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Moritz August von Thümmel:
Reise in die mittäglichen
Provinzen von Frankreich ...
Siebenter Theil.  1800


 

Marseille.

 

 

Den 12. Februar.

 

Ich komme heute weder von der Maria zu Cotignac, wie du nach der letzten Zeile glauben mußtest, die ich schrieb, noch von sonst einem andern christlichen oder heidnischen Götzenbilde, sondern viel weiter her, und zu dir zurück, mein unschätzbarer Freund. Ein neues reines Blatt liegt vor mir, mit dem ich heute ein frisches Tagebuch anfange. Fortsetzen kann ich das ältere nicht, denn es ist auf meiner beschwerlichen Reise verräumt worden. Seit wir uns kennen, mein Eduard, sind die letztvergangenen Wochen die ersten, in denen ich keine Stunde an dich gedacht habe. Dafür bist du mir aber auch jetzt lieber als jemals. Ich komme aus den dunkelhellen Gefilden zurück, die an die Finsternisse des Todes gränzen, hörte schon in der Nähe den Strom rauschen, der alle Geschlechter der Erde fortschwemmt, und sah die Dämme von Schlamm weit unter mir, die wir in der Selbstgenügsamkeit unseres Stolzes gegen den Zufluß reiner Quellen um unsre Froschgräben ziehen, und die uns jede Aussicht in das Freye versperren. Die Zeit schien schrecklich vor mir vorüber zu fliegen. Jede laufende Minute hing ihr ein Sterbeglöckchen mehr an. Von unzählig eilenden Pulsschlägen erschüttert, tönten sie in ein fürchterliches Gläute zusammen, gegen welche das Geklimper aus unsern Kirchhöfen Harmonie war. Ich floh dem Tod mit heißer Begierde entgegen, um aus diesem Gesause der einstürzenden Welt und aus ihrem Staube zu kommen; und doch trieb mich der Schauer der Ewigkeit immer wieder aus seinen ausgestreckten Armen zurück. So flatterte mein Geist in jener unbekannten Wildniß, die an den Zaun unseres Lebens anstößt, ungewiß umher, ohne daß ihm ein Mondschimmer vorleuchtete, oder ein freundlicher Stern begegnete. So hob sich meine Seele, leicht wie ein Dunst, aus ihrem zerbrochenen Gefäße. Hinüber hinüber war der einzige seufzende Laut, den ihr die Angst der Verzweiflung abdrang. Sie hatte nur noch einen Schwund zu thun, um da zu seyn, wo sie hinstrebte, als eine unsichtbare Gewalt sie aufhielt, und eine freundschaftliche Stimme ihr zurief: „Kehre um, meine Schwester! Es giebt viel schönere Eingänge in dieses Thal kehre in das Leben zurück, um sie zu suchen.“ Und was fand sie, als sie, aus ihrer Höhe herabgewirbelt, wieder auf den Standtpunkt kam, von welchem sie aufstieg als statt der Phantome, die sie umgaukelten, sie wieder Menschengestalt erblickte, und fragen konnte: „Wo ist die schwesterliche Seele, die mich in das Leben zurückzog?“ Ach! sie fragte umsonst; aber sie fand ein Herz, das in der Hitze eines schrecklichen Fiebers, unter Prasseln, Toben und Angst zergangen, gleich einem edlen Erz von seinen Schlacken gereinigt, nun abgekühlt auf den Boden gesunken, wie ein funkelndes Goldkörnchen da lag. Die rauhe Schale, die es sonst umgab, ist verschwunden; was es aber an unnützem Gewichte verlor, hat es an Werth gewonnen denn die Mühe der Bearbeitung, die Schmelzkosten sind überwunden, und sein wahrer Gehalt ist durch das Feuer bestätigt.

 

     O könnte ich diesen Goldtropfen so glänzend zu dir hinrollen, als er jetzt aus der Glühpfanne des Herzen geflossen ist, damit du dich in seiner Oberfläche spiegeln könntest, ehe er in dem Umlauf unter den Menschen sich wieder verdunkelt und anläuft! Möchte er immer nur von den Blicken derer bestrahlt werden, die ihn zu schätzen verstehn! Möge ein gutes Schicksal ewig alle schmutzige Hände von ihm abhalten, und ihn bewahren, damit er nicht in dem Tumulte der Welt in eine Ecke geworfen oder in Koth getreten werde! Fliegen ihm ja Sonnenstäubchen an wie bald bläst diese ein freundlicher Hauch hinweg!

 

     Ich habe meine Uhr, die mir die Fehltritte meines Lebens zu bezeichnen aufhörte, als mein überirdischer Traum anhob, und die während meines Kampfs mit der Ewigkeit stillschweigend über meinem Kopfküssen hing heute zum erstenmal wieder in Gang gesetzt, und Gott, mit welcher Empfindung! Jede Sekunde, die den Zeiger jetzt weiter rückt, jeder Laut, den sie an die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anschlägt, jede halbe Note auf der Tonleiter der Zeit, und jeder Schwung derselben, der den Todtentanz unserer Stunden entwickelt durchzittert die feinsten Fasern meines Herzens, und verstärkt den Nachhall meines bittern Bewußtseyns. Doch ich höre meinen Arzt, der unter mit wohnt, die Treppe heraufsteigen. Sein sterblicher Name ist Sabathier. Er fließe nie als mit dankbarer Ehrfucht über meine Lippen!

 

*  *  *

 

     Eben ist der menschenfreundliche Mann von mir gegangen. Aber, welch ein schweres Verbot ließ er mir nicht zurück! „Was schreiben Sie?“ fragte er, nahm mir das Blatt unter den Händen weg und las. Es ist das erstemal, daß ein strenges Auge in mein Tagebuch blickt. „Nein,“ rief er, „in diesem Tone dürfen Sie nicht fortfahren. Sie müssen sich durchaus des Gebrauchs Ihrer Feder noch einige Tage enthalten. Wenn es mir auch nicht Ihr Puls verriethe, diese Zeilen würden es thun, daß sie noch krank sind. Im ganzen Ernste, lieber Freund, muß ich Ihnen unter der gewissen Bedrohung einer noch längeren Einkerkerung auflegen, Ihren überspannten Vorstellungen, Ihren kostbaren Ausdrücken im Reden und Schreiben nach Möglichkeit entgegen zu arbeiten.“ „Und durch was, lieber Doctor?“ fragte ich. „Durch ein Loth Fieberrinde, ehe Sie Ihren Spargel essen,“ antwortete er mir, „und durch ein Glas Limonade bei Tische.“ Und so ging er. Was will der Mann mit diesem Recepte? Ich dächte, ich hätte nie hellere Vorstellungen gehabt, und sie, seitdem ich schreiben kann, nie so deutlich und natürlich entwickelt, als diesen Morgen. Doch, ich will nicht mit ihm streiten. Meine erste Tugend soll seyn, wie bei einem Kinde Gehorsam der pünktlichste Gehorsam. Denn ehe ich den Blick ins Freye und den Balsam der Lust noch länger entbehren möchte, wollte ich lieber durch einen Eid ewig auf meine Feder Verzicht thun.

 

*  *  *

 

Den 15. Februar.

 

Zwei Tage und eilf Stunden bin ich armer Entkräfteter mehr unter fremder als eigener Sorge für die Erhaltung meines schwankenden Daseyns nun weiter gerückt, und ein stärkender Schlaf der vergangenen Nacht hat mir viel gutes gethan. Er hat meinen Kopf so befestigt, daß ich ihn nicht mehr zu stützen brauche, und hat mir, Gott sey Dank, die Erlaubniß meines Arztes verschafft, dir wieder schreiben zu dürfen. Aber sieh nur, wie genau er es mit mir nimmt. Hat er mich nicht, wie einen Anfänger, in die Gränzen einer einzigen Blattseite eingezäunt, die ich, bey Verlust meiner Freylassung, nicht überschreiten darf? Dafür ist er aber auch so gütig gewesen, den Raum der Zeit, den er mir zu diesem süßen Geschäfte frey läßt, desto weiter auszudehnen, und mir den ganzen vorliegenden langen Tag dazu auszusetzen. Sollte man aus dieser Einrichtung nicht schließen, der gute Mann habe es nur darauf angelegt, dir zu etwas recht scharft gedachtem und geistreichen zu verhelfen? Nichts weniger! Gerade dagegen hat er die ernstlichsten Vorstellungen gemacht. Er will durchaus, daß ich mein Papier mehr mit Worten als mit Gedanken füllen, und wenn wider Verhoffen mit etwas in die Quere käme, das diesen Namen verdiente, ich geschwind aufspringen und einen Kamm durch mein Haar ziehen möchte. Hast du je gehört, Eduard, daß man bey uns so eine Diät vorschreibt, oder haben unsere Aerzte bey ihren Patienten von dieser Seite nichts zu besorgen? Zu einem Zwischenzeitvertreib hat der Doctor Bastianen aufgegeben, mich mit meiner Krankengeschichte zu unterhalten. Da sich meine Erinnerungskraft ganz verkrochen hat, so ist es mit in der That lieb, von einem so nahen Zuschauer den Gang eines Drama´s zu erfahren, in welchem ich die erste Rolle spielte, ohne es selbst zu wissen. Er hätte, sagt er, gleich beym ersten Aufzuge sich nichts kluges von derselben versprochen; denn er habe, als er in meine Kammer getreten sey, um mich zu meiner malerischen Reise zu wecken, mich im Hemde an dem offenen Fenster gefunden. „Ich verbarg mein Erstaunen, fuhr Bastian fort, und fragte, ob Sie Sich nicht ankleiden wollten? In der heftigsten Bewegung antworteten Sie: „Geh! kaufe mir einen Rock von Schnee gewebt und eine Mütze von Eis!“ Es war die erste unpassende Rede, die ich noch von Ihnen gehört hatte denken Sie, wie sie mich erschreckte! Herr Passerino, fing ich mit zitternder Stimme an, wartet schon seit einer Stunde in dem Vorsaal, und die Postpferde = = = „Was?“ fielen Sie mir in das Wort, und Ihre Augen flammten, „der Kerl ist aus Spandau entsprungen? Leg ihm gleich die Fesseln an und übergieb ihn der Wache.“ Jetzt säumte ich nicht länger. Ich rief nach Hülfe durch das ganze Haus, stellte den Maler an die Treppe, um allen Lärm abzuhalten, schickte den Hausknecht nach dem ersten Arzte, den er auftreiben könnte, ließ Ihren Reisewagen anspannen, und lauerte endlich in der größten Angst an der Hausthüre auf die Ankunft des Marktschreyers Dieß ist kein Schimpfwort es war sein eigentlicher Charakter, wie es sich erst auswies, als es beynahe zu spät war. Er bezeigte eine herzliche Freude Sie wieder zu sehen. „Den Herrn,“ sagte er mir gleich bey seinem Eintritte, „habe ich schon vor einigen Monaten zu Bruchsal in der Cur gehabt. Mit seiner jetzigen Krankheit hoffe ich eben so bald fertig zu werden als damals.“ Wie froh war ich über den glücklichen Zufall, der diesen Mann hierher brachte! Auch Sie schienen Sich seiner zu erinnern, und ich mußte glauben, daß er in keinem geringen Ansehn bey Ihnen stände; denn Sie folgten ihm auf den Wink. Er befahl Ihnen, das Fenster zuzumachen und sich zu Bette zu legen. Sie gehorchten ohne Widerrede. Jetzt flog er zur Thür hinaus um selbst die Arzney zu holen, brachte sie, gab mir eine gedruckte Anweisung zu ihrem Gebrauche, und flog wieder davon. Er entschuldigte seine Eil mit öffentlichen Geschäften, die ihm oblägen, rieb sich die Stirn, sprach von Aufopferung und Versäumniß, und als ich darauf erwiederte, daß er sicher auf ein schönes Gratial rechnen könnte. „Ach, ich weiß es, ich weiß es,“ antwortete er, ließ sich aber dennoch vor Abends nicht wieder sehen. Auf diese Art setzte er seine Cur in Gang, und brachte Sie, trotz seiner seltenen Besuche, mit jeder Stunde einen Schritt näher zum Grabe. Ich fürchtete Alles, und doch beruhigte mich sein Geschwätz, und das Glück, auf das er sich immer bezog, Sie schon einmal vom Tode gerettet zu haben. Es ist alles in seiner Ordnung, antwortete er auf meine bedenklichsten Mienen. Er war über nichts verlegen, hatte zu jedem neuen Symptom auch schon ein Fläschchen in der Tasche, und so schien es am siebenten Morgen ganz auch in seiner Ordnung zu seyn, daß er den Kopf schüttelte, die Achseln zuckte, und zu stottern anfing, wenn ich ihn fragte. Jetzt erwachte mein Mißtrauen in seiner ganzen Größe, und eben wollte ich in der Verzweiflung meines Herzens den elenden Kerl zur Thüre hinaus stoßen, als sie sich öffnete, und ein Mann von dem edelsten Ansehn herein vor Schrecken aber wieder zurück trat, sobald er Ihrer ansichtig ward. Zugleich faßte er auch den Arzt in das Auge, und trat auf ihn zu. „Ist das nicht,“ fragte er, „der Schreyer von dem Pferdemarkte? Freund, wie kommt Er hierher?“ „Man hat mich rufen lassen,“ antwortete der Unverschämte, „aber zu spät. Ich bin übrigens ein guter Bekannter von diesem Herrn habe ihm schon in Deutschland von einer schweren Krankheit geholfen leider sind aber dießmal seine Umstände zu gefährlich und ganz hoffnungslos, das muß ich sagen.“  „Das soll ein Art beurtheilen, der es versteht,“ versetzte der Fremde, „und im äußersten Falle auch die Polizey. Dem Kranken keine Arzeneyen weiter bis ich zurück komme,“ wendete er sich gegen mich und eilte davon. „O, meine Mittel,“ setzte nun der trotzige Kerl seine Rechtfertigung gegen mich fort, „werden jetzt weder schaden noch helfen. Den Wundermann möchte ich sehen, der Seinen Herrn zu retten vermöchte. Die Krankheit selbst hätte eigentlich nichts zu bedeuten. Ich habe den Prinzen von Rohan von einer dergleichen befreyt, die noch heftiger war: aber bey einem Protestanten ist ihr nicht beyzukommen; denn sein hitziges Fieber ist nur Folge seines bösen Gewissens. Wäre Sein Herr von unserer Religion, so hätte dieser Umstand gerade am wenigsten zu sagen. Der erste beste Mönch würde die Sache in einer Viertelstunde geschlichtet haben; aber eine Seele mit Verbrechen beladen, auf die kein Weihwasser, keine Monstanz, keine Madonna wirkt, entschlüpft oft dem geschicktesten Arzte unter den Händen, und fährt zum Teufel, wenn auch der Körper längst wieder in Ordnung gebracht ist und das ist hier der Fall.“ „Unmöglich,“ antwortete ich: „Thorheiten kann der arme Herr begangen haben, das will ich zugeben; aber Verbrechen gewiß nicht. Ich bin seit dem Neujahrstage in seinen Diensten und tagtäglich um ihn, und weiß doch auch, was Sünden sind; aber ich müßte es lügen, wenn ich ihm die geringste nachsagen wollte.“ „Mir darf Sein Herr so etwas nicht weiß machen,“ versetzte der Zahnarzt; „ein hitziges Fieber ist gar ein plauderhaftes Ding, und zum Glücke verstehe ich die beyden Sprachen, in denen Sein Herr wechselweise irre redet. Ach, ich könnte Ihm das Verständniß wohl öffnen, lieber Mann; aber was geht es mich an? Ich bin heilfroh, daß ich aus dem Spiel komme. Die Polizey? das ist zum Lachen! Habe ich mich denn aufgedrungen? Hat mich denn mein alter Freund nicht rufen lassen? Ohnehin breche ich morgen mein Theater ab und ziehe weiter. Sorge er ja auch bey Zeiten für Sich, Herr Kammerdiener, und leb´ er wohl! Meine Rechnung will ich jetzt gleich mit dem Wirthe abmachen.“ Für die sollte der Esel von Hausknecht haften, der ihn geholt hat! rief ich ihm nach und schlug die Thür hinter ihm zu.

 

     Nicht lange nachher führte der Fremde den Arzt herein, der Sie mit Gottes Hülfe bis hierher gebracht hat. Er fing seine Cur freylich auch damit an, womit der erste die seinige endigte mit Kopfschütteln; aber es dauerte nicht lange, so setzte er Ihren ganzen Haushalt in Bewegung, und schickte zu gleicher Zeit in vier Apotheken, damit kein Rettungsmittel über die Zubereitung des andern zu spät käme. Ich mußte einen Chinatrank, der Prologus Spanische Fliegen, der Epilogus ein Clystier, und Herr Passerino Blutigel holen. Während dem schrieb der Fremde „Aber wer ist denn der Mann,“ unterbrach ich hier meinen Bastian, „der sich meiner so freundschaftlich annahm?“ „Das,“ antwortete er, „habe ich nicht herausbringen können, weder von ihm selbst noch von dem Herrn Sabathier.“ Er schrieb also, fuhr der Erzähler fort, ein Briefchen an den Commendanten, das er durch den Wirth selbst abschickte, und welches die gute Folge hatte, daß die Gasse mit Sand bestreut, für die Wagen gesperrt, und der erschütternde Lärm von außen gedämpft wurde. Nun setzte er sich mit trauriger Miene an Ihr Bette, und befahl, die Ermüdetsten von uns sollten sich schlafen legen, damit wir Tag und Nacht im Dienste abwechseln könnte.

 

     Weißt du wohl, Eduard, wen sich meine Einbildungskraft bis hierher unter diesem für mich so besorgten Manne vostellte? Dich, Theuerster, oder meinen Jerom. Konnte mir der Teufel, dachte ich, einen so abscheulichen Bekannten als den Zahnbrecher nachschicken, um mich in die Hölle zu treiben warum sollte es nicht meinem guten Genius eben so möglich gewesen seyn, mit einen Freund zu meiner Rettung herbey zu führen? Freylich wär´ er beynahe zu spät gekommen; aber reißt das Verderben nicht immer geschwinder als die Hülfe? Die Folge der Erzählung meines Bastians benahm mir diese schöne Hoffnung auf einmal; denn, wie er mir sagte, that der Fremde Fragen an ihn, die allein schon zeigen, wie unbekannt ich ihm seyn müsse. Ich fuhr, zum Beyspiel, bald nach seiner Erscheinung mit der Hand nach der Stirne, vermuthlich weil die Blasenflaster zu ziehen anfingen, und rief ängstlich dabey: „O Margot, meine liebe Margot, binde mir geschwind dein warmes Halstuch um“ und da glaubte der gute Mann, ich wäre verheurathet, und fragte, ob meine Frau in der Nähe sey? „Ach nein,“ antwortete Bastian weinend, „es ist meine Schwester, die ihm im Sinne liegt; wollte doch Gott sie wäre hier!“ Eine Weile nachher schrie ich: „Heilige Clara von Falkenstein!“ „Ich höre,“ sagte darauf der Unbekannte, „daß der Kranke unseres Glaubens ist. Wie kommt es, daß ihm noch kein Mönch das Viatikum anbeut?“ Ich rief heftig dazwischen, als ob ich ihm das Gegentheil beweisen wollte: „Weg weg von mir, abscheuliches Geschöpf mit deinen höllischen Geistern und deinen Kreuzen!“ Hier sah sich der Herr noch einmal nach uns um, sagte Bastian. Ich traute mich nicht zu antworten, aber der Epilogus nahm das Wort. „Ach Gott,“ sagte dieser, „das ist eine gar lange Geschichte. Die Clara, von der unser Kranker spricht, ist ein wunderschönes Mädchen zu Avignon. Kennen Sie etwa den Herrn Dücliquet?“ „Ich habe nicht die Ehre,“ antwortete der Fremde. „Nun so wird es schwer werden,“ fuhr der Epilogus fort, „Ihnen die Sache verständlich zu machen. So viel kann ich Ihnen sagen, daß dieses Mädchen die Steine der heiligen Dreyfaltigkeit in sich tragen soll, die der katholischen Kirche seit langer Zeit abhanden gekommen sind. Ob sie mein Herr bey ihr gesucht hat, weiß ich nicht gewiß, aber ich glaube = = = “ „Wie lange,“ unterbrach ihn der Unbekannte, „ist er bey dem Herrn in Diensten?“ „Seit dem achten vorigen Monats,“ antwortete der unleidliche Schwätzer. „Vorher war ich ein Puppenspieler, nachher Grenadier unter der Päpstlichen Garde, werde aber jetzt im Hause der Epilogus genannt, und der Prologus ist mein Bruder.“ „Ich dächte, mein Freund,“ versetzte der Fremde ernsthaft, „er ginge schlafen. Er scheint es mir nöthiger zu haben als ein anderer.“ Der Kerl ließ es sich nicht zweymal sagen, und ich, Eduard, bin recht froh, daß er fort ist. Um Gottes willen, was muß sich mein unbekannter Wohlthäter für einen Begriff von meiner Wirthschaft gemacht haben! Es ist ihm wahrscheinlich nicht zu verdenken, daß er sich jetzt nicht weiter um mich bekümmert. Aber mein Blatt ist leider zu Ende. Pünktlicher kann man wohl seinem Arzte nicht gehorchen; denn wenn du dir nicht selbst Gedanken bey meiner Geschichte machst, von mir liegen gewiß keine darin.

 

*  *  *

 

Den 16. Februar.

