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Moritz August von Thümmel:
Reise in die mittäglichen
Provinzen von Frankreich ...
Vierter Theil.  1794


Avignon.


Den fünften Januar.

Das Fest des heiligen Einsiedlers Simeon Stylita ist erlebt, und schon spielen seine Glocken in der schönsten Harmonie. Mit herzlichem Mitleid verfolge ich aus meinem Fenster jeden schwerfälligen Trupp der Unglücklichen, die, von Gicht, Schwindsucht, und Entkräftung gebeugt, dennoch in ihren verzerrten Gesichtern Hoffnung der Besserung und Glauben an ihren Wunderthäter tragen, dessen Altare sich ihr Schneckenzug nähert. Nie habe ich so viele Krücken beysammen gesehen. Einige darunter, von fremdem, glänzendem Holze, mit Elfenbein und Perlenmutter ausgelegt, zeugen von dem hohen Stande ihrer Besitzer und von dem Luxus unsres Jahrhunderts. Dennoch wünschte ich, daß der prächtige Zug schon vorbey, und die alte überlästige Tante aus dem Hause wäre, die sich, Gott verzeihe ihr diese Sünde! wahrscheinlich noch nicht in dem Grade niedergedrückt fühlt, um sich in diesem ausgedienten Vortrabe mit auf der Gasse zu zeigen. Mein Herz ist voll von gegen einander laufenden Empfindungen. Meine Jugend, die ungeduldig nach Genusse hinter der Scheidewand schmachtet, erblickt, indem ich an das Fenster trete, das furchtbare Beyspiel verschwendeter Kräfte öffentlich zur Schau gestellt. O möge nie Sancta Concordia zulassen, daß ihr treuster Verehrer der Hülfe eines so einfältigen Heiligen benöthigen werde, als mir in diesem Augenblicke Simeon Stylita mit seinen Nachtretern vorkömmt. Doch ich höre — freue dich mit mir Eduard! — die alte Tante aufbrechen — Jetzt — steigt sie die Treppe hinab; jetzt verschließt sie das Haus; und nun sehe ich sie auch schon über die Gasse hinken. Aber warum pocht mir das Herz? Von so guten Sachwaltern unterstützt — mit so herrlichen Documenten versehen — was kann ich fürchten? Muß mein Prozeß mit Clärchen nicht den besten Ausgang gewinnen? Und doch — unbegreiflich! — bin ich muthlos, wie einer der seinen Rechten nicht traut, wie einer der sich noch nicht ganz in den Sinn seiner Consulenten einstudiert hat. Doch wie mag ich meine Zeit so verplaudern, da Clärchen wartet?

     Indem ich vor drey Stunden, meine schwarzes Sammetkästchen in der Hand, das kleine artige Zimmer des lieben Kindes zum erstenmale betrat, kam sie mir mit einer Miene entgegen, die aus Ernst, Freude und Bescheidenheit zusammen gesetzt schien. Wie leicht läßt es sich mit so einem Mädchen sprechen! Ihr Herz, das so hell auf ihrer Physiognomie wiederscheint — wie schön erklärt es nicht das conventionelle Dunkel ihrer Rede! Einem erfahrenen Manne, der solche Dolmetscher gegen über hat, kann keine Verhandlung, sie sey noch so verwickelt, zu schwer fallen.

     Ich nahm, wie billig das erste Wort, das in Verhältnissen, wie die unsrigen, immer so drückend ist. „Meine liebe Nachbarin,“ hub ich an, „ich stelle mich Ihnen zwar als ein ehrlicher Mann; aber urtheilen Sie selbst, bestes Clärchen, von meiner Verlegenheit, da ich mit der Erklärung voraustreten muß, daß unser Handel, in der Maße, wie ich ihn gestern abschloß, unmöglich bestehen kann.“ — Sie machte gewaltig große Augen bey diesen Worten, die sie unter allen wohl am wenigsten erwartete. Der Ernst ihres Gesichtchens nahm zu, die Freude nahm ab, und die Bescheidenheit wußte nicht woran sie war. — „Hören Sie mir nur einige geduldige Augenblicke zu,“ antwortete ich ihrer Miene: „Das Stumpfband der Maria, wie wir es einstweilen so benennen wollen, müßte zwar nach den freywilligen Bedingungen, denen ich mich gestern unterwarf, Ihnen, bestes Kind, nach allen Rechten gehören, wenn es nur möglich wäre, diese kostbare Reliquie von dem Ablasse zu trennen, den weiland Papst Alexander der Sechste an den Besitz dieses Kleinods gebunden hat. Ich war in Unwissenheit, als ich den Tausch Ihnen antrug, hatte das wichtige Document nicht gesehen — nicht gelesen, konnte mir nicht vorstellen, daß es Dinge enthielte, die mich, wenn ich den Vertrag erfüllte, weit unter die Hälfte verletzen würden; ein Umstand der alle Verträge in der Welt aufhebt.“ — Ich bemerkte, während des Eingangs meiner pathetischen Erklärung, mit geheimen Vergnügen, wie sich alles nach und nach aus den Mienen des guten Kindes entfernte, was mich in der Fortsetzung hätte scheu machen können. Statt aller Einwendungen, oder statt der, mir am meisten furchtbaren Gegenerklärung, daß sonach jeder Theil sein Eigenthum behalten solle, wußte sie nur die kurze neugierige Frage heraus zu stottern: Wie denn in einem so veralteten Briefe Punkte von solcher Wichtigkeit für micht enthalten sein könnten, die — ? Hier hielt sie inne; aber ihr unruhiges Auge sagte mir zur Genüge das übrige, und ich fuhr schon viel gefaßter fort: „Ja wohl, meine Theuerste, sind sie von solcher Wichtigkeit, daß ich mich des größten Leichtsinns schuldig machen würde, wenn ich mich darüber wegsetzen wollte — sie sind wahrlich von so einem Gehalte, daß der Engel selbst, dem ich doch schwach genug bin alle Anwartschaften der Zukunft gegen einen gegenwärtigen billigen Ersatz anzubieten, kaum im Stande ist, die Erwartungen zu vergüten, zu denen mich dieses Document berechtigt. Doch, Clärchen, Sie sollen erst das heilige Band sehen, dem so große Vorrechte ankleben.“ — Und hiermit zog ich es aus seiner Hülle, und legte es in die weißen Hände der kleinen Heiligen. Sie besah es lange mit ehrfurchtsvollem Stillschweigen, während ich das Pergament des Ablaßbriefs behutsam aus einander schlug. Und als sie sich endlich seufzend vor der Reliquie trennte, deren Besitz ihr noch nicht verstattet war, und willig und bereit schien, meine weitere Rechtfertigung und die neuen Vergleichsvorschläge anzuhören, rückte ich ihr einen Stuhl an den Tisch, den meine ausgebreitete Urkunde beynahe zur Hälfte bedeckte, setzte mich ihr zur Seite, und erleichterte ihr, kraft meiner Vorkenntnisse, die geschwinde Uebersicht und die Untersuchung meiner Beweise. — „Hier sehen Sie zuerst, liebenswürdige Clara, die eigenhändige Unterschrift des großen Papstes, die vollkommen mit dem an die Gräfin Banotia *) gerichteten Breve
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*) Die öffentliche Buhlerin Alexanders des Sechsten, und Mutter des Cäsar Borgia, seines Sohnes.
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übereintrifft, mittels dessen er dieser seiner Busenfreundin das geweihete Band überschickt. Sehen Sie, wie gut das große Siegel unter dem Ablaßbriefe, so wie der Abdruck des Fischerrings auf dem Umschlag der Breve, erhalten ist? Ein klarer Beweis, welchen Werth alle vorher gehenden Besitzer dieser wichtigen Schriften, bis auf den Tag, wo das sonderbarste Glück sie in meine Hände gebracht hat, darauf gesetzt haben. Und nun lassen Sie uns den Inhalt der päpstlichen Bulle selbst durchgehen. Die flüchtigste Uebersicht wird schon hinlänglich seyn, Sie von der Billigkeit meiner erhöhten Forderung zu überzeugen. Den ersten Punkt überschlagen wir, da er bloß die eigenen Verhältnisse der seligen Gräfin betrifft, die mit ihrem Tode aufhörten. Der zweyte Satz enthält die Entsündigung eines Falls, der uns beyde nichts angeht, das Sie, meine Beste, wie ich glaube, so wenig Brüder und Söhne haben, als ich Schwestern und Töchter. Von der Erlaubniß des dritten und vierten Punkts, hoffe ich, wollen wir auch nie in die Verlegenheit kommen Gebrauch zu machen; denn es ist doch wahrlich kein Zufall wahrscheinlich, der uns auf eine wüste Insel verschlagen könnte. Ich überhüpfe auch diesen und diesen Abschnitt, die mir beyde, so wiederholt ich sie überlesen, doch immer noch über meine Erfahrung und meinen Verstand gehen, und eile zu dem desto deutlichern Inhalte des siebenten Paragraphs, an welchem ich für meine Person dießmal genug habe. Er beweißt klar für mich, entschuldigt mich hinlänglich, und giebt Ihnen, in dem Falle, den der heilige Vater auf das genaueste bestimmt, zugleich mit dem zärtlichsten Wunsche meines Herzens, die einzige Bedingung zu erkennen, unter der ich meinen gestrigen Tauschhandel noch zu erfüllen bereit bin.“

§. 7.

   Mulierem aut virginem, quae tempore, quo hanc ligaturam cruralem sanctissimam portat, cum bruto, monacho aut haeretico, peccatum quodcunque carnale committit, eo ipso et auctoritate nostra Papali, inculpabilem declaramus, absolvimus et in integrum restituimus.

     Ich hielt nicht für nöthig, diese kützliche Stelle meiner schönen Freundin zu übersetzen, da nach der guten Erziehung, die hier auch das andere Geschlecht erhält, die meisten jungen Frauenzimmer, oft vor dem zehnten Jahre, im Stande seyn sollen, das elegante Latein päpstlicher Bullen zu verstehen. Ich glaube es auch zur Genüge an Clärchens verfärbten Wangen wahrzunehmen, daß sie den Gedanken des heiligen Vaters vollkommen faßte; ob sie mir gleich durch ein paar Worte, die noch dazu unterweges verunglückten, das allzu große Zutrauen benehmen wollte, das ich in ihre Kenntnisse zu setzen schien. — „Sie werden nun gern zugeben, schöne Clara,“ fuhr ich in dieser vielleicht zu freygebigen Voraussetzung fort, indem ich meinen Zeigefinger auf dem haeretico meines Paragraphs stehen ließ, „daß ich es gegen mich und meine Nachkommen nie verantworten könnte, wenn ich diese bestimmte Erklärung des heiligen Vaters, mit blindem Undanke gegen die Wohlthaten die sie mich hoffen läßt, so schnöde verachten wollte, um nicht entweder in Rom selbst unter dem Glanze seines ehemaligen Throns, oder doch in einer andern seiner geistlichen Gewalt untergebenen Städten und Ländern, eine der Schönsten Ihres Geschlechts aufzusuchen, die zugleich fromm genug wäre, für diese ligatura curalis der Gebenedeyten großmüthig eine Indulgenz mit mir zu theilen; und noch dazu eine, die von allen, die er diesem heiligen Bande verlieht, die kleineste ist — Es müßte denn seyn,“ fuhr ich nach einer kurzen Pause fort, „daß Sie selbst zur Gewinnung dieses Ablasses Sich geneigt fühlten. Sie haben das Vorrecht; nutzen Sie es, meine schöne Nachbarin, und diese vorzüglich dotirte Reliquie kann in einer Stunde Ihr Eigenthum seyn. Ach liebe Kleine!“ indem ich einmal über das andere ihre zitternde Hand küßte, „könnten Sie begreifen, wie mich dieser siebente Paragraph begeistert, Sie würden — ach! gewiß Sie würden mir keine Zeit lassen, mein Anerbieten mit kaltem Blute zu überlegen.“ — „Mein Herr,“ fiel mir das gute Kind mit weinerlicher Stimme ins Wort, „lassen Sie doch, ich bitte Sie, meine Empfindungen auch für etwas gelten! Der Fall ist zu verwickelt — Ihre Forderungen sind mir noch gar nicht deutlich; aber gewiß sind sie zu ungestüm um gleichgültig zu seyn, — ach! und ich fürchte mich zu sehr vor Uebereilung. Vergönnen Sie mir Bedenkzeit — nur bis auf übermorgen, an dem Namenstage meiner Tante, wo ich wieder, wie heute, mir selbst überlassen seyn werde. Sie wissen nicht, was mein Gewissensrath für schwere Interdicte auf mich gelegt hat! Sie wissen nicht, mein Herr,“ (o ja ich wußte es noch von ihrer Tante her, als sie mir die Thür wies,) „unter welchen mächtigen Zeichen ich stehe! Nein, wahrlich, die Veranlassung mag noch so löblich seyn — ich darf mich ohne Vorwissen Ihro Hochwürden zu gar nichts verstehen.“

     Hier trat nun der Fall ein, lieber Eduard, meinen Sachwaltern Ehre zu machen. Ich that es mit der feurigsten Beredsamkeit, die mir bey einer halben Stunde die Aufmerksamkeit meiner Freundin zuzog. Ich sah jede Minute deutlicher, wie mächtig die Salbung eines Casuisten auf das Herz einer Heiligen wirkt; und nachdem ich sie von den Vorrechten der päpstlichen Schlüssel, von der überwiegenden Gewalt des Papstes gegen alle heiligen und heimlichen Künste subalterner Geistlichen, und besonders durch meine herzhaften und liebevollen Augen überzeugt hatte, daß ich in allem, was zu der großen Wirthschaft der Natur gehört, an keinen mystischen Widerstand glaube, so ward es mir immer wahrscheinlicher, daß eine noch nähere Ursache, als ein Gewissenszweifel, da seyn müsse, die das gute Kind nöthigen konnte, so hartnäckig auf ihrer Bedenkzeit stehen zu bleiben. Sie zog während meiner Rede das Sammetkästchen einigemal vor sich, und betrachtete das heilige Band, als ob sie sich nicht satt daran sehen könne, und schob es immer mit einem neuen Seufzer von sich. Ich hätte mit kindischen und weiblichen Gelüsten sehr unbekannt seyn müssen, wenn ich nicht daraus geschlossen hätte, was zu schließen war; und noch weniger müßte ich meine eigenen verstanden haben, wenn ich nicht den ihrigen in so weit zu Hülfe gekommen wäre, als es die Umstände erlaubten. Wie sie also zum drittenmale nach dem Schatzkästchen griff, legte ich mich großmüthig ins Mittel: „Wissen Sie was, Clärchen,“ sagte ich mit dem Tone der Gefälligkeit: „da ich sehe wie schwer es Ihnen ankommen würde, Sich von der heiligen ligatura zu trennen, so will ich Ihnen den Gebrauch derselben, jedoch mit Vorbehalt meines Eigenthums, bis auf den Entscheidungstag überlassen. Es wird alsdann von Ihnen immer noch abhängen, den einstweiligen Tausch zu bestätigen oder aufzuheben. Wissen Sie doch die Bedingungen.“

     Sie schien zwar sehr gerührt über mein Zutrauen, doch selbst bey der sichtbaren Freude, die ihr mein Anerbieten verursachte, zeigte das kluge Mädchen eine Behutsamkeit, die mich sonderbar überraschte, und mich zu einem Exegeten machte, wie es nur einen giebt. — „Warum,“ fragte Sie ernsthaft, „warum, mein Herr, vermeiden Sie doch dieser heiligen Reliquie ihren rechten Namen zu geben? Ist es nicht das Strumpfband der Madonna? la jaretiere de Marie — Warum bleiben Sie nicht bey dem französischen Ausdrucke?“ — Zu einer andern Zeit, du traust es mir wohl zu, Eduard, würde ich es nicht der Mühe werth geachtet haben, nur ein Wort über die richtige Benennung dieses Cabinetsstücks zu verlieren. Jetzt aber — da mich der Einwurf der schönen Clara aufmerksam auf die Folgen machte, welche die eine oder die andere Bedeutung herbey führen würde — jetzt, da mir die Rechte einer ligaturae cruralis weit wichtiger vorkamen, und mich wenigstens um einige Zoll weiter zu bringen versprachen, als die eines französischen Strumpfbands, jetzt kam alles darauf an, meinen gebrauchten Ausdruck gegen die kleine Wortkrämerin zu vertheidigen. — „Liebe Freundin,“ antwortete ich ihr mit einer viel sagenden Miene: „dem äußern Ansehn nach, sollte man freylich diese heilige Reliquie nur für ein Strumpfband halten. Sie haben noch überdieß die Angabe des Ausrufers für Sich. Nun ist zwar der Mann, dem Sie in einer so wichtigen Sache Glauben beymessen, wohl nichts mehr als ein unwissender Miethling, der die Grundsprachen nicht versteht, und dem eine richtige Erklärung der fremden Waare, die er ausbietet, ganz einerley ist, wenn er sie nur an den Mann bringt, und seine Procente davon zieht; doch hier ist er billig eher zu entschuldigen, als Ihre schwankende, flüchtige Sprache. Es war nicht seine Schuld, daß er in derselben kein anderes als das Wort jaretiere finden konnte, wovon auch die besten Ausleger eingestehen müssen, daß es den zwiefachen Sinn — sowohl eines Bandes hat, das um den Strumpf — als eines, das, wie das vorliegende, um das Knie gebunden wird.“ — „Um das Knie?“ fiel mir Clärchen hier hastig in die Rede. „Aus was für Gründen können Sie das behaupten?“ — „Wenn es Noth hätte, sollte es mir sehr leicht seyn,“ antwortete ich ernsthaft, „der Stellen eine Menge aus dem Talmud beyzubringen, die Ihnen diese Gewohnheit bewiesen; ja, hätten wir Zeit, so könnten Sie selbst — es sind ja Jüdinnen genug in der Stadt — darüber bey ihnen nachfragen lassen: aber zum Glück können wir aller dieser Weitläufigkeiten entbehren, da die klaren Worte des Textes vor uns liegen. Der heilige Vater nennt das Band nicht umsonst ligaturam cruralem, das nur mit jaretiere crurale übersetzt werden darf, um den Sinn ganz zu umfassen. Die siebenzig Dolmetscher konnten es nicht wörtlicher ausdrücken; und in heiligen Dingen,“ setzte ich mit einem Seufzer hinzu, „ist es immer das Sicherste sich an den Buchstaben zu halten. Uebrigens seyn Sie ganz unbesorgt, liebes Clärchen! Es kommt dermalen nicht auf das Maß Ihrer Strümpfe — die Sie künftig verlängern können, wenn wir Handels einig sind, sondern es kommt auf die Gegend an, die ich die Ehre haben werde Ihnen zu zeigen, wohin eigentlich das Band, nach seiner ersten Bestimmung, und nach den Gebräuchen des Morgenlandes, gehört, denen allein die Mutter Gottes, während ihrer Wallfahrt auf Erden, gefolgt ist. Es war meine Schuldigkeit, liebes Clärchen,“ endigte ich, „Sie erst mit dem Kleinode, das ich Ihnen anbiete, auf das genaueste bekannt zu machen, damit kein Mißverständniß bey der Auswechslung vorfalle; denn so gern ich Ihnen auch in gleichgültigen Dingen zu Gefallen lebe, und so zufällig ich auch zum Dienste dieses Heiligthums berufen seyn mag, so kann ich doch nun auf keine Weise zugeben, daß Sie es für das halten, was es Ihren leiblichen Augen scheint — für ein Strumpfband, oder daß Sie glauben, es bedeute nur einen Kniegürtel, da ich in meinem Gewissen überzeugt bin, und mich darauf todtschlagen lasse, daß es einer ist

     Meine Rede machte, entweder durch ihren langweiligen Gang, oder durch ihre Wahrheit, den Eindruck, den ich wünschte. Meine schöne Schülerin schien beruhigt, und indem sie sich auf dem Sopha zurecht setzte, versprach sie, um auch mich zu beruhigen, mit feyerlichem Ernste, mir das Kleinod, das ich ihr auf einige Zeit anvertrauen wollte, ohne allen Schaden wieder zu überliefern, wofern wir nicht Handels eins würden. Gutes Clärchen! dachte ich bey mir selbst, das ist das letzte, was ich fürchte. — was denkst Du davon, Eduard! Wird ihr nicht die süße Schwärmerey ihrer Seele jeden noch so bedenklichen Schritt erleichtern? Wird sie nicht, wie jeder Enthusiast, so bald sie das Band an sich fühlt, zugleich auch wirklich den wohlthätigen Einfluß empfinden, auf den ihr Glaube hofft? — stolzer einhertreten, ruhiger in die Welt und verächtlicher auf ihre Mitgeschöpfe blicken, und in immer süßen Träumen wachen und schlafen? Ja, du kannst, sprach ich mir muthig und hoffnungsvoll zu, deine Forderungen noch so hoch spannen, sie wird für diesen mystischen Gürtel alles andere ohne Reue verschwenden, wovon sie Herr ist.

     Während dieser meiner psychologischen Betrachtung hatte Clärchen den rechten Fuß, der nicht mit in den Vertrag geschlossen war, gerade vor sich auf den Sopha gelegt, als ob er, wie die Hand des Gerechten, nicht wissen sollte, was die Linke thäte — Und —

     Und voller Güte streckte sie
Den auserwählten Fuß bis an das weiße Knie,
Und sah, erröthend, mich bey meiner Arbeit lauschen.
Mit zitternder, verwöhnter Hand
Löst´ ich das eingetauschte Band
Voll Scham, so wenig einzutauschen. —
Ach, daß ich´s eher nicht bedacht!
Was hätt´ ich nicht mit einer Thräne
Der heiligen, erfahrnen Magdalene
Für einen guten Kauf gemacht!
 

* * *


     Der richtigen Erklärung des Grundtextes allein hatte ich es zu verdanken, daß meine Augen sich nicht bloß mit der herrlichen Form des Fußes begnügen mußten, der, mit einem weißseidenen Strumpfe bedeckt, mir in der Hand lag. Nein, Eduard, ich gewann, kraft meiner Exegese, auch noch den Anblick einer guten Spanne der blendensten Haut, wie sie wohl selten ein Schriftgelehrter zu sehen bekommt. Welche Entdeckungen der Sinnlichkeit versprach mir nicht diese kleine Probe der unverhüllten Natur, so bald ich nur die heiligen drey Könige hinter mir haben würde, die mir verzweifelt langsam zu reisen schienen. Die Lust des Anschauens fesselte mich so sehr, daß ich — wer kann mir´s verdenken? — alle Kunstgriffe der Analyse und Polemik aufsuchte, um nur mein Wohlbehagen zu verlängern. — „Hier, schöne Clara,“ stotterte ich, indem ich bald dieser, bald jener Hand vergönnte, wechselweise den elastischen Fuß zu umspannen, damit keine bey der Spende eines süßen Gefühls zu kurz käme, „hier ist die Gegend, wie die besten Ausleger des Talmuds versichern, wo die Jungfrauen in Canaan und Judäa den Gürtel zu tragen pflegten, obgleich“ — meine Finger wagten sich noch über einen Zoll hinauf — „der gelehrte Ritter Michaelis behaupten will, daß es sehr die Frage sey, ob nicht nach dem samaritanischen Texte“ = = „Mein Herr,“ fiel mir hier Clärchen hastig in´s Wort, indem sie sich ein wenig höher setzte, „ich dächte, die jüdischen Gebräuche wären sehr albern, und Sie würden mir wirklich einen Gefallen thun, wenn Sie sich nicht weiter dabey aufhielten.“ — Dieser kurze, kalte Zuruf machte mich irre. Ich kam mit meine Beweisen in´s Stocken, verknüpfte den heiligen Gürtel so ungeschickt als möglich, und sah sogar vor Betäubung nicht eher, als bis die Auswechslung vorbey war, was für eine neues himmelblaues seidenes Band, mit einer großen Schleife, ich statt des verblichenen linnenen Fetzen der Reliquie eingetauscht hatte. Die kleine bräutliche Coketterie, die ich in der gesuchten Auswahl dieses schimmernden Bandes zu entdecken glaubte, schien mir von der besten Vorbedeutung. Ich wies mein prophetisches Herz, bis zu der nahen Erfüllung seiner ungestümen Wünsche, zur Ruhe, und dachte, wie ich mir vorstelle, daß sie zu einer Spielpartie um das Königreich Pohlen vereinigten Mächte gedacht haben, als sie die Scheidungslinie ihren leichten Gewinnes, vermuthlich in der kühnen Voraussetzung entwarfen, sie gelegentlich wohl noch zu erweitern, und nach und nach, erste diese, dann jene angränzende Starostey, oder diesen und jenen Paß in das offene Land an sich zu ziehen.

     Clärchen erlaubte mir, nachdem der Vorhang des ersten Akts gefallen war, noch über drey Stunden bey ihr zu bleiben. Das ist eine entsetzlich lange Erlaubniß, wirst du denken. Aber laß dir nicht bange seyn! Das Mädchen giebt so viel zu beobachten und zu enträthseln, daß, wenn ich dir die mannigfaltigen Blüthen ihrer Unterhaltung nur so frisch zubringen könnte, als sie mir in die Hände fielen, du wohl begreifen solltest, wie einem die Zeit in ihren Zirklen vergehen kann. Aber da liegt eben der Knoten! Es fällt der Feder nicht so leicht zu schwatzen, als der Zunge, die von hundert Kleinigkeiten unterstützt wird, welche auf dem Papier verschwinden. Das Spiel der Mienen, das den Fügungen der Worte besser zu Statten kommt als alle Regeln des Syntaxes, geht in der Beschreibung so gut wie verloren. Die Modulation eines wohl angebrachten Seufzerchens, das oft einem dunklen oder müßigen Ausdrucke erst den Verstand giebt — das Dehnen — das Verschlucken — das Steigen und Fallen der Stimme, ach! alle jene vielfältigen bedeutenden Schattierungen der Rede — wer ist vermögend, sie mit der Wirkung wieder zu geben, die sie nicht allein auf das Ohr, sondern öfter noch auf das Herz haben? Diese gewöhnlichen Schwierigkeiten, die allen Erzählern gemein sind, wie sehr würden sie mich erst zwängen und drängen, wenn ich es unternähme, den Dialog eines Mädchens zur Schau zu legen, das solche mitsprechenden Augen, solch ein beredtes Stillschweigen, solch ein bedeutendes Lächeln, und eine Art von Erröthung in ihrer Gewalt hat, die mir nirgends noch vorkam! Setze noch dazu, daß dieses Mädchen ein Kind auf der einen Seite — eine ausgebildete Heilige auf der andern — mit dem Gegenwärtigen nur halb zufrieden — über das Bevorstehende nicht einig mit sich selbst, und seit Minuten erst in dem erborgten Besitze eines Kleinods ist, das sie übermorgen bezahlen soll, ohne zu wissen woher? — und du müßtest blind seyn, um nicht einzusehen, daß sie nichts weiter zu entwickeln braucht, um es dem besten Erzähler unmöglich zu machen, so feinen Uebergängen des Geschwätzes und des Gefühls, als bey einer solchen Zusammensetzung von Charakter und Verhältnissen nothwendig vorkommen müssen, mit seiner Feder nachzutraben. Und doch muß ich, so schwer ich daran gehe, dir wenigstens ein Fragment unserer Unterhaltung mittheilen, weil es gar zu sonderbare Neuigkeiten über den weitern Fortgang meines Läsions=Prozesses mit dem Mädchen enthält, die du eben so wenig wirst geahndet haben als ich.

     Die Kleine saß, nachdem sich das erste Aufwallen ihrer Lebhaftigkeit gelegt hatte, jetzt desto ernster in sich gekehrt, bey einer Virtelstunde schon vor mir, und gönnte mir durchaus keinen andern Zeitvertreib, als im Stillen den Nüancen ihrer Empfindungen nachzuspüren, wie sie sich auch äußerlich zeigten. Aber auch das war, ich versichere dich, keine leichte Arbeit. Mitten in ihrem stolzen seligen Gefühl, worin sie über den vergönnten Gebrauch des heiligen Bandes verloren schien, färbte ein ungefährer Blick auf den, der es ihr umband, ihre Wangen mit dem brennendsten Roth, und drückte ihre Augen zur Erde. Sah ich nun gleich bald hinterher den tröstenden Gedanken nachsteigen, zu wessen Glorie sie ihre Bescheidenheit verläugnete, und ihr Knie den ungeweihten Blicken eines Ketzers Preis gab — und trat gleich nunmehr ein Anstand, wie man ihn selten sieht, in dem Verhältnisse bey ihr hervor, in welchem ihr aufbrausendes Blut allmählich sich setzte; so dauerte doch diese Ruhe nicht lange. Ihr süßes Lächeln, das schon auf dem Wege war, verflog wieder; der harmonische Laut, auf den sich meine beyden Ohren schon spitzten, erstarb vor meinen Augen auf ihren bebenden Lippen. Sie warf wilde Blicke, bald auf den lateinischen Brief, der zwischen uns lag, bald auf mich; und diese Ebbe und Fluth ihrer Empfindungen war so schnell, daß ich Mühe hatte, ihnen nachzukommen, und die geheime Ursache davon aufzufinden, die, als ich ihr am Ende mit meiner Untersuchung beykam, — solltest du es glauben, Eduard? — in nichts anderm als in dem Grausen vor den unbekannten Ceremonien bestand, unter welchen sie berufen seyn dürfte, den Namenstag ihrer geliebten Tante zu feyern. Da sie während dieses innern Tumultes, aus dem ich sie so gern gezogen hätte, zweymal schon ihren linken Fuß beynahe krampfartig bewegt hatte, so nahm ich beym drittenmale Gelegenheit, unser so lange unterbrochenes Gespräch wieder in Gang zu bringen. —

     „Sie zucken mit dem Fuße, liebes Clärchen:“ hub ich an, „ich habe Ihnen doch wohl nicht den heiligen Kniegürtel zu fest gebunden und Ihnen weh gethan?“ — „Nein,“ antwortete sie, nach ihrer unbefangenen Art: „Sie haben es so recht gut gemacht — Allenfalls wäre auch Rath dafür.“ — „Und wofür, Clärchen, wäre denn nicht Rath in der Welt?“ — „Meynen Sie?“ — „Außer für den Tod,“ fuhr ich lächelnd fort. — „Und außer für übermorgen,“ murmelte sie, doch laut genug daß ich es hören konnte, ward dabey roth, und hielt einen Augenblick ihre rechte Hand vor die Augen. — „Liebes Clärchen, das ist eine seltsame Verbindung von Ideen!“ — „O!“ dehnte sie „nicht so seltsam als es Ihnen vorkommt. Die Zumuthungen Ihres Geschlechts, habe ich immer gehört, gehen einem tugendhaften Mädchen bitterer ein als der Tod.“ — Diese letzten fünf Worte, Eduard, waren wie auf Noten gesetzt.“ — „Gewiß, liebe Kleine,“ antwortete ich traulich, „gewiß habe ich Ihnen den Gürtel zu fest gebunden.“ — „Woraus, ich bitte Sie, wollen Sie das schließen?“ — „Aus Ihrer kindischen Furcht vor übermorgen,“ sagte ich lächelnd. — „Nun, das gestehe ich, mein Herr, diese Ihre Ideenverbindung ist wohl seltsamer als die meinige; sie ist mir ganz räthselhaft.“ — „Kann wohl seyn, liebenswürdiges Kind; warum vermeiden wir, deutlich miteinander zu reden?“ — „Noch deutlicher, mein Herr? Ich dächte, hierüber hätten Sie Sich wenig vorzuwerfen.“ — „Und auch Sie nicht, Clärchen?“ — „Auch ich nicht, mein Herr. Ich habe Ihnen alle meine Zweifel entwickelt — aber wie wenig haben Sie darauf geachtet!“ — „Ich hätte nicht darauf geachtet? Kleine Schwätzerin! habe ich Sie denn nicht sogar völlig gehoben?“ — „O bey weitem nicht, mein Herr!“ — „Clärchen! Ich erstaune — Also wären alle meine Erklärungen in den Wind gesprochen gewesen? Sie fänden die himmlische Reliquie für den gemeinen Preis, den ich darauf setze, noch immer zu theuer? und bey der Menge von Indulgenzen, mit denen ich Sie, ohne daß ich groß thun will, bereichere, könnte es Ihnen noch einen Augenblick sauer ankommen, die kleinste davon mit mir zu theilen?“ — „Hören Sie mich an, mein Herr,“ unterbrach sie mich jetzt mit edlem Anstande: „Das Strumpfband der Gebenedeiten — ich gestehe es Ihnen unverholen — ist mir mehr als lieb; es ist mir unschätzbar, und ich weiß nicht, ob ich es überleben würde, wenn ich mich von ihm trennen sollte. Sie haben es, unter sehr bänglichen Minuten für ein sittsames Mädchen, zu einem Kniegürtel erklärt; auch das habe ich mir gefallen lassen: aber welche neue Demüthigung in aller Welt soll ich denn noch für das Band, oder den Gürtel der reinen Jungfrau bezahlen, die — ach, mein Herr! von keinem Manne gewußt hat? Sehen Sie, ich bin nur ein einfältiges, unschuldiges Kind — mit allem meinem Nachdenken bringe ich es doch in Ewigkeit nicht heraus, was Sie übermorgen etwan von mir erwarten — und das ängstigt mich eben.“ — „Wie, Clärchen?“ antwortete ich ganz betroffen: „Sieht es mit unserm Handel noch so weitläufig aus? Ist es denn, ich bitte Sie, der Kniegürtel der Madonna allein, den ich Ihnen anbiete? Gehören denn nicht auch die Freyheiten dazu, mit denen ihn Papst Alexander so großmüthig beschenkt hat? und haben Sie denn wirklich den siebenten Paragraph seines Ablaßbriefs so gar wenig verstanden?“ — „Auch nicht eine Sylbe davon, mein Herr,“ antwortete sie. „Ja, ich, und fremde Sprachen!“ — „Wenn es nur daran liegt, Clärchen, so soll es mir keine Mühe kosten, Ihnen den Inhalt in gutes Französisch zu übersetzen — Sie müßten denn lieber warten wollen, bis übermorgen, wo ich ihn in einem Dialekte vorzutragen hoffe, der aller Welt — den sinnlosen Bewohnern des Feuerlandes so gut als der klügsten und artigsten Europäerin — gleich verständlich und angenehm ist.“ — Sie stockte — „Werden Sie nur nicht ungehalten, mein Herr!“ nahm sie endlich mit einem scheuen und bittenden Blicke das Wort wieder: „aber darf ich wohl in Ihrer eigenen Sache mich auf Ihre Uebersetzung verlassen? Denken Sie Sich nur an meinen Platz! Ich zittere so leicht vor allem, woran ich nicht von Jugend auf gewöhnt bin. Zum Glücke habe ich mich immer in verwickelten Fällen an den Rath meiner Tante und meines Gewissensrathes halten können, die Vater= und Mutter=Stelle bey mir vertreten; und jetzt — in der bedenklichsten Lage meines Lebens vielleicht — soll ich mit treuloser Verwegenheit“ — das Wort gab mir einen Stich in´s Herz, Eduard, — „mich selbst um ihre Hülfe betrügen? soll hinter dem Rücken so erprobter Freunde — auf das Wort eines Fremden — mit mir schalten und walten, als ob ich ihrer Erfahrung nicht weiter bedürfe? Sagen Sie mir auf Ihr Gewissen, mein Herr, ob dieß redlich, ob dieß erlaubt sey? Habe ich nicht schon,“ fragte sie auf das beweglichste, „unrecht sehr unrecht gethan, daß ich den befeuerten Blicken eines jungen Herrn den ruhigen Ort Preis gab, wo in Canaan und Judäa — wie Sie mir, glaube ich, haben weiß machen wollen = = = Ach, mein Herr,“ unterbrach sie sich hier selbst mit einem über die Maßen verlängerten Seufzer, „Ihre Nachbarschaft, fürche ich, ist mir eine nahe Gelegenheit zu sündigen geworden. Heilige Madonna! Ein junger Fremder — heute und übermorgen — allein mit mir in einem Zimmer! Zweymal in Einer Woche? Je unglaublicher mir alles das würde geschienen haben, wenn es mir jemand hätte wahrsagen sollen, desto mehr muß es jetzt mein Herzklopfen vermehren. Ich möchte so gern, ich wiederhole es Ihnen, mein Herr, die heilige Reliquie gewinnen: aber bei den eilftausend Jungfrauen schwöre ich Ihnen zu, daß ich so wenig weiß, was Sie noch von mir fordern können, als ich weiß, was mir in solchen Umständen meine Religion zu geben erlaubt. Ach, wer soll mir in dieser unaussprechlichen Verlegenheit rathen?“

     Weißt du wohl, Eduard, was mir, während dieses frommen Anfalles der Kleinen, durch den Kopf fuhr? Das will ich dir aufrichtig sagen! Anfangs nichts weiter, als eine Zeile von Voltaire, die ich dir zu errathen gebe — nachher die zwo darauf folgenden, die ich dir hersetze:

C´est un grand bien! mais de toucher un coeur
Est à mon sens un plus cher avantage.

