarrer durch seinen faltigen Rock, über seine innere Ueberzeugung — und ein Mädchen durch den Flitter ihrer Sentiments, über ihre Tugend hinter das Licht zu führen gedenken. Es gehört ein gutes Herz dazu als ich habe, daß ich nur selten bey solchen Gelegenheiten meiner Gabe zu spotten Raum gebe. Bey einem Mädchen aber, das sich mit so außerordentlichen Annehmlichkeiten, als Clärchen besitzt, in meiner Näher für sicher hielt, weil sie auf ihren Betrug und meine Blindheit rechnet, das mein brennendes Herz zwey volle Tage mit der Ungewißheit getäuscht hätte, ob es sie als eine Heilige bewundern, oder als eine gemeine Sängerin behandeln solle — bey so einem Geschöpfe würde die Rache meines Muthwillens ohne Gränzen seyn. Gewiß sollte sie mir die Gegenbeweise ihrer Unschuld auf das demüthigste ausliefern, ihren ersten und letzten Betrug in meinen Armen gestehen, und durch alle möglichen Züchtigungen der Liebe für den erborgten Schimmer büßen, durch den sie einen erfahrenen Mann zu blenden gedachte.

     Noch will ich nicht entscheiden — sagte ich sehr großmüthig — aber es gilt einen Versuch: und beschämt gestehe ich dir, daß ich in diesem Augenblicke vor der Möglichkeit erschrak, in ihr eine Heilige zu finden; so sehr hatte ich mich schon daran gewöhnt, sie als ein irdisches Mädchen zu behandeln.

     Sie mag eins oder das andere seyn, fuhr ich nach einigem Nachdenken fort, so kann sie mir doch als ihrem Nachbarn unmöglich verargen, daß ich ihr meinen Besuch mache. So viel ich weiß, ist das in keinem römischen Calender verboten, ja mich däucht sogar, ich habe gelesen, daß es die Pflicht einer Heiligen sey, wenn sie Heiden bekehren will, sich ihnen zu nähern, und keine gesellschaftlichen Mittel unversucht zu lassen, ihre Seelen an sich zu ziehen. — Clärchen sehnt sich also wohl so sehr nach meinem Umgange, als ich mich nach dem ihrigen, wenn es ihr, wie ich glaube, mit ihrem Gebete auf dem Vorsaale ein Ernst war; zumal diesen Abend, wo es, gegen das gestrige Geräusch, in ihrem Zirkel so still ist, als wenn sie von Himmel und Erde vergessen wäre.

     Mein Muth wuchs nun in demselben Verhältnisse, in welchem meine Flasche abnahm; und kaum war das letzte Glas überwunden, so war ich auch schon auf dem Wege nach Clärchen. Aber meine Bewegung dauerte dießmal nicht fort; denn in diesem Augenblicke, und da ich eben den Griff der Thüre in die Hand nahm, trat ich zufälliger Weise auf den Stöpsel meiner leeren Bouteille. Ich hob ihn auf, und besah ihn. Kein Pfopf ist wohl noch so bedenklich besehen worden. Es war mir, als ob der Blick noch fest an ihm klebe, den mir Bastian so bedeutend zuwarf, als mir vorhin der Kork aus den Hand flog. Sollte Bastian mit seinem Blicke Recht haben? befragte ich mich erschrocken; sollte es wirklich für die Religion gefährlich seyn, sich in dem Taumel des Weins einer Heiligen zu nähern? Das muß ich zuvor noch untersuchen, sagte ich, und zog mich mit meinem Stöpsel langsam nach meinem Lehnstuhle, auf den ich mich nun in eine Lage warf, die zum Nachdenken eines Betrunkenen wie gemacht war. Auch mochte ich nur etwa eine halbe Stunde so gelegen haben, als ich schnarchend erwachte, und unstreitig viel klärer in meiner Angelegenheit sehen gelernt hatte, als vorhin.

     Es war schon spät, Eduard, und der Mond schon im Aufgehen; viel später, als heute vor sechs Tagen, da er mir auch schien, als die gute Margot mir ihr warmes Halstuch um den Kopf band. Hätte ich diesen Gedanken behutsamer verfolgt als ich that, ich glaube, es wäre nichts aus meiner Visite geworden. So aber kam ich von Margots Halstuch auf das Halstuch der Heiligen, von dem Hundersten in das Tausendste, und — mein guter Gedanke entwischte mir unter den Händen.

     Indeß war es doch drollig, daß ich noch immer wie angeheftet auf meinem Lehnstuhle verweilte, ohne mich ganz von dem Mißtrauen in meine Einsichten trennen zu können, das du von jeher an mir gewohnt bist, und das mir immer noch anklebt, wie eine Nervenschwäche. Mein Vorsatz war zwar gefaßt; aber um ihn auszuführen, fehlte mir nur noch die Aufmunterung eines Freundes, der mir für den glücklichen Erfolg und für allen Schadern haftete, der daraus erwachsen könnte; und auch diese Gewähr wußte ich mir endlich zu verschaffen.

     Ja, lieber Eduard, allem mein voriges Hin= und Her=Ueberlegen hätte ich mir recht gut ersparen können, wenn ich eher an Den gedacht hätte, der mir in Avignon alles in allem war — an den Vorbereiter der Jugend, an das Orakel der Stadt, an den ehrlichen Kirchner. Ich brauchte ihn nur noch einmal in Gedanken anzuhören, um zu wissen, woran ich mir Clärchen war. Sein dunkles Gespräch schwebte mir vor, als ob er mir gegenüber säße, und entwickelte sich jetzt zu meiner ungleich größern Zufriedenheit, als da ich ihn selbst hörte. Meine Wünsche bekamen ihre einzige wahre Richtung. Mit dem Uebertritte zu Clärchens Religion, fühlte ich, habe es heute wohl nicht viel zu bedeuten, und ich steckte, um nicht wieder darauf zu treten, den Pfropf in die Tasche. Sein dunkles Gespräch? Mein Gott! durfte er es denn wohl weniger behutsam anlegen, wenn er seiner neuen Freundschaft für mich ein Geschick geben wollte, ohne geradezu seiner ältern für den Propst zu schaden? Wie war es möglich, daß ich so blind seyn konnte? Ich erstaunte, als ich die feinen Winke erwog, die er mir, wie von ungefähr zuwarf, als ich die schlauen Bemerkungen analysirte, die er fallen ließ, und die Local=Farben, die er zum Gemälde seines Vorgesetzten brauchte, mit den psychologischen Nachrichten verglich, die er mir von Clärchen mittheilte — ich erstaunte, sage ich, über die Deutlichkeit, die in allem dem herrschte. Der sonderbare Accent, den er, wie es mir schien, ohne Noth auf dieses oder jenes Wort legte, bekam nun Bedeutung und Sinn.. Sein Aufruf meiner zu Gunsten des Propstes erklärte sich mir, wie das Einlaßbillet einer Komödie; und obgleich seine Räthsel so theologisch verflochten waren, als man sie nur von einem getauften Juden erwarten kann, so war mir doch weiter nicht bange, diese feinen Fäden glücklich aus einander zu wirren.

     Den Dünsten gleich, die von den Auen
Beym Ueberschein der Sonne fliehn,
Sah mein geschärfter Blick des schlauen
Orakels Dunkel sich verziehn.
Ich forschte mit der Kraft, die Bachus mir verliehn,
Dem schweren Räthsel nach, bis mit geheimen Grauen
Sein Knoten mir entgegen schien.
Neu, jung und modulirt, als keiner nach Berlin
Zu Markte kommt, und doch nicht von der rauhen,
Antiken Festigkeit, um ihn,
Anstatt zu lösen, durchzuhauen —
Lag er im Schutz des Heiligsten der Frauen,
Schon darum werth um vor ihm hinzuknien.
Und wie der erste Trieb, sein Felsennest zu bauen,
Den jungen Adler hebt auf eine Höh´, wohin
Kein Aug´ es wagt, ihm nachzuschauen,
So überflügelte mein männliches Vertrauen
Das Heiligthum der Sängerin.
Ich forderte von ihr, die mir den Schlaf verwehret,
So lang´ Ersatz für den verlornen Schlaf,
Bis ich den ganzen Schwarm der Freuden aufgestöret,
Die der Verlauf der Zeit vielleicht dem Propst bescheret,
Wenn die Ermüdete, als ein verirrtes Schaf,
Zu seiner Herde wiederkehret,
Und sah erstaunt wie das, was jedem Theil gehöret,
In Einem Punkt zusammen traf.
 