 

„Da haben Sie Recht!“ lächelte mich der herzensgute Sabathier diesen Morgen an, nachdem er mein gestrigtes Blatt bis auf die letzte Zeile durchgelesen hatte, „das hat Ihnen den Kopf schwerlich angegriffen. Wenn Sie mir versprechen so fortzufahren, und daran Spaß finden, so erlaube ich Ihnen heute ohne Bedenken einige Seiten mehr.“

 

     So will ich mich denn an meinen eigenen Anekdoten auch recht satt schreiben. Wenn diese nicht ächt ausfielen, so müßte keinem in der Welt mehr zu trauen seyn, da hier die gewiß seltenen Umstände zusammen treffen, daß der Held der Geschichte sie aus dem Munde eines Augenzeugen nachschreibt. „Der Prologus,“ nahm Bastian den Faden seines gestrigen Berichts auf, „trat jetzt an die Stelle seines zu Bette geschickten Bruders, und der fremde Herr hielt sein erste Nachtwache an dem Ihrigen ganz besonders glücklich für Sie: denn gegen drey Uhr stiegen Ihre Phantasieen, die ohnehin räthselhaft genug waren, so hoch, daß Sie aus Ihrem Französischen Jargon in den Deutschen fielen, den, außer Ihrem vornehmen Wächter, niemand von uns verstand. Wie hätten wir mit Ihrer Ungeduld zurecht kommen wollen? So forderten Sie einmal etwas mit der ängstlichen Heftigkeit. Während wir nun aus gleichem Mißverständnisse, ich nach Limonade und der Prologus nach dem Fliegenwedel liefen, hatte Ihnen der Fremde schon gebracht, was Sie verlangten.“ „Und was war es denn, Bastian?“ fragte ich. „Also erinnern Sie Sich wohl gar nicht einmal, was Sie zerrissen haben?“ „Ich weiß kein Wort davon.“ „Nun so will ich nur wünschen, daß es Sie hinterher nicht noch gereue. Es waren die vielen Hefte, die Sie gewöhnlich alle Abende um einen oder zwey Bogen verstärkten, und die auf Ihrem Schreibetische noch aufgehäuft beysammen lagen.“ „Mein Tagebuch, Bastian? das hätte ich zerrissen?“ „Ja wohl, mein lieber Herr, in tausend kleine Stückchen. Die Arbeit schien Ihnen eine rechte Freude zu machen. Der Fremde mußte Ihnen ein Heft nach dem andern zureichen. Sonderbar war es, daß Sie die Anzahl davon auf das genaueste im Kopf hatten, ungeachtet seiner großen Schwäche. Sie forderten den ersten, den zweyten, und so fort, und wurden nicht eher ganz ruhig, bis auch der letzte vernichtet war, das Arabische Manuscript ausgenommen, das Herr Passerino nebst seiner Abschrift bey mir niedergelegt hat. Ich saß mittlerweile ganz still neben der Nachtlampe, und dachte wehmüthig der vielen schönen Stunden nach, die ich Sie an diesen unglücklichen Papieren mit einem Ernst hatte verschreiben sehen, als wenn Sie für die Ewigkeit schrieben. Sie aber wendeten Sich, wie die Sache geschehen war, mit dem heitersten Gesichte und in Französischer Sprache zu dem Fremden: „Jetzt, Herr Procurator, thun Sie mir den Gefallen und befreyen mich von diesem Plunder. Tragen Sie ihn dort ins Kamin der Prologus soll ihn anstecken.“ Als die Flamme aufloderte und die dunkle Stube bis an die Decke erleuchtete, riefen Sie ein Bravo über das andere, und: „Sehen Sie nicht, Herr Procurator,“ sagten Sie halb leise zu dem Herrn, „wie lustig die heiligen Engel den brennenden Scheiterhaufen umflattern?“ Wohl gut, daß der Quacksalber der Execution Ihres Tagebuchs nicht mit beiwohnte: er hätte sicher Ihr strenges Urtheil für eine Selbsthülfe Ihres bösen Gewissens erklärt. Für eine wohlthätige Crise hielten wir es indeß alle; denn Sie fielen gleich darauf, zum erstenmale seit acht Tagen, in Schlaf, und athmeten so frey, als ob Ihnen eine drückende Last von dem Herzen genommen sey. Auch ich begab mich zur Ruhe Passerino löste mich ab. Als aber der Tag anbrach, kam ich so neu gestärkt wieder auf meinen Posten, daß der fremde Herr kein Bedenken fand, mir seinen Stuhl an Ihrem Bette einzuräumen, und sich auf einige Stunden zu entfernen. Sie schliefen noch eine gute Weile ununterbrochen fort. Aber ach! wie rührten Sie mich durch Ihre freundlichen Phantasien, als Sie aufwachten! Sie hielten mich für meine Schwester. „Meine gute Margot,“ wendeten Sie Sich in sanfter abgebrochener Stimme nach mir, „wie freut mich dein lieber Besuch! O wie übel ist es mir die vielen Jahre seither ergangen, seit ich von deinem Bette weg bin! Lebt denn mein treuer Johann noch? Nun das höre ich gern. Wie viel habt ihr Kinder? Deine Mädchen sind wohl sehr schön? Nimm sie um Gottes willen vor den Domherren, vor den Pröpsten und vor den Mönchen in Acht das bitte ich dich. Laß ihnen weder schreiben lernen, noch lesen; denn sonst stänkern sie in allen Legenden. Sprich nie mit ihnen von Tugend, damit sie gar nicht erfahren, daß es Laster giebt; sondern erziehe sie häuslich, reinlich, fröhlich und ganz so, wie du warest, als ich dir deinen Strohhut aufsetzte. Das versprich mir. Was aus deinem Bruder geworden ist, mag Gott wissen. Hieß er nicht Bastian? Ich höre und sehe nichts von ihm. Er hat mir etwas mitgenommen, das mir sehr werth war dein liebes Gesichtchen. Gott verzeihe es ihm! Aber was ist dir denn begegnet, Margot? warum weinst du? Hier nimm mein Schnupftuch trockne deine Thränen damit ab. Ich habe es nicht nöthig, denn in meine brennenden Augen ist seit Jahr und Tag keine gekommen.“   Zu meinen Glücke verfielen Sie hier in Ihren vorigen Schlummer, und ich bekam Zeit mich zu erholen; denn jedes Wort Ihres Selbstgesprächs zerriß mir das Herz. Obwohl meine gute Schwester es empfunden haben mag, wie gegenwärtig Sie Ihnen war? Das möchte ich wissen. Nun verging wieder eine volle Stunde, ehe Sie aufwachten, und es war eben die Zeit, daß Sie einnehmen sollten. Ich reichte Ihnen die Tasse. Sie sahen mich bedächtig an. Ach, bist du es, Bastian?“ sagten Sie endlich. „Gut! Ziehe geschwind deine Livree an; ich muß dich nach Hofe schicken. Du weißt doch, wo die Frau Oberhofmeisterin wohnt? Mache ihr meine Empfehlung, und sage ihr in meinem Namen doch ließ ich um Verschwiegenheit bitten daß ihre so wohl erzogene, schöne, junge Prinzessin = = = “ Aber auf einmal sprachen Sie wieder Deutsch, und Ihr Auftrag ging für mich verloren. „Das thut mir leid, Bastian. Verstandest du denn gar nichts davon?“ „Nichts als zwey Worte, die Sie einigemal wiederholten: Cabinet und Capelle.“   Nun erinnerte ich mich der Phantasie in meinem verlorenen Tagebuche, die unfehlbar (wie ist es möglich, daß ein solcher Schnack in einer ernsthaftesten Krankheit einem wieder einfallen kann?) in meinem fieberhaften Gehirn eine ähnliche erzeugte, die ich für wahr hielt; die du aber jetzt so wenig verstehen würdest als Bastian, da meine Capelle und mein Bildercabinet für uns und die ganze Welt verbrannt ist. „Doch erzähle Er nur weiter, Herr Kammerdiener. Was ging denn sonst noch mit mir vor?“ „Etwas sehr Erwünschtes! Die letzten Tropfen mußten mit Mohnsalz versetzt seyn, denn Sie schliefen unter dem Reden ein und in Einem fort bis den Abend. Herr Sabathier besuchte Sie inzwischen dreymal, ohne daß Sie ihn hörten; aber Ihr Puls und ihr hochrothes Gesicht wollten ihm keinmal gefallen. „Es ist noch nicht der Schlaf, den ich wünsche,“ sagte er zu mir im Weggehen, „und ich fürchte sehr für den neunten Tag.“ Ach er hatte nur zu wahr gesprochen; denn mit dem Eintritte desselben ward Ihr Zustand immer furchtbarer, bis zum zwölften. Ihr unbekannter Wohlthäter verließ Sie so wenig als Herr Passerino diese Zeit über einen Augenblick, und hatte sich ein Feldbette neben dem Ihrigen aufschlagen lassen. Sie fielen aus einer Phantasie in die andere. Wenn Sie sprachen, war Ihre Stimme laut, feyerlich und erhaben. Ihre Reden an Gott, die Natur, und an Sich selbst hätten verdient aufgeschrieben zu werden, und kein Regent würde die Strafpredigten, die Sie als Hofcapellan an einen der Deutschen Fürsten zu richten schienen, ohne Erschütterung angehört haben. Dieß waren nicht Bemerkungen von mir, sondern die Urtheile Ihres Arztes und des fremden Herrn, die sich oft beyde über die hohen Wahrheiten wunderten, die in Ihren Schwärmereyen lagen. Sobald Sie Sich aber zu den armen Mönchen und in unsere Kirchen verirrten, da ward einem nicht wohl zu Muthe in Ihrer Nähe. Ich habe oft Gott gebeten, Ihnen die Schmähungen nicht zuzurechnen, die Sie in der Heftigkeit Ihres Wahnsinns gegen unsere geheiligte Religion ausstießen. Einmal schrien Sie: „O des gottlosen Papsts! seine glühenden Schlüssel leuchten mir vor auf dem Wege zur Hölle.“ Dann und wann hatten Sie es mit der Buhlerin zu thun. Dann hielten Sie gemeiniglich die Hände vor das Gesicht, schluchzten und schlugen Sich vor die Stirn. Sie erschreckten uns oft außerordentlich, besonders einmal den armen Passerino, der sich einfallen ließ, Ihre feurigen Augen zu copiren zu seinen Studien, wie er sagte. Sie fuhren ihm so geschwind nach der Gurgel, daß er kaum Zeit hatte, sich zu retten. „Elendes Schlachtvieh!“ riefen Sie mit durchdringender Stimme, „bücke dich nieder, damit ich dich an dem Altare des Neptuns erwürge. Stümper aller Stümper, wie konntest du die Größe der Natur so verkleinern? Das tobende Meer liegt vor deinen Augen, und du malst einen Sumpf. Dein Mond ist ein Irrwisch, und dein Aether grobfädig und verschossen, wie dein Staatsrock. Gedenkst du mich auch, wie unsre arme Angola in dem Gestanke deiner Farben zu ersticken? Du willst mich malen? Du?“ „Ach, der arme Herr,“ seufzte Passerino, welcher bejammernswürdige Zustand! Das war unstreitig der stärkste Paroxismus seiner ganzen Krankheit. Am besten, ich schleiche mich weg, damit er meiner nicht gewahr wird. Lassen Sie mir es sagen, wenn er wieder bey Verstande ist.“ Er ging und kam auch wirklich nicht eher wieder. Ein andermal = = = doch wie mag ich mich dabey aufhalten? Sie waren ja nicht bey Sich. Ist das nicht mit einem Worte Alles gesagt?“ „Nein, nein, Bastian, damit kommst du nicht los. Was meintest du?“ „Ein andermal also bekamen Sie einen heftigen Anfall über eine Kleinigkeit, die wir vergessen hatten, bey Seite zu schaffen über die Klingel neben Ihrem Bette. „Gott Lob,“ sagten Sie, „daß ich die Quaste habe! Jetzt will ich schellen, daß man es in Domingo hören soll.“ Der Wirth kam gelaufen und machte Vorstellungen dagegen. Es blieb uns nichts übrig, um Ihnen den Einfall aus dem Kopfe zu bringen, als daß ich außen am Bette in die Höhe stieg, und die Schnur vom Drahtzuge abschnitt. So phantasirten Sie auch viel von Sparte, Athen und von dem Pontus Euxinus.“

 

     Nun halt ein, Bastian, ich möchte noch gern einige vernünftige Worte mit meinem Eduard allein sprechen, ehe mein Bogen zu Ende geht. Das soll mir lieb seyn, höre ich dich sagen: denn was in aller Welt soll ich mit deinem Fiebergeschwätz anfangen? O, hättest du nur mein Tagebuch gelesen, so wäre mir dafür nicht leid. Das liegt nun freylich ganz in der Asche; indeß ist wenigstens durch dieses Blatt das Register davon gerettet. Meine Phantasien sind, als abgerissene Fäden aus dem Gewebe des Lebens, mir immer noch wichtig, und können mir zum Leitfaden dienen, wenn du einst neugierig auf den Stoff werden solltest, den ich in der Fremde verarbeitet habe den Nutzen ungerechnet, den diese Nachlese für mich hat. Keine moralische Betrachtung hat mich je so aufmerksam auf die Irrthümer meines gesunden Gehirns gemacht, als die Schwärmerey meines kranken, und kein Auszug aus den Schriften der Weltweisen hat mir mehr Anlaß zum Nachdenken gegeben, als Bastians Auszug aus meinem hitzigen Fieber. Wenn ich einmal, diese Bogen in der Hand, neben dir sitzen und dir meine wahnsinnigen Reden commentiren werde; so wirst du so gut einsehen als ich, warum unter den Gespenstern, die mein von Angstschweiß triefendes Herz bis in den Abgrund des Grabes zu verfolgen schienen, die einzige freundliche Erscheinung der guten Margot mein Blut besänftigte, und kühlenden Balsam in meine Wunden goß. Ach! wie wurde nicht meine Einbildungskraft durch jeden Tritt gefoltert, den ich mir erlaubt hatte neben dem geraden Wege zu thun! Und doch hatten mich wie dir mein Commentar zeigen wird nur Zufall und Leichtsinn nicht weiter verlockt, als bis an den bedeckten Schmutzgang des casuistischen Lehrgebäudes; und die Flecken lassen sich allenfalls in einem reinen Brunnen noch abwaschen, die ich davon trug. Wie aber muß erst einem Herzen in dem Augenblicke, wo es brechen will, zu Muthe seyn, das, aus einem schlüpfrigen Irrwege in den andern verführt, mit immer berauschteren Sinnen, bis in das Innere der Freystätte vorgedrungen ist, die in jener unseligen Sittenlehre den scheußlichsten Verbrechen offen steht! In welchem Vorgefühl der Verdammniß muß sich nicht eine Seele vor ihrem Hinüberschweben in die Ewigkeit herumtreiben, wenn der annähernde Todesengel mit seinen Schwingen die Nebel religiöser Täuschung und die Wolken des Weihrauchs zertheilt, die ihr Bewußtsein umzogen! Wie gewaltig muß der Strom des Lichts den seiner Binde entledigten Geist ergreifen, wenn nun die Gegenstände seines Glaubens hinter dem schillernden Schleyer hervor treten, der ihre Häßlichkeit so lange verbarg! Welch eine Uebersicht der schrecklichsten Wahrheiten! Blutqualm steigt ihm von den Altären entgegen, auf denen Aberglaube, Religionshaß und Priesterstolz ihre Schlachtopfer erwürgten. Falsche durch vorsetzlichen Selbstbetrug gerechtfertigte Eide zerreißen ihm das Ohr. Manche dem Hohngelächter der Wollust preis gegebene und nach den gotteslästerlichen Regeln der Entsündigung ermordeten Unschuld wimmert zu seinen Füßen, und abgetriebene Kinder faulen unter dem Lampenscheine des Götzenbildes, das ihm auf dem dunklen Hingange in das Unabsehliche vorleuchten soll. Wird das In profundis des Mönchs, der vor dem Bette des Kranken kniet wird das Weihwasser, das über seine heiße Stirn fließt wird die letzte Oelung, die seine Schläfe salbet die Schreckensbilder verscheuchen können, die ihn umgaukeln? Wird der ganze Plunder der geheiligten Spielwerke, die jene gewissenslose Schwärmer als Hülfsmittel zur Seligkeit ihren Anhängern feil bieten, die Beängstigung eines Sterbenden zu lindern vermögen, der die reinen Gefühle der Natur gegen so heillose Grundsätze vertauscht hat, die, wie Opium, den Verstand in Träumereyen voll süßen Gifts, das Herz in tödtlichen Schlaf verwickeln? Doch es ist eine glückliche Galgenfrist für die Herren, die damit wuchern, daß die angewiesenen Gränzen meines Bogens mir Stillstand gebieten. Auch selbst mir ist es räthlich, daß ich die Feder weglege, denn der Verdruß, den es mir verursacht, daß ich nur die Waaren ihres Schleichhandels beschauen, und mich in gedankenloser Verwegenheit ihren schädlichen Dünsten nähern mochte, treibt mir das Blut nach dem Kopfe. Träte jetzt mein Arzt herein, er würde es nur zu gewiß an meinem Pulse merken, wie nahe ich daran war, den Vertrag zu verletzen, der unter uns beyden besteht.

 

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den 17. Februar.

 

O daß sich mir in diesem Augenblicke, da ich mich hinsetze, um dir den ersten Festtag meiner Freylassung zu schildern, der fromme Unbekannte darstellte, dem ich die Rückkehr in das Leben verdanke! Ach warum zögert er? Ich bin ja wieder stark genug zu erhabenen Empfindungen, und habe heute davon die vollständigste Probe gegeben. Wenn es, wie mich mein Arzt vermuthen läßt, ein edler Mann von hohem menschlichen Gefühl ist, den ein Gelübde bindet, Kranken beyzustehn, Nothleidenden zu helfen, so sollte er ja wissen, wie lästig einem guten Herzen Wohlthaten werden, die sich unserm Händedrucke, unsern Umarmungen entziehen. Er komme, er komme! Und wenn es ein Mönch wäre, ich wollte ihm für das verdienstliche Werk, das er an mir Armen verrichtet hat, zu Füßen fallen und seine Kutte mit Ehrfurcht berühren.

 

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Mein trefflicher Arzt besuchte mich diesen Morgen eine Stunde frü­her als gewöhnlich, war, wie es schien, mit meinem Pulse und mei­nen Augen zufrieden, und nachdem er auch in meiner gestrigen Schreiberey nichts zu tadeln fand, sprach er mir mit der Stimme ei­nes Engels zu: „Ihr Erntentag ist gekommen, lieber Freund. Genie­ßen Sie von nun an der Früchte, die in den schwülen Stunden Ihrer Krankheit greift sind aber genießen Sie solche mit der Behutsamkeit eines vernünftigen Wesens. Dieser Rath gehört so gut zu mei­ner Gerichtsbarkeit, als Körper und Seele zu dem Gebäude gehö­ren, das unsere beschränkte Kunst in Bau und Besserung erhalten, vor feindseligen Erschütterungen schützen, und vor seinem zu frü­hen Einsturze bewahren soll. Folgen Sie, um der mißlichen Hülfe der Kunst zu entbehren nur den mütterlichen Anweisungen der Natur“ „Das,“ fiel ich ihm in die Rede, „hat mir schon ein an­derer großer Arzt gerathen, der Jerom heißt.“ „Aber wohl zu mer­ken,“ fuhr er fort, „der schönen Natur.“ „Diesen Beysatz“ er­wiederte ich, „hat Jerom vergessen. „Desto schlimmer,“ antwor­tete der brave Mann; „ohne diesen ist der ganze Rath nicht viel werth, und giebt in unbewachten Stunden zu großen Mißdeutungen Anlaß. Doch ich bin ja nicht hergekommen, um Ihre vorigen Aerzte zu mustern, sondern Ihnen noch eine Arzney zu verschreiben, deren erste Wirkung ich noch abwarten will, ehe ich Sie ganz entlasse.“ „Was für eine?“ fragte ich erschrocken. Aber kaum antwortete er: „Die frische stärkende Luft“ so lag ich mit Freudenthränen an seinem Halse flog ich von ihm nach dem Fenster, nach mei­nem Hute, nach meinem Mantel so winkte ich Bastianen, mir mei­ne Latwergenbüchsen und Pulverschachteln aus den Augen zu schaf­fen so war ich in einer Minute gekleidet und fertig, um meinem Befreyer zu folgen. Er schien selbst von dem Strudel meines Ent­zückens ergriffen zu werden. „Kommen Sie,“ rief er mir zu, „wir wollen den reinen Aether zu Wasser, zu Lande und überall aufsu­chen, wo er sein Spiel hat.“

 

     Heute also, den 17. Februar Morgens drey Viertel auf neun Uhr, war es, wo ich an dem Arme des besten und edelsten aller Aerzte, neugeboren an Leib und Seele, meine Marterkammer verließ. Alle meine Nerven bebten wie die Saiten einer Aeolsharfe, als ich in den Wagen meines Apollo stieg. Aber in welcher Harmonie stimm­ten sie nicht erst zusammen, als wir in dem Hafen ausstiegen! So unglaublich groß hatte ich mir den Gewinn meiner Krankheit nicht vorgestellt, als er jetzt meinen offenen neu geschärften Sinnen zu-strömte. Mein erster Hinblick in das Freye setzte mich in das wol­lüstige Erstaunen eines Blindgebornen, der unter der Beleuchtung der Morgensonne, umgeben von dem Kreise blühender Mädchen, in dem ersten Erwachen des Jünglingsalters, den Gebrauch seines Gesichts erlangt. Alle diese glücklichen Umstände müssen bey ihm zusammen treffen, wenn ich mich herablassen soll, den Umfang mei­ner Empfindungen mit den seinigen zu vergleichen. Begreife es, Eduard, wenn du kannst. Der Winter war während meiner Gefan­genschaft, ohne daß ich seinen Abzug nur von weitem geahndet hat­te. in den schönsten Frühling übergegangen, der mich jetzt in sei­nem ganzen Schmuck empfing die damals kahlen Gesträuche der stürmischen Küste zogen sich jetzt, wie ein Kranz von Sprößlingen geflochten, um das sanft glänzende Meer herum mancher Baum, den ich bey meinem letzten Frühstück  als das Geripp eines er­frornen Unbekannten, meiner Blicke nicht werth hielt, begrüßte mich jetzt wie einen alten Freund, als Palme Lorber Cytisus oder Sumack die vergilbten runzligen Hügel hatten sich die Zeit über, wo ich dem Verdorren so nahe war, mit frischem Rasen bekleidet, und selbst der Felsen der Madonna spielte ins Grünliche. Nur an den widrigen Bastiden bemerkte ich nicht die kleinste Verände­rung; sie blickten aus ihrer hohen Ferne noch immer so albern, so vornehm, so versteinert herunter, wie vormals. In jedem kleinen Matrosengärtchen hingegen, über dessen Schilfzaun ich wegsehen konn­te, jagten schon halb nackende Kinder unter blühenden Mandelbäu­men nach Schmetterlingen und Käfern und das Gedränge der Blu­men aus der lockeren Erde, und das Zwitschern der Vögel um und neben mir, und der Wiederschein des azurnen Gezeltes, das so viele Freuden bedeckte — wie fühlbar machte mir nicht dieses herrliche Ganze das schwer errungene Bewußtseyn eines neu angehenden Le­bens. Ich glaubte nicht eher, daß noch etwas die süße Behaglichkeit meines Gefühls vermehren könnte, als da mich die freundliche Gon­del aufnahm, in welcher Sabathier ein paar Plätze für uns bespro­chen hatte. Eine Luft, kaum stark genug um einen Schmerlenbach zu kreiseln, spielte über die schillernde Fläche des Meers; die In­seln Pomegue auf der einen Seite, Ratonneau auf der andern, in der Mitte das Schloß If, auf welches wir zusteuerten, lagen duftend vor uns, wie auf einem Gemälde von Zeemann. Dieses lachende Ziel unserer Spazierfahrt zog so sehr meine Blicke an sich, daß ich bey­nahe einen Unglücklichen übersehen hätte, der zu einer ganz an­dern Bestimmung, unter der Bewachung einiger Soldaten, mit mir zugleich in das Boot stieg.

