Nimes.
den ersten Januar.
Freund! daß ein frisches Gesicht, im Schatten
wild fliegenden Haares,
Dem keine Feder, kein Schmuck den Bau der Locken verbog;
Ein Busen, welcher, bey Gott! mit allem, was er auch Rares
Entdeckt´ und verbarg, zwo Mirabellen kaum wog;
Ein kleines närrisches Ding, das gaukelnd sonder ein klares
Bewußtseyn seines Berufs, mit dem Geschwätze des Stahres
Den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen umflog
Daß eine Fee dieser Art jüngst auf ein eben so wahres
Als seltenes Weihnachtsgeschenk an ihre Tafel mich zog,
Und, als ich hungrig erschien, mich, wie wir wissen, betrog
Für einen Schüler Berlin´s war das zum Schlusse des
Jahres
Ein ärgerlicher Epilog!
Doch daß, zu meinem Ruhm, es Welt und
Nachwelt wisse!
Ich stahl bey dem Geräusch mir nicht bestimmter Küsse
Vom Schauplatz mich hinweg, und wie ein Held, verwies
Ich mir sogar den Blick, den hinter die Culisse
Die Lüsternheit mich werfen hieß;
Der letzte Rest von Amors Sorgen
Schwand mit dem Traum der letzten Nacht.
Aus solchem Sturm der Leidenschaft geborgen,
Ist wohl nie muthiger am ersten Feiermorgen
Des Jahrs ein Philosoph erwacht!
So bang um den Ersatz, so ernst, als ein Verschwender
Das Gold, das er verlor, im Geist zusammen reiht,
Durchzählt´ auch ich den Werth der mir entflohnen Zeit,
Und webte mir ein Jahr im künftigen Calender
Aus Festen der Enthaltsamkeit.
O Weisheit! rief ich aus, o du, die in der
Mitte
Der Freuden sitzt, die keine Reu´ vergällt
Entziehe mich der Schmach, die jede niedre Bitte
Um eines Weibes Gunst enthält!
Verleih´ daß ich, selbst unerschüttert
Im Brennpunkt einer Griechin steh´,
Und, wenn auch schon an ihrem Neligee
Das Band sich bläht, der Atlaß knittert,
Doch nicht in Gährung übergeh´!
Gieb, daß ein höhrer Zweck der Neugier Zügel lenke,
Und auch dem Glücklichsten, dem dort die Zeit verrauscht,
Doch nur armselige Geschenke
Auf Kosten seiner selbst vertauscht!
Ist´s möglich, daß ein Geist,
der Sonnen zu erklettern
Vermag, und ihre Strahlen theilt,
Zum Thron des Ewigen in blitzerfüllten Wettern
Mit unversengtem Fittig eilt,
Nun diesen Fittig senkt, und kindisch sich verweilt,
Um eine Rose zu entblättern?
So tief sank Newton nie. An weis´re Sorgen band
Er seine Thätigkeit und seines Namens Ehre;
Zu stolz für sein System, das weniger Verstand
Als Mark erheischt war ihm ein Kuß ein Druck der Hand,
Und was ein Mann nur wünscht, daß ihm ein Weib
gewähre,
Ein Spiel, daß er nicht werth der Untersuchung fand,
Unnöthig zum Beweis der Lehre,
Die er von dem Gesetz der Schwere
Der sträubenden Natur entwand.
Von allen Globen, die uns Licht
Und Ebb´ und Flut und Tag und Nacht gewähren,
Kannt´ er den Lauf und das Gewicht,
Hob alle Schleyer auf, das Dunkel aufzuklären,
Selbst von Johannes Traumgesicht: *)
Die Globen nur, die, wie ihr Schmeichler spricht,
Den Musen gleich, **) uns in der Kindheit nähren,
Als Mann, als Greis erfreun, selbst unsern Wohlstand ehren,
Und unsre Freunde sind, wenn Rath und Trost gebricht,
Nur die besuchtesten von allen Hemisphären
Besucht´ er nie und kannt´ er nicht. ***)
____________________
*) Er suchte die Apokalypse zu erklären, und brachte,
wie es scheint, der menschlichen Schwachheit dieß Opfer, um sich,
wegen seiner überschwenglichen Größe, mit den Menschen
auszusöhnen.
**) Nach einer Stelle des Cicero pr.
Arehia. Cap. 7. Haec studia adolescentiam alunt, senectutem oblectant,
secundas res ornant, in adversis solatium praebent.
***) Er starb in hohem Alter, und, wie seine Section
bewies, ohne je, bey vollkommnem Zustande der Mannheit, ihren Forderungen
untergelegen zu haben.
____________________
* * *
Es ist eine herzerhebende Empfindung für einen Mann, der
an seiner Vervollkommnung arbeitet, wenn er sich beym Erwachen, klüger
wieder findet, als er sich den Abend vorher verließ. Ich fühlte
die frommen Morgengedanken, die ich dir eben mittheilte, mein Eduard, mir
so nahe und so warm am Herzen liegen, daß ich sie, ehrlicher Weise,
für sichere Anzeigen seiner Verbesserung hielt, und schon mit Vergnügen
die guten Folgen davon berechnete; ein kleiner Umstand aber, der dazwischen
kam, zeigte mir bald, daß es nichts weiter als philosophische Dünste
waren, die gern so geschwind verfliegen als sie aufsteigen, und zu allen
Zeiten wohl selten etwas beytragen mögen, die Gesundheit einer kranken
Seele zu befestigen.
Der gute Junge,den ich gestern miethete ich
hatte ihn ganz aus der Acht gelassen trat seinen Dienst bey mir an, und
pflanzte sich, da ich mich seiner am wenigsten versah, schön gekräuselt
und in die Lievrey gekleidet, die sein Schwager ehrlich getragen und glücklich
abgelegt hatte, vor mein Bette. Die Sache ging sehr natürlich zu,
und doch kam sie mir als eine unerwartete Erscheinung vor, und erregte
Ideen bey mir, die meiner armen Philosophie nichts weniger als zuträglich
waren. Urtheile nun selbst, wie es mit einem solchen Kopfe aussehen mag,
den so gleichgültige Dinge schon aus seiner Fassung bringen. Das reisefertige
Aussehen Bastians, sein freundlicher Glückwunsch zum neuen Jahre,
und seine überraschende Frage: ob er das Anspannen bestellen solle?
machten mich, eins wie das andere, mit mir selbst irre. Ich blickte ihm
ungewiß in das Gesicht, als ob mir eine dunkle Erinnerung von ihm
vorschwebte, und runzelte, statt ihm zu antworten, die Stirn. Endlich merkte
ich was mir war. Keinen Gruß von Margot? sagte ich heimlich zu
mir; das heißt deine Befehle fast zu pünktlich befolgt! und
legte mich unwillig auf das andere Ohr. Er mußt mich noch ein paarmal
mit der sonorischen Stimme seiner Schwester und mit den Aehnlichkeiten
ihres lieben Gesichtchens erschrecken, ehe ich gefaßt genug war,
ihm mit einem grämlichen Ja! abzufertigen. Er verließ mich
und ich nicht halb mehr so zufrieden mit mir als vor einigen Minuten,
stand lässig auf; meine Morgenbetrachtungen blieben unvollendet in
der Nachtmütze hängen, die ich abwarf, und ich trat mit einer
Art von Trotz in das Nebenzimmer, wo eine Kleinigkeit, die meiner wartete,
mich vollends, und eben so geschwind verstimmte, als sie mir in die Augen
fiel.
Es war eine Rose, die mir Bastian von seiner
Schwester mit gebracht, und auf den Bogen, woran ich jetzt schreibe, gelegt
hatte. Ich erkannte sie sogleich, wie ich ihrer ansichtig ward. Es war
die oberste von den dreyen, die gestern noch als Knospen an dem Stocke
hingen, den Margot täglich in die Sonne trug und begoß. Die
erste die sich entfalten wird, sagte immer das liebe Kind, soll niemand
bekommen als Sie, mein gütiger Herr! und wie wird sie sich freuen,
daß sie mir noch Wort halten konnte! Ich hob die Blume zitternd in
die Höhe, und die Thränen traten mir in die Augen. Alle die frohen
Erinnerungen der ländlichen Stunden, wo sie mit aufgestreiften Aermeln
vor ihrem Blumenstocke stand, ihn genau musterte, und bald eine summende
Mücke, bald eine näschige Wespe davon verjagte schienen jetzt
mit dem Geruche dieser lieblichen Blume in mich überzuströmen,
und ich konnte mich an der frischen Farbe dieser Erstlingin des Jahres
nicht satt sehen.
Du kennst doch die Provencer Rosen, trauter
Eduard? Viel kleiner als die unsern, röther, elastischer und concentrischer,
als es bey weitem unsre Centifolien sind, scheinen sie dem Auge eines Deutschen
nur desto reitzender und nun vollends so früh im Jahre, und in der
feyerlichen Nacht entfaltet, die mich, ach! auf immer, von dem nachbarlichen
Bette meiner guten Margot entfernt hat! Wäre es ein Wunder, wenn ich,
trotz einem Brokes und seinem irdischen Vergnügen in Gott,
über die Betrachtung dieser Blume zum Kinde würde? Ich habe sie
zwischen meinem Busenstreife verborgen, nahe bey meinem pochenden Herzen,
und würde es für Sünde halten, wenn ich sie mit prahlendem
Leichtsinn auf meinem Reisehut stecken wollte. Nein! sie soll durch ihren
sanften Gegendruck durch den Aushauch ihres Wohlgeruchs, mir nur fühlbarer
machen, daß ich noch athme, und ein Mensch bin; und selbst über
ihre sterbenden Blätter will ich eine gewissenhafte Rechnung halten,
sie, wie sie abfallen, in meine Brieftasche sammeln, und sie nur empfindsamen
Freunden, als kostbare Reliquien aus dem heiligen Caverac, zeigen.
Der ungeduldige Junge hat mir schon zweymal
gemeldet, daß alles zu meiner Abreise fertig sey. Er that es, und
das weiß ich ihm Dank ohne des wichtigen Geschenks zu erwähnen,
das er mir so heimlich zugebracht hat. Ich werde suchen ihm in der Unbefangenheit
nachzuahmen, die er gegen mich über das Vergangene heuchelt. Ich will
ihn von nun an nicht weiter als den Bruder meiner Margot, sondern als Johanns
Schwager und meinen Bedienten betrachten, und nie gegen ihn meine Empfindungen
laut werden lassen: denn, kann Etwas unserm Ansehen nachtheilig werden,
so ist es wohl die Schwachheit unsres Herzens. Verrathe sie ja keiner,
wer sich in jenem bey seinen Untergebenen zu erhalten wünscht! Die
Hengste vor meinem Wagen wiehern und stampfen, und der Postillion knallt
einmal über das andere. So muß ich denn wohl mein Tagebuch
einpacken. Ich muß fort, trauter Eduard, fort aus der paradiesischen
Gegend, wo ich jenes herrliche Mädchen fand, das einzige vielleicht,
das der Unkosten der Liebe noch werth ist.
* * *
Avignon Abends.
Kaum hatte ich mich heute Morgens mit meiner Provencer Rose in
den Wagen, und Bastian sich mir gegen über zurechte gesetzt; so sah
ich schon, daß ich eine Thorheit begangen hatte, ihm diesen vornehmen
Platz anzuweisen. Sein Anblick war mir so sonderbar im Wege, daß
ich beynahe an seine Stelle meinen alten schnarchenden Begleiter aus seiner
Verwesung zurück gewünscht hätte, der mir, wie du weißt,
immer zu einem guten Gedanken verhalf. Doch da der Mensch einmal da saß,
mußte ich ihn nun auch schon sitzen, und mir gefallen lassen, daß
sein spähendes Auge, manchmal zu einer ganz ungelegenen Zeit, den
freyen Aufblick der meinigen hinderte.
Ich ließ mir nicht einfallen, als ich
durch die Stadt rollte, nur nach einem Fenster meiner Bekannten in die
Höhe zu fahren, oder die römischen Alterthümer, so gewiß
ich auch bey ihnen zum letztenmale vorbey kam, nur eines Abschiedsblickes
zu würdigen. Dafür zog ich mein Fernglas aus der Tasche, wie
ich in´s Freye kam, und hob es immer mechanisch vor die Augen, so
oft mir die Wendung meines Wagens die Thurmspitze von Caverac zu Gesicht
brachte. Welche bittersüße Erinnerungen wehten mir immer noch
von dorther entgegen! Einigemal wurden sie so lebhaft, daß ich im
Begriffe stand den Postknecht umlenken zu lassen; so groß war der
Kampf meiner Nachwehen: ja, ich verzweifelte, daß die Zeit jemals
im Stande seyn würde, dieses nagende Gefühl zu zertheilen.
Indeß that ich der Zeit Unrecht, Eduard,
und ich hätte mir diese Sorge ersparen können; denn ich will
dir es nicht verschweigen, daß mir eine Stunde nachher die Sache
lange nicht mehr so unmöglich schien. Mein Herz ward müde, länger
für ein Mädchen zu pochen, das so weit hinter mir war, und meine
sympathetische Rose verlor nach und nach immer etwas mehr von ihrer anziehenden
Kraft. Ich fühlte nur noch, daß sie welkte, daß sie mir
die Haut rieb, daß sie mir beschwerlich ward schob sie ein paarmal
seitwärts und steckte sie endlich, da sie mir es zu arg machte,
ohne mich weiter mit ihr einzulassen, in die Weste. Nun ging es, zu meinem
Erstaunen auch mit jeder andern Beruhigung so geschwind, daß ich
mich selbst darüber mit mir hätte verfeinden mögen. Ich
machte mir Vorwürfe über Vorwürfe nannte mich den Wankelmüthigsten
unter dem Monde: aber es fruchtete wenig. Je weiter ich mich von dem guten
Dörfchen entfernte, je näher ich dem Gebiete des Papstes kam,
desto muthwilliger ward mein Blut, und ich betrat endlich das Comtat mit
Ahndungen, die mir angst und bange für mich selbst machten.
Als ich über die Französische Gränze
hinaus war, steckte ich mein Fernglas ein, das mir zu nichts weiter dienen
konnte, schlug munter meine Arme in einander, ließ meine Blicke einige
Zeit mit Wohlgefallen auf dem hübschen Jungen ruhen, der mir gegen
über saß, ward bald nachher seines ehrerbietigen Stillschweigens
müde, und forderte ihn, indem ich zugleich mit Verwunderung nach meiner
Uhr blickte, endlich selbst auf, mich von seiner Schwester zu unterhalten.
Er schien nur auf meinen Befehl gewartet zu haben. Ich erführ von
ihm, daß er das Haus in den großen Anstalten zu ihrer Hochzeitfeyer
verlassen habe, hörte es ohne merkliche Bewegung, und, indem mir mancher
im Geschmack des Ostade gelungener Zug seines Gemäldes ein gutmüthiges
Lächeln abnöthigte, rührte es mich öfter noch durch
die feinsten Züge, die selbst ein Poussin zu seinen arkadischen Bildern,
oder ein Berghem zu einem Stilleben nicht würde verschmäht haben.
Nachdem ich die Kunst seiner Darstellung lange
genug bewundert hatte, und mancher verstohlne Blick, den ich mitunter dabey
in mein Herz that, mich hoffen ließ, daß ich mich noch angenehmer
mit mir selbst unterhalten würde, drückte ich meinen Hut um einen
Zoll tiefer in die Augen, und legte mich in die Ecke des Wagens. Bastians
Takt war auch fein genug, mich zu verstehn. Er besah den Aufschlag seines
Rocks blies eine Feder davon ab, und schwieg. Ungesucht legte sich nun
das Glück so vieler guten Seelen, das ich mir aus dem Vorhergehenden
deutlich genug vorstellen konnte, als der reichhaltigste Text meinen Betrachtungen
unter: es stand, sammt allen seinen möglichen Folgen, in einem so
sonderbaren Zusammenhange mit dem heillosen Schnupfen, den mir die Bise
zu Nimes an die Nase warf, daß ich nicht genug den Zufall bewundern
konnte, der so heterogene Dinge zu vereinigen wußte, um, wie es mir
vorkam, durch den systematischsten Gang von der Welt, am Ende auch noch
meine eigene Zufriedenheit zu bewirken.
Ja wohl, Eduard, meine eigene Zufriedenheit!
denn ich ging hier nicht so leer aus, als du dem ersten Ansehn nach wohl
denken könntest. Wolltest du wohl das wieder erlangte Vermögen
um ein Mädchen seufzen, und den Glücklichen beneiden zu können,
dem ihr Besitz zu Theil ward für nichts achten? Wie wäre mir
noch vor vier Wochen in Berlin so etwas eingefallen? Der ganze Hof, von
dem Vornehmsten bis zum Geringsten, hätte sich zwey- und dreymal verheirathen
mögen ich würde mich wenig um das Glück ihrer ersten Nächte
bekümmert, noch weniger daran geglaubt, oder nur Einen Augenblick
gewünscht haben in ihrer Lage zu seyn. Zu solchen menschlichen Wünschen
gehört eine gewisse Spannkraft des Herzens, von der ich schon langeher
keinen Begriff mehr hatte, und ohne die doch selbst ein Monarch zwar
groß und bewundert, so viel du willst aber für seine Person
nie so glücklich seyn wird, als der Taglöhner, dem sie die Natur,
vielleicht zur Entschädigung für alle andre ihm versagte Herrlichkeiten,
in vollem Maße geschenkt hat. In welchem wohlthätigen Lichte
mußte mir also nicht der Zufall erscheinen, der mich zwar mit einer
kranken Nase nach Caverac brachte, mich nun aber dafür mit jenem männlichen
Bewußtseyn in die offene und mädchenreiche Welt weiter schickte!
Diesen schnellen Uebergang von Kleinmuth zu einem edlen Selbstvertrauen,
das über den erschlafftesten Geist Wohlbehagen verbreitet wem habe
ich es zu verdanken, als allein dem mächtigen Zufalle?
So sollst du mich denn, du Freund aller der
Weisen, die ohne Anmaßung, ohne Rechnung und Forderung, ihr Leben
durchschlendern, auch fernhin leiten, rief ich andächtig aus, stieß
alle die überklugen Aussprüche, die mir seine Wirklichkeit verdächtig
machten, mit Gewalt von mir, und fand ihn, bey zunehmendem Nachdenken,
auf allen Blättern der Menschengeschichte, unwiderleglich bewiesen.
Ich übersah den Umlauf irdischer Dinge ihre Anlagen, ihre Absichten,
und ihren Erfolg, in einigen ernsten Minuten. Das Feuer der Ode ergriff
mich Ich warf bedeutende Blicke auf das päpstliche Gebiet, das,
wie ein Ball des Ungefährs, vor mir lag bald auf Bastian, der seine
Augen von dem Brande der meinigen wegwandte und zitterte. Es flogen mir
mehr Gedanken zu, als mein Gehirn auffassen konnte. Ich knetete nur die
zusammen, die sich am nächsten wagten, und überließ den
übrigen Vorrath größern Dichtern, die, wenn sie wollen,
ihn zu einem dicken Gesangbuche von Klag= und Trostliedern verarbeiten
mögen, das auch wohl einmal wer kann dafür stehen? seine Gemeinde
findet. O du! rief ich mit innerer Erschütterung aus, die selbst,
wie ich vermuthe, meine Gesichtsmuskeln verzog: denn Bastians Unruhe war
nur zu sichtbar, und verrieth nur zu sehr, wie bange ihm in meiner Nähe
seyn mochte. Aber welcher Dichter, der in der Begeisterung liegt, bekümmert
sich um das staunende Gaffen seines prosaischen Dieners?
Du, der auf unsrer Pilgerreise
Bald Blinde führst, bald aus dem Gleise
Die Führer anderer verdrängst;
Belasteten das Leitband ihrer Fesseln
Oft selbst im Riesenarm der Tyranney zersprengst,
Und einen Zaum von Nesseln
Ihr in die Fäuste hängst!
So weit des Adlers Augen sehen,
Vom Gotthard zu den Pyrenäen,
Vom Rhein bis an den Quell des Nils,
Horcht die Natur vom Isopp bis zur Zeder
Nur Dir, und von dem Schwarm, der nach dem Kranz des Ziels
Hinströmet, dienet jeder
Zum Würfel Deines Spiels.
Zwar nennen Dich die stolzen Buhlen
Des Sokrates auf hohen Schulen
Verwegner Phantasien Kind:
Doch fühlen sie erschrocken Dich, und heulen,
Gebeugt von Deiner Kraft, die Nächte durch, und sind
Scheu wie Minervens Eulen,
Und deinem Glanze blind.
Sie scheu´n des Schöpfers Plan zu schelten,
Daß er von Myriaden Welten
An Dich den Ball der unsern band;
Begreifen nicht, daß er nur seine Zügel
Zur Lehn dir übertrug, weil Ordnung und Bestand
Er diesem Todtenhügel
Nicht angemessen fand:
Nein! Sie begreifen´s nicht, und stellen
Den Sturz, selbst ihrer Mitgesellen,
Als Zweck zum Wohl des Ganzen dar.
Des Staubes Sohn berechnet nicht, wie eitel
Für ihn das Ganze sey, und, trotzend der Gefahr,
Ruft er: Von meiner Scheitel
Fällt ungezählt kein Haar.
So opferten im Spiel der Lanzen
Sich Tausende dem Wohl des Ganzen,
So wenig auch ihr Wahn gelang;
Indeß hälst Du, den ein Lucrez erhoben,
Und den von seinem Sitz kein Polignac verdrang, *)
In Ordnung unsern Globen
Und sein Gewirr im Gang.
So war´s nur Spielwerk Deiner Grillen,
Was, als Beweis vom höchsten Willen;
Auf Welt und Nachwelt überging?
So kam allein die komische Verkettung
Von Dir, die unser Heil an einen Fischerring, **)
Und Galliens Errettung
An ein Paar Handschuh´ hing. ***)
Ihr Seher! steigt von eurem Sitze,
Steigt, wenn ihr könnt, bis zu der Spitze,
Wo menschliches Verhängnis schwebt:
Ist nicht die Schnur der folgenreichen Stunden,
Die auf dem Rad der Zeit sich zu entwickeln strebt,
Vom Zufall aufgewunden,
Vom Zufall abgewebt?
Wer öffnete von allen Zwergen
Auf euern Warten Guttenbergen
Und Fausten der Erfindung Thor?
Was auszuspähn kein Doctor=Witz vermochte,
Im Dickicht der Natur seit Seculn sich verlor,
Bei guter Laune pochte
Sein Jagdspieß es hervor.
Das Wild springt auf und nun erst setzen
Ihm eure Jäger nach, durchhetzen
Die weite Welt nach seinem Lauf:
Sie fangen es, sie satteln es, sie führen
Es ohne Ruh´ und Rast zur Schau und zum Verkauf,
Und rennen Thor und Thüren
Zu seinem Einlaß auf.
Ihr Lärm von Trommeln und Posaunen
Treibt alle Messen neuer Launen
Auf Guttenbergs Gefahr herbey;
Ihr wüthend Heer auf Faustens Mantel schwebet
Bis in das Feenland zum Thron der Schwärmerey;
Selbst der Olymp erbebet
Von ihrem Jagdgeschrei;
Kein Laut zufälliger Gedanken
Entfährt dem Mund, ersteigt die Schranken
Der Nachwelt ohne Wiederklang;
Kein Lied verhallt, und wenn es auch in Nächten
Wollüstigen Tumults ein kranker König sang; ****)
Es kürzet den Gerechten
Des Lebens Uebergang.
O Zufall! freundlicher Erhalter
Des Lorbers, der uns Neid und Alter
Gern von dem Haupte nimmt, verleih
Auch mir den Schutz, den Du dem hohen Sänger
Verliehst, daß mein Gesang, gleich seiner Litaney,
Noch manchen Müßiggänger
Der Nachwelt heilig sey.
Wie vieler Unsinn, klug betitelt,
Hätt´es Dein Compaß nicht vermittelt,
Schwämm unbemerkt im Strom der Nacht!
Dir danken wir die Kunst den Schall zu malen,
Du hast manch Quentchen Witz zu einer Zentnerfracht
Erhöht, und Kern und Schalen
Der Schreibsucht flott gemacht.
Gewohnt dem Grübler nachzuwandern,
So weit ein Zirkel in den andern
Bis über unsre Gränzen tritt,
Sprichst du ihm Hohn, wenn er das Unsichtbare
In einer Tiefe sucht, die noch kein Mensch beschritt,
Und bringst dafür uns Waare,
Die wir bedürfen, mit.
Der Propaganda Jünger dringen,
Für Gott mehr Ernten zu erringen,
Bis in der Bonzen Heiligthum.
Der Feind verderbt zwar ihre frommen Saten:
Doch Du entschädigst sie, Du schickst sie heim mit
Ruhm,
Mit Putern und Pataten
In´s Refectorium;
Und Heidenkost strömt neuen Segen
Auf Länder, die des Lichtes pflegen,
Das aus der Offenbarung strahlt.