* * *


     Hast du selbst je von einem Plane gehört, lieber Eduard, der einfacher in seiner Anlage, geschmeidiger für die Ausführung, und für den Endzweck, den er beabsichtigt, so harmonisch in allen seinen einzelnen Theilen wäre? Wie geübt, dachte ich mit schuldiger Bewunderung, muß die Hand des Meisters seyn, der ihn entwarf! wie groß seine Erfahrung der Welt, wie sicher seine Kenntniß des Locals und seine Bekanntschaft mit den Sitten der Andächtigen.

     Ich hatte nur einige Schritte über den Vorsaal zu thun, die bey dem hellen Scheine, den der Mond über ihn bereitete, keine Schwierigkeiten machten. Ehe ich aufbrach, bedachte ich noch, wie wenig man oft bey solchen Besuchen Herr seiner Zurückkunft ist, und setzte aus Vorsicht mein Licht in den Camin. Im Vorbeygehn beym Spiegel würdigte ich auch noch meinen äußeren Menschen einer flüchtigen Untersuchung, und wie vortheilhaft fiel sie dießmal nicht aus! Wäre der schlafende Amor in die Höhe gesprungen mich zu umarmen, wahrlich, ich hätte es in diesem Augenblicke für kein Wunder gehalten. So einen Schlummer möchte ich mir wünschen, sagte ich, indem meine freundlichen Augen den Ausdruck der glücklichsten Ruhe verfolgten, den ihm der Künstler zu geben gewußt hatte. — Ich gelobte, wenn ich so ausdrucksvoll von Clärchen zurück käme, ihm das Restchen Staub abzuwischen, bey dem sich ihre zitternde Hand, mitten in der Arbeit, so artig zurück zog. Ob wohl allen Heiligen dieses Gefühl der Sensitiven eigen seyn mag? und ob sie wohl solches auch noch bis nach Untergang der Sonne behalten? Ich sah, als ich in dem Spiegel wieder nach mir aufblickte, daß mich dieses Problem, und die Hoffnung es aufzulösen, roth gemacht hatten bis über die Ohren; und wie auserwählt schien nicht diese Farbe zu meinen großen viel versprechenden Augen, und wie schön nüancirte sie nicht mit dem Incarnat meiner Lippen! — Ach, meine Lippen! Auf keinen andern habe ich je diesen Anreitz und dieses Hinstreben entdeckt. Ich möchte wohl, sagte ich höhnisch, das Mädchen sehn, das solche Figuren vor ihrer Thür abzuweisen das Herz hätte! Und so trat ich mit der Zuversicht eines guten Gesellschafters endlich über die Schwelle, und gelangte glücklich an den Verschlag, der, wie der Vorhof zum Allerheiligsten, Clärchens Zimmer begränzte.

     Bey der Stille, die in diesem frommen Hause herrschte, war nicht viel Geräusch nöthig, um ihr Ohr aufmerksam auf meine Annäherung zu machen. Auch rufte ich kaum ein paarmal ihren harmonischen Namen mit gedämpfter Stimme, so hörte ich auch schon ihre Kammer sich öffnen. Nun trippelte sie nach der Thüre des Verschlags; nun hob sie — stelle dir das Vergnügen vor, das mich durchzitterte — den Riegel auf; und lebhaft stand nun — Clärchen zwar nicht — aber ihre abgemergelte, zahnlose Tante, in ein weißes katunenes Nachtkleid gehüllt, vor mir.

     In dem ersten Anfalle meines Schreckens dachte ich nichts gewisser, als die gute Frau habe wohl Lust sich selbst meinen späten Besuch zuzueignen, und könne so von Gott verlassen seyn, sich einzubilden, daß ich, ohne Scheu für ihr ehrwürdiges Alter = = = Aber sie ließ mich diesen heillosen Gedanken nicht endigen. Sie fuhr mir nur zu bald mit einem: „Was beliebt Ihnen mein Herr?“ auf den Hals, und zeigte dabey eine so schnakische Befremdung in ihrem Gesichte, als hätte sie in dem langen Laufe ihres Lebens noch nie eine männliche Gestalt im Mondscheine erblickt. Ich hingegen auf meiner Seite, und gewiß betroffener noch als sie — wahrlich ich mußte mir ihre einfache Frage noch einmal wiederholen lassen, ehe ich meiner Stimme so mächtig ward, ein paar verunglückte Worte darauf zu antworten. Ich starrte das alte Weib vorher noch sprachlos und mit aufgerissenen Augen an — ein Anblick, der, wenn er auch sonst nichts Gutes hat, einem Menschen in meiner Lage doch einiger Maßen dadurch wohlthätig werden kann, daß er ihn aus einem hitzigen Fiber in ein kaltes versetzt. Mag man indeß solche Veränderungen noch so sehr unter die guten Symptome rechnen, so möchte ich sie doch selbst meinen Feinden nicht wünschen. Ich weiß nun aus eigner Erfahrung, wie viel es dem armen Kranken kostet, die erhabenen Phantasien, die seine Seele beschäftigen, unter Zähnklappen verschwinden zu sehen.

     „Die langen Abende — meine angenehme Nachbarschaft — die Einsamkeit,“ — stotterte ich endlich in abgebrochenen Sätzen heraus, zu denen es mir je länger, je schwerer ward, eine Verbindung zu finden. Meine Verlegenheit nahm mit jeder Secunde zu, glaubte sich Luft zu schaffen, und verfiel darüber in die unbesonnenste Erklärung, die sich nur ausfündig machen ließ. „Liebe Madam,“ sagte ich, „die anziehenden Reitze Ihres guten Clärchens werden mich schon hinlänglich bey Ihnen entschuldigen, und die Freyheit, die Sie dem Propst erlauben, hoffe ich, werden Sie doch wohl nicht Ihrem Miethmanne versagen?“ — Das hatte ich trefflich gemacht — Du hättest nur sehen sollen, was die alte Katze bey diesen Worten für Feuer fing. — „Clärchen, Clärchen,“ beantwortete sie meine wohlgesetzte Rede, „nimmt keine nächtlichen Besuche — ja sie nimmt gar keine, und zu keiner Zeit an. Sehen Sie, mein guter Herr,“ setzte sie höhnisch hinzu, „suche Sie anderwärts Ihre Unterhaltung, und lassen Sie Ihre Nachbarn in Ruhe!“

     Schwerlich hat noch jemand einen unfreundlichern Bescheid aus einem häßlichern Munde gehört. Da es aber noch einen empörendern Anblick in der Natur giebt, so gab sie mir auch den noch zu Gute: in meyne ein altes Weib, das die Begeisterte macht. Sie warf ihre beyden Irrwische von Augen in die Höhe, als ob sie die Engel aus dem Himmel verjagen wollte, legte ihre linke Hand auf ihr schlotterndes Halstuch — streckte ihren rechten Arm steif und gerade nach mir zu, und kreischte mir mit der Stimme einer Besessenen durch die Ohren:

Irrgläubiger! was treibet dich
So frech, so blaß, so schauerlich
Herum im Mondenschein?
Vernimm, furchtbares Nachtgespenst,
Es schließt die Burg, die du berennst,
     Ein Kind des Lichtes ein!