 

     Es war der Sohn eines reichen Kaufmanns ein junger Wüst­ling, den vielleicht auch ein hitziges Fieber zur rechten Stunde dem Sturm entrissen hätte, der ihn jetzt aus den Festtagen des Frühlings in die schreckliche Stille eines öden Thurmes verschlug. Wie ver­schieden wirkten nicht hier die Reitze der Natur auf zwey verbrü­derte Wesen! Während ich mit freundlichen Augen die spielenden Wellen verfolgte, die das Schiffchen sanft hoben und senkten, wäh­rend ich mich in den süßesten Träumereyen wiegte, saß der von sei­nem Gewissen gefolterte Jüngling, mürrisch und menschenscheu, in der fernsten Ecke der Barke, warf dann und wann einen finstern Blick auf das plätschernde Ruder, das ihn mit jeder Minute seiner Bestrafung näher brachte, nahm keinen Antheil an unsern Gesprächen, und schien, wenn er mich ansah, selbst dem Mitleiden zu fluchen, das sich für ihn dann und wann mit meinem Frohsinne vermischte. Ach er schien nur in dem Verlust seiner Freyheit den Verlust ihres Miß­brauchs zu fühlen, und nur an die bunten Karten, an die feilen Dir­nen und an die wilden Gelage zu denken, denen er einen ganzen lustigen Sommer hindurch entsagen sollte. Seine glückliche Bildung war durch Ausschweifungen entstellt, und noch zeigte sich keine Spur von Reue, Trost, oder männlichem Entschlusse zur Tugend in sei­nen funkelnden Blicken. O möchte er doch, durch Ruhe, Einsam­keit, mäßige Kost und durch bittere Erfahrung geläutert, mit gesun­derm Blute und bessern Neigungen in einen weiseren Wirkungskreis zurück treten, als er heute zu verlassen gezwungen wird. Mit die­sem stillen bänglichen Wunsch begleiteten meine Augen den armen Verzweifelten bis an den Eingang seiner düstern Behausung, wohin ihn seine Wache sogleich abführte, als wir angelandet waren. Diese Absonderung von dem Lebendigen — diese Versetzung eines mei­ner Mitgeschöpfe, aus den Sinnlichkeiten einer blühenden Handelsstadt in die Felsenburg, in die Vergessenheit, in die Nebel eines stür­mischen Eilandes diese tragischen Bilder, die sich mir hier, als Augenzeugen, in ihrer ganzen fürchterlichen Wahrheit darstellten, würden nur zu gewiß alle frohen Empfindungen aus meiner Seele verscheucht haben, wäre nicht der glücklichste Zufall, der mir nur begegnen konnte, dazwischen getreten.

 

     Aus dem Trupp einiger Officiere, die sich von der Festung her der Barke näherten, drängte sich einer unter wiederholtem Ausruf meines Namens auf mich zu, und ich lag in seinen Armen, ehe ich noch begreifen konnte, wer es wohl seyn möchte. Aber wie be­schreib' ich dir mein Glück, als ich ihn erkannte! Es war einer der schätzbarsten Menschen, die ich je geliebt habe der Marquis von Saint-Sauveur, der vor neun Jahren zu Berlin alle Zirkel belebte, in die er eintrat. Damals war er auf Reisen. Jetzt steht er als Brigadier unter dem Regimente, das zu Marseille liegt, und würde mir keinen Augenblick fremd vorgekommen seyn, wenn ich mir ihn unter einer Uniform gedacht hätte. Wie schnell verlosch das Trauerbild des Ge­fangenen vor seiner himmlischen Erscheinung! Die Gewalt des rein­sten Vergnügens bemächtigte sich meiner Seele, und der auffallende Beweis, den mir hier ein Jugendfreund gab, daß weder Zeit noch Krankheit die Physiognomie zerstört hatte, die mir zuerst sein Zu­trauen erwarb, setzte mich in eine Selbstzufriedenheit, die ich die­sen Morgen vor meinem Spiegel nimmermehr erwarten konnte. Es ist mir noch ein Räthsel, und wäre mir viel begreiflicher gewesen, wenn er mich für einen andern genommen, wenn ihn meine skele­tirte Figur, mein Anlanden an diese Insel der Buße, und die verdäch­tige Bangigkeit irre geführt hätten, der ich mich niemals in der Nä­he eines Zuchthauses erwehren kann. Am wenigsten konnte ich es in diesem Augenblicke, wo ich ein Chor Officiere auf mich zukom­men und einen aus ihrem Kreise heraus stürzen sah, der mich um­armte. Dieser jählinge Uebergang von Erschrecken zum Entzücken konnte nicht wohl ohne Erschütterung des Herzens abgehen. Ich fühl­te, daß ich der glücklichste Mensch sey, den dieser Felsen wohl seit seiner Erschaffung getragen; aber ich war nicht vermögend, es aus­zudrücken ich konnte aus beyden Sprachen nur Ausrufungen der Freude zusammen bringen, meine Zunge sträubte sich gegen jedes andere Wort. So wankte ich an dem Arme meines Freundes auf und ab an dem Gestade, bis uns der Bootsmann zurief, daß alles zur Abfahrt bereit sey. Der muntere, schwatzhafte freundliche Mann ge­hörte mir bis zum Austritte aus der Gondel allein zu. Ich war nei­disch auf jeden Laut von ihm, den ein anderer vernahm, sah nie­manden als ihn, und würde ihm auf dem Fuße gefolgt seyn, hätte auch seine gastfreye Einladung mich und meinen Aufseher nicht schon dazu berechtigt. Das prächtigste Haus, auf dem schönsten Plat­ze der Stadt, empfing uns in dem reitzendsten Zimmer. Hier legten sich endlich meine innern Wellen hier in diesem kleinen Zirkel ward ich mir erst selbst und meinem Freunde verständlich, und hier nahm ich an seiner Seite und unter den Augen meines trefflichen Arztes ein Mittagsmahl ein, das auch den Unzufriedensten mit dem Gange der Welt versöhnt haben würde. Doch ehe ich weiter erzäh­le, muß ich dir wohl den Mann genauer kennen lernen, den ich mit allem meinem Verstande in der weiten Welt nicht besser hätte auftreiben können, um das Fest meiner Wiedergenesung zu feyern. Ich würde meine unvollkommene Schilderung freylich ersparen können, wenn du nur vier Wochen seines Umganges froh geworden wärest; aber Gier nach Kenntnissen des Auslandes, die ihn nach Deutschland verschlug, hatte dich um dieselbe Zeit nach Frankreich getrie­ben, und du kamst mit dem erbeuteten Honig aus seiner Heimat zu­rück, als er mit dem Salze aus der unsern wieder abzog. So trifft es sich oft in dem geistigen Tauschhandel wie in dem bürgerlichen, daß zufällig die vornehmsten Händler en gros einander aus dem Wege fahren, und darüber den kleinen Krämern gut Spiel geben. Ich ge­wann offenbar durch deine Abwesenheit. Da du fehltest, mußte er sich wohl mit meines Gleichen begnügen. Er kam von ungefähr mit mir unter Einem Dache zu wohnen. Unsre nahe Nachbarschaft ging geschwind in eine Gemeinschaft unsrer Vergnügungen, unsrer Stu­dien, und zuletzt in eine gegenseitige Anhänglichkeit über, die zehn Monate nachher, als wir uns trennten, eine Traurigkeit bey mir zu­rück ließ, die mich selbst in der ersten Zeit zu deinem Umgange ver­stimmte. Erinnere dich dieses Umstandes, lieber Eduard! Ich kann dir keinen stärkern Beweis von dem Werthe dieses damals so lie­benswürdigen Jünglings geben, der jetzt als der gebildetste Mann über viele meiner Freunde, und als der glücklichste über sie alle her­vorragt. Reisen, Menschen- und Weltkenntniß, und die Leichtigkeit, bey seinem großen Vermögen jeden Wunsch der Sinnlichkeit zu be­friedigen, und durch täglich wiederholte Versuche die Hungerquel­le des Vergnügens zu erschöpfen, würden ihn so gut als die meisten in seiner fürstlichen Lage zu dem spätern Genusse des Lebens ab­gestumpft und verdorben haben, wäre sein origineller Verstand und sein richtiges Gefühl nicht in Zeiten diesen gemeinen Folgen eines zu frühen Wohlstandes zuvorgekommen. Doch du sollst ihn selbst hierüber mit mir sprechen hören.

 

     Wie viel, sagte er, hat man nicht Lehrgebäude zur Beförderung menschlicher Glückseligkeit aufgeführt, besonders in deinem sinn­reichen Vaterlande, lieber Wilhelm! Sie können im Allgemeinen recht gut seyn; aber es gehören manchmal verdammt subtile Wendungen dazu, um sie uns anzupassen. Jedermann sollte nach seiner indivi­duellen Lage und Empfindung sein eigenes für sich haben. Ich habe mir eins erdacht, das mir recht wohl bekommt, wovon ich aber sehr wenig brauchen könnte, wenn ich zum Beyspiele in einem Bergwer­ke arbeiten, und die Ausbeute erst zu Tage fördern müßte, die ich ungesucht und schon von meiner Geburt an besitze. Mein Reichthum, zu groß für das gewöhnliche Leben, wäre mir, wie andern, zur Last geworden, hätte ich ihm nicht einen Ausweg verschafft, den ich ein­zig meiner Eigenheit angemessen fand, die, lieber Wilhelm, beson­ders darin besteht, daß mir nichts in der Welt behagen will, was den Reitz der Neuheit bey mir verloren hat. Die ganze Masse der mora­lischen und sinnlichen Freuden lag vor mir; aber bey keiner konnte ich den enthusiastischen Eindruck wieder erringen, durch den ihre erste Bekanntschaft meine Organe so unendlich beseligt hatte. In dem stolzen Nil admirari der Philosophen entdeckte ich einen hohlen wid­rigen Schall, aber nichts weniger als einen Ersatz. Mein Leben mußte immer abschmeckender werden, je länger es dauerte. Wie sollte ich den Nachtheil der Erfahrung von ihm entfernen? Wodurch sollte ich das störende Gefühl, das mir bey jedem Genuß in den Weg trat, ver­treiben? Das waren die schweren Fragen, die ich mir unaufhörlich vorlegte. Ich versuchte alle Hülfsmittel, die mir Kunst und Natur anboten, durchkroch alle Systeme. Endlich blieb ich bey einem ste­hen, das mir noch am besten zuschlug bey dem, wie ich es bena­men möchte, der Ueberraschung. Hier findet sich gleich eine gute Gelegenheit, es dir in seinen Grundtheilen zu entwickeln. Dieser Teller mit Pfirsichen, den man eben aufsetzt, diese unerwartete Er­scheinung in der jetzigen Jahreszeit, die unsern Augen auf das freund­lichste zuwinkt, und, so satt wir sind, dennoch den Mund voll Was­ser drängt, soll hoffentlich meiner Demonstration leichten Eingang bey dir verschaffen. Wie mein Koch angewiesen ist, lieber Wilhelm, nicht nur die gewöhnlichen Gerichte für den Hunger durch neue Brü­hen zu erhöhen, sondern jeden Mittag unter meinen Schüsseln we­nigstens Eine einzureichen, die für die Sinne von gleichem Werth ist als diese, ohne sie mir erst durch einen Küchenzettel anzukündi­gen so ist jedes, dem ein Geschäft in meiner Haushaltung obliegt, dahin verpflichtet, seinen Herrn vor dem Anblicke des ewigen Einerleys zu schützen, und gegen die Ermüdung zu arbeiten, die in der Einförmigkeit liegt. Es ist oft zum Verwundern, wie gut es meinen Provinsalen in ihrem Wettstreite gelingt, mir durch immer verän­derte Decorationen das Spiel des Lebens nicht nur erträglich, son­dern auch angenehm zu machen. Die Abwechselung, die sie mir ver­schaffen, wirkt auf ihren Dienst selbst zurück, dem seine Zwanglo­sigkeit alles Mechanische und Unterwürfige benimmt. Sie dienen mir mit einem stolzen glücklichen Bewußtseyn; denn sie halten sich nicht für Maschinen, sondern für Erfinder, und sie haben Recht. Freylich erfordert diese Einrichtung betriebsamere Schwungräder, ge­spanntere Federn, als die gewöhnlich das rostige Uhrwerk eines klei­nen Deutschen Hofs im Gange erhalten das jeder Stunde des Tags, jedem Tage des Jahrs dieselbe Langeweile in demselben Anstande vorzeichnet, wie sie hundert Jahre hinter einander dem Ahnherrn und dem Enkel in derselben Minute vortrat die oft den armen Für­sten, dessen Regierungsperiode sich eben abwindet, in einen solchen ekeln, erschlafften und ungeduldigen Zustand versetzt, daß er sei­nen Stand und sein Daseyn verflucht, und lieber, wie Nero, seine Residenz anzünden möchte, um nur etwas Neues zu sehen, etwas anders zu fühlen, als ihm das Furierbuch für den gegenwärtigen Au­genblick vorschreibt. Ich habe es den Romanschreibern abgelernt, welcher Zauber in dem Unerwarteten liegt, und welche widrige Wir­kung die Episoden thun, die man viele Blätter voraus sieht. Wird nicht oft der kleinste Garten durch eine verständige Benutzung sei­ner geringen Fläche unendlich erweitert, und durch schlängelnde Ne­benwege nach verschiedenen Aussichten so in die Länge gezogen, daß sich eine so süße Ermüdung darin erholen läßt, als in den größ­ten Anlagen? Warum sollten wir denn nicht auf gleiche Art Mannig­faltigkeit in unser beschränktes Leben zu bringen, und die kurze Dau­er desselben, ohne Zuthun der Langenweile, durch einen desto reich­haltigern Genuß zu verlängern vermögend seyn? Du findest mein Zimmer hoffentlich schön, behaglich und freundlich? Ich auch. Und warum? Weil es uns beyden gleich neu ist. Ich befinde mich wohl darin, weil ich es gestern nicht sah und morgen nicht sehen werde. Es stoßen ihrer fünfzehn an einander, davon ich jedes nur einen Tag hinwärts, einen Tag herwärts, auf einem monatlichen Durchzug be­wohne. Keines wird eher geöffnet, als bis die Reihe daran kommt, und jedes, das ich auf diese Weise zweymal gesehen habe, erwartet mich in dem folgenden Monat unter einer andern Bekleidung. So wird dem Ueberdrusse keine Zeit gelassen, sich bey mir einzuni­sten. Nichts ist, Gott sey Dank, mein eigen, als mein Reichthum, dem ich, durch die Ausdehnung, die ich ihm mit meinen Gehülfen zu geben weiß, alles das Lästige und Klebende benehme, das sonst mit ihm verbunden ist. So habe ich keine Bibliothek; aber einen ge­lehrten und geschmackvollen Bibliothekar, der das Gold, das er in dem Kothe der Schriftsteller findet, für mich bey Seite legt, und wo nicht ein Buch ganz gelesen zu werden verdient, und wie wenig sind deren! mir bloß die Stellen anstreicht, die sich auszeichnen. Hierdurch sind meine Studien mir erst lieb und nützlich geworden; und da ich sonach das Schlechte und Mittelmäßige in der Litteratur gar nicht kennen lerne, bleibt mir die Wahl nur unter dem Neuen, Guten und Vortrefflichen, und ich bin sicher mein Gedächtniß nicht zu überladen. Eben so wenig kommt meine Einbildungskraft, die nur über frisch duftende Blumen gleitet, in Gefahr durch abgestorbene, welke oder faule Blätter in ihrem Schwunge gehemmt zu wer­den. Was noch das beste dabey ist, so trage ich weder Brustschmerzen, Kopf= und Augenweh, oder üble Launen aus der moralischen Welt in meine physische über; und da ich in dieser wie ein Seefisch in immer frischem Wasser auf dem Ocean der Zeit schwimme, und mich, kraft meiner Richtung, keine Welle berührt, die der vorher­gehenden gleicht, so siehst du wohl ein, lieber Wilhelm, daß viel­leicht kein philosophisches Lehrgebäude dem Gefühl, das die Natur in mich legte, den Verhältnissen, in die mich der Zufall versetzte, und der geistigen und körperlichen Gesundheit angemessener seyn kann, als das meinige. Keines schmiegt und biegt sich mit minderm Zwange nach der Veränderlichkeit unserer Natur, nach der Wandel­barkeit menschlicher Freuden und Güter, von denen nichts unter der Sonne selbständig ist und alle Reitze der Neuheit behält, als die Tu­gend nichts an Gehalt und Seltenheit zunimmt, je älter es wird, als die Freundschaft. Aber daß auch selbst diese noch durch mein System gewinnt, hat mich heute dein überraschender Anblick ge­lehrt. Wie geschmückt und bevölkert schien mir in dem Augenblicke unserer Umarmung der nackende Felsen, der uns nach einer langen Trennung wieder vereinigte! Wie erweiterte sich selbst vor mei­nen umfassenden Augen das Meer, das uns umgab, und welch ein Freudenfest ist aus meinem Mittage geworden, durch die Sonder­barkeit, daß du mein Gast bist! O bleibe nur so lange, als du mir neu und lieb seyn wirst fechte in meinem ewigen Krieg gegen die Langeweile an meiner Seite, und lerne von mir die mancherley Schwenkungen und Wendungen, um als Militär zu sprechen durch die ich meinen Feind irre mache und in die Flucht jage. Wel­chen Abbruch thust du ihm schon durch deine Gegenwart! Jedes Vergnügen, das sich in diesem Lande aufstören läßt, hätte ich es auch noch so oft genossen, wird mir durch deine Theilnahme neu wer­den: denn die Ueberraschung, die es bey mir verlor, werde ich in der wiederfinden, die es dir verursacht.“ Hier unterbrach ihn ein Glas Maderawein, der dreymal die Linie passirt, und nur seit ge­stern in seinem Keller gelandet war, nach der Versicherung des Mundschenken, der es ihm brachte.

 

     Ich benutzte geschwind den Augenblick, den seine schwatzhafte Zunge der meinigen frey ließ. „O Freund,“ rief ich, „bey allen den fein gesponnenen Netzen, die du überall ausgestellt hast, um die flüchtigen Lebensfreuden einzufangen, bey aller der Kunst, mit der du ihre Schmetterlingsflügel zu fassen verstehst, ohne daß sich ein buntes Stäubchen davon verliere, glaube ich doch für ihren höch­sten Genuß ein Mittel entdeckt zu haben, das weit über die deinigen geht das dem erschlafftesten Gefühl seine Schnellkraft, den ab­genutztesten Befriedigungen ihren ersten Firniß wiedergiebt, alles verjüngt, erneuert und verschönert, was unsere Sinne umfassen, und gleich einem Talismann über die gleichgültigsten Dinge ein magi­sches Licht verbreitet. Sie lachen, lieber Sabathier, als hörten Sie ein paar Charlatans, deren jeder den Vorzug seines Arkanums ge­gen den andern heraus streicht, aber ich hoffe, sie sollen als unpar­teyischer Richter dem meinigen den Preis zuerkennen. Erschrick nur nicht, lieber Saint-Sauveur, wenn ich es nenne. Es heißt mit Einem Worte: das hitzige Fieber. Wie hat es meine geistigen Federn gespannt, und die fünf Schwungräder meiner Sinne geschärft! Von dem Bissen trockenen Brodes an bis zu deinen herrlichen Pfirsi­chen, ist mir alles, was über meine Zunge geht, willkommen und schmackhaft. Die Welt scheint mir so frischfarbig und kräftig, als feyerte sie heute ihren ersten Schöpfüngstag. Was meine Blicke be­rühren, schwimmt in einem ätherischen Schimmer, und jedes Wort, das mein Ohr erreicht, jedes, das über meine Lippen rieselt, wä­re es auch noch so albern kommt mir, als ein Beweis, daß ich lebe, überaus wohlklingend und witzig vor. Du weißt es, theuerster Saint=Sauveur, wie lange ich Dich liebe; aber selbst meine Freundschaft seit ihrer Entstehung reicht nicht an das dem warmen Herzen entströmende Gefühl, das mich jetzt an dich fesselt. Wie segne ich meine Krankheit! Sie hat das staubige Triebwerk meiner Seele ge­reinigt, meine Adern mit Rosenöl ausgespritzt und meine Nerven = = =

 

     „Lassen Sie uns aufstehen, Herr von Saint-Sauveur,“ fiel mir hier der Arzt in meine wohlklingende Rede, indem er mir das Glas, das ich zu leeren im Begriff war, unter dem Vorwande, über den ich mir noch eine Erklärung von ihm ausbitten möchte, aus der Hand nahm: „Der Wein würde Gift werden, wenn er zum viertenmal die Linie passirte. Ich dächte,“ fuhr er fort und sah nach der Uhr, „wir be­suchten den Hafen. In einer halben Stunde wird ein Schiff vom Sta­pel gelassen; ein Schauspiel, das Ihrem Berliner Freunde seltener wohl ist als jedes andere, und ihn zu einem gesündern Schlafe vor­bereiten wird, als der Tri=Madera.“ Sein medicinischer Vorschlag wurde so geschwind angenommen als ausgeführt: denn in die­sem Hause braucht man nicht auf das Anspannen des Wagens zu warten.