Schmaust ein Prälat seht, ob nicht in der Mitte
Des christlichen Gelags, das die Commun bezahlt,
Ein fetter Proselyte
Des Lands Calcutta prahlt?
So bringen selbst aus Deinen Schachten
Die Heiligen, die Dich verachten,
Beweise deiner Huld an Bord:
Europens Ruhm trägst Du nach China über,
Führst uns Rhabarber zu, getauscht um Gottes Wort,
Und peitschest deutsche Fieber
Mit Peru´s Ruthen fort.
So trage denn, o mein Begleiter
Und Freund, auch meinen Schnupfen weiter
Nach Monomotapa, zum Schach. *****)
Dort feyert man der hohen Zirbeldrüsen
Getös: kaum niest der Fürst, so niest das Vorgemach;
Bis an die Gränzen niesen
Ihm seine Sklaven nach.
Doch, ohne Nasen zu verhöhnen,
Die Hof und Stadt und Land durchtönen,
Wie viel hingst Du der meinen an!
Hingst Du nicht ihr die jugendliche Runde,
Die ich nicht ganz umsonst um Amors Zelt gethan,
Und die Vollendungsstunde
Der guten Margot dran?
Und alle die Erobrungsplane,
Die Amor dem zu ihrer Fahne
Geschwornen Femdling überträgt
Das falsche Kind! Wie freundlich, wie ermuntert,
Giebt sie die Rosen Preis, die ich so treu gehegt,
Und die ihr Freund verwundert
Nun, Blatt vor Blatt, zerlegt.
Hört mich, ihr Glücklichen! Verirret
Euch nicht zu weit! Der Zufall schwirret
Dem Traume nach der euch verzückt:
Ach! möglich, daß auf euerm Schwanenbette
Zu rasche Lüsternheit ein Wesen niederdrückt,
Das an des Schicksals Kette
Mehr als Ein Glied verrückt!
Doch möglich auch der Weihungsstille,
Daß Merciers erhabne Grille
Mit in die Zukunft überschwimmt,
Und daß vielleicht dieß Kinderspiel, das sausend
Mir jetzt das Ohr zerreißt, den Gang des Wohllauts nimmt,
Der zu dem Jahr: Zweytausend
Vierhundert vierzig stimmt; ******)
Und daß, der nächsten Nacht entsprossen,
Ein Keim, fortwuchernd nur Genossen
Der Tugend, an einander reiht,
Aus deren Schooß zum Wohl der bessern Erde,
Gott, welch ein Traum! der Genius gedeiht,
Der einst der Menschenherde
Das höchste Gut verleiht.
Wohlan! so folg ich Deinen Zügeln
Gutwillig, Du, den auszuklügeln
Selbst Meistern nicht vom Stuhl gelingt;
Weil doch der Weg zum wahren Menschenglücke,
Den oft ein Magus zeigt, der selbst die Hände ringt,
Uns eher an die Krücke,
Als an die Schreibe bringt.
____________________
*) Der Cardinal von Polignac, der den Antilucrez geschrieben.
**) Ring des Papstes, womit die apostolischen Breve besiegelt
werden. Das Siegel stellt den heiligen Petrus als einen Fischer vor.
***) Ein Paar neumodische Handschuhe, die Sara Jennings,
vermählte Herzogin von Marlborough, sich weigerte ihrer Freundin,
der Königin Anna, abzutreten, verursachten in einer Reihe von Folgen
die große Revolution, durch die Philipp der Fünfte auf dem Spanischen
Throne befestigt, Oesterreich davon ausgeschlossen, der verdunkelte Ruhm
Ludwigs des Vierzehnten wieder hergestellt, und die stolzen Hoffnungen
seiner Feinde vereitelt wurden. Der Keim dieser großen Begebenheiten
kam aus den Händen eines armseligen französischen Beutlers, dem
es nicht träumte, was für glückliche Folgen für seinen
König und für sein Vaterland der Zufall auf sein Tagwerk legen
würde.
****) Erst in neuern Zeiten wird das Hohe Lied für
das gehalten was es ist, nachdem mystische Andacht ihr Spiel lange genug
damit getrieben hat.
*****) Au Monomotapa, quand
le roi éternue, tous les courtisans son par obligés d`éternuement
gagnat de la cour à la ville, et de la ville aux provinces, tout
l´empire paroit affligé d´un rhume général.
Helvetius
de l´Ésprit p. m. 113
******) l´An deux
mille quatre cent auarante, par M. Mercier.
____________________
* * *
Nichts ist doch geschickter uns sanft über einen lästigen
Zeitraum zu heben, als der Bau einer Ode. Ich hatte meine Station so unbemerkt
zurück gelegt, daß mich die ausgezackten Mauern von Avignon
mitten in meinem hoch tönenden Gesange, wie ein Epigramm, überraschten,
das den ernsten Gang eines Heldengedichts unterbricht, und uns zum Lachen
bewegt. Kaum hatte ich noch Zeit, meinem Feentempel den Schlußstein
aufzusetzen, als ich mich schon mitten auf dem Markte befand. Doch konnte
mich das Geräusch, das mir von allen Ecken her zuströmte, so
wenig in meiner fortschreitenden Andacht stören, daß ich vielmehr,
um sogleich von der frommen Sorglosigkeit, zu der mich meine Hymne gestärkt
hatte, Gebrauch zu machen, und noch ehe ich den schmutzigen Gasthof betrat,
vor welchem ich ausstieg, meinen Bastian abfertigte, mir in der Stadt irgend
wo auf gut Glück eine Wohnung zu suchen.
Ich hätte dem Zufall auf keine
thätigere Art mein unbegränztes Zutrauen beweisen können,
als daß ich die bedenkliche Wahl meines Quartiers einem jungen Flüchtlinge
überließ, der nur seit wenig Stunden in meinen Diensten stand,
meinen Geschmack nicht kannte, und die erste Probe des seinigen, in einer
ihm ganz fremden Stadt ablegen sollte in einer Stadt, wo der Vorzug,
den man einer von den vier Classen ihrer Einwohner giebt, seine eigene
Gefahr hat, und wo es nicht gleichgültig ist, ob man sich bey einem
Orangenhändler, bey einem Juden, neben einem geistlichen Herrn, oder
bey einer Seidenspinnerin einmiethet.
Ich machte unterdeß einen Spaziergang
nach der Burg des Legaten, die, wie fast alle Prälaten=Schlösser,
ihre demüthige Lage auf dem höchsten Flecke der Stadt hat. Der
Hausknecht, der mich dahin führte, schwatzte mir unterwegs viel von
einem dort befindlichen offenen Platze vor, auf welchem man das ganze päpstliche
Gebiet übersehen könne. Ich nahm seine Versicherung in dem eingeschränktesten
Sinne, den er vermuthlich nur darein legen wollte, und fand daher die Ansicht
der herrlichen Gegend, die, wie ein ausgebreitetes großes Gemälde,
da lag, für mein leibliches Auge so erquickend, als ein Ermüdeter
nur wünschen kann. Auf diesem schönen Vorplatze des geistlichen
Palasts soll zu Zeiten ein gewaltiger Zugwind herrschen, der über
die französische Gränze herkommt, und dem Legaten, der nie viel
Gutes von daher erwartet, oft den Athem versetzt. Heute, zu meinem Vergnügen,
ruhte er in dem Abglanze der Sonne, die gerade über ihm stand, als
ob sie meiner erwartete. Mit welcher Freundlichkeit begrüßte
sie hier den ersten Tag des Jahres, den sie höchstens nur matt bey
euch überschimmert! O, ihr armen erfrornen Berliner! Wie glücklich
fühlte ich mich in diesem warmen Augenblicke gegen euch, da ich an
den beschwerlichen Kreislauf zurück dachte, in welchem euch das neue
Jahr zu dem albernsten Vertausche abgenützer Wünsche herum treibt,
die ihr mit erstarrender Zunge einander feil bietet, während daß
ich mich im Sonnenscheine gleichsam badete, und nur in Gedanken fror, wenn
ich mich unter die Sonne meiner Heimath versetzte. Wahrlich, es scheint
nicht dieselbe zu seyn so unvergleichbar ist sie sich selbst in dieser
Verschiedenheit.
* * *
Als hätt´ ein Vorgefühl der
Freude
Dieß Incarnat ihr angeweht,
Tritt sie hier auf in ihrem Sonntagskleide,
Stolz, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer geht.
Da sie, gey Gott! im Dunstkreis eures Landes,
Kalt, abgezehrt und ausgebleicht,
Wie ein Skelet des Ehestandes
Am Horizont vorüber schleicht.
* * *
Ich stand lange ganz unbeweglich auf diesem
Sonnenplatze, sog ihre wohltätigen Strahlen ein, wie die Säule
des Memnon; und daß ich auch nicht ohne Klang war, zeigt dir die
Harmonie meiner Rede.
Bastian war mir schon eine Weile unter die
Augen getreten; aber ich blinzelte in das majestätische Lich, und
er
mußte mich anreden, um mir seine Gegenwart bekannt zu machen. Wollten
Sie wohl, lispelte er mir endlich zu, einen Ihrer feurigen Blicke auf
die Wohnung werfen, die ich Ihnen ausgemacht habe?
So! mein Herr Abgesandter, erwiederte ich,
ich höre du bist wieder zurück, denn sehen kann
ich dich durchaus nicht. Wirklich war ich in diesem Augenblicke in so
hohem Grade geblendet, daß ich glaube, Paulus und Schwedenburg haben
nur einige Minuten länger in die Sonne gesehen, um jene unaussprechlichen
Dinge zu entdecken, die unsere gemeine Vorstellungskraft so weit übersteigen.
Ich hoffe, fuhr Bastian fort, das Quartier
wird Ihnen gefallen, wenn Sie nur Ihres Gesichts erst wieder mächtig
sind. Wie? Sie suchen mich ja auf der Gegenseite Sehen Sie mich denn
noch nicht? Mein Gott, wie Angst machen Sie mir! Ach, mein Herr! mit der
hiesigen Sonne ist nicht zu spaßen.
O, mit der hiesigen habe ich es auch nicht
gethan, mein lieber Bastian, antwortete ich und rieb mir die Augen: wenn
mir die Berliner Sonne nur nichts nachträgt! Doch führe ich mich
in meine Miethe; denn meine Blindheit, Gott sey Dank! fängt an zu
vergehen.
Der Weg dahin ist nicht weit, führ Bastian
nun in seinem Hauptberichte fort, indem er, stolz auf seine gute Verrichtung,
ziemlich anmaßlich neben mir hertrabte. Sie werden das Quartier
gewiß lieb gewinnen, denn zufälliger Weise liegt es an
der Mittagsseite. Ein helles freundliches Haus eine schöne bequeme
Stiege, die in einen großen Vorsaal führt, wovon Sie in ein
weitläuftiges Zimmer treten, an das eine Kammer mit dem artigsten
Bette, und an diese wieder ein Verschlag stößt, der eine kleine
Bibliothek enthält. Unter dem Spiegel in dem Hauptgemache ein schlafender
Amor von Marmor und Rousseau's Brüste von Gyps gegen über auf
dem Gesimse des Camins und das alles, mein Herr, in dem ersten Stockwerke!
Aber, das Beste kommt noch: Sie sind, so lange es Ihnen gefällt da
zu wohnen, Herr allein im Hause; denn es gehört einer todten Hand
zu dem Hospitale der Propstey, dem eine andächtige Seele die Einkünfte
davon vermacht hat. Ein einzelnes altes Weib, die man für nichts rechnen
kann, ist auf der Seite der großen Stube Ihre Nachbarin, aber wie
hier durch die Mauer, so auch auf dem gemeinschaftlichen Vorsaale, ganz
von Ihnen geschieden. Das Weib ist aus der Commun des Hospitals genommen,
und in dieß Haus gesetzt, um es in Aufsicht und Beschluß zu
halten, und sie macht ihrem Amte Ehre. Zufällig traf ich es
so glücklich, daß sie eben aus der Messe kam, als ich vor ihrer
Thüre stand, und das logement
à deux Louis par Sémaine nicht so recht heraus
bringen konnte; denn vermuthlich ist das Haus schon für sich in zu
gutem Rufe, als daß es einer leserlichen Aufschrift bedürfte.
Ich fand, fuhr mein geschwätziger Geschäftsträger
fort, die Zimmer, das Geräthe und die ganze Gelegenheit artig genug
für einen einzelnen Herrn; aber der Miethzins, bey alle dem, zu hoch.
Doch konnte ich es nicht über das Herz bringen, dem alten Mütterchen
ein geringeres Gebot zu thun, da jeder Liard, wie sie mir sagte, den das
Haus abwirft, unter Nothleidende verteilt wird. Dieser Umstand, dachte
ich, ist gewiß deinem guten Herrn mehr werth, als die paar Livres,
die er vielleicht zu viel bezahlt! Doch das ist seine Sache, der Handel
ist ja noch nicht so fest abgeschlossen, daß es nicht bey ihm stände,
ihn fallen zu lassen, wenn ihm die Wohnung, die Wirthin, oder der Preis
nicht gefällt.
Ich habe dir, lieber Eduard, das ganze umständliche
Geschwätz
meines Gesandten hergesetzt, weil es mich der Mühe überhebt,
dir meine schöne Wohnung selbst zu beschreiben. Sie empfahl sich mir
schon durch das zufälliger Weise, das Bastian einigemal so
geschickt anbrachte, als hätte er meine Ode gelesen, und ich hatte
sie schon in Gedanken gemiethet, ehe ich mich noch mit eigenen Augen überzeugte,
daß sie des Zinses werth sey, denn ich allenfals, (darin hat Bastian
Recht,) nur als ein wöchentliches Almosen ansehen darf, um ihn nicht
zu hoch zu finden.
Hätte mich etwas von dem Handel abschrecken
können, so wäre es wohl die alte Ausgeberin gewesen, bey der
es beynahe unmöglich ist, eine gute Absicht des Zufalls zu vermuthen.
Sie ist das wahre Gegenbild meiner vortrefflichen Wirthin zu Caverac, für
den Anblick sowohl als für das Herz. Da ich ich nicht so gernz Runzeln
male als Denner, so scheide ich von ihrem Porträte, selbst ohne näher
zu untersuchen, ob sie des Criminis rugarum *) schuldig sey, als es leider!
das Ansehen hat. Fromm, wie man es hier zu Lande nennt, mag sie wohl seyn;
denn sie ist mit so viel Heiligenbildern, Amuletten und Rosenkränzen
behängt, daß sie bey der geringsten Bewegung, wie ein Skelet
im Zugwind, klappert. Als sie mir mein Stubengeräthe, zugleich mit
dem Verzeichnisse davon, übergab, that sie mir die freundschaftliche
Erklärung, daß sie, außer dem, was sie mir hier zum Gebrauche
überließ, sich weiter um keines meiner Bedürfnisse bekümmern
könne: und das ist mir auch ganz recht. Mit dem Anfange jeder Woche,
fuhr sie fort, würde sie den bedungenen Miethzins abholen, nahm den
jetzigen in Empfang, und empfahl sich meinem Gebete.
____________________
*) Scilicet ut careat rugarum
crimine venter,
Sternatur pugnae tristis
arena tuae.
Ovid, Amor. lib. 2. eleg. 14. v. 7,8.
____________________
Ich untersuchte nun etwas genauer, was mich
umgab, fand alles reinlich und artig, aber ohne Schmuck, wenn ich den schlafenden
Amor ausnehme, der aus weißem Marmor und wirklich schön gearbeitet
ist. Wie mag sich ein solches Kabinetstück in dieses Haus verirrt
haben? Ich begriff es nicht eher, bis ich das Verzeichnis nachschlug, wo
ich die Auflösung fand: denn hier stand die Figur als ein heiliger
Engel, mit dem Beysatze eingetragen, daß er bey der ersten Besitzerin
des Hauses versetzt worden, und ihr für aufgelaufene Zinsen verfallen
sey. Man ist von Jugend auf an die Abweichungen der Künstler von dem
Sprachgebrauche bey dieser Art von Geschöpfen so gewöhnt, daß
ich überlaut lachen mußte, hier zum erstenmale einen so decidirten
männlichen Engel zu finden, als seit ihrer Entstehung noch keiner
gemodelt und gemalt worden. Wo muß die gute Frau ihre Augen gehabt
haben? Ich glaube, man brächte kein Mädchen mehr in die Kirche,
wenn sie mit solchen Figuren umgeben wäre, oder am Feste der Verkündigung
vor so einem Engel knieen sollte! Indeß, da Freund Amor in diesem
Hause dafür gilt, so mag er es, so lange Gott will! Woher mag nun
aber in aller Welt dieser conventionelle Verstoß der Künstler,
die uns diese Boten Gottes darstellen, wider die Analogie der Sprache wohl
herrühren? Es muß doch eine Ursache haben! aber wer weiß
sie mir anzugeben? Ich vertiefte mich umsonst in dieser artistischen Untersuchung,
und selbst weit länger, als es mir gut war; denn ich kann fast über
nichts mehr kaltblütig nachdenken.
Die Büchersammlung, vor der ich mich Anfangs
am meisten fürchtete, wird mir hoffentlich kein Kopfweh verursachen.
Sie besteht, so viel ich nach einem flüchtigen Blick entdeckt habe,
in nichts, als in theologisch=moralischen, dialektischen und casuistischen
Abhandlung[en] und anderen dergleichen Meisterstücken des vorigen
Jahrhunderts.
Sebastian wohnt eine Treppe höher, steht
aber durch einen Schellenzug in gehöriger Verbindung mit seinem Herrn.
Ich dächte für meine stillen Absichten
hätte der Zufall mir keine bequemere Wohnung verschaffen können.
Scheint die Sonne die vier Wochen hindurch, die ich etwann hier zubringen
werde, mir immer so freundlich wie heute; so wüßte ich in der
That nicht was meinen einfachen Gang nach Gesundheit und Seelenruhe stören
sollte? Mein Aufenthalt in Avignon wird sonach, lieber Eduard, wie das
immer der Fall bey den wahrhaft glücklichen Epochen unsres Lebens
ist, einen ganz kleinen Raum in meiner Geschichte einnehmen. Wenn ich dir
nicht täglich aufs neue erzählen will, wie ich nach einem gesunden
Schlaf, einer mäßigen Mahlzeit, müde von meinem einsamen
Spaziergange, nach Hause komme, um den folgenden Tag denselben Zirkel zu
wiederholen; so begreife ich wahlich nicht, wovon ich dich unterhalten
soll. Bei einem Leser, wie du mir bist, Eduard, sollte mir das zwar nicht
schaden. Du dürftest mich nur desto gesunder, klüger, zufriedener,
und desto näher am Ziele meiner Reise denken, je mehr mein Tagebuch
an Interesse abnimmt; aber bey aller deiner Theilnahme, mein guter Freund,
fürchte ich, wird es dir dennoch um nichts merkwürdiger vorkommen.
Schreiber und Leser stehen gar zu leicht in Ansehung ihrer Empfindung im
umgekehrten Verhältnisse zu einander. Was dem ersten behagt, ist leicht
dem zweyten zuwider. Ihr wollt immer nur euren Robinson mit Wetter und
Wellen im Streite sehen Je trauriger und gefahrvoller seine Lage wird,
desto anziehender kömmt sie euch vor. Wehe ihm aber, wenn er nun Land
gewonnen hat, und sich einfallen läßt, euch nun auch seine Ruhe
nach vollbrachter Arbeit, und seine häusliche Glückseligkeit
zu schildern wenn er endlich seine Amada heirathet, und von den großen
Anlagen seiner Kleinen euch vorplaudern will: dazu habt ihr keine Ohren
ihr fangt an zu gähnen, und schlagt die langweiligen Blätter
ohne Barmherzigkeit um. Da bin ich nun zum Beyspiele diesen Nachmittag
wieder auf meinem Sonnenplatze gewesen, um meinen Spinat recht gemächlich
zu verdauen. Habe den Himmel ohne Wolken, und die Sonne sich so rosenroth
zu ihrem Untergange neigen sehen, daß ich mir morgen einen gleich
heitern Tag versprechen darf, als der heutige war. Das ist nun für
mich freylich sehr wichtig; aber eben so gut fühle ich, daß,
wenn du nun diese Merkwürdigkeiten ein paar Dutzend Male hinter einander
wirst gelesen haben, deine Ungeduld wohl gereitzt werden dürfte, mir
Hagel und Frost auf den Hals zu wünschen; geschähe es auch nur
aus Liebe zur Veränderung.
Nach dieser vorläufigen Erklärung
eines schachmatten Schriftstellers, bleibt mir für heute nichts Klügeres
zu thun übrig, als daß ich mein Bette suche, um die Stunde Schlaf
zu ersetzen, die ich mir diesen Morgen abbrach. Du siehst, lieber Freund,
wie ich anfange alles in Ordnung zu halten.
* * *
Da stößt mir doch noch etwas so
Drolliges auf, daß ich nicht umhin kann, die Feder wieder aufzunehmen,
und es dir als eine Seltenheit des hiesigen Landes zu erzählen. Indem
ich mich auskleide, singt meine veraltete Nachbarin einen Psalm ab, der
mir warm an das Herz geht; so volltönend so einschmeichelnd singt
sie ihn! Wie hätte ich ihr dieß Talent zutrauen sollen? Eine
solche Stimme in dem Munde einer Margot? bey allen Heiligen! die Scheidewand
sollte uns nicht lange scheiden. Indeß wirst du selbst gestehen,
daß es schon angenehmer ist, unter dem Gesang eines alten Weibes,
als unter ihrem hektischen Husten einzuschlafen, wie es leider! manchem
armen Sklaven von Manne geht, der sich von seiner Gebieterin nicht wegbetten
darf.
* * *
Den zweyten Januar.
Wenn die Eigenthümer dieses Hauses
in ihren Besitzungen so gut geschlafen, als ihr Miethmann diese Nacht geruht
hat, so wollte ich zum Wohl der Menschen, daß sie deren recht viel
hätten so wollte ich manchem Großen der Erde, dem seine Sorgen,
sein Gewissen, oder was es sonst ist, keinen Schlaf verstatten, wohl rathen,
sich in dieß Hospital einzukaufen: ich glaube, und wäre es ein
Sünder wider alle zehn Gebote er würde doch hier das Glück
finden, das ihm abgeht; so eine Kraft der Ruhe scheint an diesem Hause
zu kleben. Auch bin ich so gestärkt an Leib und Seele erwacht, daß
ich, um mein Feuer zu vertheilen, einen neuen Lobgesang auf den freundschaftlichen
Zufall dichten möchte, der mir diese heitere Wohnung verrieth,
die alles gewährt, was dem Aufenthalte eines Philosophen angemessen
seyn kann: Reinlichkeit, Stille, und jenen einfachen Schmuck, der aller
sybaritischen Weichlichkeit, allen Lockungen der Leidenschaften eben so
entgegen arbeitet, als er mit dem Gefühle der unschuldigen Natur und
der Sittlichkeit in naher Verbindung steht.
Wie versah´s die Frömmigkeit,
Daß sie diese stille Klause
In dem Gott geschenkten Hause
Der Philosophie geweiht?
Und ob sie zum Hospitale
Manchen Weisen schon verwies,
Ihn doch hier zum erstenmale
Freundlich bey ihr wohnen hieß?
Wem´s behaget, sich zum Jünger
Eines Plato zu kasteyn,
Könnte dem ein Sittenzwinger
Wohl bequemer seyn?
Was vielleicht zur Ritterzeit
Reitzung und Betrug entfaltet,
Predigt mir jetzt mißgestaltet
Nur den Trost der Sicherheit:
Von ihr an, die Gottes Wunder
Mir zur Ehrenwache gab,
Bis zu dem gelehrten Plunder
Ihres Büchersschranks herab,
Was, die Sinne zu berücken,
Sich die Phatansie erträumt,
Hat dem geistigen Entzücken
Hier das Feld geräumt.
Trümmer nächtlichen Gelags,
China´s nackte Schildereyen
An der bunten Wand, entweihen
Nicht die Lauterkeit des Tags.
Statt des Götzen nach der Mode, *)
Ueberdeckt Minervens Schild,
An dem Standort der Pagode,
Des erhabnen Rousseau Bild.
Meinem und Emilens Lehrer
Unter´m ersten Auge, liegt
Fest in Schlaf der Friedensstörer
Juliens gewiegt.
Auf mein Polster hingestreckt,
Allem Weltgeräusch verborgen,
Siehe! wie zum frohsten Morgen
Mich der Strahl der Sonne weckt!
Wie sie den bescheidnen Wänden
Ihren Glanz entgegenstrahlt,
Freundlich, ohne mich zu blenden,
Meinen Bogen übermalt!
Möchten, ihrem sanften Schimmer
Aehnlich, ungefärbt und rein
Auch die Ohrenbeichten immer
Deines Freundes seyn!