Und welch ein Kind! So voll und rund,
So früh kam noch kein Busen, und
Kein weiblich Herz in Flor.
Ein Seraph sah den ersten Flug
Der kleinen Sängerin, und trug
     Sie der Madonna vor;

Und diese nahm sie in Beschluß;
Und wollte selbst mit seinem Gruß
Sich Gabriel ihr nahn;
Sie ließ ihn vor der Thüre stehn,
Und hieß ihn, spottend, weiter gehn,
     So wie sie dir gethan.

Der Propst, des Himmels Liebling, nur
Verehrt den Schöpfer der Natur
In meiner Nichte Reitz.
Der Reichthum ihres Gärtchens ist
Auch sein, und wird vor Räuberlist
     Gesichert durch sein +.

Und jedes Kreuz, das er ihr schlägt,
Weckt eine Blüthe mehr, erregt
Ihm eine Hoffnung mehr;
Und Sie bewahret, zum Erkauf
Des Himmels, ihren Vorrath auf
     Und zu Mariens Ehr´.

Von der Holdseligen bedeckt,
Erhält sich frisch und unbefleckt
Der ganze Erntenkranz:
Und wenn ihm auch ein Kreuz verblich,
Der Propst mit einem Pinselstrich
     Hebt den verlöschten Glanz.

Was stört, verlorner Geist, dein Blick
Für Bilder in mir auf! — Erschrick
Und weiche meinem Fluch:
Dich müsse jede Jungfrau fliehn,
Maria keine dir erziehn
     Zu nächtlichem Besuch.
 

* * *


     O! das soll mir ganz recht seyn, dachte ich, indeß die alte Närrin während der sublimen Worte ihrer mystischen Romanze, die ich vielleicht ganz der Quere verstand, dasselbe heilige Zeichen mehrmals über ihre Brust und ihr Gesicht zog, die doch wahrlich dieses Schutzes nicht bedurften, und zugleich mit ihrem Zeigefinger auf etwas hindeutete, das mir doch nicht eher verständlich und sichtbar wurde, bis sie die Thüre mir vor der Nase zugeschmissen und verriegelt hatte: — denn nun erst fiel mir eins von den Kreuzen in die Augen, auf die sich die Alte in ihrer Begeisterung bezog, und davon die eine Hälfte an der obern Bekleidung — die andere an dem Flügel der Thüre, nun in einem ungetrennten Zuge wieder zusammen paßten, vermuthlich mit einer Kreide gemalt, über die ein Weihbischof den Segen gesprochen hatte. „Liegt es nur daran?“ sagte ich und warf den Mund auf. „Diese Wunderzeichen des Propstes sind doch wohl noch zu verwischen, wenn ich nur erst die Stationen kenne, die er damit besetzt hat.“ Und so schlich ich mit verbissenem Aerger in mein einsames Zimmer zurück.

     Meine Abwesenheit konnte nicht lange gedauert haben; denn ich hatte nicht einmal nöthig, mein Licht zu putzen, als ich es aus dem Camin langte, es wieder auf den Tisch, und mich mit in einander geschlagenen Armen davor setzte. Es währte eine ziemliche Weile, wo ich gedankenlos auf die leere Flasche hinblickte, ehe ich sie in Verdacht nahm, daß sie wohl an dem eben geschehenen Vorgange die meiste Schuld habe. Dieß brachte mich gelegentlich auf den Text, den ich mir in Ansehung der verletzten Diät und Moral, die leider! bey mir immer gleichen Schritt halten, zu lesen hatte. „Ja!“ rief ich aus, „man muß betrunken seyn, um einen Augenblick an der Tugend und Unschuld dieser Heiligen zu zweifeln, und so ungleiche Absichten, als mir mein Gewissen vorwirft, darauf zu bauen. Ich habe es verdient, vor ihrer Thür abgewiesen zu werden; denn ich bin nicht werth über ihre Schwelle zu treten — nicht werth ihr nur die Schuhriemen — geschweige sonst etwas aufzulösen, und das geringste der Kreuze zu verlöschen, womit der Propst ihre Zugänge verwahrt hat.“

     Da ich nicht gewohnt bin, mich selbst zu schonen, so bald ich nur erst so weit bin, mich in die Augen zu fassen, so ward ich auch dießmal so böse auf mich selbst, daß ich mich gern vor jedem ehrlichen Manne an den Pranger gestellt hätte, der mir die Wahrheit noch derber hätte sagen wollen, als ich es selbst that. Ich fühlte in dieser ärgerlichen Stunde die Entfernung von dir, mein Eduard, stärker als jemals, und wußte lange nichts an ihre Stelle zu setzen. Wie aber die gütige Natur für gewöhnliche Uebel auch die Mittel dagegen vorzüglich gehäuft hat, und man zum Beyspiele gegen einen bösen Hals, oder eine jede andere Krankheit, welche schleunige Hilfe verlangt, die bewährtesten Recepte an allen Zäunen und Hecken findet; so, glaube ich, ist in unserm aufgeklärten Zeitalter kein Winkel der Erde mehr so verwildert, auf dem sich für eine kranke Seele, ihrem Bedürfnisse gemäß, nicht bald ein anhaltendes, bald ein abführendes Mittel, auftreiben ließe. Wäre es Tag gewesen, so hätte ich freylich bey meinem Freunde, dem Buchhändler, das Aussuchen gehabt; so aber mußte ich mir zu helfen suchen wie es gehn wollte, und das that ich auch. Ich näherte mich zum erstenmale der, zu der frommen Stiftung gehörigen, kleinen Bibliothek meines Cabinets, sicher, daß ich hier eben so gewiß ein oder das andere moralische Buch finden, als ich nicht umsonst nach Pimpernelle oder Klatschrosen ausgehen würde, wenn ich eines Gurgelwassers genöthigt wäre.

     Der erste Folioband, den ich heraus zog, den ich aber auch ehrlich genug war, sogleich wieder an seinen Ort zu stellen, war Sanchez de matrimonio. Ich griff auf besser Glück nach einem andern in mittlerem Format, und bekam die Aphorismen des großen Emanuel Sa de dubio in die Hand.

     Das ist wahrscheinlich, sagte ich, so ein Buch, als du suchst, und setzte mich damit an meinen Tisch. Ich hätte auch für mein gegenwärtiges Bedürfniß kein besseres finden können. Auf allen Seiten strahlten mir die herrlichsten Anweisungen entgegen, sich mit Ehren aus den schlüpfrigsten Händeln seines Gewissens zu ziehen, und mit Hülfe kleiner artiger Distinctionen sich über alle Fehltritte zu beruhigen, die eine strenge, ungeläuterte Moral, im Ganzen genommen, unbarmherzig verdammt. Du kannst denken, daß mir in meinen Umständen dieser Sittenlehrer ungleich mehr behagen mußte, als jeder anderer, der, ohne nur die Schwierigkeit der Ausführung mit seinen Forderungen vergleichen zu wollen, der mir geradezu gesagte hätte: Thue recht und scheue niemand! Das ist weiter keine Kunst. In diesem herrlichen Buche hingegen fand ich sogar mehr als ich suchte. Wie viel Vorwürfe, die ich mir in meiner ersten mißlaunigen Aufbrausung machte, würde ich mir nicht erspart haben, hätte ich diesen gründlichen Schriftsteller nur eine halbe Stunde eher gekannt! Ich las mich dick und satt, bis ich vollkommen überzeugt war, daß, wären mir auch alle Absichten gelungen, an deren Ausführung mich das alte hämische Weib hinderte, ich zwar von der geraden Straße ab — doch gar nicht viel umgegangen wäre.