     Zuletzt aber gingen meine ausschweifenden Gedanken stufenweise vom Erstaunen zum Mitleid, in den großmüthigen Entschluß über, meine Ohren nicht länger dem Girren dieser Unschuldigen zu verstopfen, und einer so bewährten Heiligkeit — mochte sie mich auch noch so sehr überraschen — in Zukunft die Ehre zu erzeigen, die sie verdient. Reitzender zwar hatte ich das Mädchen noch nicht gesehen, als in diesem rührenden Auftritte. Aber die einfache Beredsamkeit ihres reinen Herzens — welcher Sophist vermag ihr zu widerstehen! — machte einen ungleich stärkeren Eindruck auf das meinige, als alle Lockungen ihrer Jugend, und bewirkte eine so gänzliche Umstimmung in mir, daß ich in diesem Augenblicke nicht vermögend gewesen wäre, ihre beseelten Lippen nur um einen Kuß zu betrügen. Wie rührte mich das offene Geständniß ihrer Unwissenheit, das mit dem stillen Verweise so artig übereinstimmte, den ihre bebende Hand, ohne zu ahnden, daß ihr ein menschliches Auge nachschleichen würde, schon bey dem schlafenden Engel abgelegt hatte! Jenes Restchen von Staub, wie viel wog es nicht nach meinem Gedanken, um bey einer künftigen Berechnung weiblicher Unschuld und Tugend der ihrigen den Ausschlag zu geben! Wie dankte ich es dem Zufalle, der mich endlich einmal eine Heilige, in der ächten Bedeutung des Worts, kennen lehrte, da ich mir zuvor von der sonderbaren Zusammensetzung eines solchen Geschöpfes keinen Begriff machen konnte! — Wo hätte ich ihn hernehmen sollen? Ich staunte gerade vor mich hin, und war drauf und dran, dem frommen unbefangenen Kinde das Spielwerk ihrer Seele, nebst der rückständigen Bezahlung edelmüthig zu schenken, und — meine Wege zu gehen.

     „Clärchen, gutes frommes Clärchen,“ sagte ich, und ergriff und drückte, beynahe mit väterlicher Zärtlichkeit, ihre Hand, „noch ist nicht unter uns vorgegangen, was nicht in allen Religionen der Welt zu vergessen und zu vergeben wäre; darauf können Sie Sich verlassen! Ihre übrigen Zweifel aber, liebe Kleine, sind von mehrerem Belange. Wenn ich sie Ihnen nach meinem Gewissen, das Sie aufgefordert haben, nach der strengen Moral, in der ich unterwiesen bin, nach meinem Glauben, nach meiner Ueberzeugung beantworten soll, so muß ich ihnen unverhohlen sagen, daß Sie“ = = = „O!“ unterbrach mich hier das in Furcht gejagte Kind, „wie darf ich der Moral und der Ueberzeugung eines Ketzers Gehör geben? Wie darf ich einer andern Glaubenslehre folgen als der meinigen? Nimmermehr, mein Herr, nimmermehr!“ — „So hören Sie doch nur, Clärchen,“ fiel ich mit ernster Stimme ein: „Die Regeln der Sittenlehre sind“ — hätte ich beynahe gelogen — „in allen Religionen und bey allen Völkern der Erde, dieselben;“ aber sie ließ mir nicht Zeit dazu. — „Nein,“ rief sie mit ängstlichen Geberden, „nein, mein Herr, ich darf Sie nicht anhören.“ — Ich ward hitzig. „Auch nicht,“ fragte ich mit starker männlicher Stimme. „wenn ich Ihre wankende Tugend befestigen, wenn ich wider meinen Vortheil sprechen — wenn ich Sie vor dem Ablaßbriefe des heiligen Vaters warnen will — auch dann nicht?“ — Sie hielt sich, statt mir zu antworten, die Ohren zu. „Nun bey Gott!“ murmelte ich vor mich hin, „das ist unerträglich!“ stampfte mit dem Fuß, und sah ungewiß in die Höhe. Seit acht Tagen, war ich mir bewußt, hatte ich keinen Gedanken gefaßt, der meinem Herzen mehr Ehre machte; und jetzt trat mir nun das Kind, das selbst ihn entwickelte, in den Weg, da ich eben daran war ihn auszuführen. Ich dächte doch bey meiner Ehre, die ein und vierzig Ducaten, die ich, mit alle dem was daran hängt, so großmüthig im Stiche lasse, verdienten es schon, daß sie mir zuhörte! — Aber gewiß hat sie mich noch nicht so recht verstanden. — Ich will mich deutlicher machen, und es müßte nicht gut seyn, wenn sie mir nicht noch zu Füßen fallen und mich als ihren Schutzengel verehren sollte, so bald sie mich nur erst kennen lernt. In diesen Gedanken setzte ich mich ungefähr in dieselbe Stellung, als letzthin, wo ich, nicht weit von der Eselspost, der guten Margot warnenden Unterricht über den Amor gab.

     Ich ergriff die Hände des sträubenden Mädchens, um sie abzuhalten sie nicht wieder vor die Ohren zu nehmen, faßte das wilde Kind mit meinen beyden Knieen, daß es mir Stand halten mußte, und wie sie nun so vor mir stand, blickte ich ihr mit der zärtlichsten Aufrichtigkeit in die Augen. — „Liebes Clärchen,“ redete ich sie an, „Sie sind jung, schön, und frömmer und unschuldiger, als ich noch kein Mädchen gekannt habe; aber sie haben mir nun zu sehr schon Ihre Schwachheit gegen Reliquien verraten, und da werden Ihnen alle Ihre Tugenden nichts helfen, wenn ich nicht ehrlich mit Ihnen verfahren will. Sie werden der Gewalt, die mir das Zauberband der Maria und Papst Alexander der Sechste über Sie giebt, so tief unterliegen müssen, als es unser Contract verlangt. Aber, bestes Kind,“ indem ich mit meinen beyden Knien sanft die ihrigen drückte, „hören Sie mich nur einen Augenblick mit Aufmerksamkeit an, und Sie werden sehen, daß ich es nicht so böse mit Ihnen meyne. Sehen Sie, so schwer es mir auch ankömmt, allen den Freuden von übermorgen — allen den Indulgenzen zu entsagen, die ich Ihnen mit dem heiligen Kniegürtel ungetheilt überlasse, so fühle ich doch mit innigster Selbstzufriedenheit, daß ich es vermag. Ich verlange nichts dafür als Ihre Freundschaft; und diese erlaubt Ihnen Ihre Religion — warum sehen Sie Sich so schüchtern um? — auch einem Ketzer zu schenken, wenn er sonst ein ehrlicher Mann ist. Wundern Sie Sich nicht zu sehr über meine Großmuth! Sie ist nicht so uneigennützig als Sie denken. Es liegt ein gewisses stolzes Vergnügen darin, das mir selbst mehr werth ist, als die höchste Befriedigung der Sinnlichkeit. Sie sind wahrlich nicht das erste Mädchen, daß ich in seiner wankenden Tugend befestigt — selbst in der kritischten Lage befestigt habe, wohin ich sie erst selbst gebracht hatte — zu scheitern; und ich habe immer gefunden, daß Ihnen diese Lection dienlicher gewesen ist, als jede andere. Ein unschuldiges weibliches Herz, ich gestehe es Ihnen, ist mir Zeit meines Lebens immer das liebste Spielwerk gewesen; und ich bin gewiß der Freude nicht unwerth, um die ich Sie bitte, mir die geheimsten Falten auch des Ihrigen, jede seiner Empfindungen, und alle die kleinen lieblichen Wendungen seiner liebenswürdigen Unerfahrenheit ohne Zurückhaltung sehen zu lassen — die mir wirklich ungleich mehr Freude machen, liebes Clärchen, als die wundervollsten Reitze des Körpers. Gönnen Sie mir, mit einem freundschaftlichen, unumschränkten Zutrauen, diesen süßen Anblick, und ich stehe sogleich von allen Ansprüchen meines Handels ab.“ — Du siehst, Eduard, wie weit ich ging, um nur zur Ehre meiner Religion und Moral Recht zu behalten; aber es war nicht möglich. — „Nein, nein, nein,“ schrie das einfältige Ding einmal über das andere: „ich darf die Freundschaft eines Ketzers — ich darf seine Geschenke nicht annehmen; und mein Gewissen verbeut mir, auf die Fallstricke seiner Lehren zu achten. Warum, wenn Sie es so ehrlich mit mir meynen, lassen Sie mir nicht Rücksprache bey meinem Gewissensrathe und Glaubensgenossen halten?“

     Ich war so vollkommen überzeugt, Eduard, daß ich in diesen Augenblicken, wo ich es so gut mit dem Mädchen meynte, auch in ihrer Seele kein anderer Gedanke herrschen könne, als die Bewunderung meiner Uneigennützigkeit und Großmuth. Stelle dir also vor, wie mir zu Muthe ward, als ich mich so häßlich betrogen sah. Du weißt, es geht mir mit dem Propste, wie jenen bezauberten Ohren in einer gewissen Feengeschichte mit dem Worte Trarara. — Ich konnte den Ehrenmann nicht nennen hören, ohne sogleich aus der angenehmsten Ideenverbindung in die bitterste überzuspringen, die man sich denken kann. Meine gespanntesten Empfindungen erschlafften, und meine Treuherzigkeit gegen das Mädchen verwandelte sich in sichtbaren Unmuth. — Ich ließ ihre warmen Händchen fahren, und entließ sie so plötzlich aus der Gefangenschaft meiner Kniee, daß sie nicht wußte wie ihr geschah. Sie blickte mir verwundernd unter die Augen. — „Sie sind doch nicht böse?“ fragte sie, setzte sich neben mich, und streichelte mir schmeichelnd die Wangen. Nun hat  jeder Beweis eines guten Herzens, er mag sich zu erkennen geben wie er will, immer den stärksten Eindruck auf das meinige gemacht, und es brauchte auch jetzt weiter nichts, um mich schnell wieder umzustimmen. So weit, dachte ich, hat sich wohl diese kleine schüchterne Hand, deren Unschuld ich so genau kannte, noch nicht verstiegen. — Das rührte mich ungemein. Ich schwieg zwar, aber ich drückte dieser niedlichen Hand so wiederholte und ausdrucksvolle Zeichen meiner Versöhnung auf, daß die gute Kleine wohl fühlen mußte, daß es mein ganzer Ernst damit war. Mit Einem Worte, Eduard, das Mädchen fing an, mich noch herzlicher zu dauern als vorher. Mein Gott! sagte ich mir, wie magst du dich nur über das liebenswürdige Kind ärgern! Bey seiner Aufrichtigkeit und Unschuld kann es ja beynahe nicht anders sprechen und handeln! nur aber bringt uns das weder einen Zoll rückwärts, noch vorwärts. — Ich hätte ihr, du weißt es Eduard, so gerne alle meine Heilgthümer umsonst überlassen; aber sie will ja so wenig zum Geschenke von mir annehmen, als meine Freundschaft. Zu fromm auf der einen Seite, mir den heiligen Kniegürtel, den sie einmal am Fuße hat, wieder zurück zu geben, kömmt ihr doch auf der andern alles wieder zu theuer vor, was sie auf seine völlige Abtretung bieten soll. Die kleine Närrin hat sich da sowohl als mich in eine Verlegenheit gebracht, aus der ich wahrlich nicht einsehe, wie wir uns ziehen sollen. — Alles das ging mir eine lange Weile durch den Kopf. Endlich glaubte ich einen Ausweg wahrzunehmen, und blieb dabey stehen.

     „Clärchen,“ wendete ich mich jetzt mit nachdenkender Miene an sie, „auf die Art, wie Sie Sich benehmen, kommen wir in alle Ewigkeit nicht aus einander. Ihr Propst, mit allem Respecte für das Amt der Schlüssel, das er trägt, geht mich nichts an. Ihm zu Liebe habe ich wahrlich den Kniegürtel nicht erstanden, und — so viel werden Sie doch begreifen, daß bey unserm Tausche eine dritte Person ganz überflüssig seyn würde. So wohl meynend ich mich auch gegen Sie erklärt habe, so mögen Sie doch mit meiner Moral und mit meinen Geschenken nichts zu thun haben; und doch möchten Sie gern den Nachlaß der Maria behalten. Ihr unverdientes Mißtrauen schmerzt mich: aber ich will über nichts weiter in Sie dringen; und, da ich Ihre Gewissenszweifel Ihnen nicht zu Danke beantworten kann, und Sie darauf bestehen, erst Rückfrage bey Ihren Glaubensgenossen zu halten, ehe Sie Sich zu etwas entschließen, so mögen Sie es meinetwegen. Ihre Stiftungsbibliothek ist ja in der Nähe; und da sie wahrscheinlich in keiner andern Absicht aufgestellt ist, als um sich in schwierigen Fällen bey ihr Raths zu erholen, so ist kein Zweifel, daß auch Sie ihn da finden werden: wenigstens, so viel ich es beurtheilen kann, besteht diese ganze Sammlung aus Schriftstellern, die ungleich mehr Ruf und Gelehrsamkeit vereinigen, als selbst Ihr Propst. Sind Sie dießmal mit meinem Vorschlage zufrieden, Clärchen? Soll ich Sie dahin führen?“ — „Sehr, sehr gern,“ antwortete sie mir auffallender Freude, und ihr Gesichtchen klärte sich wieder auf wie ein Maytag. — „Und wollen Sie Sich,“ fuhr ich fort, „den Aussprüchen dieser gelehrten Männer, ohne die geringste Weigerung unterwerfen?“ — „Ja doch, ja mein Herr,“ erklärte sie sich voller Ungeduld, „das will ich! Hier haben Sie im Voraus meine Hand darauf.“ — „Nun gut“ erwiederte ich ziemlich gesetzt, „so ist es mir lieb, daß ich hier eine schöne Gelegenheit finde, Sie über Ihr voriges unbilliges Mißtrauen ein wenig zu beschämen. Ich will mich nicht hinter meinem Glauben verstecken, wie Sie. Die Schiedsrichter, die Sie Sich wählen werden, sollen auch die meinigen seyn. Mögen sie mir auch alles aus den Händen spielen, worauf mir Papst Alexander ein Recht gab; war ich doch selbst auf dem Wege Verzicht darauf zu thun, wenn Sie mich hätten gehen lassen, liebes furchtsames Clärchen. Doch das ist vorbey! Ich erzeige deshalb Ihren Bedenklichkeiten noch dieselbe Ehre als vorher. Sie sind wahrlich von der größten Wichtigkeit, und es wird mir immer eine Freude machen, daß ein so junges liebenswürdiges Mädchen aus eigenem Instinct darauf gefallen ist. — Das sage ich Ihnen offenherzig; ob ich gleich mit einiger Wehmuth voraus sehe, daß, solange solche in ihrer Kraft bestehen, wir nimmermehr bis an die lieblichen Indulgenzen des Papstes gelangen können. Das ist jetzt mehr Ihre Sache als die meinige, da ich Ihnen ganz überlasse, Sich den heiligen Kniegürtel eigen zu machen, auf welche Art Sie und Ihre Rathgeber für gut finden. — Kann man sich wohl billiger erklären?“ — „Nein, gewiß nicht,“ antwortete Clärchen: „Ich bin auch recht gerührt von Ihrer Güte; aber seyn Sie versichert, daß auch ich auf meiner Seite alles thun werde, was ich mit guten Gewissen thun kann. Denn ich bin weit entfernt, Sie um eine Kostbarkeit betrügen zu wollen, deren Werth niemand mehr schätzen kann als ich.“ — „Aber mögen wir nicht,“ unterbrach ich sie, indem ich ihr meinen Arm reichte,  „noch einmal, unterwegs, die Schwierigkeiten überzählen, über die Sie eigentlich Auskunft nöthig haben? In einer großen Bibliothek ist das beynahe nothwendig; denn sonst kann man sich darin verlieren, um nicht wieder herauszukommen. So viel ich mich erinnere, sind Sie erstlich wegen des schönen, mir unvergeßlichen Anblicks unruhig, den Sie mir bey der Auswechslung der Bänder doch zu vergönnen genöthigt waren, wenn ich Ihnen den heiligen Kniegürtel, auf seine gehörige Stelle, umbinden sollte; — nicht wahr, meine Beste?“ — „Ja, mein Herr,“ antwortete sie, „freylich, liegt mir das recht schwer auf dem Herzen.“ — „Und Sie haben sehr Recht,“ versetzte ich, „daß Sie Sich darüber in Zeiten zu verständigen suchen; denn wie wollen wir übermorgen sonst fertig werden? Und nun,“ fuhr ich fort, „was war denn Ihre zweyte und dritte Frage, die mir nicht eben so gut mehr erinnerlich sind?“ — „Aber mir desto mehr,“ antwortete sie. „Sehen Sie das eine ist die Angst, die ich habe, ob ich mich nicht mit Ihnen in der nahen Gelegenheit zu sündigen befinde; denn davor, kann ich Ihnen sagen, hat mich mein Catechismus vor allen andern gewarnt, und es ist mir also nicht zu verdenken, daß ich darüber genaue Erkundigung einziehe.“ — „Nichts mehr als billig,“ versetzte ich: „es soll mir selbst lieb seyn, wenn ich es erfahre.“ „Und endlich,“ fuhrt sie fort, „martert mich die grausame Ungewißheit, ob ich mich, so ohne Vorwissen der Meinigen, mit einem Fremden in einem Handel einlassen darf, den ich nicht verstehe! Sie sehen selbst, mein lieber Herr, daß, so gern ich auch wollte, ich doch unmöglich mit ruhigem Herzen einschlagen kann, so lange ich nicht über diese drey Hauptpunkte mit mir selbst einig und eines Bessern belehrt bin.“ — „Das ist sehr begreiflich,“ antwortete ich: „Aber, wie gesagt, deswegen hätten Sie nicht gebraucht, erst in eine Bibliothek zu gehen — Ich würde eben so gut im Stande gewesen seyn, Ihnen hierüber Auskunft zu geben, wenn Sie, kleine Mißtrauische, mit nicht Ihre Ohren verstopft hätten.“

     Unter diesen lehrreichen Gesprächen waren wir unvermerkt bis vor die Thür meiner Clause gekommen, die jetzt das gute Kind voller Frohsinn öffnete, und mit mir eintrat. Wir kamen glücklich dem Rousseau und Amor vorbey, ließen mein Bett linkerhand liegen, und traten nun beyde sehr neugierig vor unsern Gerichtsstand. Zum Glücke waren von den Hauptquellen, außer den Originalen, auch gute Uebersetzungen da, die es Clärchen leicht machten, in der Geschwindigkeit eine Commitee aus ihnen zu errichten, gegen die auch ich nicht die geringste Einwendung Statt fand. Sie setzte sich aus dreyen der erfahrendsten Männer zusammen, denen man schon Verstand, Gelehrsamkeit und collegialische Eintracht zutrauen mußte, so bald man sie in ihrer altväterischen Tracht aufsteigen sah. Ich ließ ihr mit Vorbedacht die Ehre der Wahl allein. Denn so angehnehm es auch ist, wie ich wohl weiß, wenn ein Client auf die Besetzung des Tribunals, das ihn richten soll, einigen Einfluß hat; so mußte es doch auf der andern Seite, an der mir jetzt ehrenhalber noch mehr gelegen war, kein geringen Vorurtheil von der Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen und der Güte meiner Sache bey dem lieben Mädchen erwecken, wenn sie mich selbst da ruhig sah, wo jeder zu zittern Ursache hat, er mag seines Rechtes auch noch so gewiß seyn. Ohne die entfernteste Theilnahme also an der Ernennung dieser Herren, begnügte ich mich bloß mit der subalternen Rolle, nach dem Range, den ihnen Clärchen anwies, ihnen die Stühle zu rücken, und sie von ihrem Schulstaube zu reinigen. Der erste, dem ich diesen Dienst zu erzeigen hatte, hieß Escobar. Der Mann hatte ganz das Ansehen eines Vorsitzenden. Der andere, beynahe noch verschrumpfter und schmutziger, war der ehrwürdige Pater Lessau. Der dritte aber, an der Spitze einer Somme de pechés, nannte sich Pater Bauny, und war von einem ziemlich manierlichen Ansehn. Auch fiel sein Corduanband mit goldenem Schnitte Clärchen am meisten in die Augen; denn sie setzte sich mit ihm, so bald er abgestäubt war, mir gegen über auf einen Stuhl.

     „Kannten Sie diese gelehrten Männer schon vorher?“ fragte ich, indem wir beyde ihre Schriften vorläufig überblätterten. — „Es ist zwar,“ antwortete sie, „das erstemal, daß ich mit ihnen zu thun habe; aber übrigens sind sie mir schon längst als die ersten Stützen unserer geheiligten Religion bekannt; der Herr Propst führt ihre Namen immer im Munde, und beruft sich in streitigen Fällen meistens auf sie.“ — „Nun das ist ja recht gut,“ versetzte ich: „da haben Sie doch endliche Ihren Willen, und könne sich so gut über Ihre Zweifel belehren, als wenn Sie Ihren Gewissensrath selbst sprächen.“ — „Das denke ich auch,“ antwortete Clärchen kurz abgebrochen, weil sie sich eben mit einer Stelle beschäftigte, auf die sie sehr nachdenkende Augen heftete. — „Haben Sie etwas Sachdienliches gefunden, liebes Kind?“ fragte ich neugierig, indem ich selbst in meinem Buche auf eine ihrer Bedenklichkeiten stieß, die ich einstweilen zeichnete. — „Ich habe wohl so etwas,“ dehnte sie, „über die nahe Gelegenheit — aber“ = = = „Nun das trifft sich recht gut,“ rief ich dazwischen: „auch ich habe darüber eine Erläuterung in dem Escobar gefunden, die mir ganz neu ist.“ — „Nun ärgert es mich,“ fuhr sie in ihrer Rede fort, „daß mir eben da, wo ich am liebsten fortlesen möchte, eine dumme lateinische Zeile in die Quere kommt.“ — „Wollen Sie mir wohl Ihren Fund mittheilen, Clärchen?“ „On doit,“ las sie laut und ohne Anstoß, absoudre une femme, qui a chez elle un homme avec qui peche souvent, si non po“ —  —  — „Geben Sie nur her, Kind,“ unterbrach ich ihr Stottern, „ich will sehen, was es ist.“ — Sie reichte mir das Buch, und nun las ich mit ziemlicher Verlegenheit, und war froh, daß sie kein Latein verstand: si non potest ejicere, aut habet aliquam retinendi. — „Sie haben wohl Recht, Clärchen, es ist eine dumme Zeile.“ — „Nun, mein Herr,“ sah sie mir fragend in das Gesicht, „unter was für einer Bedingung gilt das Souvent?“ — „O!“ antwortete ich, „hier ist eine vorausgesetzt, die auf uns gar nicht paßt — Urtheilen Sie selbst: Si non potest und so weiter — das heißt: Wenn Sie den Herrn nicht zur Stube hinaus werfen kann, oder sonst eine Ursache hat, ihn bey sich zu behalten.“ — „Da ist ja gar kein Verstand darin,“ sagte Clärchen. — „Beynahe,“ antwortete ich: „aber nehmen Sie deswegen das Buch nur wieder! Einige Seiten weiter werden Sie die Frage schon deutlicher aus einander gesetzt finden, wenn Escobar, wie wir bald sehen wollen, richtig citirt hat. Horchen Sie recht auf: On n`appelle pas occasion prochaine celle, où l´on ne peche que rarement, comme de pecher par un transport soudain avec celle ou celui, avecqui on demeure trois ou quatre fois par an, ou selon Bauny pag. 1082. Schlagen Sie doch einmal nach, Clärchen! une ou deux fois par semaine“ — „Die Pagina trifft zu,“ sagte Clärchen, und reichte mir zugleich das Buch wieder hin. Ich hielt es neben das meinige, verglich die Parallelstellen, und freute mich laut über das freundschaftliche Einverständniß zweyer so berühmten Schriftsteller in einer so wichtigen Sache. — „Ist das nicht,“ wendete ich mich an das Mädchen, „so ganz unser Fall, liebe Kleine? als wenn ihn die Herren hundert Jahre voraus gesehen, und Ihnen die eigenen Worte Ihres Gewissenszweifels aus dem Munde genommen hätten? Die süße Beruhigung abgerechnet,“ fuhr ich fort, „die Ihnen diese Beweisstelle verschafft, so freue ich mich auch besonders über den kurzen und deutlichen Begriff, den sie mir nebenbey über mein Näherrecht giebt.“ — „Über Ihr Näherrecht?“ fragte Clärchen. — „ Ja wohl,“ antwortete ich: „das liegt ganz in den Worten: avec qui on demeure — une ou deux fois par semaine. Und ohne eins in das andere zu reden, meine schöne Nachbarin, will ich mir doch, da es eben die Gelegenheit giebt, Ihren guten Rath in Ansehung meines Quartiers erbitten, das mir immer je länger je besser gefällt. Sie wissen, ich habe es nur auf einen Monath gemiethet; was meynen Sie, würde mir es Ihre gute Tante nicht eben so gern auf ein Jahr zusagen, wenn ich es voraus bezahlte?“ — „Das kann ich Ihnen in der That nicht mit Gewißheit sagen,“ antwortete mir Clärchen mit einer solchen liebenswürdigen Unbefangenheit, daß ich sie gern dafür hätte küssen mögen. — „Aber ich sollte beynahe nicht daran zweifeln.“ — „Nun gut,“ sagte ich, indem ich den beschwerlichen Escobar neben mich legte: „so will ich mich nächstens mit ihr darüber besprechen;“ und fuhr nun fort mich mit dem ehrlichen Pater Bauny, den ich noch in der andern Hand hatte, weiter zu unterhalten. — Ich that sehr wohl daran, und Escobar kann es mir wahrlich nicht übel nehmen; denn ich hatte noch gar nicht lange in der Somme de pechés seines Collegen gestört, so fand ich unvermuthet eine der größten Bedenklichkeiten meiner kleinen Unschuldigen so deutlich entwickelt, und so gründlich beantwortet, daß es das unerfahrendste Kind verstehen konnte. — „O, treten Sie einen Augenblick näher, liebe Kleine,“ rief ich ihr zu. „Fragten Sie mich nicht vorhin auf mein Gewissen, ob es recht — ob es erlaubt sey, ohne Vorbewußt Ihrer guten Tante und Ihres Seelsorgers, über das schönste Eigenthum, das Sie besitzen, über Ihre Person, nach Belieben zu schalten und zu walten? Ich läugne nicht, mein gutes Clärchen, und Sie müssen es mir angesehen haben, daß mich Ihre Frage nicht wenig stutzig machte. Wie lieb ist es mir, daß Sie mich gar nicht dazu kommen ließen darauf zu antworten! denn gründlicher hätte ich es unmöglich thun können, als der rechtschaffene Pater Bauny, dessen Ausspruch auch in dieser Sache alles enthält, was darüber zu sagen ist. Hören Sie nur: Lorsqu´ une fille, qui est en la puissance de son pere et de sa mere se laisse —  —  — Werden Sie doch nicht gleich über alles so roth, närrisches Kind! Das folgende Wort ist freylich nicht eben manierlich; aber Sie haben sich gewiß noch ein ärgeres gedacht: se laisse corrompre, ni elle, ni celui, à qui elle se prostitue —  —  —  Ich gebe zwar gern zu, liebes Clärchen, daß ein Dichter wie Bernard zum Beyspiel, dieselbe Sache ungleich reitzender vorzustellen gewußt hätte — Inzwischen kömmt es darauf nicht an, und ein Arzt der Seele, wie des Körpers, ist schuldig bestimmt zu reden, so bald er in solchen Dingen um Rath gefragt wird = = = Aber wo bin ich denn stehen geblieben?“ — „Bey prostue,“ sagte Clärchen. — Ich fuhr also fort: „ne font aucun tort au pere ni à la mere — Viel weniger also denen, die ihre Stelle vertreten. — Sie verstehen doch das, liebes Kind?“ — „O, ja,“ antwortete sie, „es ist ja deutlich genug.“ — „et ne violent point,“ las ich weiter, „la justice à leur egard parce qu´elle — sehr richtig — est en possession de sa virginité — und da dieser Grund, nach der Natur der Sache, mehr als Einmal nicht anwendbar ist, so ist das darauf folgende — aussi bien que de son corps — nichts weniger als überflüssig, dont elle peut faire ce que bon lui semble, à l´exclusion — was dächten Sie, Clärchen? de la mort, ou —  —  — lieber Pater Bauny! wie in aller Welt, kommen Sie darauf — du retranchement de ses membres. — Da bewahre uns Gott vor!“ sagte ich ganz erschrocken: „Da müßte es doch wohl sehr arg hergehen, wenn das einem von uns beyfallen sollte.“ „Lesen Sie mir doch diese wichtige Stelle noch einmal vor,“ sagte Clärchen, indem sie mit dem Finger auf das Buch tippte: „aber nur den reinen Text ohne Anmerkungen.“ — „So oft Sie wollen, meine Beste,“ antwortete ich, „und so rein als er da steht;“ faßte zugleich beym Lesen ihre Hand, als ob ich ihr die Empfindung mittheilen wollte, die, wie ein elektrisches Feuer, aus dieser lehrreichen Schriftstelle auf mich überströmte, fühlte auch wirklich bey dem Worte virginité eine gemeinschaftliches Zucken, das einer Commotion nicht unähnlich war.

     Clärchen nahm mir das Buch aus der Hand, so bald wir zum zweytenmale über die Auflösung dieses wichtigen Zweifelspunktes glücklich hinaus waren, setzte sich mit dem ehrwürdigen Pater in eine Ecke, und schien sich noch einige Seiten weiter mit ihm zu unterhalten, die hoffentlich die Sache nicht verdorben haben. In der Zwischenzeit ruhte ich ein wenig von meiner Vorlesung aus, saß stillschweigend und nachdenkend gerade ihr gegenüber, und wußte mich gar nicht recht in die anscheinende Heiterkeit und Seelenruhe dieses sonderbaren Mädchens zu finden, das mir je länger je unerklärbarer ward. Hätte man nicht von der liebenswürdigen Unwissenheit, die sie mit in die Bibliothek brachte, nach allen Regeln der Metaphysik erwarten sollen, daß der Zufluß der vielen neuen Begriffe, den sie schon in den wenigen Zeilen erhielt, die ich vorlas, sie für alles weitere Nachschlagen bange machen, ihr die Ader auftreiben, und den Kopf sprengen würden? War es nicht höchstwahrscheinlich, daß eine so bewährte Heiligkeit als die ihrige, über die, zwar sehr zweckmäßigen, aber doch ganz ungewählten Ausdrücke des vorigen rauhen Jahrhunderts sich entsetzen — daß ihr verschämtes Blut sich empören, und das liebe Kind endlich in die Verlegenheit kommen würde, weder mir, noch ihren Schiedsrichtern frey unter die Augen zu sehen? Konnte ich nicht mit einigem Grunde fürchten, oder hoffen, wie du willst, daß sie sich weit eher unter einem Strome von Thränen von ihrem voreilig eingegangenen Compromisse los arbeiten, als sich entschließen würde, ein Wort zu halten, daß sie gewiß unter ganz andern Erwartungen von sich gab? Wie ging es nun zu, daß, dieser Wahrscheinlichkeiten ungeachtet, von allem dem nichts geschah? Ich bitte dich, Eduard, wie ging das zu? Siehe! kennte ich das Mädchen nur seit unserer gemeinschaftlichen gelehrten Arbeit; wahrlich! ich würde ihr eher zutrauen, sie habe die Engel zu Dutzenden, und selbst da geputzt und gewaschen, wo sie am schmutzigsten sind, als daß ich an jenes erste Schrecken ihrer Hand glauben möchte, wovon doch die deutlichsten Spuren noch immer unter meinem Spiegel zu sehen sind. Es ist nicht anders möglich, sie muß alle die gefährlichen Stellen hören und lesen, ohne, aus unbegreiflicher Unschuld, den Sinn der Worte zu verstehen. — Wie Henker soll ich ihr aber den beybringen?