 

     Möchte doch der Traum meines Lebens und mein neues Tagebuch nie andere Stunden enthalten, als mir heute zu Theil wurden! Welch ein herzerhebender Anblick für einen, der kaum aus seinem einsa­men, sonnenlosen Kerker getreten war, als wir in den Hafen anka­men - als meine heitern Augen über den gedrängten Zirkel fröhlich­müßiger Zuschauer hinblickte, der jene fleißigen Männer umgab, die in voller Anstrengung ihrer Riesenkräfte das stolze Gebäude aus seinem Schwerpunkte von dem Boden zu heben suchten, auf dem es errichtet war, um es auf kreischenden Walzen in das Meer zu rol­len! Bey dem Werft stiegen wir aus. Indem wir uns dem neu er­bauten Schiffe näherten, machte mich Saint=Sauveur besonders auf das Verdeck aufmerksam, das mit einer Menge Neugieriger besetzt war, die schon Stunden lang auf den Augenblick lauerten, der die Masse in einen blitzschnellen Schwung setzen und einem andern Ele­mente übergeben würde. „Dort,“ sagte er lächelnd, „ist eine Em­pfindung zu holen, die dir noch fremd und auf das sonderbarste an­genehm ist, wie das schon die Menge schließen läßt, die Geld und Zeit dafür hingiebt.“ Ich sah mich ungewiß nach dem Arzte um. „O,“ sagte dieser, „ich habe gar nichts dawider. Es ist der un­schuldigste mechanische Versuch mit sich selbst, den ich kenne, und zugleich ein stärkendes Luftbad. Wenn nur Ein Blutkügelchen, das in Ihrer Lunge stockt, mit dem Schiffe zugleich flott wird, so trägt es Ihnen vielleicht mehr ein, als dem Eigenthümer, der es nach Chi­na schickt. Gehen Sie. Ehe es dahin segelt, wollen wir Sie schon wieder abgeholt haben.“

 

     Ich that mir heute, wie ein lebhaftes Kind, dem man das Gängel­band abnimmt, so viel auf die kleinste Bewegung zu gute, daß ich zwar herzhaft die Strickleiter ergriff, aber nach dem ersten Tritte auf dieser schwankenden Stiege alle Mühe hatte, mich bey Muth zu erhalten. Steigst du doch, sagte ich spöttisch zu mir, so scheu und zitternd deiner Neugier nach, wie ein unerfahrenes Mädchen in das Brautbette. Zufällig kam ich auf dem Verdeck neben einem zu ste­hen, das jung und reitzend genug war, um meinen unbedeutenden Einfall erst gefährlich zu machen. Still vor sich hin blickte sie über das Geländer, als ich zu ihr trat. „Ist es auch das erstemal?“ re­dete ich sie nachbarlich an. „Ja“ drehte sie ihr Köpfchen nach mir; „auch erwarte ich schon lange den Schwung mit Ungeduld, von dem die Leute so viel Wesens machen. Meine Brust ist mir unbe­schreiblich beklommen.“ „Mir geht es auch so,“ erwiederte ich, „und wenn es erlaubt ist, eine Kleinigkeit philosopisch zu betrach­ten, so schwebt das Herz auch hier, wie bey jedem Uebergange zu einer unbekannten Erfahrung, zwischen — wie soll ich sagen = = = “ „Nach meiner Empfindung,“ fiel sie mir ins Wort, „schwebt es zwischen einer süßen Angst und einem ungestümen Verlangen.“ „Richtig, mein schönes Kind!“ fuhr ich fort: „aber deshalb fürchte ich auch, daß der kritische flüchtige Moment der Belehrung der an­genehmen Unruhe unserer pochenden Herzen kaum werth seyn wird; und in dieser Rücksicht thut es mir beynahe leid, daß wir oder wenigstens, daß Sie hier sind.“ Sie warf ein Paar große fragende Augen auf mich. „Weil“ antwortete ich, „Ihnen nun künftig nichts Aehnliches mehr vorfallen kann, was nicht durch das Gegenwärtige etwas von dem Reitz seiner Neuheit verlor. Sie nehmen jetzt eine Erfahrung voraus, die Ihnen zu einer andern Zeit = = Denken Sie an mich, ob ich nicht wahr rede.“ „Das will ich thun,“ erwieder­te sie lächelnd; „denn jetzt verstehe ich Sie nicht.“ Und das war kein Wunder, Eduard; verstand ich mich doch selbst nicht. Offen­bar hatte die Theorie meines Freundes, die mir von heute Mittag her noch in dem Sinne schwebte, Schuld an diesem Geschwätze mit dem Mädchen. Ich hatte sie selbst noch nicht ganz begriffen, und suchte sie doch schon einem Kinderkopfe verständlich zu machen ganz im Geschmack unsers philosophischen Zeitalters. Meine Ein­bildungskraft, sah ich wohl, war leichter in Bewegung zu setzen als das Frachtschiff. Dieses lag noch eine Weile nachher, als jene sich schon warm geflogen hatte, unerschütterlich auf dem Werfte. End­lich, als ob es einen kurzen heroischen Entschluß faßte, fing es das Mädchen klammerte sich fest an mich zu rollen an, schlug Flammen in die Höh, und einen Pulsschlag nachher schwebte es auf dem wogigen Meere. Fröhliches Getöse auf dem Verdecke begleite­te es, Jubelgeschrey vom Ufer her wirbelte ihm nach, und die jun­ge, seufzende, zitternde Schöne Gott segne ihre fühlbaren Ner­ven wußte jetzt wie ihr war, und ließ meinen Arm fahren. Ach, ich hätte ihr ihn gern noch länger geliehen, und, wie man dem Probegang einer ausgebesserten Uhr nachspürt, gern noch länger jene leisen Schwingungen verfolgt, die der Druck von ein Paar weibli­chen Händen auf meine Fibern erregte. Aber jetzt bekümmerte sich weiter keine Seele um die andere. Was die Neugier vereinigt hatte, trennte die Befriedigung. Die Gesellschaft flog nun auf die vielen kleinen Boote aus einander, die sich zu ihrer Aufnahme näherten, und Saint=Sauveur erwartete mich in dem seinigen. „Ich komme recht sehr zufrieden,“ rief ich ihm entgegen, als ich einstieg, „von dem Versuche mit mir selbst zurück, und deine Theorie enthält mehr Wahres als ich gedacht habe.“ Indem ruderte das Boot, auf dem sich meine neue Bekannte befand, bey dem unsrigen vorüber. Ich hätte wohl gewünscht mit ihr zugleich an das Ufer zu steigen; aber ich landete einige Augenblicke an denen vielleicht ein ganzer Roman hing zu spät an.

 

     Auf dem Hingange nach unserm Wagen kamen wir bey der Wohnung des ehrlichen Passerino vorbey. Die schwarze Tafel über der Hausthüre, sein Sortiment menschlicher Gebrechen, mein Frühstück bey ihm, und die martervollen Tage, die gleich darauf folgten alles trat in einem Blicke mir jetzt vor die Seele. Mit feuchten Augen theilte ich meinen Begleitern die Empfindung, die mir anflog, und zugleich die Nachricht mit, die ihnen freylich wenig verschlagen konnte, daß in diesem Hause der brave Mann wohne, der mein Lehrmeister in der Baukunst gewesen sey. Um meine ehemaligen Spöttereyen über ihn, zu denen ich alleweil kein Herz hatte, wieder gut zu machen, und um seiner Kundschaft nicht Abbruch zu thun, lobte ich ihn als einen zweyten Vitruv. „Ich habe ihm vieles zu danken,“ sagte ich. „Besonders auch,“ fiel mir Sabathier in das Wort, „als ein Krankenwärter. Man las es in seinem verstörten Gesichte, wie sehr ihm Ihr Aufkommen am Herzen lag.“ „Das kann ich um so viel leichter glauben,“ antwortete ich, „als an meinem Leben die Erfüllung eines Versprechens, eine Spazierfahrt hing, zu der schon der Wagen angespannt war, als ich mich legen mußte, und auf der er nichts geringeres zu holen gedenkt, als sein zeitliches Glück und seine Unsterblichkeit. Diese wichtige Schuld hoffe ich morgenden Tages abzutragen.“ — „Morgen?“ fragte Saint=Saveur verwundert. „Einen Weg zur Unsterblichkeit — in der Nähe von Marseille? Das ist mir etwas ganz Neues. Wie heißt denn dieses Ziel der Glorie?“ — „Cotignac,“ antwortete ich, und erregte damit ein lautes Gelächter. — „Nein,“ rief Sabathier, „das könnte meinem guten Rufe schaden, wenn ich es zugäbe“ — und — „Nein,“ rief der Marquis, „denn von morgen an, Freund, lege ich für die ganze Woche Beschlag auf dich und deine Talente. Ich kann dir davon zu deiner Spazierfahrt keinen Tag frey geben, als den letzten, wo ich das angenehme Geschäft über mich habe, den Flügelmann meines Regiments zum Tode zu führen — um den armen Sünder in dem Augenblicke, der ihm drey Kugeln durch das Herz jagen soll, durch ein harmonisches Pardon zu überraschen.“ — „Und womit,“ fragte ich hastig, „hat denn der Unglückliche verschuldet, daß er deinem System zum Experimente dienen soll?“ — „Nach seinem Verbrechen,“ antwortete Saint=Sauveur räthselhaft, „darf ein Berliner nicht fragen. Bey euch wird deshalb kein Flügelmann der Todesangst ausgesetzt.“ — Was wollte der Marquis damit sagen, Eduard? und was wollte er vorhin mit meinen Talenten? Ich begreife eins sowenig als das andere. Ueber meine Zeit, die er auf Wochen in Beschlag nimmt, muß ich mich auch noch mit ihm verständigen. Ich habe deren nicht viele mehr in diesem Lande zu verlieren, wenn ich anders mein Gerippe in Sicherheit haben will, ehe die Sonne noch glühender wird. Und doch kann ich an unsere baldige Trennung ohne Schaudern nicht denken. Wie kam es mir nicht schon so schwer an, daß ich die wenigen Stunden, die mir von heute noch übrig blieben, ohne ihn hinbringen sollte! — Aber mein strenger Arzt riß mich unbarmherzig von seiner Seite, und verwies mich, aus Furcht vor der Abendluft, in meine einsame Herberge. — „Wenn Ihnen,“ tröstete er mich, „Ihre heutigen Lebensversuche wohl bekommen und zu einer guten Nacht verhelfen, so öffne ich Ihnen morgen die weite Welt, und überlasse Sie Ihrem Freund — zur Nachcur.“ — Möge er es zur guten Stunde gesagt haben.

 

 

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Marseille.

 

Den 18. Februar.

 

So hätte ich denn seit zwo Stunden das Lenkseil meiner selbst, das mir auf der Rennbahn des Lebens aus den Händen geschlüpft war, wieder in meiner Gewalt! Sabathier hat es mir so feyerlich, als wenn es ein Doctorhut wäre, überreicht. Kaum war ich mit einem Gesichte ohne Runzeln aus meinem Bette ohne Falten gestiegen, und lächelte in dem frohesten Vorgeschmacke meinem Frühstück zu, das man herein trug, als mir sein Morgengruß so süß entgegen tönte, wie eine Geßnerische Schäferflöte in meinem funfzehnten Jahre. Wie reichhaltig kam mir nicht sein freundliches Gespräch vor! Es würzte meinen guten Coffee noch mehr. Es belehrte mich ohne mir weh zu thun, und rührte mich durch die genauere Entwicklung des Wunders meiner Genesung.

 

     Du weißt, Eduard, ich habe mich immer für ein Kind des Glücks, für einen Liebling des Zufalls gehalten, und finde so wenig Anmaßliches in dieser Vorstellung, daß ich keinen Gesichtspunkt kenne, aus welchem sich der Mensch gelassener betrachten könnte, als aus diesem. Die Eigenliebe, die dabey eine Rolle spielen wollte, müßte stockblind seyn. Daher habe ich es auch immer für den besten Zug meines Herzens gehalten, daß ich keinen Beweis, der mich darauf zurückführen kann, übersehe, und nicht, wie andere, mir jeden zufrieden Augenblick als Folge meiner klugen Einrichtung anrechne. In meiner jetzigen glücklichen Lage wäre es vollends unverzeihlich. An meinem hitzigen Fieber mag ich wohl schuld seyn, aber nicht an meiner Genesung. Diese lag weit außer meinem Gesichtskreise, und es mußten die sonderbarsten Umstände zusammen treffen, um sie möglich zu machen. Das seltenste Ungefähr entriß mich nicht nur den Klauen des Marktschreyers, sondern auch, wie du gleich hören wirst, den harten Fäusten der hiesigen Aerzte — die, da sie nur selten feinere Maschinen zu behandeln haben als Matrosen und Kaufleute, jeder andern, die nicht eben so derb zusammen gesetzt ist, fast so gefährlich sind, als die ausgemachtesten Stümper. Welche Proben der Angst würde mein armer Körper nicht noch vor seiner gänzlichen Auflösung haben ausstehen müssen, wenn nach dem Marktschreiyer auch noch so ein Praktikus über ihn hergefallen wäre! Sabathier, mußt du wissen, gehört nicht zu dieser Zunft, ist Mitglied der preiswürdigen Facultät zu Montpellier, und gegenwärtig auf einer wissenschaftlichen Reise begriffen, die er über Holland nach Edinburg thun will. Mein anonymer Wohlthäter, — Gott segne ihn — der einen natürlichen Haß gegen alle Charlatane hat, wie die Pharaos=Ratze *)

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*) Viverra Ichneumon. Linn.

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gegen die Crocodille, schlich und stieg dem nomadischen Medicaster bis vor mein Bett nach, verscheuchte den Geyer, und sah sich eben ängstlich nach Hülfe für das gerupfte Täubchen um, das zappelnd da lag, als — der gute Sabathier vor dem heiligen Geiste ausstieg, und der Schall seines berühmten Namens an alle Wände des Gasthofes anschlug. Unverzüglich trat ihm der Unbekannte in den Weg, erzählte ihm schon auf der Treppe meine verzweifelte Lage, ließ ihm kaum Zeit sich umzukleiden, und, nachdem er sein Mitleiden auf das stärkste erregt hatte, führte er ihn vor mein Bette, und nahm ihm, unter meinen schon gebrochenen Augen, das Ehrenwort ab, seine Reise aufzuschieben, und den kranken Deutschen nicht zu verlassen, bis nicht sein Schicksal entschieden sey. Der menschenfreundliche Arzt versprach es, und hat es gehalten. Mein bösartiges Fieber fand in ihm einen Beschwörer, wie es einen bedurfte. Selbst die kleinsten Nebenverhältnisse, in die er sich mit mir gesetzt fand, so unwichtig sie auch scheinen, waren hier nichts weniger als gleichgültig. Schon der Umstand einer gemeinschaftlichen Herberge mit ihm mußte mir den größten Vortheil gewähren. Dadurch ward es ihm möglich, mich zu allen Stunden zu beobachten, und meine Narrheiten abzuwarten, als ob ich der vornehmste Herr und er mein Leibmedicus wäre. Ich brauchte nicht mit andern zehn Elenden zu kämpfen, um einen Theil seiner Zeit, ein Wort von seiner ermatteten Zunge, ein Recept aus seinem zerstreuten Gehirne zu erhaschen. Auch hatte seine Hand, ehe sie die meinige berührte, nicht wie die Faust, die dir einst dein Aeskulap prahlenden Andenkens entgegenstreckte, des Morgens zwölf Kindern die Blattern eingeimpft, des Nachmittags eine Comödiantin entbunden, und des Abends einen Neapolitaner zergliedert, und seine Perücke schüttelte keine in der Charité angesteckte Lufttheilchen in meine Atmosphäre. Wenn ich starb, war ich sicher, daß es an meiner eigenen Krankheit geschah. Glücklich ist wohl jeder zu nennen, der in dem Nebel, den das unzählbare Heer von Seuchen um ihn herzieht, in dem Gedränge so vieler schwankenden Irrlichter, die dieser Duft bildet und nährt, und die sich ihm bey seiner Wanderschaft über das allgemeine Leichengefilde als Wegweiser anbieten, auf den Genius eines Kapps, Grimms, Meckels oder Tissots trifft, der ihm vorleuchtet. Ist sein Gewebe nun vollends schon von der Natur locker gesponnen, durch die Hände seiner Erzieher verworren, und von allen den Modefarben, in die es getaucht wurde, so mürbe gebeizt, als das meinige, und es findet sich, eben da der Lebensfaden zerreißen will, ein solcher Kunstweber als Sabathier zu ihm, der an der laufenden Spule die Fasern noch zu erwischen und so geschickt anzuknüpfen versteht, daß auch nicht der kleinste Knoten zurück bleibt, der das Flickwerk verrathen könnte: so weiß ich nicht wie groß das Verdienst des Kranken seyn müßte, daß diesem seinem Glücke gleich kommen sollte.

 

     Diese Betrachtungen machten mir es recht schwer, mich von dem Manne zu trennen, der sie veranlaßte, und der — ohne daß ich damit andern Aerzten zu nahe treten will — einzig in seiner Art ist. — Denn wo hat wohl einer vor ihm einen solchen Abschied von seinem Kranken genommen, als Er von mir? Er faßte mich mit ernstem Anstande bey der Hand, setzte sich neben mir auf den Sopha, und ehe ich mich des Textes versah, über den er seine Beredsamkeit spannte, lag das menschliche Herz so meisterhaft zergliedert vor mir, als wenn Locke und Boerhave in ihm zusammen getreten wären, um mir zu demonstriren, wie wenig ich, moralisch und physisch, werth sey. Ich mußte bey jedem Fetzen, den er mit seiner Sonde in die Höhe hob, heimlich gestehen, daß es ein Theil von mir war. In jeder Beule, die er öffnete, erkannte ich mein eigenes Geschwür, und fühlte in meinen [sic] Innern jeden Schnitt, den er doch nichts weniger als in meinem Cadaver zu thun schien. Es ward mir, mit Einem Worte, immer klärer, daß die Casuisten zu Avignon und der getaufte Jude so vielen Antheil an meinem hitzigen Fieber hatten, als Clärchen und der Seefisch — daß ich in meiner Gesundheit nie weiter aus dem Wege gekommen sey, als in der Zeit, da ich sie suchte — und daß Sabathier, der, gleich dem großen Arzte des Lazarus, meine Heilung mit Stehe auf angefangen hatte, jetzt auch, wie er, sie mit keinem bessern Rathe zu beschließen wisse, als mit einem wohlgemeinten Gehe heim.

 

     Ja, ja, Eduard; unstreitig ist es das klügste, was ich thun kann. Ich brauch wahrlich keine Erfahrungen mehr zu dem bewiesenen Satze zu sammeln, daß meiner Diät und meiner Tugend auf Reisen noch weniger zu trauen ist, als in meiner Heimath. Das Ueberraschungs=System meines Freundes soll mich nicht aufhalten. Gott weiß, was ich mir damit über den Hals ziehen könnte, wenn ich es so gründlich studiren wollte, als manches andere, das mich irre geführt hat.

 

     Wie Sabathier am Ende seine lehrreichen Gesprächs nach dem Hute griff, verstand ich das Zeichen, flog in die Kammer vor meinen Schreibtisch, und — indem ich geschwind berechtnete, daß, wenn ich die Summe meines baren Reisegeldes gerade mit ihm theilte, ich in Verhältniß meiner vorigen täglichen Ausgaben immer noch durch mein hitziges Fieber gewönne — packte ich zwey Rollen zusammen, die einen ziemlich starken Beweis enthielten, wie hoch ich mein Leben schätzte, und trat damit in der Demuth eines Genesenden, der dem Apollo nur einen schlechten Hahn opfert, vor meinen trefflichen Arzt. Aber dieser, als schwebe er in der Glorie jenes Gottes, erhob sich in demselben Augenblicke über alle gemeine Mitgesellen seiner Kunst. — „Sie vergessen, lieber Freund,“ sagte er, „wie theuer Sie Ihr Leben schon bey dem Quacksalber gelöst haben, den ich vertrieb. Ich bin belohnt genug, daß ich nicht zu spät kam, um seine Rechnung und sein Vergehen gegen Sie ins Gleiche zu bringen, und durch meine Anzeige die Polizey aufzufordern, ihm das Handwerk, wo nicht ganz zu legen, doch solchem eine zweckmäßigere Richtung für das gemeine Beste zu geben.“ — „Edler, großmüthiger Mann,“ sagte ich, legte meine Geldrollen aus der Hand, und trocknete mir die Augen. — „Und was ist denn,“ fuhr ich kleinlaut fort, „aus dem Quacksalber geworden?“ — „Man ließ ihm,“ antwortete Sabathier, die Wahl, sich nach seinen Verdiensten entweder bestrafen, oder belohnen zu lassen — entweder mit einem Wahrzeichen an der Stirn das Reich zu räumen, oder in demselben — Mäuse zu fangen. Er entschloß sich zu letzterm, unter der Bedingung, die man ihm gern zugestand, daß er den Doktortitel fortführen dürfe, den er in Erfurt gekauft habe. Er ist bey den hiesigen Hanf= und Taumagazinen angestellt, wo er gewiß von Nutzen seyn wird.“ — Ich läugne nicht, Eduard, diese Nachricht machte mir Freude. Nicht, als ob ich gerade sehr stolz darauf gewesen wäre, durch meine unschuldige Vermittlung einen solchen Landsmann in Königlich Französische Dienste gebracht zu haben; sondern weil es mir, bey meiner ewigen Speculation über die Bestimmung des Menschen, wohl thut, wenn ich einmal auf einen treffe, dem das Schicksal die seinige so deutlich anweist als diesem. — Uebrigens mußte es mir wohl auf alle Weise lieber seyn, daß der Zufall, neben vieler meiner Mitmenschen Erhaltung, nur den Tod der Mäuse mit meiner Genesung verkettet hatte, als umgekehrt — wie das bey vornehmern Kranken als ich bin wohl manchmal der Fall seyn mag.