Gott! welch ein Entzücken nimmt
Jetzt den Weg zu meiner Seele!
Welcher Seraph hat die Kehle
Jener Heiligen gestimmt,
Die auf Pergolesens Flügel
Ihren frommen Geist erhebt,
Immer näher zu dem Hügel
Der Verklärten überschwebt,
Zu der Glorie des Psalters
Assaphs ihre Stimme mischt,
Alle Spuren ihres Alters
Von der Stirn gewischt?
_______________
*) Voltaire.
_______________
* * *
Ich war so in Andacht versunken, daß es mir höchst
zuwider war, als Bastian, der mir eben mein irdisches Frühstück
brachte, mich in diesem Feste der Empfindung störte.Wie hätte
ich ihm ansehen können, daß er solches noch erhöhen, ja
selbst meinen leiblichen Augen das Wunder der Verklärung versinnlichen
sollte, worüber er meinen Geist brütend antraf? Ich hatte ihm
kaum aufmerksam auf das erstaunliche Talent unserer Wirthin gemacht, so
schlug er seine Hände zusammen, als ob er meine wenige Kenntniß
in der Musik bemitleiden wollte. O, mein bester Herr, rief er aus, wie
konnten Sie nur einen Augenblick denken, daß der zahnlose, häßliche
Rachen unserer Aufseherin diesen Nachtigallenton hervorzugurgeln geschickt
sey? Nein! mein lieber Herr: das alte Weib hat einen Engel bey sich, der
ihr vorsingt. Ich habe ihn hinter dem Fenster stehen sehen, und erschrak
so sehr über seinen Anblick, daß ich bald Ihren Koffee verschüttet
hätte, den ich über die Straße trug. Ohne daß ich
geradezu behaupten will, daß er vom Himmel gestiegen sey denn das
müßte in einer mittelmäßigen Stadt, wie Avignon,
schon mehreren Lärm machen so versichere ich Sie doch bey alle dem,
daß es selbst Ihnen so schwer werden sollte als mir, es nicht zu
glauben, wenn Ihnen diese himmlische Figur eben so unerwartet erschiene.
Dieses enthusiastische Lob eines Engels,
denn der unter dem Spiegel machte mich nicht irre dieses Lob sage ich
aus dem Munde eines Menschen, der eine Margot zur Schwester hat, mußte
nothwendig den Eindruck auf meine Seele machen, den du dir denken kannst.
Ich winkte ihm zu schweigen, bekümmerte mich um kein Frühstück,
setzte mich so nah als möglich an die Scheidewand, und ließ
nun meine nüchterne Seele auf dem Strome der Harmonie, wie eine Feder,
hin und her schaukeln. Ich glaubte in meinem Entzücken, alle die Schönheiten
zu hören, die mir zu sehen verwehrt waren die gewölbte Brust
den kleinen, mit Perlen besetzten Mund die liebevollen, schmachtenden
Augen ja, es kamen sogar Noten vor, bey denen ich auf die unverletzte
Tugend hätte schwören wollen, die mit der Kehle eines Mädchens,
wie du wissen wirst, in so sonderbarer Verbindung steht. Meine Einbildungskraft,
die, großer Gott! noch vor einer Viertelstunde so ruhig war, gerieth
in Aufruhr. Ich war heilfroh, als der erschütternde Psalm zu Ende
war, und ich nun den Empfindungen Luft machen konnte, die sich indeß
in meiner beklommenen Brust gehäuft hatten.
Woher um aller Barmherzigkeit willen, mag
diese reitzende Sängerin in dieß einsame Haus kommen? kehrte
ich mich gegen Bastian, der während des Gesanges sich mäuschenstill
in den Bogen des Fensters gelehnt hatte. Das antwortete er seufzend,
mag Gott, und jener kleine verschobene Kerl von Buchhändler wissen,
der uns gegen über wohnt. Der muß den Diskant so sehr lieben
als Sie, mein Herr. Sehen Sie nur, wie verloren er da steht! Blickt er
nicht nach dem Fenster des Engels, wie ein Salamander, der ein Colibri
belagert? Er, mein lieber Herr, möchte wohl am ersten Ihre Neugier
befriedigen können.
Wahrlich, rief ich aus, du bist ein kluger
Kerl, Bastian! Geschwind gieb mir die Schuhe und meinen Frack! Mit der
Frisur kann es anstehen, bis ich zurück komme. Und so trabte ich
denn bald darauf über die Gasse, ohne an die Warnung meines Jerom´s
eher zu denken, als bis ich mich schon inmitten unter der mir verbotensten
Waaren von allen befand.
Der Name des Mannes, der hier den gelehrten
Handlanger machte, stand über der Thüre seines Ladens mit goldenen
Buchstaben geschrieben, und verdiente es auch mehr als ein anderer. Ein
Streit der Großmuth mit Voltairen hatte mir ihn schon längst
rühmlichst bekannt gemacht. Es war, mit Einem Worte, wo nicht der
berühmte Herr Fez selbst, doch wenigstens sein Sohn, den ich hier,
von der Natur zwar ein wenig gemißhandelt, übrigens aber als
einen sehr gebildeten Mann kennen lernte. Du wirst dich erinnern, daß
ihm einst P. Nonotte eine Handschrift in Verlag gab, die schon durch ihren
Titel: Les Erreurs de Voltaire,
diesen wahrheitsliebenden Dichter auf das gröbste beleidigen mußte.
Aber Herr Fez ehe er sie zum Druck beförderte, schrieb höflich
an ihn, meldete ihm den Vorgang, und erbot sich, gegen einen Ersatz von
zwey tausend Livres, das anzügliche Werk zu unterdrücken. Doch
Voltaire, wie du ihn kennst, viel zu edel, jemanden in Schaden zu setzen,
widerrieth dem Buchhändler ernstlich sein großmüthiges
Opfer, rechnete in seiner Antwort den außerordentlichen Gewinn ihm
gutmüthig vor, den er gegen eine so geringe Summe auf´s Spiel
setzen würde, nahm das höfliche Erbieten nicht an, sondern bot
sogar nacher seinen ganzen Witz auf, dem so wackern Herrn Fez recht viele
Abnehmer zu werben. Diese Anekdote schon verschaffte ihm mein ganzes Zutrauen,
noch ehe es seine nähere Bekanntschaft that. Er nöthigte mich
mit einer Freundlichkeit in seinen Laden, die nur bey jenen abgeschliffenen
Menschen sich findet, die immer in guter Gesellschaft leben, und zog sogleich,
als ob er mich seinen Freunden vorstellen wollte, ein paar Vorhänge
zurück, die mir eine ganze Wand der glänzendsten Werke entdeckten.
Doch dießmal trug ich zu meinem Glücke ein Gegengift in mir,
das mich gegen alle Gefahren der Litteratur, gegen die Verführung
der Schreiber aller Zeiten und Völker, vollkommen fest machte.
Ich ließ sie stehn, wie jetzt, nach einer
matten,
Durch´s todte Meer der Bücherwelt
Gehaltnen Fahrt ihr Schutzgeist sie den Schatten
Der Unbegrabnen beygesellt
Der Größe nach, die sie errungen hatten,
In Reih´ und Gliedern aufgestellt.
Sie, die der Freude sich verweigert,
Als noch die Sonne sie beschien;
Um in Journalen ausgeschrien,
Einmal verkauft, zehnmal versteigert,
Gespenstern gleich herum zu ziehn.
Ich ließ sie stehn, die aufgeblähten Werke,
Geburten mancher kalten Nacht,
Sammt dem Gefolg in Kindertracht
Des Zwerggeschlechts, das ihre Riesenstärke
Mit flinker Hand in eine Nuß gebracht.
Vergebens luden mich an ihres Tempels Thoren
Minervens Schreyer ein! Ich schätzte den Gewinn,
Den sie verheißen, als verloren;
Und hatt´ ich noch für eine Muse Sinn,
So lag er mir, wenn ich nicht irrig bin,
Doch anderwärts als in den Ohren.
* * *
Ungeachtet dessen erwartete ich doch von der
Dienstfertigkeit eines Mannes, der in so aufgeklärter Gesellschaft,
einer Sängerin gegen über, wohnte, zu viel, um nicht in meiner
geringen Kenntniß der französischen Litteratur Mittel aufzusuchen,
mich seiner Freundschaft so viel als möglich zu versichern, ohne daß
ich doch selbst etwas mehr, als allenfalls ein paar verschleuderte Louisdor,
dabey wagte.
Wie gut kam mir nicht jetzt eine und die andere
langweilige Stunde zu Statten, die ich beym Durchlesen der Gazette
ecclésiastique des Journals von Trevoux, und anderer
dergleichen berühmter Zeitschriften, viel zu voreilig, wie ich nun
wohl sah, für verloren gehalten hatte! Ich strengte mein Gedächtniß
an, und forderte, zu dem freudigen Erstaunen des Herrn Fez, manche dort
angepriesene Schrift, nach der seit ihrem Daseyn wohl keinem vernünftigen
Menschen noch eingefallen seyn mochte zu fragen und versorgte mich zuletzt,
um mein Ansehn bey ihm ganz zu befestigen, mit einem Dutzend Exemplaren
des belobten Trauerspiels jenes glücklichen Dichters zu Nimes, für
mich und meine auswärtigen Freunde.
Der Mann ward zusehens freundlicher, je länger
und tiefer er unter dem seit Jahren angewachsenen Schutte nach diesen vergessenen
Kleinodien suchen mußte. Er konnte nicht aufhören, die so seltenen
Kenntnisse eines Ausländers in der französischen Litteratur
und meinen gebildeten Geschmack zu erheben; und ich dachte wahrlich, er
würde mich gar umarmen, als ich ihm beyläufig vertraute, daß
ich in der gelehrten Absicht reiste, nach und nach alle die fliegenden
Blätter zu sammeln, die, ihrer Leichtigkeit ungeachtet, so selten
bis über die Gränzen des Königreichs flögen.
Ich opfere sagte ich mit einer Treuherzigkeit,
die den Mann entzückte, den größten Theil meiner Zeit
den keuschen Musen, suche deshalb immer den berühmtesten Buchhändlern
in der Nähe zu wohnen, und habe auch hier, wie Sie sehen, die stillste
Wohnung bezogen, die in Ihrer Nachbarschaft zu finden war; die alte Dame,
deren Miethmann ich bin, wird mich sicher nicht in meinen Studien stören.
Das wohl nicht fiel mir Herr Fez ins Wort, wenn es nur nicht
ihre Nichte thut, die das alte Weib bey sich hat!
So? antwortete ich ganz gelassen, eine Nichte?
Ja, erwiederte er laut seufzend, eine gewisse
Clara. Gott gebe Ihnen Ruhe vor ihr! Mich jagt sie allemal von meinen Rechnungen
auf, so oft in die Kirche geläutet wird; denn zu keiner andern Zeit
ist sie mir sichtbar. Eine wahre Heilige! und dabey denken Sie, mein
Herr! erst funfzehn Jahr alt. Als Kind schon soll ihr ein Marienbild
lieber gewesen seyn, als alle andere Puppen. Schließen Sie nun, wie
groß erst jetzt ihre Andacht für die Gebenedeyte seyn mag, da
sie zu reifern Jahren gekommen! Sie soll, sagt man, alle ihre Gliedmaßen
der Mutter Gottes geweiht haben; und es ist zu glauben, wenn man sie gehn
sieht, so jungfräulich sind alle ihre Bewegungen. Wollten Sie nur
wenige Augenblicke verziehen, und Sich einstweilen in meinen Büchern
umsehen, so würden Sie Sich mit eigenen Augen überzeugen, wie
groß die Gefahr Ihrer Wohnung sey. Das Frühamt bey den Minimen
wird bald angehn, und da muß sie ganz nahe bey meinem Laden vorbey
da sollen Sie sehen, mein Herr! da sollen Sie erstaunen!
Inzwischen nun Herr Fez nach Maculatur suchte,
um diejenige einzuschlagen, die ich gekauft hatte, las ich, die Zeit hinzubringen,
die Aufschriften seiner Ballen, und zählte gähnend die Bände
der Encyklopädie. Die Minimen ließen uns nicht lange warten;
und kaum fingen ihre Glocken, bey dem Einklange meines ungeduldigen Herzens,
ihr Spiel an, so warf der Buchhändler geschwind seinen Plunder aus
der Hand, und: Kommen Sie mein Herr! hier! hie her! Lassen Sie jetzt
den Abbadie und den Bourdaloue stehen!" schrie er mir zu, und zog mich
mit Gewalt an die Thür seines Ladens. Und in demselben Augenblicke
erschien wie sich ein Frühlingstag an ein Seculum schließt
Clara, unter Voraustretung der Alten. Je näher sie meinen Augen
kam, je stiller und tiefgefühlter meine Bewunderung ward, desto schwatzhafter
und lärmender ward Herr Fez in der seinigen.
Welch ein Gang! flüsterte er mir einmal
über das andere in's Ohr: was das für ein Wuchs ist! und mit
welcher natürlichen Bescheidenheit sie einher tritt! O, über
das herrliche Madonnengesichtchen! So sanft und glänzend, wie ein
Didotischer Druck, und rein, wie in Kupfer gestochen. Ah! sehen Sie nur,
wie aller Augen auf ihre niedlichen Schritte geheftet sind, indeß
sie, nur in sich gekehrt, keinen Blick ausschickt, der nicht Andacht und
Ruhe der Seele verräth. Sie weiß es nicht sie hat es nie gewußt,
wie alt und wie reitzend sie ist.
Gern wiederholt mein Herz die Klagen ihres
bangen
Gefühls, zur Zeit als ihr die Blumenhülsen sprangen,
Ein Morgenlied, bey Gott! als ob sie fest geglaubt,
Es hätten in der Nacht Hyänen oder Schlangen
Den reinen Körper angeschnaubt
Doch waren´s Blüthen nur, die hier ein Schleifchen zwangen,
Dort einen leeren Raum verdrangen
Nur Priemeln, die vielleicht zum Theil nun abgestaubt,
Erstorben sind und heim gegangen.
Ach! rechnete sie nach, wie viel auf ihren Wangen
Andächteley uns Ernten schon geraubt!
Begriff sie nur einmal, welch neidisches Verlangen
Uns quält, wenn sie das Glück an ihrem Hals zu hangen
Nur einem Todtenbein erlaubt!
Sie ringt nur um ein Loos, das viele wohl errangen,
Die nicht so rein die Metten sangen,
Wünscht sich, mit Einem Wort, bald Strahlen um das Haupt:
Denn eher hofft sie nicht das nenn´ ich unbefangen
Von einem Pater angeschraubt,
In einem Klostergang zu prangen.
* * *
Das, mein Herr, fuhr Herr Fez fort, ist
ihre einzige Sorge; und es ist abscheulich, daß ihre alte Tante ihr
solche kindische Einfälle nicht ausredet, und keine gutherzige Seele
zu ihr läßt, die ihr den Verstand öffnen könnte. Aber
mein bester Herr, indem er sich nach mir kehrte, ohne darum vor eigener
allzu großer Bewegung die meinige zu bemerken, so schlecht ich sie
auch verbarg: Sie sagen ja kein Wort? Wie wünsche ich Ihnen Glück
zu der Ruhe Ihres Temperaments! Sie müssen es nothwendig in der Gelehrsamkeit
hoch bringen, da solch eine Erscheinung sie nicht einmal zerstreuen kann.
So gut wird es mir leider nicht! Die Stunden, die das liebe Mädchen
in der Kirche bleibt, sind auch für mich verloren ich kann an nichts
denken, als an den süßen Augenblick, wo sie wieder zurück
kommen wird; und dann sehne ich mich gleich wieder auf ihren nächsten
Kirchgang. In der Länge muß mein Handel darüber zu Grunde
gehn das sehe ich zum voraus: aber ich kann wahrlich ich kann mir nicht
helfen!
Ich hatte nicht das Herz, über den guten
Mann zu spotten, da mir für meinen eigenen Verstand nur zu bange war:
doch fänd ich auch keinen sonderlichen Beruf über den Text meiner
geheimen Empfindungen einen andem predigen zu hören als mich. Ich
bezahlte also dem Herrn Fez seine Maculatur, ließ sie nach meiner
Wohnung tragen, und zitterte so ängstlich hinder drein, als ob ich
sie auch lesen müßte. Ich übergab meinem Bastian
den ganzen Ankauf zu beliebigem Verbrauch, ohne daß es mir nur einfiel,
wie unmanierlich ich mich gegen Schriftsteller betrüge, denen ich
doch im Grunde Dienste verdanke, die mir der gesuchteste der geschätzteste
Autor nicht halb so gut würde erwiesen haben. Die schnelle, aufbrausende,
plaudernde Freundschaft des guten Fez, an der mir so viel gelegen war,
ist ihr Werk! Ihnen verdanke ich das belohnende Anschauen der liebenswürdigsten
Heiligen, und alle die unnennbaren frohen Empfindungen, die es mir zurück
ließ; und ich glaube, daß selbst der strenge Jerom sie bey
den kleinen Diensten für unschädlich erklären würde,
zu denen ich sie gegenwärtig noch aufhebe. So sehr, lieber Eduard,
kommt alles auf Zeit und Umstände an, und mein Freund, der Zufall,
kann uns in so unglaublich sonderbare Verhältnisse verwickeln, wo
uns Lünichs Reden großer Herren wichtiger als ein Plutarch
und Lucian, und Masius Schriften auf weichem Druckpapier brauchbarer werden
können, als der schönste Codex auf Pergament.
* * *
Da ich bey den Minimen keinen Bescheid wußte,
so blieb mir nichts übrig, als meinen Stuhl an das Fenster zu rücken,
und, während mir Bastian das Haar in Locken schlug, mit pochendem
Herzen die Zurückkunft der Psalmistin zu erwarten. Die letzte Stufe,
auf die ich sie vorhin in die Halle treten sah, zog jetzt meine Blicke,
wie auf einen Brennpunkt zusammen. Ich bot alle meine Geduld auf, mir beyzustehen,
und sah dennoch immer eine Secunde um die andere, fluchend, nach meiner
zu langsamen Uhr. Wird sie denn ewig in der Kirche bleiben? murmelte
ich, und ließ mir angst werden, die Minimen möchten sie wohl,
ohne sich an den Mangel ihres Nimbus zu kehren, schon jetzt mit der ausgezeichneten
Ehre überraschen, nach der das gute unbefangene Kind fast athemlos
hinstrebt. Aber in diesem Augenblicke erlebte ich die Freude daß
die Thüre der Halle sich öffnete, erst andere gestärkte
Seelen, dann die Alte, und zwey Schritte hinter derselben auch nun sie,
die Erwartete, in ihrem ganzen Engelsschmucke heraus trat.
War mir's doch, als ob sie mir geschenkt würde,
so bald ich sie nur außer dem Kloster sah! Ich zählte jeden
ihrer kleinen Schritte über die Gasse. Aber mit dem letzten, den sie
in das Haus setzte, trat auch ich aus meinem Zimmer, mit Hut und Stock,
um nicht das Ansehn zu haben, als ob es ihrer schönen Augen wegen
geschähe.
Wir begegneten einander auf der Mitte der Treppe Ehrerbietig stellte
ich mich seitwärts Die Alte erwiederte mir mit grämlichem Ernst
meinen Gruß, der ihr auch am wenigsten galt; und wie schielte ihr
gelbes Auge auf die bescheidene Verbeugung, die ich von ihrer Nichte erhielt,
als sie in dem Anstand einer Novice bey mir vorbey zog!
Nun erst kann ich sagen, Eduard, daß
ich sie gesehn habe; denn wohl zwey Secunden habe ich mit ihr auf Einer
Stufe gestanden. O! ich würde mich brüsten, wie ein Apelles,
wenn ich dir die ganze Lieblichkeit, alle die Grazien ihrer Nymphen=Gestalt,
alle die schönen Formen, die ich aus jedem Faltenschlag ihres Florkleides
mir abzog, so anschaulich darstellen könnte, daß du weiter nicht
nöthig hättest, mich über den Eindruck abzuhören, den
dieser vereinte Reichthum von Schönheit auf meine Sinnlichkeit machte.
Komm ich bitte dich dem Unvermögen meiner Sprache mit deiner schwelgenden
Einbildungskraft zu Hülfe! Hole dir aus den Werkstätten der Künstler
ein Bild der Liebe; modele so lange daran, bis du deine Vorstellung so
erhöht hast, daß du nicht ohne Widerwillen an ein andres sterbliches
Mädchen denken kannst, und schließe dann aus dem blumigen Irrgange,
den deine Wünsche einschlagen, auf das Hinstreben der meinigen.
Nun hole nicht aus Winklers Cabinette
Der Venus Busenbild von Cigniani´s Hand!
So göttlich schön es ist, so setzt es doch, ich wette,
Kein wahres Männerherz in Brand.
Ein Kopf des Boileau, des Racine,
Ist freylich uns genug. Was hier das Aug´ entbehrt,
Ob das auch einen Blick verdiene,
Ist keiner Untersuchung werth.
Sieht man nicht klar genug in jenes Satyrs Miene
Den Autor der Pücell´ erklärt?
Doch wer bleibt wohl, dem´s nicht gelüste,
Der Fülle der Natur, so weit die Kraft zu sehn
Die Augen spannet, nachzugehn?
Wer bleibt gelassen bey der Büste
Der winkenden Cythere stehn?
Sie winkt allein wohin? Und da fällt erst der Fehler
Des Künstlers dir auf´s Herz; sein Stückwerk unterbricht
Den wärmsten Trieb der Uebersicht.
Der Blöde, der es schuf, begriff den Werth der Thäler
In einem heißen Klima nicht!
* * *
Es ging mir schwer ein, die Treppe vollends
herab zu steigen, wie ich doch Schande halber wohl thun mußte: aber
was soll ich nun erst mit mir anfangen, als ich mich, der Richtung meiner
Wünsche ganz entgegen, auf der staubigen Gasse befand? Ideen von der
Art, wie sie jetzt auf mich losstürmten, verlangen beynahe eine gleiche
Abgezogenheit der Seele, als die Träume der Metaphysik: und da ich
mich doch nicht wohl auf einen Eckstein setzen, und, den Finger auf der
Nase, nach Clärchens Fenster hinstaunen konnte, wie ich unstreitig
am liebsten gethan hätte; so mußte ich mir wohl die erste beste
Zerstreuung gefallen lassen, die sich mir darbot. Ich erinnerte mich zum
Glücke eines Empfehlungsschreibens in meiner Brieftasche, das mir
der gute Bischof von Nimes, als ich ihn das letztemal sah, an einen hiesigen
Domherrn von seiner Bekanntschaft, Namens Ducliquet,
mitgab. Das brachte mich endlich vom Platze, und versetzte mich mit aller
der Fülle meiner weltlichen Schwärmereyen in das Studierzimmer
eines geistlichen Herrn.
Ich habe in meinem Leben angenehmere Bestellungen
gehabt, das kann ich dir sagen! Der Himmel weiß, in was für
einem Gedankenkram ich den ehrlichen Mann stören mochte; aber hätte
ich ihn auch in flagranti
überrascht, verlegener hätte er sich kaum betragen können.
Gleich nach dem ersten steifen Complimente, das unsere Bekanntschaft eröffnete,
sahen wir es gegenseitig uns an, daß Gott gewiß keinen zur
Unterhaltung des andern geschaffen hätte; und über der Sorge,
unsere erste Unterredung so geschickt einzuleiten, daß es zeitlebens
keiner weiter bedürfe konnten wir nicht dazu kommen, sie anzufangen.
Ihm glückte es indeß eher noch als mir, diese alberne Stille
zu unterbrechen. Das morgende Fest der heiligen Genovia löste ihm
die Zunge, und gab sogar zu einem Gespräche Anlaß, von dem ich
mir nie hätte träumen lassen, daß es am Ende noch so belehrend
für mich ausfallen würde. Er bürstete er ein parmal [sic!]
mir der flachen Hand seinen Aerme; dann that es ihm sehr leid, daß
er heute so ganz außer Stande sey, einem so lieben und gut empfohlenen
Fremden die geringste Höflichkeit zu erzeigen; und dann freute er
sich wieder, daß er hoffen könne, morgen alles desto reichlicher
wieder gut zu machen.
Das gab mir einen Stich in´s Herz. Du
weißt, lieber Eduard, daß ich nichts so sehr hasse, als ein
großes vorbereitetes Mittagsmahl, das ich nach der Wendung, die sein
Gespräch nahm, schon so gut als aufgetischt sah. Gewiß ist
morgen Markttag, sagte ich zu mir, und da wirst du wieder einmal zu Mittage
alles das ausgelegt finden, woran du dir des Morgens schon deinen Ekel
ersehen hast. Ich ging also geschwind dem guten Manne mit der Versicherung
entgegen, daß ich meine Gesundheit sehr schonen, und es ernstlich
verbitten müßte, sich meinetwegen in die geringsten Unkosten
zu stecken und berief mich auf den redenden Beweis meines blassen Gesichts.