     Nach dieser stillen Unterredung mit mir selbst, rief ich in collegialischer Ordnung den einzigen Beysitzer unsres Gerichts auf, den wir noch nicht gehört hatten — den Pater Lessau, schmutzigen und moderigen Ansehens. Wenn der Schein überhaupt trügt, so thut er es vorzüglich bey einem geistlichen Tribunale: dieser unansehnliche Mann, wie das nicht selten geschieht, verschloß einen ungeheuern Vorrath von Gelehrsamkeit und Erfahrung. Freylich brauchte ich dermalen nur einen sehr kleinen Theil davon, nur so viel als eben nöthig war, um die einzige noch übrige Gewissensfrage des frommen Kindes zu beantworten; die zwar, nachdem wir über die zwey vorher gegangen belehrt und einig waren, bey einem gewöhnlichen Mädchen kaum einer besondern Antwort würde bedurft haben — mit einem so ängstlichen Geschöpfe aber als Clärchen, geht es nicht so geschwind — Eins mag  noch so nothwendig aus dem andern fließen, sie weist sicher jede einzelne Forderung zurück, die man nicht sogleich mit einer förmlichen Anweisung belegen kann. Die Schrift, in der ich sie suchte, hatte, bey dem Reichthum ihres Inhalts, zum Glück auch noch ein gutes Register, ohne das ich schwerlich so geschwind die benöthigte Stelle würde gefunden haben. Sie war ganz so wie ich sie brauchte, und führte beynahe noch näher zum Zweck, als die beyden vorher gegangenen. Ich hätte zugleich — in Ermangelung der Aloisia Sigea — keine auftreiben können, die geschickter gewesen wäre, mich über den Rest von Ungewissheit, in die ich schon manchmal in Ansehung der Unschuld des räthselhaften Kindes gerieth, so wie über die Bedingungen unsers Handels, endlich einmal mit mir selber einig zu machen. Wenn sie, sagte ich heimlich zu mir, dabey höchstens nur roth werden sollte, ohne mir zugleich das Buch an den Kopf zu werfen und davon zu laufen, so habe ich übermorgen gewonnenes Spiel. Ich packe dann meine Großmuth ruhig wieder ein, ohne daß ich noch länger vergebens auf die Gelegenheit warte sie anzuwenden; und ich will nicht ehrlich seyn, wenn ich sie wieder an das Tageslicht bringe, als bis ich den Schimpf, den das Mädchen meiner Moral angethan hat, und den ich immer noch nicht verschmerzen kann, zur Genüge gerächt, und zugleich die große metaphysische Frage entschieden habe, die ich dir beym ersten Anfange meiner Bekanntschaft mit Clärchen nicht so aus bloßem Leichtsinne aufstellte, als es dir vielleicht vorkam, und deren Auflösung immer ein hübscher Gewinn für die Philosophie des Lebens seyn wird — die Frage nehmlich: welche Tugend sicherer, erhabener und schmackhafter sey, die eines weiblichen Wildfanges, wie ich heute vor acht Tagen einen unter den Händen hatte, oder die einer Heiligen?

     Indem sah ich Clärchen ihr Buch bey Seite legen, als wenn sie genug daran hätte, und aufstehen. Ich gaubte, es wäre nun Zeit das unterbrochene Gespräch wieder in Gang zu bringen. — „Hatten Sie,“ fragte ich, „nicht noch etwas auf dem Herzen, worüber wir nachschlagen wollte?“ — „Das ich nicht wüßte,“ antwortete sie voller Zerstreuung, trat vor den Schrank, zog ein anderes Buch heraus, das noch dazu ein Quartant war, den sie alle Mühe hatte bis in ihre Ecke zu schleppen. Nun ist mir, ich weiß nicht warum? jedes schwerfällige Buch in der Hand eines Weibes ganz unerträglich. Kömmt es daher, daß es mir zu anmaßlich aussieht, oder weil ich glaube, daß ein mäßiger Octavband — ein Almanach, alles enthalten kann, was ihnen an Gelehrsamkeit nöthig ist? Bey Clärchen verdroß es mich vollends, daß sie ohne Beyhülfe meines lebendigen Unterrichts, ihre Studien fortsetzte, und darüber sogar ihre dritte Gewissensfrage aus den Augen verlor, für die ich eine so schöne Antwort gefunden hatte. Sie heftete ihre Blicke mit solcher Begierde auf das Blatt, das sie aufschlug, daß ich nach dem Namen dieses glücklichen Autors äußerst verlangend war. — „Sie haben vergessen,“ rief ich ihr zu, „daß Sie nicht hierher gekommen sind, um das ganze System der Moral durchzuarbeiten.“ — Da sie mir nicht antwortete, stand ich auf um mich ihr zu nähern; sie streckte mir aber ihre Hand entgegen um mich abzuwehren, und verbarg das Buch. Ich unterdrückte meine Neugierde so weit, daß ich mich stillschweigend wieder zurück zog, und nur das Fach und die Lücke bemerkte, aus der sie ihren Quartanten genommen hatte. Mit Hülfe des guten Fernglases, das ich, seit mir die Thurmspitze von Caverac aus dem Gesichtskreise schwand, nicht ein einzigesmal wieder gebraucht hatte, entdeckte ich, in welcher Gegend des Werks die Stelle ungefähr stehen mußte, die so mächtig ihre Aufmerksamkeit anzog; und da ich vollends sah, daß, beym Umwenden des Blatts, ein wenig Puder aus ihren Haaren dazwischen fiel, so war ich nicht weiter verlegen, noch vor Abends ihrer Wißbegierde auf die Spur zu kommen, und erwartete ruhig, bis sie fertig, und das dicke Buch wieder an seinen alten Platz gestellt war.

     „Sie haben Ihre schönen Augen recht angestrengt, liebes Kind,“ redete ich ihr freundlich entgegen: „Darf ich denn nicht wissen, über welchen neuen Gewissenszweifel Sie Sich unterrichtet haben?“ — „O, mein Herr,“ antwortete sie, „was ich eben las, betraf eine alte Geschichte, die mir vor etlichen Jahren, nur mit anderen Umständen, erzählt wurde. Es ist manchmal gut, sich mit eigenen Augen zu überzeugen.“ — „Da haben Sie wohl recht, Clärchen,“ erwiederte ich ernsthaft: „und es ist mir lieb, daß ich Ihnen eben eine Gelegenheit verschaffen kann, diese Vorsichtsregel sogleich wieder anzuwenden, um in Uebung zu bleiben. Unser Pater Lessau hat sich hier recht deutlich über den Fall erklärt, der Ihnen heute nach der Auswechslung unserer Bänder beynahe mehr Herzklopfen verursachte als vorher. Sie hätten Sich´s ganz ersparen können, wie Sie gleich hören sollen.“ — Ich rückte ihren Stuhl neben den meinigen, hielt ihr das Buch nahe vor, und schlug meinen andern Arm so vertraut um ihren schönen Hals, wie ein Bruder, der mit seiner Schwester eine Idylle von Geßner liest. — „Les femmes,“ las ich mit langsamer gedrängter Stimme, damit ihr kein Wort verloren ginge, „ne pechent pas, quand elles s´exposent à la vue de jeunes gens, encore qu´elles fachent bien qu´ils les regarderont avec des yeux impudiques.“ — Ich sah hier dem Mädchen mit einem Blicke in´s Auge, wie ihn nur Pater Lessau verlangen konnte, und las weiter: „Si elles le font par nécessité ou untilité — Necessité,“ wiederholte ich, „diese liegt nur zu klar in dem siebenten Paragraph der päpstlichen Bulle und in unserm Contracte; und die untilité kann bey der heiligsten aller Reliquien wohl keine Frage seyn.“ — Clärchen hob ihre Augen gen Himmel, und ich fuhr fort: „Elles pechent pas, quand elles se servent d´habits si deliés, qu´on voit leur sein, ou quand même elles se découvrent entierement, si elles le font selon la coutume du pais.“ — Ich sah dem schönen, und, was mir noch lieber war — dem erröthenden Mädchen in das Gesicht, wie ich ihr diese Erlaubniß vorlas, in der Erwartung, sie würde wenigstens von so einer Landessitte, als der Autor voraussetzte, nichts wissen wollen; sie war aber zu ehrlich dazu, und schwieg. Auch ich schwieg; und doch schienen wir beyde keine lange Weile zu haben. Nachdem meine Augen lange genug auf den ihrigen geruht hatten, fragte ich mit einen unterdrückten Seufzer: „Nun Clärchen — sind Sie endlich einmal über die Freude beruhigt, die Sie meinen Blicken gegönnt haben? und fürchten Sie Sich noch immer vor übermorgen?“ — Sie schien in ihrem stillen Nachdenken so verloren, daß ich, um sie zurück zu bringen, meinen wurmstichigen Autor zu seinen Collegen warf, ihre frischen Händchen dafür an meine Lippen hob, und jeden ihrer Pulsschläge mit einem Kusse beantwortete.

     Nichts ist wohl in der ganzen Natur der Sophisterey beförderlicher als dieses kleine Spiel. Es war nicht das erstemal, daß ich es bemerkte. Ich ging gewiß hier wieder einen falschen Weg. Die Kleine, dachte ich, ist nur erröthet — Sie hat dir nicht das Buch an den Kopf geworfen, also — schloß ich — wird es nicht einmal nöthig seyn, bis übermorgen zu warten. — „Clärchen!“ fing ich zitternd an und stockte. — „Was beliebt Ihnen?“ fragte sie. — „Werden nicht,“ fuhrt ich fort, „hier zu Lande die Namenstage manchmal, nach Zeit und Umständen, einige Tage voraus gefeyert?“ — „Niemals,“ antwortete sie kurz, und übersah mich mit so großen Augen, als ob ich nicht klug wäre. — „Bey uns,“ setzte ich seufzend hinzu, „geschieht das sehr häufig am Hofe und in der Stadt, selon la coutûme du païs; auch kürzt man in manchen Fällen die Bedenkzeit und die Zahlungsfristen ab — par necessité ou utilité!“ — „Das ist sonderbar!“ antwortete das einfältige Ding. „Sie haben also wohl in Ihrem Lande lauter bewegliche Feste?“ — Ich weiß nicht mehr, was ich ihr darauf antwortete — Ich verlor ganz meine Besinnungskraft, schwatzte nun ins Gelag hinein, und traf mich unvermuthet an, daß ich ihr von dem Löwen in dem Wiener Zwinger erzählte, der einem Mädchen, das er liebte, die Hand so lange leckte, bis das Blut kam, darüber in Wuth gerieth, sie in Stücke zerriß, und sich darauf bey ihrem Leichnam hinlegte — und starb. Wie ich auf diese rührende Geschichte gekommen seyn mag, ist unbegreiflich. Aber Clärchen schien angst zu werden. — Sie zog mir ihre Hände vom Munde hinweg, und mit der Frage: „Wollen Sie mich nicht wieder in mein Zimmer führen?“ schlang sie mir die eine um den Arm, und nöthigte mich aufzustehen. Wahrlich es war hoe Zeit, und ich war froh als ich aus der Atmosphäte der Casuisten in eine andere Luft kam.

     Clärchen schien mir, als ich sie zu ihrem Sopha glücklich zurück brachte, noch um vieles schöner, ungezwungener und verträglicher von ihrer gelehrten Reise zurück zu kommen, als sie es vorher war. Ich schloß sogar aus einem sprechenden Blicke, den sie auf den Ablaßbrief warf, daß ich es jetzt wohl eher wagen dürfte, ihr eine wörtliche Uebersetzung des siebenten Paragraphs anzubieten, ohne abgewiesen zu werden; und ich betrog mich nicht. Sonderbar genug, daß ihr zärtliches Ohr erst ein wenig durch die Beredsamkeit der Casuisten abgehärtet werden mußte, um nicht vor der Hirtenstimme des heiligen Vaters zu erschrecken! Sie horchte jetzt desto geduldiger darauf, und ließ mir das et in integrum restituimus zweymal wiederholen, so schön kam es ihr vor

     Mein Läsions=Prozeß, sah ich nun wohl, war so gut wie gewonnen. Clärchen hatte es kein Hehl, daß die den Kniegürtel der Jungfrau schon als ein Stück ihrer Toilette betrachtete; und dieser Gedanke streute so viel Grazie über alles, was sie sprach und that, daß ich nicht genug die Wirkung bewundern konnte, die der Glaube an Reliquien, und das Bewußtseyn ihres Besitzes, nicht allein auf die innere Zufriedenheit, sondern sogar, wie das Wohlbehagen eines guten Gewissens, in dem Umgange des gemeinen Lebens hervorbringt. — Wodurch gewann wohl Clärchen diesen sichtbaren Zufluß von Begeisterung in ihren Augen, diesen Ton der guten Gesellschaft, den ich gestern auf der Treppe wenig an ihr bemerkte? wodurch dieses feine Gemisch von großer Welt und Ruhe der Seele, die so selten bey einander gefunden werden, als — ich schäme mich fast es zu sagen — durch den alten verblichenen Fetzen, den ich ihr um das Bein band? Und doch sind wir andern so übereilt, diese mystischen Geschenke der katholischen Religion als armselige Kleinigkeiten zu verschreyen! Wo haben wir denn in der unsern etwas, das diesen Abgang von Hülfmitteln zu einer frohen Existenz ersetzte? Wenn König August aus unsrer Nachbarschaft, und so manche andere Fürsten des deutschen Reichs, den sterilen Glauben ihrer Vorfahren gegen das beruhigende System des römischen Stuhls vertauschen und auf ihre Kinder vererben, wer kann es ihnen mit Grunde verargen? — Und wie philosophisch richtig handelte nicht selbst Carl der Zweyte in dieser Rücksicht, als er in der Wahl, entweder sein Reliquair oder seine drey Kronen wegzuwerfen, ohne Bedenken sich zu dem letzteren entschloß.

     Meine Sehnsucht, einer Kirche in den Schooß zu kommen, die uns so angenehm einwiegt, die durch ein geweihtes Todtenbein — durch eine Scherbe aus der Haushaltung eines Erzvaters, und durch andere dergleichen Raritäten uns in dem Frieden mit uns weiter bringt, als die Weisheit eines Garve, wuchs nun desto schneller, je mehr ich unter Clärchens funkelnden Augen meinen tiefsinnigen Betrachtungen nachhing; und war gleich meine verwöhnte Vernunft, wie ich manchmal zu fühlen glaubte, noch immer nicht so ganz mit meinem Herzen einverstanden, als ich wohl gewünscht hätte, so ist dieses doch ein gewöhnlicher Fall bey Neophyten, und so soll doch, hoffe ich, auch dieses bängliche Gefühl übermorgen durch ein ungleich mächtigeres verjagt werden.

     So schön alle diese Erwartungen waren, die ich aus dem Zauberzirkel der kleinen Heiligen mit mir nahm, so bald die knarrende Hausthür mir die Zurückkunft der Tante verrieth; so fand ich doch, wie ich wieder in mein einsames Zimmer trat, daß bloße Hoffnung nicht genug beschäftigt. Die meinige setzte eine Geduld von zwey Tagen voraus, und diese hatte in meiner gegenwärtigen Lage ihre große Unbequemlichkeit. Ich sah mich bald nach einer lindernden Zerstreuung um; und wo hätte ich die gewisser finden können, als in der kleinen auserwählten Büchersammlung meines Cabinets, die mir heute und gestern schon so merkwürdige Dienste geleistet hatte? Kein Buch schien mir jedoch für´s erste der Mühe werth es zu suchen, als das, mit dem sich vorhin Clärchen so vorzüglich beschäftigte. Ich zog es heraus. Was fand ich? Die Legendensammlung des Pater Martin von Cochim. — So? sagte ich, bist du auch hier, guter Freund? Aber was für eine Intrigue hast du mit der Kleinen? — Ich blätterte so lange, bis ich — es war in dem Leben ihrer Namensschwester — das Blatt fand, bey welchem sie ihren Puder verloren hatte. — Wie, sagte ich, und rieb mir die Augen: die berühmte Erzählung ist es von den drei Blasensteinen? Wer in aller Welt kann ihr diese Geschichte mit andern Umständen erzählt haben, als hier stehen? Und was kann für sie so wichtiges daraus entstanden seyn, daß sie, um der Berichtigung dieses Wunders willen, beynahe ihr Compromiß vergaß? Warum versteckte sie diese Stelle vor mir, da sie ohne die geringste Verlegenheit ganz andere mit mir gelesen hat? Ich sann der Sache so ernstlich nach, als ob sie noch so wichtig für mich wäre, und brachte doch am Ende nichts weniger als eine befriedigende Vermuthung heraus. Ich gab also mein Nachgrübeln auf, setzte den Schächer wieder in sein Glied, und durchirrte nund die übrige Besatzung.

     Die Wahl unter Büchern ist immer schwer, und Kenntnisse, die man auf diesem Wege erlangt, sind, mit Erlaubniß unserer stolzen Gelehrten, nicht weniger Geschenke des blinden Zufalls, als so viele andere Erwerbnisse menschlicher Thätigkeit. Dir, Eduard, habe ich nicht nöthig, so etwas zu beweisen, sonst sollte es mir wahrlich nicht schwer werden. Ich stand lange unentschlossen und ganz mit dem Eigensinne eines längst abgestumpften Gaumens vor dem Schranke, blies von verschiedenen dickleibigen Bänden den Staub ab, blätterte einige Augenblicke darin, und setzte sie — und ach! mit ihnen vielleicht eine wahrhaft stärkende Geistesnahrung, nach der ich lange umsonst strebe, unbenutzt wieder an ihren Ort, in der sehr mißlichen Hoffnung, für meine leckere Wißbegierde wohl etwas schmackhafteres noch aufzugabeln. Beynahe glaube ich, daß es mir nicht besser hätte gelingen können. Wenigstens stieß ich auf ein Werkchen, das mir über alle meine Errwartung Genüge that. Es entfernte mich — doch nicht zu weit — von dem Gegenstande meiner Wünsche, und bereicherte meine Einbildungskraft mit neuen Bildern, deren freye Zeichnung und kräftiges Colorit wohl noch eine gränzenlosere Einsamkeit, als die meine war, hätte beschäftigen können. Kein Buch in der Welt konnte, glaube ich, in meiner gegenwärtigen Lage eine anziehendere Kraft für mich haben. Sein Verfasser gewann bey dem ersten Anblicke mein ganzes Zutrauen. Er war geistlichen Standes — war ein Deutscher — war Augenzeuge der großen Begebenheiten, die er erzählt, und nur zu oft selbst mit darin verflochten. Sein Buch war, wie das meine, ein Tagebuch — war — welch ein Zufall! das Tagebuch eben des großen Papstes, dessen Freypaß mich und Clärchen auf so gute Wege gebracht hatte. Wie kindisch freute ich mich nicht meines Fundes, als ich den Titel las: „Burchardi Argentinensis, Capellae Alexandri Sexti Papae, Clerice Ceremoniarum Magistri — Diarium.“ *) Und wie eilte ich damit an meinen Tisch! Ich hatte nun die angenehmste Beschäftigung, die ich mir wünschen konnte; denn es macht uns doch immer eine eigene Freude, den Mann auch im Schlafrocke kennen zu lernen, der inpontificalibus unserer Erfurcht gebeut.
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*) S. Eccardi Cropus historie, medii aevi, wo dieses Tagebuch, das sich selten gemacht hat, abgedruckt ist.
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     Von den vielen merkwürdigen Stellen dieses päpstlichen Tagebuchs, mit denen ich das meinige ausschmücken würde, wenn ich nicht befürchten müßte dem Interesse meiner eigenen Geschichte zu schaden, kann ich jedoch der Versuchung nicht widerstehen, dir wenigstens Eine auszuheben, die, ihres zufälligen Bezugs wegen auf meinen gegenwärtigen Handel mit Clärchen, eine Ausnahme verdient. Sie wird nebenbey, wenn du dir etwan einfallen ließest an der Aechtheit meiner Urkunde zu zweifeln, schon das ihrige beytragen, dich eines bessern zu überzeugen. Ich wurde erst in dem Augenblicke mit ihrer Entdeckung überrascht, und aufs neue fortzulesen ermuntert, da ich, aus Unvermögen meine Augen länger anzustrengen, schon das Blatt, wo ich stehen blieb, gezeichnet, und das anziehende Buch zugeschlagen hatte. Indem ich es gähnend von mir schob, geschah es, daß ich zufällig einen Blick auf den Ablaßbrief warf, der, wie eine Post= und Reisekarte, ausgebreitet auf meinem Tische lag; und das brachte mich auf den Einfall, in der Geschwindigkeit noch, ehe ich mein Licht auslöschte, nachzusehen, was wohl Ihro Päpstliche Heiligkeit denselben Tag begannen, da Sie das für mich so wichtige Document auszustellen geruhten, und das Sonntags den vier und zwanzigsten October datirt war. Ich hatte kaum das Diarium des ehrlichen Burchards wieder aufgeschlagen, so  fand ich auch bald, kraft der guten Ordnung, die darin herrscht, was ich suchte. Der Autor, der, wie das Titelblatt sagt, Ceremonien=Meister Seiner Heiligkeit war, welches ich nicht zu vergessen bitte, beschreibt unter demselben Tage eine Feyerlichkeit, die ihn wohl selbst sein Amt nöthigte mit anzuordnen — einen Abendzeitvertreib, mit welchem der gottselige Papst den Festtag des heiligen Martinus beschloß.

     Dominica ultima, erzählt er, mensis Octobris in sero fecerung coenam cum Duce Valentinensi in Camera sua, in palatio Apostolico, quinqaginta meretrices honestae, Cortegianae nuncupatae, quae post coenam chorearunt cum servitoribus et aliis ibidem existentibus, primo in vestibus suis, deinde nudae.

     Post coenam posita fuerung candelabra communia mensae cum candelis ardentibus, et projectae ante candelabra per terram castaneae, quas meretrices ipsae super manibus et pedibus nudae candelabra pertranseuntes colligebant, Papa, Duce, et Lucretia forore sua praesentibus et adspicientibus: tandem exposita dona ultimo, diploides de Serico, paria caligarum bireta et alia, pro illis, qui plures meretrices carnaliter agnoscerent, quae fuerunt ibidem in aula publice carnaliter tractatae arbitrio praesentium, et dona distributa victoribus.

     Ich überlas diese unbefangene Erzählung mehr als Einmal, und klatschte dem großen Geiste wiederholt meinen Beyfall zu, der frei genug von Vorutheilen war, ein solches Fest zu veranstalten, und so hoch gesinnt seine Freunde und Dienerschaft daran Theil nehmen zu lassen. Denken wir uns diesen unumschränkten geistlichen Fürsten an jenem fröhlichen Abend, so wird es begreiflich, wie eine so volle Freude sein Herz bis zu der — beynahe möchte man sagen übertriebenen — christlichen Freygebigkeit erheben konnte, die aus seinem Ablaßbriefe hervorstrahlt, sich übrigens ganz herrlich mit dem schönen Vorrechte verträgt, das ihm die Kirche verlieh, über alle mögliche sinnliche Einfälle seiner Herde den Schwamm zu ziehen.

     Je seltener es ist, daß Züge aus dem Privatleben der Großen zur Erläuterung ihrer Gesetze dienen, desto mehr mußte es mich freuen, hier beydes einmal in so gutem Verhältnisse zu finden, daß diese Hof=Lustbarkeit des Oberhauptes der Kirche, und der Ablaßbrief, den er wahrscheinlich während derselben unterschrieb, eins das andere auf das ungezwungenste commentirt. Ein Glück für mich, daß die Gräfin Vanotia nicht so gut dabey war, als seine berühmte Schwester, die dem Namen so viel Ehre machte, den sie in der heiligen Taufe erhielt; denn da hätte er vermuthlich seiner Freundin den Gürtel der unbefleckten Jungfrau — anstatt ihn ihr jetzt als ein Confect von seiner Tafel zu schicken, während dem Feste selbst umgebunden, ohne Zeit zu haben, ihn mit jenem allgemeinen Ablaß auszusteuern, der von dem Tage seiner Ausfertigung an, bis auf uns Glückliche, die wir übermorgen daran Theil nehmen werden, vermuthlich im Stillen fortgewuchert hat. Vergieb mir, Eduard, diese schwerfällige Periode ihres Reichthums wegen, ob ich gleich immer auf neue Betrachtungen komme, so oft ich nur einen Blick auf dieses kostbare Document werfe. Wie manchen Anstoß der Sittlichkeit mag es schon gehoben, wie manche lebhafte Scene befördert und entsündigt haben, über deren Menge und Eigenthümliches wie erstaunen würden, hätten sie immer ihren Burchard gefunden! Es war, ich wiederhole es, ein Glück für mich, daß eben solche Umstände an dem Feste des gottseligen Papstes zusammen trafen, um eine so wichtige Urkunde zu ihrer Entstehung, und mir zu der gelehrten Freude zu verhelfen, die mir, drey hundert Jahre nachher noch, die Harmonie seines Lebens und seiner Gesetze verschafft.

     Für meinen gesunden Schlaf zwar wäre es wohl besser gewesen, die ganze Parallele ungezogen, und das Augenzeugniß des Ceremonien=Meisters ungelesen zu lassen; denn es setzte mein Blut in die heftige Wallung. Lange konnte ich das Naturgemälde nicht aus dem Kopfe bringen, und gruppirte mich und Clärchen immer in Gedanken dazu. Mein Herz pochte, meine Augen glühten, ich fühlte unter einem heiligen Schauer den übermächtigen Andrang des Jesuitismus. Die Stunde der Mitternacht schien mir von Minute zu Minute feyerlicher zu werden, und der Geist Alexanders mich aufzufordern, in ihr meinen Prozeß zu thun. Sein Freypaß überdeckte meinen Tisch, sein Tagebuch lag aufgeschlagen neben dem meinen, und zwey Wachskerzen brannten zu beyden Seiten. Alle diese Umstände zusammen wirkten gerade auf meine Ueberzeugung, und trieben mich, unter fieberhaftem Erzittern, zur Ablegung meines Gelübdes. Da mir noch oben drein mein hülfreiches Gedächtniß, statt der vorgeschriebenen Formel, die mir unbekannt war, eine andere an die Hand gab, die, bis zu meiner förmlichen Weihe, einstweilen den Abgang jener gar füglich ersetzen konnte; so trat ich ohne weiteres Besinnen vor meinen Altar, auf dem meine Schwärmerey das verklärte Bildniß meiner Heiligen und Geliebten in die Höhe stellte, so frey von allem irdischen Putze, als es jene funfzig Auserkornen immer nur können gewesen seyn, die den befeuerten Blicken meines großen Vorgängers so wohl thaten — und so ganz in der Glorie, wie mein trunkener Geist hofft sie übermorgen von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Ich legte zugleich die linke Hand auf die anziehende Stelle in dem Tagebuch des heiligen Vaters, hielt den Zeige= und Mittelfinger der Rechten in die Höhe, und den Blick, von Rousseau ab, nach dem schlafenden Engel gewendet, entledigte ich mich meines Gelübdes, das, zwar nicht den Worten, doch dem Geiste nach, mit dem Eide eines Jesuiten auf das vollkommenste übereintraf. Si ille hoc fecit, sprach ich langsam und ernst, qui templa concutit sonitu — Ego homunico hoc non facerem? ego vero illud feci ac lubens. *)
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*) Eunuch. Act. 3. Sc. 3.
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     Wie die Ceremonie vorbey war, taumelte ich endlich mit der eigenen Zufriedenheit eines Neubekehrten zu Bette, und wenn schon der gute Vorsatz verdienstlich ist, so darf ich hoffen, mehr als Ein Baret verdient zu haben, ehe ich einschlafe.
 

* * *


Avignon.


Den sechsten Januar.

Der Wagen, der mich nach Vauclüse bringen sollte, stand, wie der Wagen des Apollo, mit vier weißen Pferden bespannt, zur Rettung meiner Ohren, schon vor der Thüre, als mich die Glocken von allen Thürmen der Stadt zu dem Feste der heiligen drey Könige erweckten. Ohne nach ihrem Golde, ihrem Weihrauch und ihren Myrrhen zu fragen, warf ich mich geschwind in einen gewiß artigern Reiserock, als der ihrige war, von silbergrauem Sammet, schlug, als ein Diadem, das ich um das ihrige schwerlich vertauschen würde, das blaue Strumpfband um meinen Sonnenhut, und schwebte nun, zwischen der süßen Erinnerung von gestern und der stolzen Erwartung auf morgen, dem Gebauer meiner kleinen Sängerin vorbey, die Treppe hinunter. Während daß Clärchen durch das Fenster des geheimnißvollen Cabinets blickte, in das mich Papst Alexander morgen zur Weihe einführen soll, und gegen über Herr Fez, ohne nur zu ahnden, welchen Dank ich ihm schuldig war, mit die Verbeugung eines Clienten machte, hob mich meine Selbstzufriedenheit federleicht in die Höhe, und der Wagen rollte durch die festlich geschmückten Gassen.

     Mein armer Sebastian saß demüthig neben mir; seine Aehnlichkeit mit Margot war in meinen Augen verschwunden; er fühlte sich zu einem gemeinen Bedienten erniedriget, und hatte nicht das Herz mehr, seinem vornehmen Herrn eine andere Frage zu thun, als seine Bestallung rechtfertigen konnte. Und ich! von welcher stolzen Höhe sah ich auf alles herab, was sich meinen geistigen und leiblichen Augen außer Clärchen darbot! Ich blickte so neidlos auf die stillen Thäler, die neben mir, als auf die lärmenden Königsstädte, die weit aus meinem Gesichtskreise lagen, bemitleidete das zwangvolle Leben der Großen, wie das Idyllenleben der Hirten, wenn jene auf Flaum — diese auf Moos gestreckt — hier immer nur weidende Lämmer — dort immer nur bettelnde Sklaven im Auge — hier immer nur den einförmigen Ton der Glöckchen — dort das Geklapper des Stolzes im Ohr haben, durch den die eine ärmliche Herde bey jedem Genuß eines Gräschens — die andere oft ohne Genuß, die höhern Bedürfnisse menschlicher Thorheit verkünden; und mit wohlgefälligem Lächeln kehrte ich nun meine Blicke auf Mich — sah mich im Sonnenschein glänzen — mit Stärke der Jugend und Gesundheit gerüstet, unter dem Machtspruche eines menschenfreundlichen Papstes — ach! nach einer kurzen Wallfahrt zu dem Sänger der Liebe, in die Arme eines Mädchens dahin sinken, das nur für den unsterblichen Genuß der Engel gespart schien, und, ohne die Vermittlung des heiligen Kniegürtels, gewiß allen menschlichen Wünschen entschlüpft wäre. Wie schwärmte ich, Freund! Wie oft nahm ich meinen Sonnenhut ab, um das himmelblaue Band anzulächeln, und von ihm in optischen Träumereyen über den Gränzort hinzuschweifen, wo die Auswechselung geschah!

     Endlich hielt der Wagen. Wo bin ich? fragte ich voller Verwunderung. — „Zu Vauclüse,“ tönte mit mein Führer mit einer Stimme in´s Ohr, die so kreischend war als das Knarren einer Thüre, und die mich auf das unangenehmste aus meiner Ueberspannung zurück brachte. Ich stieg aus, und die Blicke, die ich wild um mich herum schoß, prallten, wie die Strahlen der Morgensonne, von den nackten weißen Bergen zurück, die das steinige Thal, und in demselben die hohen spitzen Felsen mit der verfallenen Burg umkränzen, in welcher der Sänger der Liebe geweilt hat. Unter einem dunklen Gewölbe am Fuße dieses Kreidengebirgs liegt der berühmte Quell, der zu Zeiten sich aus seiner Untiefe ergießt, und rauschend diese Marmorlandschaft überströmt. Fürchterlich mag alsdann der Anblick seiner Ergießung in den Schooß der todten Natur werden: aber still und beweglos sah ich sie jetzt allein um mich herum herrschen, und entsetzte mich über ihr ernstes Gesicht. Mein Herz hatte gehofft, sich in diesem durch liebliche Gesänge berühmten Thale gütlich zu thun; aber alles war ihm entzogen, woran es sich hätte schmiegen können. — Nicht einmal ein Oelbaum mit seinem unfreundlichem Grün — kein Gräschen, das sich durch die Spalten des Felsen stahl — kein abgestorbenes Hälmchen, woran auch nur der kleinste Wurm hätte saugen oder darauf ausruhen können! Ein paar einzelne armselige Hütten in Elend schmachtender Tagelöhner, die nur zur Zeit der Fluth ein gefahrvolles kleines Verdienst verwarten, und indeß von Fremden, die der wohlklingende Name des Orts — wohlklingend wenn ihn ein Dichter ausspricht — und der Gedanke an seinen ehemaligen Bewohner hierher zieht, ein ungewissen Almosen erbetteln. Und dieser Wohnsitz der Bekümmerniß, armer Petrarch! diesen abgestorbenen Theil unserer freundlichen Welt, konntest du wählen? konntest in dieser Gefangenschaft von Bergen — in diesem Brennpunkte einer frey wirkenden Sonne gutwillig schmachten, um nur ungestört, und abgezogen von allem, was an das Leben erinnert, dem einzigen Gedanken nachzuhängen, der den ganzen Reichthum deiner Wallfahrt und deines Nachlasses ausmacht? Sit tibi terra levis! Aber deine Laufbahn hiennieden gefällt mir nicht. Ich fühle in Demuth, daß ich für so hohe Verläugnungen, als die deinigen waren, zu schwach bin, und möchte nicht eine Nacht für so eine Belohnung verwachen, als du erreicht hast. Ich bewundere dich, ohne dir nachzuahmen.