 

     „Sehen Sie,“ fuhr Sabathier fort, „so ist alles in seiner Ordnung. — Der Verzug meiner Reise ist mir hinlänglich durch das Studium Ihrer Krankheit bezahlt: denn schwerlich werde ich in Edinburg eine versäumt haben, die aus mehrern Fehlern gegen die Diätetik zusammen gesetzt, aus so bösartigem Stoff entwickelt, den Nachforschungen eines Arztes würdiger und mir belehrender gewesen wäre als diese. Auch soll sie mir bey meiner Aufnahme in die dortige Academie zu einem sonorischen Perioden in meiner Antrittsrede verhelfen.“ — Ich machte — einfältig genug — meinem medizinischen Freunde für dieses Lob meiner Krankheit eine tiefe Verbeugung, als ob er mir eine Schmeicheley gesagt hätte, erschrak über diesen neuen Mißgriff meiner Eigenliebe, und stotterte nun voller Verlegenheit: — „Ihre Rechnung im Gasthofe werden Sie mir doch = = — „Diese,“ fiel er mir ins Wort, „ist durch den braven Mann berichtigt worden, der mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt hat.“ — „Lieber Sabathier,“ drängte ich mich jetzt näher an ihn, „Sie dürfen mich nicht verlassen, ohne mir den Schutzengel genannt zu haben, bey dem ich in einer so großen Schuld stehe, und die ich durchaus abtragen muß, wenn ich ruhig werden soll.“ — „Ich würde es gern thun,“ versetzte er, „hätte seine uneigennützige Tugend mir nicht Stillschweigen geboten. Wir wollen dem wackern Manne seinen eigenen Gang lassen, und uns im Stillen begnügen, eine Seele zu bewundern, die sich über das Geräusch menschlicher Beyfalls = Aeußerungen des Danks und den Schimmer ihrer eigenen Seltenheit erhaben fühlt.“ — „O mein Freund,“ erwiederte ich voller Betrübniß, „wie gern möchte ich dieser übermenschlichen Tugend huldigen! — Aber ich kann — wahrlich ich kann nicht. Eine so heldenmüthige Verläugnung der allen Herzen angebornen Schwachheiten erweckt — = = = — ich hielt inne. — „Was erweckt sie denn?“ fragte Sabathier. — „Den Verdacht, von dem ich meinen Wohlthäter gern frey sprechen möchte, eines übermäßigen Stolzes, der seine Blöße nur desto künstlicher versteckt, je lebhafter sein geheimer Wunsch ist, daß die Neugier sie enthülle. Eine Größe, die andere Menschen so sehr verkleinert, ist nicht nach meinem Geschmacke. Die Gleichgültigkeit des Unbekannten gegen meinen Dank ist sehr demüthigend, und ich fühle es wahrlich auf das schmerzhafteste, wie viel Unbarmherzigkeit in seiner Großmuth liegt.“ — „Oder wie viel Schonung,“ sagte Sabathier lächelnd, umarmte mich noch einmal zum Abschiede, bat sich ein Empfehlungsschreiben nach Leyden an Jerom aus — und unter tausend Segnungen, die meiner stammelnden Zunge entströmten, eilte er in sein Zimmer den Anstalten seiner nahen Abreise zu.

 

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     Kaum war er fort, so stützte ich meinen Kopf auf den Arm. — „Schonung?“ wiederholte ich, „was will er mit diesem räthselhaften Worte?“ und es beschäftigte mein Nachdenken bey einer halben Stunde. Ich wollte lange nicht daran, die Erklärung als wahr anzunehmen, die sich mir aufdrang; aber, so wenig sich auch Schmeichelhaftes für mich enthält, so bleibt mir doch keine andre übrig. Der Unbekannte, stelle ich mir vor, mochte es wohl nach seiner Eigenheit eben so sehr für Pflicht halten, so lange ich krank lag, als mir aus dem Wege zu gehen, so bald ich gesund ward. Die Beichte meines hitzigen Fiebers — ob das nicht wohl auch bey andern Ohrenbeichten manchmal der Fall seyn mag? — hat ihm wahrscheinlich nichts weniger als Neigung gegen mich eingeflößt, und in dieser Rücksicht verräth seine stillschweigende Entfernung unstreitig seine seltene Schonung. Ein eifriger Katholik, — mein Gott, — kann ja unmöglich einen Menschen lieben, schätzen und seiner Freundschaft werth halten, der die heilige Clara von Montefalcone mit ihren drey Blasensteinen verspottete, den Papst Alexander zur Hölle verwies, und selbst bey dem Anblicke der drohenden Ewigkeit keine Reue fühlte, Mariens Strumpfband vertauscht zu haben. Ich darf froh seyn, daß der gute Mann meiner Rettung schon den Schwung gegeben hatte, ehe er verfuhr, wie wenig ich ihrer werth sey. Mir thut es zwar weh, daß zwey Herzen, die bereits nacheinander so nahe waren, durch solche Windstöße wieder getrennt werden mußten; aber was kann ich dafür?

 

     Um jedoch den Druck meiner Dankbarkeit los zu werden, will ich zum Ersatz meiner Schuld ein Geschenk in das Hospital schicken, und es als eine Nothhülfe, die ich gegen den sonderbaren Heiligen nehme, der Versteckens mit mir spielt, in dem Wochenblatte anzeigen lassen. Das, hoffe ich, wird nach seinem Sinne seyn. — Edler Sabathier! — Liebenswürdiger Jerom! Dächten alle Menschen wie ihr und ich, wie leicht würde es werden, die drey Religionen, denen wir anhängen, unter Einen Hut zu bringen! Wie geehrt fühle ich mich in diesem Augenblicke, wo ich durch einen Zug meiner Feder eure beyden verwandten Seelen vereinigen soll! — Doch da kommt mir ein Briefchen von Saint=Sauveur dazwischen, das ich erst lesen muß! —

 

 

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Das war ein thätiger reichhaltiger Morgen! Meine dringenden Geschäfte auf der vorigen Seite sind nun alle besorgt, und ich wende meine Augen, die unter blendenden Thränen den guten Sabathier abfahren sahen, wieder nach dir, mein Eduard, der mir sie von jeher immer am geschwindesten getrocknet hat. — Es ist zwey Uhr. Nur noch einige Zeilen, und ich unterwerfe mich sodann ganz sorgen= gedanken= und willenlos der Leitung des reichen romanhaften Marquis, dem meine Nachcur übertragen ist. Sein Wagen erwartet mich; seine heutige Ordre liegt vor mir. Geht er auch so ziemlich mit mir um wie mit einer Sache,  — ich lasse mir alles gefallen, ob mir gleich nicht alles gefällt; so kirre hat mich leider das Mißtrauen gemacht, das mir Sabathier gegen die eigene Aufsicht meiner selbst in den Kopf gesetzt hat. Da will er, zum Beyspiel, daß ich heute nach Tische eine Lustreise mit ihm antrete, die eine Hälfte des Weges im Wagen, die andere zu Fuße, nach seiner Bastide, die drey Stunden von hier und auf der Straße nach Toulon zu liegt, wohin ich ihn morgen früh begleiten soll. Mit diesem Herumstreifen würden, wie er mir vorrechnet, die nächsten vier Tage bis auf den bewußten Sonnabend verstreichen, den er mir schon gestern zu meiner Wallfahrt nach Cotignac frey gab. Diese Eintheilung meiner Woche ist mir nur halb recht, Eduard; Alzire wird heute, morgen wird Mahomet aufgeführt, und ich soll, statt dieser trefflichen Schauspiele, einem so widrigen Dinge nachgehen, als mir eine Bastide ist, um dort meinen Wettlauf nach Gesundheit anzufangen. Der gute Mann bedenkt nicht, daß ich kaum von einem hitzigen Fieber genesen bin. — Den Tag darauf nach Toulon! Festungen sind mir aber fast so sehr zuwider als Bastiden. Lieber Saint=Sauveur! ich hätte mir von deinem Ueberraschungs = System etwas besseres versprochen, und ich zweifle, ob Sabathier dergleichen Recepte zu meiner Nachcur billigen würde. Dieses abgerechnet, hätte ich gar nichts dawider, auf einige Zeit aus meinem häuslichen Zirkel heraus zu treten, der mich mechanisch in die Tage zurück zaubert, die ich doch gern vergessen möchte. Der überflüssigste Theil desselben, die beyden Puppenspieler, haben durch ihr Verplaudern meiner Historie mit Klärchen vollends ihr Bißchen Credit bey mir verloren; und doch scheinen sie gar nicht zu ahnden, wie unerträglich sie mir sind. Da unterbrachen sie mich erst vorhin mit dem possenhaftesten Anstande in meiner Schreiberey, um mich über einen Einfall zu Rathe zu ziehen, der ihnen eine frohe Zukunft verspräche. — „Elektra,“ — hub der Prologus an, — „Geht zum Henker,“ fuhr ich sie an, „mit eurer Elektra, und putzt dafür meine Schuhe!“ — Auch Bastian, der gute Kerl, macht keinen Eindruck mehr auf mich mit dem Gesichte seiner Schwester; dafür erinnert er mich aber desto lebhafter an die eklen Chinapulver, die er mir dutzendweise eingerührt hat. Es ist mir immer, so oft ich ihn ansehe, als ob ich einnehmen müßte. So wunderlich es von mir wäre, ihm dieses zum Vorwurfe zu machen, so bin ich doch froh, daß er mir einige Tage aus den Augen seyn wird. Er kann unterdessen hier mit dem Wirthe zusammen rechnen, und sich mir mit den Anstalten zu meinem Aufbruche beschäftigen, den ich zu Anfange künftiger Woche festgesetzt habe. Die Freundschaft Saint=Sauveurs würde mich in jedem andern Lande zurück halten: aber das hiesige Clima verstattet mir keine Weile, und drängt und treibt mich wie einen Storch nach meinem Deutschen Schattenneste; ach es würde meine spröden Knochen vollends zu Pulver zerreiben, wenn ich hier bliebe. Daß ich nicht denselben Weg, auf dem ich herkam, zurück nehmen werde, kannst du wohl — ohne selbst mein Tagebuch betrübten Andenkens gelesen zu haben — bey einem neugierigen Reisenden voraus setzen, ob dir gleich jenes noch ganz andere Aufschlüsse darüber vertrauen würde. Nein! ich gedenke über Holland und über mein geliebtes Leyden heim zu gehen, ohne Avignon, Straßburg und Bruchsal nur in Gedanken zu berühren. In drey Wochen — ach Gott! kann ich bey Jerom seyn, und selbst, wenn Sabathier so langsam fortreist, als er anfing, eher sogar als er und mein Brief. Das habe ich mir an den Fingern abgezählt, als ich ihn schrieb, und sie mir vor Freuden verbrannt, als ich ihn zusiegelte. So gar viel Papier werde ich wohl nicht mehr verthun. Ein halbes Buch, denke ich, soll hinreichen, bis ich dir in Berlin meine schreibselige Feder zu Füßen lege.

 

 

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Das in halbdunklen Tinten trefflich gemalte Zimmer, in welchem mich Saint=Sauveur diesen Mittag aufnahm, war ganz der rührenden Stimmung angemessen, die ich mitbrachte, und in der er mich — Gott weiß wie er das anfing! — drey Stunden, bis wir ins Freye kamen, zu erhalten verstand. Es gehört ein Wirth dazu, wie Er war, damit ein Gast, wie ich bin, nicht bey Tische den Abgang eines dritten bemerkt. Die hellen Wahrheiten, die zarten Berührungen der Seele, die menschenfreundlichen Aeußerungen, die in sanften Adagiotönen seinen Lippen entflossen, und die Gutmüthigkeit, die aus seinen liebenden Augen wiederschien, erquickten mein schmachtendes Herz mit dem so lang entbehrten Vollgenusse eines, in der edelsten und weitesten Bedeutung des Wortes, guten Gesellschafters. Er überraschte mich an dem heutigen Mittage um vieles angenehmer noch als an dem gestrigen — nicht durch die neu ersonnenen Gerichte, die er mir vorsetzte, sondern durch die Menge seiner Empfindungen, denen er in meiner Seele mit Sokratischer Empfindungskunst Luft machte. Sie erschienen mir, wie Vertriebene, die sich unter einer tyrannischen Regierung versteckt hielten, von weitem herzukommen, einander zu ihrer Erhaltung Glück zu wünschen, und das Fest ihrer Wiederkehr in der alten Hütte zu feyern, aus der sie sich so lange verdrängt sahen. So sehr ich auch jetzt hinterher mich gerecht genug fühlte, das Uebergewicht seines Geistes in dem warmen Gespräche, das sich unter uns entspann, anzuerkennen, so wußte er doch während desselben den Schwerpunkt so geschickt zu vertheilen, daß es mir vorkam, wir hielten einander vollkommen die Wage. Sein Herz schien, schmeichelhaft für mich, vorauszusetzen, es werde von dem meinigen verstanden. Die Blitze, die sein Witz von sich warf, spalteten sich so leicht an dem Prisma des meinigen, mit welchem ich sie auffing, daß ich nur meiner Kunst den schönen farbigen Strahlenkreis zuschrieb, den es hervorbrachte. Ich hörte ihm so lange mit dem lautersten Vergnügen zu, als mir noch seine Unterhaltung Veranlassung gab, mir eine Verbeugung über meine tiefen Einsichten und mein zartes Gefühl zu machen.

 

     Auf einmal aber trieb mich eine Kleinigkeit von dem erhabenen Standpunkte herunter, auf den mich meine Eigenliebe gestellt hatte. Wir sprachen eben von dem Hange zweyer gleich gestimmter Herzen, die, indem sie wie Magnete einander anziehen, auch, wie diese, alles Ungleichartige von sich abstoßen, und ungenutzt ihre Kraft in sich verzehren, wenn sie auf keinen Gegenstand treffen, der in ihren Wirkungskreis taugt. Ich gefiel mir außerordentlich in diesen zugespitzten Einfällen, die ich vorbrachte, und gerieth darüber so in Feuer, daß ich nicht gewahr ward, was neben mir vorging — nicht eher sah, daß der Mundschenk eine Flasche Champagner lüftete, bis der Schall des heraus getriebenen Korks — bis der Name Sylleri — bis das schäumende Glas, das er mir vorhielt, sich meiner Einbildungskraft schon bemeisterte, und mich sechs Wochen zurück in das Bachanal versetzt hatten, das ich am achten Januar mit jenem Gesindel feyerte, das leider nur allzu magnetartig auf mich gewirkt hat. Heftiger kann in einer belagerten Stadt ein spielendes Kind nicht erschreckt und aus der Wiege geworfen werden, wenn das feindliche Signal in die Höhe steigt und der allgemeine Sturmlärm nachfolgt, als ich in diesem Augenblicke der widrigsten Erinnerung. Mag dir diese Vergleichung noch so poetisch vorkommen, sie ist darum nicht weniger treffend und wahr. Ich fühlte mich von dem unglücklichen Bilde, in welchem ich mich wie in dem niedrigsten Stücke von Teniers abgemalt sah, so gepreßt, daß mir die Lippen bebten, und mein Auge in Thränen stand, noch ehe der Schaum im Glase zerronnen war. Armer Wein, seufzte ich im Stillen, der auf demselben Berge gewonnen, vielleicht auf demselben Stocke mit jenem gereift ist, der mir das häßliche Herz einer Heuchlerin enthüllte! Wäre mir dort dein Aufbrausen nicht zum Mißlaute geworden, wie süß würdest du hier, an der Seite eines edlen Freundes, mir schmecken, und mit welchem Feuer würdest du meine Lobrede auf die gesellige Tugend beleben!

 

     Saint=Sauveur, ob er gleich meine innere Bewegung gar nicht zu bemerken schien, kam ihr doch auf das thätigste zu Hülfe; denn er unterbrach mein angreifendes Selbstgespräch, indem er den Stuhl rückte und aufstand. Es ist die leichteste Art, der Seele eine andre Richtung zu geben, in dem man dem Körper eine andre anweist. Der Unterschied, ob mich der Wind von der oder jener Seite anbläst, ob ich rechter oder linker Hand an meinem Schreibtische sitze, ob ich in einen Garten oder in einen Kirchhof blicke, bewirkt bey mir, wo nicht eine gänzliche Umschaffung meiner Denkungsart, doch eine merkbare Verschiedenheit der Begriffe. So ging es mir auch dießmal. Der Zauber, der mich nach Avignon versetzte, schien nur innerhalb des Zirkels meines Stuhls zu liegen. Sobald ich über ihn hinaus in das Fenster getreten war, will ich zwar nicht geradezu behaupten, daß ich mich meiner reuvollen Empfindungen schämte, aber ich bekam doch Fassung genug, den ganzen Auftritt für einen seltsamen Beweis der Nervenschwäche auszugeben, die mir noch von meiner Krankheit anhing, und mein Freund war auch so gut, es für bekannt anzunehmen. — „Wenn ich nur,“ sagte er scherzhaft, indem er zugleich befahl, daß sein Phaeeton vorrücken sollte, „der Lärm nicht zu sehr erschüttert, den jetzt die schlagenden Nachtigallen in dem Birkenwalde treiben, wo ich dich hinführen will.“ — Das brachte mich auf einmal aus meiner weinerlichen in ein bitter spaßhafte Stimmung. — „Birkenwald? Nachtigallen?“ fing ich mit spottendem Tone seine Worte auf, „das klingt ungefähr in diesem Lande so hohl, als wenn man in Novazembla von Schmetterlingen und Orangen spräche.“

 

     Ich habe gewiß schon in meinem Leben witzigere Einfälle gehabt, und beißendere Antworten ausgetheilt, als diese war, ohne mich ihrer zu rühmen; besonders seitdem ich bemerkt hatte, daß ein Bonmot Dienstags eine ganze Gesellschaft belustigen konnte, welches Mittwochs, wenn es der Erfinder als bewährt in andere Häuser herumtrug oder in seine Schriften aufnahm, gleichgültig angehört und gelesen wurde. Der scharfsinnige Herr mochte noch so genau Zeit, Gelegenheit und Umstände seines Epigramms angeben, keine Seele bekümmerte sich um den kleinen Balg, sobald er über die Geburtsstunde hinaus war. So würde ich also auch dießmal meine spitzige Gegenrede gar nicht erwähnt haben, hätte sich nicht ihr schlaffer Stachel eine Stunde nachher gegen mich selbst gekehrt, und mir eine Beule zugezogen, die ich nicht anders zu heilen wußte, als daß ich sie, unter großen Schmerzen, aufstach. Gott bewahre doch jedermann von witzig=üblen Launen! Ich konnte die meinigen nicht mehr Herr werden. So abschmeckend sie Anfangs war, eine so laugenhafte Schärfe nahm sie an, als wir bey dem Schauspielhause und der bunten Menschenmenge, die dahin strömte, vorbey fuhren; und sie ward noch beißender, als wir unter die Frachtwagen auf der staubigen Chaussee geriethen: denn, statt es lieber gerade heraus zu sagen, wie ungern ich heute die Stadt und Alziren um die Bekanntschaft einer Bastide vertauschte, gab ich es durch mein Bezeigen auf eine viel auffallendere Weise zu erkennen. Ich schmiegte mich quer über die Ecke des Wagens, drückte meinen runden Hut in die Augen, und bey jeder Staubwolke, die aufstieg, hielt ich Mund und Nase so geziert zu, als ob die Sandstraßen um Berlin mit Teppichen belegt wären. Jeder Sonnenstich schien ein Epigramm in mir zu entwickeln, und mir zu eine sinnreichen Anspielung zu verhelfen, die den contrastirenden Unterschied meines fruchtbaren Vaterlandes mit der dürren Provence auf die ungesuchteste Art, wie ich glaubte, in das Licht setzte. Indem ich mich mit meinem Handschuh fächelte und mir den Hals lüftete, sprach ich entweder von den schattigen Alleen, die nach Charlottenburg führen, oder erinnerte meinen Freund an unsere kleinen Soupers in den Lauben zu Sanssouci. Ich war wie ausgetauscht, Eduard, fühlte in meiner Ungezogenheit weder den scharfen Verweis, der in dem Stillschweigen des Marquis lag, noch ließ ich mich durch den Gedanken, wie er doch nicht mehr, als sein Land erlaube, zu meinem Zeitvertreib gewähren könne, so wenig irre machen, daß ich endlich sogar Hagedornen und Kleisten zu Hülfe nahm, um die große Wahrheit zu bestätigen, daß nichts in der Natur an Reitz über den Eintritt des Frühlings in Deutschland und unsern Maymonat ginge. Das Blut trat mir bey dieser vaterländischen Erinnerung in das Gesicht. — Ich blickte wild meinem Freund in die Augen. Er faßte mich bey der Hand und: „Was ist dir, lieber Wilhelm?“ fragte er verwundert. — „O der herrlichen Dichter!“ antwortete ich mit beschwerter Stimme. „Sie haben das Bild des May mit einer solchen Gewalt in mir rege gemacht, daß ich dich bey Gott versichern kann, lieber Saint=Sauveur, ich glaube in diesem Augenblicke jenen Monat erreicht zu haben, unsre Frühlingsvögel zu hören, und den balsamischen Duft unsrer jungen Birken zu athmen. Eine lebhafte Einbildungskraft ist doch eins der wichtigsten Geschenke Gottes. Sie weiß dem Betrug die Gestalt der Wahrheit zu geben, und unsre Wünsche in wirklichen Genuß zu verwandeln.“ — „So wie sie,“ fiel mir Saint=Sauveur in das Wort, „die auffallendste Wahrheit zu Betrug herabwürdigen kann.“ — Dieser Einwurf meines Freundes war so paradox, daß ich ihn unmöglich ungerügt hingehen lassen konnte. — „Ein ganz neuer Satz,“ sagte ich höhnisch: „aber wo ist der Beweis dazu, lieber Marquis? Willst du ihn führen?“ — „Ja,“ war sein bestimmte Antwort; und wahrlich, Eduard, er führte ihn, und wie? Ganz nach seinem gestrigen System: denn nie hat mich ein philosophischer Beweis durch eine angenehme Evidenz überrascht als dieser. Die Wendung, deren er sich dabey bediente — sehr verschieden von den Subtilitäten der Scholastik — kam aus seiner und seines Kutschers Hand, an dessen Arm die Schnur befestigt war, die er anzog. Ein Griff in die Zügel, ein Hieb mit der Peitsche, und seine Behauptung — ich hätte vor Scham vergehen mögen — war vollständig erwiesen. Was ich eine Minute vorher für Magie der Einbildungskraft hielt, war Wirklichkeit. Ich hörte die Nachtigallen mit meinen körperlichen Ohren, und zog die besungene Deutsche Mayluft mit beyden Lungenflügeln in mich — denn — hier siehst du die Beule, die ich aufstechen muß — wir befanden uns, wie durch einen Zauberstab, in eine lange Allee von hundertjährigen Birken versetzt.