Aber das half mir nichts. Nein, erhob er seine Stimme Sie dürfen
meine Einladung nicht ausschlagen. Ich will Sie morgen selbst, es macht
mir ein gar zu großes Vergnügen, bey guter Zeit zu dem prächtigen
Hochamte abholen, das der heiligen Genovia zu Ehren in der Domkirche gehalten
wird, und ich werde Ihnen, verlassen Sie Sich auf mich, einen guten Platz
verschaffen.
War mir´s doch jetzt auf einmal so leicht
um´s Herz, als ob ich das ängstliche Diner wirklich verdaut
hätte, das doch dem wackern Domherrn gar nicht in den Sinn gekommen
war mir zu geben. Es geschieht mir zuweilen, daß ich danke, und den
Hut anziehe, ehe ich gegrüßt werde, und es macht mich immer
heimlich zu lachen. Jetzt konnte ich meinem Manne schon ruhiger zuhören.
Wenn Sie mich, fuhr er fort, heute in meinem
Alltagsrocke überrascht haben, so sollen Sie mich morgen dafür
im Purpur sehen, den das hiesige Kapitel, wie Sie aus der Geschichte wissen
werden, mit den Cardinälen und Königen gemein hat.
Ist nicht sonst noch ein Spectakel hier?
fragte ich in der albernsten Zerstreuung, die aber dem guten Manne nicht
im mindesten auffiel. Nein, antwortete er, vor dem Feste der heiligen
drey Könige nicht, das in unserm Lande den sechsten dieses gefeyert
wird.
Auch in dem meinigen, antwortete ich gähnend,
Aber Hochwürdiger Herr, fragte ich weiter, weil es mir nicht länger
möglich war, das schlaffe Gespräch fortzusetzen, ohne wenigstens
meinem Ohre mit dem Klange jenes süßen Namens zu schmeicheln,
den mir die Liebe in das Herz geschrieben hatte, ist denn nicht auch ein
Hochamt für die heilige Clara gestiftet, die, nach meinem Gefühle,
so viel Anbetung verdient als vielleicht keine andere?
Da haben Sie Recht, mein Herr, fiel mir der
Domherr mit einer Hitze in´s Wort, die mich beynahe erschreckt hätte:
Ihr Fest fällt auf den achtzehnten August, und wird, wie billig,
unter unsere vornehmsten gerechnet. Clara von Falkenstein jetzt merkte
ich erst, wie schief er mir wieder antwortete hat in einer Reliquie
der christlichen Kirche eine Erbschaft hinterlassen, die der höchsten
Verehrung werth ist Kleinodien von dem wunderbarsten Gehalt, und durch
die uns Gott selbst das Geheimniß der heiligen Dreifaltigkeit versinnlichet
hat.
Diese Nachricht überraschte mich so, daß
ich dem Manne, der sie mir gab, mit einer Art von Mißtrauen in das
Gesicht blickte. Da ich aber nicht die entfernteste Spur von Zerrüttung
des Gehirns darin wahrnahm, so erkundigte ich mich, mit zunehmender Verwunderung,
nach der eigentlichen Beschaffenheit dieses schweren Beweises. Sogleich
langte er ohne die mindeste Verlegenheit nach einem beschmutzten Quartanten,
schlug die Beweisstelle auf, und las sie mit pathetischer Stimme vor:
In der S.
V. Blase der heiligen Clara de
monte flacone, las er, fand man drei runde Steine von der
Größe einer Nuß, von gleichem Umfange, gleicher Farbe
und gleichem Gewichte. Wenn man einen dieser Steine auf die eine Wagschale,
und auf die andere die zwey übrigen legte, so hat der Eine so viel
als beyde gewogen; hat man dann in jede Schale nur einen gelegt, so haben
sie abermals gleiches Gewicht gehabt; daraus denn klärlich abzunehmen,
wie tief bey ihr das Geheimniß der heiligen Dreyfaltigkeit eingedrückt
war, welche einig im Wesen, dreyfaltig in Personen, und deren keine weder
größer, noch älter, noch mächtiger ist, als die andere.
Ich ward, als ich ihm zuhörte, beynahe
so ernsthaft als er. Um Vergebung, fragte ich ihn jetzt, hat denn dieser
Autor, der so bestimmt spricht, auch diejenige Glaubwürdigkeit, die
= = =
Wie, mein Herr? fiel er mir hitzig ein, und
schlug das Titelblatt auf: Es ist ja, sehen Sie, die verbesserte Legende
Pater Martin´s von Cochim, vor zehn Jahren, ungefähr 1779 gedruckt!
Dieses vortreffliche Buch trägt den Stempel der Wahrheit wie die Bibel;
denn, sehen Sie, hier steht auch die Censur, und die Approbation der Sorbonne.
Der Domherr freute sich wie ein Kind über
mein sichtbares Erstaunen. Um es zu erhöhen, war er im Begriff, mir
noch ältere Schriftsteller vorzulegen, die dieses Wunders Erwähnung
thun, und es als Augenzeigen [sic!] bestätigen. Ich verbat es jedoch,
nahm mir nur noch so viel Zeit, die Blattseite dieser merkwürdigen
Stelle in meiner Schreibtafel aufzuzeichnen, um bey Gelegenheit unsern
Kant damit in die Enge zu treiben. Das Buch selbst findet sich ja wohl
in der königlichen Bibliothek, oder doch gewiß bey einem unserer
Consistorialen; und da ohnehin über dieses belehrende Gespräch
der Mittag unvermerkt herbey gerückt war, so begnügte ich mich
um so viel eher mit dieser Seelenspeise aus der Vorrathskammer des Domherrn,
und empfahl mich.
Dieser für meine Kenntnisse zwar nicht
gleichgültige für mein Herz aber desto ermüdendere Besuch
war indeß nur eine Kleinigkeit gegen den Verdruß, der meiner
zu Hause wartete. Schon zehn höllische Stunden würge ich daran,
und sehe mich jetzt um alle die metaphysischen Freuden gebracht, die ich
mir für diesen Abend aufhob.
Höre nun, lieber Eduard! Ungefähr
hundert Schritte, sah ich, als ich das Haus des Domherrn verließ,
einen ungleich jüngern und stattlichern Geistlichen, als jener war,
vor mir hergehen, gab jedoch nicht eher Acht auf ihn, als bis er sich durch
den Umstand nur zu bemerklich machte, daß er ganz meinen Weg nahm,
sich zuweilen nach mir umsah, und gerade die genannten hundert Schritte
eher eintraf, als ich; denn als ich mein Zimmer erreichte, saß er
bey Clärchen schon fest.
Daß ein geistlicher Herr eine angehende
Heilige besucht, ist in der Ordnung: daß er aber vom Mittag an bis
in die sinkende Nacht bey ihr verweilt die Scheidewand nicht einmal das
fröhliche Geschwätz, das laute Lachen und die bedenkliche Stille,
die von Zeit zu Zeit nachfolgt, von meinem lauschenden Ohre abhalten kann,
und daß ich jetzt ohne Psalm schlafen gehen muß, scheint mir
eine offenbare Verletzung der guten Sitten, ein verpönter Eingriff
in meine Rechte auf Ruhe und Hausfrieden zu seyn, die mir nach meinem Miethcontracte
gebühren. Kurz, es ist unverantwortlich!
* * *
Die Ungeduld über den lärmenden Geistlichen, auf dessen
Abzug aus meiner Nachbarschaft ich gestern Abends nicht länger warten
mochte, brachte mich auch noch die halbe Nacht um meinen ruhigen Schlaf.
Darüber verrückte sich meine ganze Lebensordnung. Ob sie diesen
Morgen gesungen hat, mag Gott wissen; denn ich erwachte weit später
als gewöhnlich, und hatte kaum meine Nachtmütze vom Kopfe geschleudert,
als mir auch schon der Domherr seinen gestern angekündigten Gegenbesuch
abstattete. Wäre ich nicht schon ziemlich mit ihm bekannt gewesen,
so würde es mich vermuthlich noch mehr, als es that, außer Fassung
gesetzt haben, einen Mann im Purpur bey meinem petit
Lever zu sehen; so aber hatte ich statt aller Entschuldigung
nur nöthig, den Contrast unsers Aufzuges recht hell in´s Licht
zu setzen, um seine Selbstzufriedenheit so lange zu beschäftigen,
bis ich angekleidet und zu seinem Befehle war.
Wir schlenderten nun zusammen in die Kirche.
Ich bekam einen sehr guten Platz: wenn nur das Stück besser gewesen
wäre, das man aufführte! Es ward mir eine freye Seitenloge, neben
der Hauptloge des Kapitels, angewiesen. Hier stand ich in mich gekehrt,
unter der beständigen Abwechselung heiliger Gebräuche, die mir
jedoch zu fremd waren, als daß sie auf meine Andacht wirken konnten.
Ueberhaupt war wohl von den mancherley Vorzügen, mit denen ich mich
in meinem Leben dann und wann beehrt sah, schwerlich einer so übel
auf meine Verhältnisse berechnet gewesen, als die Höflichkeit,
die mir der Domherr zu erzeigen glaubte. Mein Mißbehagen wuchs mit
jeder Minute, und war eben in dem Augenblicke auf´s höchste
gestiegen, als der dienende Geistliche am Hauptaltar das Venerabile in
die Höhe hob, und die ganze Versammlung mit einem Getöse zur
Erde niederfiel, das meine längst verlorne Aufmerksamkeit wieder herbey
zog. War ich nun gleich der Einzige, der ruhig in seiner ersten Stellung
blieb, so war ich es doch nicht auf lange. Die Pseudo=Cardinäle, denjenigen
nicht ausgenommen, der mich hierher verlockt hatte, winkten mir mit so
ernsten, mürrischen Blicken zu, daß ich, aus Furcht vor einer
Kirchenstrafe, geschwind ihrer Weisung folgte, und, indem ich meine Kniee
beugen wollte, aus Mangel an Uebung, mit beyden Füßen auf den
harten Marmor hingleitete. Ich hätte den Schmerz für etwas Verdienstliches
halten müssen, wie ein Bramine oder ein Büßender, wenn
diese Erschütterung eine nur leidlich wohlthätige Wirkung auf
mich hätte hervorbringen sollen: da ich keines von beyden war, folgte
ich meiner natürlichen Empfindung, rieb mir die Kniee, und fluchte
so lange heimlich über das Bittere und Lächerliche eines erzwungenen
Gottesdienstes, bis ich, da die Versammlung sich nach geendigter Ceremonie
wieder erhob, und nun Chor und Gemeinde ihren hoch tönenden Gesang
anstimmten, der Gelegenheit wahrnahm, meinem innern Verdrusse Luft zu machen.
Aus Andachtsspott, (das Wort ist neu,
So alt die Sach´ auch ist im päpstlichen Gebiete,)
Mischt´ ich in ihre Litaney
Ein Epigramm von unserm Luther bey,
Und sang: Uns fernerhin behüte
Vor Papsts Lehr´ und Abgötterey!
Das sang ich laut im päpstlichen Gebiete,
Nach wohlbekannter Melodey.
So verrichtete ich, im Angesicht des ganzen
Kapitels, und in seiner eigenen Kirche, meine Andacht nach Grundsätzen
meiner Religion, und ging nach diesem Simultaneo, und ohne dem Domherrn
für erwiesene Ehre zu danken, gerächt und fröhlichen Muthes
meinem Mittagsmahle entgegen.
Diese gute Laune nahm zu, so bald ich mich
wieder in Clärchens Nähe befand. Der Enthusiasmus für ihre
übermenschliche Tugend, mit dem mich mein Freund, der Buchhändler,
auf eine Weile angesteckt hatte, war zwar seit gestern Abend auf und davon:
er hatte mir aber seine Stätte noch immer warm genug zurück gelassen,
um eine andere Art von Gefühl, das, obgleich nicht so uneigennützig,
doch darum nicht minder angenehm war, leidlich genug zu beherbergen. Doch
war ich entschlossen, ihm nicht eher Raum zu geben, bis ich vorerst Herrn
Fez über einige Artikel verhört hätte, die das wahre Verhältniß
betrafen, worin ohngefähr der geistliche Herr mit der kleinen Heiligen
stehen möchte. Diese Vorkenntnisse schienen mir so unentbehrlich,
daß ich nach dem Essen keine Minute zauderte, sie mir zu verschaffen.
Die kleinen unschuldigen Mittel, die ich gestern
gebrauchte, dem schwatzhaften Manne Vertrauen zu mir einzuflößen,
thaten auch heute ihre Wirkung. Ich erfuhr auf die ungezwungenste Weise,
erst den Ladenpreis dieses oder jenes, in Vergessenheit gekommenen Dichters
und Prosaisten, und erfuhr, so bald mein Conto gemacht war, eben so genau
den wahren Zusammenhang des Besuchs, der mir so verdächtig schien.
Daß man doch, der vielen Erfahrungen
ungeachtet, sich durch den äußern Anschein noch immer so leicht
zu übereilten Urtheilen verleiten läßt! Es macht der menschlichen
Vernunft wirklich wenig Ehre. Herr Fez hob durch ein paar Worte, die mir
viele Unruhe würde erspart haben, wenn sie mir gestern zu Ohren gekommen
wären, alle die nachtheiligen Zweifel, die ich gegen die Sittsamkeit
meiner lieben Nachbarin gefaßt hatte. Die Sache verhält sich
so: Das Haus, wo wir wohnen, gehört, wie mehrere in der Stadt und
das wußte ich ja vorher dem Hospitale der Propstey. Nun ist der
junge Geistliche seit kurzem zum Propste erwählt worden, und besucht
sonach, in Gemäßheit seines Amtes, eins um das andere, um theils
die Miethzinsen einzucassieren, theils für Bau und Besserung der Gebäude
zu sorgen, und die Rechnungen abzunehmen, die dahin einschlagen. So mancherley
Geschäfte können ja wohl einen etwas pünktlichen Mann, der
nichts gern auf den andern Tag verschiebt, bis in die Nacht aufhalten;
und ich wüßte nicht, wie ich denken müßte, wenn ich
noch länger nachtheilig von seinen Cabinetsarbeiten urtheilen, oder
der kleinen Heiligen es aufmutzen wollte, daß sie, auch noch im Stande
sey, wenn es nöthig ist, die gute Gesellschafterin zu machen, und
durch Witz und Laune die trockenen Geschäfte ihres Vorgesetzten aufzuheitern.
Sie gewinnt vielmehr dadurch in meiner hohen Vorstellung von ihren Verdiensten;
und so wenig ich, wie du dich erinnern wirst, bey meinem vorgestrigen Einzuge,
und so lange ich nur die alte Tante gesehen hatte, die guten Absichten
den Zufalls mit meinem Individuum spitz kriegen konnte, so trefflich scheint
mir jetzt, seitdem ich auch die Nichte kenne, alles von ihm angelegt zu
seyn, damit mein Bestreben nach Weisheit und Gesundheit mich nicht in der
Länge durch zu viele Einförmigkeit ermüde und stumpf mache.
Das Mädchen ist ganz geschaffen, das Phlegma
eines überladenen Gehirns durch das flüchtige Salz ihres Umgangs
zu reitzen, aufzulösen, und vor einer gänzlichen Vertrocknung
zu bewahren. Müssen wir nicht immerfort arbeiten, lieber Eduard, den
Firniß, den wir kochen, flüssig zu erhalten, wenn er seine Dienste
leisten und Festigkeit und Glanz zugleich gewähren soll? Jetzt ist
mir auch nicht weiter für mein Tagebuch und für deine Unterhaltung
bange. Wir sind doch beyde in unsern Wanderungen noch an keine Heilige
gerathen. Dieß unbebaute Feld unserer Erfahrungen blieb uns noch
zu bestellen übrig; und ob ich mir gleich nicht schmeichle, bey Clärchen
den Beweis eines so großen Geheimnisses auszufinden, als der war,
den ihre berühmte Namensschwester den Gläubigen vererbt hat,
so hoffe ich doch, ohne bis auf ihre Section zu warten, manche andere feine
Entdeckung zu machen, die keinen geringern Reitz der Neuheit für uns
haben, und die Mühe reichlich belohnen soll, die ich mir von Stund´
an geben werde, der jungen Heiligen, sammt ihren Abweichungen von dem Gewöhnlichen,
so nahe als möglich zu kommen.
Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich von dem
geistlichen Herrn weiß, der Sie gestern so langen in ihren Studien
störte, fuhr Herr Fez fort indem er die Erreurs
de Voltaire und die Lettres
édifiantes für mich zusammen packte. Sollte
Ihnen aber gedient seyn, mehr noch von diesem Manne zu wissen, und überhaupt,
sollte Ihnen in unserer Stadt etwas aufstoßen, wovon sie gern gründlich
unterrichtet seyn möchten, so kann ich Ihnen einen Mann empfehlen,
der in dieser Rücksicht ungleich mehr Genüge leisten kann, als
ich und jeder andere. Es ist ein getaufter Jude, der Jahr aus Jahr ein
nur zwey Beschäftigungen hat, denen er aber auch desto pünktlicher
vorsteht. Die eine ist, das Grab der Laura zu bewachen, und es den Fremden
zu zeigen; die andere, in allen Dingen der Neugier ihnen Auskunft zu geben.
Vor seiner Bekehrung stand er eben so pünktlich an der Ecke des Stadthauses,
bot den Vorübergehenden Lotteriezettel an, und fragte sich heiser,
ob sie etwas zu verschachern hätten? Sein Bart schadete ihm in allen
seinen Unternehmungen. Jetzt hingegen, seit er ein Christ ist, ist es ein
Wunder, wie ihm alles gelingt! Sollten Sie es glauben? aber er ist gesuchter,
geschätzter und reicher als ich!
Das Grab der Laura? sagte ich. Da haben
Sie mir einen rechten Gefallen getan, lieber Herr Fez, daß Sie dieser
Merkwürdigkeit erwähnten: es hätte sonst leicht kommen können,
daß ich, zu meiner ewigen Schande in mein Vaterland zurück gegangen
wäre, ohne an dieß Wahrzeichen der Stadt, eher zu denken, als
bis mich meine Landsleute darum befragt hätten. Was hätte ich
ihnen antworten wollen? Jetzt habe ich einen Beruf mehr, meinen Spaziergang
dahin zu lenken, da Sie mir dort eine so nützliche Bekanntschaft versprechen.
Nächstens will ich auch eine Fahrt nach Vauclüse thun, um das
alte Schloß des guten Petrarchs zu besuchen = = = Mein Paket Bücher?
Legen Sie es nur einstweilen bey Seite! Mein Bedienter soll es abholen.
Ich schlenderte durch die Gassen, die Nase
immer nach der Thurmspitze gerichtet, die mir Herr Fez zum Merkmahl angab.
Es währte nicht lange, so sah ich die Kirche des Cordeliers frey vor
mir liegen, und auch den Convertiten, den ich suchte, wie einen Sphinx
an dem einen Pfeiler der Thüre gelehnt, auf den zufälligen Tribut
neugieriger Reisenden lauern. Schon von weitem zog ich meinen Hut, und
näherte mich ihm mit dem launigen Lächeln, mit dem ich immer
die Zeile im Voltaire las, die sich mir jetzt als die natürliche Anrede,
ungesucht darbot:
De cette église êtes vous Sacristain? *)
____________________
*) S. la Pucelle chant 14.
____________________
Ich wollte, du hättest den feinen Gesichtszug
gesehen, der jetzt in seine Physiognomie trat und mir mehr, als sein einsylbiges
Ja! bewies, wie gut er meine Frage verstanden habe.
Um uns beyde nicht unnöthig aufzuhalten,
schielte ich nur von fern nach dem einfachen Steine, dessen Lage er mir
zeigte, und sich nun anschickte, mich seine tägliche Predigt darüber
hören zu lassen. Ich ließ es nicht dazu kommen Es ist hinlänglich,
sagte ich, und wies mit zwey Laubthalern, die ich ihm in demselben Augenblick
in die Hand drückte, seine drohende Beredsamkeit glücklich von
mir. Dieß stiftete in der Geschwindigkeit eine gewisse Sympathie
unter uns, von der ich mir in der Folge manches Gute verspreche. Ihre
zuvorkommende Art, mein Herr, sagte er lächelnd, mit der Sie Sich
dieser heiligen Grabstätte nähern, läßt mich ungefähr
vermuthen, wie begierig sie seyn mögen, die Geschichte meiner Pflegbefohlnen
zu hören. Es ist schwer von ihr zu schweigen doch thue ich es, da
Sie mir es so eindringend befehlen.
Sie haben mich in der That errathen, antwortete
ich: aber, wie Schade, daß ein Mann von so feinem Tact nur die Asche
eines hübschen Weibes bewachen soll! Dieses Geschäfte, mein Herr,
ist doch so eingeschränkt, so traurig, und enthält so wenig Belohnendes
für einen denkenden Geist!
Im Ganzen, mein Herr, versetzte der Kirchner,
mögen Sie wohl Recht haben; doch sollten Sie, däucht mich, einen
Wächter an dem Grabe einer Laura davon ausnehmen. Nicht das
schöne Weib, das hier begraben liegt, und das, als sie noch ganz beysammen
war, neben ihrem Gemahle auch noch das Herz eines andern entflammte,
nicht diese gewöhnlichen Vorfälle machen ihre Gruft merkwürdig,
und veredeln die Sorge dessen, der sie bewacht sondern der reine Geist
ist es, der nach Jahrhunderten noch, gleich einem Phönix, über
ihrer Asche zu schweben scheint, der einem fühlenden Herzen dieses
sonst unbedeutende Aemtchen so werth macht; der Geist der Liebe ist es,
ihres unsterblichen Dichters.
Er sprach das unsterblich so pathetisch
aus, wie ein Professor. Ich verzog den Mund nur ein wenig, und dennoch
verstand mich der Schlaue, als ob er mir in das Herz geblickt hätte,
und antwortete mir nach meiner Miene: Wenn Sie, mein Herr, Laurens berühmten
Liebhaber nur als einen gesunden jungen Mann von gewöhnlichem Schlage
betrachten, so verdenke ich Ihnen nicht, daß Sie seiner Unsterblichkeit
ein wenig spotten. Ein solcher thut freylich für eine einzige schwelgende
Nacht bey seiner Geliebten, gern auf allen Plunder des Nachruhms Verzicht.
Aber Petrarch, mein Herr, calculirte ins Große. Seine weit sehende
Seele zog die Sättigung einer fortdauernden Gemeinde seinem luxuriösen
Hunger vor, und ohne selbst, wie ein Hochzeitsbitter, an dem Gastmahle
Platz zu nehmen, zu dem seine süßen Worte tausend andere einladen,
sparte er das Feuer der Liebe, statt es auf die gewöhnliche Art zu
verschnaufen, nur zum Stoffe seiner ewigen Gesänge. So gewiß
er auch war, daß sie bey Lauren für ihn ohne Wirkung blieben,
zählte er in dichterischem Enthusiasmus alle die Seufzer, die er nach
Jahrhunderte noch erregen, alle die Herzen, die er erwärmen und öffnen,
und alle die Schwierigkeiten, die er unter Liebenden vermitteln würde,
und tröstete sich auf seinem einsamen Lager, mit dem traulichen Geflüster,
das er auf tausend andern hervorzurufen gewiß war. Könnten Sie
ihn wegen dieses umfassenden Gefühls bedauern? O, gewißt nicht!
Denn welcher Großdenkende wird nicht gern sein einzelnes Leben daran
setzen, wenn er hoffen darf, dadurch ein allgemeines Wohlbehagen zu befördern,
auf unzählige Geschlechter Freude und Genuß zu verbreiten;
wenn er hoffen darf, daß eine Schaar empfindsamer Geschöpfe
sich das Verdienst seiner Leiden zurechnen, und den Lohn ernten werde,
dem er gutmüthig entsagte! Dieser stolze Gedanke, ist er nicht der
letzte Trost aller der heiligen Märtyrer gewesen, die zum Vortheile
des Ganzen freywillig ihr eigenes Glück opferten?