     Wie überschwenglich groß und süße
Muß die Empfindung seyn deß, der den Talisman
Peterarchs besitzt! Was gehen ihn von Vauclüse
Die dürren Kreidefelsen an?
Ihn, der sein Feld und seine Wiese
Im Schubsack trägt, und irdisch Zugemüse
Bey Götterkost entbehren kann?
Ein schöner Geist ist würdig, nur von Geistern
Bedient zu seyn — Ein Gnom putzt ihm die Schuh´,
Ein Sylphe braut ihm Thee, und Amoretten kleistern
Die Spalten seiner Fenster zu.
Was mangelt ihm? Ein überirdisch Feuer
Erwärmt sein Stübchen — flammt auf seinem Herd;
Und wenn bey einem Glas ätherischen Tokayer
Ein Dichterwunsch nach süßem Abenteuer
Auch dann und wann durch seine Nerven fährt —
Auf einen Laut der stets gestimmten Leyer
Führt ihn schon Amor, sein Getreuer,
Das Mädchen zu, wie es sein Herz begehrt,
Blond oder braun — und lockender und neuer,
Als mir der Schelm noch keins gewährt;
Denn was zur nächsten Morgenfeyer
Er mir verheißt, liegt unter heil´gem Schleyer
Dem Auge noch nicht aufgeklärt.
So hast du deinem treusten Sänger,
Monarchin, die zu Pharos thront,
So fürstlich hast du ihn belohnt!
Noch steht der Fels, auf dem er, enger
Mit dir vereint, in Phöbus Strahl gewohnt,
Als keiner der den Musen frohnt.
Hier saß der Virtuos in Himmelslust, und geigte
Der Welt und Nachwelt deine Freuden vor,
Daß selbst die Schöne, die sein Herz erkohr,
Das Knie vor deinem Zepter beugte,
Und voller Sympathie, so still und liebekrank,
Acht Erben — dem Apoll sey Dank!
Mit ihrem Ehemann erzeugte.
 

* * *


     Diese Betrachtungen der idealischen Glückseligkeit eines Dichters jagten mir eine fliegende Hitze in´s Gesicht. Ich ließ mir geschwind ein Glas Wasser aus der Quelle Petrarchs holen, warf mich, sobald ich mich abgekühlt hatte, in meinen Wagen, und floh diesen poetischen Ort, der mir je länger je unbehaglicher ward. Ich hielt mich vor den Anfällen der platonischen Liebe, der dichterischen Schwärmerey, und jener schwermüthigen Laune der Empfindsamen nicht eher sicher, als bis ich, eine Stunde nachher, auf meinem Rückwege den Gasthof zu Lille erreicht hatte, wo ich einen langen Mittag hielt, und bey großen Krebsen und saftigen Haselhühnern mich noch mehr in der Wahrheit bestärkte, der ich immer anhing, so oft man sie mir auch verdächtig zu machen suchte, als seines Lebens zu gebrauchen, so lange es noch da ist.

     So bald ich nach dieser guten Mahlzeit mit mir selbst wieder in meinem Wagen zusammen traf, stürmten auch schon alle jene grausen Ahndungen auf mich ein, die mich diesen Morgen nach Vauclüse begleiteten. Umsonst wendete ich alle Kräfte an, meine weit schweifende Einbildungskraft im Zaume zu halten. Ehe ich mich versah, war sie von den ruhigen Gegenständen, die ich ihr zur Zerstreuung vorlegte, von den moralischen und statistischen Bemerkungen, die ich über das Land anstellen wollte, das ich durchreiste, zum großen Vortheile der päpstlichen Regierung, in der Stille weggeschlichen; und ich ertappte sie, wie sie eine Menge Conterbande auspackte, über die du vielleicht, wenn sie der morgende Tag zu Markte bringt, nicht weniger erschrecken wirst, als der gute Cardinal von Este, als er zum erstenmale den Orlando Furioso las, den ihm der unbefangene Verfasser zugeeignet hatte. „Messer Ludovico“, fragte er ihn mit äußerster Bewunderung, „dove diabolo avete pigliato tante coionerie?“ Ich könnte dir freylich diese Frage ersparen, wenn es in so einem unsystematischen Werke als mein Tagebuch ist, nur nicht so gar sonderbar aussähe, die Krümmen, auf denen sich bey dieser und jener Gelegenheit unser ungezogenes Herz betreten läßt, anders als obenhin zu erwähnen, und es überdieß nicht weit bequemer wäre, so unvollständig auch die Akten bleiben, das zu erzählen, was man gethan hat, als wie man dazu kam es zu thun. Ich verschiebe diese Beichte auf einen ruhigern Zeitpunkt, wo es dem gemeinen Besten noch zuträglicher seyn wird, sie abzulegen. Denn da ich willens bin einmal ein eigenes Buch über die Post= und Heerstraße des menschlichen Herzens zu schreiben, so wird es ganz natürlich herauskommen, wenn ich in einem Anhange auch von seinen Neben= und Schleif=Wegen handle, die meine meisten Vorgänger so ganz aus der Acht gelassen haben. Alsdann will ich desto offenherziger alle und jede Kenntnisse von der Art, die ich auf meinen Wanderungen sammelte, anzeigen, um jene gelehrten Herren besser auf die Spur zu bringen, wo sie etwan noch einen Schlagbaum aufzurichten, oder einen offenen Paß zu besetzen haben, um jedem Unterschleife, jeder Beeinträchtigung des Zolles auf´s künftige vorzubeugen.

     Diese vorläufige Anzeige meines moralischen Werkes, zu dem ich dir einstweilen erlaube Subscribenten zu sammeln, hast du vorzüglich der Stille zu danken, in der ich meine Wohnung wieder antraf. So angemessen sie auch einem Propsteylehn immer seyn mag, so fiel sie mir doch bey dem Ungestüm meiner Empfindungen so widerig auf, daß ich froh war, mein Aergerniß darüber mit dir zu verplaudern. Nur ein Laut von Clärchen, nur ein Zeichen, daß sie noch lebe — und ich wäre zufrieden gewesen! Eine solche Nachbarschaft, und so geräuschlos, ist das unerträglichste Ding von der Welt.

     Nach einer ängstlichen Stunde bequemte sich endlich die Alte in einem groben Basse zu husten, und zugleich hustelte auch Clärchen, aber wahrscheinlich so harmonisch, daß der größte Kenner es eher für eine Passage von Gluck hätte halten müssen, als für einen Katharr. Auch beunruhigte es mich gar nicht — Ich schloß nur, daß die Tante in eine ernste Vorbereitung auf ihr morgendes Fest vertieft seyn möchte, in welcher ihre gutmüthige Nichte nicht wagen wollte sie zu stören. Aus gleicher Achtung für den Seelenschlummer der guten Frau, setzte ich auch mich mit der möglichsten Behutsamkeit vor meinen Tisch, nahm zur Abwechselung bald das Buch de probabilitate — bald meine Feder in die Hand, und habe nun, meine Fahrt nach Vauclüse, die bis zum Einschlafen angenehm war, ungerechnet, mich seitdem so müde gelesen und geschrieben, daß ich jetzt für räthlich halte, nach den Regeln der Mechanik für mich zu sorgen, und jener glücklichen Hälfte von mir Ruh´ und Stärkung zu gönnen, die morgen unstreitig die erste Rolle zu spielen hat.
 

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Den siebenten Januar.

Und das erwartete Fest ist nach überstandener alltäglichen Ruhe erschienen. Noch hat wohl nie ein Höfling den Namenstag seiner abgelebten Fürstin, an der seine Pension, sein ganzer Unterhalt hängt, mit solchem Wohlbehagen des Herzens begangen, als mit dem ich mich von meinem Lager erhob, und der Feyer entgegen sah, die mir der heilige Name meiner alten Aufseherin sichert. Ein froher Gedanke ward schon unter meiner Nachtmütze, ehe ich sie abwarf, durch einen noch frohern verdrängt. Die Erwartung des größten jugendlichsten Glücks durchströmte mein Herz. Mit welchem Wohlgefallen habe ich nicht schon die Menschengestalt im Spiegel begafft, der so viele Freuden zu Theil werden sollen, und wie zufrieden habe ich nicht zu dem ausgewählten Anzuge gelächelt, in welchem ich mich dem Altare meiner Göttin nähern werde! O, daß nur schon die Alte zu den Füßen ihrer Fürsprecherin liegen, und mir Raum geben möchte, zu den Füßen der meinigen zu fallen!

     Indeß ist es doch sonderbar, Eduard, daß jede Erwartung einer übermäßigen Freude immer eine gewisse Aengstlichkeit mit sich führt. Wenigstens bin ich geneigter, die Unruhe, die ich mitunter spüre, lieber durch diesen als wahr angenommenen Satz, als durch eine Ursache zu erklären, die mich noch weniger trösten würde. Gab uns die sorgsame Natur dieses Gefühl als ein bitteres Gewürz, damit es in der Süßigkeit des Genusses der Unverdaulichkeit der Seele entgegen wirke; so sey ihr doppelt Dank dafür, und so wird sie auch schon ihren Beysatz zu mischen wissen, daß er nicht zu herbe weder vor= noch nachschmecke. Sollte aber die Bänglichkeit, die mir um das Herz schwebt, Ahndung eines Unrechts in meinem Vorhaben — sollte sie eine Aufforderung seyn, die Sache ernstlicher und gründlicher zu untersuchen, so wäre ich übel daran, Eduard! Denn man hat schon zum drittenmale in die Kirche geläutet, ich habe keine Zeit mehr übrig zum Nachdenken, und wenn ich das heutige Fest ungenutzt vorbey lasse, so mag meine Untersuchung ausfallen wie sie will, der Verlust des an der laufenden Stunde klebenden Gewinstes ist nicht wieder zu ersetzen. Dans les choses douteuses — — sagt ja einer von den Kirchenlehrern, on n´est pas obligé de suivre le plus sûr. An diesen Satz will ich mich vor der Hand halten. — Ja, ja; wenn damit nur Ruhe wäre! Der Uebertritt zu einem andern Glauben als wir gewohnt sind, ist wie ein Spaziergang in neuen Schuhen; sie mögen noch so gut gemacht, noch so viel werth seyn, sie lassen uns doch die abgelegten bedauern, und werden uns so lange brennen und drücken, bis wir sie so ausgetreten haben als die alten. Sey versichtert, Eduard! daß, wenn ich nicht Acht auf mich gäbe, nicht meinen Hut schwenkte und trällerte, wenn sich so etwas, das einem Gewissensscrupel ähnelte, aufdringen will, sich sehr leicht in einen Widerspruch mit mir selbst gerathen könnte, der stark genug wäre, mich mit Einemmale um die gereiften Früchte meines Jesuitismus zu bringen. Kannst du wohl glauben, was mich eben jetzt für eine Kleinigkeit beynahe ganz aus meiner Fassung gebracht hätte? Mit Scham gestehe ich dir´s unter vier Augen — der Kopf — der Gypskopf von Rousseau. Es war mir, indem ich meine funkelnden Augen in die Höhe warf, als ob er mir mit strafendem Ernste gerade in das Gesicht blickte. Ich stutzte, wie ein furchtsames Kind — mir ward ganz heiß um das Herz, und wahrlich ich mußte geschwind die malerische Stelle von gestern überlesen, um nicht in der Hitze meinen Ablaßbrief zu zerreißen, und den ganzen Handel mit Clärchen zum Henker zu schicken. Aber die lieblichen Bilder des Ceremonienmeisters thaten auch dießmal ihre Wirkung. Meine Phantasie kam rosenfarbener zurück als zuvor, und meine lieben Schlafkameraden, die Cauisten, bestreuten den Weg wieder mit frischen Blumen, von dem mich jener Widersacher der Freude verscheuchen wollte. Ich trat jetzt sogar dem Gespenste mit Trotz und Hohn unter die Nase — Die Arme in einander geschlagen, stand ich vor ihm, wog seine traurigen Verdienste gegen den Werth meiner freudigen Empfindungen ab, und ward endlich dreist und launig genug, mich lächelnd seinem Standorte zu nähern, und, als wenn er mich eben so gut hören könne als ich mich selbst, ihn in einem tragisch=komischen Ton anzureden:

     Du! den ein traurig Roß, ein Sohn des Rosinante,
Durch Wüsten der Moral in die verarmten Lande
Der kalten Metaphysik trug;
Der ein gewöhnlich Glück, als seiner Zeiten Schande,
Verwarf; sich selbst genug, im cynischen Gewande,
Als Don Quichott des Rechts, auf manchem Ritterzug
Des Morgens sich mit einer Räuberbande,
Des Nachmittags mit Marionetten schlug;
Der, stets verfolgt von einer hohen Grille,
Nach Eulenart, der Mitternächte Stille —
Und Lunens Schein nach Platons Art genoß;
Bis ihn Priapus *) in Ermenonville **)
Mit in sein Staatsgefolge schloß —
Dein Ruhm ist groß! Doch hebt mich das Vergnügen,
So groß er ist, weit über ihn.
Mit jenem Traum, der mir, so ganz im Gegensinn
Von Plato´s Traum, zu Kopf gestiegen,
Schwingt sich mein Herz aus dem Gebiet der Lügen
Zum Tempel der Gewißheit hin.
Weg, weg mit allem Schulgewinn!
Und soll mich ja noch ein System betrügen,
So sey es das: Bis zum Genügen
Am Busen meiner Nachbarin
Den Werth der Menschheit nachzuwiegen;
Von jenen Höhn, wo ihre Rosen blühn,
In´s Winterfeld der Zeit zu fliegen,
Uns aus der kleinen Kunst, sich an ein Weib zu schmiegen,
Erfahrung für das Herz zu ziehn —
Das scheint mir noch, den Irrthum zu bekriegen,
Die glücklichste der Theorien.
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*) Der Gott der Gärten.
**) Der Name des Landguts, wo Rousseau starb, und in dem Garten daselbst, auf einer kleinen Insel, begraben liegt, die eine der schönsten Partien des Gartens ausmacht.
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     Wenn man seine Sache, sie mag so schlimm seyn wie sie will, nur systematisch behandelt, so findet man noch am ersten Gnade in den Augen eines Philosophen. Die Büste dieses moralischen Grillenfängers schien mir jetzt lange nicht mehr so abschreckend als vorher; ja ich schmeichle mir sogar, er würde, wenn er noch lebte, vielleicht mit derselben Beredsamkeit, mit der er einst den Vorzug der Ignoranz gegen die Wissenschaften vertheidigte, sich auch meines Tauschhandels mit Clärchen annehmen, und ihn, auf den geringsten Widerspruch, nicht allein für unschuldig, sondern selbst für verdienstlich erklären. Wer aber wollte einer so einfachen Wahrheit wegen einen großen Dialektiker in Unkosten setzen? Sie spricht ja laut genug für sich selbst. Sind denn im Ernst, Eduard, die Umarmungen, die ich der Heiligen zudenke — die Spiele der Sinne, mit denen ich sie bekannt machen — die Vergleichungen, die ich darbey anstellen werde, und alle die Phänomene des ersten Unterrichts, die ich zu beobachten noch nie Gelegenheit fand — ist denn die ganze Sache etwas weniger oder mehr bey mir, als was sie bey einem Büffon oder d'Alembert seyn würde — ein psychologisches Experiment, das mir auf mein ganzes künftiges Leben von Nutzen seyn wird? Wenn man mit solchen Versuchen warten will, bis man erst Dekanus der philosophischen Facultät ist, o! da weiß man schon, wie erbärmlich sie gemeiniglich ablaufen. Selten daß die gelehrten Herren, die uns über den Gang der Leidenschaften vorpredigen, aus Erfahrung sprechen; denn ach! was sie so gut sind dafür zu nehmen, ist es oft so wenig, daß man nicht weiß, ob man mehr über ihren Selbstbetrug, oder über das kalte Geschwätz lachen soll, das sie darüber hergießen. Das mag hingehen, wirst du mir sagen; wie, und durch was kömmt aber die unschuldige Clara dazu, daß sie dir sitzen, und die Heimlichkeiten ihrer Seele und ihres Körpers deinen Speculationen bloß stellen soll? Durch was? guter Freund! durch ihre eigene Religion und ihre Vertheidiger — durch die Rechte des Handels — und durch den übermäßig hohen Werth meiner Zahlung. Eine Heilige hier zu Lande wird durch eine Reliquie tausendmal reichlicher für die momentane Aufopferung ihrer ruhigen Unschuld abgefunden, als eine bey uns durch ein Rittergut, oder eine Grafschaft. Ja, ich traue Clärchen zu, wenn sie auch das — was ein unschuldiges Mädchen sonst nur Einmal in ihrem Leben verlieren kann, einige Dutzend= und mehrmal daran setzen könnte, um den heiligen Kniegürtel zu erlangen, würde sie sich kein Bedenken machen es zu thun — viel weniger jetzt, wo sie gar nichts wagt, und das päpstliche et in integrum restituimus ihr für allen Schaden gut steht. Mit zwey Worten, Freund, ich glaube gewiß, daß, seitdem es Contracte giebt, keiner noch unter so annehmlichen Bedingungen von beyden Theilen geschlossen wurde als dieser.

     Aber um aller Welt willen, warum stelle ich das ganze Gefolge meiner Gedanken deiner Musterung dar? Du bist doch gewiß der Mann nicht, der mir über meinen jugendlichen Versuch nur die kleinste Chikane machen würde, und wenn er auch wirklich nicht so gut zu vertheidigen wäre. Doch so geht es, wenn man sich gewöhnt hat über alles zu räsoniren. Man wird ein Schwätzer, ohne daß man es selbst weiß. Eine zu allen Zeiten einfältige Rolle, die aber in meinen jetzigen Verhältnissen noch abgeschmackter heraus kommt! Denn wie leicht könnte ich darüber wohl gar den Aufbruch der alten Tante verhören, und, zur ewigen Schande, mein armes, verschämtes Clärchen in die Verlegenheit bringen, ihren Liebhaber selbst abzurufen! Doch meine brennende Ungeduld, die das hämische Weib so grausam auf die Probe setzt, will durch etwas getäuscht seyn; ich muß die Hitze wegschreiben, die mir sonst das Herz zermalmen würde — Gut! so will ich wenigstens, um über mein Nachdenken nicht das Object selbst aus dem Gesichte zu verlieren, wie das nicht selten bey Profectionen der Seele geschieht, einstweilen, und bis ich den Besitz aller meiner Anwartschaften erlebe, sie mit meiner Einbildungskraft zu fassen suchen.

     Aber ach, Eduard, wie ist mir bey dieser idealischen Ansicht zu Muthe! Was soll bey meinem hohen Gefühl für Schönheit, bey dem Auge, in das die Natur so richtige Blicke für Ebenmaß und Verhältnisse gelegt hat — was soll aus mir werden, wenn nun Clara vor mir stehen wird, wie jene freundliche Göttin, die man sich bekleidet nicht denken kann, ohne sie zu beschimpfen! Versinnlicht in Stein — ist ihr Bild nicht schon das vorzüglichste Kleinod aus dem reichen Nachlasse der Mediceer? Bentley versicherte, daß er lieber das so artige donec gratus eram tibi des Horaz möchte gemacht haben, als König von Arragonien seyn; und mit gleichem Kunstgefühl habe ich einen Kenner behaupten hören, daß er, jenes marmorne Bildniß der nackenden Venus ausgenommen, keine der übrigen Besitzungen des Hauses Oesterreich beneide. Da diese Herren nun über menschliches Machwerk das Maul so voll nehmen, wie soll ich mein gerechteres Entzücken an den Tag geben, wenn ich mit freudigem Erschrecken von dem ungeheuern Abstand einer todten Copie — auf das lebendige Urbild der Natur hinstaune? wenn ich mir zu allen den Schönheiten der Form noch jene ungleich köstlichern — wenn ich mir den Anstrich darzu denke, den ihnen die Bewegungen eines jungfräulichen Herzens geben werden — diese ächte Feuerfarbe der beängstigten Sittsamkeit, die über die Morgenröthe ihrer ruhigen Unschuld zum erstenmal hervor schießen — dieses Sträuben gegen unerhörte Forderungen, die ein einziger Blick auf die heilige Reliquie in frommes Nachgeben verwandeln wird — und ach! endlich das sanfte Colorit der stolzen Ruhe, wenn sie nun, nach so schweren Prüfungen, zu sich sagen kann: Der Kniegürtel der unbefleckten Jungfrau ist dein! Vergönne mir eine Pause, Freund, daß sich mein Gehirn ein wenig abkühle. —

     Eduard! ich bin toll und böse auf mich, da ich meine feurige Periode wieder überlese. Enthusiasmus verträgt sich nie gut mit politischer Zurückhaltung. Da habe ich nun meine besten Farben zu meinem idealischen Entwurfe verschwendet, die mir, ehe ein paar Stunden vergehn, beym Ausmalen des wirklich Erblickten fehlen werden. Einfältig genug! zumal da man bey den wenigen Hülfsmitteln, die uns die Kritik bey dieser Art von Cabinetsmalereyen verstattet, hohe Ursache hat, sparsam damit umzugehen! Das Widersprechende liegt doch überall, wo man nur hinsieht. In den Zeughäusern des Kriegs, in der schrecklichen Wissenschaft Menschen zu tödten, sind alle Kunstwörter gleich edel und brauchbar; in den kleinen Kriegen der Liebe hingegen, in der ungleich löblichern Kunst, die der Vernichtung der Welt entgegen arbeitet, welche unbegreiflich enge Schranken hat nicht der Eigensinn unserer Sprache dem Schriftsteller gesetzt! Es sollte einem bange werden, die schönsten Auftritte seines Lebens zu beschreiben, da unsere verschämten Kunstrichter jene alten kraftvollen, der Natur der Sache angemessenen Ausdrücke fast alle verschreyen, ohne, bey dem täglichen Bedürfnisse, uns bessere dagegen zu geben. In der That, Eduard, so sehr ich auch immer auf deine Nachsicht rechne, so begreife ich doch nicht, wie ich mich nur mit halben Ehren aus dieser Verlegenheit ziehen will. Dir nur Räthsel hinzuwerfen, und die Auflösung für mich zu behalten, würde offenbar die historische Treue verletzen; und würde ich nicht vollends alles verderben, wenn ich zu den verbrauchten Wendungen unserer Dichter und Prosaisten, mit denen sie sich seit undenklichen Zeiten schlecht genug aus den blumigen Irrgängen der Natur helfen, meine Zuflucht nehmen, und meinen originellen Sündenfall durch Nachahmung der gewöhnlichen herabwürdigen wollte? Nein, tausendmal lieber will ich mich den ästhetischen Hieben meiner gestrengen Richter und allen den launigen Strafen des erröthenden Geschlechtes unterwerfen, ehe ich meine Blöße mit solchen Lumpen decken, und, um nicht das forschende Auge der Neugier zu reitzen, nach der viel zweydeutigern Ehre greifen möchte, in der Schalaune meiner Vorgänger, die immer einer dem andern verschabter und zerfetzter hinterließ, dem gähnenden Pöbel zur Schau zu stehen. Ich möchte es nicht, und hätte sie einst Carl der Große getragen, und läge sie mit sammt ihrem Schmutze und ihren Motten, bis zu so feyerlichen Tagen, unter dem Verschlusse des weisen Raths zu Nürnberg begraben.

     Doch — welch ein Geräusch hinter der Scheidewand! Jetzt - ich schreibe es mit zitternder Feder — jetzt endlich erhebt sich die Alte — nun hustet sie wirklich zur Kammer — nun zum Vorsaal hinaus — nun die Treppe hinunter. Gehab dich wohl, fromme Bertilia! Mit Entzücken sehe ich dich, von meinem Pulte aus, über die Gasse hinken — so feyerlich langsam, daß, ehe du die Nische deiner Heiligen erreichst, ich hoffen darf schon vor der meinigen zu knieen, und selbst in den Armen deiner zaghaften Nichte schon manche Blume der Jugend gebrochen zu haben, ehe du deine Matinen gesungen hast. Gehab auch du dich wohl, du Freund des glücklichsten Sterblichen! Lassen sich die thatenreichen Augenblicke der erlebten Stunde durch menschliche Worte darstellen, so sollst du sie treu geschildert erhalten, so bald ich sie, wie kostbare Perlen, in das Diadem meines Lebens verflochten habe. –
 

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Der Abstand des Traums zur Wirklichkeit ist nun gemessen! Hier sitze ich mit hinstaunendem Blicke wieder vor meinem Tagebuche, und das Versprechen, das ich der Freundschaft ausstellte, tritt, so oft ich auf meinen Bogen schiele, mir mahnend unter die Augen.

     So setze dich denn her, Eduard! und nimm mir alles ab, was mir auf dem Herzen liegt — Erst aber deine Hand, daß es unter uns bleibt! Hätte ich dir eine Liebesgeschichte zu erzählen von gemeinem Schlage, wie man sie etwan als ein schreckendes Beyspiel auf dem Katheder braucht, so bedürfte es der vielen Umstände freylich nicht, ich wollte bald damit zu Rande seyn: aber hier ist mehr, als dieß — hier ist das visum repertum einer Heiligen — ein Feenmärchen, nur mit dem mächtigen Unterscheide, daß es wahr ist. Frage nicht nach der Zeit meiner physischen Abwesenheit! Ich würde dich in Irrthum bringen, wenn ich sie bestimmte. War es nicht ein Kalif, dem ein Engel des Himmels befahl, seinen Kopf in einen Eimer voll Wasser zu tauchen? — Er that es so lange, als man braucht um nicht zu ersticken; und als er ihn wieder heraus zog — glaubte der Mann, ein Jahrhundert wenigstens voll Seligkeit durchlebt zu haben. Das muß ein Engel der Liebe gewesen seyn, Eduard, der dieses Wunder that! Meiner Uhr nach ist es mir gegangen wie dem Kalifen.

     Welch ein Abenteuer! So einfach in seinem Beginnen, und doch so verwickelt in seinem Fortgange, und doch so herzerschütternd in seinem Ende! Mystische und magische Kräfte im Streite mit den Kräften der Natur! Mönchische Empörung gegen Papstes=Gewalt! Tumult des Gefühls! Ohnmacht des Willens! Und dieser Reichthum von Erfahrung in dem beschränkten Raume weniger Augenblicke!

     „Widder, mein guter Freund!" sagte der Riese Molineau zu Hamiltons schwatzhaftem Widder, und du sagst es vermuthlich zu mir, ,,fange doch deine Erzählung, ich bitte dich, beym Anfange an.“ — So sage mir nur erst, mein kluger Herr, wo der Anfang meiner Geschichte zu finden ist? und gern will ich deinen Rath befolgen. Aber wo höhere Mächte im Spiele schon lange vorher unsichtbare Fäden an die Werkzeuge deines Willens knüpften, ehe es dir nur ahndete ihre Puppe zu seyn — wer kann da sagen: Jetzt hebt meine Geschichte an?

     Jede Reliquie, behaupten die Sachverständigen, steht unter der unmittelbaren Aufsicht eines Seraphs, und alle die Wunder, die zusammen trafen, um mir die meinige aus den Händen zu spielen beweisen wahrlich für diesen Satz. War es denn wohl ein so natürliches Ereigniß, daß eben ich — der einzige Ketzer einer großen Versammlung, den heiligen Kniegürtel erstand, um ihn durch den sonderbarsten Zusammenhang der Dinge derselben frommen Seele auszuliefern, die nur einen halben Ducaten weniger darauf bot? Ist es zu glauben, daß nur ein Ungefähr mich zu ihrem Nachbar — zu ihrem Bewunderer — zu ihrem Freunde machte? — zu glauben, daß sich die gelehrtesten Casuisten nur von ungefähr mit mir in einer Schlafkammer befanden — daß der Buchhändler Fez — der Wächter der Laura, mir so geschwind ihr Zutrauen schenkten — und daß endlich die zwey einzigen Feste im Jahre, welche Clärchen ohne Aufsicht ließen, eben in dem engen Zeitraume meiner Miethzeit einfallen mußten? — Wer hier die übernatürliche Leitung menschlicher Begegnisse verkennt, muß wahrlich noch fester an den Zufall glauben — muß noch mehr Herz haben als ich. Doch die Folge wird dich noch besser davon überzeugen; denn diese Vorbetrachtungen, so anziehend sie auch mir seyn mögen, da ich das Ende weiß, sollen dir nicht länger die Geschichte selbst vorenthalten; zu deren genauen Darstellung mich mein Versprechen verbindet.

     Ich trat, du weißt in welcher Bewegung der Seele, aus meiner Klause — war mit zwey Schritten an dem Vorsaale, mit zwey andern vor Clärchens Kammer — löschte hier das eine — dort das andere Kreuz aus, das der zauberische Propst mit seiner geweihten Kreide über die Thüren gernalt hatte, und in der behaglichen Zuversicht, nun auch über die kleinsten Hindernisse hinweg zu seyn — trat ich muthig dem Engel unter die Augen. Ich las auf ihren Rosenwangen mein nahes Glück, und hörte zugleich die erste Losung dazu aus ihrem lieblichen Munde. ,,Ich hoffe," sagte sie, doch sagte sie es mit einer hoffnungslosen Stimme, ,,Sie, mein Herr, heute mit großmüthigern Entschließungen bey mir zu sehen, als da Sie mir das heilige Band anvertrauten. Es hat Wunder an mir gethan, die es mir schwer — die es mir unmöglich machen, mich wieder von ihm zu trennen. Möchte doch dieses offenherzige Geständniß Sie bewegen, mein lieber Herr, von dem hohen Preise nachzulassen, den Sie darauf gesetzt haben!" — „Nicht ich, Clärchen,“ fiel ich ihr in die Rede, ,,der heilige Vater hat den Preis gemacht, von dem ich Unwürdiger nicht um einen Buchstaben abgehen werde. Hier lege ich die Urkunde seiner Macht und Gnade dem Sopha gegenüber: und wenn selige Geister auf Handlungen schwacher Menschen, wie sie einst auch waren, achten; so wird der verklärte Papst mit Wohlgefallen meinen Eifer erblicken, das lieblichste Mädchen seines vormaligen Gebiets aller der Indulgenzen würdig zu machen, die er, an einem seiner fröhlichsten Abende, diesem heiligen Gürtel hier vermacht hat. Die Thüren, liebes Clärchen, sind verriegelt — Ihre Tante — zittern Sie nicht! bittet für Sie. Die Interdicte des Propstes sind durch höhere Macht aufgehoben, und alle seine Kreuze verlöscht. = = = Doch wie? was sagt mir diese bedeutende Erröthung? Wie, Clärchen?" führ ich heimlicher fort, indem ich ihre bebende Hand an mein Herz drückte, ,,so wären sie nicht alle verlöscht? Ihr viel sagendes Stillschweigen, Clärchen, liebes Clärchen! zu welchem verwegenden Gedanken muß es mich nicht berechtigen? Doch es sey darum! mag der Schwarzkünstler sein letztes Kreuz noch so versteckt haben — ich hoffe, es zu finden und zu tilgen.“ — Und indem ich sprach, sehnten sich meine lüsternen Augen nach dem Anblicke der heiligen unverhüllten Natur — mein Kunstgefühl stieg auf´s höchste, und arbeitete, wie es alle menschliche Kräfte thun — nach Beruhigung. — „Um der eilf tausend — Jungfrauen willen, mein Herr,“ rief nun das höchst erschrockene Kind, ,,nimmermehr! und wenn Sie Bischof — und wenn Sie Papst wären — Sind sie von Sinnen, mein Herr? Was verlangen Sie?“ — „Dich, dich Clärchen“, rief ich entschlossen, ,,nur dich in deiner ganzen Wahrheit und Unschuld! Glaubst du denn, daß mich der heilige Vater gesandt hat, dich einzukleiden? Weißt du nicht mehr, was alles das Urtheil besagt, das du dir selbst bey unsern Schiedsrichtern geholt hast?“ — Diese Erinnerung kam zu rechter Zeit. — ,,Ach, wie konntest du, Pater Lessau,“ schluchste sie nur noch, ,,wie konntest du, Pater Bauny, so etwas gut heißen?“ — Und sie sträubte sich nun wie ein gehorsames Kind. In einer bänglichen Minute kam sie erröthend dem schlafenden Engel — in einer andern dem Ablaßbriefe vorbey – und immer näher dem Sopha — und nun — Doch Freund, was erschöpf´ ich meinen Athem in alltäglicher Prosa? Ist die Größe und Seltenheit meiner Erfahrung in dieser feyerlichen Stunde — ist sie nicht mehr werth? und kann es Bilder geben, die des Firnisses der Dichtkunst würdiger wären, als die Hingebung einer Heiligen in das allgemeine Schicksal der Schönheit? So denke dir denn, lieber Eduard, die beängstigte Heilige, denke dir Claren, kurz vor dem Hintritte in den Freystaat der Natur, dicht neben mir auf dem traulichen Sopha —

     Mit schnellern Schwingen schien mein Traum
Als selbst der Gott der Zeit, zu fliegen.
Das Chor begann, die Glocken schwiegen,
Und unsre Tante mochte kaum
Am Schämel ihres Götzen liegen,
Als meine Küsse schon den Raum
Des Aethers theilten, und den Saum
Von Clärchens Halstuch überstiegen.

     Sie flatterten dem Silberschein
der Brüßler Kanten — wie die Mücken
Dem Licht, zu, voll Sorgen in die fein
Gesponnenen Verräthereyn
Die Flügelchen nicht zu verstricken,
Und schwirrten auf und ab, und flogen aus und ein,
Bis es dem Schwarm gelang, das letzte kalte Nein
Auf Clärchens Lippen zu ersticken.