     Ich schloß nicht unwahrscheinlich von dem Werthe dieses einzelnen Buchs auf die Wichtigkeit der ganzen Sammlung, holte mir, um bey der Entscheidung meiner Streitfragen gewiß zu seyn, noch andere herbey, die auch, mehr oder weniger, den guten Gründen jenes großen Casuisten beytraten, wovon ich dir besonders einen gewissen Thomas Tambourin nennen und empfehlen will, der mir wirklich vielen Spaß gemacht hat. Hier hast du den Titel seines Buchs: Explicatio Decalogi, in qua omnes fere conscientiae casus, mira brevitate, claritate, et quantum licet, benignitate, declarantur. —

     Ich war in guten Händen, wie du siehst. Meine Lectüre ward immer anziehender. Der Unterricht dieser vortrefflichen Männer hatte mich endlich so fest gemacht, daß ich weiter keine Gefahr für mich sah, auch den ehrbaren Sanchez mit zu Rathe zu ziehen. Ich las bis in die sinkende Nacht hinein, ohne seiner verwickelten Fragen und Auflösungen überdrüssig zu werden, und lege ihn jetzt, da mein abgebranntes Licht mir kaum noch Zeit läßt, meinen Bericht an dich niederzuschreiben, mit den Worten aus der Hand, mit welchen sich die vorgedruckte Aprobation seines geistlichen Censors anhebt: Librum hunc legi, perlegi, lectitavi, felix pensum D. Sanchez, Cathol: Majest: in Regio Incarnationis Coenobio a Sacello, et Sacris: in quo nihil nec devium ab orthodoxa nostra fide, nec obvium bonis moribus percepi etc. Und gehe nun, ich gestehe es dir, als der eifrigste Anhänger einer Gesellschaft zu Bette, der es, da sie so vorzügliche Mittel gegen menschliche Schwachheiten im Vertriebe hat nicht fehlen kann, trotz der kleinen Kränkungen, die sie in unsern Zeiten erlitten hat, an allen Enden der Erde Proselyten zu machen.
 

* * *


Den vierten Januar.

Von allen moralischen Hülfsmitteln der Lojoliten, die ich mir gestern Abends eigen zu machen suchte, rührte mich keines so sehr, als der Ausweg, den sie einstimmig vorschlagen, um, in dem Handgemenge der Leidenschaften mit der Sittlichkeit, die mitspielende Person sicher zu stellen. Setze, sagen diese Herren, wenn ich den Sinn ihrer Worte ins Kurze fasse, jeder zweydeutigen Handlung, die du unternimmst, zur Beruhigung deines Gewissens, nur geschwind eine andere Zweydeutigkeit entgegen! — Laß, zum Beyspiele, zur Zeit ihres sträflichen Vorgangs den Gedanken voraus treten, daß ein anderer sie begehe als du, und schwöre sogar, wenn du dazu aufgefordert wirst, du habest die That nicht begangen, nämlich — wie du stillschweigend hinzu thun mußt — an diesem oder jenem Tage, oder vor deiner Geburt. Durch diesen kleinen Kunstgriff setzest du dich am geschwindesten über alle, deiner Ruhe nachtheiligen Folgen hinaus; denn diese nehmen alsdann von selbst die Richtung an, in der du dich in so kritischen Minuten von dir selbst zu entfernen gewußt hast. Das ist bei vielen Gelegenheiten überaus bequem, sagt Sanchez in seiner Sittenlehre: *)
[*) Il est permis d´user de termes ambigus en les faisant entendre en un autre sens qu´on ne les entend soi meme. On peut jurer qu´on n´a pas faite une chose, quoiqu´on l´ait faite effectivement, en entendant en soi même, qu´on ne l´a pas faite un certain jour, ou avant qu´on fut né. Cela est fort commode en beaucoup de rencontres et est soûjours très juste, quand cela est nécessaire ou utile pour la santé, l´honneur ou le bien. (Sanchez Opp. p. 2. l. 3 c. 6. v. 13.)]
ob es aber auch immer recht ist, wie er dazu setzt, ist eine andere Frage, über die ich lange nicht mit mir einig werden konnte. Ich sah wohl ein, daß die Herren diesen verfeinerten Lehrsatz nicht so oft und so dreist würden ausgekramt haben, wären sie nicht von seiner Brauchbarkeit und Güte, aus langer praktischer Erfahrung, vollkommen überzeugt gewesen — und doch, wenn ich nun dran war ihn auf mich anzuwenden, versagte mir auf einmal der Muth, wie einem Kinde, das aufgefordert wird einem Seiltänzer nachzuspringen. Es war Mangel an Uebung, lieber Eduard! Ich setzte den Fuß nieder, den ich schon aufgehoben hatte, lief meinen Tröstern in die Arme, um mir Herz zu holen, und kauete jedes Wort wieder, das sie mir zusprachen. So gelang es mir am Ende ihren herzhaften Zuruf wörtlich meinem Gedächtnisse einzuprägen; und das ist, wie du noch aus deinen Lehrjahren her wissen wirst, schon viel, wo nicht alles, für die Ueberzeugung gewonnen. Die Zweifel, die mir dann und wann über die Zuverlässigkeit meiner Rathgeber aufstießen, machten mir eigentlich am meisten zu schaffen: aber ich fand doch bald einen erfahrnen Mann, der mich auch hierinnen zur Ruhe wies; denn die würdige Zunft der Casuisten hat so sehr für alles gesorgt, daß der Satz des einen die Sätze der andern auf das brüderlichste unterstützt. Dans les choses douteuses, sagt der berühmte P Poignant, der aufgeschlagen neben dem Sanchez lag, nous ne sommes pas obligés de suivre le sentiment le plus sur — Und so blieb mir denn zuletzt weiter keine Sorge übrig, als die, mich nur recht bald in der Lage zu sehen, meinen Rathgebern Ehre zu machen, und in Clärchens Armen das süße Gefühl meines Unrechts ihrem Glaubensgenossen, dem Propste, der mir am schicklichsten dazu schien, unterzuschieben.

     Aber die Hauptschwierigkeit, die ich weder durch Nachdenken, noch durch mein Nachlesen in den Kirchenvätern wegzuräumen wußte, die Frage, wie ich mich in diese glückliche Lage bringen sollte, blieb immer noch unbeantwortet. Der Vorgang von gestern Abends hatte mich außerordentlich schüchtern gemacht. Man hätte mir die Welt bieten können; ich würde es drauf nicht gewagt haben, den bösen Geist,  der den Schatz bewachte, noch einmal herauszufordern, ehe ich ihn nicht zu beschwören verstand.

     In dieser Verlegenheit, die mich vom Rousseau zum Amor, von einer Ecke des Zimmers in die andere trieb, konnte es indeß nicht lange währen, so mußte mir der einzige Mann beyfallen, der sie vielleicht heben konnte. Mein mißlungener Versuch von gestern, den ich zwar auf seine Autorität unternahm, hatte mein Zutrauen zu ihm nicht im mindesten geschwächt. Der beste Plan muß wohl scheitern, wenn man in der Ausführung nicht auch Rücksicht auf Zeit und Gelegenheit nimmt; und das, mußte ich mir selbst vorwerfen, war ich so albern gewesen ganz zu unterlassen. Ich steckte also meine Goldbörse ein, und machte mich gutes Muths zu ihm auf den Weg. Ich traf ihn auch dießmal wieder auf seinem Posten, die mich gleich die erste Stunde unserer Bekanntschaft so sehr zu seinem Vortheile einnahm, und durch die sich so sprechend die ganze Ruhe seiner Seele und seines Amtes verkündiget. — Unser Gespräch kam indeß dießmal nicht so geschwind in Gang als gewöhnlich; ich mußte lange die Kosten der Unterhaltung allein tragen. Er hatte die Unbarmherzigkeit, meine Beichte von Anfange bis zu Ende mit geschlossenen Augen ruhig anzuhören, ohne das Bittere davon nur durch ein tröstliches Wort zu mildern, geschweige daß er durch einen zuvorkommenden, freundlichen Rath mir die Verlegenheit erspart hätte — so in der Nähe von Laurens Asche — so ganz ohne Achtung für ihr sittsames Andenken — ihm mein geheimes Anliegen zu entwickeln. Selbst als ich nun meinen mißlichen Vortrag gethan hatte — voller verschämten Erwartung vor ihm stand, und es ihm endlich gefiel die Lippen zu öffnen, so hätte es im Anfang doch nur der Teufel seinem gleichgültigen Geschwätze ansehen können, was es am Ende noch alles Lehrreiches und Gutes für mich enthalten würde.