Bey diesen Worten sah mir der Redner scharf
in die Augen, und wäre ich nicht von seinem Uebertritte zum christlichen
Glauben, unterrichtet gewesen, wer weiß, ob ich nicht seine schöne
Tirade für eine strafbare Ironie aufgenommen hätte, auf die ich,
oder D. Leß hätte antworten müssen! So aber wußte
ich nicht, was ich davon denken sollte lüftete meinen Hut und seufzte,
und der Redner fuhr fort: Sie nannten vorhin meinen Wirkungskreis traurig
und eingeschränkt Wie leicht wollte ich Sie eines bessern überzeugen,
müßte ich nicht = = = und er hielt inne doch besann er sich
bald Habe ich nicht sagte er nach einer kleinen Pause, einen höflichen
Fremden, einen Mann von Ehre vor mir, der mein Zutrauen nicht mißbrauchen
wird? Das ist mir genug. Sie wissen, daß ich von der geistlichen
Obrigkeit, nach vorher gegangenem scharfen Examen, eingesetzt bin, dieses
Grab zu bewachen, und jedem der es verlangt, eine und eben dieselbe veraltete
Liebesgeschichte zu erklären. Ein armseliges Geschäfte dem ersten
Ansehn nach! Aber auch das armseligste kann, unter der Behandlung eines
thätigen und nachdenkenden Mannes, wichtig für seine Zeitgenossen,
wichtig sogar für die Nachwelt werden. Freylich würde ich, ohne
Kenntniß des menschlichen Herzens, in dem beschränkten Zirkel,
den man mir anwies, nicht weit gekommen seyn aber wo kommt man auch weit,
ohne sie? Ich begnügte mich nicht, meine aufhabenden beschwornen Pflichten
so schlechtweg zu erfüllen. Nein, mein Herr! ich besah sie, so bald
sie mir erst Brod geschafft hatten, auf allen Seiten, und studierte sie
aufmerksam, in der Absicht, um sie mit der Zeit zu veredeln. Ich erlangte
bald eine gewisse Fertigkeit in meinem Vortrage, den keiner meiner Vorgänger
in dieser Vollkommenheit besessen hat, sogar daß ich die hundert
und acht Sonnette, die Petrarch seiner Geliebten sang, mit aller der Zärtlichkeit
wiedergeben kann, die er hinein legte. Dieses Talent, mein Herr, so wenig
es auch gemein ist, würde jedoch nur ein vorübergehendes Vergnügen
gewähren, wenn ich es nicht zum Besten des gemeinen Wesens, das doch
immer der vorzüglichste Augenmerk jedes guten Bürgers seyn muß,
anzuwenden gelernt hätte. Die Asche der Laura ist, mit aller Ehrfurcht
für das, was sie sonst war doch jetzt nur ein Caput
mortuum. Ihr Grabmahl ist unscheinbar und unbedeutend, und
es wird darum um nichts ehrwürdiger, weil es einmal ein König
*) besuchte, es öffnen ließ, und seine schlechten Verse hinein
legte. Aber seit es unter meiner Aufsicht steht, ist es der feinste Probierstein
des Tugendgehalts meiner Mitbürgerinnen geworden.
____________________
*) Franz der Erste, König von Frankreich.
____________________
In der That, mein Herr, fiel ich ihm lächeln
ein, es ist das kein kleines Verdienst um den Staat Aber in aller Welt,
durch was haben Sie diesem gemeinen Sandstein eine so magische Kraft zu
geben gewußt?
Wenn Sie mir zuhören wollen, ohne mich
weiter zu unterbrechen, versetzte er, so sollen Sie den ganzen Prozeß
von den Grundsätzen an, von denen ich ausging, bis zu den Resultaten
erfahren; die er mir täglich abwirft.
Weibliche Unschuld, wie man es im gemeinen
Leben so nennt, fuhr er fort, indem er dabey, vermuthlich aus alter Gewohnheit,
an sein spitziges Kinn griff, ist den Goldstücken gleich die unter
einerley Stempel im Umlaufe sind: eins glänzt so gut als das andere,
und trägt im Commerz den Werth, den ihm der Wechselcours und der gute
Glaube beylegt. O, über die Juden! dachte ich Aber wie rein,
wie frey von fremden Zusatze jedes seyn mag, kann doch selbst der Scheidekünstler
nicht eher wissen, als bis er es auf die Capelle gebracht hat. Nun kann
ich aber, kraft meines Amtes, jedem, dem hiebey um besondere Sicherheit
zu thun ist, diesen um deswillen mißlichen Prozeß, weil er
meistentheils eine gewisse Destruction voraussetzt, Rundung und Prägerlohn
immer darbey verloren geht, um vieles erleichtern. Und wäre einer
noch so mißtrauisch; ohne Bedenken kann er doch nach dem pretiösen
Stücke greifen, das er im Auge hat, ohne zu befürchten, das es
in seinem Umlaufe aufgesotten, beschnitten, oder vermischt ist, so bald
ich ihm dafür Gewähr leiste.
Der bessern Deutlichkeit wegen, unterbrach
ich hier den seltenen Währmann, wünschte ich wohl, daß
Sie die Vergleichungen bey Seite setzten, und mit mir ohne Allegorie sprechen
wollten.
Ohne Allegorie? wiederholte er. Das, mein
Herr ist bey dem Thema, das ich abhandle, wirklich nicht so leicht, als
Sie wohl denken. Doch ich will mein Möglichstes thun! Ich stand nicht
lange auf meinem Posten, als ich schon wahrnahm, daß kein weibliches
Herz (da falle ich doch wieder in die Allegorie aber ich kann mir nicht
helfen) zu fühlen anfing, das nicht den Antritt seiner Wallfahrten
bey dem heiligen Grabe der Laura eröffnet hätte. Durch wiederholte
Erfahrungen brachte ich meine Bemerkungen zur Gewißheit und endlich
in ein förmliches System. Wenn ich jetzt ein neues Gesichtchen von
vierzehn, funfzehn Jahren in mein Heiligthum treten sehe, so weiß
ich ziemlich genau anzugeben, was für dunkle Träume ihm die Nacht
vorher vorgeschwebt haben. Die armen Unbefangenen! Sie gehorchen auf die
Geschichte der selig Verstorbenen mit einem Nachdenken, das wirklich recht
rührend ist. Mit welchem Heißhunger eignen sie sich nicht die
harmonischen Weissagungen und Aufforderungen zu, die ich ihnen, nach Befinden
ihrer Bedürfnisse, aus dem Magazine meines Petrarchs zu Gute gebe!
Jede glaubt ihre Empfindungen flott werden zu sehen, und die geheime Geschichte
ihres Gefühls zu hören. So lange nun, meine Herr, dieses Spiel
ihrer Einbildungskraft dauert, so lange die junge Schöne ihren Besuch
bey Lauren und mir fortsetzt, und der Herzensergießungen des ehrlichen
Petrarchs an seine Geliebte nicht satt werden kann, stehe ich auch mit
Leib und Seele für ihre Unschuld. Aber, aber, mein Herr, wenn ihre
Morgenbesuche anfangen seltener zu werden wenn sie gar aufhören
alsdann, setzte der schlaue Kirchner leiser hinzu, weiß ich auch
eben so gewiß, was die Glocke geschlagen hat. Sie begreifen nun doch,
wie einzig in ihrer Art eine solche Kenntniß ist, und wie wohl die
jungen Herren thun, die zum Ehe=Sacramente schreiten wollen, daß,
ehe sie sich mit ihrer Angelegenheit an den Bischof wenden, sie zuvor ein
geheimes Gutachten bey dem Kirchner einholen? Vielleicht ist bey keinem
andern öffentlichen Amte das Nützliche mit dem Angenehmen so
fest verbunden, als bey dem meinigen. Da es mich nöthiget, wie eine
Bildsäule, auf Einem Flecke stehen zu bleiben da jedermann gewiß
ist, daß ich ihm Stand halten muß; so müssen schon deswegen
eine Menge Geschäfte an mich gelangen, die keinen Aufschub vertragen;
und das sind unstreitig immer die interessantesten. So bin ich nach und
nach, ohne Bemühung auf meiner Seite, von den geheimsten Anliegen
der hiesigen Einwohner unterrichtet worden wirke jetzt auf den Sohn,
wie ich auf den Vater auf die Tochter, wie ich auf die Mutter gewirkt
habe sehe mich, wie die Orakel der Alten, in den Stand gesetzt, das allgemeine
Zutrauen der Familien zum Vortheile ihrer einzelnen Glieder zu nutzen
wie ein heimliches Gericht, hier zu belohnen, dort zu bestrafen, manchen
traulichen Wunsch des einen mit der Erwartung des andern auszugleichen,
und sonach, ganz in der Stille, wie es einem Weisen geziemt, auf Welt und
Nachwelt zu wirken. Aber, mein werthester Herr, was ist Ihnen? Sie stehen
ja in gar tiefen Gedanken!
Halten Sie mir meine Zerstreuung zu Gute,
lieber Herr Kirchner, versetzte ich: aber eben ging mir eine sehr neugierige
und zudringliche Frage durch den Kopf, die ich = = =
Nicht das Herz haben mir vorzulegen? faßte
er selbst höflich meinen Gedanken auf. O, machen Sie mit mir keine
Umstände! Ich bin an allerley Fragen gewöhnt, und selten verlegen,
darauf zu antworten.
Nun so sagen Sie mir aufrichtig, fuhrt ich
fort, setzt denn wohl die schöne Clara, die dort oben in der Stiftsgasse
bey einer alten Tante wohnt, ihre jugendlichen Wallfahrten bey diesem heiligen
Grabe fort, oder ist sie auch schon über Ihre Petrarchischen Vorbereitungen
hinaus, mit denen Sie der hiesigen Jugend zu Hülfe kommen?
Welch eine Verbindung von Ideen! rufte der
Kirchner mit sichtbarer Verwunderung. Wie in aller Welt kommen Sie doch
von meiner Mädchenprobe auf das zerknirschte Herz dieser Heiligen?
Das geht doch sehr natürlich zu, antwortete
ich. Schon drey Tage wohne ich neben ihrer Kammer, höre sie täglich
einen oder ein paar Psalmen mit einer Engelsstimme singen, kann keinen
Blick auf sie werfen, wenn sie in die Messe geht, ohne durch und durch
erschüttert zu werden, und = = =
Und so wird es freylich begreiflich, half
mir der gute Kirchner wieder ein, warum Sie einen so warmen Antheil an
ihren Wallfahrten nehmen. In ganz Avignon hätten Sie für Ihre
Ruhe Sich in keine gefährlichere Nachbarschaft einmiethen können;
so viel kann ich Ihnen anvertrauen.
Und meine Frage? rief ich mit Ungeduld =
= =
Ist sehr verfänglich, fiel er mir in
die Rede: Aber Sie verdienen, hier rasselte er mit meinen zwey Laubthalern
daß ich sie ohne Zurückhaltung beantworte. Es mögen
ungefähr zwey Jahre her seyn, als sie mir, mit den schüchternen
und verschämten Blicken eines dreyzehnjährigen Mädchens,
zum erstenmale unter die Augen trat. So lange ich meinem Amte vorstehe,
sah ich noch auf keinem Gesichte den Uebergang der ruhigen Einfalt in die
glückliche Zeit der Erwartung sanfter bezeichnet, sah das letzte Verathmen
der Kindheit nie in einer sittsameren Bewegung Ich hätte der jungen
Brust helfen mögen, sich auszudehnen! Ich that, was ich konnte, und
wurde für die einschmeichelnde Erzählung meiner alten Geschichte
durch immer lebhaftere Blicke ihrer feurigen Augen nur zu sehr belohnt;
denn ich stotterte mehrmalen, was mir sonst nicht widerfährt, und
fühlte, daß ich noch roth werden konnte. Wie bedauerte sie nicht
den armen Petrarch, und was für Geschmack fand ihre harmonische Seele
nicht an seinen herrlichen Sonnetten! Sie hat sie so oft, unter klopfendem
Herzen und mit feuchten Augen, angehört, daß ich nicht zweifle,
sie weiß sie nun so auswendig als ich. Seit einiger Zeit hat sie
sich jedoch ganz auf die sublime Seite der Andacht gewendet, auf der sie,
wie es scheint, einzig ihr Glück zu machen gedenkt: nicht, als ob
sie nicht dann und wann noch die heilige Grabstätte besuchte; nur
geschieht es seitdem nie anders, als unter Begleitung ihres zeitigen Gewissensraths,
deren sie drey einen nach dem andern versteht sich vorher gehabt hat,
ehe das Glück ihr unsern Herrn Probst zuführte, der seine meiste
Zeit auf die Seelsorge dieses ausgezeichneten Mädchens zu wenden
und mit dem auch sie vollkommen zufrieden zu seyn scheint.
Das Blut stieg mir ins Gesicht Kennen Sie,
fragte ich stotternd, diesen Mann genau?
Ob ich ihn kenne? fiel mir der Kirchner so
hitzig ein, als ob ihn meine Frage verdrösse. Ein Steinfremder, dächte
ich, dürfte ihn nur einmal über die Straße gehen sehen,
um ihn ganz zu kennen. Die Männer grüssen ihn demüthig wie
einen Apostel, die flüchtigsten Mädchen sogar bleiben stehen,
wenn er vorüber geht, heben die Augen gen Himmel, und drücken
seine segnende Hand gegen ihren schwellenden Busen. Seitdem dieser brave
Herr das Amt der Schlüssel trägt, so hat er = = =
Ohne Unterbrechung, lieber Herr Kirchner,
fiel ich dem enthusiastischen Lobredner ein, was für ein Amt bezeichnen
Sie unter dieser sonderbaren Benennung?
Der gute Mann schien Mitleiden mit meiner Unwissenheit
zu tragen, die wirklich auch in allem, was zur Kirchenverfassung gehört,
über die Maßen seicht ist; und um mir die Sache recht anschaulich
zu machen, zählte er mir alle die Schlüssel an den Fingern her,
die der junge Mann, durch seine Beförderung zum Propst, in seine geistliche
Gewalt bekommen hatte. Er ist, sagte der Kirchnere mit anständigem
Ernst
Er löst die Bande der Natur,
Und schiebt ihr Riegel vor
Von der verborgenen Clausur,
Bis zu dem offnen Thor;
Hat seinen Gang, nach eigner Wahl,
Zu allen Schlössern frey,
Vom Kirchthurm, zu dem Speisesaal,
Bis zu der Kellerey.
Sie begreifen doch nun, fuhr der Kirchner
mit unveränderten Gesichtszügen fort, in welcher wahren Pastoral=Glückseligkeit,
dieser würdige Mann, auf die Zukunft des Herrn wartet? Ich kenne von
den vielen Freunden eines guten Hirten in der That nur Eine, die ihm noch
zur Zeit abgeht, ihm jedoch gewiß = = =
Hier hielt er auf einmal inne, als ob er Bedenken
fände, sich weiter heraus zu lassen, spannte aber dadurch, wie du
denken kannst, meine Neugier nur desto höher; und da seine Pause dießmal
länger anhielt, als ich an ihm gewohnt war, so ergriff ich traulich
seine Hand, und: Ich verstehe Sie nicht, theuerster Freund, sagte ich
so freundlich, als ich nur konnte. Bey all den Schlüsseln, die Ihrem
Propste zu Gebote stehen, was für eine Freude könnte ihm mangeln?
Nur die, fuhr der Kirchner durch meine Herablassung
gewonnen, jedoch mit gedämpfter Stimme fort, daß er kein verirrtes
Schaf zu seiner Herde zurück kehren sieht, weil, zu seynem Lobe sey
es gesagt, bey der guten Art, mit der er sie weidet, ihm noch keins verloren
ging.
Nach diesen geheimnisvollen Worten verfiel
der Mann aufs neue in eine so ministerielle Miene, als ob er mir nicht
geradezu sagen wolle, er habe nun, wie es ihm dünke, seine zwey Laubthaler
ehrlich und redlich verdient. Sie schreckte mich ab, weiter in ihn zu dringen;
und, so viel es mir auch kostete, schickte ich mich an, ihn zu verlassen.
Er begleitete mich stillschweigend bis an die
Thür; hier aber gab er mir noch einen kleinen Nachtrag zu dem Panegyrikus,
dessen ich schon lange satt hatte, mit auf den Weg. Hoffentlich, sagte
er, gehen Sie nun ganz überzeugt von den Verdiensten unsers würdigen
Propstes von mir! ja, ich schmeichle mir sogar, daß Sie mit dem guten
Entschlusse von mir gehen, die Summe seiner Freuden zu vermehren, wenn
Sie Gelegenheit finden. Unterdeß leben Sie wohl!
Eine schöne Zumuthung! murmelte ich
vor mich hin. Der Kerl ist der erste Rasende, den ich für seinen
Vorgesetzten betteln höre. Meine Laubthaler fingen an mich zu reuen.
Ich schlich wie belastet nach Hause. Das Bild des Propstes, von dem ich
hier eine viel vortheilhaftere Zeichnung erkauft hatte als ich erwartete,
sein ausgebreiteter guter Ruf, sein beneidungswerthes Amt, sein Wirkungskreis,
seine Thätigkeit, alles vereinigte sich, um mich zu demüthigen.
Ich warf mich höchst mißmüthig auf meinen Stuhl, saß
lange vertieft in schwermüthige Gedanken, und fühlte, wie drückend
die Verdienste anderer sind, wenn man keinen Muth hat, sie nachzuahmen.
Daß doch, rief ich mit Bitterkeit, mir ein Mann in die Nähe
kommen die Stille meines Museums und die hohen Gedanken, die mir über
der Seele schwebten verscheuchen mußte; der zu jedem geistlichen
Geschäfte wenn nicht etwann auch das Graben in den Pontinischen
Sümpfen darunter gehört, verdorben ist ein Mann, der sich im
Besitze aller menschlichen Freuden schaukelt, während daß ich
einen Stein nach dem andern einzeln zusammen lesen, um den Bau eines idealischen
Glücks aufzuführen und daß ach! ein Engel wie Clara,
sich von ihrer Höhe herab lassen muß, um ihn durch ihre Scherze,
ihr harmonisches Lachen, und durch ihr melodisches Organ in die Entzückungen
des Paradieses zu versetzen und das alles bloß deswegen, weil er
Propst ist!
Ach! der Neid, lieber Eduard, ist doch ein
dummes, häßliches Laster, mit Sophismen und Uebertreibungen
überladen, und aus Giften zusammen gesetzt, die wir, wie Rasende,
verschlucken, so gewiß wir auch sind, daß sie Grimmen in unsern
Eingeweiden erregen werden. Dieß Gefühl ward mir bald so unerträglich,
daß ich den schnellen Entschluß faßte, es abzuschütteln.
Das erste Hilfsmittel, nach dem ich griff,
war die Klingelschnur. Bastian, dachte ich, soll dir die überlästige
Einsamkeit verscheuchen, und deiner ärgerlichen Unterredung mit dir
selbst durch die Dazwischenkunft seines muntern Geschwätzes ein Ende
machen. Wie steht es, Freund, rief ich ihm entgegen, als er herein trat:
weißt du mir nichts von meinen Hausgenossen zu erzählen?
O! sehr viel, antwortete er mir mit einer
selbst gefälligen Miene: ich habe in Ihrer Abwesenheit das Glück
gehabt, sie beyde zu sprechen. Die Alte, mein Herr, hat einen Anschlag
auf Sie!
Auf mich? fuhr ich auf: das verzeihe ihr
Gott!
Ja, mein Herr, erwiederte Bastian: aber
er ist nicht böse gemeynt, und ich wünsche selbst = = = doch
lassen Sie Sich nur erst den ganzen Vorfall erzählen. Ist es Ihnen
nicht schon aufgefallen, wie ich Ihre Entfernung genützt, wie ich
Ihre Zimmer gekehrt, und Ihre Möbeln gesäubert habe? Nun war
ich eben daran, der Figur unterm Spiegel den Staub abzublasen, als die
Damen aus der Kirche zurück kamen, und mich in dieser Beschäftigung
auf dem Vorsaale antrafen. Die alte Tante trat zuerst zu mir. Nehme Er
Sich in Acht, mein Freund, sagte sie mir, daß Er ja über das
Putzen dem schlafenden Engel nicht schade! Und, mein guter Freund, sagte
die Nichte, die auch herzu trat: Sein Blasen wird Ihm wenig helfen der
Staub sitzt zu fest Warte Er! ich hole ihm etwas Baumwolle, damit wird
es eher gehen. Sie trippelte in ihr Zimmer, kam bald zurück; da
sie mich aber mit ihrer Tante im Gespräche sah, nahm sie mir die Figur
ab und es währte keine zehn Minuten, so ward der Engel, unter ihren
Händen wieder wie neu.
Wie? unterbrach ich den weitläuftigen
Burschen: Clärchen hat ihn mit eigenen Händen geputzt? Da muß
ich doch = = =
Ich sehe es nun zum voraus, Eduard, es wird
dir sehr geringfügig vorkommen, wenn ich dir jetzt erzähle, wie
ich bey diesen Worten aufsprang, und mich bedächtig und langsam über
den schlafenden Amor bog, um zu sehen, wie glänzend er aus Clärchens
Händen gekommen sey. Du hast aber Unrecht! Nichts ist dem Beobachter
geringfügig, wenn es darauf ankommt, Charaktere zu schildern. Die
unmerklichsten Züge, die der große Haufe übersieht, können
dem Seelenmaler von Bedeutung werden, und durch eine glückliche Uebertragung
auf die Leinewand seinem Gemälde vielleicht alle die Physiognomie
geben, die der gemeine Pinsler vergebens herum stören. Rubens hatte
ein lachendes Kind gemalt Er that einen einzigen Pinselstrich und siehe!
es weinte zum Erstaunen der Umstehenden.
Gesetzt also, daß mein Hinblick auf den
gereinigten Amor mir zu einer Bemerkung verholfen hätte, die der Aufbehaltung
werth sey, die es verdiente, einst ihren Platz in Clärchens Legende
zu finden; würdest du nicht gezwungen seyn, das Auge zu bewundern,
das nie vergebens auf seine Entdeckungen ausgeht dem Scharfsinne des
Mannes zu huldigen, der auch in Sonnenstäubchen Farben bemerkt, die
sich zu seinen psychologischen Schattirungen benutzen lassen; und würde
dir nicht die Sicherheit seiner Hand gefallen, die mit so kleinen Mitteln
die Wirkung eines Rubens hervorbrächte?
Hätte mir Bastian auch nicht gesagt, daß
Clärchen den Engel gesäubert hätte, es wäre doch für
mich entschieden gewesen, daß es nur eine jungfräuliche Hand
seyn könne, die es that. Sie hatte die Figur im Ganzen zwar funkelnd
und weiß wieder hergestellt, bis auf eine Kleinigkeit, die, da sie
unmöglich zu übersehen war, ihr also wohl so erstaunlich befremdend
gewesen seyn mußte, daß sie ihre Baumwolle darüber verlor.
Dieß, schloß ich weiter, würde ihr nicht geschehen seyn,
wenn sie mehr bewandert in der Mythologie, weniger fremd in der Naturgeschichte,
und nicht so schreckhaft wäre, wie ein kleines Kind, das bey allem
was ihm ungewohntes aufstößt, große Augen macht, und davon
läuft. Ich schloß ferner, und, wie ich glaube, sehr richtig,
daß, da sie die Figur so gar wenig kannte, sich wohl noch kein Miethmann
rühmen könne, daß ihn die schöne Nachbarin auf der
Stube besucht habe, in welcher der Engel schläft. Und ich schloß
endlich, daß, bey allen ihren Petrarchischen Vorbereitungen und ihrem
Umgange mit drey geistlichen Vätern, ihre Kenntnisse doch zum Erstaunen
beschränkt, und von einer so ruhigen Einfalt seyn müßten,
als sie wohl noch nie auch der strengste Richter von einer Heiligen verlangt
oder erwartet hat. Das alles, Freund, schloß ich aus dem Staube,
der, höchstens in der Länge eines Zolls, an dem schlafenden Engel
zurück blieb.
Ob man von dem Gesichtspunkte, den ich in´s
Auge gefaßt hatte, allemal ausgehen müsse, um über den
Werth oder Unwerth eines rätselhaften Mädchens zu urtheilen,
will ich nicht entscheiden: so viel ist aber gewiß, daß Clärchen
durch den Mangel ihrer Kenntnisse, und durch das augenscheinlich erste
Schrecken ihrer Hand, unendlich in meiner Vorstellung gewann. Auch die
einzelnen Züge, dich ich vorher schon von ihr aufgefaßt hatte,
wurden durch diesen noch hervortretender, und trugen das ihrige bey, mich
mit mir selbst über die Ehrfurcht zu vereinigen, die ich einer so
frisch erhaltenen Tugend schuldig bin. Ach! wenn es wahr ist, daß
es Heilige giebt und wie könnte ich jetzt daran zweifeln? so verdient
Clärchen wohl diesen Titel vor allen ihres Geschlechts: Sie, die schon
als Kind nur in den Kramläden der Klöster ihre Spielwerke suchte,
und immerfort, wie es die Figur zeigt, unbekannt mit denen blieb, die für
ihr Alter gehören; Sie, deren Stimme noch unverdorben blieb, ob sie
gleich so oft mit ihren Beichtvätern gewechselt hat, wie ich mit meinen
Spazier=Schuhen, das heißt, bis ich ein Paar gefunden habe, das mir
recht sitzt.