 

     Ich konnte in der Fülle meines Erstaunens nicht zu Worte kommen, so gewaltig sie sich auch bis zu meinen Lippen vordrängten, war lange verloren in meinem Gefühl, ehe meine scheuen Blicke sich an meinen Freund wagten, und um Vergebung des Unsinns der vergangenen Stunde anflehten. Er verstand sie: aber er bestrafte mich nicht durch Gegenspott, so sehr ich ihn auch verdiente, sondern durch Güte. — „Reisende,“ sagte er mit freundlicher Stimme, „sollten nie absprechende Urtheile über ein fremdes Land fällen, bis sie nicht alle seine Winkel durchkrochen haben. Könnte ich dich doch, lieber Wilhelm, von allen deinen kleinen Vorutheilen so glücklich heilen, als es mir bey diesen gelang! denn sie hauptsächlich sind es, deren Cur mit Sabathier überlassen hat. Wie froh bin ich, daß ich dich bis jetzt ruhig in deiner trotzigen Lage erhalten konnte! Ein einziger Blick deiner Augen neben der Querlinie, auf der sie hinstarrten, würde dir schon von weitem das Ziel der Belehrung, die ich dir aufhob, entdeckt, und ihre gute Wirkung und deine Epigrammen geschwächt haben. Jetzt blicke nur, ohne dich weiter zu schämen, an diese hohen Birken hinauf. Giebt es wohl in Charlottenburg ihres gleichen? Siehe, mit welcher Pracht unsere immer grünende Eiche sich hier ausbreitet. Wie reich würde sich euer König dünken, wenn ein solcher Fremdling seinen Park verschönerte! Sättige dein Auge an unserem Besenreisig, an dem gelb blühenden Geniste, das als eine Seltenheit in euern Gewächshäusern gepflegt wird, bade dich in dem Aushauche unserer würzhaften Kräuter, und gestehe, — ich verlange keine andere Genugthuung — daß euer Wonnemonat nicht reitzener seyn kann als unser Hornung.“ — Es hätte mir die hartnäckigste Vorliebe meiner Heimath so fest in dem Herzen sitzen müssen als einem Lappländer, wenn ich nur ein Wort gegen die offenen Beweise und die billige Forderung meines Freundes hätte vorbringen wollen. Seitdem ich Athem schöpfe, hat mich von allen den Maytagen, die ich in Deutschland erlebte, keiner in ein solches Wohlbehagen versetzt, als die gegenwärtig Stunde. Das konnte ich ihm mit Wahrheit sagen. Es war seit meiner Krankheit der erste Ausflug ins Grüne, und die Sinnlichkeit hatte ein so leichteres Spiel, als die Saiten, die sie rührte, frisch aufgezogen und zur Freude gestimmt waren. In dem sultanischen Gefühle eines mühelosen Genusses lag ich in dem schaukelnden Phaeton, freute mich der wohlriechenden Bogengewölbe über mir und des begleitenden Gesangs der Vögel, wovon ich bey dem gehemmten Trabe der Pferde keine Note verlor. Wie ein kraftvoller Jüngling, dem ein langes frohes Leben vorliegt, sich am Ausgange desselben seinen nebligen Grabhügel als eine Ruhebank denkt, die seiner Ermüdung wartet, so blickte auch ich auf den geraden breiten Weg hin, der sich durch den unabsehlichen Wald zog — dachte mir an dessen Ende die enge heiße Bastide meines Freundes, zwar nicht als einen Lustort, aber als eine Schlafstätte, die mir desto erträglicher vorkam, je später ich sie zu erreichen hoffte. War es also nicht Schade, daß dieses wollüstige Hingeben meiner selbst, diese auf Genuß und Zeitgewinn gezogene fröhliche Rechnung, durch eine Grille des Marquis gestört wurde, zu der ich mir noch dazu vorwerfen mußte, ihm die erste Veranlassung gegeben zu haben?

 

     Er befahl seinem Kutscher zu halten, blickte mir in meine sanft hinsterbenden Augen, und nöthigte mich doch unter folgendem Gespräche aus dem Wagen. — „Guter Wilhelm! wenn ich dich so über die Natur brüten sehe, sollte es mir beynahe leid thun, dich von deinem behaglichen Neste aufzuscheuchen.“ — „Wie so, lieber Marquis?“ — „Ja nun, hier müssen wir uns auf die Füße machen und einen andern Weg suchen.“ — „Einen andern Weg? Wohin denn?“ — „Nach meiner Bastide. Du denkst doch wohl nicht, daß sie am Ende der großen Allee liegt? Das wäre der Rede noch einmal werth.“ — „Das — bester Mann — habe ich wirklich geglaubt,“ — „Nun so hast du dich wieder einmal in dein Vaterland verflogen gehabt. Ein Schlag von Sommerhäusern wie die unsern, und eine prächtige Deutsche Allee zum Zugange würde gut passen.“ — „Aber, um Himmels willen, wie kommt man denn zu deiner Bastide?“ — „Eigentlich, lieber Freund, aus der Chaussee, die wir halben Weges verlassen haben; kürzer aber um vieles, wenn wir uns hier seitwärts, so gut es gehen will, durch das Gebüsch helfen. Es kommt auf eine böse Viertelstunde an, so treffen wir auf einen verlassenen Steinbruch hinter welchem meine kleine Besitzung liegt. Ich habe ihn kürzlich dazu gekauft, ihn vollends durchbrechen lassen, und mir dadurch einen weit nähern Eingang verschafft, der nur einige äußere Verzierung bedarf, um als etwas Rechtes in die Augen zu fallen. Da sind mir nun eine Menge Pläne durch den Kopf gegangen, ohne daß ich noch mit mir einig geworden bin. — Du kamst mir wie gerufen. Dein Ausspruch soll entscheiden. Das beschloß ich gestern vor dem Hause des Italienischen Baumeisters, bey dem du in der Lehre gewesen bist, legte deswegen Beschlag auf dich und deine Talente, und rechnete auf deine Vergebung, wenn ich dich mit dieser Spazierfahrt überlistete, trotz der Alzire, die dich beynahe mir abwendig gemacht hätte. Du siehst, daß ich meine eigennützigen Absichten gar nicht beschönigen will. Wie leicht könnte ich sie sonst hinter deine Nachcur verstecken! In Rücksicht dieser müßtest du mir noch danken, daß ich dein welkes Gesicht an die Sonne gebracht habe.“ — Hol der Henker seine kahlen Entschuldigungen,“ murmelte ich in den Bart; „die machen weder seinen Antrag noch den Gang besser. Meine Talente? Das ist eine triftige Ursache! Ihretwegen konnten wir sitzen bleiben.“ Und so stieg ich aus.

 

     Es ist doch in Wahrheit eine Verlegenheit wie es nur eine giebt, wenn man durch unverdientes Zutrauen anderer zu unsern bessern Einsichten sich mit seiner Ignoranz aus einem schönen gebahnten auf einen so holprigen, verwachsenen Weg gedrängt sieht, als der war, den wir jetzt einschlugen — um am Ende eines ermüdenden Gangs oder einer verlornen Lehrstunde seinem Gönner darzuthun, daß er sich in der Wahl unser geirrt habe. Mit hundert Dingen in der Welt bin ich in dergleichen Gedränge gekommen; aber mit der Baukunst widerfuhr es mir heute zum erstenmal. Bey alle dem fehlte es mir an Entschlusse, meiner falschen Scham herzhaft entgegen zu treten, mich aufs Maul zu schlagen, und mich durch ehrlichen Widerruf einen Ausweg zu bahnen. Das wäre unstreitig das klügste gewesen: aber es fiel mir nicht bey, und um so viel weniger, als mich schon jede unerwartete Aufforderung so aus der Fassung bringt, daß ich mich immer auf das verkehrteste dabey benehme. Wenn ich etwas ähnliches von Jean Jacques habe, so besteht es darin. Fragt man wohl doch bey mir zehnmal umsonst nach Dingen, die ich im Schubsack trage, geschweige bey solchen, die man gütigst voraussetzt. Geht man zum Beyspiel in der Gesellschaft — und wie oft geschieht das nicht! — auf mich los: „Sagen Sie mir doch, mein Herr — Sie, als ein Litterator, als ein Dichter, als ein Hofmann, müssen ja das am besten wissen = = = so weiß ich es gewiß nicht, und wenn es das Einmal Eins wäre.

 

     So betroffen, daß ich mich nicht besinnen konnte, schlich ich denn auch hier dem Marquis nach, ritzte mich in allerley Dornen, lernte alle Gattungen von Kletten und Nesseln der Provence kennen, und nach manchen Fehltritten, die mich aufhielten, sah ich denn endlich auch an dem unförmlichen Steinbruche, der die Mitte einer Gebirgkette einnahm, die nach allen Seiten hin die Gegend sperrte, jene schwere Aufgabe liegen, die ich zu lösen beschieden war. — „Nun, was meinst du?“ fragte der Marquis, und blickte mir forschend in die Augen, die ich geschwind in Ordnung gebracht hatte, und dann den Felsen so listig nachdenkend anstarrte, wie dieser und jener eine Skitze von Raphael. Da stand ich nun wie am Pranger, und brachte nach einer ängstlichen Weile doch nur ein paar abgebrochene Worte hervor. — Ob ich wirklich die Ausrottung des nahen Gesträuchs zur Gewinnung eines Vorplatzes und die Erweiterung des Berggangs in Vorschlag brachte, lasse ich dahin gestellt seyn; es war wenigstens der Sinn, den Saint=Sauveur meiner verworrenen Rede unterschob und mit seinem Beyfall beehrte. Er hätte mir jede andere Meinung andichten können, ich würde sie in der Verlegenheit für die meinige erkannt haben. — „Wenn diese nothwendige Vorkehrung,“ fuhr ich nun schon mit festerer Stimme fort, „getroffen ist, würde ich das Portal mit zwey Toscanischen oder lieber noch Korinthischen Säulen verzieren, und oben darüber eine Marmortafel mit einer passenden Inschrift aus dem Virgil oder Horaz setzen lassen: Orus, zum Beyspiel, quando te adspiciam, oder so etwas dergleiche.“ — „Das läßt sich hören,“ sagte mein Freund; „nur will ich dich bitten, lieber Wilhelm, wenn wir ins Haus kommen, mir deine Idee durch eine kleine Handzeichnung deutlicher zu machen: denn aufrichtig zu gestehen, weiß ich nicht einmal, wie sich die Toscanische Säulenordnung von der Korinthischen unterscheidet.“ — Unter uns, Eduard, war das eben auch mein Fall! — „Ich bin,“ fiel ich ihm ins Wort, „in architektonischen Zeichnungen seit einigen Jahren ganz aus der Uebung.“ — „Nun gut,“ erwiederte er, „so thue mir nur den Gefallen, deinem Italienischen Lehrmeister den Riß anzugeben, wenn wir wieder in die Stadt kommen. Einstweilen laß uns auf jenem bemoosten Stein ausruhen, und uns über dieses Gebirge hinweg in dein prächtiges Sanssouci zaubern. Ich sitze oft Stunden lang in meinem beschränkten Gärtchen, und weiß mir es in Gedanken durch die malerischen Aussichten zu erweitern, die mir vor neun Jahren dein Vaterland öffnete.“

 

     Der gute Saint=Sauveur! Er hätte mir zur Erholung von meinen Baugeschäften nichts dienlicheres bieten können. Ich ward dir auf einmal so beredt und anmaßlich, als ich mich kurz vorher verlegen und gedemüthigt gefühlt hatte, und auch Er — ohne des Schaustücks seiner Birkenallee weiter zu erwähnen — irrte gutmüthig und heiter mit mir durch alle die niedlichen Sandgänge, die labyrinthisch unsere Berlinischen Lustfärten durchschlängeln, die sanfte Luft, die uns umwehte, war ihm nur ein Vehikel jener aromatischen Düfte, die unser Thiergarten seinen jüngern Wangen zuspielte, und die er damals nicht sinnlicher in sich ziehen konnte, als er sie jetzt durch die Organe der Erinnerung einsog. Ach, wäre sie nicht, diese gutmüthige Begleiterin auf unsern Wanderschaften, so würde das längste Leben, wenn es einmal hinter uns liegt, nur ein verlorenes Geschenk, und nicht viel besser als das Leben einer Mücke — eingeschränkt auf einen einzigen Tag seyn! — „Ein schöner wahrer Gedanke!“ sagte der Marquis, als ich ihm solchen mittheilte. „Er soll uns, wie der Faden der Ariadne, durch den dunklen Irrgang meines Vorgebirges leiten. Folge mir nur beherzt, lieber Wilhelm, und werde nicht mißlaunig über die hundert bösen Schritte, die du etwa noch bis zu meinem Sopha zu thun hast.“

 

     Ich ergriff geschwind den Rockzipfel meines Führers, um seine Spur nicht zu verlieren, und tappte ihm nun, unsicher wie in der Nacht, durch die kühle Bergkluft nach, die so im Finstern fortlief, daß ich den Ausgang noch für sehr entfernt hielt, als auf einmal — Gott im Himmel! wie ward mir zu Muthe! — eine Thür vor mir aufsprang, und mir — welch ein Uebergang von Blindheit zum Licht! — ein Thal — ein unübersehbares und so entzückendes Thal öffnete, daß mein äußerer Mensch durch die heftige Bewegung, in die mein innerer bey diesem unnennbaren überraschenden Anblicke verfiel, wie gelähmt davor stand, und mein Puls einige Secunden stockte, ehe sich meine gen Himmel strebenden Hände erheben, und ein Strom von empfindsamen Thränen dem gepreßten Herzen Luft machen konnte. Ich habe dich oft, freundlich, schön und groß gesehen, mannigfaltige Natur, habe dich in der Pracht deines Schmuckes bewundert, den dir deine Freunde, und aus dem Flitterstaate gehoben, den deine Feinde dir anlegten; aber noch nie hattest du dich mir in deiner höchsten Herrlichkeit — nie zur Anbetung deines unermeßlichen Schöpfers in so unwiderstehlich anlockenden Reitzen offenbart, als an diesem glücklichen Abende! Was faselte ich vorhin von Nachgeschmack des Vergangenen, von der Erinnerung eines Lebens, das hinter uns liegt! Mein Vaterland, die Stadt meiner Geburt sammt den jugendlichen Freuden, die ich jemals genoß — alles war jetzt aus meinem Bewußtseyn verschwunden. Ich fühlte nur das Gegenwärtige, und war auschließend glücklich in ihm.

 

     Bin ich denn der erste Reisende, der hierher kam? da ich mich keines erinnere, der dieses Elysiums der Provence gedacht hat. Sollte sich denn nie einer diesen Anblick, wie ich ihn genoß, erkauft, erstohlen, oder erschlichen haben, um ihn mit Farben oder mit Worten zu malen? Nein, Eduard, der Glückliche allein vermag es, der ihn, wie ich, als ein Geschenk aus der Hand der erfindungsreichen Freundschaft und als ihre geheimste höchste Gunstbezeigung erhält, — wenn anders die Verzweiflung über die Unzulänglichkeit menschlicher Sprache, die auch in meinen Adern kocht, ihm erlaubt diesen reinen Abdruck des Himmels zu schildern. Nur ein Mann, der aus der Fülle der Natur ihre rührendsten Stunden zu heben, und aus ihren flüchtig hinduftenden Tageszeiten die Balsamtheile aufzufassen versteht, die am wirksamsten sind die Quetschungen der Seele zu lindern — nur ein Weiser, der die Sehnen und Fasern des menschlichen Herzens oft und mit Glück entwickelt, und die Einbildungskraft bis in ihre feinsten Blutgänge zergliedert hat — nur der edle Saint=Sauveur, der diesen Solitair von Felsen sein nennt, hat zu dem dahinter liegenden Heiligthum allein den Schlüssel. Man muß sein Freund seyn, um auf den Standpunkt dieses magischen Lichtes zu gelangen, in welchem, von allen Bewohnern dieses herrlichen Thals, er allein nur es zu zeigen im Stande ist. Kein menschliches Auge, es schweife und schwebe wo und über was es will, kann mehr Reitze auf einmal umfassen, als das meine in dem Augenblicke, da ich, wie von der Erde in den Himmel gehoben, aus dem Felsen trat.

 

     Die Scheibe der Sonne, als wäre sie allein für dieses Thal geschaffen, hing, zu ihrem Untergange geneigt, gerade vor mir. Ein breiter, schäumender, in die Tiefe stürzender Wasserfall schien ihr anzuhängen, und die letzten Goldmassen ihrer heutigen Spende zu übernehmen, um sie in flimmernden Körnern über das Abendbrod dieser glücklichen Thalbewohner zu streuen. Die Spitzen der hohen Berge=Träger des blauen Baldachins, der über der Königin schwebte, rötheten sich in ihrem Abglanz, und der Schimmer ihres Heimgangs flog zitternd über die unzähligen Gärten und Lusthäuser, die sich von allen Seiten in den sanftesten Abhang herunter zogen. Der mit ihrem wallenden Lichte überschwemmte Teppich grünender Triften, der sich, so weit der Blick reichen konnte, in dem Grunde verbreitete, warf, mit den Gruppen ruhender Herden, in seiner unglaublich sanften Verschmelzung einen Wiederschein in die Höhe, der selbst ein sterbendes Auge noch würde erquickt haben. Die meinigen — ach! wie soll ich dir das Wohlbehagen versinnlichen, in dem sie schwammen! — Alle bessere Empfindungen meiner Seele schienen sich gegen meine Sehnerven zu drängen, und aus ihnen Dank gegen Gott, Freude des Lebens und Zufriedenheit mit der Welt zu saugen. Wie liebt, wie ehrt man sein Selbst in solcher Stimmung! Wie gereinigt fühlt sich das Herz von allen verächtlichen Wünschen, die es in so seligen Augenblicken nicht einmal zu begreifen vermag! O könnte ich den rauhen schmalen Eingang dieses Berges für mehrere Seelen zu einer so edlen Absicht benutzen, als mein trefflicher Freund durch ihn bey mir einzelnen Kranken erreicht hat! Ich würde seine dahinter ruhenden Geheimnisse durch ein vorgezogenes Tuch so ganz versperren, wie sie es mir bis auf diesen Augenblick waren, und würde euch, meine Freunde und Bekannten, an einem Festtage auf einem Kreis von Rasenbänken um das Amphitheater dieser Steinmasse versammeln, euch, die ihr Stunden lang seines Stolzes und seiner Talente nur ein armseliger Stümper in seinen Nachahmungen der unerreichbaren Natur, und ein undankbarer Schwächling gegen jenen fühlbaren und doch unbekannten Werkmeister sey, der die Sonne in seiner Gewalt hat, und die Kräfte des Universums leitet wohin er will. Doch ist es nicht schon eine strafbare Thorheit, das Staubkorn gegen den Unermeßlichen zu wären, das er, ohne zu achten wohin es flog, von dem Saume seines Kleides abblies — seines mit jenen Flittern, die wir Sonnensysteme, Stern und leuchtende Welten nennen, besetzen, ernsten, ewigen Kleides? —

 

     Mein Freund, durch das Mitgefühl meines Entzückens, dessen Schöpfer er war, auf das innigste gerührt, reichte mir stillschweigend die Hand, um mich an dem Bande der eingebrochenen Abendröthe, die wie ein Brautgürtel dieses Thal der Freude umschlang, in seine Wohnung zu führen. Ich sah mich noch einmal nach dem Felsen um, und fand hier am rechten Ort den Plan der Verzierung, mit der ich die Gegenseite zu verkrüppeln gedachte, einfacher und edler ausgeführt, als ich ihn entwarf. Hier war der aus einem dunklen Haine hervortretende Theil des Gebirges mit einem Portale bekleidet, das an den Janustempel erinnerte, der, von Numa erbaut, nur in einem Durchgange bestand. Seine Pforte, die von dieser Friedensseite nie geöffnet wird, schließt sich nur von innen armen Flüchtlingen auf, die, von äußern oder innern Stürmen aufgeschreckt, Wildniß und Einsamkeit suchen. Von dem Ungefähr und ihrem Mißmuth bis vor diesen Felsen getrieben, zittern sie scheu und gescheucht durch die Dunkelheit dieses Schlupfwinkels, und fallen — statt in einen Abgrund, den sie in ihrem Ingrimm wünschen und fürchten — fallen sie — ach wie sanft! — in die umschlingenden Arme der lieben und tröstenden Natur! In diesem Sinne hat Saint=Sauveur, schon vor mir, manchen durch das Gaukelspiel der Welt verdrehten Kopf, manches kranke Herz, das seiner Besserung werth war, hierher verlockt, und durch einen Blick in dieß Thal und dieß Sonnenbad geheilt. Nie ist wohl eine romantische Anlage glücklicher ausgeführt und zu einem edlern Zwecke benutzt worden, als diese.

 

     Mein Freund hatte nicht nöthig, und seine Gutmüthigkeit ließ es auch nicht zu, mich an meine Korinthischen oder Toscanischen Säulen zu erinnern: ich schämte mich schon selbst genug alles dessen, was ich seit gestern und heute Unwahres und Anmaßliches über Talente und Lehrmeister, Bastiden und Baukunst vorgebracht, und besonders der Kennermiene, mit der ich, im Widerspruch meines Bewußtseyns, gegen den Marquis groß gethan hatte. In dem Schlage jeder Nachtigall, auf jedem Schritte, den ich that, fand ich meine verdiente Bestrafung. Unter hohen Akazienbäumen, die in diesem mit Bergen umzäunten Thale, wie in einem Treibhause, schon Schatten gaben und blühten, gelangten wir in die Wohnung meines lieben Begleiters, und traten in einen Saal, der selbst in seinen reichen Verzierungen das warme Herz des Besitzers und seinen unverdorbenen Geschmack verrieth. Rührende Gemälde der größten Meister sprachen hier zum Auge; mich zog aber noch zu sehr das mit meiner Seele verschmolzene Bild der Natur von allem ab, was Menschenwerk war. Ein Blick bald durch dieses, bald durch jenes Fenster, suchte noch einen Reitz von ihr hinter dem Florkleide zu erhaschen, das der Abend über sie herwarf, bis die verdickte Dämmerung sie ganz meinen Augen entzog, die Vorhänge an den Fenstern herab fielen, ein duftendes Mahl meinen Hunger weckte, und mich überzeugte, daß ich noch nicht so ganz zu den ätherischen Geistern gehöre, als mir mein beseligtes Herz gern weiß gemacht hätte.