     „Ja, ja,“ fing er wie im Traume an, und rieb sich die Stirn — „unser Leben, mein junger Herr, währet siebenzig Jahr, und wenn es hoch kömmt, sind es achtzig, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. Auch ich habe diesen Morgen die meinige gehabt — habe die Stühle, die Bänke und den Altar abgestäubt, und bin wohl zehnmal über Laurens Grab mit dem Besen gefahren, ehe ich es rein bringen konnte; aber es war nothwendig. Diese Kirche hat morgen einen ansehnlichen Besuch zu erwarten; denn wir feyern das Fest des heiligen Einsiedlers Simeon Stylita, der von den vornehmsten Einwohnern der Patron ist.“

     „Was in aller Welt geht mich dieser Schnack an!“ dachte ich, machte eine höchst verdrießliche Miene, und setzte mich auf die nächste Bank.

     „Sie müssen wissen, mein Herr,“ trat er nun näher vor mich, „daß unter Heiligen und Heiligen ein gewaltiger Unterschied ist. — Der eine hat mehr Rang, der andere mehr Zulauf — die eine fromme Seele schmiegt sich lieber diesem, die andere jenem an, nachdem entweder ihr Alter, ihr Gewerbe, ihr Name, oder ihre besondern Sünden diese Auswahl veranlassen. So ist mein Einsiedler, zum Beyspiel, durch die christliche Standhaftigkeit, mit der er seine Gicht= und Zahnschmerzen ertrug, der Schutzpatron aller der Unglücklichen geworden, die an diesen Uebeln leiden. Schließen Sie nun selbst, mein Herr, auf den Zuspruch, den er erhalten wird. Leider hat seit einigen Jahren auch Ihre gute Hauswirthin unter seine Fahne treten müssen — Auch sie wird morgen den größten Theil des Tages in meiner und des Heiligen Gesellschaft zubringen — Geben Sie Acht, ob ich wahr rede!“

     „Und Clärchen?“ fragte ich hastig, er aber that nicht, als ob er mich hörte. — „Morgen,“ fuhr er mit ernstem, dogmatischem Tone fort, „ist es Krankheit, die ihre Andacht in Bewegung bringt; zwey Tage darauf, am Feste der heiligen Bertilia, thut es ihr Name.“ —

     „Und Clärchen?“ fuhr ich zum zweytenmale auf — „Wird unterdessen,“ antwortete er gelassen, „allein zu Hause bleiben — so wie hingegen am Feste der heiligen Concordia die Tante daheim bleibt, und nur ihre Nichte zur Kirche schickt.“

     „Und was giebt hiezu Veranlassung?“ fragte ich äußerst neugierig. — „Das verschiedene Alter der beyden Andächtigen!“ erwiederte er. Er sah mir an, daß ich ihn nicht verstand. — „Ich habe schon mehrmalen die Schwierigkeit bemerkt,“ fuhr er fort, „einem Deutschen, auch selbst von unserm Glauben den Zusammenhang dieses Festes begreiflich zu machen — aber es ist mir doch endlich immer durch Hülfe der Analogie gelungen. Diesen Ausweg verdanke ich einem Reisenden aus Ingolstadt, der vor vielen Jahren hier war, und auch das Grab der Laura besuchte. —  Von dem erfuhr ich gesprächsweise, daß in seiner Vaterstadt der heilige Augustin von allen denen besonders verehrt werde, die an den Augen leiden. — Bey uns hingegen ist dieser Heilige — als Augenarzt, gar nicht bekannt. — Die Ursache davon liegt einzig in der Verschiedenheit beyder Sprachen. In der Ihrigen soll, wie Sie besser wissen als ich, die erste Sylbe in dem Namen dieses Wunderthäters gleichen Schall und Bedeutung mit dem Worte haben, welches das Glied bezeichnet, mit dem wir sehen: und nun, mein Herr,“ fuhr er fort, „wird es Ihnen nicht weiter schwer werden, die Ursache auszufinden, warum bey uns nicht allein Mädchen, wie Clara, nein auch Weiber und Wittwen, wenn sie nicht, wie unsre Freundin Berlilia, über die fünfzig hinaus sind, das Fest der Concordia mit einen [sic!] Eifer feyern, der deutsche Damen, die unsre Sprache nicht bis auf solche Kleinigkeiten wissen, mehr als übertrieben vorkommen muß.“ — Ich verstand zum Glücke so viel Französisch, um diese Aufgabe der Analogie bald genug zu errathen, und ich hatte keine geringe Freude darüber. — „O,“ rief ich aus, „dieser Unterricht in Ihrer Religion, lieber Herr Kirchner, verdient eine ausgezeichnete Belohnung — Hier — machen Sie keine Umstände!“ — Und so drückte ich Ihm einen holländischen Doppel=Ducaten in die Hand, der so funkelte, als wenn er erst aus der Münze käme. — „Ey, mein Herr,“ sagte der liebe Mann, und besah das Goldstück mit besonderm Vergnügen, „Sie beschenken mich ja so reichlich, als ob Sie Sich meine Fürbitte bey dieser Heiligen erkaufen wollten! — Die soll Ihnen auch nicht fehlen. — Aber, bey allen Engeln und Erzengeln! mein Herr — was seh´ ich? Diese Umschrift — ich bitte Sie — war sie immer auf dieser Münze? — Ist sie zur Ehre der Heiligen geschlagen? oder ist es ein Wunder, durch das sie Ihnen ihre Hülfe zusagt? Hören Sie nur und hören Sie es mit Zutrauen, was sie Ihnen Gutes verspricht!“

     Ich war bey diesem unerwarteten Ausfalle des Kirchners einige Schritte zurück getreten, und glaubte nichts gewisser, als der gute Mann wäre toll geworden; wurde aber, als er mir nun die bekannte Umschrift aller holländischen Dukaten herlas, doch selbst so davon überrascht, als wenn wirklich etwas Wunderwürdiges darin läge. — „Concordia,“ las er, indem er den Ducaten zwischen den Fingern herum drehte — „res parvae — crescunt;“ und zugleich sah er mich so bedeutend an, daß mir das Blut in´s Gesicht stieg. — „O Clara, Clara!“ rief ich aus, ohne zu wissen, warum? — „Das ist wahrlich ein sonderbarer Zufall, lieber Herr Kirchner. — Wie gern will ich ihn für eins der größten Wunder ansehn, wenn die heilige Concordia ihre Zusage erfüllt! — Aber sagen Sie mir geschwind, lieber Mann, an welchem Tage des Jahres wird denn dieses große weibliche Fest begangen?“

     „Den achtzehnten Februar,“ antwortete er. — „Sollte es wohl den Eindruck auf Sie machen, daß Sie bis zu seiner Feyer bey uns verweilen möchten?“

     „O, ganz gewiß!“ antwortete ich mit glühenden Wangen. — Und es ist mein völliger Ernst, Eduard!