Was hat mir nicht alles Herr Fez von ihren
kleinen Speculationen erzählt, die mir nach und nach wieder beyfallen
werden! Eins nur davon: Ihr erster Vertrag mit der Maria ist er nicht
eben so fein ausgedacht, als er fromm ist? Ich frage dich selbst, Eduard,
welche Schöne würde bey dem Uebergange in die Zeit ihrer Rosen
so viele Besonnenheit behalten, als dieses unschuldige Kind? so daß
es sie alle, wie sie unter seiner Hand aufschießen, mit der minorennen
Angst, es möchte die ganze Stadt ihren Reichthum erfahren, und mit
der Sorge in Empfang nimmt, was es damit anfangen, und wer sie bewachen
solle? und bey der Unerfahrenheit, welche wohl dem Verwelken, welche der
Beraubung am nächsten sey? einzeln erst diese dann jene, und endlich
den ganzen Strauß der Mutter in den Schooß legt. Es liegt
ein System von Unschuld in diesen kindischen Begriffen, daß ich den
Kurzsichtigen bedauern würde, der keinen Zusammenhang darin fände.
Er muß nie ein unbefangenes Herz unter Augen gehabt nie eine Clara
gekannt, oder gar das Unglück haben, an keine weibliche Tugend zu
glauben.
Für eine solche Heldin ihres Geschlechts,
als ich dir jetzt gemalt habe, Eduard, könnte ich selbst meine Stimme
zu den Beyträgen ihres verarmten Vaterlandes geben, um ihre Seligsprechung
zu befördern; um so mehr, da eine so billige Steuer schwerlich öfter
als Einmal in einem Jahrhundert vorfallen dürfte. Und gegen dieß
herrliche Geschöpf konnte ich auf Augenblicke verblendet genug seyn
niedrige Absichten zu hegen?
Fahre nun fort, Bastian, rief ich aus einer
Art von Bedürfniß, eine andere Stimme zu hören als die
meinige; denn ich hatte mir nichts Höfliches zu sagen. Sie suchte
mich auszuforschen, fuhr der Erzähler fort Wer denn? unterbrach
ich ihn. Sie sind zerstreut, mein Herr, antwortete Bastian: Sie haben
verhört, oder vergessen, was ich Ihnen eben in diesem Augenblicke
erzählte. Die alte Tante war es, die mich über den Besuch ausforschen
wollte, den Ihnen diesen Morgen der Herr im Purpur abstattete. Diese vornehme
Bekanntschaft mochte in ihren einfältigen Augen wohl einen gewaltigen
Glanz auf Sie werfen, mein Herr. Ich wußte nun freylich selbst nicht
viel davon; aber was thut das? Man muß niemanden seine gute Meinung
von andern benehmen, am wenigsten ein treuer Bedienter, wenn es das Ansehn
seines Herrn betrifft: so muß man im gemeinen Leben denken, wie man
in der Religion thut. Auch suchte ich es so sehr aufzustutzen, als ich
konnte, und so erzählte ich am Ende mehr Rühmliches von Ihnen,
mein Herr, als mir selbst bekannt war. Was wollen Sie sagen, Madam? antwortete
ich: das ist nicht der erste Purpurmantel, den mein Herr vor seinem Bette
sieht. Von einem Erzbischof, von einem Prälaten an den andern empfohlen,
wird er von allen wie ein Freund vom Hause empfangen. Es ist ein Spaß
mit so einem Herrn auf Reisen zu seyn; denn wo wir nur hinkommen, fliegen
uns die vornehmsten Geistlichen wie die Spatzen ins Haus. Sollte nicht
etwann Sein guter Herr, muthmaßte dabey die Alte, gar die fromme
Absicht haben, zu unserer einzig selig=machenden Religion überzugehen?
Kann wohl seyn, erwiederte ich, und ich wünsche es von Herzen; denn
seine jetzige mag so gut seyn wie sie will, so sieht man doch wohl, wie
blaß und mager er dabey geworden ist. Das dünkt mich auch,
fiel mir her Mamsell Clara ins Wort: er dauert mich, wenn ich ihn ansehe.
Laßt es gut seyn, Kinder! war zuletzt der Ausspruch der Tante.
Ich müßte mich sehr irren, wenn es bey einem Manne, der solche
Anzeigen giebt, der so weit her kommt, um unsere Clerisey aufzusuchen,
der einen so verständigen Menschen von unserm Glauben, sagte die Tante,
in seinen Diensten hat, und der seine Wohnung bey uns nahm, es müßte
sonderbar zugehen, wenn es bey dem nicht zum Durchbruch kommen sollte.
Hier schwieg sie, und da ich an ihren Lippen und Zeichen sah, daß
sie ein Paternoster für Sie betete, so that ich ein Gleiches; auch
Clärchen setzte den Engel bey Seite, schlug ihre Augen in die Höhe,
und knötelte an ihrem Rosenkranze, und es war einige Minuten ganz
still auf dem Vorsaale.
Ist das der Anschlag, den die Alte auf mich
hat? fragte ich meinen Bastian lächelnd. Nun der mag noch hingehen
aber nur weiter!
Ach, mit welchem Seelenvergnügen, fuhr
er jetzt noch lebhafter fort, haben Tante und Nichte die Andacht nicht
heute Morgens bemerkt, mit der Sie, mein Herr, als ob Sie schon zum Kapitel
gehörten, dem heiligen Hochamte beywohnten!
Was sagst du? fuhr ich auf: Clärchen
war in der Kirche, und ich habe es nicht geahndet?
Und doch erwiederte Bastian, stand sie
gar nicht weit von Ihrer Loge. Als Hausgenosse, hatte ich mich neben sie
gestellt; aber Sie waren so vertieft in Ihrer eigenen Andacht, daß
Sie die unsere gar nicht gewahr wurden. Ich wünschte, Sie hätte
das liebe Kind beten gesehen! Sie erbaute den ganzen Zirkel, der um sie
her kniete, und ich bin versichert, es wurden ihr aus allen Ecken und Enden
mehr Blicke, mehr Seufzer zugeschickt, als der heiligen Genovia selbst.
Hohle mir eine Flasche oeil
de perdrix, Bastian! unterbrach ich hier den Schwätzer.
Thue dir auch selbst für deine heutig leibliche und geistliche Anstrengung
etwas zu gute. Hier hast du einen kleinen Thaler dazu: aber um meine
Bekehrung bekümmere dich weiter nun nicht! Hörst du?
Bastian machte eine erbärmliche Miene,
steckte sein Trinkgeld ein, und ging. Der gute Narr! Könnte ich in
seine Munterkeit, in seine fröhliche Laune, in seine blühende
Gesichtsfarbe und in seine Jugendkräfte so leicht übertreten
als in seine Religion! ! Von so einem Umtausch ließe sich schon
eher sprechen. Er kam bald wieder zurück, setzte mir den Wein stillschweigend
auf den Tisch, und entfernte sich mit einem so bedeutenden Blicke, als
wollte er mir sagen: Brauchen Sie nur dieses Mittel! es ist das wirksamste
zu Ihrer Bekehrung. Nun, das wollen wir sehen, dachte ich, zog den Pfropf
aus meiner Bouteille, und warf ihn wieder die Wand.
* * *
Abends Eilf Uhr.
Ich habe in meinem Tagebuche eine Lücke von sechs wichtigen
Stunden auszufüllen. Ich möchte sie auch nicht bis zu dem andern
Tage verschieben, selbst nicht wenn ich bis zu seinem Anbruche fortschreiben
sollte. Nur bitte ich dich, Eduard, gieb genauer Acht, als gewöhnlich;
denn ich bin im Begriffe, dir einen neuen Beweis von der ungleichen, schwankenden
und materiellen Zusammensetzung meiner Seele zu geben, der vollständiger
ist, als alle vorhergehende. Ich selbst, da ich ihn niederschreibe, möchte
beynahe glauben, daß ich, seit der vorigen Blattseite, um
zehn Jahre zurück getreten sey; so ausschweifend muß ich mich,
wenn ich der Wahrheit treu bleiben will, auf dieser hier schildern.
Welch ein unbegreifliches Wesen, das in mir wirkt! Ich hoffe für das
Glück der Welt, daß die Form davon, wie bey Rousseau´s
Seele, zerbrochen seyn soll, und daß meine einzelne Anomalie in dem
Universo nicht so gar viel zu bedeuten habe. Doch wozu diese Vorrede?
Sie ist nach der Zeitordnung, die ich doch gern beobachte, viel zu voreilig.
Ich will mich fassen! Denn wenn du die Anklage meiner richtig beurtheilen
sollst, so mußt du ja wohl erst sehen, wie, und wodurch ich sie verdient
habe.
Sobald ich diesen Nachmittag den Propf aus
der Hand warf, und mich mit meiner Flasche allein sah, entrunzelte sich
meine Stirne, die noch von dem System her, das ich mir von Clärchens
Unschuld zusammen setzte, alle Zeichen eines ernsthaften Nachdenkens trug.
Ich lächelte meinen freundlichen Wein an, und, wie er mir erst unter
der Nase sprudelte, setzte auch sein Geist den meinigen augenblicklich
in Gährung. Ein flüchtiger Gedanke zog nach dem andern vorüber,
ohne daß ich ihn aufhielt; bis endlich einer so zudringlich ward,
daß ich ihn faßte, und mir durch alle mögliche Sophistereyen
den Spaß machte, ihn so lange aufzustutzen, bis er mir am Ende zu
meinem Unglücke über den Kopf wuchs.
Ich habe dir, du hast es auch gewiß
gefühlt, Eduard, mit aller Stärke der Wahrheit die Gründe
vorgelegt, die für die Heiligkeit meiner vortrefflichen Nachbarin
sprechen. Wie konnte es mir nun einkommen, jetzt, als ein Advocatus
Diaboli, Beweise aufzusuchen, die sich auf das unverschämteste
ihrer Seligsprechung gerade entgegen stellten? Es ist unglaublich, und
doch wahr. Wie ich diesen Irrweg einschlug, ahndete mir freylich nicht,
daß ich so weit, und bis zu dem Abgrunde vorrücken würde,
vor dem mich noch schaudert. Mein Blut gerieth bey jedem frischen Glase,
das ich hinunter stürzte, mehr in Feuer, und meine Einbildungskraft
gewann die Oberhand über meine bessern Gesinnungen. Ich konnte immer
weniger an das herrliche Geschöpf hinter der Scheidewand ohne Begierde
denken, und setzte sie mit einer unerklärbaren Frechheit, nach jedem
Schlucke, den ich zu viel that, von den hohen Stufen ihrer Würde immer
tiefer und tiefer herab, bis ich sie endlich, nicht ohne Schwierigkeiten,
mit mir unter Eine Linie gebracht hatte; und nun erst ging ich unbarmherzig
mit ihr um. Die klärsten Beweise ihrer Unschuld schickte ich mit einem
Schnippchen in die Luft. Ihre Heiligkeit schien mir nichts mehr, als eine
angenommene Rolle zu seyn, die sie gut genug vor dem Publicum spielte.
Und um dir alles zu sagen, wie es in so einer Seele aussieht, konnte ich
sie mir endlich unter keinem andern Bilde mehr denken, als dem der Iphigenie
von Tauris, die wir einmal, noch als junge Leute, von dem Theater nach
Hause führten, und die uns, wie wir damals dachten, einen so frohen
Abend verschaffte.
Nun kennst du meine Grundsätze, Eduard,
wenn du anders das Wort hier gelten lassen willst. Von jeher hat mich nichts
mehr aufbringen können, als wenn ein Fürst zum Beyspiele, mich
durch seinen lakonischen Ernst, über seine Regententugend ein Minister
durch höfische Zurückhaltung, über seine Staatsklugheit
ein Pfarrer durch seinen faltigen Rock, über seine innere Ueberzeugung
und ein Mädchen durch den Flitter ihrer Sentiments, über ihre
Tugend hinter das Licht zu führen gedenken. Es gehört ein gutes
Herz dazu als ich habe, daß ich nur selten bey solchen Gelegenheiten
meiner Gabe zu spotten Raum gebe. Bey einem Mädchen aber, das sich
mit so außerordentlichen Annehmlichkeiten, als Clärchen besitzt,
in meiner Näher für sicher hielt, weil sie auf ihren Betrug und
meine Blindheit rechnet, das mein brennendes Herz zwey volle Tage mit der
Ungewißheit getäuscht hätte, ob es sie als eine Heilige
bewundern, oder als eine gemeine Sängerin behandeln solle bey so
einem Geschöpfe würde die Rache meines Muthwillens ohne Gränzen
seyn. Gewiß sollte sie mir die Gegenbeweise ihrer Unschuld auf das
demüthigste ausliefern, ihren ersten und letzten Betrug in meinen
Armen gestehen, und durch alle möglichen Züchtigungen der Liebe
für den erborgten Schimmer büßen, durch den sie einen erfahrenen
Mann zu blenden gedachte.
Noch will ich nicht entscheiden sagte ich
sehr großmüthig aber es gilt einen Versuch: und beschämt
gestehe ich dir, daß ich in diesem Augenblicke vor der Möglichkeit
erschrak, in ihr eine Heilige zu finden; so sehr hatte ich mich schon daran
gewöhnt, sie als ein irdisches Mädchen zu behandeln.
Sie mag eins oder das andere seyn, fuhr ich
nach einigem Nachdenken fort, so kann sie mir doch als ihrem Nachbarn unmöglich
verargen, daß ich ihr meinen Besuch mache. So viel ich weiß,
ist das in keinem römischen Calender verboten, ja mich däucht
sogar, ich habe gelesen, daß es die Pflicht einer Heiligen sey, wenn
sie Heiden bekehren will, sich ihnen zu nähern, und keine gesellschaftlichen
Mittel unversucht zu lassen, ihre Seelen an sich zu ziehen. Clärchen
sehnt sich also wohl so sehr nach meinem Umgange, als ich mich nach dem
ihrigen, wenn es ihr, wie ich glaube, mit ihrem Gebete auf dem Vorsaale
ein Ernst war; zumal diesen Abend, wo es, gegen das gestrige Geräusch,
in ihrem Zirkel so still ist, als wenn sie von Himmel und Erde vergessen
wäre.
Mein Muth wuchs nun in demselben Verhältnisse,
in welchem meine Flasche abnahm; und kaum war das letzte Glas überwunden,
so war ich auch schon auf dem Wege nach Clärchen. Aber meine Bewegung
dauerte dießmal nicht fort; denn in diesem Augenblicke, und da ich
eben den Griff der Thüre in die Hand nahm, trat ich zufälliger
Weise auf den Stöpsel meiner leeren Bouteille. Ich hob ihn auf, und
besah ihn. Kein Pfopf ist wohl noch so bedenklich besehen worden. Es war
mir, als ob der Blick noch fest an ihm klebe, den mir Bastian so bedeutend
zuwarf, als mir vorhin der Kork aus den Hand flog. Sollte Bastian mit seinem
Blicke Recht haben? befragte ich mich erschrocken; sollte es wirklich für
die Religion gefährlich seyn, sich in dem Taumel des Weins einer Heiligen
zu nähern? Das muß ich zuvor noch untersuchen, sagte ich, und
zog mich mit meinem Stöpsel langsam nach meinem Lehnstuhle, auf den
ich mich nun in eine Lage warf, die zum Nachdenken eines Betrunkenen wie
gemacht war. Auch mochte ich nur etwa eine halbe Stunde so gelegen haben,
als ich schnarchend erwachte, und unstreitig viel klärer in meiner
Angelegenheit sehen gelernt hatte, als vorhin.
Es war schon spät, Eduard, und der Mond
schon im Aufgehen; viel später, als heute vor sechs Tagen, da er mir
auch schien, als die gute Margot mir ihr warmes Halstuch um den Kopf band.
Hätte ich diesen Gedanken behutsamer verfolgt als ich that, ich glaube,
es wäre nichts aus meiner Visite geworden. So aber kam ich von Margots
Halstuch auf das Halstuch der Heiligen, von dem Hundersten in das Tausendste,
und mein guter Gedanke entwischte mir unter den Händen.
Indeß war es doch drollig, daß
ich noch immer wie angeheftet auf meinem Lehnstuhle verweilte, ohne mich
ganz von dem Mißtrauen in meine Einsichten trennen zu können,
das du von jeher an mir gewohnt bist, und das mir immer noch anklebt, wie
eine Nervenschwäche. Mein Vorsatz war zwar gefaßt; aber um ihn
auszuführen, fehlte mir nur noch die Aufmunterung eines Freundes,
der mir für den glücklichen Erfolg und für allen Schadern
haftete, der daraus erwachsen könnte; und auch diese Gewähr wußte
ich mir endlich zu verschaffen.
Ja, lieber Eduard, allem mein voriges Hin=
und Her=Ueberlegen hätte ich mir recht gut ersparen können, wenn
ich eher an Den gedacht hätte, der mir in Avignon alles in
allem war an den Vorbereiter der Jugend, an das Orakel der Stadt, an
den ehrlichen Kirchner. Ich brauchte ihn nur noch einmal in Gedanken anzuhören,
um zu wissen, woran ich mir Clärchen war. Sein dunkles Gespräch
schwebte mir vor, als ob er mir gegenüber säße, und entwickelte
sich jetzt zu meiner ungleich größern Zufriedenheit, als da
ich ihn selbst hörte. Meine Wünsche bekamen ihre einzige wahre
Richtung. Mit dem Uebertritte zu Clärchens Religion, fühlte ich,
habe es heute wohl nicht viel zu bedeuten, und ich steckte, um nicht wieder
darauf zu treten, den Pfropf in die Tasche. Sein dunkles Gespräch?
Mein Gott! durfte er es denn wohl weniger behutsam anlegen, wenn er seiner
neuen Freundschaft für mich ein Geschick geben wollte, ohne geradezu
seiner ältern für den Propst zu schaden? Wie war es möglich,
daß ich so blind seyn konnte? Ich erstaunte, als ich die feinen Winke
erwog, die er mir, wie von ungefähr zuwarf, als ich die schlauen Bemerkungen
analysirte, die er fallen ließ, und die Local=Farben, die er zum
Gemälde seines Vorgesetzten brauchte, mit den psychologischen Nachrichten
verglich, die er mir von Clärchen mittheilte ich erstaunte, sage
ich, über die Deutlichkeit, die in allem dem herrschte. Der sonderbare
Accent, den er, wie es mir schien, ohne Noth auf dieses oder jenes Wort
legte, bekam nun Bedeutung und Sinn.. Sein Aufruf meiner zu Gunsten des
Propstes erklärte sich mir, wie das Einlaßbillet einer Komödie;
und obgleich seine Räthsel so theologisch verflochten waren, als man
sie nur von einem getauften Juden erwarten kann, so war mir doch weiter
nicht bange, diese feinen Fäden glücklich aus einander zu wirren.
Den Dünsten gleich, die von den Auen
Beym Ueberschein der Sonne fliehn,
Sah mein geschärfter Blick des schlauen
Orakels Dunkel sich verziehn.
Ich forschte mit der Kraft, die Bachus mir verliehn,
Dem schweren Räthsel nach, bis mit geheimen Grauen
Sein Knoten mir entgegen schien.
Neu, jung und modulirt, als keiner nach Berlin
Zu Markte kommt, und doch nicht von der rauhen,
Antiken Festigkeit, um ihn,
Anstatt zu lösen, durchzuhauen
Lag er im Schutz des Heiligsten der Frauen,
Schon darum werth um vor ihm hinzuknien.
Und wie der erste Trieb, sein Felsennest zu bauen,
Den jungen Adler hebt auf eine Höh´, wohin
Kein Aug´ es wagt, ihm nachzuschauen,
So überflügelte mein männliches Vertrauen
Das Heiligthum der Sängerin.
Ich forderte von ihr, die mir den Schlaf verwehret,
So lang´ Ersatz für den verlornen Schlaf,
Bis ich den ganzen Schwarm der Freuden aufgestöret,
Die der Verlauf der Zeit vielleicht dem Propst bescheret,
Wenn die Ermüdete, als ein verirrtes Schaf,
Zu seiner Herde wiederkehret,
Und sah erstaunt wie das, was jedem Theil gehöret,
In Einem Punkt zusammen traf.
* * *
Hast du selbst je von einem Plane gehört,
lieber Eduard, der einfacher in seiner Anlage, geschmeidiger für die
Ausführung, und für den Endzweck, den er beabsichtigt, so harmonisch
in allen seinen einzelnen Theilen wäre? Wie geübt, dachte ich
mit schuldiger Bewunderung, muß die Hand des Meisters seyn, der ihn
entwarf! wie groß seine Erfahrung der Welt, wie sicher seine Kenntniß
des Locals und seine Bekanntschaft mit den Sitten der Andächtigen.
Ich hatte nur einige Schritte über den
Vorsaal zu thun, die bey dem hellen Scheine, den der Mond über ihn
bereitete, keine Schwierigkeiten machten. Ehe ich aufbrach, bedachte ich
noch, wie wenig man oft bey solchen Besuchen Herr seiner Zurückkunft
ist, und setzte aus Vorsicht mein Licht in den Camin. Im Vorbeygehn beym
Spiegel würdigte ich auch noch meinen äußeren Menschen
einer flüchtigen Untersuchung, und wie vortheilhaft fiel sie dießmal
nicht aus! Wäre der schlafende Amor in die Höhe gesprungen mich
zu umarmen, wahrlich, ich hätte es in diesem Augenblicke für
kein Wunder gehalten. So einen Schlummer möchte ich mir wünschen,
sagte ich, indem meine freundlichen Augen den Ausdruck der glücklichsten
Ruhe verfolgten, den ihm der Künstler zu geben gewußt hatte.
Ich gelobte, wenn ich so ausdrucksvoll von Clärchen zurück
käme, ihm das Restchen Staub abzuwischen, bey dem sich ihre zitternde
Hand, mitten in der Arbeit, so artig zurück zog. Ob wohl allen Heiligen
dieses Gefühl der Sensitiven eigen seyn mag? und ob sie wohl solches
auch noch bis nach Untergang der Sonne behalten? Ich sah, als ich in dem
Spiegel wieder nach mir aufblickte, daß mich dieses Problem, und
die Hoffnung es aufzulösen, roth gemacht hatten bis über die
Ohren; und wie auserwählt schien nicht diese Farbe zu meinen großen
viel versprechenden Augen, und wie schön nüancirte sie nicht
mit dem Incarnat meiner Lippen! Ach, meine Lippen! Auf keinen andern
habe ich je diesen Anreitz und dieses Hinstreben entdeckt. Ich möchte
wohl, sagte ich höhnisch, das Mädchen sehn, das solche Figuren
vor ihrer Thür abzuweisen das Herz hätte! Und so trat ich mit
der Zuversicht eines guten Gesellschafters endlich über die Schwelle,
und gelangte glücklich an den Verschlag, der, wie der Vorhof zum Allerheiligsten,
Clärchens Zimmer begränzte.
Bey der Stille, die in diesem frommen Hause
herrschte, war nicht viel Geräusch nöthig, um ihr Ohr aufmerksam
auf meine Annäherung zu machen. Auch rufte ich kaum ein paarmal ihren
harmonischen Namen mit gedämpfter Stimme, so hörte ich auch schon
ihre Kammer sich öffnen. Nun trippelte sie nach der Thüre des
Verschlags; nun hob sie stelle dir das Vergnügen vor, das mich durchzitterte
den Riegel auf; und lebhaft stand nun Clärchen zwar nicht aber
ihre abgemergelte, zahnlose Tante, in ein weißes katunenes Nachtkleid
gehüllt, vor mir.
In dem ersten Anfalle meines Schreckens dachte
ich nichts gewisser, als die gute Frau habe wohl Lust sich selbst meinen
späten Besuch zuzueignen, und könne so von Gott verlassen seyn,
sich einzubilden, daß ich, ohne Scheu für ihr ehrwürdiges
Alter = = = Aber sie ließ mich diesen heillosen Gedanken nicht endigen.
Sie fuhr mir nur zu bald mit einem: Was beliebt Ihnen mein Herr? auf
den Hals, und zeigte dabey eine so schnakische Befremdung in ihrem Gesichte,
als hätte sie in dem langen Laufe ihres Lebens noch nie eine männliche
Gestalt im Mondscheine erblickt. Ich hingegen auf meiner Seite, und gewiß
betroffener noch als sie wahrlich ich mußte mir ihre einfache Frage
noch einmal wiederholen lassen, ehe ich meiner Stimme so mächtig ward,
ein paar verunglückte Worte darauf zu antworten. Ich starrte das alte
Weib vorher noch sprachlos und mit aufgerissenen Augen an ein Anblick,
der, wenn er auch sonst nichts Gutes hat, einem Menschen in meiner Lage
doch einiger Maßen dadurch wohlthätig werden kann, daß
er ihn aus einem hitzigen Fiber in ein kaltes versetzt. Mag man indeß
solche Veränderungen noch so sehr unter die guten Symptome rechnen,
so möchte ich sie doch selbst meinen Feinden nicht wünschen.