     „Du, des Enthüllens werth, du, wie die Wahrheit rein,
Um angethan wie sie zu seyn,
Bespiegle dich in ihren Blicken!
Ihr eigner Nimbus hüllt sie ein;
Die deckt die Quellen nicht, die ihr die Kraft verleihn,
Das Universum zu erquicken,
Läßt gern ihr Heiligthum mit Frühlingssprossen schmücken,
Und Primeln sich am liebten weihn,
Und kann dir — nein — sie kann dir nicht verzeih´n
Mit Nadeln ihren Freund zu picken.
Hör auf, beschwör´ ich dich, bey diesen Streifereyn
In ihr Gebiet, bey diesen kleinen Lücken,
Die ich dir abgewann, bey diesen Tändeleyn,
Die mich so königlich beglücken —
Hör auf, den Prediger der Wahrheit lahm zu zwicken!
Mariens Band ist lange noch nicht dein,
Und nach dem päpstlichen Verein
Wird mancher Flor sich noch verrücken.“

     So sprach ich ihr an´s Herz — allein
Die Fromme schrie, als wollte sie die Krücken
Des heilgen Synklets erschreyn:
„Dir, fleh´ ich, Trägerin der großen Eins in Dreyen,
Dich schwesterlich zu mir herab zu bücken! —
Hilf, Heilige von Falkenstein,
Hilf mir — und hilf vor allen Stücken
Mein sprödes Kleinod mir befreyn!
Hab´ ich nur erst, was himmlisch ist, im Rücken,
So mag die Weltlust kurz und klein,
Was irdisch an mir ist, zerpflücken.! —
„Dein Kleinod?“ — „Ja mein Herr! Sind Sie denn vor Entzücken
Ganz blind? und wollen Sie denn mein —
Mein heiliges Nicaisen=Bein
Das mir hier hängt, durchaus zerknicken?
Nach Ihrer Art, Sich kräftig auszudrücken.
Was könnte da wohl haltbar seyn?“ —
„O!“ rief ich, den will ich schon weiter schicken;
Kein Heiliger soll uns entzweyn!“

     Ein holder Augenblick befreyte
Sie dieser frommen Angst. Vergnügter als dies zweyte,
Knüpft´ ich ihr kaum das erste Bändchen ab,
Das mir in unserm offnen Streite
Das Kaperrecht auf alle gab.
Frey irrte nun mein Blick, so bald als der Geweihte
Zu Tage kam, die Läng und Breite
Des aufgehellten Pfads herab.
Welch Labyrinth! als schwebt´ es erst seit heute
Im Raume der Natur — als hätt´ ein Zauberstab
Die kleinen Hügelchen zur Seite
Aus Aether aufgewölbt — Und wäre dieß ein Grab
Für kalte Katakomben=Beute?
Und hier, wo du, geliebte Dulderin,
Kaum meinen Kuß verträgst, hat dein bethörter Sinn
Ein morsches Todtenbein gelitten?
Und ich? ich sollte nicht an diesen Küsten hin,
Weil ich nicht Sanct Nicaise bin,
Um eine kleine Landung bitten? —

     O! ihr! die mit dem Geist des Malers von Urbin
Den höchsten Preis der Kunst erstritten,
Malt, es wird Zeit, malt mir der Unschuld Cherubin,
Der, aus dem Staub der Welt nach dem Olymp zu fliehn
Schon im Begriff — die Fittige beschnitten
Sich fühlt; malt seinen Glanz — malt seine Angst — malt ihn
Vermögt ihr´s, wie er mir erschien,
Ganz im Costum der Adamiten!

     Wie unterm vollen Mond die Nebel sich verzieh´n,
Trat jetzt aus dem Gewölk von Flor und Musselin
Der junge Busen vor. Zum erstenmale glitten,
Der Indulgenzen froh, die ihm der Papst verlieh´n,
Der Sonne Strahlen über ihn.
Kein reinerer vereint, seit dem Verfall der Sitten,
Von Ilium bis Rom, von Paphos bis Stettin,
Mehr Augenlust für Sybariten
In seinen Pünktchen von Carmin,
Und keiner blähte sich mit wildern Phantasien
Der Angst, so vor der Zeit, den Rubicon beschritten,
Die Blumen abgemäht, die unter ihm gediehn,
Sein ganzes Tempe mit Ruin
Verdeckt zu sehn, so bald es, mitten
Im Bausche des Gewands, der List gelang, den dritten
Und letzten Knoten aufzuziehn.
 

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     Einen Augenblick Geduld, lieber Eduard! Ich stehe hier, zwar nicht wie ein Herkules, doch wie ein verschämter deutscher Schriftsteller, am Scheidewege. Der eine seiner Pfade, der zur Wahrheit führt, die ich jetzt vor Augen habe, leitet offenbar von der conventionellen Bescheidenheit abwärts. Halte ich mich an diese, so soll mich zwar eine der gewöhnlichen Wendungen geschwind genug aus dem schlüpfrigen Handel gezogen haben; aber mein Tagebuch, das mich und Clärchen bis zu diesem kritischen Augenblicke ganz so schilderte wie es uns fand, wird dafür in den Augen eines so offen denkenden Menschenbeobachters, als du bist, den größten Theil seines Werths verlieren. Was soll ich thun? ,,Gehe den Weg der Wahrheit:“ rufst du mir zu, ,,und erinnere dich deines Versprechens!“ Gut! so laß mir wenigstens vorher — vielleicht hätte ich es schon längst thun sollen — für alle die unbefangenen Seelen, die mir nachschlendern ohne zu wissen wohin? einen Strohwisch als Warnungszeichen ausstecken! Denn obgleich meine Malereyen nur Dir gewidmet sind, so giebt es doch der möglichen Fälle so viele, durch die sie in unrechte Hände gerathen, ruhige Herzen in Wallung setzen, und zärtliche Augen, die Ehrfurcht gebieten, beleidigen können. Werden denn nicht täglich die vertrautesten Briefe durch den Druck bekannt, die uns über die Tugend längst verblichener Vestalinnen — über die Ehrlichkeit manches zu seiner Zeit berühmten Menschenfreundes, und über die praktische Philosophie unserer Lehrer, das Verständniß öffnen? Ich muß allemal lächeln, wenn ich unter den Beichten, die sich Busenfreunde, wie wir, in einer geheimen Correspondenz, nur unter vier Augen abzulegen glauben, die Bitte lese, sie sogleich zu verbrennen. Es ist als wenn jeder Brief durch diese Formel erst recht feuerfest würde, und für das Ganze, worauf ich gern alles beziehe, mag es auch recht gut seyn, daß kein Freund hierin den andern ehrlich bedient. Denn wenn noch zehn Alexandrinische Bibliotheken in Rauch aufgingen, es wäre für die wahre Menschenkunde lange kein so großer Schade, als wenn dieß Schicksal jenen traulichen Ergießungen des Herzens widerführe, die zu allen Stunden in Postpaketen verschickt werden. Ein wahrheitsliebender Genius scheint über ihre Erhaltung zu wachen, und dadurch das Problem zu lösen, warum die Nachkommen von den Scenen vergangener Jahrhunderte richtiger urtheilen als die Zeitgenossen, die mit ihren Nasen dabey waren. Sie sahen zwar den Erfolg, glaubten sich klug in den Zeitungen zu lesen, und tappten nichts desto weniger im Finstern. Die wahren wirkenden Ursachen der Begebenheiten kann sicher nur erst das darauf folgende Zeitalter entwickeln, das die geheimen Schubfächer der abgetretenen Acteurs ohne Rücksicht auspackt, und gegen einander vergleicht. Dann erst sieht man, wie einer den andern mit falschen Wechseln und falschen Quittungen betrog; wie dieser und jener große Mann die Marionette seines Schreibers, der Spott seiner Vertrauten, der Ball seines Weibes, seines Kanzlers oder seiner Buhlerin war, ohne es nur zu ahnden; lächelt über die geringfügen Mittel, durch die der Regierer der Erde ihr bald Convulsionen erregt, bald ihren Schlummer bewerkstelligt; und spottet herzlich über die festen Erwartungen eines ewigen Nachruhms, der oft, kaum zwanzig Jahre nachher, durch ein glücklich entronnenes Papier verrathen, als eine lächerliche Anmaßung der großen Männer die darnach zielten, documentirt wird. Nun wäre mir zwar in Absicht des Nachruhms das dereinstige Schicksal meines Tagebuchs so ziemlich gleichgültig; aber doch möchte ich gern, so viel an mir ist, alles mögliche Unglück verhüten, das durch seine Erhaltung entstehen könnte. Und wenn es sich zutrüge, daß allererst hundert Jahre nach meinem Tode, wo ich von dem schönen Geschlechte weder etwas mehr zu hoffen noch zu fürchten habe, ein unschuldiges und mit den Zumuthungen der Liebe unbekanntes Kind meine zeitige Handschrift aus dem Staube eines alten vergessenen Schrankes hervor kramte, und sich nun bis hierher so glücklich hinein buchstabirt hätte, um ohne Anstoß weiter fortlesen zu können, so sollte es mir noch leid thun, wenn es nicht abgerufen würde. Erlaube mir immer, mein Eduard, daß ich mich diesen nach Wahrheit strebenden Geschöpfen, die noch nicht wissen, daß ihnen nicht jede Wahrheit gut ist, mit einer freundschaftlichen Bitte entgegen stelle.

     Lesen Sie also nicht weiter, meine jungen liebenswürdigen Freundinnen aller folgenden Jahrhunderte, wenn Ihnen die Ruhe Ihres Herzens und der Glaube Ihres künftigen Eheherrn lieb ist! Es ist wahrlich nicht der Mühe werth, daß Sie Ihre Augen mit diesem veralteten Plunder verderben! Studieren Sie lieber eines von den schönen moralischen Werken, in denen es vermuthlich Ihre Zeit der meinen um ein großes zuvor thun wird! Stecken Sie Ihr Halstuch fester, das ein wenig klafft! Ziehen Sie Ihre Schleifen enger zusammen, und lassen Sie mich jetzt ruhig mit meinem Freunde schwatzen! Ein junger Mensch, der sich mit einem andern Flüchtling über die Irrthümer seiner Jugend unterhält, geschähe es auch nur aus der weisen Absicht, der Eitelkeit der verführerischen Wollust näher auf die Spur zu kommen, ist wirklich kein Gegenstand der Aufmerksamkeit eines behutsamen Mädchens; und ich gestehe Ihnen offenherzig, daß ich nichts weniger als die Ehre Ihrer Gegenwart bey dem nächsten Auftritte erwarte. Ich sage es Ihnen im voraus. daß dort alles bunter durch einander gehen wird, als Ihre stille Lage vertragen kann. Sie würden, wie Sie auch wohl schon aus den Vorbereitungen geschlossen haben, nichts mehr oder weniger, als die geheimen Reitze einer Heiligen bloß gestellt finden — eine Ansicht, die, bey der Kenntniß Ihrer eigenen Reichthümer, Ihr Auge nur empören muß, ohne es zu befriedigen. Sie würden — sehen Sie Sich in den Spiegel! — eine Person von gleichem liebenswürdigen Anstande in einer Unordnung finden, in die Sie hoffentlich nie zu gerathen wünschen. Und sollten Sie vollends einen Seitenblick auf mich werfen — ach! so würden Sie noch weniger begreifen können, wie ein Verehrer der unbescholtenen Sittsamkeit Ihres Geschlechts ihr jemals so nahe zu treten im Stande seyn konnte. Die Wißbegierde meines forschenden Geistes, mein natürliches Kunstgefühl, mein Contract mit Clärchen, und die berauschende Hitze des hiesigen Clima's, würden mich doch nur schlecht bey Ihnen entschuldigen; auch würde das Versprechen, mich künftig artiger zu betragen, nur wenig bey so holden Geschöpfen verfangen, die ich einmal genöthigt hätte, sich gleich den empfindlichen Pflanzen, in sich selbst zurück zu ziehen; und, was mich am meisten kränken würde, ich könnte, wenn Sie meine Geschichte nun ganz übersähen, mit der Wahrheit in ein Geschrey kommen, das sie doch nicht immer verdient. — Die Lehre, die etwan für Sie, meine Freundinnen, in meiner Begebenheit liegt, sind Sie gewiß schon scharfsichtig genug gewesen auszufinden, und Ihrem Herzen einzuprägen, da ohnehin schwerlich einer meiner moralischen Vorgänger sie Ihnen anschaulicher gemacht hat. Um jedoch allem Mißverstandnisse zuvor zu kommen, will ich sie hier zum Ueberflusse mit dürren Worten wiederholen: Willst du zu den klugen Jungfrauen gehören, liebes Mädchen, so sey geitzig mit allem was dir angehört! Laß dich weder durch männliche Bitten, kämen sie auch aus dem Munde eines Casuisten, noch durch dein eigenes weibliches Gefühl, das oft noch casuistischer ist als jene, zu der anscheinenden Kleinigkeit verleiten, auch nur dein abgelegtes Strumpfband gegen ein anderes zu vertauschen, das dir dein Liebhaber anbeut, hätte es auch selbst die Mutter Gottes getragen! — Trauen Sie meinen Worten, lieben Kinder! der Satz, der ietzt so fest steht, möchte nur locker werden, wenn Sie daran künsteln und nach Beweisen forschen wollten, die ihn noch mehr bestätigen. Ich habe denen, die meinem Rathe folgen — aber auch leider habe ich derjenigen von Ihren Gespielinnen nichts weiter zu sagen, die, ungeachtet meiner redlichen Zurechtweisung, es dennoch wagen kann, den Vorhang von der anderen Hälfte meines Natur= und Kunstgemäldes wegzuziehen. Sie büße die Strafe ihrer Verwegenheit, und gebe mir keine Schuld, wenn sie in den Tropfen der schwachen Hortensia Hülfe suchen, und ein geschwindes Kopfweh vorschützen muß, um bald auf ihr Ruhebette, ihrem nachdenkenden und nachfragenden Liebhaber aus den Augen zu kommen. Ja, wenn es nach Zeit und Umständen noch gefährlicher abliefe, ich bin außer Schuld, und verwahre mich hierdurch auf das feyerlichste gegen alle Vorwürfe ihrer Frau Mutter, und gegen die Verweise ihrer eigenen reuigen Thränen, so wie ich dagegen von Herzen gern auf den Dank des Entzückens Verzicht leiste, den mir, eine Stunde nach der verbotenen Lectüre, ihr Hausfreund möhte schuldig zu seyn glauben.

     Ich hoffe nun, durch die Gegenwart der Unschuldigen, denen ich mich eben empfahl, nicht weiter gestört, den Rest meines merkwürdigen Traums mit dir allein abzuthun, lieber Eduard; indeß wünschte ich doch, daß du mir noch über die Zeit, die ich mir schon selbst nahm, und mit jenen neugierigen Kindern verplauderte, aus eigener Gutmüthigkeit einen kurzen Aufschub vergönntest, ehe ich meinen Pinsel wieder aufnehme. Die Büste des Engels, den ich male, hat mich sehr angegriffen; meine Hand zittert noch, und ich brauche Erholung. Ach! wäre es so leicht, die Natur in ihrer Enthüllung zu zeichnen, würden wohl die Titiane so rar seyn? Da ich nun ohnehin, bey aller meiner Pünktlichkeit, eines Hauptschmuckes meiner heutigen Toilette zu erwähnen vergaß, der in manchem Betracht eine besondere Beschreibung verdient, so kann ich ja das erbetene Viertelstündchen nicht schicklicher gewinnen, als wenn ich sie hier einschiebe. Es ist ein optisches Kunststück in einem Ringe, den mir vor vielen Jahren eine junge Putzhändlerin auf der Frankfurter Herbstmesse verkaufte. Es macht mir noch eine kindische Freude, wenn ich an diesen drolligen Handel gedenke — noch drolliger beynahe als mein jetziger mit Clärchen. Als ich in ihre schimmernde Bude trat, war, nach ihr, ein Kästchen mit Ringen das vorzüglichste, was mir in die Augen fiel, nicht etwan der kostbaren Steine, sondern der hübschen Mignaturen wegen, die jene ersetzten, und die mir damals über alles gingen. Zwey davon zogen mich durch die große Aehnlichkeit mit der jungen Verkäuferin am meisten an. Dieselbe unschuldige, gefällige Miene — dieselben feurigen braunen Augen — dieselbe reine weiße Haut  dasselbe Roth des küssenswerthen Mundes — alles war auf das Sprechendste in diesen kleinen Porträten ausgedrückt. – „Man hat es mir schon mehrmal gesagt,“ antwortete sie, als ich ihr meine Entdeckung mittheilte: ,,Es ist ein Zufall, der vielleicht nur ihren Verkauf hindert.“ — Diese ungezwungene Aeußerung der Bescheidenheit eines so artigen Geschöpfes verdiente doch wohl ein Compliment. lieber Eduard? Ich wußte ihr kein größeres zu machen, als daß ich, zum Beweise wie ungerecht ihre Furcht sey, ihr einen dieser Ringe abkaufte. — ,,Was kostet das Stück?“ fragte ich lächelnd. — ,,Dieser hier“, antwortete das Mädchen, ,,zwei Louisd'or, und der andere achte.“ — ,,Und warum das?" fragte ich weiter: ,,Ich sehe doch keinen Unterschied zwischen diesen beyden Bildern; das eine sieht Ihnen so ähnlich, als das andere — sie sind mit gleichem Fleiße gemalt, und so viel ich beurteilen kann, sind auch die Reife von einerley Weite, Größe und Gehalt." — ,,Von alle dem," versetzte das junge Ding, ,,kann ich Ihnen keine Rechenschaft ablegen. Ich vertrete hier nur die Stelle meiner Mutter, die anderwärts zu thun hat, und kann Ihnen nur die Preise angeben, die sie bestimmte, ohne daß ich für mein Theil etwas mehr vorschlage." Das machte mich nur noch stutziger. Anstatt den wohlfeilen Ring zu kaufen, besah ich den theuern mit äußerster Neugierde; und es währte nicht lange, so entdeckte ich an ihm einen Punkt, groß wie ein Nadelstich, der an dem andern nicht war. Ich vermuthete eine verborgene Feder, und betrog mich nicht. — ,,Ach! liebes Kind," rief ich ungeduldig, ,,Sie haben da eine goldene Nadel vorstecken; darf ich wohl auf einen Augenblick darum bitten?" — Das gute Mädchen zog sie so unbefangen heraus, als ich darum bat — das Halstuch flatterte auf beyden Seiden, und das Brustbild ward ihr noch ähnlicher; aber kaum stach ich in den Ring, so sprang der Krystall auf, ihre sittsame Büste verschwand, und es erschreckte mich ein so schönes Kniestück vor ihr, daß ich über und über roth ward. — ,,O, jetzt begreife ich," sagte ich mit funkelnden Augen, „warum dieser Ring noch dreymal so viel werth ist als der andere. So con amore *) gemalt, habe ich keine Mignatur noch gesehen. Ihre Frau Mutter muß den Handel vortrefflich verstehen; denn der Ring ist des Geldes unter Brüdern werth.“  ,,O gewiß, mein Herr," sagte sie gleichgültig, ,,übertheuern wir niemanden." — ,,Für einen großen Thaler," fuhr ich fort, ,,überlassen Sie mir auch wohl Ihre goldene Nadel, die zum Schlüssel des Rings wie gefünden ist?" — ,,Von Herzen gern," antwortete das gutmüthige Geschöpf, und das Halstuch flatterte nun so lange vor meinen Augen fort, bis ich das Gold sortirt und aufgezählt, sie es durchgewogen und eingestrichen, und ich des schönen Anblicks vor der Hand genug hatte.
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*) Diesen Ausdruck. den ich damals gebrauchte, hat unser Wieland seitdem so Mode gemacht, daß ich ihn sogar vor einiger Zeit in der Predigt eines Candidaten von der Kanzel gehört habe.
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     Ich war damals ein blutjunger Mensch, Eduard, der das Geld nicht achtete, das tanti poenitere non emo nicht begreifen konnte, und an allen Ecken der Stadt betrogen wurde. Aber diesen Ring wenigstens habe ich gewiß nicht zu hoch bezahlt; denn, ungerechnet, daß, so lange ich auf der Messe war, nicht ein Tag verging, wo ich mir nicht die Lust machte, seine Feder ein paarmal springen zu lassen, und kein Abend, wo es mir nicht durch seine Vermittelung gelang, dieß artige Kind in ihr Quartier zu begleiten, hat er mir auch noch in der Folge meines Lebens die wichtigsten Dienste geleistet. Die Ringe des Giges und des Salomo in Ehren, hat doch sicher keiner eine so süße magische Kraft von sich geströmt, als der meinige. An seinen Besitz scheint das Geschick die vielen glücklichen Stunden geknüpft zu haben, die ich seit jenen erstern der Frankfurter Messe verlebte. Sollte auch die junge Putzhändlerin noch nicht ganz von der Oberfläche unserer Erde verschwunden sein, so würde ich sie doch schwerlich jetzt aus ihren Runzeln hervor ziehen können, wenn sie mir irgendwo wieder aufstieße; aber das jugendliche Andenken, das sie mir mit dem Ringe übergab, wird hoffentlich mir so lange noch zu Hülfe kommen, als ich unter den Lebenden wandle. O du überschwengliches Glück der Einbildungskraft und der Erinnerung! Und doch wie wenig wirst du in unserm Alltagsleben benutzt! als ob wir Armen unserer flüchtigen Freuden noch so sicher, und des wiederholten Genusses der gegenwärtigen Augenblicke noch so gewiß wären! Ließe jeder Ehelustige seine Braut am Tage ihrer Uebergabe in dem Costume meiner Putzhändlerin unter dem Krystalle seines Traurings mahlen, die erste Auslage würde ihm in ältern Jahren zehnfach wieder zu gute kommen. Wie mancher widrigen Stunde der Erschlaffüng würde er durch diese Kleinigkeit wieder aufhelfen! Wie manchem häuslichen Zwiste könnte er mit diesem Documente, das beyden Theilen zum Beweise dienen würde, vorbeugen! Warum rettetet ihr nicht, ihr Veralteten, einen Feuerbrand aus eurer Jugend, an dem sich jetzt euer erkaltetes Herz erwärmen, und der euch mit wiederkehrenden Kräften beleben könnte? So stecke ich allemal, und selten umsonst, meinen Frankfürter Ring an den Finger, wenn ich nöthig habe den jungen Herrn zu spielen. Er dient mir oft als ein Medusen=Kopf, mit dem ich den feindlichen Ernst aus meinem Museum verjage; und nie vergesse ich, ihn in so kritischen Stunden zu tragen, als mir heute zu Theil wurden. Wundershalber will ich nur sehen, wie lange er seine magische Wirkung noch äußern, und ob nicht, wenn seine Feder erschlafft und seine Farben verbleichen, auch endlich sein jugendlicher Einfluß auf mich selbst verschwinden wird?

     Doch ich bin und bleibe ein Schwätzer, und vergesse immer die eine Geschichte über die andere. Mache es nur jetzt, um geschwind von der Sache zu kommen, wie ich es eben mit dem Ringe gemacht habe, lieber Eduard; besieh erst noch einmal auf das genaueste das artige Brustbild meiner Heiligen — die verschämte ängstliche Miene — das belebte Colorit, und das Steigen und Fallen ihrer frommen Empfindungen; und nun wende geschwind das Blatt um, wenn du dir auch die andere Hälfte des pitoresken Anblicks gönnen willst, den ich erlebte. Du gehörst, gottlob, nicht zu jenen Unerfahrnen, die ich verscheucht habe, und es würde wohl sehr lächerlich herauskommen, wenn ich einem Manne, wie du bist, meinen guten Rath mit auf den Weg geben wollte.

     Als Schüler Epiktets, weißt du zu gut den schnellen
Begierden zu entfliehn. Dich wird kein Uebersprung
In's Thal der Leidenschaft den Faunen beygesellen,
Die meine Muse, trotz dem Diadem von Schellen
Auf ihrem Haupte, nie besung.
Die Weisheit führe dich mit Glück durch jene Wellen=
Und Schlangenlinien den angestaunten Zellen
Der feinsten Haut vorbey, bis in die Dämmerung
Der Werkstatt der Natur, die selbst mein Adelung
Zu schüchtern ist dir aufzuhellen.
Blick, alter Freund, blick her! An diesen Wunderquellen
Sah sich ein Nestor wieder jung.

     Wie bebend stand sie da, die Perle der Pücellen!
Wie ein verklärter Geist, den an des Himmels Schwellen
Ein Schauer der Verherrlichung
Zum erstenmal ergreift! Sie, jedem Dichterschwung
Zu hoch, sie traulicher dem Auge darzustellen,
Ist keine Sammlung von Pastellen,
Ist keine Sprache reich genung.
Wie ward mir! Ach, aus meinen Augen blickte
Ein Herz, das wie ein Gott genoß;
Die Stimme fehlte mir – in meinen Adern floß
Ein Feuerstrom, der sie nur stärkender erquickte,
Je wütender er sich ergoß.
Die Lieb' in Ungestüm verweilte nirgends — pickte
Ein Röschen hier, das seinen Kelch verschloß,
Eins dort, das sich schon besser schickte,
Schon prahlender in Blätter schoß,
Und jedes, den die lange Zeit verdroß,
Die es umsonst im Schutz der lnterdicte
Der Lüsternheit entgegen sproß.

     So schweifte mein Gefühl mit wechselndem Gewinste
Durch Berg und Thal, den Bienen gleich, und sog
Sich voll — flog schwerer — und verflog
Zuletzt sich an das Kreuz, das unter Florgespinste
Des Propstes Zaubergriffel zog.
Wie ängstlich flatterten die aufgeschreckten Reitze
Der Scham, den Tauben gleich bey einer Reiherbeitze.
Von allen Scherzen ausgezischt
Aus dem Tumult. Genug! — Mit Thränen untermischt,
Wird nun der Opfertrank dem lang' getäuschten Geitze
Des hungrigsten der Götter aufgetischt.

     Doch kaum begann das Fest, die Augen angefrischt,
Sah ich kaum, unter mir, von dem versteckten Kreuze
Des Propstes den Contour verwischt,
So fühlt' ich schon mit jedem Blick von Claren
Die Strahlen seines Banns mir in das Auge fahren,
Das wild bis an die Schranken lief,
Die, ihm zwar weit genug durch meinen Ablaßbrief
Geöffnet, doch zugleich mit einer wunderbaren
Geheimen Kraft gesegnet waren,
Die alles, was im Reich der Phantasieen schlief,
Die Gränzen zu bedecken rief.
Gespenster stiegen auf; die Gegend wurde trüber,
Sturm zog sich um den Kreuzgang her;
Mir war als schleudre mich ein ungestümes Meer
In das Gebiet der Schatten über,
Gelähmt zu jeder Wiederkehr; —
Mir war als schlüge das Gebelle
Des Höllenhundes an mein Ohr; —
Mir war als ob der Danaiden Chor
Sich mir mit ihren Eimern vor,
Und neben mir sich der Verdammte stelle,
Der, ewig durstend an der Quelle,
Die Tropfen zählt, die er verlor.
Neugierig streckte sich so mancher Diebsgeselle
Verbotner Freuden aus der Welle
Des Phlegethons nach mir empor = = =

     Doch was erhebt dort aus dem Feuer
Des Orkus sich für ein Koloß?
Entsetzlicher, als selbst die Ungeheuer
Aus jenem fabelhaften Troß!
Die Dietriche des Himmels glühen
In seinen Händen — Funken sprühen
Von seinem purpurnen Talar!
Sein Nimbus schwebt im Qualm der Seuchen,
Die ihm die neue Welt gebar! *)
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*) Während seiner Hierarchie ward Amerika entdeckt. Als Statthalter Gottes bestätigte er dem Emberer den eigenthümlichen Besitz durch einen Schenkungsbrief. und überschwemmte sogleich den neuen Welttheil mit Mönchen, die für das Evangelium. das sie dahin trugen. im Tausch jene unglückliche Krankheit zurück brachten. die selhst die ersten Quellen der Natur vergiftet.
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Sie nagen sein Geripp, und scheuchen
Der Neugier Blick von seinem Schlangenhaar!
Sein Haupt, das frech drey Kronen auf einander
Gethürmt, sein Fürstenstuhl, den eine nackte Schaar
Umzingelt, stellen mir im Glanz der Salamander
Das Oberhaupt der Kirche dar;
Ihn, der, verwüstend wie ein Brander,
Auf Titus Thron — Papst Alexander,
Jetzt mir auf Clärchens Brust ein Unterhändler zwar,
Doch selbst auch hier, wie vor dem Hochaltar,
Ein ehrvergeßner Abgesandter
Des Todes und der Sünde war.
Statt einem Lorberkranz zog spottend der Barbar
Ein Leichentuch um meine Schwanenbetten;
Mein Auge schwindelte im Bann
Des Propstes, und erstarb — die letzte Oelung rann
Kalt über mich, und Todtenmetten
Vereitelten den Amoretten
Die Ueberfahrt nach Canaan.
Mir schien als schleppe mich ein brausendes Gespann.
Mit Krepp behängt, mit traurigen Aigretten
Bekrönt, dem Hügel zu, wo man
Das Glück der Schlafenden schon aus dem Kranz von Kletten,
Der ihn umweht, errathen kann.
Erschreckt durch solch ein Bild, sah ich mich um, und sann,
Nur noch den Rest der Seligkeit zu retten,
Die mir mein Document gewann.
Umsonst! Die Hölle schien auf meinen Fall zu wetten;
Dem schwindenden Phantom begann
Mein eifersüchtiger Tyrann
Ein neues Blendwerk anzuketten.
Schon dreymal hatt' ich mich in den Bezirk gewandt,
Wo sich mein erster Blick mit Hoffnungen verband,
Die lange noch nicht eingetroffen;
Und dreymal prallt' ich ab, gleich einem, der am Strand
Calabriens sein schönes Mutterland
Vergebens wieder sucht. Sein Gärtchen ist ersoffen;
Sein alter Spielplatz ist mit Sand
Bedeckt — sein Veilchenthal steht jetzt bis an den Rand
Voll Nesseln, und er sieht dort den Charybdis offen,
Wo sonst ein Meilenzeiger stand!

     Doch hier entfällt die Feder meiner Hand,
Ich geb' es auf den Stoff noch besser auszustoffen. *)
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*) Ein gewagtes Wort für etoffer —
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G'nug! Eh' ich mich in diesem Schutt und Brand
Ein wenig nur zu rechte fand,
Zerfloß mein Jugendtraum — ach! wider mein Verhoffen
Selbst wie ein Schatten und verschwand.

     In mancher Fährlichkeit, wenn ich bald Menschenhasse,
Bald frommer Heucheley die freye Stirne wies,
Wenn ich in dunkler Nacht, trotz meinem Weisheitspasse,
Mich manchmal an die Nase stieß,
Malt' ich mich dir so gern; doch dießmal, Freund, erlasse
Den Umriß mir der kläglichen Grimasse,
Die mir mein Unfall hinterließ.
Der Sohn des Dädalus fiel, glaub' ich, nicht viel strenger
Bestraft, vom Himmel in die See;
Die traurigste Gestalt schlug nicht ihr Auge bänger
Nach Rosinanten in die Höh';
Kein Wittwer fühlte sich wohl je
Verwittweter als ich; selbst nicht der Minnesänger
Der höllischen Euridice.
 

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     ,,Ach, Clärchen, ach! wo kamen die Bilder — die schrecklichen Bilder her?" rief ich trostlos aus, indem ich dem lieben Kinde von unserm traulichen Sopha herunter half. — „Was denn für Bilder?" fragte sie, trat zugleich vor den Spiegel, ohne auf meine nachstrebenden Blicke zu achten, und schon rollte der Vorhang über jene heiligen Kleinodien, die vielleicht von mehr Gespenstern bewacht wurden, als je einen Schatzgräber erschreckt haben. Sie hatte so eine Eil damit, als wenn sie befürchtete, ein einziger Sonnenstrahl schon könnte dem herrlichen Gemälde, das ihr so rein und treu, wie aus einem Krystall wiederschien, alle seine Schatten und Lichter ausziehen. Mein Herz war beklemmt — es fühlte mit Wehmuth seinen Uebergang aus der schönen Natur in die gemeine Welt. — ,,Nun mein Herr," wiederholte sie, während sie ihren ersten Unterrock über sich warf, ,,was für Bilder waren es denn?" — ,,Blendwerke der Hölle," antwortete ich. ,,Sie hätten wohl einen Riesen aus seiner Fassung bringen — einen Furchtsamern als mich wohl tödten können. — ,,So bin ich denn recht froh," fiel sie mir in das Wort, ,,daß wir noch so gesund beysarnmen sind." Und dabey knüpfte sie die Hauptschleife, von der ich dir, glaube ich, schon oben etwas gesagt habe, wohl noch einmal so fest zusammen, als sie war, da ich sie aufzog. — Wo ich hinsah,'' fuhr ich fort, ,,lagen die Phantome vor mir, stiegen mir nach wo ich hindachte, und haben mir den schönsten Handel verdorben, der wohl je über eine Reliquie geschlossen ward." — ,,Das thut mir herzlich leid, mein Herr," erwiederte sie, und langte nach ihrem Nadelküssen. ,,Ohne die Mühe des Aus- und Anziehens eben hoch in Anschlag zu bringen, würde ich sie mir doch ganz erspart haben, hätte ich vermuthen können, daß Ihnen dieselbe Ansicht, auf die Ihr Eigensinn so hartnäckig bestand, so übel bekommen würde. „Weder Pater Bauny," sagte sie, und fuhr in den einen Aermel ihres Mieders, ,,noch der Pater Lessau," und sie fuhr in den andern, ,,weder Sie noch der Papst," und sie fing sich an einzuschnüren, ,,würden mich haben bereden können, Ihnen damit beschwerlich zu fallen, wenn ich, wie gesagt, es gewußt hätte." — ,,Sie sind die Güte selbst, Clärchen, und so aufrichtig als schön, um desto mehr ist es zu bejammern, daß so viele Vollkommenheiten unter dem Drucke eines Zauberers liegen." — ,,Wie, mein Herr?" drehte sie sich verwundernd nach mir um: ,,Halten Sie den Schutz der Mutter Gottes — das Kreuz der heiligen Cäcilia, für Zauberey? und rechnen Sie die frommen Interdicte meines Seelsorgers unter die verbotnen Künste?" — Ich ließ mich durch ihre Frage nicht irren. — ,,Unbegreiflich!" fuhr ich nur noch ingrimmiger fort, je fester sie ihr Schnürleibchen zusarnmen zog, ,,wie ein Propst gegen einen Papst ein gemeiner Schwarzkünstler gegen den größten, so ganz ohne Widerrede Recht behielt!" - ,,O! mein Herr," fiel sie mir hier sehr ernsthaft ein, ,,seine väterliche Fürsorge für mein Bestes = = =“ — ,,Was meynen Sie damit? Clärchen!" fragte ich in der albernsten Zerstreuung — ,,verdient auch selbst in Ihrem Munde, diese Schmähung nicht. Wie können Sie nur den guten Mann mit Ihren Phantomen in Verdacht haben? Wie hätte er denn Ihren Handel verderben können, der, glauben Sie mir, viel zu sonderbar war, als daß ihn selbst ein Prophet hätte errathen sollen? Thun Sie immer der Wahrheit die Ehre, und gestehen Sie, daß Sie nichts mehr als Ihre eigene Schuld trugen, und da Sie über alle unsere Ein= und Ausgänge die Kreuze des Propstes mit lachendem Muth verwischten, Sie nothwendig die rächenden Geister wider Sich empören mußten, die diese heiligen Zeichen umschweben. Es ist mir lieb, daß Sie aus eigener Erfahrung lernen, wie wenig Ihr Glaube gegen den unsern vermag, und daß man ungestraft auch das geringste Geschöpf, nicht unrecht ansehen darf, das unter dem Schutze der Heiligen steht. Aber mein lieber Herr," fuhr sie jetzt mit mehr Theilnahme fort, ,,da Sie nun das erfahren haben, wie mögen Sie sich immer noch nicht besser mit Ihren Augen in Acht nehmen? Sie verfolgen ja jede Nadel die ich mir anstecke, als wenn Ihnen noch so viel an Ihrem Schwindel gelegen wäre. Warum setzen Sie Sich nicht einstweilen in eine Ecke, bis ich mit meinem Anzuge zu Stande bin?"