 

     „Iß nicht so hastig — trink mit Bedacht von diesem Wein — er reift auf jenen vergoldeten Bergen,“ wiederholte mein Freund mehrmalen. Ich sah ihn lächelnd an, glaubte ihm zu folgen, aber Schwärmerey trat immer meinem Vorsatz in den Weg. Ich aß und trank wie ein Verliebter, und antwortete verkehrt auf alles, was nicht Bezug auf das Wunderbare hatte, das mir vorschwebte. — „Ich sehe wohl,“ sagte endlich der Marquis, „ich bewirthe dich nicht, wie es dein Taumel verlangt. So laß uns denn von ihr sprechen, die sich durch einen Blick aller deiner Kräfte bemeistert hat. O du kennst die Göttliche noch nicht in ihrer größten Schönheit. Morgen — ist der Mensch nicht glücklich, der das zu einem andern Sterblichen sagen kann? — morgen will ich dir ein Schauspiel geben, das einen Gottesläugner bekehren würde. — Du hast wohl, als ein wahrer Berliner, gar nicht daran gedacht, daß die Sonne auch aufgeht?“ — „Ja, Freund,“ rief ich, und klatschte in die Hände, „das Schauspiel sollst du mir geben.“ — „Ehe wir nach Toulon aufbrechen,“ fuhr er fort = = = — „Ach das abscheuliche Toulon!“ fiel ich ihm in die Rede; was sehe ich an seinen Bastionen, Galeeren und seinem Arsenal? Ich bitte dich, laß mich hier, lieber Saint=Sauveur.“ — „Ich glaube,“ sagte der Marquis lächelnd, „die Bewunderung der Natur könnte dich, wie das Gebet einen Mönche, bis zur Unthätigkeit entzücken. Sie thut es schon jetzt. Du schwärmst von ihr und vernachlässigst sie, denkst nicht daran, sie in ihrem Nachtputze zu überfallen, und ihrem Busen noch einen Liebeskuß aufzudrücken, ehe sie einschläft.“ — Ungeachtet meiner dichterischen Stimmung verstand ich den Marquis nicht ganz, bis der Wink eines Bedienten ihn von seinem Stuhl aufjagte, der Vorhang aufflog, und er mich in der schauerlich festlichen Minute an das Fenster stellte, wo der volle Mond in dem reinsten Ergusse seines Schimmers zwischen zwey Bergen herauf stieg.

 

     Wie vorhängend in dem dunkelblauen Gewölbe, gleich einer aus Topas geschliffenen Lampe, blickte nicht dieser glänzende Körper, als ob er in der heutigen Nacht jede andere neben ihm spielende Welt von seiner Umarmung ausschlösse, auf seine kleine freundliche Thalschöne herunter, die, wie abgesondert von dem übrigen Erdballe, zitternd ihre verstecktesten Reitze seinem liebkosenden Lichte zu enthüllen schien! Das Säuseln des Abendwindes in den jungen Sprößlingen, Blättern und Blüthen, das dem Geräusch der Küsse, dem Lispeln der Liebe glich, und der Einklang des Wasserfalls in der Ferne — alles was ich sah, hörte und ahndete, traf einen Berührungspunkt in meinem der Weihe der Natur geheiligten Herzen. Mit gefalteten Händen blickte ich in dieses nächtliche Fest. Ich konnte mich ungestört in Betrachtungen versenken; denn mein Freund, der neben mir stand, schonte schweigend meine zarten Empfindungen. Der Mond hatte schon viele Meilengrade seines Bogens durchlaufen — nach stand ich da, und sah ihm nach, und maß ihn, und lächelte ihm zu. Endlich riß ich mich loß. — „Was für ein glücklicher Mann bist du!“ wendete ich mich gegen meinen Freund mit schwacher Stimme, drückte ihm die Hand, und folgte der Kerze, die mich in mein Schlafzimmer leuchtete.

 

     Ich war so vertieft in meine Mondscene, daß ich den jungen Menschen, der mich bediente, nicht eher gewahr ward, als bis er mir meine Halbstiefeln auszog, die zwar von dem Dornenwege, durch den sie mir heute halfen, hier und da zerkratzt, übrigens aber so wenig beschmutzt waren, daß selbst unser reinlicher Freund Jean Paul keiner noch so weißen Chemise würde gewehrt haben sich ihnen zu nähern. Ehe ich den Bedienten entließ, bat ich ihn, mich morgen ja vor Aufgang der Sonne zu wecken. „Dafür sorgen Sie nicht,“ antwortete er; „unser ganzes Haus ist alsdann munter vom Größten bis zum Kleinsten. So oft wir in dieß Thal kommen, versäumt gewiß keiner von uns fünfen, die stets um den Herrn sind, diesen rührenden Anblick. Wir waren armselige Menschen, ehe wir in seine Dienste traten — Trunkenbolde und Spieler, besonders der Kutscher, der ein Thüringer ist. Einer nach dem andern wurde von seiner Untugend geheilt. Ich war — ich gestehe es zu meiner Schande — ein verlorner Wollüstling; aber kaum drey Tage hatte ich in diesem Paradiese gelebt, dreymal nur die Sonne aufgehen sehen, als mir die Schuppen von den Augen fielen, ohne daß ich sonst etwas dagegen gebraucht hätte.“ — Ich schob meine Nachtmütze etwas ungläubig zu rechte. — „Trauen Sie meiner Erfahrung,“ erwiederte er mir, nahm meine Halbstiefeln unter den Arm und wünschte mir eine ruhige Nacht. Wäre es möglich, dachte ich zuletzt noch im Bette, daß diese solarische Cur bey Clärchen anschlüge? Vielleicht! Sobald nur kein Domherr mit ihr an das Fenster tritt.

 

 

*  *  *

 

 

Toulon.

 

In der Nacht, den 19. Februar.

 

Ich hörte Saint=Sauveurs Stimme schon im Saale bey meinem Erwachen, sprang gestärkt von meinem Lager auf und eilte zu ihm. Die Nacht war im Scheiden, als ich eintrat. Eine kühle Luft drang auf mich ein, als ich das Fenster öffnete, und verstärkte den Schauer, den der Mensch, wie die unbelebte Natur, in der Nähe der Beglückung empfindet. Desto willkommener war mir das warme Getränk, das man mir reichte. Noch dauerte es einige Pulsschläge, ehe die ersten Vorläufer des Tags den Himmel begrüßten. Einzelne Vögel zwitscherten ihnen entgegen. — Als aber der Saum des Horizonts sich mit einem Bande umzog, das mit Rubinen — armselige Vergleichung! — gestickt schien, bereiteten sich schon tausend singende Stimmen, blökende Kehlen, seufzende und betende Herzen, zu dem Einklange in den großen Choral, zur Zustimmung in den allgemeinen Dank vor; und als der erste kleine Bogen des Zirkels über den silbernen Wasserfall blinkte, und als er schon so feurige Strahlen ausspie, um dem geblendeten Auge für die folgenden Hinblicke bange zu machen, in denen er höher, immer brennender höher trat, und als sich nun zwischen dem Einschnitte des Gebirgs die ganze große flammende Rundung unaufhaltsam in das blaue Weltmeer des Aethers stürzte — da erwachte alles, da dankten, jauchzten, bebten ihr alle Organe der Schöpfung entgegen. Ein Kind weinte bey einem heftigen Schalle — Erstaunen läßt seine Augen trocknen. Der Mann von Gefühl staunt, empfindet und weint. Keine andere Sprache hatten wir jetzt, ich und mein Freund.

 

     Die Vergoldung des Thals war vollendet — vollendet in seiner ganzen Pracht. Lasurgrün umzitterte Blätter und Bäume, ihre Schäfte waren Gold, die Dächer sprühten Funken, die Fenster flimmerten, das Gewölbe über ihnen allen glühte, und meine Brust hob sich unter den Schlägen des überwältigten Herzens. Jetzt drangen von den Hügeln die Schalmeyen der Hirten in mein Ohr. Die Melodie ihres Baskischen Gesangs, die Andacht ihrer Morgenlieder ergriff mich, und ich theilte nun den Reichthum meiner von den myriadenfältigen Schönheiten überschwängerten Blicke, und warf, so viele ich deren von den Gegenständen meiner Bewunderung loszureißen  vermochte, auf das freundschaftliche Wesen in mir, das jeden Thautropfen der äußern Sinne mit dürstendem Verlangen auffing, und zu einer Schnur für die Ewigkeit an einander reihte. Seines edlen Geschäftes bewußt, würde es jeden unächten Blendling, der ihm zugeflossen wäre, erkannt und verachtend weit von sich geworfen haben — den Stolz mit allen seinen Kronen und Zeptern, den Neid, den Menschenhaß und die Rachsucht. — Die Schmeicheleyen der Wollust glitten von ihm ab, wie Fliegen von einer polirten Stuhlfläche. Ohne Gehör für die Stimme der Sirenen, ohne Augen für ihre Reitze, ohne Gefühl für den Druck ihrer Hände, beantwortete es ihre zugeworfenen Küsse mit Ekel. Zu reich für das Almosen verrufener Münze, zu große für gemeine Freuden, schwamm es in reinem Schwanengefieder weit von der schlammigen Erde, leicht, vertrauend und froh, dem Throne der Unerforschlichen zu. Seine Empfindungen waren Gebete, und der Drang seiner Wünsche war, sich mitzutheilen und wohlzuthun.

 

     O du holder Vertrauter meines heutigen Entzückens, schöner, schlanker, süß träumender Genius, den der Zufall mit einer irdischen Hülle bekleidet hat, die seiner nicht werth ist, könntest du erscheinen, wie ich dich ahnde, und einst die Unsterblichkeit dich ausmalen und ausstellen wird; der Tyrann würd abstehen, sein Schwert, die Verleumdung, den Dolch ihrer Zunge gegen dich zu wetzen — der Geitz würde dir seine Schätze anbieten, und der Fürstenstolz selbst vor deiner Hoheit sich bücken. Möge nie ein stinkender Nebel aus den Sümpfen der Welt mir die Würde deiner Schönheit verstecken, nie ein unreiner Hauch deine himmlische Klarheit verunkeln, und jede Perle, die du in dem Oceane der verflossenen Stunde geschöpft hast, sich in dem Hauptschmucke deiner Ewigkeit wiederfinden!

 

     Wenn Schwärmerey Vergebung verdient, so ist es die für die Tugend, und an einem so heilig romantischen Morgen, als mein heutiger war. Ach das häßliche Toulon! Der Wagen meines Freundes hielt am Ende seines Parks. Seine Rosse schnauften und stampften und wieherten im Gefühl ihres Muths. Und ich mußte dich verlassen, Thal der Unschuld und Freude, dich, Sonne über ihm? — Ach mir war, als könne nur Finsterniß hinter den Bergen liegen. Ich blickte noch einmal wonnetrunken in ihr heiliges Antlitz, und breitete meine Arme aus, als wollte ich den ganzen Weltkreis an mein liebendes Herz drücken — ich blickte noch einmal zu ihr hinauf, und unwillkürlicht entschwebte der harmonische Ausruf meinen Lippen:

 

     Staub, der, zu Gott emporgedrungen,

     Am Fußtritt seines Thrones glimmt!

 

und so so bot ich meinem freundlichen Geleiter die Hand, stieg hastigen Schritts aus seinem Tempel, durch den Park, in den Phaeton. Hier faßte er stillschweigend die Zügel, überließ mich ungestört der obern Region, und sorgte nur, daß wir in der untern nicht aus dem Gleise kämen. Indem wir über den Steinweg flogen, ergriff ich meine Harfe, und stimmte mit allen Saiten in den Psalm ein, der seit den zwo Noten, mit denen ich anschlug, in mir forttönte. — Jetzt waren die Beweise meiner Genesung vollständig; die Natur hatte den letzten beygebracht, denn sie hatte mein Dichtergefühl wieder erweckt. Mein Herz schwoll, meine dunklen Empfindungen bildeten sich zu harmonischen Worten, ätherisches Feuer erhellte den Blick, den ich dankend gen Himmel schlug, eine singende Lerche stieg und funkelte mit ihm zugleich in die Höhe, und mein Lied begann.

 

Staub, der, zu Gott empor gedrungen,

Am Fußtritt seines Thrones glimmt,

Ziel meines Psalms, im Chor gesungen,

     Das jubelnd, dich umschlungen,

     In deinem Aether schwimmt!

 

Seit du, der leeren Nacht entsunken,

Dein stolzes Licht von Ihm geholt,

Sah es in dem Gewühl der Funken,

     Die durch den Luftraum prunken,

     Schon manchen Stern verkohlt.

 

Nur deinem Urgestirn veraltet

Kein Reitz! Mit gleicher Kraft beflammt,

Treibt es sein großes Rad, entfaltet

     Die Zeiten, und verwaltet,

     Wie sonst, sein Mittleramt.

 

Und lenken aller Erden Psalmen

Gleich nicht den Ausfluß seines Strahls,

Doch überkleidest du die Palmen

     Des Athos, wie die Halmen

     Des rauhsten Schweizerthals!

 

Hat nicht ein Geist, aus dir geboren,

Der Liebe Freudenquell gewürzt,

Der aus den Urnen aller Horen,

     Vertheilt, doch unverloren

     In alles Wesen stürzt?

 

Juwel in des Erschaffers Kranze,

Und erstes Wunder seines Hauchs,

Du leitest, schmückst, vereinst das Ganze —

     Eins fehlt nur deinem Glanze —

     Bewußtsein des Gebrauchs.

 

So viel dir Kraft ward, doch entquellen

Dir Triebe nie, die, warm und rein,

Die Brust des edlen Mannes schwellen,

     Freund seiner Mitgesellen

     Am Bau der Welt zu seyn.

 

Du stehst im größten Wirkungskreise,

Als Sklave, der im Joche prangt —

Beherrscher seiner kurzen Reise

     Durchs Leben, dringt der Weise,

     Wohin sein Herz gelangt.

 

Er wägt sein Daseyn nur nach Thaten,

Nach Pfunden, die sein Geist erringt,

Froh, wenn der Hoffnung seiner Saaten

     Auch nur ein Keim gerathen,

     Der in die Zukunft dringt.

 

Sey größer noch! Um deine Würde

Vertauscht, selbst auf dem Weg ins Grab,

Der Staubbewohner einer Hürde

     Nicht seines Lebens Bürde,

     Nicht seinen Wanderstab.

 

Denn bald zu höhern Geistesproben

Entrückt den Prüfungen der Zeit,

Schwingt ihn die Hand, die dich erhoben,

     Von diesem niedern Globen

     In die Unsterblichkeit.

 

Durch diesen heitern Blick ins Freye

Verliert im Nebel meiner Bahn

Sich keine Stunde mir — ich weihe

     Dem Ausgang sie, und reihe

     Sie meiner Zukunft an;

 

Daß, wenn ich einst zu höhern Spähren

Aus deinem Lichtweg übergeh´,

Der Fruchtstaub vieler guter Aehren

     Noch in dem Thal der Zähren

     Um meinen Hügel weh´.

 

 

*  *  *

 

 

Als meine Harfe verklungen war, und mein begeisterter Blick aus seiner Höhe zurück auf die Erde fiel, hätte ich gern meine abgestimmten Saiten aufs neue gespannt, wäre ich nicht zu erschöpft gewesen, um mich mit Hülfe ihrer Harmonie eben so vogelleicht über den rauhen Weg zu schwingen, der in einem Zusammenhange von Felsenstücken und Bergklüften vor mir lag, als sie mich unvermerkt über seine erste Hälfte gebracht hatte. Es ärgerte mich, daß mein Führer das stolze Gefühl meiner Schwungkraft durch eine Bemerkung zu necken suchte, die ziemlich spöttisch heraus kam. — Ich sehe dir an,“ sagte er, „daß du mit deinem Ausfluge in das Reich der Ideen nicht übel zufrieden bist. Ich wünsche dir Glück dazu: nur dünkt mir, du hättest besser gethan, ihn auf den schicklichern Zeitpunkt aufzuschieben, in den wir jetzt eintreten. Erst hier, wo leider der Weg äußerst schlecht zu werden anfängt, hätte auch deine Verzückung anheben sollen. Hier würdest du so vie dabey gewinnen, als du auf dem eben zurück gelegten dadurch verloren hast. Ich kann dir, da ich dich jetzt nicht störe, wohl sagen, daß es einer der angenehmsten ist, den ich kenne, ist nicht nur die ungleich bessere Hälfte des Ganzen, sondern an romantischen Aussichten und lachenden Gegenständen fast so reich, als das Thal meiner Bastide. Alle diese freundlichen Winke der Natur sind dir, während deiner Unterhaltung mit der Sonne, entschlüpft. — Es ist,“ fuhr er mit einem philosophischen Seitenblicke fort, „nur zu oft der Fall bey euch sublimen Leuten, daß ihr eure geistigen und leiblichen Gelüste nicht haushälterisch genug gegen einander abzuwägen und nach dem jedesmaligen Stundenbedürfnisse zu vertheilen versteht. Ein gen Himmel geschlagenes Auge nimmt offenbar eine falsche Richtung, wenn fröhliche Kinder, farbige Blumen unter ihm spielen und sprossen, oder menschliches Elend um seinen theilnehmenden Blick bettelt. So lange Milton noch sehen konnte, überließ er sich allen sinnlichen Freuden des irdischen Paradieses seiner Heimath, und dachte nicht eher daran, sich eins zu dichten und seinen Verlust zu besingen, als bis ihm seine Blindheit keinen andern Zeitvertreib zuließ. Auch euer Kleist, wie mir seine Freunde erzählt haben, saugte mit thierischem Wohlbehagen jeden Balsamtropfen des Frühlings ein, so lange er dauerte. Erst in den rauhen Wintertagen wiederkäute und malte er ihn. Die Dichtkunst, wie jede Schwelgerey des Geistes, sollte dem Weltbürger zu keiner andern, als zur Zeit der Entbehrung, unter dem Drucke des Müßiggangs, oder wenn sonst irgend ein Zufall seine äußern Sinne gelähmt hat, zur Krücke dienen.“ — Bey meiner dichterischen Erhitzung, die mir noch im Blute lag, mußte mich ein so kalter gemeiner Ausdruck nothwendig verschnupfen: doch fehlte mir in diesem Augenblicke die Stimme, nur ein Wort dagegen vorzubringen; so sehr wurde ich durch einen jähen Abgrund erschreckt, an dem wir nahe vorbey schwebten. Ich schmiegte mich, so lange dieser furchtbare Anblick dauerte, mit klopfendem Herzen an den Marquis, und erst als wir hinter Aubogne in einen Hohlweg lenkten, kam ich wider zur Sprache. — „Du hast mich mit deiner vorigen Aeußerung,“ wendete ich mich nun zu ihm, „ganz in Erstaunen gesetzt, lieber Saint=Sauveur, weil ich sie dir am wenigsten zutraute. Ich habe immer die Entwicklung großer Gedanken durch Philosophie oder Dichtkunst, jedes Nachspüren unserer feinen Empfindungen, jenes Brüten über uns selbst, und alles, was du Krücken des Müßiggangs zu nennen beliebst, für die nützlichste Beschäftigung, für die edelste Bestimmung des Menschen gehalten; und ich kann meine wichtigen Zweifel gegen deine Behauptung = = = — „Nicht leicht,“ fiel mir der Marquis in das Wort, „unter einem stärkern Widerspruch von Umständen vortragen, als so kurz nach dem Schrecken, den du gehabt hast. Müßig und dem Schicksale überlassen, wie du neben mir da sitzest und zitterst, was könnte ich dir besseres für deine Beruhigung empfehlen, als eben die Krücke, die auf jenem gebahnten Wege dir ganz entbehrlich war? Wie hinderlich hingegen müßte sie nicht einem in Thätigkeit gesetzten Manne werden, der, wie ich zum Beyspiele, unvernünftige Geschöpfe vor sich, ihr Lenkseil in Händen, einer Menge Gefahren auszuweichen, mit Einem Worte, statt in dem Empireo, auf der Erde zu thun hat!“ — „Du hast vollkommen Recht,“ antwortete ich unter Zittern und Beben; denn in der Hitze des Streits — wie dankte ich Gott, daß er in einem Hohlwege vorfiel! — hob und schwenkte mein Opponent seine Peitsche. Es war nur ein Luftstreich, eine von den unwillkürlichen Bewegungen, die wohl einem Redner entwischen können, der Eindruck zu machen sucht: aber selbst mit dem scharfsinnigsten Vorbedachte würde er schwerlich vermocht haben, zur Unterstützung seines Satzes einen kräftigern Beweis aufzutreiben, als diesen Hieb in den Wind; denn seine vier Schweißfüchse verstanden diese Redefigur unrecht, bäumten sich, schlugen über die Stränge, und wollten sich lange nicht besänftigen lassen. Ich verlangte es weiter nicht bewiesen zu haben, daß Philosophen so gut wie Dichter bedenkliche Führer, und in Vorfällen des täglichen Lebens nicht halb so viel werth sind, als ein besonnener Mann. Aber — mein Gott — dachte ich so vor mich hin — warum fährt doch der liebe Marquis selber, und läßt seinen Kutscher hintenauf stehen, der doch sicherlich den Müßiggang nicht zu benutzen weiß, den er ihm läßt?