     „Nun dann wünsche ich Ihnen Glück zu Ihrem Muthe,“ erwiederte der gute Mann. „Es hat noch keinen jungen Fremden gereut, diesen merkwürdigen Festtag in Avignon abzuwarten. Doch, da alsdann gewöhnlich die Häuser besetzter noch sind als zu Frankfurt bey der Kaiserwahl, so rathe ich Ihnen wohlmeynend — sind Sie anders mit Ihrer Miethe zufrieden, Sich ihrer ja in voraus auf diesen Zeitpunkt zu versichern; denn Quartiere, wie das Ihrige, steigen alsdann über die Gebühr.“

     Hier störte ein Engländer, der Laurens Grab mit einer so verächtlichen Miene aufsuchte, als ob sie seine Freundin gewesen wäre, unser interessantes Gespräch. Ich konnte meinen Verdruß über diesen ungelegenen Fremden kaum vor ihm selbst verbergen, und doch konnte ich noch weniger dem Kirchner zumuthen, ihn abzuweisen; denn ein abgewiesener Engländer kommt selten wieder. — Wir Kurzsichtigen ärgern uns oft über zufällige Dinge die uns doch gerade unsern Wünschen entgegen führen. Du sollst noch auf diesem Bogen zu lesen bekommen, Eduard, wie viel ich der Dazwischenkunft dieses Reisenden zu danken habe: so viel, daß ein rechtgläubiger Katholik an meiner Stelle darauf schwören würde, die heilige Concordia habe sie veranstaltet. — Ich schreibe sie auf Rechnung des Zufalls, der immer mein Freund war. Der Kirchner zuckte die Achseln, indem er mir die Hand zum Abschiede reichte, und bat mich bald wieder zu kommen, welches ich ihm denn auch treulich versprach. Der goldene Wahlspruch der sieben Provinzen hat zwischen diesem guten Manne und mir eine stärkere Vereinigung zu Stande gebracht, als, glaube ich, zwischen den sieben Provinzen selbst. Es ist doch eine hübsche Sache um die Freundschaft!

     Ich taumelte, ohne mich um den nächsten Weg nach Hause zu bekümmern, aus einer Gasse in die andere, und mir war beynahe so zu Muthe, als einem jungen Gelehrten, der nicht recht weiß, was er in aller Welt mit den vielen neuen Kenntnissen anfangen soll, die er aus dem Hörsaale mitnimmt. Darüber stieß ich — Ehre sey dem freundlichen Zufalle! auf die launigste Begebenheit, die er je aus seinem weiten Aermel geschüttelt hat. Eine Menge Menschen, die aus einem ansehnlichen Hause theils heraus stürzten, theils im zuströmten, erregte meine Aufmerksamkeit. Ich erkundigte mich nach der Ursache dieses Gedränges, und erfuhr, daß hier eine wichtige Versteigerung von Kostbarkeiten gehalten würde. Nun mag ich wohl dann und wann dergleichen öffentlichen Glückspielen beywohnen; denn, ob ich mich gleich enthalte, mein Inventar auf diesem Wege zu verstärken, seitdem ich einmal in Holland einen englischen Tubus erstand, in welchem, als ich ihn zu Hause genauer untersuchte, das Objectiv=Glas fehlte, so kann es doch immer den Geist angenehm beschäftigen, wenn man mit philosophischen Augen die verschiedenen Hülfmittel übersieht, die der Besitzer derselben vor seinem physischen oder moralischen Tode gebrauchte, so gelehrt, so artig oder so arm zu werden, als er war. Selbst die kleinen Absichten, die sich manchmal bey denen recht gut errathen lassen, die jetzt dieses oder jenes Stück aus dem Nachlasse des Verstorbenen an sich bringen, gewährt schon einige Unterhaltung. Ich widmete also auch dießmal meiner Neugierde die halbe Stunde, die mir noch bis zum Mittage frey blieb, und stieg, nicht ohne Mühe, die von Menschen angefüllte Treppe hinauf nach dem Auctions=Zimmer.

     Hätte ich einige Stunden früher eintreffen können, ohne mich um das belehrende Gespräch des Kirchners, das mir über alles gehen mußte, zu bringen, so wäre der Zeitvertreib, den ich hier fand, freylich noch vollkommener gewesen. Jetzt waren ungefähr nur noch ein Dutzend Nummern von einer der seltensten Sammlungen übrig, die wohl jemals versteigert wurden. Der arme Mann, der sie mit Aufopferung seines Vermögens errichtet hatte, und nun sein mühsames, kostbares Gebäude durch unbarmherzige Gläubiger zerstören sah, saß, von Schmerz und Unruhe gefoltert, in einem ausgeleerten Nebenzimmer, und flößte mir gleich beym Eintritt in den Saal das größte Mitleid ein, selbst ehe ich noch einen Blick auf seine Sammlung warf.

     Ich habe zwar oft gesehen, lieber Eduard, daß vernünftige Männer Weib und Kinder und jedes andere Gück des Lebens hintan setzten, um Muscheln, Steine, Bücher, Schmetterlinge oder Gemälde zusammen auf einen Haufen zu bringen — habe ihnen oft, nach Verlauf eines ängstlichen Zeitraums, diese Spielwerke ihres Geistes durch die Gesetze und zu Abfindung ihrer Schulden entreißen, und an andere berühmte Kenner, wahrscheinlich zu einem einst ähnlichen Schicksale, übergehen sehen — aber noch nie fand ich den Vermögensbestand eines freyen Mannes so sonderbar in einem Cabinet concentrirt, als hier: denn stelle dir vor, Eduard! ich befand mich, ehe ich mich so etwas versah, unter einer vollständigen, Gott weiß nach was für einem System! geordneten Sammlung heiliger Reliquien. Die ersten und wichtigsten Stücke an ganzen Körpern, Gerippen und andern Schätzen aus den Katakomben, waren zwar schon an Mann gebracht; doch waren die noch vorräthigen Nummern, die eben ausgerufen werden sollten, dem unerachtet noch von sehr schätzbarem Gehalte. Sechs Fläschchen mit Thränen der heiligen Magdalene wurden einzeln verlassen, und, nach meiner Einsicht, weit unter ihrem Werthe. Ein artiger Mann, der neben mir stand, erklärte mir die Ursache davon, als er meine Verwunderung merkte, und mir ansah, daß ich fremd war. „Wir sitzen hier,“ sagte er, „an der Quelle dieser Waare. Die Höhle von Beaumont, wo die Heilige zwölf Jahre ihre Sünden beweinte, liegt uns in der Nähe — Aber Sie, als ein Fremder, mein Herr, sollten sie auf Speculation für das Ausland kaufen; denn es ist keine Frage, daß Sie nicht hundert Procent daran gewinnen könnten.“ — Ich hätte vielleicht nicht übel gethan, seinem Rathe zu folgen; aber, du weißt es, Eduard, ich habe zu wenig Kaufmannsgeist, und ich ließ, einfältig genug, auch diesen wahrscheinlichen Gewinn einem Juden zu gute gehn, der mit Reliquien handelt.

     Ein Finger des H. Nepomuk, an dessen Aechtheit einige anwesende Kenner zweifeln wollten, und ein Schlußbein des heiligen Franz, hatten eben so wenig Glück, und mußten zusammen ausgeboten werden, ehe sie einen Abnehmer fanden. Ja, sogar Etwas von der keuschen Petronelle, in Weingeist aufgehängt, und recht hübsch conservirt, ging an einen Benedictiner, der es in Commission erstand, für ein solches Spottgeld weg, daß ein paar artige Geschöpfe, die vermuthlich gleichen Namen führten, die Hände über den Kopf schlugen. Dafür fanden sich aber zu der folgenden Nummer desto mehr Liebhaber, und das Kleinod verdiente auch mehr als ein anderes diese ausgezeichnete Achtung — Der Ausrufer selbst nahm ehrerbietig den Hut ab, als er das Sammetkästchen, das er verschloß, in die Höhe hielt, und nun unter einer allgemeinen Stille, die nur dann und wann ein Seufzer des Unglücklichen im Nebenzimmer unterbrach, folgendes Heiligthum ankündigte: „Nummer Ein tausend vier hundert und drey und dreyßig; das Strumpfband der gebenedeyeten Jungfrau und Mutter, das sie an ihrem linken Fuße zu tragen gewohnt war, inculsive eines darzu gehörigen Ablaßbriefs weiland Ihro Päpstlichen Heiligkeit Alexander des Sechsten, nebst einem Handschreiben gedachten heiligen Vaters an die Gräfin Vanotia.“