     Beynahe glaube ich, Eduard, daß Clärchen mit ihrem kindischen Geschwätz nicht ganz Unrecht hatte. Ich begreife es noch nicht, warum ich, ohne zu wanken, neben ihrem Spiegel gelehnt blieb, den sie doch, mit so gänzlicher Ausschließung meiner, über ihren Anputz zu Rathe zog, als wenn ich nicht in der Stube wäre. Mit der traurigsten langen Weile stand ich da, und mußte zusehen, wie sie alles so artig wieder aufbaute, was ich zu Ehren der Natur einriß — wie mir jede Minute eine Augenfreude mehr entzog, bis alle und jede ihrer heiligen Reitze – und wie ich fürchtete — auf ewig meinem Anblick verschwanden. Sie war nun so weit mit sich fertig, daß sie nur noch das letzte Streifchen Muselin um ihren Busen zu schlagen hatte, als sie, durch einen flüchtigen Hinblick nach ihrem Halsgeschmeide, meine Füße in Bewegung brachte. Ich holte den guten Nicaise aus seinem Winkel, und ich hoffe, daß der bescheidene Ernst, unter welchem ich ihn jetzt wieder zu seiner warmen Ruhestätte begleitete, den Leichtsinn hinlänglich verbüßt hat, mit dem ich mich unterfing ein so heiliges Gebein der Erkältung auszusetzen. Und nun stand das fromme Clärchen wieder so erbaulich vor mir, daß ich nichts weniger als ein neues Schrecken von ihr erwartete, mit dem sie mich doch bald genug überraschte. — ,,Jetzt, mein Herr," sagte sie freundlich, ,,jetzt geht mir zur völligen Beendigung unseres Handels nichts mehr ab, als — Sie wissen wohl — die restitutio in integrum; die Sie mir, als eine Hauptbedingung, zugesagt haben." — ,,Ihre restitutio?" fing ich das Wort auf, und ward roth bis über die Ohren. ,, Kann das fromme Clärchen auch spötteln? O haben Sie nur Geduld! Jene Schreckbilder werden mich nicht ewig verfolgen, und mein Näherrecht wird dem heiligen Vater schon noch Gelegenheit verschaffen, seine ganze Macht und Gnade an Ihnen zu versuchen." — ,,Da verstehen wir uns einmal wieder nicht," antwortete sie, und legte ihre Hand traulich auf meinen Arm. ,,Ich rede sehr ernstlich, mein Herr! Mein Spiegel hat mir keine Kleinigkeit, und hat mir also nicht verschwiegen, in welche Gefahr jene unruhige Lage auf dem Sopha meine Singstimme versetzt hat. Ich beschwöre Sie also bey der Unschuld der Harmonie, bey der Glorie der heiligen Cäcilia, das Mahlzeichen wieder in seinen vorigen Stand herzustellen, das unter Ihren Händen verlosch. Hier ist die geweihte Farbe, die auf dem Altare dieser großen Erfinderin der Orgel — dieser Patronin aller Sängerinen und Sänger, gemischt, und der einzige Reichthum meiner Toilette ist." — Mit diesen Worten reichte sie mir aus dem einen Schubfach einen Pinsel, aus dem andern eine krystallene Schale, die diese kostbare Schwärze enthielt. Es lagen in dieser ihrer Zumuthung wieder so viel neue Begriffe für mich, daß ich nicht gleich wußte wo ich damit hin sollte. — ,,Also nur Ihrer sonorischen Stimme wegen, Clärchen?" fragte ich lakonisch, und schüttelte den Kopf. — ,,Und weswegen könnte es denn sonst seyn?" fragte sie dagegen; und wir blickten einander wieder mit der Verwunderung an, in die uns schon so oft unsre Mißverständnisse gebracht hatten. Das Mädchen, Eduard, wird mir ein Räthsel bleiben bis zu dem letzten Augenblicke.

     So wenig ich auch von Zeichnung und Malerey verstehe, so hatte ich doch nicht das Herz ihre Forderung von der Hand zu weisen. Ich folgte ihr also, und dießmal ganz demüthig, bis an den Sopha nach — knieete mit der nichts sagenden Miene eines elenden Malers, den ein Narr miethete eine Venus von Correggio auszubessern, vor die beschädigte Sängerin — sah zum letztenmal im Vorbeygehn den theuern Kniegürtel, der mich in so viele Verlegenheit schon gebracht hatte, und der Vorwurf, den ich mir machte, seine weitläufigen Indulgenzen so ärmiich benutzt zu haben, lief mir eiskalt über den Leib. Ich nahm mich jedoch auf das beste zusammen — zog meine Striche die Länge und die Quere auf dieselbe Stelle, wo ich die Spur der ersten halb verlöschten antraf, und ehe ich mich umsah, stand mein Gemälde im möglichsten Glanze da. Wenn du aber denkst, daß es ein Kreuz war, Eduard, so irrest du dich. Die Grundsätze meiner Moral und Religion werden mir nie erlauben, für den Aberglauben einen Pinselstrich zu thun, es müßte denn seyn, um ihn zu verspotten; und dazu hatte ich hier freylich alle mögliche Aufmunterung. Was soll das Symbol des heiligen Kreuzes, ich bitte dich, an dem Scheideweg einer Sängerin? Ich wollte nur, dachte ich, daß der Propst da wäre, um ihm das Lächerliche und Unschickliche davon begreiflich zu machen. Doch bin ich denn nicht sicher genug daß er herkommt? Gut! so will ich ihm denn einen Beweis ziehen, der ihm so stark in die Augen leuchten soll, daß sie ihm übergehen. Die Gelegenheit war wirklich zu schön! Denn so gewöhnlich es auch ist, seinen Gegner an einen dritten Ort zu bestellen, so konnte doch zu der stillen Rache, die ich an dem meinigen zu nehmen gedachte, wohl schwerlich einer besser gelegen seyn, als die einsame Gegend seines täglichen Besuchs, die seine vertrauteste Freundin durch einen Zusammenfluß glücklicher und unglücklicher Zufälle mir selbst zu verrathen genöthiget wurde. — Und so malte ich denn dem guten Mädchen, ohne daß sie auch diesmal so wenig erfuhr, was auf ihrer Grundfläche vorging, als sie die feine Verbindung meiner guten Absichten mit meiner schlechten Arbeit argwöhnen konnte — Etwas — das sich ungleich besser für ihre Umstände schickte; malte ihr statt des heiligen Kreuzes das sie erwartete, mit allem Ausdrucke der Wahrheit, ein Bild das auf einen flüchtigen Blick jener Figur nicht ganz unähnlich war — kurz, ich malte ihr nichts mehr und nichts weniger als - was denkst du wohl Eduard? als einen — Stimmhammer.

     Wir waren beyde, obgleich aus verschiedenen Gründen, mit dem guten Fortgange der Wiederherstellung so zufrieden, daß wir noch, während das Gemälde abtrocknete, die freundlichsten Blicke mit einander wechselten. Stelle dir aber mein Erstaunen — stelle dir = = = nein du kannst es nicht — mein Erschrecken und ihre Verzweifelung vor, als ihr Aufstehen vom Sopha ihr nur zu fühlbar entdeckte, daß ich während meiner Arbeit — wo muß ich die Augen gehabt haben? — den ganzen Rest der geweihten Farbe, der wenigstens noch zu hundert Kreuzen hinlänglich gewesen wäre, verschüttet — das feinste Linnen, das man sich denken kann, verdorben, und selbst den Kniegürtel der unbefleckten Jungfrau ein wenig befleckt hatte. Alle die entsetzlichen Folgen meiner Ungeschicklichkeit, ob ich sie gleich nicht so geschwind übersehen und so genau berechnen konnte als Clärchen, traten mir doch lebhaft genug unter die Augen, um mich aus meiner Fassung zu bringen. Ich hatte kaum das Herz nach dem armen Kinde in die Höhe zu blicken, das, durch diesen Unfall ganz niedergedrückt, seinen vorigen Heroismus unwiederbringlich verlor. Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen, lehnte sich hinfällig an die Wand, vergoß in der Geschwindigkeit mehr Thränen' als letzthin von der heiligen Magdalena versteigert wurden, stürzte sich endlich, wie ohnmächtig, auf den Sopha zurück. — ,,Liebes, bestes Clärchen," rief ich in der äußersten Bestürzung, ,,um aller Götter willen beruhigen Sie Sich! Sagen Sie mir; in welchem Kloster diese Schwärze der heiligen Cäcilia zu kaufen ist; ich will hinlaufen — sie holen, und Ihnen den Verlust Ihrer Toilette, wenn er auch noch so beträchtlich wäre, mit tausend Freuden ersetzen. Vor allen Dingen aber bitte ich Sie — und ich will Ihnen gern dabey hülfliche Hand leisten — kleiden Sie sich um." — Jetzt erwachte sie, und drehte ihre mächtigen Augen, mit dem verächtlichsten Blicke den sie fassen konnten, nach mir Unglücklichem zu. — ,,Gehen Sie, mein Herr" rief sie mit sublimer Stimme: ,,Machen Sie, daß Sie bald aus unserm Hause kommen! Es ist kein Glück und Segen in Ihrer Nachbarschaft." — Mehr erlaubte ihr der Schmerz nicht vorzubringen. Sie stützte ihren Kopf auf die rechte Hand, über die ich neue Thränen in Perlen herab rollen sah. Ich stand wie versteinert vor dem so hoch betrübten Kinde. Eine Weile darauf erhob sie noch einmal ihr trauerndes schönes Gesicht und ihre bebende Stimme. ,,Muß ich Sie noch immer sehen, mein Herr?“ fragte sie mit einer Empfindlichkeit, die mir das Innerste der Seele bewegte. — „Undankbare!" versetzte ich jetzt mit tragischem Ernste: ,,Sie soll ich, Ihr Haus soll ich — mein Näherrecht soll ich verlassen? Und Sie wollten das Knieband der Madonna — den Ablaßbrief Papst Alexanders — wollten Sich alle seine Indulgenzen zueignen, ohne mir nur eine kleine Frist zu gönnen, sie mit Ihnen zu theilen?" — „Das,“ fiel mir das fromme Mädchen mit unbegreiflichem Stolz in's Wort, ,,ist noch der einzige Trost in meinem Unglücke, daß ich diese Heiligthümer unwürdigen Händen entreiße! — Auf meiner Seite habe ich die Bedingungen erfüllt, mehr als zu sehr erfüllt, und bin darüber in Ruhe. Dieß, mein Herr, ist, bey der gebenedeyten Mutter! das letzte Wort, das Sie von mir hören. — Jetzt können Sie gehen, oder meine Tante erwarten, wie es Ihnen beliebt.“ Sie hatte kaum ihrer Tante erwähnt, so ward mir schwühl um das Herz. Ich wagte keinen Augenblick länger zu verweilen, und, nach einem paar hingeworfenen Worten zum Abschiede, die mir das Geschöpf nicht einmal beantwortete, eilte ich zur Thüre hinaus, die ich auch sogleich hinter mir zuriegeln hörte.

     Ich kannte mich kaum vor Aerger, wie ich in mein Zimmer trat. Ich klingelte nach Bastian, um ihn zu fragen, was er wolle? und klingelte ihm wieder, um ihm zu befehlen, ungesäumt einzupacken und die Post zu bestellen. Ich will fort, Eduard! Was brauche ich die Zurückkunft der alten Hexe erst abzuwarten? Sie ist für ihre Miethe einen Monat voraus bezahlt, und ihr heiliges Clärchen kostet mir ein und vierzig Dukaten, die ich nicht übler hätte anwenden können. Was soll ich länger an diesem abscheulichen Orte? Es würde mich nur um mein Bißchen Verstand bringen, wenn ich noch einen Abend hier verleben, die Ankunft des Propstes erlauern, und wohl gar bey seiner morgenden Inspection gewärtigen müßte, mit meinem Stimmhammer confrontiert zu werden. Wohl mir, daß ich der unterirdischen Wirthschaft dieses Gesindels noch so glücklich entwischt, und der Mühe überhoben bin, um den Preis des vermaledeyten Ablaßbriefes noch einmal mit den Geistern der Hölle zu ringen! Ich thue hiermit feyerlich Verzicht auf meinen Antheil an jenem unheiligen Fetzen, der einst Zeuge der Mord=schaffenden Umarmungen eines ehrlosen Papstes war, und jetzt, als Zeuge der verräthenrischen Heucheley eines nichtswürdigen Mönchs, das Knie seiner Buhlerin gürtet. Das Wort, um das ich so lange ungewiß herum ging, ist endlich, gottlob! über die Zunge — Ich nehme es nicht wieder zurück, Freund! und hoffentlich wirfst du mir auch nicht vor, daß ich es zu voreilig gesprochen habe. Aber was kümmert es mich? Mögen doch diese Heiligen ihr Unwesen treiben, bis sie selbst zu Reliquien werden! Mein armer Kopf! wie er feuert und tobt! Ich muß — ich muß meine Bosheit thätiger auslassen als mit der Feder!
 

* * *


Weißt du, von woher ich zurück komme? Ich habe dem gesegneten Andenken des vortrefflichen Rousseau, das ich vor einer Stunde so grausam beleidigte, mein Versöhnungsopfer gebracht; habe alle die teuflischen casuistischen Bücher meiner Schlafkammer vertilgt, die mich, großer Gott! der Versuchung so nahe brachten, ein Jesuit zu werden. Von dem Tractate an de probabilitate bis zum Sanchez de matrimonio — von siebzehn Büchern, mit denen ich in näher Bekanntschaft gerathen war, ist nichts übrig, als die leeren Hornbände, und das einzelne Blatt aus der Legende der heiligen Clara, das den großen Beweis der Dreyeinigkeit enthält, und das mir noch beyfiel aus dem Feuer zu retten, um es als einen Beleg meiner Erzählung zu gebrauchen, als das Buch schon lichterloh brannte. Alles übrige ist vom Feuer verzehrt. Der Scheiterhaufen dieser unseligen Werke brannte gerade unter der Büste jenes unsterblichen Schriftstellers — Die emporrollende Flamme röthete, je mehr sie sich in dem Kamin verbreitete, sein blasses Gesicht, das, wie vom Feuer der Tugend belebt, auf mich herabblickte. Ich glaubte in seinen ernsten Mienen die höchste Mißbilligung meines Leichtsinns zu lesen, und schamhafte Reue über die Verirrungen meiner verlockten Sinne färbten nun meine Wangen.

     Wenn Bilder von jenen Tausenden Seliggesprochener gleiche Empfindungen zu schaffen vermöchten = = = ach! wer könnte die religiöse Verehrung derselben verdammen? Wer könnte alsdann über die Andacht eines fühlenden Mädchens spotten, das vor der Madonnengestalt neben ihrem Bette das Knie beugt, um ihre schwankende Tugend zu stärken? Wer möchte es wagen, ein Bild, das zur Erinnerung an Ehre und Rechtschaffenheit dient, — es sey ein Boromeus oder ein Rousseau — aus seinem Gesichtskreis zu verbannen? — O, ihr Päpste, Pröpste, und Mönche! die ihr eine Legion von Lotterbuben, nicht zur Bewahrung, sondern zur Verführung der Tugend, auf Altäre gestellt — durch heillose Künste das zarte Gefühl des Gewissens verhärtet — manche schwache Seele durch Freypässe zum Laster sicher gemacht — an jede Lampe, die eure heiligen Concordien, Magdalenen und Madonnen erleuchtet, einen Trost für Verbrecher gehängt — durch ihren werthlosen, erdichteten Nachlaß die Armuth um ihr Brod betrogen — durch eure geweihten Todtengebeine Verstand und Unschuld erhitzt und geschändet — und an Rosenkränzen, unter dem Zeichen des heiligen Kreuzes, manches ehrliche Mutterkind in das Lazareth verlockt habt — könnte ich doch, o ihr Verworfensten des Menschengeschlechts! alle eure Nischen und Capellen — alle eure dem Verbrechen geheiligten Schutzörter zerstören, wie ich jetzt die giftschwangeren Blätter vernichtet habe, die meiner Leidenschaft fröhnten! — Und ihr, meine guten Landleute, die ihr etwan noch mir diese Miethe beziehet, danket es mir, daß ich sie von jener unsaubern Gesellschaft, deren Asche bald in alle Winde verfliegen wird, gereiniget habe! Kauft dafür zu euerm bessern Zeitvertreibe Rousseau´s geistreiche Schriften bey euerm Nachbar Fez, und lest sie im Angesicht seiner Büste! Vor den bezaubernden Reitzungen der Psalmistin brauche ich euch kaum zu warnen: ihr kennt sie nun, und auch sie selbst wird schwerlich einem Ketzer mehr trauen.

     Wenn die kürzeste Thorheit die beste ist, so darf ich nach alle dem, was die meinige bey ihrer Entstehung zu werden versprach, immer noch froh seyn, daß sie nicht den siebenten Tag überlebt hat. Ihre pittoreske Ausstellung ist freylich — ich will es lieber selbst erklären, ehe es ein anderer sagt — die partie honteuse meines Tagebuchs, die ich gern, so wenig ich auch sonst auf castrirte Schriften halte, davon trennen möchte, wenn es nur ohne Beschädigung des Ganzen geschehen könnte. — Der Sturm war heftig, Eduard; ich verlange keinen seiner Art noch einmal zu erleben — aber da er nun glücklich vorbey ist, möchte ich auch um vieles nicht die Erfahrung missen, die er mir gab. Er hat mir die tiefsten Blicke in den Abgrund geöffnet, zu dessen Erforschung alle, die ihn befahren, das Ihrige beytragen sollten; und ich kann wohl sagen, daß ich nie einen stärkern Beruf gefühlt habe über seine gefährlichen Klippen zu predigen, als eben jetzt, da ich, ermattet und zerschlagen, von ihm zurück komme. Es wäre doch sonderbar, wenn etwan alle Wegweiser der Tugend und der Sitten auf diese Weise zur Welt kämen, und uns nur weiß machen wollten, daß sie urplötzlich mit Spieß und Schild gerüstet, gleich Minerven, aus Jupiters Gehirne gesprungen wären. Für das Ansehn im Publico möchte diese Verläugnung ihrer wahren Abkunft allerdings sein Gutes haben: aber diesen Herren selbst, wenn sie nun einander antreffen, müßte es, dächte ich, alsdann auch gehen, wie dem ehrlichen Cicero, der, so bald er zum Augur geweiht war, keinem andern Augur auf der Straße begegnen konnte ohne zu lachen. —

     Die Pferde wollen noch nicht kommen, und doch hätte ich so gern diese häßliche Geschichte hinter mir, an die mich hier alles auf das unangenehmster erinnert, von der glimmenden Asche an in meinem Kamine, bis zu den leeren Bänden, die, wie Schlangen= und Crocodillen=Bälge, daneben liegen. — Ja wohl, ja wohl, lieber Eduard, ist es eine häßliche Geschichte! Was würde aus meinem guten Rufe werden, wenn sie durch deine Nachlässigkeit oder deinen Muthwillen bekannt würde! Laß mir, ehe ich Avignon verlasse, darüber noch erst Abrede mit dir nehmen. Suche es auf allen Fall — ich rede jetzt ernsthaft mit dir, lieber Freund, — wenigsten zu vermitteln, daß mich die letztvergangene unglückliche Stunde nicht zu sehr in mit guten Zutrauen unserer Damen zurück setze. Gieb den ganzen Handel für ein Spiegelgefecht meiner luxuriösen Spötterey über die falsche Glorie menschlicher Tugend aus. Und wenn das auch nicht verfangen will, so gehe nur den jetzt so gewöhnlichen Weg, der selten fehlt schlägt, und mache, wenn von meinem Falle gesprochen wird, eine geheimnißvolle Miene dazu! Was gilt´s, man übersieht alsdann die Wahrheit, und sucht nun hinter meinen Nuditäten versteckte Prophezeiungen, wie man sie in dem hohen Liede sucht. — In dem hohen Liede? sagte ich. Wie kömmt mir das ein? Ich widerrufe diese Vergleichung, die meinem Tagebuche offenbar Unrecht thun würde. Salomo mag es mir nicht übel nehmen; aber, nach meiner Einsicht, hat ihm der Zufall viel zu viel Ehre erwiesen, seine poetischen Grotesken bis auf unsere Zeiten zu erhalten, zumal in der ehrwürdigen canonischen Maske, hinter der sie vermummt sind. Ich bin zwar von dem Stolze weit entfernt, mich in der feinern Denkungsart und in der höhern Dichtkunst für ein Muster auszugeben; unser Vaterland hat deren ganz andere aufzuweisen, die so sehr respectirt werden, daß man sie kaum liest — aber doch glaube ich behaupten zu können, daß, so erhaben = schlüpfrig auch jene erotischen Vorstellungen des Orients seyn mögen, meine kleinen deutschen, anspruchslosen Gemälde doch immer noch natürlicher, höflicher und geschwinder zum Zwecke führen, als jener Gesang aller Gesänge. Clärchen — ich will sie nicht loben — ist gewiß niedlicher gebaut als die Sulamit; und es käme noch darauf an, ob sie nicht besser als jene zu einem emblematischen Modelle der christlichen Kirche dienen könnte. Doch sage ich dieses nur im Vorbeygehen, und wahrlich ohne den mindesten Anspruch: denn, ob es mir gleich Spaß machen sollte, wenn du meine schönen Landsmänninnen dahin brächtest, Weißagungen selbst hinter den Bildern zu suchen, die ich ohne Vorhang ausgestellt habe; so geschähe mir doch offenbare Gewalt, wenn auch die Nachwelt sich einfallen ließ mit mir umzugehen, wie die Vorwelt mit dem ehrlichen Salomo, und mich für einen Propheten erklärte. Du kannst es am besten den künftigen Jahrhunderten bezeugen, daß, so oft ich mich in das Paradies der Dichtkunst verstieg, ich nie anders als auf einem natürlichen Wege dahin gelangte, und doch vielleicht mehr Ursache habe als der inspirirteste Dichter, mit meiner poetischen Laufbahn und mit den Gunstbezeigungen zufrieden zu seyn, die mir die Musen erwiesen. — „Wie so?“ fragst du verwundert, und lachst mir spöttisch in´s Gesicht, „Ich habe doch nicht gehört daß deine Dudeley eben so gar viel Lärm und Aufsehen in der Welt gemacht habe.“ — Ich auch nicht, guter Freund: aber das ist von jeher auch meine geringste Sorge gewesen; und ich würde selbst den Horaz von Herzen bedauern, wenn er für seine harmonischen Gesänge keiner wichtigere Belohnung eingeerntet hätte, als monstrari digitis et dicier hic est. Nimm also nur deinen Spott wieder zurück; denn, klängen auch die Ausdrücke, die mir vorhin entfielen, für einen — sage es nur heraus — für einen Zwerg des Apollo etwas zu vornehm, so sind die Riesen, die seinen Thron umgeben, doch gewiß zu großmüthig, um dem kleinen Spieler, den sie so lange unter sich geduldet haben, die Airs aufzumutzen, die er ihnen nachmacht. Aber dieß bey Seite gesetzt; auch ohne groß zu thun, kann ich wohl behaupten, und dir es durch Vorlegung meiner Ab= und Zurechnungen mit den Musen beweisen, daß, ungeachtet der kleinen Abzüge, die ich mir gern gefallen lasse, meiner neidlosen Genügsamkeit immer noch ein hübscher Gewinn übrig bleibt. Hast du Zeit — wie leider! ich alleweile, denn ich höre und sehen noch nichts von meinen Postpferden — so wollen wir die Rechnung mit einander durchgehen. Diese Beschäftigung, die man gern sonst so lange zu verschieben pflegt als möglich, wie wohlthätig wird sie mir nicht in diesem Augenblicke! Es ist schon weit lichter um meinen Schreibtisch — Alle Grillen sind abgetreten — alle Mißgestalten entfernen sich — denn sie sehen daß ich Linien ziehe und nicht gestört seyn will. Deine Monita? O die beunruhigen mich auch nicht — die liegen allenfalls noch in der Ferne — und wo sollen sie überhaupt herkommen, wenn du, wie ich hoffe, meine Angaben so richtig findest als meine Belege?

     Noch übergab kein Fehmgericht
Mich abgelebten Harfenisten
Den Häschern, und verwies mich nicht
In Nicoloai´s Todtenlisten. *)
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*) Nicht die Todtenliste von Nicolaus Klim, sondern die meines Freundes Nicolai in Berlin, die vielleicht den größten Raum der allgemeinen deutschen Bibliothek einnimmt.
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     Das ließ mich hoffen, mit der Zeit
Mir einen Freypaß zu erkaufen,
Um sichrer der Unsterblichkeit
Mit meiner Klingel nachzulaufen.

     Allein, je besser ich den Rauch
Vom Wesen unterscheiden lernte,
Um desto mehr die Hoffnung auch
Sich in den Hintergrund entfernte.

     Es ist mit eines Dichters Ruhm
Gar eine wunderliche Sache:
Mißtrauen ist sein Eigenthum,
Und Mißvergnügen seine Wache.

     Im Schweiße seines Angesichts,
Im Taumel eines leeren Schalles,
Verdient er wenig oder nichts,
Erhält nicht viel — und fordert Alles.

     Jetzt seh´ ich nur zu gut, wie viel
Accorde meiner Leyer fehlen,
Um mich wie Orpheus durch ihr Spiel
In das Elysium zu stehlen.

     Hat nicht einmal mir ein Concert,
Das kunstreich Philomelens Noten
In Tact setzt, in Octaven sperrt,
Mir eine Fiedel angeboten.

     Wär´ ich solch einer Ehre werth,
Gewiß ich stände längst in Pflichten
Des Tribunals auf Strang und Schwert,
Um meine Sünden selbst zu richten.

     Und die Hausirer jagten sich
Von Markt zu Markt mit meiner Büste,
Und = = = doch ich schwöre dir, daß mich
Nach solchem Nimbus kaum gelüste.

     Dank der Natur! mein Dichterkampf
Ist wie ein Fieberfrost verschwunden;
Längst wärm´ ich mich im Opferdampf
An dem Altare der Gesunden.

     Jetzt brauch´ ich keinen Oberon
Wie sonst von weitem nachzukeichen;
Wir gehen gleich — weiß ich doch schon
Zu rechter Zeit ihm auszuweichen.

     „Du wolltest,“ raun´ ich ins Geheim
In´s Ohr mir, „mit den Musen schmollen,
Weil sie Gedanken zu dem Reim
Dir nicht wie einem Wieland zollen?

     Sein Gang, das schlauste Menschenherz
In seiner Tiefe fest zu greifen,
Stört dich ja nicht, mit leichtem Scherz
An seine Flächen hin zu streifen;

     Und bist du nicht mit Klopstocks Flug
Den Geistern in´s Gebiet gedrungen,
So hast du dich doch oft genug
Zu Menschenfreuden warm gesungen.

     Hat sich denn je einer gehärmt,
Daß ihn kein Lorberkranz umschließet,
Wenn an dem Busen, der ihn wärmt,
Er der Vergessenheit genießet?

     Und wer hat Zeit, wenn ihm sein Kohl
Die Zunge reitzt, zu überlegen,
Ob süßere Gemüse wohl
In Otaheite reifen mögen?“

     Gewiß ich müßte sonderbar
Mein eignes Richteramt verwalten,
Um diese Gründe nicht als wahr
Der Eigenliebe vorzuhalten.

     Was zog mich, als das Zauberband
Des Selbstgenusses, zu den Musen?
Ich fand meyn Dasein — ach ich fand
Nur Ruh´ allein an ihrem Busen.

     Wenn höfische Gespenster mich
Mit Gott und Welt verfeindet hatten,
Entschlüpft´ ich ihrem Kreis, und schlich
Ein Stündchen in des Pindus Schatten.

     Hier sang ich meines Lebens Traum,
Erpfiff mir neuen Muth zu leben,
Und segnete den Wunderbaum,
Der mir sein Blatt dazu gegeben.

     Hier an den Liebreiz der Natur
Mit allen Sinnen angeklammert,
Hat meine Zither nie der Flur
Der Zeiten Elend vorgejammert.

     Doch hat mir auch mein Brod dafür
Die fröhliche Natur gewürzet,
Und niemals karg um die Gebühr
Der Freundensänger mich verkürzet.

     Gelockt durch einen Waldgesang,
Hat manches Vögelchen in Stunden
Der Neugier sich am Ueberhang
Der Birken bey mir eingefunden:

     Sie faßten Herz, von Baum zu Baum,
Von Ast zu Ast, mir nachzuschweben,
Und bald sah ich in ihrem Flaum
Den ersten Schlag der Freude beben.

     So hab´ ich mir durch Stolz und Groll
Des Lebens Pfade nie verdorben,
Und, wie ein reisender Apoll,
Mir meine Musen selbst geworben.

     Da schon, als im Tumult der Schlacht
Die Flöte Friedrichs wiedertönte,
Und durch die Harmonie der Nacht
Die Furien des Kriegs versöhnte,

     Schon da, sucht´ ich den Helikon
Auf Hügelchen, die erst begonnen;
Und vor dem Frieden hatt´ ich schon
Im beyde Gipfel abgewonnen.

     So hab´ ich durch mein Saitenspiel
Die vollen Spulen meiner Stunden
Vergnügt bis an das nahe Ziel
Des letzten Knötchens abgewunden!

     Und klagst du nicht den Wand´rer an,
Der still und friedlich heimgeschlichen,
Daß er nach Cookens Reiseplan
Nicht das bestürmte Meer durchstrichen;

     Fragst nicht, wie bunt der Faden war,
Ob locker oder grob gesponnen,
Durch den einst Theseus der Gefahr
Des dunklen Labyrinths entronnen:

     So frag auch nicht, was für Gewinst
Mein Tagewerk der Welt verspreche;
Ach schon genug, wenn mein Gespinst
Nur mehr beträgt als meine Zeche!

     Dem Geist der wirkenden Natur
Sey heimgestellt es zu verputzen,
Und, wär´ es auch als Einschlag nur,
Zu höherm Stoff es zu benutzen:

     Damit, was ich der Freude spann,
Der Nachwelt nicht so ganz verschwinde,
Daß nicht ein Mädchen dann und wann
Ein abgetröselt Fädchen finde.

     Ein ehrlicher antiker Schein
Müss´ ihr den ersten Antrieb geben,
Auch ihren Knäul bald im Verein
Der holden Musen abzuweben;

     Es leihe da, wo Widerstand
Nur Freude bringt, ihr seine Kräfte,
Dien´ ihr zum Oehr am Brautgewand,
An ihrem Mytenkranz zum Hefte,

     Dien´ ihr als Sinnbild beym Empfang
Des letzten Unterrichts der Mädchen,
„Ach!“ denkt sie, — welch ein Vergang!
Ach! Alles hing an diesem Fädchen!“

     Täuscht mich nicht optischer Betrug,
So seh´ ich in den fernsten Zeiten
Sich über meinen Aschenkrug
Noch manche Glorie verbreiten.

     Wenn dann umsonst die Marmorgruft
Des Fürsten, den sein Land vergessen,
Die Tugenden zu trauern ruft,
Die er im Leben nie besessen:

     Wird ungerufen, Arm in Arm,
Den Busen unter Rosenbändern
Gelüftet, guter Mädchen Schwarm
Zum Grabmahl ihres Freundes schlendern;

     Sie werden, über meinen Staub
Gelagert, auf den jungen Rasen
Das abgefallne Winterlaub
Von der bescheidnen Urne blasen;

     Sanft soll alsdann mein Genius
Mit seinem Fittig sie berühren,
Und sie durch manchen Kettenschluß
Zuletzt in seine Werkstatt führen.

     Dort, wo beym Quell der Phantasien
Wir unsre Nacht mit neuen Sternen,
Mit Rosen unsern Tag umziehn,
Und zum Genuß uns täuschen lernen;

     Wo wir an dem Altar der Zeit
Das weiseste Gewerb erlauschen,
Gesänge gegen Traurigkeit,
Scherz gegen Thränen einzutauschen;

     Wo warnend Psyche´s Lampe brennt,
Damit nicht das Gespenst der Reue
Den Weg nach unserm Monument
Mit Gift, statt Lorbern überstreue:

     Hier wird sich gern der holde Kreis
Der Mädchen um den kleinen Götzen,
Den meine Muse sang, zum Preis
Wohlthätiger Gefühle, setzen;

     Hier werden sie Apollens Macht,
Sie werden das Bedürfniß fühlen.
Das Feuer, das er angefacht,
Durch seine Jünger abzukühlen;

     In Sapho´s Drang, nach Amors Lust,
Müss´ ihrem Mund der Schwur entgleiten,
Den ersten Funken ihrer Brust
Auf einen Dichter abzuleiten.

     Denk nur! wie müßte nicht den Herr´n
Des Pindus solch ein Schwur erfreuen!
Sie würden, glaub´ ich, mir schon gern
Um seinetwillen Weihrauch streuen:

     Und hätt´ Apoll um seinen Berg
Nur erst den Nebel aufgeheitert,
Spräch´ er wohl selbst: dort hat mein Zwerg
Die Aussicht ungemein erweitert.
 