Ich weiß nun aus eigner Erfahrung, wie viel es dem armen Kranken
kostet, die erhabenen Phantasien, die seine Seele beschäftigen, unter
Zähnklappen verschwinden zu sehen.
Die langen Abende meine angenehme Nachbarschaft
die Einsamkeit, stotterte ich endlich in abgebrochenen Sätzen
heraus, zu denen es mir je länger, je schwerer ward, eine Verbindung
zu finden. Meine Verlegenheit nahm mit jeder Secunde zu, glaubte sich Luft
zu schaffen, und verfiel darüber in die unbesonnenste Erklärung,
die sich nur ausfündig machen ließ. Liebe Madam, sagte ich,
die anziehenden Reitze Ihres guten Clärchens werden mich schon hinlänglich
bey Ihnen entschuldigen, und die Freyheit, die Sie dem Propst erlauben,
hoffe ich, werden Sie doch wohl nicht Ihrem Miethmanne versagen? Das
hatte ich trefflich gemacht Du hättest nur sehen sollen, was die
alte Katze bey diesen Worten für Feuer fing. Clärchen, Clärchen,
beantwortete sie meine wohlgesetzte Rede, nimmt keine nächtlichen
Besuche ja sie nimmt gar keine, und zu keiner Zeit an. Sehen Sie, mein
guter Herr, setzte sie höhnisch hinzu, suche Sie anderwärts
Ihre Unterhaltung, und lassen Sie Ihre Nachbarn in Ruhe!
Schwerlich hat noch jemand einen unfreundlichern
Bescheid aus einem häßlichern Munde gehört. Da es aber
noch einen empörendern Anblick in der Natur giebt, so gab sie mir
auch den noch zu Gute: in meyne ein altes Weib, das die Begeisterte macht.
Sie warf ihre beyden Irrwische von Augen in die Höhe, als ob sie die
Engel aus dem Himmel verjagen wollte, legte ihre linke Hand auf ihr schlotterndes
Halstuch streckte ihren rechten Arm steif und gerade nach mir zu, und
kreischte mir mit der Stimme einer Besessenen durch die Ohren:
Irrgläubiger!
was treibet dich
So frech, so blaß, so schauerlich
Herum im Mondenschein?
Vernimm, furchtbares Nachtgespenst,
Es schließt die Burg, die du berennst,
Ein Kind des Lichtes ein!
Und welch ein Kind! So voll und rund,
So früh kam noch kein Busen, und
Kein weiblich Herz in Flor.
Ein Seraph sah den ersten Flug
Der kleinen Sängerin, und trug
Sie der Madonna vor;
Und diese nahm sie in Beschluß;
Und wollte selbst mit seinem Gruß
Sich Gabriel ihr nahn;
Sie ließ ihn vor der Thüre stehn,
Und hieß ihn, spottend, weiter gehn,
So wie sie dir gethan.
Der Propst, des Himmels Liebling, nur
Verehrt den Schöpfer der Natur
In meiner Nichte Reitz.
Der Reichthum ihres Gärtchens ist
Auch sein, und wird vor Räuberlist
Gesichert durch sein +.
Und jedes Kreuz, das er ihr schlägt,
Weckt eine Blüthe mehr, erregt
Ihm eine Hoffnung mehr;
Und Sie bewahret, zum Erkauf
Des Himmels, ihren Vorrath auf
Und zu Mariens Ehr´.
Von der Holdseligen bedeckt,
Erhält sich frisch und unbefleckt
Der ganze Erntenkranz:
Und wenn ihm auch ein Kreuz verblich,
Der Propst mit einem Pinselstrich
Hebt den verlöschten Glanz.
Was stört, verlorner Geist, dein Blick
Für Bilder in mir auf! Erschrick
Und weiche meinem Fluch:
Dich müsse jede Jungfrau fliehn,
Maria keine dir erziehn
Zu nächtlichem Besuch.
* * *
O! das soll mir ganz recht seyn, dachte
ich, indeß die alte Närrin während der sublimen Worte ihrer
mystischen Romanze, die ich vielleicht ganz der Quere verstand, dasselbe
heilige Zeichen mehrmals über ihre Brust und ihr Gesicht zog, die
doch wahrlich dieses Schutzes nicht bedurften, und zugleich mit ihrem Zeigefinger
auf etwas hindeutete, das mir doch nicht eher verständlich und sichtbar
wurde, bis sie die Thüre mir vor der Nase zugeschmissen und verriegelt
hatte: denn nun erst fiel mir eins von den Kreuzen in die Augen, auf
die sich die Alte in ihrer Begeisterung bezog, und davon die eine Hälfte
an der obern Bekleidung die andere an dem Flügel der Thüre,
nun in einem ungetrennten Zuge wieder zusammen paßten, vermuthlich
mit einer Kreide gemalt, über die ein Weihbischof den Segen gesprochen
hatte. Liegt es nur daran? sagte ich und warf den Mund auf. Diese Wunderzeichen
des Propstes sind doch wohl noch zu verwischen, wenn ich nur erst die Stationen
kenne, die er damit besetzt hat. Und so schlich ich mit verbissenem Aerger
in mein einsames Zimmer zurück.
Meine Abwesenheit konnte nicht lange gedauert
haben; denn ich hatte nicht einmal nöthig, mein Licht zu putzen, als
ich es aus dem Camin langte, es wieder auf den Tisch, und mich mit in einander
geschlagenen Armen davor setzte. Es währte eine ziemliche Weile, wo
ich gedankenlos auf die leere Flasche hinblickte, ehe ich sie in Verdacht
nahm, daß sie wohl an dem eben geschehenen Vorgange die meiste Schuld
habe. Dieß brachte mich gelegentlich auf den Text, den ich mir in
Ansehung der verletzten Diät und Moral, die leider! bey mir immer
gleichen Schritt halten, zu lesen hatte. Ja! rief ich aus, man muß
betrunken seyn, um einen Augenblick an der Tugend und Unschuld dieser Heiligen
zu zweifeln, und so ungleiche Absichten, als mir mein Gewissen vorwirft,
darauf zu bauen. Ich habe es verdient, vor ihrer Thür abgewiesen zu
werden; denn ich bin nicht werth über ihre Schwelle zu treten nicht
werth ihr nur die Schuhriemen geschweige sonst etwas aufzulösen,
und das geringste der Kreuze zu verlöschen, womit der Propst ihre
Zugänge verwahrt hat.
Da ich nicht gewohnt bin, mich selbst zu schonen,
so bald ich nur erst so weit bin, mich in die Augen zu fassen, so ward
ich auch dießmal so böse auf mich selbst, daß ich mich
gern vor jedem ehrlichen Manne an den Pranger gestellt hätte, der
mir die Wahrheit noch derber hätte sagen wollen, als ich es selbst
that. Ich fühlte in dieser ärgerlichen Stunde die Entfernung
von dir, mein Eduard, stärker als jemals, und wußte lange nichts
an ihre Stelle zu setzen. Wie aber die gütige Natur für gewöhnliche
Uebel auch die Mittel dagegen vorzüglich gehäuft hat, und man
zum Beyspiele gegen einen bösen Hals, oder eine jede andere Krankheit,
welche schleunige Hilfe verlangt, die bewährtesten Recepte an allen
Zäunen und Hecken findet; so, glaube ich, ist in unserm aufgeklärten
Zeitalter kein Winkel der Erde mehr so verwildert, auf dem sich für
eine kranke Seele, ihrem Bedürfnisse gemäß, nicht bald
ein anhaltendes, bald ein abführendes Mittel, auftreiben ließe.
Wäre es Tag gewesen, so hätte ich freylich bey meinem Freunde,
dem Buchhändler, das Aussuchen gehabt; so aber mußte ich mir
zu helfen suchen wie es gehn wollte, und das that ich auch. Ich näherte
mich zum erstenmale der, zu der frommen Stiftung gehörigen, kleinen
Bibliothek meines Cabinets, sicher, daß ich hier eben so gewiß
ein oder das andere moralische Buch finden, als ich nicht umsonst nach
Pimpernelle oder Klatschrosen ausgehen würde, wenn ich eines Gurgelwassers
genöthigt wäre.
Der erste Folioband, den ich heraus zog, den
ich aber auch ehrlich genug war, sogleich wieder an seinen Ort zu stellen,
war Sanchez de matrimonio.
Ich griff auf besser Glück nach einem andern in mittlerem Format,
und bekam die Aphorismen des großen Emanuel Sa
de dubio in die Hand.
Das ist wahrscheinlich, sagte ich, so ein Buch,
als du suchst, und setzte mich damit an meinen Tisch. Ich hätte auch
für mein gegenwärtiges Bedürfniß kein besseres finden
können. Auf allen Seiten strahlten mir die herrlichsten Anweisungen
entgegen, sich mit Ehren aus den schlüpfrigsten Händeln seines
Gewissens zu ziehen, und mit Hülfe kleiner artiger Distinctionen sich
über alle Fehltritte zu beruhigen, die eine strenge, ungeläuterte
Moral, im Ganzen genommen, unbarmherzig verdammt. Du kannst denken, daß
mir in meinen Umständen dieser Sittenlehrer ungleich mehr behagen
mußte, als jeder anderer, der, ohne nur die Schwierigkeit der Ausführung
mit seinen Forderungen vergleichen zu wollen, der mir geradezu gesagte
hätte: Thue recht und scheue niemand! Das ist weiter keine Kunst.
In diesem herrlichen Buche hingegen fand ich sogar mehr als ich suchte.
Wie viel Vorwürfe, die ich mir in meiner ersten mißlaunigen
Aufbrausung machte, würde ich mir nicht erspart haben, hätte
ich diesen gründlichen Schriftsteller nur eine halbe Stunde eher gekannt!
Ich las mich dick und satt, bis ich vollkommen überzeugt war, daß,
wären mir auch alle Absichten gelungen, an deren Ausführung mich
das alte hämische Weib hinderte, ich zwar von der geraden Straße
ab doch gar nicht viel umgegangen wäre.
Ich schloß nicht unwahrscheinlich von
dem Werthe dieses einzelnen Buchs auf die Wichtigkeit der ganzen Sammlung,
holte mir, um bey der Entscheidung meiner Streitfragen gewiß zu seyn,
noch andere herbey, die auch, mehr oder weniger, den guten Gründen
jenes großen Casuisten beytraten, wovon ich dir besonders einen gewissen
Thomas Tambourin nennen und empfehlen will, der mir wirklich vielen Spaß
gemacht hat. Hier hast du den Titel seines Buchs: Explicatio
Decalogi, in qua omnes fere conscientiae casus, mira brevitate, claritate,
et quantum licet, benignitate, declarantur.
Ich war in guten Händen, wie du siehst.
Meine Lectüre ward immer anziehender. Der Unterricht dieser vortrefflichen
Männer hatte mich endlich so fest gemacht, daß ich weiter keine
Gefahr für mich sah, auch den ehrbaren Sanchez mit zu Rathe zu ziehen.
Ich las bis in die sinkende Nacht hinein, ohne seiner verwickelten Fragen
und Auflösungen überdrüssig zu werden, und lege ihn jetzt,
da mein abgebranntes Licht mir kaum noch Zeit läßt, meinen Bericht
an dich niederzuschreiben, mit den Worten aus der Hand, mit welchen sich
die vorgedruckte Aprobation seines geistlichen Censors anhebt: Librum
hunc legi, perlegi, lectitavi, felix pensum D. Sanchez, Cathol: Majest:
in Regio Incarnationis Coenobio a Sacello, et Sacris: in quo nihil nec
devium ab orthodoxa nostra fide, nec obvium bonis moribus percepi
etc. Und gehe nun, ich gestehe es dir, als der eifrigste Anhänger
einer Gesellschaft zu Bette, der es, da sie so vorzügliche Mittel
gegen menschliche Schwachheiten im Vertriebe hat nicht fehlen kann, trotz
der kleinen Kränkungen,
die sie in unsern Zeiten erlitten hat, an
allen Enden der Erde Proselyten zu machen.
* * *
Von allen moralischen Hülfsmitteln der Lojoliten, die ich
mir gestern Abends eigen zu machen suchte, rührte mich keines so sehr,
als der Ausweg, den sie einstimmig vorschlagen, um, in dem Handgemenge
der Leidenschaften mit der Sittlichkeit, die mitspielende Person sicher
zu stellen. Setze, sagen diese Herren, wenn ich den Sinn ihrer Worte ins
Kurze fasse, jeder zweydeutigen Handlung, die du unternimmst, zur Beruhigung
deines Gewissens, nur geschwind eine andere Zweydeutigkeit entgegen!
Laß, zum Beyspiele, zur Zeit ihres sträflichen Vorgangs den
Gedanken voraus treten, daß ein anderer sie begehe als du, und schwöre
sogar, wenn du dazu aufgefordert wirst, du habest die That nicht begangen,
nämlich wie du stillschweigend hinzu thun mußt an diesem
oder jenem Tage, oder vor deiner Geburt. Durch diesen kleinen Kunstgriff
setzest du dich am geschwindesten über alle, deiner Ruhe nachtheiligen
Folgen hinaus; denn diese nehmen alsdann von selbst die Richtung an, in
der du dich in so kritischen Minuten von dir selbst zu entfernen gewußt
hast. Das ist bei vielen Gelegenheiten überaus bequem, sagt Sanchez
in seiner Sittenlehre: *)
[*) Il est permis
d´user de termes ambigus en les faisant entendre en un autre sens
qu´on ne les entend soi meme. On peut jurer qu´on n´a
pas faite une chose, quoiqu´on l´ait faite effectivement, en
entendant en soi même, qu´on ne l´a pas faite un certain
jour, ou avant qu´on fut né. Cela est fort commode en beaucoup
de rencontres et est soûjours très juste, quand cela est nécessaire
ou utile pour la santé, l´honneur ou le bien. (Sanchez
Opp. p. 2. l. 3 c. 6. v. 13.)]
ob es aber auch immer recht ist, wie er dazu setzt, ist eine andere
Frage, über die ich lange nicht mit mir einig werden konnte. Ich sah
wohl ein, daß die Herren diesen verfeinerten Lehrsatz nicht so oft
und so dreist würden ausgekramt haben, wären sie nicht von seiner
Brauchbarkeit und Güte, aus langer praktischer Erfahrung, vollkommen
überzeugt gewesen und doch, wenn ich nun dran war ihn auf mich anzuwenden,
versagte mir auf einmal der Muth, wie einem Kinde, das aufgefordert wird
einem Seiltänzer nachzuspringen. Es war Mangel an Uebung, lieber Eduard!
Ich setzte den Fuß nieder, den ich schon aufgehoben hatte, lief meinen
Tröstern in die Arme, um mir Herz zu holen, und kauete jedes Wort
wieder, das sie mir zusprachen. So gelang es mir am Ende ihren herzhaften
Zuruf wörtlich meinem Gedächtnisse einzuprägen; und das
ist, wie du noch aus deinen Lehrjahren her wissen wirst, schon viel, wo
nicht alles, für die Ueberzeugung gewonnen. Die Zweifel, die mir dann
und wann über die Zuverlässigkeit meiner Rathgeber aufstießen,
machten mir eigentlich am meisten zu schaffen: aber ich fand doch bald
einen erfahrnen Mann, der mich auch hierinnen zur Ruhe wies; denn die würdige
Zunft der Casuisten hat so sehr für alles gesorgt, daß der Satz
des einen die Sätze der andern auf das brüderlichste unterstützt.
Dans les choses douteuses,
sagt der berühmte P Poignant, der aufgeschlagen neben dem Sanchez
lag, nous ne sommes pas obligés
de suivre le sentiment le plus sur Und so blieb mir denn
zuletzt weiter keine Sorge übrig, als die, mich nur recht bald in
der Lage zu sehen, meinen Rathgebern Ehre zu machen, und in Clärchens
Armen das süße Gefühl meines Unrechts ihrem Glaubensgenossen,
dem Propste, der mir am schicklichsten dazu schien, unterzuschieben.
Aber die Hauptschwierigkeit, die ich weder
durch Nachdenken, noch durch mein Nachlesen in den Kirchenvätern wegzuräumen
wußte, die Frage, wie ich mich in diese glückliche Lage bringen
sollte, blieb immer noch unbeantwortet. Der Vorgang von gestern Abends
hatte mich außerordentlich schüchtern gemacht. Man hätte
mir die Welt bieten können; ich würde es drauf nicht gewagt haben,
den bösen Geist, der den Schatz bewachte, noch einmal herauszufordern,
ehe ich ihn nicht zu beschwören verstand.
In dieser Verlegenheit, die mich vom Rousseau
zum Amor, von einer Ecke des Zimmers in die andere trieb, konnte es indeß
nicht lange währen, so mußte mir der einzige Mann beyfallen,
der sie vielleicht heben konnte. Mein mißlungener Versuch von gestern,
den ich zwar auf seine Autorität unternahm, hatte mein Zutrauen zu
ihm nicht im mindesten geschwächt. Der beste Plan muß wohl scheitern,
wenn man in der Ausführung nicht auch Rücksicht auf Zeit und
Gelegenheit nimmt; und das, mußte ich mir selbst vorwerfen, war ich
so albern gewesen ganz zu unterlassen. Ich steckte also meine Goldbörse
ein, und machte mich gutes Muths zu ihm auf den Weg. Ich traf ihn auch
dießmal wieder auf seinem Posten, die mich gleich die erste Stunde
unserer Bekanntschaft so sehr zu seinem Vortheile einnahm, und durch die
sich so sprechend die ganze Ruhe seiner Seele und seines Amtes verkündiget.
Unser Gespräch kam indeß dießmal nicht so geschwind
in Gang als gewöhnlich; ich mußte lange die Kosten der Unterhaltung
allein tragen. Er hatte die Unbarmherzigkeit, meine Beichte von Anfange
bis zu Ende mit geschlossenen Augen ruhig anzuhören, ohne das Bittere
davon nur durch ein tröstliches Wort zu mildern, geschweige daß
er durch einen zuvorkommenden, freundlichen Rath mir die Verlegenheit erspart
hätte so in der Nähe von Laurens Asche so ganz ohne Achtung
für ihr sittsames Andenken ihm mein geheimes Anliegen zu entwickeln.
Selbst als ich nun meinen mißlichen Vortrag gethan hatte voller
verschämten Erwartung vor ihm stand, und es ihm endlich gefiel die
Lippen zu öffnen, so hätte es im Anfang doch nur der Teufel seinem
gleichgültigen Geschwätze ansehen können, was es am Ende
noch alles Lehrreiches und Gutes für mich enthalten würde.
Ja, ja, fing er wie im Traume an, und rieb
sich die Stirn unser Leben, mein junger Herr, währet siebenzig
Jahr, und wenn es hoch kömmt, sind es achtzig, und wenn es köstlich
gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. Auch ich habe diesen
Morgen die meinige gehabt habe die Stühle, die Bänke und den
Altar abgestäubt, und bin wohl zehnmal über Laurens Grab mit
dem Besen gefahren, ehe ich es rein bringen konnte; aber es war nothwendig.
Diese Kirche hat morgen einen ansehnlichen Besuch zu erwarten; denn wir
feyern das Fest des heiligen Einsiedlers Simeon Stylita, der von den vornehmsten
Einwohnern der Patron ist.
Was in aller Welt geht mich dieser Schnack
an! dachte ich, machte eine höchst verdrießliche Miene, und
setzte mich auf die nächste Bank.
Sie müssen wissen, mein Herr, trat er
nun näher vor mich, daß unter Heiligen und Heiligen ein gewaltiger
Unterschied ist. Der eine hat mehr Rang, der andere mehr Zulauf die
eine fromme Seele schmiegt sich lieber diesem, die andere jenem an, nachdem
entweder ihr Alter, ihr Gewerbe, ihr Name, oder ihre besondern Sünden
diese Auswahl veranlassen. So ist mein Einsiedler, zum Beyspiel, durch
die christliche Standhaftigkeit, mit der er seine Gicht= und Zahnschmerzen
ertrug, der Schutzpatron aller der Unglücklichen geworden, die an
diesen Uebeln leiden. Schließen Sie nun selbst, mein Herr, auf den
Zuspruch, den er erhalten wird. Leider hat seit einigen Jahren auch Ihre
gute Hauswirthin unter seine Fahne treten müssen Auch sie wird morgen
den größten Theil des Tages in meiner und des Heiligen Gesellschaft
zubringen Geben Sie Acht, ob ich wahr rede!
Und Clärchen? fragte ich hastig, er
aber that nicht, als ob er mich hörte. Morgen, fuhr er mit ernstem,
dogmatischem Tone fort, ist es Krankheit, die ihre Andacht in Bewegung
bringt; zwey Tage darauf, am Feste der heiligen Bertilia, thut es ihr Name.
Und Clärchen? fuhr ich zum zweytenmale
auf Wird unterdessen, antwortete er gelassen, allein zu Hause bleiben
so wie hingegen am Feste der heiligen Concordia
die Tante daheim bleibt, und nur ihre Nichte zur Kirche schickt.
Und was giebt hiezu Veranlassung? fragte
ich äußerst neugierig. Das verschiedene Alter der beyden
Andächtigen! erwiederte er. Er sah mir an, daß ich ihn nicht
verstand. Ich habe schon mehrmalen die Schwierigkeit bemerkt, fuhr
er fort, einem Deutschen, auch selbst von unserm Glauben den Zusammenhang
dieses Festes begreiflich zu machen aber es ist mir doch endlich immer
durch Hülfe der Analogie gelungen. Diesen Ausweg verdanke ich einem
Reisenden aus Ingolstadt, der vor vielen Jahren hier war, und auch das
Grab der Laura besuchte. Von dem erfuhr ich gesprächsweise,
daß in seiner Vaterstadt der heilige Augustin von allen denen besonders
verehrt werde, die an den Augen leiden. Bey uns hingegen ist dieser Heilige
als Augenarzt, gar nicht bekannt. Die Ursache davon liegt einzig in
der Verschiedenheit beyder Sprachen. In der Ihrigen soll, wie Sie besser
wissen als ich, die erste Sylbe in dem Namen dieses Wunderthäters
gleichen Schall und Bedeutung mit dem Worte haben, welches das Glied bezeichnet,
mit dem wir sehen: und nun, mein Herr, fuhr er fort, wird es Ihnen nicht
weiter schwer werden, die Ursache auszufinden, warum bey uns nicht allein
Mädchen, wie Clara, nein auch Weiber und Wittwen, wenn sie nicht,
wie unsre Freundin Berlilia, über die fünfzig hinaus sind, das
Fest der Concordia
mit einen [sic!] Eifer feyern, der deutsche Damen, die unsre Sprache nicht
bis auf solche Kleinigkeiten wissen, mehr als übertrieben vorkommen
muß. Ich verstand zum Glücke so viel Französisch, um
diese Aufgabe der Analogie bald genug zu errathen, und ich hatte keine
geringe Freude darüber. O, rief ich aus, dieser Unterricht in
Ihrer Religion, lieber Herr Kirchner, verdient eine ausgezeichnete Belohnung
Hier machen Sie keine Umstände! Und so drückte ich Ihm
einen holländischen Doppel=Ducaten in die Hand, der so funkelte, als
wenn er erst aus der Münze käme. Ey, mein Herr, sagte der
liebe Mann, und besah das Goldstück mit besonderm Vergnügen,
Sie beschenken mich ja so reichlich, als ob Sie Sich meine Fürbitte
bey dieser Heiligen erkaufen wollten! Die soll Ihnen auch nicht fehlen.
Aber, bey allen Engeln und Erzengeln! mein Herr was seh´ ich?
Diese Umschrift ich bitte Sie war sie immer auf dieser Münze?
Ist sie zur Ehre der Heiligen geschlagen? oder ist es ein Wunder, durch
das sie Ihnen ihre Hülfe zusagt? Hören Sie nur und hören
Sie es mit Zutrauen, was sie Ihnen Gutes verspricht!
Ich war bey diesem unerwarteten Ausfalle des
Kirchners einige Schritte zurück getreten, und glaubte nichts gewisser,
als der gute Mann wäre toll geworden; wurde aber, als er mir nun die
bekannte Umschrift aller holländischen Dukaten herlas, doch selbst
so davon überrascht, als wenn wirklich etwas Wunderwürdiges darin
läge. Concordia,
las er, indem er den Ducaten zwischen den Fingern herum drehte res
parvae crescunt; und zugleich sah er mich so bedeutend
an, daß mir das Blut in´s Gesicht stieg. O Clara, Clara!
rief ich aus, ohne zu wissen, warum? Das ist wahrlich ein sonderbarer
Zufall, lieber Herr Kirchner. Wie gern will ich ihn für eins der
größten Wunder ansehn, wenn die heilige Concordia
ihre Zusage erfüllt! Aber sagen Sie mir geschwind, lieber Mann,
an welchem Tage des Jahres wird denn dieses große weibliche Fest
begangen?
Den achtzehnten Februar, antwortete er.