     Diese Reliquie machte den Eindruck, der zu erwarten stand. Der ganze Haufe der Umstehenden gerieth in Bewegung, und verschiedene Stimmen zugleich erhoben sich mit einem Gebot von zehn, fünfzehn und zwanzig Dukaten. Bey dem zweyten Ausrufe stieg es bis auf vier und dreyßig. Nach einem kleinen Stillstande trat ein ansehnlicher Mann, mit der gesetzten Miene eines ächten Kenners, in's Mittel, und bot die gerade Summe von vierzig. Der Auctionator fing von vorn, und, um jedermann Zeit zu lassen sich zu bedenken, mit gedehnter Stimme an: Einmal vierzig — zum zweytenmal vierzig Ducaten — Der Hammer war schon aufgehoben, und ich glaubte den vornehmen Mann schon ganz gewiß in dem Besitze dieser merkwürdigen Reliquie, als, aus der fernsten Ecke des Zimmers, unvermuthet eine helle Stimme mit einem halben Ducaten überbot. Der Schall fiel mir sonderbar in das Ohr — Ich erhob mich auf meine Fußzehen, und entdeckte — Himmel, wie ward mir! — das reitzende Ovalgesichtchen meiner kleinen Nachbarin. War es Freude, oder Betäubung? — war es unwillkührlicher Trieb, ihr nachzulallen? — oder sollte es eine Aufforderung seyn, ihre sonorische Stimme noch einmal hören zu lassen? Genug, kaum prallte ihr wohl bekannter Discant an die Saiten meines Herzens, so schlug mein Baß als ein Echo zurück: Einen halben Ducaten. — Der Laut war entwischt — Clärchen schwieg — die ganze Versammlung schwieg — und zu meinem Erstaunen ward mir das Heiligthum für ein und vierzig Ducaten zugeschlagen.

     Wer war betroffener als ich, da mir die Nebenstehenden zu dem erlangten Besitze dieser Kostbarkeit Glück wünschten, und mir Platz am Zahlungstische machten, um den unschuldigen Einklang mit Clärchens Discante theuer genug zu büßen! Um aller Heiligen und aller Götter willen! was willst du mit diesem Cabinetsstücke anfangen? sagte ich heimlich zu mir selbst, als ich die Summe aufzählte. Nie hat wohl der Neid, der, als ich das Sammetkästchen in Empfang nahm, aus den Blicken derer hervor brach, die vor mir darauf geboten hatten, sich gröber versehen, als dießmal. Denn ungeachtet alle Umstehende, bey denen ich mit meinem Heiligthume vorbey ging, mich anlächelten und die Hüte abzogen; so hätte ich doch so unbefangen seyn müssen, als der Esel in der Fabel, der das Bild der Diana trug, wenn ich mir diese Ehrenbezeigung hätte zueignen wollen. Ich kam mir im Gegentheil in diesem Augenblicke überaus albern vor, und hätte nimmermehr vermuthet, daß mich diese mißlichen Umstände doch noch am Ende auf einen so klugen Einfall leiten würden, als ich eben faßte, wie mit der letzten Nummer eine Feder aus dem linken Flügel des Würgengels verkauft, die Versteigerung geendigt, die Versammlung im Aufbruch, und jedes nur darauf bedacht war, das erste auf der Gasse zu seyn.

     Wenn ich prahlen wollte, Eduard, so könnte ich es dir als einen Zug meines erfindungsreichen Genies angeben, daß ich in diesem Tumulte den wichtigen Vortheil zu ergreifen wußte, den mir doch vermuthlich nur die Gelegenheit  darbot. Ich übersah mit einem geschwinden Blicke, was hier für mich zu thun sey, studirte jeden meiner Schritte, den ich vor= oder seitwärts that, und leitete das Volk so geschickt, daß es nothwendig, beym Austritte aus dem Saale, mich und Clärchen in einen so verengten Zirkel zusammen brachte, daß sie heilfroh seyn mußte, auf einen hülfreichen Arm zu treffen, um den sie ihre zarte Hand schlingen, und nun hoffen konnte, sich, ohne erdrückt zu werden, aus diesem unbändigen Gedränge zu ziehen. Mächtiger Zufall! mein Verstand wirft sich hier nochmahls in Staub vor dir nieder, und erkennt dich als seinen Herrn und Wohlthäter.

     Ich wäre der heiligen Atmosphäre, die mich umgab, wäre des Dankes des Engels nicht werth gewesen, wenn ich den einzigen Augenblick, in welchem so viel für die Folge lag, ungenutzt hätte verstreichen lassen. „Meine vortreffliche Nachbarin,“ flüsterte ich ihr zu, indem wir uns auf dem Vorsaale so lange in ein Fenster zurück zogen, bis sich das Volk würde vertheilt haben, das die Treppe verstopft hielt, „es war wohl unartig, daß ich Sie überbot; ich hoffe aber, meine gute Absicht soll mich bey Ihnen entschuldigen. Sie können wohl denken, daß, so kostbar auch das Strumpfband seyn mag, das mir das Glück verschaffte, es doch für mich nur dann einen Werth haben kann, wenn ich es wieder an eine Person bringe, die es zu tragen verdient. Ein glückliches Ungefähr hat mich zu Ihrem Nachbar — aber Ihre Verdienste, liebes Clärchen, haben mich auch zu Ihrem eifrigsten Bewunderer gemacht. Ich dachte an Sie, theuerste Freundin, ich erblickte Sie in dem Augenblicke, als Sie auf dieses Kleinod boten, und es ward mir unmöglich, nicht nach einer Sache zu ringen, die Ihnen lieb war, um sie Ihnen als einen Beweis meiner Hochachtung auszuliefern. Ich wünschte nur, daß sie dadurch in Ihren Augen noch einigen Werth mehr bekäme. In dieser Rücksicht“ — Hier stockte ich ein wenig, und ihre großen Augen schienen zu fragen, wo das hinaus wollte? — „hätte ich eben so gern mein ganzes Vermögen, als einen armseligen Theil davon daran gewendet. Ich empfahl mich der heiligen Concordia, meiner Beschützerin und, wie Sie gesehen haben, nicht ohne eine recht auffallende Wirkung: sie verstopfte allen andern Liebhabern den Mund, selbst Ihre frommen Lippen, liebenswürdiges Mädchen, und verschaffte mir diese kostbare Reliquie für diesen unbegreiflich geringen Preis.“ Clärchen erröthete von Secunde zu Secunde immer mehr, ohne mich zu unterbrechen — „Um Ihnen indeߓ führ ich traulicher fort „auch die kleinste Bedenklichkeit zu ersparen, ein Kleinod für Sie zwar von unendlichem, für mich aber nur relativem Werth anzunehmen — so erlauben Sie mir, meine schöne Nachbarin, es Ihnen — nicht als Geschenk, sondern gegen einen Tausch anzutragen.“ Sie erröthete noch mehr, und ihr Stillschweigen gab mir Muth, weiter zu reden — „Wenn ich,“ fuhr ich fort, „das Vergnügen haben kann, Ihnen morgen früh“ = = = O wie dankte ich hier dem ehrlichen Kirchner, der mich so genau von den Festen der alten Tante unterrichtet hatte! — „aufzuwarten = = = gewiß, theuerstes Clärchen, ein ähnliches Band, das mir alsdann Ihre Güte erlauben wird dagegen einzutauschen, soll meinem Herzen tausendmal werther seyn, als jenes.“

     Jetzt erwachte der Stolz der kleinen Heiligen. — „Es ist nicht großmüthig von Ihnen, mein Herr,“ gurgelte sie mit sanfter Stimme hervor, „daß Sie die Verlegenheit, in die mich dieß Volksgedränge versetzt, noch vermehren. Sie erlauben sich eine Sprache, die mir — um nur wenig zu sagen — ganz fremd ist. Sie müssen wissen, mein Herr, daß ich von meiner Tante abhange, und keine Besuche anzunehmen habe; und Ihr angebotner Tausch, mein Herr,“ = = =

     „Setzt doch gewiß,“ fiel ich ihr geschwind ins Wort — „keinen Betrug voraus. Wie könnte er wohl — überlegen Sie es selbst, bestes Clärchen — bey einem Heiligthum, so einzig in seiner Art, Statt finden?“