* * *


Diese meine offenherzige Beichte, die ich dir hier im Vorbeygehen über meinen Beruf zur Dichtkunst — über die Forderungen und Erwartungen, die ich darauf gründe, abgelegt habe, könnte auch wohl, wenn ich es recht überlege, allein schon hinlänglich seyn, mir die Absolution des schönen Geschlechts zu verschaffen, um die mir so bang ist. Thue dein möglichstes, lieber Eduard, sie auf eine oder die andere Art zu erhalten, wenn dir daran gelegen ist, mich wieder in Berlin zu sehen. Mit vernünftigen Männern ist es etwas anders. Mit denen wirst du über den Werth meines Tagebuchs schon einige werden. Halten diese meine Geschicht für wahr, so ist mir nicht angst, daß sie mir sie nicht aus den edelsten Grundsätzen vergeben sollten — Halten sie die Sache für Erdichtung, so wissen sie auch schon, daß es nicht so gefährlich ist als es aussieht, wenn ein ernsthafter Carlin *) sich herabläßt
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*) Ein ehmals sehr berühmter Schauspieler auf dem italienischen Theater zu Paris, der im gemeinen Leben von einem ernsthaften und festen Charakter war.
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eine bunte Jacke anzuziehen, eine schwarze Maske vor das Gesicht zu nehmen, und den Harlekin so natürlich zu spielen, als wenn ihn Gott bloß dazu erschaffen hätte. Was schaden ihm seine Jacke und Maske und seine Mütze mit Schellen, wenn sie ihm nur Eingang bey seinen Zuhörern verschaffen, die, so benöthigt sie auch seiner moralischen Arzeneyen seyn mögen, sich doch für viel zu gesund halten, und einen ernsthaften Schritt darnach zu thun. So ist auch meine Art zu erzählen auf der ganzen Tonleiter der Unterhaltung die allerverschrienste; aber sie ist es gewiß mit Unrecht. Ich habe eine zu gute Erfahrung von dem wahren Nutzen, den solche geistige Ausschweifungen bey Gelegenheiten hervorbringen können, wo sonst nichts Gutes verfangen will. Ich kann dir diese Behauptung mit einer Tatsache aus meinem vorigen Leben belegen.

     Als ich von Leiden zurück kam, wo ich den Gang des menschlichen Herzens, ich gestehe es, besser noch studirt hatte als die Pandekten, wurde ich, wie das so geht, in ein Tribunal gesetzt, das über Gut und Ehre, Hals und Hand, zu entscheiden hatte. Da merkte ich nun gar bald, wie viel es auf die jedesmalige Stimmung der Herren Beysitzer ankam, was die Gesetze sprechen sollten. Man sah es sicher ihren Urtheilen an, ob sie an einem regnigen Tage, bey beschwerlicher Verdauung, bey unterbrochener Ausdünstung und mit beklemmter Brust — oder ob sie bey heiterm Wetter, nach einer gesunden Bewegung und ruhigem Schlaf, und in Erwartung eines menschlichen Vergnügens gefällt waren. Mit diesen Leuten über die natürliche Billigkeit zu streiten, wenn sie eben an Krämpfen oder sonst einem physischen Uebel litten, war verlorne Arbeit, und es wurde oft nur um desto gewisser ein armes, und, wie sie es nannten, überwiesenes Geschöpf zum Pranger verurtheilt, je mehr ich mich seiner aus den Gründen der Toleranz annahm. O! dachte ich, ihr guten Herren! euch will ich doch wohl beykommen. Beccaria war mein Liebling. Ich trug sein Büchlein immer in meiner Tasche, und hielt es als Spiegel, der den Basilisk bersten macht, überall dem voluminösen Carpzov entgegen, wo ich ihn fand; und ach! wo fand ich ihn nicht? Seine criminelle Gelehrsamkeit strotzte in dicken Bänden hinter den Gitterschränken unserer Rathsstube, und betäubte durch ihren giftigen Aushauch jeden schwachen Kopf, der ihnen zu nah kam. Dieser Moloch seiner Zeit, dem während seines Lebens unsere mechanischen Zentgerichte, nach einer mäßigen Rechnung, an die dreyßig tausend ihrer Zeitgenossen geopfert haben, breitete auch nach seinem Tode noch seine häßliche Lehre durch seine Jünger aus, die, in der Blindheit des Geistes und in dem Stolze ihrer Kenntnisse, ihm anhingen. Die Fiskale, anstatt selbst zu denken, fanden es bequemer sich auf ihren Meister zu beziehen, der alles das, was sie überdenken sollten, schon überdacht und in die einfachsten Regeln von der Welt gebracht hatte. Die Untersuchungsacten waren mit seinen Machtsprüchen durchspickt, und jeder Sachwalter, jeder Richter beugte gehorsam seine runzelige Stirn vor dem Despoten. Ich hätte, was ich nicht war, ein Herkules seyn müssen, um dieses vielköpfige Ungeheuer mit Einem Streiche zu tödten. Ich fühlte mit Ingrimm, daß diejenigen, die seine Keule geerbt haben, sie nicht schwingen mochten. Ich hatte nur eine Pritsche, um gegen einen Drachen zu fechten — aber auch dieses armselige Gewehr gebrauchte ich als ein muthiger ehrlicher Mann, und es ist unglaublich wie gut es mir gelang. So oft es mir ahndete, daß der Beschluß der nächsten Sitzung entweder eine arme Gefallene zur Kirchenbuße, zum Zuchthause, oder zu einem Geschmeide verdammen würde, das einem hübschen Halse nicht gut steht; so machte ich mir geschwind eine Geschichte zu recht, von der ich hoffen konnte, daß sie das harsche Zwerchfell meiner Herren Collegen tüchtig erschüttern würde. Kaum las ich sie dann beym Eintritte der ernsthaften Versammlung als eine Neuigkeit vor, die mir dieser oder jener schwatzhaft Freund zu Regensburg oder Wetzlar gemeldet hätte; so klärten sich auch schon ihre gestrengen Gesichter auf, von dem Präsidenten an bis zum untersten Beysitzer. Sie gingen nun mit jenem Wohlbehagen, das uns zur Nachsicht gegen uns und andere so geneigt macht, an ihre wichtigen Geschäfte, und wenn es zur Umfrage kam, hatten sie sich gemeiniglich mit ihrem gesetzmäßigen Urtheile um viele Schritte in die lachenden Gränzen der Menschlichkeit zurück gezogen, ohne daß sie selbst begreifen konnten wie es zuging. Carpzovs Ansehen verlor nach und nach immer mehr gegen das meinige — ein Ehre, die mir gewiß keiner meiner ehemaligen Lehrer geweißagt hätte; das Tribunal gewöhnte sich an eine liberale Denkungsart; und da zugleich ein guter Genius dem Fürsten eingab, das Zimmer unserer Zusammenkünfte weißen — die kleinen Fenster ausbrechen, erweitern — mit Spiegelscheiben versehen, und, als ein Sinnbild der obsiegenden Unschuld, eine Susanna im Bade an der Mittelwand des Saals befestigen zu lassen, so bekam durch diesen erheiterten Anstrich des Aeußeren auch unsere Gerichtsverfassung selbst ein freundlicheres Ansehn. Die Herren träumten, sie wären in guter Gesellschaft; ihr Tempel schien ihnen in ein Baudoir verwandelt; ihre sonst schneidenden Aussprüche verloren sich in empfindsamen Sentenzen, und das Collegium rückte in Ansehung gemäßigter und wohlwollender Gesinnungen wenigstens um ein halbes Säculum vorwärts. Und nun ward es auch mir leichter, die Ehre des guten Beccaria in dieser Versammlung zu retten. Noch jetzt denke ich mit innigster Zufriedenheit daran, wie ich um jene Zeit, durch nichts mehr oder weniger als eine Polisonerie — ich besinne mich im Deutschen auf keinen leidlichen Ausdruck — die bey meinen Herren Collegen ein unerwartetes Glück machte, einen alten Vater aus den Händen des Henkers in die stille Verwahrung seines Sohnes brachte, der noch jetzt als ein wackerer Offizier bey den Truppen unseres Königs den Tag segnet, an dem es mir gelang, ein beschimpfendes Urtheil von seiner Familie wegzuscherzen. O, mein Eduard! könnte ich jetzt alle die um meinen Schreibtisch versammeln, denen ich durch dieses Kunststück, das ich allen Beysitzern der Criminal=Gerichte, cum grano salis empfehlen möchte, Erlaß einer entehrenden Strafe verschafft, theils sie, statt in das Raspelhaus, unter die Haube gebracht, theils durch das falsche Zeugnis einer ehrlichen Geburt, davon meine lachenden Collegen mir die Verantwortung überließen, in eine bürgerliche Zukunft verholfen habe; wie viele dankbare Thränen würden nicht um den Mann fließen, der jetzt selbst in dem mißlichen Fall ist, um Abolition zu bitten! Doch ich weiß es endlich zu gut, wie man es anfangen muß, sich ohne viele Unkosten zu erhalten. Ich frage nur den Referenten bey dem Tribunal, das sich etwan anmaßt über meinen Handel in der Nebenstube zu urtheilen — ich frage ihn auf sein Gewissen, ob nicht sein erster Gedanke war, als er meine Acten durchlas: O wärest du doch an der Stelle des Inquisiten gewesen! Du hättest deine Sache schon besser machen wollen. Es ist zwar noch die Frage, ob der Herr wahr redet — Aber schon der Gang seiner Empfindung sollte es ihm doch begreiflich machen, daß es hart seyn würde, mich nach der Halsgerichts=Ordnung Carls des Fünften, oder nach den rationibus decidendi eines Carpzovs zu richten.

     Das Studium der Toleranz ist eine der schönsten neuern Erfindungen. Sie verdiente, so gut als die Oekonomie, eine eigene besoldete Lehrstelle. Fände sich einmal einer der Nutritoren unserer Akademien, der Ursache genug hätte, diese Wissenschaft in solch einen besondern Schutz zu nehmen, so wollte ich vorläufig rathen, daß er ihr ja keine andere als die umgekehrte Ordnung unserer so genannten Brodstudien anweise. Der erfahrne Lehrer, wenn ja über ein Compendium gelesen seyn muß, lege kein anderes zum Grunde als ein — nur richtiges — Protokol seines eigenen Lebens, und ziehe dabey, wo dieses nicht hinlangt, die Beichten zu Rathe, die einige große Männer öffentlich abgelegt haben — einen Petrarch und Lavater, einen Rousseau und Fielding, den heiligen Augustinus und mich.Wäre auch ihren Aussagen nicht immer zu trauen, so wird er es doch bald genug merken, wo der eine falsch gesehen, der andere falsch geschlossen — der eine zu viel, der andere zu wenig gesagt, der — gelogen, jener — seine Schwachheiten bemäntelt, oder gar mit der Maske der Tugend verlarvt hat. Er führe seine Zuhörer an, über dem Chaos ihrer trotzigen und verzagten Herzen zu schweben, suche es ihnen geläufig zu machen, ihre eigenen Empfindungen auf alle mögliche menschliche Zufälle zu calculiren, und sich in das Alter, in die Umstände und in das stürmische Blut dessen zu versetzen, den ihre ruhige Vernunft zu verdammen eilt. Er lehre den Jüngling Tagebücher halten, wie das meinige ist, und, wenn die Langeweile seines hinschleichenden Lebens ihn bitter und böse gemacht hat, kein anderes Buch fleißiger lesen. Meinetwegen mag er auch, wenn er Herz und Geschick genug dazu hat, es zum Besten der Welt, mit allen den moralischen Anmerkungen drucken lassen, die ihm Zeit und Erfahrung behülflich gewesen sind zu sammeln. Es ist freylich nicht die gewöhnliche Art die Tugend zu predigen, wenn man sich selbst auf den erhabenen Ort des Prangers stellt; aber deshalb ist es auch nicht die schlimmste. Es giebt der Mittel viel, eine heilsame Arzeney gemeiner zu machen. Jedes Jahrhundert, jeder Quacksalber, jeder Professor hat sein eigenes. Wird denn nicht jetzt selbst das feste Wort des Herrn in einem neuen Modegewande ausgeboten? Warum sollte denn nicht auch ich einen noch wenig versuchten Weg betreten, um durch ein offenes Geständniß meiner Verirrungen jedem andern menschlichen Herzen näher zu kommen?

     Ueberhaupt muß der Mann besser rechnen können als ich, der sich zu bestimmen untersteht, ob dieses oder jenes beschriebene Blatt zum Nutzen des Ganzen mehr beytragen werde. Ziehen die Schriftsteller, wie gewöhnlich, nur ihre Eigenliebe darüber zu Rathe, so ist die Frage freylich geschwind genug zur Ehre ihrer Talente entschieden; aber auch hier hängt alles von der Weisheit jenes unsterblichen, unbekannten und glorreichen Genius ab, der auch den anspruchlosesten Lumpen noch immer gebrauchen kann, einem Bedürfnisse mehr, auf einer solchen Bettlerwelt als die unsrige ist, abzuhelfen.

     Du räusperst dich, Eduard, winkst mir inne zu halten, und die Lust des Widerspruchs schwebt dir um den Mund. Gut! Meine Pferde sind noch nicht da, meine Tinte ist fließend, und Papier und Federn liegen noch auf dem Tische. Das schreckt dich nicht, ich weiß es; so laß denn hören! — „Wenn du glaubst,“ hebst du trocken an, „mit allen deinen Tadlern eben so gut fertig zu seyn als mit mir,“ wie ich denn das wirklich geglaubt habe, „so thut es mir leid um deinen schönen Traum. So lange dein Tagebuch nur unter uns, und, wie so viele andere Schreibereyen der Welt, nur Manuscript unter Freunden bleibt, o! da verlohnt es sich freylich nicht der Mühe viel Aufhebens davon zu machen. Nimmst du aber den, pro securitate publica so bedenklichen Fall an, die Gemälde deiner Unsittlichkeit zu der Ehre einer öffentlichen Ausstellung gelangen, so wäre ich wohl neugierig das Bedürfnis zu erfahren, das euch leichtsinnige Schriftsteller berechtigen könnte, eine Leidenschaft zu spornen, die wir ohnehin Noth genug haben im Zaume zu halten.“ — Das klingt nun sehr systematisch — sehr ernsthaft, und hat mir Mühe gekostet herzuschreiben. — Aber mache mich nicht böse, Eduard! sonst verschaffe ich dir zur verdienten Antwort einen Anblick, dessen du gewiß gern überhoben seyn würdest, rufe dir mehr bleichsüchtige Mädchen in meinem Hörsaale zusammen, als du übersehen kannst, und lege dir jenes Bedürfniß, an dessen Daseyn du zweifelst, so zergliedert vor, daß du froh seyn sollst wenn nur ich das Maul halte. Gehe ehrlicher mit mir zu Werke, guter Freund! Verstecke deine gesunden Augen nicht immer hinter die Blenden deiner Bücher, und ziehe erst, ehe du mit mir rechtest, den schleichenden, unnatürlichen Gang in gehörige Betrachtung, den die schönste aller Leidenschaften in einem Zeitalter nimmt, das in so vielen Rücksichten nur von ihr seine einzige Hülfe erwartet. Sage mir auf dein Gewissen, Eduard, ob man es einem Schriftsteller, der nur einigermaßen hoffen darf in gute Hände zu kommen — ob man, anstatt ihn zu tadeln, es ihm nicht als ein Verdienst anrechnen sollte, wenn er das Herz faßt, Mädchenliebe zu predigen, und sie mit so lebhaften Farben zu schildern sucht, als diese Art Malerey nur vertragen kann. Mag meinetwegen ein künftiges tugendbelobteres Jahrhundert meine armen Schriften zum Scheiterhaufen verdammen! Ich habe nicht das geringste dagegen; wenn sie nur vor der Hand in dem großen Magazine nothwendiger Uebel geduldet werden. Das ist doch weiter keine zu vornehme Anmaßung, die mir Mißgunst zuziehen, und nur jemanden in Angst setzen sollte, daß ich mir damit ein Aemtchen zu erschreiben gedächte, auf das er selbst Anspruch macht. Was könnte es denn für eins seyn, als höchstens das eines Pestpredigers? das mühseligste in der ganzen Republik — ohne Rang, ohne Sporteln, und zu dem sich, schon seiner Gefahr wegen, wenig Candidaten nur melden. Man gönne es mir doch! Das Ministerium kann ja die Stelle wieder einziehen, wenn sie überflüssig geworden und die Seuche vorbey ist. Auch kann meinethalben die Nachwelt die Arzeneyen, die ich mir jetzt, sogar während der Kirche, kein Gewissen machen darf unter die armen Preßhaften zu vertheilen, als unnütze, verdorbene Waare zu den übrigen Excrementen unsers Jahrhunderts werfen; leisten sie nur gegenwärtig eine solchen Nothhülfe, wie sie ungefähr geschickte Aerzte von einem Scharlachfieber bey Kranken erwarten, die an einer hartnäckigen Fühllosigkeit darnieder liegen. So würde auch ich bey denen, die ich in der Cur habe, es schon für ein gutes Symptom halten, wenn meine Umschläge ihre verschobene Einbildungskraft nur erst so weit wieder in Ordnung brächten, daß ihnen die gewöhnliche Hausmannskost nicht länger widerstände, die Schönheit und Natur der Genügsamkeit darreicht. Könnten sich auch die Mattherzigen nicht sofort bis zu jener Stärke eines reinen Gefühls erheben, daß sie an der Unbefangenheit und Unschuld meiner Margot, und an den eben so einfachen als gesunden Gerichten Geschmack fänden, die sie ihren bessern Bekannten vorsetzt; so wäre es einstweilen schon gut, wenn der Heißhunger sie nur in den ersten besten Gasthof triebe, wie zum Beyspiel der zum schwarzen Kreuze ist, von dem ich selbst eben zurück komme, und wo sich schon einer sättigen kann, der nicht an gar zu feine Ragouts gewöhnt ist.

     Ich sehe, Eduard, du zuckst die Achseln, drehst dich seufzend von mir, und glaubst mir in deine Bibliothek zu entwischen; aber den Weg dahin kenne ich auch, und es ist heute wohl nicht das erstemal, daß ich dir bis vor deinen Arbeitstisch nachschleiche. Du hast hier noch immer, wie ich sehe, um deinen globus terrestrem sehr disparate Dinge herliegen: Landcharten und Zeitungen neben Garvens meisterhaften Versuchen — Smith über den National=Reichthum neben Archenholz siebenjährigem Kriege — hier sogar Lavaters geheimes Tagebuch über das meinige — alles so bunt untereinander wie in der Welt selbst. Die Sachen, sagst du, haben sich hier zusammen gefunden, wie ich sie nach Maßgabe meiner Laune gebraucht habe, ohne daß sie unter sich selbst weiter etwas gemein hätten. Das ist zu glauben, lieber Eduard, und in so weit mag auch wohl eins so viel Recht auf seinen Platz haben als das andere. Indeß hätte ich wohl die Grille, daß ich genau wissen möchte, was ein Schächer wie ich, unter einer so gelehrten Gesellschaft allenfalls für einen behaupten könne, wenn hier nur das Verdienst um die Welt den Rang bestimmte. Schiebe nur mein unglückliches Tagebuch her — Ich bin darin doch am meisten belesen, und muß am besten wissen, wo seine Stärke und Schwäche liegt. — Was hast du mir nun aus dem Haufen, den ich Dir lasse, entgegen zu setzen, um mich zu demüthigen? Jenen Moralisten dort? O! streiche ihm nur ein wenig seine Runzeln, mir aber meine struppigen Haare aus dem Gesichte, und du wirst zu deiner Verwunderung eine gewisse Gleichheit der Verwandtschaft entdecken, die mich dir um vieles erträglicher machen — die mehr als alles dich aufmuntern wird, mich gegen diejenigen in Schutz zu nehmen, die mir so gern die Titel meiner Herkunft abstreiten möchten.

     Um dir die Sache zu erleichtern, so breite, mit Beyhülfe unsers Archenholz, nur deine Landcharten und Zeitungen aus einander, und halte nun die Kinderspiele meiner Phantasie, wie ich sie dir zureiche, gegen die Ritterspiele der Großen — meine nackenden Gemälde gegen ihre blutigen Bataillen=Stücke, und irre mit philosophischem Auge von den einen zu den andern. Ich lasse dir Zeit, Freund, und verlange nicht, daß du mir eher gewissenhaft erklären sollst, welche von beyden du für verdienstlicher hälst, als bis du ihren verschiedenen Eindruck auf das menschliche Herz mit deinem vorigen strengen Urtheile verglichen, und im Angesicht deines Globens genau erwogen hast, auf welche Seite der Gemälde sich das bürgerliche Wohl, das häusliche Glück, und das System der so grausam verfolgten Bevölkerung am meisten hinneigt.

     Ich will dich nicht weiter in deinen stillen Betrachtungen stören. Aber o könnte ich nur meiner Feder jede elektrische Kraft mittheilen, die mir, trotz meinem Frankfurter Ringe, in Clärchens Kammer versagte; wie herzhaft wollte ich sie gegen die physischen und moralischen Verirrungen, die man so ehrbar mit dem Ansehn eines Plato und mit dem Mantel des Sokrates zu bedecken glaubt, und gegen die politischen Gräuel schärfen, mit denen zusammen ein Geist des Verderbens den fröhlichen Genius der Erhaltung verfolgt! Ich wollte den Jünglingen männlichere Neigungen, den Mädchen wirksamere Lockungen, und den Zepterträgern Menschlichkeit anschwatzen, und die lachendsten Phantasien der Liebe zum Beytritt aufbieten, um alle mordlüstige Gedanken von unserm freundlichen Erdstrich zu scheuchen, und seine allgemeine Trauer zu heben. Aechte Philosophen, und ihr besonders würdet es mir verdanken, ihr guten, tugendhaft schmachtenden und verlassenen Töchter meines Vaterlandes. Ihr würdet, sittsam erröthend, mir selbst den schlüpfrigsten Umweg vergeben, wenn ich ihn, da beynahe alle gebahnten Straßen der Natur entzogen sind, mit einigem Glück einschlüge, um euch zu euern Rechten zu verhelfen, und die verwilderten, ehescheuen und verblendeten Ueberläufer meines Geschlechts durch gute Worte wieder in euern sanften Sprengel zurück zu führen; auf daß eure wahre Bestimmung zu ihrer verlornen Ehre gelange; auf daß die Freude, die ihr zu erwecken geschaffen seyd, ehrlicher und ritterlicher benutzt, und, statt der Dornen und Disteln eines Schlachtfeldes, das hohe mütterliche Gefühl auf euern rosigen Wangen entwickelt werde, das ihr Schuldlosen in einer Bleichsucht ersticken müßt, die laut wider die Tyrannen der Welt, laut wider die Verächter eurer Reitze um Rache schreyt. Könnte ich durch rührende Darstellung aller der entzückenden Augenblicke, mit denen eure Sanftmuth und eure Launen — eure Stärke und eure Schwäche — eure Schmeicheleyen und eure lehrreichen, sanften Strafen, mir das Leben erheitert, und meine Besserung bewirkt haben — mein abtrünniges Geschlecht zum Anschmiegen an das eurige wieder beylocken — bey Gott ich wollte mich keines wollüstigen Bildes schämen, das mir selbst die Tugend erlauben würde, zu dieser guten Absicht von euren geheimsten Reitzen zu borgen; ich würde noch beym Austritt aus diesem jammervollen Planeten mit väterlicher Zufriedenheit auf die anwachsende Nachkommenschaft hinblicken, die ich mir schmeicheln dürfte zum Genuß besserer Zeiten erschrieben zu haben. — Sollte sich in der auserwählten Schaar dieser Abkömmlinge einer befeuerten Liebe ein und der andere Fürstensohn befinden, so wünsche ich ihm zu dem seltenen Umstande seines Daseyns Glück. Seine bürgerliche Stammhaftigkeit übernehme meine Vertheidigung in dem Zirkel seiner Innung, in den Schlössern der Großen, die sich zu vornehm dünken, der Natur und der Einbildungskraft etwas schuldig zu werden.

     Scheint dir dieser Glückwunsch nicht mit jenem Abscheu zu reimen, den ich vorhin gegen die blutdürstige Kaste geäußert habe, die über uns herrscht, so hast du zwar nicht ganz Unrecht: wenige aus ihrem Mittel — du siehst daß ich billig bin — verdienen es, daß ein gutes Herz sich ihrer Fortdauer annimmt. Da sie denn aber nun einmal da sind, wäre doch wenigstens zu wünschen, daß sie nicht gleich in ihrer Geburt verunglückten, indem unsere demüthige Lage nur desto schimpflicher wird, je krüppeliger sie selbst sind. Das ist so wahr, daß ich es damit wohl könnte bewenden lassen; aber, um es dir offenherzig zu gestehen, ist es doch nicht die eigentliche Ursache des Absprungs meiner Ideen. Daran war wahrlich nur eine kleine Anekdote Schuld, die mir nach einer ganz andern Verwandtschaft von Begriffen eben beyfiel. Ich würde sie, als einen überflüssigen Beleg, nicht einmal der Mühe werth halten meinen vorhergegangenen anzuhängen, nähme ich in dieser ungeduldigen Stunde nicht selbst nur zu gern alles mit, was mich, bey dem ewigen Außenbleiben meiner Pferde, nur im mindesten zu zerstreuen vermöchte. Zu dem kann man auch nicht wissen, ob nicht mein Geschichtchen recht gut bey dir angewendet sey. Deine Verdienste werden dich doch über lang oder kurz an das Ruder eines Staats bringen. Zufällig könnte es ja wohl eins seyn, das aus seinem natürlichen Schwung, und bloß aus der Ursache gekommen wäre, weil kein Mensch den Verstand hatte es darin zu erhalten. Meine Erzählung liefert nun, wie du sehen wirst, eine recht gute praktische Anweisung hierzu.

     An einem gewissen Hofe, ist mir nehmlich glaubhaft versichert worden, befände sich, unter dem eigenen Verschluß des jedesmaligen Regenten, eine Art von Capelle, zu der er, nach der Hausverfassung, selbst seinem Erben den goldenen Schlüssel nicht eher vertrauen darf, als an einem in dem Stiftungsbriefe beniemten Tage. So ist es von Vater auf Sohn seit hundert Jahren gehalten worden, unter der gemeinen Sage, daß die Wohlfahrt des Landes an die gewissenhafte Befolgung dieser Ordnung gebunden sey. Lange Zeit wähnte man, das Arkanum der Adepten sey darin verborgen; da man es aber beständig von Seiten des Finanzcollegiums widersprach, so blieb dieses Staatsgeheimniß so lange ein Räthsel, bis einmal, wie man sagt — aber was sagt man nicht? — die Großmutter des jetzigen Herrn, während der Vormundschaft ihres Sohns, den goldenen Schlüssel an der Thüre dieses Heiligthums verloren — ein Kammerherr hat ihn gefunden — für den seinigen gehalten und an dem nächsten Schlosse versucht habe. So sey aus bloßem Zufalle die Capelle zuerst von unrechten Händen geöffnet — das Geheimniß verschwatzt — und das Publicum ein wenig näher der Wahrheit auf die Spur gebracht worden. Die alte Sage läßt sich nun auch schon besser erklären. Jetzt weiß man von dem Innern dieses heimlichen Zimmers im Allgemeinen so viel: daß es aus Schilderreyen zusammen gesetzt ist, die man anderwärts, ihrer zu großen Täuschung wegen, zu verhängen, — aus Schriften, die man zu verbrennen pflegt, und aus einem einzelnen Sopha. Es ist, wie du siehst, nichts als ein Museum des guten Geschmacks: nur ist es immer drollig, obgleich sehr vernünftig, daß kein Erbprinz eher als am Abend seines Beylagers den Schlüssel dazu, und dabey aus der Kanzley einen Auszug aus dem Testamente seines Stammvaters erhält, das den Neuvermählten verbietet, das hochzeitliche Bett zu besteigen, bevor sie nicht ihre Andacht in dieser Capelle verrichtet hätten. Ueberlege diese Umstände, Eduard, um dir einen Begriff von dem Gegenstoße der Empfindungen zu machen, den ein solcher unerwarteter Befehl in solch einem Augenblicke hervorbringen muß. Für den jungen Herrn ist mir indeß lange nicht so bange als für die junge Verlobte. Denke dir nur eine so arme Prinzessin, die aus den behutsamen Händen ihrer Oberhofmeisterin kürzlich entlassen, und an diesem Hofe als Braut eines Mannes aufgeführt wird, den sie kaum aus ihrem Taschenkalender kennt — Denke dir, wie sie nun den Tag ihrer Vermählung hindurch von dem Getöse des Festes, von Musik und Kanonen betäubt, von der langweiligen Rede des Capellans, und den noch langweiligern Complimenten der Hofleute schon so entkräftet ist, daß sie kaum noch mit Anstand den Fackeltanz endigen kann — Denke dir, wie sie nun, durch ein Zimmer in das andere getrieben, unter Vortretung des Hofstaats, endlich bis an den Zufluchtsort ihrer Toilette gelangt, wo sie kaum Zeit hat sich zu lüften und Odem zu holen, als sie sich unter den Händen ihrer dienstbaren Najaden an eine neue Pracht fesseln sieht, in der sie die Nacht über glänzen soll — wie zuletzt auch dieses Fest der Ablution — diese ungeduldigen Augenblicke der Kritik und der Begaffung überstanden — die Flügelthüren des Brautgemachs ihr geöffnet sind, und ihre Nymphen sich trollen — Stelle dir vor, wie einem so zärtliche gebauten Körper, nach solchen Anstrengungen — wie einer wohl organisirten Seele, die alle Martern des Ceremoniels bis auf den letzten Grad erhalten — mit Einem Worte, wie der kleinen Prinzessin zu Muthe seyn muß, wenn sie nun, statt der tröstlichen Aussicht der Ruhe, ein mit Franzen und Federn überladenes Staatsbett glänzen sieht, von dem sie schon dem äußern Ansehen nach eben so wenig etwas Kluges erwarten kann, als sie heute erlebt hat.

     Wie eine Drahtpuppe, die von der Rolle nichts weiß, die sie spielt — die es von obenher erwartet, welches Gelenk sich zuerst heben — welches Glied sich bewegen soll, steht das gute Kind da, und blickt mit unbelebten Augen — und nur mit dem hölzernen Gefühl der Abhängigkeit nach ihrem Gebieter. Dieser tritt nun, zwar glänzend wie Phöbus — doch ernst und langsam wie ein Bote herein, der von weitem her eine üble Nachricht zu bringen hat. — „Beklagen Sie mich, meine Auserwählte,“ redet er sie mit kaltem Anstand und kostbaren Worten an: „In dem Augenblicke, nach welchem ich einen ganzen beschwerlichen Tag gerungen habe, erhalte ich noch ein Kanzley=Schreiben von meinem Ur=Ur=Urältervater, das ich, großer Gott! vorher noch beantworten soll, ehe ich die Erlaubniß habe Sie die meinige zu nennen. Es soll an dieses Zimmer eine Capelle stoßen, zu der der Höchstselige mir den Schlüssel schickt — Dort sollen wir, beste Prinzessin, auf dem Altare unsere Namen in ein Buch schreiben — dort sollen wir eine heilige Handlung verrichten, auf der, wie sein Brief sagt, das Glück des ganzen Landes beruhe. Was muß der gute alte Mann gedacht haben? Ich bitte Sie, liebe Prinzessin, wo soll ich an Ihrer Seite — ach! würde er es mir zugemuthet haben, wenn er Sie gekannt hätte? — nur einen Funken von Andacht hernehmen? Zu einer ungelegneren Zeit, dächt´ ich, wäre wohl keine menschliche Seele noch in eine Capelle geschickt worden.“ — Die gute Prinzessin denkt im Grund ihres Herzens dasselbe. Sie macht keine kleinen Augen, da sie wieder von Ceremonien hört, vor denen sie wenigstens in der Mitternachtsstunde gehofft hatte sicher zu seyn — Aber sie nimmt sich zusammen. — „Wenn die Landes=Wohlfahrt darauf beruht,“ sagt sie so manierlich als ob ihre Oberhofmeisterin zwey Schritte davon stände, „so bin ich in Wahrheit noch nicht so schläfrig, daß ich nicht meinen Namen noch schreiben und ein Vater Unser beten könnte.“

     Sie suchen nun beyde die verborgene Thür der Capelle, und finden sie glücklich dem Brautbett gegen über, hinter den Tapeten. Der goldne Schlüssel wird versucht — er schließt, und sie stehen, als die Thür hinter ihnen zufällt, zwischen ihr und dem Vorhange des Allerheiligsten. Mit einem Schritt über die Schwelle treten sie in das Innere, und zugleich treten an allen Ecken krystallene und in Rosenöl brennende Lampen hervor, und verbreiten ihr Licht auf jene Meisterstücke der Kunst, die so lebhaft, als wären sie erst diesen Abend fertig geworden, und in solcher Harmonie von der Wand strahlen, daß sie alle zugleich nur auf Einen Punkt wirken. Stelle dir nun die großen, beleidigten, unschuldigen Augen vor, die so etwas nie gesehn — nie geahndet hatten! Sie prallen ab, wie sie hinfallen. Die auf das höchste Erschrockene staunt ihren Führer an, der selbst mit den schnellsten Gedanken seiner Ueberraschung nicht nachkommen kann, und so verlegen vor seiner Braut da steht, als wenn er die Unartigkeiten aller seiner Ahnherren zu verantworten hätte. Aber wie ganz anders erscheint ihm zugleich seine Geliebte! — So hatte er sie nicht gekannt, so hätte er sie schwerlich in seinem Leben kennen gelernt. Ihre gepreßte Brust hebt sich, und fängt ein paar köstliche Thränen auf, die dem Unmuth der verwundeten Unschuld entwischen. Sie wagt es nicht noch einmal zwischen die Lichter hinzublicken, und weiß doch auch nicht wo sie mit ihren großen blauen Augen bleiben soll. Sie ringt nach einer Erklärung, die sie nicht zu fordern das Herz hat, und, tausendmal schöner in der Angst ihrer Jugend, als sie es je in dem Zirkel des Hofs war, entwickelt sie in dem kurzen Zeitraum einer Minute mehr Physiognomie der Seele, als selten ein Fürst zu sehen bekömmt, mit jenen feinen Uebergängen und sanften Schattierungen, die uns ein Mädchen erst lieb machen, und die, glaube ich, in allen Paradebetten verloren gehen. Das Gedränge nie gefühlter Empfindungen nimmt auf das schnellste zu — die Füße wanken ihr wie einem gemeinen Mädchen, sie sieht nichts, woran sie sich halten kann, als den einzigen Sopha — der immer der beste Zufluchtsort auch für eine müde Prinzessin ist. Hier — dem Altare gegen über, auf dem die Annalen des fürstlichen Hauses ausgebreitet da lagen — hier war es, wo der weise Stifter dieses Heiligthums sie erwartete, und hier kniete nun auch der entzückteste seiner Nachkommen, wie er es selbst sagt und ihm niemand abstreiten wird, vor seine Auserkorne nieder — wagt es erst kaum, ihre widerstrebenden Hände in die seinigen zu fassen — nennt ihren Unwillen gerecht — sucht ihren empörten Stolz zu besänftigen, und schiebt alles, wie er es mit Recht thun kann, auf seinen Stammvater. — Er würde außer sich seyn, sagt er mit bebender Stimme, wenn das alte sonderbare Herkommen ihn um die Achtung seiner geliebtesten Prinzessin, und in demselben Augenblicke bringen sollte, wo er es erst ganz zu verdienen gehofft hätte. — Kein Mensch, weder aus dieser noch jener Welt, würde ihn haben bewegen können, den zärtlichen Augen seiner einzig Geliebten so weh zu thun, wenn ihm nur im geringsten geahndet hätte, welch ein Cabinet die Haupturkunde seines Hauses verwahre. — Er müsse sich, fährt er fort, in Erstaunen verlieren, wenn er, die lange Reihe seiner Ahnen herunter — an alle die, bekannter Maßen so reitzenden — unschuldigen — erhabnen und höchst vortrefflichen Fürstinnen dächte, die doch eine nach der andern sich dieser Probe der Angst hätten unterwerfen, und ihren Namen als Landsmutter in dieser Capelle verdienen müssen. — Nichts hätte sie wahrscheinlich dabey aufrecht erhalten und trösten können, als der Gedanke an das allgemeine Beste, dessen Erhaltung allein dieser Tempel geweiht sey. — Freylich, setzt er hinzu, wäre es auch wohl das erste Gesetz jedes gut denkenden Fürstenkindes, ob man es gleich nur zu oft in Winkeln suchen müßte, wo man es nicht denken sollte. —  —