Sollte es wohl den Eindruck auf Sie machen, daß Sie bis zu seiner
Feyer bey uns verweilen möchten?
O, ganz gewiß! antwortete ich mit glühenden
Wangen. Und es ist mein völliger Ernst, Eduard!
Nun dann wünsche ich Ihnen Glück
zu Ihrem Muthe, erwiederte der gute Mann. Es hat noch keinen jungen Fremden
gereut, diesen merkwürdigen Festtag in Avignon abzuwarten. Doch, da
alsdann gewöhnlich die Häuser besetzter noch sind als zu Frankfurt
bey der Kaiserwahl, so rathe ich Ihnen wohlmeynend sind Sie anders mit
Ihrer Miethe zufrieden, Sich ihrer ja in voraus auf diesen Zeitpunkt zu
versichern; denn Quartiere, wie das Ihrige, steigen alsdann über die
Gebühr.
Hier störte ein Engländer, der Laurens
Grab mit einer so verächtlichen Miene aufsuchte, als ob sie seine
Freundin gewesen wäre, unser interessantes Gespräch. Ich konnte
meinen Verdruß über diesen ungelegenen Fremden kaum vor ihm
selbst verbergen, und doch konnte ich noch weniger dem Kirchner zumuthen,
ihn abzuweisen; denn ein abgewiesener Engländer kommt selten wieder.
Wir Kurzsichtigen ärgern uns oft über zufällige Dinge
die uns doch gerade unsern Wünschen entgegen führen. Du sollst
noch auf diesem Bogen zu lesen bekommen, Eduard, wie viel ich der Dazwischenkunft
dieses Reisenden zu danken habe: so viel, daß ein rechtgläubiger
Katholik an meiner Stelle darauf schwören würde, die heilige
Concordia habe
sie veranstaltet. Ich schreibe sie auf Rechnung des Zufalls, der immer
mein Freund war. Der Kirchner zuckte die Achseln, indem er mir die Hand
zum Abschiede reichte, und bat mich bald wieder zu kommen, welches ich
ihm denn auch treulich versprach. Der goldene Wahlspruch der sieben Provinzen
hat zwischen diesem guten Manne und mir eine stärkere Vereinigung
zu Stande gebracht, als, glaube ich, zwischen den sieben Provinzen selbst.
Es ist doch eine hübsche Sache um die Freundschaft!
Ich taumelte, ohne mich um den nächsten
Weg nach Hause zu bekümmern, aus einer Gasse in die andere, und mir
war beynahe so zu Muthe, als einem jungen Gelehrten, der nicht recht weiß,
was er in aller Welt mit den vielen neuen Kenntnissen anfangen soll, die
er aus dem Hörsaale mitnimmt. Darüber stieß ich Ehre
sey dem freundlichen Zufalle! auf die launigste Begebenheit, die er je
aus seinem weiten Aermel geschüttelt hat. Eine Menge Menschen, die
aus einem ansehnlichen Hause theils heraus stürzten, theils im zuströmten,
erregte meine Aufmerksamkeit. Ich erkundigte mich nach der Ursache dieses
Gedränges, und erfuhr, daß hier eine wichtige Versteigerung
von Kostbarkeiten gehalten würde. Nun mag ich wohl dann und wann dergleichen
öffentlichen Glückspielen beywohnen; denn, ob ich mich gleich
enthalte, mein Inventar auf diesem Wege zu verstärken, seitdem ich
einmal in Holland einen englischen Tubus erstand, in welchem, als ich ihn
zu Hause genauer untersuchte, das Objectiv=Glas fehlte, so kann es doch
immer den Geist angenehm beschäftigen, wenn man mit philosophischen
Augen die verschiedenen Hülfmittel übersieht, die der Besitzer
derselben vor seinem physischen oder moralischen Tode gebrauchte, so gelehrt,
so artig oder so arm zu werden, als er war. Selbst die kleinen Absichten,
die sich manchmal bey denen recht gut errathen lassen, die jetzt dieses
oder jenes Stück aus dem Nachlasse des Verstorbenen an sich bringen,
gewährt schon einige Unterhaltung. Ich widmete also auch dießmal
meiner Neugierde die halbe Stunde, die mir noch bis zum Mittage frey blieb,
und stieg, nicht ohne Mühe, die von Menschen angefüllte Treppe
hinauf nach dem Auctions=Zimmer.
Hätte ich einige Stunden früher eintreffen
können, ohne mich um das belehrende Gespräch des Kirchners, das
mir über alles gehen mußte, zu bringen, so wäre der Zeitvertreib,
den ich hier fand, freylich noch vollkommener gewesen. Jetzt waren ungefähr
nur noch ein Dutzend Nummern von einer der seltensten Sammlungen übrig,
die wohl jemals versteigert wurden. Der arme Mann, der sie mit Aufopferung
seines Vermögens errichtet hatte, und nun sein mühsames, kostbares
Gebäude durch unbarmherzige Gläubiger zerstören sah, saß,
von Schmerz und Unruhe gefoltert, in einem ausgeleerten Nebenzimmer, und
flößte mir gleich beym Eintritt in den Saal das größte
Mitleid ein, selbst ehe ich noch einen Blick auf seine Sammlung warf.
Ich habe zwar oft gesehen, lieber Eduard, daß
vernünftige Männer Weib und Kinder und jedes andere Gück
des Lebens hintan setzten, um Muscheln, Steine, Bücher, Schmetterlinge
oder Gemälde zusammen auf einen Haufen zu bringen habe ihnen oft,
nach Verlauf eines ängstlichen Zeitraums, diese Spielwerke ihres Geistes
durch die Gesetze und zu Abfindung ihrer Schulden entreißen, und
an andere berühmte Kenner, wahrscheinlich zu einem einst ähnlichen
Schicksale, übergehen sehen aber noch nie fand ich den Vermögensbestand
eines freyen Mannes so sonderbar in einem Cabinet concentrirt, als hier:
denn stelle dir vor, Eduard! ich befand mich, ehe ich mich so etwas versah,
unter einer vollständigen, Gott weiß nach was für einem
System! geordneten Sammlung heiliger Reliquien. Die ersten und wichtigsten
Stücke an ganzen Körpern, Gerippen und andern Schätzen aus
den Katakomben, waren zwar schon an Mann gebracht; doch waren die noch
vorräthigen Nummern, die eben ausgerufen werden sollten, dem unerachtet
noch von sehr schätzbarem Gehalte. Sechs Fläschchen mit Thränen
der heiligen Magdalene wurden einzeln verlassen, und, nach meiner Einsicht,
weit unter ihrem Werthe. Ein artiger Mann, der neben mir stand, erklärte
mir die Ursache davon, als er meine Verwunderung merkte, und mir ansah,
daß ich fremd war. Wir sitzen hier, sagte er, an der Quelle dieser
Waare. Die Höhle von Beaumont, wo die Heilige zwölf Jahre ihre
Sünden beweinte, liegt uns in der Nähe Aber Sie, als ein Fremder,
mein Herr, sollten sie auf Speculation für das Ausland kaufen; denn
es ist keine Frage, daß Sie nicht hundert Procent daran gewinnen
könnten. Ich hätte vielleicht nicht übel gethan, seinem
Rathe zu folgen; aber, du weißt es, Eduard, ich habe zu wenig Kaufmannsgeist,
und ich ließ, einfältig genug, auch diesen wahrscheinlichen
Gewinn einem Juden zu gute gehn, der mit Reliquien handelt.
Ein Finger des H. Nepomuk, an dessen Aechtheit
einige anwesende Kenner zweifeln wollten, und ein Schlußbein des
heiligen Franz, hatten eben so wenig Glück, und mußten zusammen
ausgeboten werden, ehe sie einen Abnehmer fanden. Ja, sogar Etwas von der
keuschen Petronelle, in Weingeist aufgehängt, und recht hübsch
conservirt, ging an einen Benedictiner, der es in Commission erstand, für
ein solches Spottgeld weg, daß ein paar artige Geschöpfe, die
vermuthlich gleichen Namen führten, die Hände über den Kopf
schlugen. Dafür fanden sich aber zu der folgenden Nummer desto mehr
Liebhaber, und das Kleinod verdiente auch mehr als ein anderes diese ausgezeichnete
Achtung Der Ausrufer selbst nahm ehrerbietig den Hut ab, als er das Sammetkästchen,
das er verschloß, in die Höhe hielt, und nun unter einer allgemeinen
Stille, die nur dann und wann ein Seufzer des Unglücklichen im Nebenzimmer
unterbrach, folgendes Heiligthum ankündigte: Nummer Ein tausend vier
hundert und drey und dreyßig; das Strumpfband der gebenedeyeten Jungfrau
und Mutter, das sie an ihrem linken Fuße zu tragen gewohnt war, inculsive
eines darzu gehörigen Ablaßbriefs weiland Ihro Päpstlichen
Heiligkeit Alexander des Sechsten, nebst einem Handschreiben gedachten
heiligen Vaters an die Gräfin Vanotia.
Diese Reliquie machte den Eindruck, der zu
erwarten stand. Der ganze Haufe der Umstehenden gerieth in Bewegung, und
verschiedene Stimmen zugleich erhoben sich mit einem Gebot von zehn, fünfzehn
und zwanzig Dukaten. Bey dem zweyten Ausrufe stieg es bis auf vier und
dreyßig. Nach einem kleinen Stillstande trat ein ansehnlicher Mann,
mit der gesetzten Miene eines ächten Kenners, in's Mittel, und bot
die gerade Summe von vierzig. Der Auctionator fing von vorn, und, um jedermann
Zeit zu lassen sich zu bedenken, mit gedehnter Stimme an: Einmal vierzig
zum zweytenmal vierzig Ducaten Der Hammer war schon aufgehoben, und
ich glaubte den vornehmen Mann schon ganz gewiß in dem Besitze dieser
merkwürdigen Reliquie, als, aus der fernsten Ecke des Zimmers, unvermuthet
eine helle Stimme mit einem halben Ducaten überbot. Der Schall fiel
mir sonderbar in das Ohr Ich erhob mich auf meine Fußzehen, und
entdeckte Himmel, wie ward mir! das reitzende Ovalgesichtchen meiner
kleinen Nachbarin. War es Freude, oder Betäubung? war es unwillkührlicher
Trieb, ihr nachzulallen? oder sollte es eine Aufforderung seyn, ihre
sonorische Stimme noch einmal hören zu lassen? Genug, kaum prallte
ihr wohl bekannter Discant an die Saiten meines Herzens, so schlug mein
Baß als ein Echo zurück: Einen halben Ducaten. Der Laut war
entwischt Clärchen schwieg die ganze Versammlung schwieg und
zu meinem Erstaunen ward mir das Heiligthum für ein und vierzig Ducaten
zugeschlagen.
Wer war betroffener als ich, da mir die Nebenstehenden
zu dem erlangten Besitze dieser Kostbarkeit Glück wünschten,
und mir Platz am Zahlungstische machten, um den unschuldigen Einklang mit
Clärchens Discante theuer genug zu büßen! Um aller Heiligen
und aller Götter willen! was willst du mit diesem Cabinetsstücke
anfangen? sagte ich heimlich zu mir selbst, als ich die Summe aufzählte.
Nie hat wohl der Neid, der, als ich das Sammetkästchen in Empfang
nahm, aus den Blicken derer hervor brach, die vor mir darauf geboten hatten,
sich gröber versehen, als dießmal. Denn ungeachtet alle Umstehende,
bey denen ich mit meinem Heiligthume vorbey ging, mich anlächelten
und die Hüte abzogen; so hätte ich doch so unbefangen seyn müssen,
als der Esel in der Fabel, der das Bild der Diana trug, wenn ich mir diese
Ehrenbezeigung hätte zueignen wollen. Ich kam mir im Gegentheil in
diesem Augenblicke überaus albern vor, und hätte nimmermehr vermuthet,
daß mich diese mißlichen Umstände doch noch am Ende auf
einen so klugen Einfall leiten würden, als ich eben faßte, wie
mit der letzten Nummer eine Feder aus dem linken Flügel des Würgengels
verkauft, die Versteigerung geendigt, die Versammlung im Aufbruch, und
jedes nur darauf bedacht war, das erste auf der Gasse zu seyn.
Wenn ich prahlen wollte, Eduard, so könnte
ich es dir als einen Zug meines erfindungsreichen Genies angeben, daß
ich in diesem Tumulte den wichtigen Vortheil zu ergreifen wußte,
den mir doch vermuthlich nur die Gelegenheit darbot. Ich übersah
mit einem geschwinden Blicke, was hier für mich zu thun sey, studirte
jeden meiner Schritte, den ich vor= oder seitwärts that, und leitete
das Volk so geschickt, daß es nothwendig, beym Austritte aus dem
Saale, mich und Clärchen in einen so verengten Zirkel zusammen brachte,
daß sie heilfroh seyn mußte, auf einen hülfreichen Arm
zu treffen, um den sie ihre zarte Hand schlingen, und nun hoffen konnte,
sich, ohne erdrückt zu werden, aus diesem unbändigen Gedränge
zu ziehen. Mächtiger Zufall! mein Verstand wirft sich hier nochmahls
in Staub vor dir nieder, und erkennt dich als seinen Herrn und Wohlthäter.
Ich wäre der heiligen Atmosphäre,
die mich umgab, wäre des Dankes des Engels nicht werth gewesen, wenn
ich den einzigen Augenblick, in welchem so viel für die Folge lag,
ungenutzt hätte verstreichen lassen. Meine vortreffliche Nachbarin,
flüsterte ich ihr zu, indem wir uns auf dem Vorsaale so lange in ein
Fenster zurück zogen, bis sich das Volk würde vertheilt haben,
das die Treppe verstopft hielt, es war wohl unartig, daß ich Sie
überbot; ich hoffe aber, meine gute Absicht soll mich bey Ihnen entschuldigen.
Sie können wohl denken, daß, so kostbar auch das Strumpfband
seyn mag, das mir das Glück verschaffte, es doch für mich nur
dann einen Werth haben kann, wenn ich es wieder an eine Person bringe,
die es zu tragen verdient. Ein glückliches Ungefähr hat mich
zu Ihrem Nachbar aber Ihre Verdienste, liebes Clärchen, haben mich
auch zu Ihrem eifrigsten Bewunderer gemacht. Ich dachte an Sie, theuerste
Freundin, ich erblickte Sie in dem Augenblicke, als Sie auf dieses Kleinod
boten, und es ward mir unmöglich, nicht nach einer Sache zu ringen,
die Ihnen lieb war, um sie Ihnen als einen Beweis meiner Hochachtung auszuliefern.
Ich wünschte nur, daß sie dadurch in Ihren Augen noch einigen
Werth mehr bekäme. In dieser Rücksicht Hier stockte ich ein
wenig, und ihre großen Augen schienen zu fragen, wo das hinaus wollte?
hätte ich eben so gern mein ganzes Vermögen, als einen armseligen
Theil davon daran gewendet. Ich empfahl mich der heiligen Concordia, meiner
Beschützerin und, wie Sie gesehen haben, nicht ohne eine recht auffallende
Wirkung: sie verstopfte allen andern Liebhabern den Mund, selbst Ihre frommen
Lippen, liebenswürdiges Mädchen, und verschaffte mir diese kostbare
Reliquie für diesen unbegreiflich geringen Preis. Clärchen erröthete
von Secunde zu Secunde immer mehr, ohne mich zu unterbrechen Um Ihnen
indeß führ ich traulicher fort auch die kleinste Bedenklichkeit
zu ersparen, ein Kleinod für Sie zwar von unendlichem, für mich
aber nur relativem Werth anzunehmen so erlauben Sie mir, meine schöne
Nachbarin, es Ihnen nicht als Geschenk, sondern gegen einen Tausch anzutragen.
Sie erröthete noch mehr, und ihr Stillschweigen gab mir Muth, weiter
zu reden Wenn ich, fuhr ich fort, das Vergnügen haben kann, Ihnen
morgen früh = = = O wie dankte ich hier dem ehrlichen Kirchner, der
mich so genau von den Festen der alten Tante unterrichtet hatte! aufzuwarten
= = = gewiß, theuerstes Clärchen, ein ähnliches Band, das
mir alsdann Ihre Güte erlauben wird dagegen einzutauschen, soll meinem
Herzen tausendmal werther seyn, als jenes.
Jetzt erwachte der Stolz der kleinen Heiligen.
Es ist nicht großmüthig von Ihnen, mein Herr, gurgelte sie
mit sanfter Stimme hervor, daß Sie die Verlegenheit, in die mich
dieß Volksgedränge versetzt, noch vermehren. Sie erlauben sich
eine Sprache, die mir um nur wenig zu sagen ganz fremd ist. Sie müssen
wissen, mein Herr, daß ich von meiner Tante abhange, und keine Besuche
anzunehmen habe; und Ihr angebotner Tausch, mein Herr, = = =
Setzt doch gewiß, fiel ich ihr geschwind
ins Wort keinen Betrug voraus. Wie könnte er wohl überlegen
Sie es selbst, bestes Clärchen bey einem Heiligthum, so einzig in
seiner
Art, Statt finden?
Ich schwieg, als ob ich ihr Zeit zur Ueberlegung
lassen wollte Sie brüstete sich ein wenig und: Ihre Auslage"
fuhr sie jetzt mit einer Stimme fort, die mir nur zu gut verrieht, wie
viel ihr an dem Besitze dieses Bandes gelegen seyn mochte ,, würde
Ihnen meine Tante gewiß gern ersetzen, wenn Sie geneigt sollten
= = =
Clärchen! unterbrach ich sie, mit angenommenem
Erstaunen Mir? sagen Sie das? Doch ich entschuldige Sie Sie kennen
mich noch nicht aber der Erfolg wird es zeigen, wie unrecht sie thaten,
ein Unterpfand des Himmels gegen eine irdische Kleinigkeit, um die Sie
ein Freund bittet, auf´s Spiel zu setzen. Entweder meine liebe,
bedenkliche Freundin, erlauben Sie mir, daß ich meine gute Absicht
ausführe, und Ihnen das Band, das einst den linken Fuß der hochgelobten
Jungfrau umschloß, längstens morgen, an demselben Orte befestige,
wo sie es trug; oder ich schwöre, daß, wie ich nach Hause komme,
ohne auf die achtzehnhundert Jahre zu achten, die das ehrwürdige Band
überlebt hat, ich es dem Feuer meines Camins übergebe, und Ihnen
den Frevel zuschiebe, der dadurch begangen wird.
O Eduard! Wie erschreckte ich nicht das arme
Kind durch meinen Schwur, und durch den entschlossenen Ton, mit dem ich
ihn ausstieß! Sie erblaßte, schlug die Augen staunend empor,
und drückte ihre gefalteten Hände an ihre Brust Nun denn,
rief sie endlich in einer kleinen angenehmen Begeisterung bin ich, heiligste
Mutter, von dir ausersehen, diesen deinen Nachlaß aus dem Feuer zu
retten so folge ich in Demuth so geschehe dein Wille! Eine einzige
Bitte nur, mein Herr! bewilligen Sie mir nur noch den Aufschub eines Tages!
Und warum das, meine Beste? fragte ich.
Weil Sie nicht verlangen werden, versetzte
sie mit gesenktem Blick, daß ich Ihren Besuch in Abwesenheit meiner
Tante annehme; und diese ist morgen durch ein Fest gebunden und den größten
Theil des Tages in der Kirche.
Wie, mein liebes frommes Clärchen? erwiederte
ich etwas spöttelnd: Liegt Ihnen der baldige Besitz dieses Heiligthums
so wenig am Herzen, daß Sie ihn über eine armselige Bedenklichkeit
aufschieben mögen? oder glauben Sie weniger dadurch begünstigt
zu seyn, wenn es nicht auch andere wissen? Und wollen Sie muthwillig den
Samen des Neids in den Busen einer Freundin ausstreuen? Denn ach! Ihre
gute Tante müßte nicht so fromm seyn als sie ist, wenn sie einer
andern als sich selbst diese so einzige Reliquie gönnen sollte, da
wohl selbst Klöster und Kirchen um weit geringere in Hader und Streit
liegen? Ich berufe mich auf Sie selbst, liebes Clärchen! Mit was für
einer Empfindung würden Sie es ansehen, wenn ich mit diesem unschätzbaren
Bande den Fuß Ihrer würdigen Tante schmückte? Nein, meine
Beste! Es sey fern von mir, durch meinen wohlgemeinten Tausch zwo so gute
Seelen zu entzweyen! Zudem gehe ich übermorgen nach Vauclüse;
und sollten Sie beharren, den Tag von Sich zu weisen, den ich Ihnen geben
kann: nun, so weisen Sie zugleich das Geschenk auf immer von Sich, das
Ihnen die gebenedeyte Jungfrau durch mich zudachte, und ich schwöre
nochmals = = =
Hier streckte sie ihre Hände bittend nach
mir und ihr Gesicht und ihre Stimme wurden ganz feyerlich. So sey
es denn wenn Sie nicht anders wollen, mein Herr! Aber bey der heiligen
Concordia beschwöre ich Sie! heben Sie, bis zu unserer Vertauschung,
dieses himmlische Pfand mit der Sorgfalt auf, die es verdient!
O, das verspreche ich Ihnen Clärchen:
konnte ich noch so ziemlich ernstlich heraus bringen, und hätte gern
aus ihrer Ermahnung mehr geschlossen, als, nach der Wichtigkeit ihrer Miene
zu urtheilen, wirklich darin lag. Indeß freute es mich schon, daß
mich das liebe Mädchen für einen Günstling jener großen
Heiligen zu halten schien, mit der mich der gelehrte Kirchner, mittels
eines Doppelducatens in so angenehme Bekanntschaft brachte, und freute
mich unendlich, daß schon der erste Versuch meiner aus dem Tractate
de probalitate
geschöpften Beredsamkeit, selbst über meine Erwartung, so guten
Eingang gefunden hatte.
Ich führte nun, da ich die Treppe frey
sah, voller Zufriedenheit mit dem Gegenwärtigen, und voller süßen
Ahndung für das Künftige, die schöne Heilige hinunter, mit
der ich in einer glücklichen Viertelstunde um vieles bekannter geworden
war, als es der scharfsichtige Herr Fetz hoffentlich in seinem Leben nicht
werden soll.
Ehe wir auf die Gasse traten, erinnerte sie
mich freundlich, daß man nicht gewohnt sey, sie von irgend einem
andern Herrn, als ihrem Gewissensrathe, begleitet zu sehen. Es war eine
bittere Erwähnung. Indeß ließ ich sogleich ehrerbietig
ihre Hand fähren, und nahm sogar einen ziemlichen Umweg, um ihr Zeit
zu lassen, mit ihren unbegreiflich kleinen Schritten vor mir zu Hause einzutreffen.
Mich erwartete eine Aalpastete, ein rothes
Feldhuhn und die schönste Wintermelone; aber hätte mich auch
das Gastmahl des Lügners erwartet, so wäre doch meine
Neugier, die mich nach dem Sammetkästchen zog, stärker gewesen
als meine Eßlust. Ich öffnete es mit eben so viel Behutsamkeit
als Begierde, und ging nun meine Beute auf das genaueste durch. Aber
wie schoß mir das Blatt, als ich nach einer flüchtigen Bewunderung
des heiligen Strumpfbandes, den päpstlichen Ablaßbrief überlas!
Ich sah zu meiner Beschämung und Aergerniß, wie gar sehr ich
mich durch meinen Vertrag mit Clärchen übereilt hatte. Ja, lieber
Eduard! die Urkundes des heiligen Vaters wäre für einen Liebhaber
für einen König unsern jetzigen nur nicht, Tonnen Goldes
werth. Es ist unmöglich, daß unter so geringen Bedingungen,
als ich aus Unwissenheit eingegangen bin, mein Tausch=Contract bestehen
kann. Die ersten drey Punkte dieses geistlichen Frey=Passes müssen
schon jedes unparteyische Gericht davon überzeugen. Und der siebende
Punkt vollends! Nein, mein gutes Clärchen, du wirst den Preis gewaltig
erhöhen müssen, wenn ich dich in den Besitz einer Reliquie setzen
soll, an der so herrliche Indulgenzen haften.
Es ist mir recht lieb, daß ich schon
einige Bekanntschaft mit den großen Casuisten in meinem Cabinette
gemacht habe. Im Falle mich ja meine erhöhte Forderung mit Clärchen
in Streit verwickeln sollte, werden sie hoffentlich alle auf meine Seite
treten, und zu meinem Vortheile entscheiden. Kannst du es mir wohl in diesen
Umständen verdenken, lieber Eduard, daß ich heute die Unterhaltung
mit diesen in meinem Prozesse so wichtigen Männern der deinigen vorziehe?
Wenn ich ihn gewonnen habe, so will ich gern desto länger zu deinen
Diensten seyn.
Ende des dritten Theils.
* * *
Leipzig,
gedruckt bey Christian Friedrich Solbrig. |