     Ich schwieg, als ob ich ihr Zeit zur Ueberlegung lassen wollte — Sie brüstete sich ein wenig — und: „Ihre Auslage" fuhr sie jetzt mit einer Stimme fort, die mir nur zu gut verrieht, wie viel ihr an dem Besitze dieses Bandes gelegen seyn mochte — ,, würde Ihnen meine Tante gewiß gern ersetzen, wenn Sie geneigt sollten“ = = =

     „Clärchen!“ unterbrach ich sie, mit angenommenem Erstaunen — „Mir? sagen Sie das? — Doch ich entschuldige Sie — Sie kennen mich noch nicht — aber der Erfolg wird es zeigen, wie unrecht sie thaten, ein Unterpfand des Himmels gegen eine irdische Kleinigkeit, um die Sie ein Freund bittet, auf´s Spiel zu setzen. Entweder — meine liebe, bedenkliche Freundin, erlauben Sie mir, daß ich meine gute Absicht ausführe, und Ihnen das Band, das einst den linken Fuß der hochgelobten Jungfrau umschloß, längstens morgen, an demselben Orte befestige, wo sie es trug; oder ich schwöre, daß, wie ich nach Hause komme, ohne auf die achtzehnhundert Jahre zu achten, die das ehrwürdige Band überlebt hat, ich es dem Feuer meines Camins übergebe, und Ihnen den Frevel zuschiebe, der dadurch begangen wird.“ —

     O Eduard! Wie erschreckte ich nicht das arme Kind durch meinen Schwur, und durch den entschlossenen Ton, mit dem ich ihn ausstieß! Sie erblaßte, schlug die Augen staunend empor, und drückte ihre gefalteten Hände an ihre Brust — „Nun denn,“ rief sie endlich in einer kleinen angenehmen Begeisterung — „bin ich, heiligste Mutter, von dir ausersehen, diesen deinen Nachlaß aus dem Feuer zu retten — so folge ich in Demuth — so geschehe dein Wille! — Eine einzige Bitte nur, mein Herr! bewilligen Sie mir nur noch den Aufschub eines Tages!“

     „Und warum das, meine Beste?“ fragte ich.

     „Weil Sie nicht verlangen werden,“ versetzte sie mit gesenktem Blick, „daß ich Ihren Besuch in Abwesenheit meiner Tante annehme; und diese ist morgen durch ein Fest gebunden und den größten Theil des Tages in der Kirche.“

     „Wie, mein liebes frommes Clärchen?“ erwiederte ich etwas spöttelnd: „Liegt Ihnen der baldige Besitz dieses Heiligthums so wenig am Herzen, daß Sie ihn über eine armselige Bedenklichkeit aufschieben mögen? oder glauben Sie weniger dadurch begünstigt zu seyn, wenn es nicht auch andere wissen? Und wollen Sie muthwillig den Samen des Neids in den Busen einer Freundin ausstreuen? Denn ach! Ihre gute Tante müßte nicht so fromm seyn als sie ist, wenn sie einer andern als sich selbst diese so einzige Reliquie gönnen sollte, da wohl selbst Klöster und Kirchen um weit geringere in Hader und Streit liegen? Ich berufe mich auf Sie selbst, liebes Clärchen! Mit was für einer Empfindung würden Sie es ansehen, wenn ich mit diesem unschätzbaren Bande den Fuß Ihrer würdigen Tante schmückte? — Nein, meine Beste! Es sey fern von mir, durch meinen wohlgemeinten Tausch zwo so gute Seelen zu entzweyen! Zudem gehe ich übermorgen nach Vauclüse; und sollten Sie beharren, den Tag von Sich zu weisen, den ich Ihnen geben kann: nun, so weisen Sie zugleich das Geschenk auf immer von Sich, das Ihnen die gebenedeyte Jungfrau durch mich zudachte, und ich schwöre nochmals = = =“

     Hier streckte sie ihre Hände bittend nach mir — und ihr Gesicht und ihre Stimme wurden ganz feyerlich. — „So sey es denn — wenn Sie nicht anders wollen, mein Herr! Aber bey der heiligen Concordia beschwöre ich Sie! heben Sie, bis zu unserer Vertauschung, dieses himmlische Pfand mit der Sorgfalt auf, die es verdient!“

     „O, das verspreche ich Ihnen Clärchen:“ konnte ich noch so ziemlich ernstlich heraus bringen, und hätte gern aus ihrer Ermahnung mehr geschlossen, als, nach der Wichtigkeit ihrer Miene zu urtheilen, wirklich darin lag. — Indeß freute es mich schon, daß mich das liebe Mädchen für einen Günstling jener großen Heiligen zu halten schien, mit der mich der gelehrte Kirchner, mittels eines Doppelducatens in so angenehme Bekanntschaft brachte, und freute mich unendlich, daß schon der erste Versuch meiner aus dem Tractate de probalitate geschöpften Beredsamkeit, selbst über meine Erwartung, so guten Eingang gefunden hatte.

     Ich führte nun, da ich die Treppe frey sah, voller Zufriedenheit mit dem Gegenwärtigen, und voller süßen Ahndung für das Künftige, die schöne Heilige hinunter, mit der ich in einer glücklichen Viertelstunde um vieles bekannter geworden war, als es der scharfsichtige Herr Fetz hoffentlich in seinem Leben nicht werden soll.

     Ehe wir auf die Gasse traten, erinnerte sie mich freundlich, daß man nicht gewohnt sey, sie von irgend einem andern Herrn, als ihrem Gewissensrathe, begleitet zu sehen. Es war eine bittere Erwähnung. Indeß ließ ich sogleich ehrerbietig ihre Hand fähren, und nahm sogar einen ziemlichen Umweg, um ihr Zeit zu lassen, mit ihren unbegreiflich kleinen Schritten vor mir zu Hause einzutreffen.

     Mich erwartete eine Aalpastete, ein rothes Feldhuhn und die schönste Wintermelone; aber hätte mich auch das Gastmahl des Lügners erwartet, so wäre doch meine Neugier, die mich nach dem Sammetkästchen zog, stärker gewesen als meine Eßlust. Ich öffnete es mit eben so viel Behutsamkeit als Begierde, und ging nun meine Beute auf das genaueste durch. — Aber wie schoß mir das Blatt, als ich nach einer flüchtigen Bewunderung des heiligen Strumpfbandes, den päpstlichen Ablaßbrief überlas! — Ich sah zu meiner Beschämung und Aergerniß, wie gar sehr ich mich durch meinen Vertrag mit Clärchen übereilt hatte. Ja, lieber Eduard! die Urkundes des heiligen Vaters wäre für einen Liebhaber — für einen König — unsern jetzigen nur nicht, Tonnen Goldes werth. Es ist unmöglich, daß unter so geringen Bedingungen, als ich aus Unwissenheit eingegangen bin, mein Tausch=Contract bestehen kann. Die ersten drey Punkte dieses geistlichen Frey=Passes müssen schon jedes unparteyische Gericht davon überzeugen. Und der siebende Punkt vollends! Nein, mein gutes Clärchen, du wirst den Preis gewaltig erhöhen müssen, wenn ich dich in den Besitz einer Reliquie setzen soll, an der so herrliche Indulgenzen haften.

     Es ist mir recht lieb, daß ich schon einige Bekanntschaft mit den großen Casuisten in meinem Cabinette gemacht habe. Im Falle mich ja meine erhöhte Forderung mit Clärchen in Streit verwickeln sollte, werden sie hoffentlich alle auf meine Seite treten, und zu meinem Vortheile entscheiden. Kannst du es mir wohl in diesen Umständen verdenken, lieber Eduard, daß ich heute die Unterhaltung mit diesen in meinem Prozesse so wichtigen Männern der deinigen vorziehe? Wenn ich ihn gewonnen habe, so will ich gern desto länger zu deinen Diensten seyn.
 
 

Ende des dritten Theils.

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Leipzig,
gedruckt bey Christian Friedrich Solbrig.