     Indem er alles dieses mit einer zärtlich stammelnden Stimme vorbringt, kann er sich zugleich an ihren scheuen Augen — an ihrer holden Erröthung — an der immer höher steigenden Empörung ihres blendenden Busens, und an der schönen Unordnung nicht satt sehen, die durch so manche heftige Bewegung der beunruhigten Sittsamkeit unter ihren Spitzen und Bändern entstanden ist. Er leidet treulich mit ihr, und forscht, nach jedem Kusse, den er ihren zitternden Händen aufdrückt, in ihren Blicken, um wie viel Grade ihr Schrecken gesunken, und um wie viel sie schon gefaßter sey einen neuen zu ertragen. Aber noch vergehen einige bange Minuten, ehe sich das Gute dieser Anstalt und der große Sinn zeigt, den der Stifter darein gelegt hat. Kaum aber haben die eben so wahren als zärtlichen Vorstellungen ihrem belasteten Herzen die erste unmerkliche Erschütterung mitgetheilt — so rollt die ganze schwere Masse, wie ein Schiff, das vom Stapel gelassen wird, nur desto geschwinder — reißt alles mit sich fort, was es auf seinem Wege antrifft — und schwebt nun stolz zwischen Himmel und Erden. Sie sieht mit dem fröhlichsten Erstaunen — was sie nie erwarten konnte — sieht ihren Liebhaber in ihrem Gebieter. Die Drahtpuppe ist verschwunden — Sie bewegt jetzt selbst was sie bewegt — Sie findet Geschmack an ihrer Rolle, und spielt sie vortrefflich. Kein Blick ihrer besänftigten Augen fällt auf den innigst gerührten, schmachtenden Jüngling, der ihr nicht eine süße Empfindung — keiner fällt verstohlen an die Wand, der nicht eine kleine Belehrung mitbrächte. Ohne es zu wissen, ahmt sie die eigene Miene der furchtsam nachgebenden Psyche nach, die aus dem herrlichen Altarblatte auf sie herüber blickt — und mit welchem Feuer kehrt nicht sein Auge auf die ihrigen zurück, wenn es die Zeit einer halben Secunde gewann, auf ein Gemälde aus Titians Jugend zu gleiten, das ihm gerade vor die Augen über dem Sopha, seiner furchtsamen Prinzessin aber im Rücken hing, wie ihm Psyche´s Apotheose! Ach wie weiden sich beyde an dem hohen und wahren Ausdrucke des Gefühls, das jedes in dem Herzen des andern zu erregen sich einbildet, ohne zu ahnden, wie viel sie davon dem Wiederscheine der Kunst, die hier so schwesterlich der Natur die Hand reicht, zu verdanken haben! Gott segne ihren glücklichen Irrthum! Trunken von der Seligkeit ihres Daseyns — erschüttert durch den Zauber dieser heiligen Stätte — zu Göttern verklärt durch das Feuer der Einbildungskraft — sinken sie staunend einander in die Arme — sinken in die Vergessenheit ihrer selbst. — Der Segen ihres großen Ahnherrn — das Wohl des Landes, und das höchste Entzücken der Liebe schwebt über ihnen. Millionen Sphären rollen über den Häuptern der Glücklichen hin. — Sie mögen kommen — gehen — verschwinden — was kümmert es sie? Die Sterne, die lange über dem Sopha funkelten, stehen jetzt unter ihm — aber was fragen sie nach den Körpern des Himmels — ihrem Stande und ihrer Bewegung? Was sollten sie? Sind sie sich nicht selbst ein Universum? Aus der Zusammenkunft ihrer Planeten in dem schönsten Punkte des Thierkreises werden sich neue Epochen der Freude, neue Systeme der Liebe entwickeln, die in dem unermeßlichen Raume der Geister= und Körperwelt — unabhängiger und glorreicher als jene, ihre unbekannte Bahn beschreiben — durch Jahrtausende sich fortwälzen, und dem lieblichen Genius der Erhaltung vorleuchten werden bis an das Ende der Tage. Umsonst arbeiten alle Wirbel und Kräfte der Schöpfung, schwingen, reiben und drücken sich, um aus dem Leben der Verherrlichten diese erste stolze Nacht zu verlöschen — Sie verlischt — aber das rührende Andenken derselben, mit allen ihren menschlichen Folgen, wird ihren Seelen unvertilgbar und den entferntesten Zeiten noch heilig seyn.

     Schon glänzen die Gebirge, die Thäler und Hügel des Erdballs in den Strahlen der Morgenröthe — der entzückte Prinz bemerkt ihr Farbenspiel nur an denen, die in seiner Herrschaft liegen, und die ihm auf der ganzen Oberfläche der Natur die liebensten geworden sind. Von ihrem Horizont aus wirft er noch einen Seherblick in die Nachwelt — sieht sich glücklich eingereiht in die Mitte unzähliger Vorfahren — unzähliger Nachkommen, und der Wunsch seines Stammvaters ist in allen seinen Theilen erfüllt. Sein Kanzley=Schreiben ist beantwortet, und dem Einsturze seines stolzen Gebäudes ist durch zwey neu angestellte tüchtige Arbeiter vorgesehen, und die Anlage seiner Capelle gegen allen Tadel gerechtfertigt. Sanft belastet von der Schwere ihres vielfältigen Glücks, reichen sich die Liebenden dankbar die Hände. Keines weiß, wer das andere besiegt hat. Arm in Arm treten sie an den Altar der Psyche — blättern bey dem Glanz ihrer Lampe in dem heiligen Stammbuche die Stelle auf, die es ihnen anweist, und setzen unter alle die Namen, die hier mit zitternden Händen geschrieben stehn — in auch nicht festern Zügen, den ihrigen. Ein herrliches Werk! an dessen Fortsetzung es jedem gutdenkenden Sohne dieses hohen Geschlechts eine Freude seyn sollte zu arbeiten. Das glückliche Paar giebt sich das Wort es gelegentlich durchzugehn — um — wie die wackere Prinzessin hinzu setzt, die Geschichte eines Hauses kennen zu lernen, in das sie so freundlich aufgenommen wurde. An der letzten Stufe der Capelle geloben sie noch der schaffenden Natur ein Votiv=Gemälde, das selbst in einer solchen Sammlung der Aufbewahrung noch werth sey. Schwach — vielleicht zu schwach aus überschwenglicher Liebe, und unbegreiflich allen benachbarten Fürsten, wenn sie es erfahren sollten, übergiebt der Held dieser fröhlichen Nacht an dem Ausgange des Tempels — seiner Gemahlin den goldenen Schlüssel zum Zeichen seiner ewigen Treue — ohne Furcht, daß sie ihn jemals verräumen oder verlieren werde, wie seine Frau Großmutter Liebden höchstseligen Andenkens.

     Ein wohlverdienter Schlaf erwartet sie beyde in dem weiten Umfange des Brautbetts, das unterdeß nichts von seinen Franzen, nichts von seinem Ansehn verloren hat, und gegen das sich der einfache Sopha verstecken muß. Die Engel des Himmels wären ungerecht, wenn sie nicht gütig auf die Geweihten herunter blickten, die alles, was die Natur und die Kunst, und was selbst des Geschwätz des Capellans verlangt, das zu keinem von beyden gehört, auf das pünktlichste erfüllt, und schon Vater und Mutter vergessen haben, ehe sie einschlafen. Mögen jene freundlichen Bilder ihnen im Traume vorschweben, unter deren Abglanze sie des Landes Wohlfahrt besorgten! Die ehrlichen Dichter und Prosaisten, die sich heute in diesem Tumulte der Sinne mit ihrem Krame bescheiden zurück zogen, werden schon zu einer gelegeneren Zeit ihre, nicht minder wirksamen Dienste dem fürstlichen Hause anbieten, wenn der erste Eindruck der Farbenmalerey verraucht seyn — und die ekle Seele sich nach Hülfe umsehen wird, um der größten Gefahr der Liebe — dem drohenden Ueberdrusse, zuvorzukommen.

     Vielleicht daß ein solcher Augenblick selbst mein armes Tagebuch aus seiner Dunkelheit hervor zieht, und ihm — Gott geb´ es! — die Ehre verschafft, das Vehiculum einer Prinzessin, die meiner Margot gleich sieht, oder eines Prinzen zu werden, der meinen Haß gegen alle andere Ritterthaten mit auf die Welt bringt, die nicht in das Gebiet der Menschheit gehören.

     Du magst von dieser Capelle und ihrem goldenen Schlüssel denken was du willst, Eduard! ich wenigstens habe keine an irgend einem Hofe gesehen, die philosophischer ausgedacht, und niedlicher angelegt wäre. Die Gemälde, die dieses Kunst= und Naturalien=Cabinet zieren, sind wohl nicht weniger zweckmäßig und selbstsprechend, als das Gastgebot des Storchs in dem Audienz=Gemache zu C — , das einem Gesandten, der nicht blind ist, gerade in die Augen fällt, wie er hinein tritt, und wohl eher als jene verursachen könnte, daß ein ehrlicher Mann in seinem Vortrage stecken bliebe. Der Erbauer jenes klügern Zimmers muß ein Herr von nicht gemeinen Einsichten gewesen seyn, der den Gang des menschlichen Herzens so richtig aus der Aufgabe seines eigenen abzuziehen verstand, als er prophetisch die stufenweise Abnahme der Seelen= und Lebenskräfte voraus sah, die jeder fürstlichen Nachkommenschaft drohte. Sie kann nicht ausbleiben, dachte er, wenn die Herren Erbverbrüderten so fortfahren wie sie anfangen — wenn sie als einen Damm ihrer ziemlich ausgeschöpften Hoheit, Prunk und Statuen um sich herum stellen, die ihnen jede freye Aussicht in die Natur versperren, und wenn sie immer so hoch auf den Stelzen ihres Standes einher treten, daß kein Blick der Freundschaft — kein Ausdruck der Vertraulichkeit ihre Augen und Ohren erreichen kann, sie flössen ihnen denn von andern Stelzentretern in gerader Richtung zu; und da weiß man schon wie wahr und rührend sie ausfallen. Sie müssen — es ist nicht anders — in ihrer Welt fremd werden, und endlich unter den Possen ihres Anstands erliegen. Was soll, dachte er ferner, anders als Zwecklosigkeit und lange Weile aus ihren ehelichen Verbindungen entstehen, da sie immer nur ein zehnfach verwandtes Blut in dem kleinen Zirkel herum treiben, auf den sie der genealogische Kalender einschränkt, und wodurch ihre Körper und Seelen einander am Ende alle so ähnlich werden, daß es ein Elend ist? Großer Gott! was soll da Kluges heraus kommen, wenn sie aus einer Idylle eine politische Rechnung — aus einem Schäferspiele eine Haupt= und Staatsaction machen? Der gute Mann blickte dabey mit seinen gesunden Augen in die offene Flur, sah, wie der Baum kränkelte, der nur mit seinen eigenen Ablegern gepfroft wird — sah, daß der Acker nur kümmerliche Ernten treibt, der mit dem Korne, das er jährlich einbringt, immer wieder besäet wird, — sah in der Wirthschaft des Thierreiches, wie tief am Ende die vollkommensten Racen herab sinken, wenn man sie zwingt sich unter einander zu verfielfältigen. Verwies er nicht schon selbst manchen Gaul dieser Art in den Bauhof, dessen Ahnherr, nach dem Stallregister, den Kaiser bey seiner Krönung trug — manchen in die Post, der in gerader Linie von der Haquenee, oder gar von dem Bucephalus abstammte?

     Da entschloß sich der hohe Fürst — in väterlicher Rücksicht auf die gemeinschaftliche Wohlfahrt seines Landes und seiner Erben entschloß er sich, keinen Schwächling in seiner Familie aufkommen zu lassen. Nach langem Hin= und Hersinnen glaubte er es am besten zu treffen, wenn er eine Macht, deren großen Einfluß er nur zu oft an sich wahrnahm — wenn er die wohlthätige Macht der Phantasie in den, für das Land gefährlichsten Augenblicken, gegen den kraftlosen Hofton zu Hülfe rufte, und seine Lieblinge — die Erbprinzen, wenigstens in der media nocte ihres Beylagers, durch einen natürlichen Einfall aus der Contenance brächte. Mußte er es auch zugeben, da er es nicht ändern konnte, daß die guten Leutchen, die er im Auge hatte, noch vorher auf dem Burgplatze alle die raren Künste entwickelten, für die ihres Gleichen bezahlt werden, wie sie es verdienen, — konnte er auch der tyrannischen Etiquette nicht so scharf in die Leine greifen, daß sie nicht erst das arme angekuppelte Paar in Ceremonien müde trieb, ehe sie es bis an den Standtpunkt seiner Vereinigung brachte; so war es ihm doch außer Spaß, wenn er im Geiste diese Staatspuppen, mit sammt ihrer Kälte, ihrer Erschlaffung und ihrem fürstlichen Anstande, das Paradebett besteigen sah. Nein! sagte er, das lasse ich nicht zu. Ich will der wohl erzogenen steifen Prinzessin zuvor Gelenke — ihrem niedlichen Gesichtchen erst Ausdruck — ihrem in etwas zurück gebliebenen Busen mehr Schnellkraft, und will dem uralten Geblüte, das in ihren Adern schleicht, Leben und Wärme geben. Sie mag ihrer Oberhofmeisterin Ehre machen wo sie nur will — aber in dem wichtigen Augenblicke, wo sie nicht nöthig hat vornehm zu thun, behalte ich mir, als Stammherr ihre Zurechtweisung allein vor, und hoffe, so Gott will sie vor ihrem Uebergange zu einem zweckmäßigen, feurigen, natürlichen Mädchen umzugestalten, das, wie Freund Lavater sagt *) — denn sein prophetischer Geist sah alle Fragmente der Welt voraus — Kraft hat zu geben und zu empfangen.
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*) S. Physiognomische Fragmente zweyten Versuch, S. 122, wo man auch das Porträt der Dame sehen kann, an der diese Kraft gerühmt wird.
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     Mein Prinz — fuhr er fort und strich sich den Knebenbart — soll vor seiner ersten Umarmung erst in einen muntern — gefälligen — verliebten Jungen verwandelt werden, wie sie in der Welt herum laufen, oder — ich will nicht Hans heißen! Das Fünkchen Liebe, das er aus der Hofcapelle mitbringt, soll in einer ganz andern von meiner Erfindung erst zu Flammen auflodern, — seine Pflichten sollen ihm, wie trägen Kindern, durch Bilder verständlich gemacht, — und seine natürliche Rolle, ehe er sie spielen darf, soll ihm erst so lieb werden, daß er seine angelernte darüber vergißt. Er habe das Opfer, das er zu den Füßen seiner Verlobten für sich und sein Land erbettelt, nur den Verlockungen der Sinne, dem Tumulte des Bluts — habe alles was er wünscht und erhält — nur dem Zauberstabe der gereitzten Einbildungskraft — nichts davon dem Stabe des Hofmarschalls zu danken!

     Und der brave Stammvater setzte sich hin und fertigte sein ewiges Kanzeley=Schreiben an alle Glücklichen aus, die durch ihn und seinen Erbprinzen, für dessen Stammhaftigkeit er selbst patriotisch gesorgt hatte, in der Folge der Zeit zu der Ehre gelangen würden ihr Vaterland zu beherrschen. Wenn sie auch, murmelte er vor sich, alle meine andern löblichen Anstalten im Lande mustern, meistern und umstoßen, so, denke ich, sollen sie doch nichts wider meine Einrichtung ihrer ersten Nächte haben, da ihnen ja, wenn sie nur das geringste Nachdenken besitzen, ihr eigenes Daseyn verbürgen muß, daß ich den Rummel verstand. Und so stiftete er jene Capelle mit ihrem Sopha — ihrem Stammbuche und ihrem Ornate.

     Sollte dich einmal der Zufall in diese etwas entlegene Gegend bringen, so bitte ich dich, Eduard, scheue den Umweg nicht von etlichen Meilen, um diesen Hof — wäre es auch nur auf einen Mittag, zu besuchen. Ich würde dir keines andern wegen so etwas zumuthen; aber bei diesem hier wäre es mir lieb. Du würdest nicht allein Dich mit eigenen Augen überzeugen, wie gut dem alten Herrn sein Einfall gelungen ist, und könntest ihn bey Gelegenheit weiter empfehlen — sondern auch Ich dürfte hoffentlich so viel dabey gewinnen, daß du nicht länger mit mir über meine malerischen Vorstellungen zanktest. Denn, wie wäre es wohl möglich, daß du nicht den tiefsten Respect für die Capelle, und nebenbey auch für mein Bilder=Cabinet, bekämest, da es ganz nach demselben Risse gebaut ist, wenn du einer der wunderschönen Prinzessinnen in der Nähe, oder zwischen einem Paar jungen, kraftvollen, freundlichen Herren zu sitzen kämest, die ihre frohe Existenz jener milden Stiftung verdanken, und für deren Erhaltung sie, als künftige Nutritoren derselben, schon durch ihr leichtes, ungezwungenes Betragen gut sagen. Diese, der Natur gleichsam abgestohlnen Kinder gewähren jedem gesunden Auge den freudigsten Anblick. Sie schreiten in einer reinen Erbfolge, ehrlich, fest, und zufrieden mit sich und andern, durch die Zeit fort, ohne den Namen des entfernten Edeln zu beschimpfen, von welchem sie so weit herkommen, während in andern erlauchten Geschlechtern die animalischen Feuertheile ihrer Stammältern so sehr unter dem Mantel der Etiquette verraucht sind, daß die meisten Länder vor unserer Nase nur noch von Menschengestalten regiert werden, denen ein Frost über den Leib geht, wenn sie in ihrer Rüstkammer den offenen Helm betrachten, der das Haupt ihres Ahnherrn umgab — die nicht den Panzer zu bewegen vermögen, den sie ihren Vorfahren sehr bequem in dem angebornen Wappen nachtragen. Wie können so ausgeartete Ritter dem Lande ein Ansehn geben, dem sie vorstehen? Wie können sie dem Geschlechte, das die Preise austheilt, und dem, zu ihrem Unglücke, die Folge der Zeit nichts von seinen hohen Erwartungen geraubt hat, nachkommen, ohne zu den unmännlichen Hülfsmitteln ihre Zuflucht zu nehmen, die, wie das Historienbuch sagt, schon viele in der Verzweiflung ihrer Mattherzigkeit ergriffen, um Friede im Hause zu haben, und nebenbey dem Lande, das sie ihren Lehnsvettern mißgönnen, einen Beherrscher zu schaffen, dem es die Unterthanen schon an den Augen ansehen, wie wenig es ihm nach allen göttlichen und menschlichen Rechten gehört.

     Sage mir, Eduard = = = Doch — Himmel und Hölle was erblick´ ich! Gott! wie wird mir mein politisches Geschwätz eingetränkt werden! Das einzige Gespenst, vor dem ich mich fürchten kann — erscheint — hinkt über die Gasse, und kömmt immer näher. Mit großen Augen begafft es jetzt meinen aufgepackten Wagen — und nun — ach! steigt es schauerlich die Treppe herauf. Mit Einem Worte, die alte Bertilia ist zurück! Aber, um aller Barmherzigkeit willen! wo bleiben die Pferde? Wahrlich, ich glaube, sie müssen erst, sammt ihrem Knechte die Messe hören, ehe ihnen die Religion erlaubt, einen Ketzer weiter zu schaffen. Eduard! lieber Eduard! was sollte wohl aus mir werden, wenn die gelbsüchtige Tante nur die geringste Spur von meinem Besuche bey Clärchen — nur die Zerknitterung entdeckte, die während ihrer Abwesenheit das florne Halstuch ihrer Nichte erlitt, und mich nun die kleine betrogene Heilige, als eine zweyte Delila, meinen Feinden verriethe? — O wenn doch nur dießmal die Postpferde kämen! Aber selbst Bastian, den ich nun zum drittenmale darnach geschickt habe, bleibt außen. Ich komme mir wie verrathen und verkauft vor —  —  —

     Es ist aus mit mir, Eduard! Die Tante — sie pocht an — und die Feder entfällt mir.
 

* * *


Ich habe dir, bester Freund! von einer bitterbösen Stunde Rechenschaft zu geben, und ich kann es mit aller Bequemlichkeit thun; denn leider! ist es so weit mir mir gediehen, daß ich unter dem Verschlusse eines alten Weibes stehe, mit keinem Menschen, als vor der Hand noch mit dir, sprechen kann, und dem Hospitale so zweckwidrig versetzt bin, wie der heilige Engel unter dem Spiegel. Für heute ist weiter an keine Abreise zu denken, und manchmal will mir gar angst werden, daß man mich wohl bis zum Feste der heiligen Cäcilia, Gott weiß zu was für einer Cäremonie! inne halten könne.

     Das abscheuliche Weib! Sie trat höflich genug zu mir herein, und auch ihre Miene kam mir nicht widriger vor als gewöhnlich. Ich setzte ihr, mir gegenüber, einen Stuhl, und unser Gespräch begann: —

     „Sie wollen uns schon verlassen, mein Herr, wie ich aus den Anstalten schließe?“ — „Briefe aus Marseille, liebe Madam, nöthigen mich dermalen zu einer geschwindern Abreise; doch denke ich, so Gott will, gegen den achtzehnten künftigen Monats wieder zurück zu seyn. Wollten Sie mir wohl das Quartier auf diese Zeit aufheben?“ — „Je, mein Herr — so wissen Sie denn auch schon von der merkwürdigen Feyer dieses Festtages? Wissen Sie denn aber auch, wie unbegreiflich hoch die Miethen in der Stadt alsdann stehen?“ — „Ich weiß es — aber der Preis thut nichts — was ein anderer geben kann, gebe ich auch.“  — „Das wäre schon gut, mein Herr; aber ohne Rückfrage bey dem Herrn Propste kann und darf ich mich so weit hinaus auf nichts einlassen. Kann ich doch nicht wissen, was er mit dem Quartiere vorhat. Er kann es ja einem Freunde zugesagt, oder gar die Absicht haben, um Unruhe zu vermeiden, es leer stehen zu lassen. Sie wissen, er ist Vorsteher von dieser milden Stiftung; und da ist es wohl natürlich = = “ — „O sehr natürlich!“ fiel ich ihr ungeduldig in´s Wort. Wenn ich nur begreifen könnte, wo meine Pferde so ewig lang blieben!“ — Sie wollte mich aber nicht verstehen. — „Es thut mir nur leid,“ fuhr sie fort, mein Herr, daß Sie gegenwärtig kaum das Viertheil Ihres Miethzinses abgesessen haben = = “ — „O, ich bitte Sie, liebe Madam, einer solchen Kleinigkeit nicht zu erwähnen — Es kömmt ja der Armut zu Gute“ = = = und ich sah mit einem finstern Blicke nach meiner Uhr. — „Ueber diesen Punkt,“ fing sie — und ich fing an: „Sagen Sie mir nur, ob die Post weit weg von hier ist? Ich thue wohl am klügsten, ich laufe selbst hin“ — und ich stand zugleich auf. — „Unterbrechen Sie mich nur nicht immer, mein Herr,“ antwortete das dumme Weib, und erhob sich nun auch. „Ueber diesen Punkt, sage ich wären wir also einverstanden, mein Herr. Und um Sie nicht aufzuhalten, will ich nur noch flüchtig das kleine Inventarium durchgehen, das Sie im Gebrauche hatten — nur der Formalität wegen, da ich überzeugt bin, alles in Ordnung zu finden.“

     Jetzt schoß mir das Blatt — Ich Unbesonnener! Wie war es möglich, daß mir nicht eher die Bücherschalen auffielen, die hinter dem Stuhle der Alten wie auf meine peinliche Anklage zu lauern schienen? Da ich das Weib, wie ich von Herzen gern gethan hätte, nicht auf der Stelle blind machen konnte, so sah ich keine menschliche Möglichkeit diese Beweise meiner Schuld bey Seite zu schaffen. Konnte ich mich doch nicht einmal auf eine leidliche Vertheidigung besinnen, gleich als ob alle und jede Sophistereyen mit diesen verbrannten Schriften aus der Welt wären. — Sie setzte bedächtig ihre Brille zu rechte — besah den Spiegel, trotz dem Wiederscheine ihrer scheußlichen Figur, auf das genaueste — drehte den schlafenden Engel nach dem Lichte — breitete die taffenten Fenstervorhänge aus einander — und da ich eben im Begriffe war, die Schweinshaut von meinem Koffer über das Corpus delicti zu werfen, drehte sie nun endlich ihre Drachenaugen auch dem Kamine zu.

     Könnte man doch malen, wie man wollte! Aber ein altes Weib im Zorne gehört ja, glaube ich, zu den Dingen, die uns Horaz verbeut auf die Bühne zu bringen. Du sollst also nur ihre Stimme hören, Eduard! und du wirst, denke ich, schon daran genug haben. Länger nicht als eine furchtbare Minute sah sie, noch sprachlos, bald auf mich, bald auf die ausgeschälten Bände, als ob sie an ihrer Besinnungskraft, oder ihrer Brille zweifelte. Sie trat näher, rollte einen Blick der Verzweiflung über den theuern Aschenhaufen, hob einen Hornband des Sanchez in die Höhe — ließ ihn vor Entsetzen fallen, und stürzte nun selbst, wie wahnsinnig, und mit gefalteten Händen daneben. Eine Furie, die den Höllengott anruft, kann keinen gräßlichern Anblick geben, als sie mir darstellte. Das Haar sträubte sich mir, und ich trat selbst mit einem Andachtsschauer zurück, als ihre Lefzen in Bewegung geriethen. Ich habe in meinem Leben nicht allein viele einfältige und zweckwidrige — nein, ich habe auch verdammliche und fluchende Gebete austoßen gehört; doch von der Zusammensetzung des ihrigen war mir noch keine zu Ohren gekommen. Im Anfange waren ihre Ausdrücke nur albern, wie etwan der Eingang mancher Controverspredigt. „Sancta trinitatis!“ schrie sie, „ora pro nobis!“ Rechnet mir, o ihr Heiligen und Märtyrer, die Missethat nicht zu, die ein Verächter eures Namens in diesem Gotteshause beging!“ — Aber als ob sie damit nur das Recht errungen hätte zu fluchen, knetete sie hinterher alles, was nur Gräuliches und Verworrenes in hundert Gebetbüchern verzettelt seyn mag, zu einem Anathema wider mich zusammen, daß selbst, in Vergleichung dessen, die bulla in coena domini *) eine Höflichkeit seyn würde — Gott bewahre mich, daß ich es ihr nachspreche.
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*) So heißt die aus Verwünschungen und Flüchen zusammen gesetzte Schrift, welche seit Jahrhunderten alle grüne Donnerstage in Gegenwart der Päpste, wider alle diejenigen verlesen wird, die sie mit dem Namen Kezer beehren. Am Ende derselben wird eine brennende Fackel auf die Erde als Sinnbild des Bannstrahls geworfen, den sie im Geiste über die anders denkenden schleudern. Ein herzerbendes Fest zu Rom!
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     Ich hörte ihr lange mit geduldigem Erstaunen, ja, wenn du willst, mit einer Art Bewunderung ihrer höllischen Beredsamkeit zu. Endlich aber, da ihr giftiger Ausfluß nicht nachließ — ihr Mund immer schäumender und ihre Augen flammender wurden — da sie mir entgegen donnerte, daß viele meines Gleichen, in ihrem frommen Lande, geringerer Verbrechen halber gerädert wären, und den Raben am Bache zur Speise dienten — und mir der arme unschuldige Calas darüber einfiel — da überlief mir die Galle. — „Den Augenblick steh auf, und packe dich, du abscheuliches Weib, packe dich zu deinem Schandbalge von Nichte, damit ich dich nicht in der Asche des Otterngezüchts ersticke, das du beheulst.“ — Und so lief ich, selbst ein wenig von ihrer Wuth angesteckt, nach dem Schellenzuge, und stürmte nach Bastians Hülfe. — Aber indeß ich, wie ein Narr, klingelte, war mir die Hexe entwischt; und ehe ich mich besann, warum ein Mensch, den man auf die Post geschickt hat, unmöglich zu Hause seyn kann, hatte sie den Schlüssel abgezogen, und die Thüre von außen verschlossen. Ich mußte nun selbst einsehen, wie überlegen sie mir war, da meine Aufwallung von gerechtem Zorn mich blind gegen alle Nebenumstände machte, die mir hätten dienen können; sie hingegen, ungeachtet ihrer Wuth, auch nicht die geringern Bosheiten aus der Acht ließ.

     Dieser Auftritt, Eduard, hat mich ganz außer Fassung gebracht. Ich kann mich noch gar nicht recht in mein Verhältniß mit dem Hospitale hinein denken, und das pro und contra meines Falles abwägen. Freylich habe ich Bücher verbrannt, die einer milden Stiftung gehörten; aber, großer Gott! was waren es für Bücher! Verdient man wohl den Galgen, wenn man Gift stihlt, um es in einen Abgrund zu werfen, damit es niemanden schade? O! gewiß verdient man ihn, wenn es Mörder sind, die uns richten. Das ist keine tröstliche Aussicht, und ich fürchte, — ich fürchte, man wird mir das Brandopfer eintränken, das ich dem Andenken des unsterblichen Rousseau gebracht habe.

     Eben habe ich alle Thüren des Vorsaals  und des Hauses verschließen hören, und sehe nun Tante und Nichte — Gott mag wissen nach welchen Gehülfen ihrer Bosheit — über die Gasse rennen. — Meinetwegen mögen sie alle Schöppen und Schergen der Stadt zusammen treiben! Ich will lieber, wie ein Mann von Erfahrung sagt, mit Löwen und Drachen kämpfen, als mit einem einzigen bösen Weibe. — Daß nichts gutes für mich aus einer Conjunction entstehen kann, die sich aus der Heimtücke des Alters und aus dem beleidigten Gefühle der Jugend, und zwar von da aus, gebildet hat, wo die Rachsucht am lebhaftesten und wie ein Kitzel wirkt — kann ich mir an den Fingern abzählen. Jener drückende Groll des frommen Mädchens, der kaum eine volle Stunde alt und von einer desto gefährlichern Beschaffenheit seyn muß, je verdeckter er ist — wie wird er nicht der lauten Anklage der Tante bey den Beschützern des Rechts zu Statten kommen, zu denen sie beyde hineilen! Wie wird die fromme Sängerin mich die Beschimpfung nicht büßen lassen, die ich ihren Reitzen und ihren Indulgenzen anthat! Wie theuer werde ich alle Kreuze bezahlen müssen, um die sie meine Ungeschicklichkeit brachte! Sie darf nur den Feuereifer ihrer würdigen Tante mit ein paar heuchlerischen Thränen unterstützen — darf, wenn ihr Rechts=Patron in Gedanken da steht, nur den heiligen Nicaise ein wenig lüften, oder, wie sie es mir gemacht hat, durch einen pittoresken Faltenschlag ihres Florkleides das Auge des Richters fesseln, und ihn durch den tollsten aller Kettenschlüsse verleiten, Beweise von Unschuld dahinter zu suchen; so wird ihm mein Vergehen gegen Gott und seine Kirche so einleuchtend und strafwürdig vorkommen, als es die Alte verlangt. — O, du betrügerisches Geschlecht! Warum hüllte dich die Natur in jene blendende Decke, die alle und jede Nachforschung nach deiner wahren Gestalt vereitelt? Warum entlarvte sie deine Abscheulichkeit mit Reitzen, die auch den hellsehendsten Mann überlisten? und ach! warum ließ sie nur einen Weg zu jenem verflochtenen Labyrinthe deines Herzens? Wie ganz anders würden nicht jetzt meine Actien stehen, wenn ich = = = Doch warum sollte ich mich noch strafbarer aus Clärchens Kammer zurück wünschen, als ich sie, Gott sey Dank! verlassen habe? Um des verächtlichen Vortheils willen, bey dem Widerspruche meines Gewissens, in den Augen solcher Menschen, als ein Mann von Ehre, feiner Lebensart, und als einer zu gelten, der es so ganz werth sey, ihrer Religion anzugehören?

     Ich trenne mich ungern von dir, mein Eduard, aber die Klugheit verlangt es. Wenn zwey Weiber wider Einen Mann in Aufruhr sind, bleibt ihm wohl nichts nöthigeres zu thun übrig, als auf alle möglich Mittel zu sinnen, ihrem unermüdeten Hasse entgegen zu arbeiten, ehe er sich noch durch andere Leidenschaften, die ihnen immer bey der Hand sind, verstärcke, und es zu spät wird. Ich hoffe schon noch Zeit zu finden mit dir fortzuplaudern, wenn ich nur erst über meine Vertheidigungsanstalten mit mir selbst einig seyn werde. Möchte doch der folgende Tag — denn der laufende ist schon wirklich zu kurz dazu — hinreichen, alle meine heutigen Morgenthorheiten, wo nicht wieder gut, doch unschädlich zu machen! — Wahrlich, Eduard, heute vor acht Tagen konnte ich mir nicht träumen lassen, daß ich meine erste Neujahrswoche mit so einem Wunsche endigen würde.
 
 

Ende des vierten Theils.

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Leipzig,
gedruckt bey Christian Friedrich Solbrig.