 

     Unter diesem Selbstgespräche, das ich so oft wiederholte, als der Wagen schief ging, erkletterten wir endlich die Höhe eines steilen Berges, von der sogleich unser leichtes Fuhrwerk über Stock und Stein in den Kessel einer rußigen Stadt rollte, die man Ollioules nennt. Hier, wo wir einige Stunden anhielten, nahm ich die Gelegenheit wahr, mich heimlich von dem Marquis weg in den Stall zu meinem Landsmanne zu stehlen — nicht so wohl um sein Deutsch, als seine Meinung über die Statthaftigkeit meiner Besorgniß an der Seite meines vornehmen Führers zu hören. Nachdem er meine freundliche Ansprache höflich beantwortet, mir seine Pferde von den Zähnen an bis zum Schweife, wortreich wie ein Roßtäuscher, gerühmt, und mir im Verfolg seiner Dienstgeschäfte alle die Waren nach ihren verschiedenen Benennungen an den Fingern hergezählt hatte, die außer dem Phaeton noch unter seinen Hauptschlüssel ständen, dachte ich, ich müßte mich doch auch zeigen. Ich fing also damit an, meinem Schulfreunde Ovid die Trauergeschichte des jungen Waghalses, der unserm heutigen Fuhrwerke den Namen gegeben, sehr gelehrt nachzuerzählen, und so kam ich denn ganz natürlich, wie du selbst siehst, auf den Hauptknoten. — „Ich bin zwar nicht furchtsam,“ sagte ich, „doch muß ich gestehen, daß ich mich sehr ungern von jemandem fahren lasse, dessen Beruf es nicht ist. Es bleibt immer, zumal bey schlechtem Wege, ein Wagstück.“ — „Das läßt Sie Gott reden,“ versetzte der Thüringer und klopfte mich auf die Achsel. „Was deines Amts nicht ist, sagt das Sprichwort, laß deinen Vorwitz. Wer denkt, daß ich Gefallen an so einer Fahrerey habe, betrügt sich. Es geht einem ehrlichen Kutscher, der das Seinige gelernt hat, bitter ein, wenn er von hinten her zusehen soll, wie vorn alles der Kreuz und Quere geht. Die Regierungskunst — in dem Sinne, wie ichs nehme — fliegt niemanden an, er mag so vornehm seyn als er will. Er muß sie aus dem Fundamente gelernt, muß den Blick frey, Ehre im Leibe, Augen im Kopfe haben, und ein handfester Kerl seyn. Ich sage immer: Der Stein weicht nicht aus, du mußt ihm ausweichen, und wer sich in die Gefahr begiebt, der kommt darin um. Mit meinem gnädigen Herrn wagt man zwar weniger als mit andern seines Gleichen. Er versteht sich so ziemlich auf die Pferde, und, sehen Sie, ich spanne ihm keins vor, das nicht auf den Wink gehorcht; und so geht es denn tolle genug, so lange er nur nicht mit der Peitsche vagirt, wie vorhin; denn das können nun einmal meine Füchse nicht leiden. Da war ich aber, noch als ein junger Kerl, in Franken, bey einem — Gott vergebe mir die Sünde! — fürstlichen Marstall angestellt. Die Gespanne waren gut und brav, das muß ich sagen, und der Kutscher = = = doch Eigenlob stinkt. Mein damaliger Herr aber glaubte in seinem Dunkel, das Handwerk, das mir manchen sauern Schweißtropfen gekostet hatte, wäre ihm angeboren,  und verstand doch, wenn ich hinten auf der verteufelten Perutsche stand, nicht einmal meinen Zuruf. Es war zum Wälzen. Nicht zehn Schritte konnte er fahren, so waren auch schon die Zügel verwickelt. Nun verlor er den Kopf — nun legte er sie, statt mir das Wort zu gönnen, in die Hände seiner Frau Gemahlin, die ihm nie von der Seite wich. Die wirrte sie nun, das Gott erbarm, so aus einander, daß mir grün und gehl vor den Augen ward; denn nun wußte gewiß weder das Handpferd noch das Sattelpferd, welchen Strang es anziehen sollte, und doch sollte unser eins Acht geben, daß die Räder im Gleise blieben. Der Teufel hätte das gekonnt und ich nicht! Wenn ich Hott schrie, lenkten sie wüste. Rief ich: Vorgesehen Ihre Durchlaucht, es kommt ein Graben! so waren die Vorderpferde schon drin; denn es ging rasch, müssen Sie wissen. Blieben nun die gnädigstn Herrschaften mit der Axe hängen oder kippten um, so gaben sie es nicht ihrer Ungeschicklichkeit, — mit allem Respekt gesprochen — sondern lieber dem Kutscher und den Pferden Schuld, zogen jenem an Lohn, diesen an Hafer ab, weil der eine zu dumm, die andern zu muthig wären. Wie das ewige Umwerfen endlich dem Wagen bekam, das können Sie Sich vorstellen. Alles ward morsch, brach, und zerriß. Nun trommelte man Sattler und Wagner, die nicht bezahlt wurden, zusammen, um das Zerbrochene zu flicken und das Geflickte zu lakiren. Deswegen hielt es nicht eine Minute länger, als Wurm und Rost wollten. Um es kurz zu machen, da das hohe Brautpaar, trotz der täglichen Erfahrung, sich weder rathen noch warnen ließ, und ich mich vor den fremden Kutschern, die von dieser Stallwirthschaft hörten, und davon einige mit mir zugleich in der Lehre gestanden hatten, zu schämen anfing, legte ich eines schönen Morgens meine Striegel und Peitsche vor das Schloßthor, machte mich mit meinem Schnurrbart aus dem Staube, und, so viel ich weiß, liegt Perutsche und Staatswagen noch heutigen Tags in der Reparatur. Wie es mir nachher erging, ist auch drollig. — Das lassen Sie Sich noch erzählen = = = — „Auf ein andermal,“ unterbrach ich ungern den treuherzigen Schwätzer; aber ich durfte mich doch länger nicht vor meinem Freunde versteckt halten, der schon ein paarmal nach mir gerufen hatte.

 

     Er erwartete mich an einer runden Tafel, die, mit einem Schinken zwischen zwey Weingläsern besetzt, wie ein Still=leben von de Herem aussah. Der Hunger würzte indeß die mäßige Kost, und ich setzte mich eine Stunde nachher gesättigt und um vieles beruhigter zu meinem Führer in den Phaeton. Der Kutscher war mein Freund geworden, die Pferde waren erfrischt, und gegen den Weg war nichts einzuwenden. Sobald wir auf die Höhe kamen, sah ich Toulon mit seinen Thürmen und Wällen hinter einem Haine von Oelbäumen hervor schimmern. Die Straße zog sich, wie der Gang in einem Englischen Garten, sanft durch ihre Beschattung hindurch, die Strahlen der Sonne brachen sich an ihren Zweigen, und die schönen Aussichten nahmen an Mannigfaltigkeit, wie mein Herz an Frohsinn, zu, je näher wir der Stadt kamen. Desto mehr befremdete mich die Stille des Marquis, und der Ernst, den ich auf seinem sonst so heitern Gesichte bemerkte, und ich weiß mir es auch jetzt noch durch nichts zu erklären, als durch die mir unbekannten Geschäfte, die ihn nöthigten, sein schönes Thal diesen Morgen, und diesen Abend seinen Freund mit dem Rücken anzusehen; denn sobald wir in dem silbernen Anker abgestiegen waren, kleidete er sich nur um, übergab mich dem Wirthe, und ließ mich in einer großen Stube allein.

 

     Ob wohl, dachte ich, indem er sich eiligst mit dem Wunsche einer guten Nacht von mir entfernte, die Langeweile, in der er dich da in einem fremden Hause sitzen läßt, auch zu deiner Nachcur gehö­ren soll? und that durch den Sinn dieser Frage wohl niemanden mehr Unrecht als mir selbst. Bin ich denn nicht Philosoph? bin ich nicht Dichter? empfindsam im höchsten Grade, und mir selbst Gesellschaf­ters genug? Das kann vielleicht wahr, diese Hülfsmittel können auch vortrefflich seyn, davon ist die Rede nicht; nur kann man sie, wie ich das heute schon einmal erfahren habe, meistens nicht so ge­schwind herbey schaffen, als man ihrer benöthigt ist. Was aber ein Deutscher zu allen Zeiten bey der Hand hat, ist die fruchtbare Mut­ter so vieler Raritäten und Sammlungen, ist die Neigung der Seele, die man Liebhaberey nennt. Wenn er diese zu befriedigen Gelegenheit findet, ist er an jedem Orte geborgen. Sie macht in unserm National-Charakter unstreitig einen Hauptzug aus, der, ob er schon den cultivirten Classen anderer Völker nicht ganz fehlt, doch bey ihnen ungleich oberflächlicher, und lange nicht so ausgebreitet ist als bey uns. Wer kann die Spur dieses Naturtriebes in unsern Cabi­netten und Bibliotheken verkennen? Ohne bloß bey dem ersten End­zwecke der Anhäufung litterarischer und artistischer Schätze stehen zu bleiben, hat der Deutsche gewiß immer noch ein Lieblingsfach nebenbey. Hier ist das gemeine Nützliche oft den unbrauchbarsten Dingen untergeordnet, sobald sie nur ein Zeichen des idealischen Werths an sich tragen, den ihnen der Sammler beylegt. Daher sucht der eine vorzüglich alte Drucke, der andere nicht sowohl Meisterstücke des Grabstichels, als Blätter, die sich manchmal nur dadurch rar gemacht haben, weil sie bey ihrer ersten Erscheinung nicht ge­achtet oder zu Pfefferdüten verbraucht wurden. Wird nicht oft das Bildniß eines Feldherrn, Arztes und Fürsten, das sich aus angeführter Ursache verlor, theuer bezahlt, als sein ganzer Nachruhm werth ist, nicht des schönen Stichs, sondern der Vollständigkeit der Sammlung wegen, in der es eine Lücke ausfüllen soll? Nur ein Deutscher kann auf den Einfall kommen, Bibliothecam Donquichottianam anzulegen, und mit der mühseligsten und kostbarsten Beharrlichkeit die Bücher, die der Autor des Romans dem Museo seines Ritters andichtete, wirklich in ein Cabinet zu vereinigen. Nur die Festigkeit, Geduld und Zeit eines Deutschen konnte hinreichen, den umfassenden Plan auszuführen, nicht allein ein grundgelehrtes neun Bändes starkes Werk eigenhändig zu schreiben, und ihm zu Gefallen eine eigene Druckerey in seinem Hause zu errichtten, sondern, um es sogleich zu dem seltensten aller Bücher und Druckschriften zu erheben, der Zeit durch den listigen Ausweg zuvorzukommen, daß er nur ein einziges Exemplar davon abziehen ließ. *)

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*) Calendarium Romano-Germanicum medii aevi. etc. Adornavit Anton Ulric ab Eralh — Exemplar unicum, partim prelo subjectum, partim libera manu successive impressum etc. in IX. Tomos. Dillenburgi 1761.

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Ich will zwar nicht läugnen, daß dieser schöne heimische Aufbewahrungs= und Erhaltungstrieb, wenn er nicht auf ein festes Gehirn trifft, leicht in die fixe Idee eines Wahnsinnigen ausarten kann; aber genug, er mag sich zeigen wie er will, daß er da ist, das Herz seines Besitzers füllt und erwärmt, und ihn, wie die Tugend, auf allen seinen Wegen begleitet. Sein Städtchen ist so klein, das nicht mehr als Einen Spießbürger einschließt, der mit dem Scharfblick einer Spinne auf Beute lauert, die in das Gewebe seiner Liebhaberey taugt, und du wirst selten ein Putzzimmer wohlhabender Handwerker ohne eine Glas= und Raritätenschrank antreffen, auf dem Platze, wo in andern Ländern ein Schlafstuhl oder sonst ein brauchbares Möbel steht. Wer an Münz= Muschel= und Steincabinetten keine Freude findet, setzt an ihre Stelle Sammlungen von Pfeifenköpfen, Siegeln, Visittenbillets, oder Bußtexten. Ich will keiner — sie mag bestehen aus was sie will — ihren Nutzen absprechen; aber du kennst die meinige, Eduard, und ich frage dich auf dein Gewissen, ob es wohl viele giebt, die ihr an Merkwürdigkeit gleich kommen? Jedes einzelne Stück derselben ist ein Exemplar unicum, ein Autographum, und um so viel mehr der Aufbewahrung werth, weil es oft die opera omnia eines berühmten Man­nes, oder doch eine momentane Empfindung desselben, authentisch und diplomatisch darlegt, und zuweilen selbst wichtige historische Zweifel auflöst. Daß mir eine solche Collection am Herzen liegt, ist mir wohl nicht zu verdenken.

 

     Als ich in Berlin zum Thore hinaus fuhr, schwebte mir, Gott weiß, kein anderes Bild lebhafter vor der Seele als sie, und von allen den seltenen Gegenständen, mit denen ich hoffte, auf meiner Reise be­kannt zu werden, waren es die beschriebenen Fensterscheiben, die mir am meisten in die Augen blinkten. Auch du, mein guter Eduard — um es nur ehrlich zu bekennen — würdest nicht so leichtes Spiel gehabt haben, mich aus meiner hypochondrischen Lage zu bringen, wenn nicht ins geheim meine Liebhaberey deine beredten Vorstel­lungen unterstützt hätte. So wenig ein junger Botanist ohne die Ah­nung, unbekannte Pflanzen mit nach Hause zu bringen, sich in Wild­nisse wagen würde, die oft kein menschlicher Fuß noch betreten hat, so wenig würde auch ich, ohne die höhste Wahrscheinlichkeit, meine Sammlung sehr ansehnlich zu bereichern, von der Stelle gewichen seyn. Jetzt kann ichs sagen, da meine heimlichen Wünsche über al­le Erwartung gelungen sind.

 

     Um nur bey meinem heutigen glücklichen Fund stehen zu blei­ben, so war ich noch keine zwo Minuten allein in der Stube, als meine spionirenden Blicke ihren Gang und die Urkunden der Fensterschei­ben in Untersuchung nahmen. Ich mußte erst eine Menge unbedeu­tender Maximen, elender oder schmutziger und mit einem Demant in das Glas eingegrabener Verse durchlaufen, ehe ich in dem weh­müthigen Eheu fugaces, Postume, Postume des Horaz auf Worte traf, die mich fest hielten. Was mir aber die Scheibe erst lieb und meiner Sammlung würdig machte, war die Unterschrift. Sie erregte alle mei­ne Empfänglichkeit, zauberte mich in vergangene glückliche Zeiten und in den Zirkel meiner würdigsten Freunde. Johann George Sul­zer stand darunter, Toulon d. 31. October 1775. — Meine Augen feuchteten sich an, als sie diesen geliebten Namen, diese bekannte Handschrift eines verlornen Freundes erblickten, und ihnen, mit der Uebersicht des bemerkten Jahres und Tages, zugleich die folgenden wenigen vorschwebten, die, wie ein kleiner ermüdeter Nachtrupp, hinter den schnell voraus gelaufenen herschlichen. — „Guter Mensch!“ stand ich vor diesem zerbrechlichen Monumente, drück­te mir gerührt meine eigenen Hände, und seufzte: „Ach du glaub­test damals noch nicht deine Forderungen an das Leben schon so weit abgetragen und den Abschluß deiner Rechnung so nahe; ob du gleich mit dem bangen Vorgefühl eines Zwiefalters, der, durch die Annäherung seiner Verwandlung gedrückt, noch einmal seine schlaf­fen verschlossenen Flügel in den Sonnenstrahlen auszudehnen ver­sucht, dem warmen Aether dieses Landes zuschwebtest. — Aber wel­che Luft ist balsamisch genug, den durch den Wurm des Todes be­nagten Lebenskeim wieder in Saft zu setzen! — O wer hätte dir nicht gern noch länger den Genuß des königlichen Geschenks deiner kleinen Spreeinsel gegönnt, in deren duftendem Bezirke dir deine und der Natur Freunde so willkommen warn, und wo du — indem meine frohe Erinnerung seine freundlichen Anlagen durchstrich — unter den Gesträuchen des Auslandes nur nicht den Giftbaum hättest aufnehmen sollen, der sich über Gebühr ausbreitete, und so weit um sich wurzelte, daß deine geheime Sorge vor Unglück mit jedem Frühlinge zunahm! Ich sehe dich noch, mit welcher ängstlichen Güte du die unerfahrnen Kleinen abwehrtest, wenn sie unter den Schatten seiner glänzenden Blätter ihren Spielplatz suchten. Aber du, ehrlicher Schweizer, hattest ihn in der Unbefangenheit eines Naturforschers, in der Herzenseinfalt gepflanzt, mit welcher der gutmüthige Träumer Lafontaine seine schlüpfrigen Erzählungen und — wie weit können uns nicht unsre zufälligen Gedanken verschlagen! — und ich noch im vergangenen Monate mein Tagebuch schrieb. Gott sey Dank, daß die gefährlichen Auswüchse desselben in der Asche liegen! Doch ich muß mich von dir los reißen, liebe Scheibe, damit ich nicht die Zeit verschwatze, die mir zum Austrocknen einer bessern Lebenspflanze in meinem heutigen Tage für das Herbarium vivum meines Eduards nöthig ist — und damit du auch nicht mich zu einer so moralischen Betrachtung verleitest, als die von Swift über einen Besenstiel.“ — Ich rufte jetzt nur noch den Wirth her­ein, und fragte ihn, ob er sich wohl des Mannes noch erinnere, der jenen Tag dieses Zimmer bewohnt habe. — „Warten Sie einen Au­genblick,“ antwortete er, „ich darf nur mein Contobuch nachschla­gen. — Hier habe ich das Blatt. Ach mein Herr! von diesem flüchti­gen Passagier läßt sich nicht viel sagen. Es ist nicht der Mühe werth, was er in den paar Stunden verzehrt hat, die er hier war. Ich habe von seinem Gekritzel auf meiner Glastafel nichts gemerkt, sonst hätte ich sie ihm gewiß angerechnet: denn Sie müssen wissen, daß ich allen den schreibsüchtigen Herren, die, um ihren Namen glänzen zu sehen, meine Scheiben verdunkeln, eine verhältnismäßige Abga­be für künftige neue mit in Rechnung bringe.“ — „Das finde ich nicht mehr als billig,“ antwortete ich; „und damit Sie auf keine Weise zu kurz kommen, übernehme ich den schuldig gebliebenen Beytrag meines Landsmannes und das verdorbene Glas für ein neues auf mei­ne Kosten.“ — Der Wirth — klug wie ein Professor — da er an der angefüllten Scheibe nichts mehr gewinnen konnte, war froh eine ta­bula rasa an ihrer Stelle zu sehen. Ich war es nicht weniger; und da kein Handwerker geschwinder zu haben ist als ein Glaser, so sah ich mich schon nach zehn Minuten im Besitz des ganzen Namenre­gisters, aus welchem gemeinen Wuste ich die Handschrift unsers Freundes, in Form eines Oktavblatts, behutsam heraus schneiden ließ. Es ist die vierhundert und ein und dreyßigste Nummer meiner Sammlung, die neune mitgerechnet, die ich —  — da sehe man nur! Ich möchte mich aufs Maul schlagen — die ich dir verheimlichen wollte, bis ich sie zu meinen herbey strömenden Freunden — dich, als den neugierigsten, an ihrer Spitze — zur Schau vorlegen, und mich mit eigenen leiblichen Augen an euer aller Erstaunen ergetzen könnte. Ist denn aber ein Mensch, der von den Gegenständen seiner Liebhaberey spricht, Herr seiner Worte? Was kann ich nun thun als fortplaudern? Du würdest es sonst gewaltig übel, oder ich müßte ei­nen andern Bogen und mich besser in Acht nehmen. Beydes wäre der Mühe nicht werth. Erfahre denn meinetwegen die ganze weit­läuftige Geschichte.

 

*  *  *

 

     Ich war, als ich durch Paris ging, noch keine Stunde daselbst, als der Wirth de quatre nations es schon weg hatte, zu welcher ich ge­hörte, und seinen Zuschnitt darnach machte. Er fing von weitem an von dem Charakter und Kunsttriebe der Deutschen und ihren man­cherley Cabinetten zu sprechen, und da ließ ich mich denn nicht lange bitten, ihm das meinige zu beschreiben, hatte aber Mühe, ihm zu­vor den Einfluß meiner gläsernen Urkunden auf Politik, Historie, Chronologie und Kenntniß des menschlichen Herzens begreiflich zu machen, ehe er den Nutzen einer solchen Sammlung einsah. Mit seiner Ueberzeugung erwachte auch der Französische Diensteifer. Nachdenkend nahm er eine Prise Tabak um die andere, schlug dann die Dose mit dem Versprechen zu, sogleich Stube für Stube seine Fenster in Betrachtung zu ziehen. Es war nicht ganz umsonst. Der gute Mann brachte mir bald nachher die Handschriften dreyer merk­würdigen Reisenden, die vormals hier eingekehrt waren, auf eben so viel wohl erhaltenen Scheiben. Schade nur daß ich keine verste­he; denn, außer dem Namen eines Türkischen Gesandten auf der einen, enthält die andere, wie es mir vorkommt, das Russische Ein­mal Eins, oder sonst eine Rechnung von Peter dem Großen, und die dritte ein Motto aus den Hetären des Lucians von der Hand der Kö­nigin Christine. — Das war doch gewiß schon ein ganz artiger Er­folg meines Geplauders, aber für gar nichts gegen den Gewinn der folgenden Stunde zu rechnen; denn da trat der Wirth zum zweyten­male mit einem andern freundlichen Manne und den Worten in mein Zimmer: „Gestehen Sie, mein Herr, daß mein Schild mich nicht um­sonst auffordert, jeden Passagier nach seiner Landesart zu bedie­nen. Hier stelle ich Ihnen einen meiner Hausfreunde vor, dem eine Fundgrube für Ihr Cabinet offen steht, als sich wohl keine mehr so ergiebig in der Welt finden möchte; denn noch hat niemand gewagt, sich ihr mit seiner Wünschelruthe zu nähern, oder nur den Verstand gehabt, den Schatzgräber zu benutzen, der Ihnen hier seine Dienste anbietet“ — „Und wer, um Vergebung, ist dieser gütige Herr?“ fragte ich. — Beyde nahmen einander das Wort aus dem Munde: — „Der Glaser aus der Bastille.“ —

 

     Wie sehr gleicht doch der Eindruck unerwarteter Freude dem hef­tigsten Schrecken! Die Wichtigkeit dieser Bekanntschaft trat mir auf das anschaulichste vor die Seele; und ob mir wohl mein Vortheil im­merfort zuflüsterte, meine innern Bewegungen zu verbergen, so zit­terte ich doch an allen Gliedern, als er zu seiner Beglaubigung eine Schachtel hervor zog, und mir sechs kleine runde Scheiben in die Hand legte, die vor Alter in die Farben des Regenbogens spielten, und deren ich nicht viele von gleicher Seltenheit besitze. Ich hätte sie mir für keinen Preis entgehen lassen, und erhielt sie — ich schä­me mich es zu sagen, wie wohlfeil. Was aber diesem Handel erst die Krone aufsetzte und mich unendlich beglückt, ist ein Contract von den erstaunlichsten Folgen, den er auf die billigsten Bedingun­gen mit mir einging, unterschrieb und besiegelte. Ich habe schwer­lich je einen klügern abgeschlossen, den — wenn du willst — komischen Anstrich abgerechnet, den er unvermerkt von der guten Lau­ne annahm, mit der ich ihn zu Papier brachte; denn meine Zufriedenheit während dieser glücklichen Verhandlung war so aus­schweifend lebhaft, daß, wenn Heinrich der Vierte, als er Paris be­lagerte, den Commendanten der Bastille durch Bestechung gewon­nen hätte, die seinige nicht größer hätte seyn können. Und ist es denn zu verwundern? Ueberlege nur selbst, Eduard; der Mann, der den stillen Herzensergießungen so merkwürdiger Menschen, als wofür Staatsgefangene überall gelten, näher auf der Spur ist als kein an­drer — dem jeder geheime Wunsch, den diese Unglücklichen gebä­ren, und, gleich Findelkindern, auf diesen zerbrechlichen Fahrzeu­gen aussetzen, über lang oder kurz in die Hände läuft — der selbst, so oft er will, über diejenigen, die dem Strudel der Zeit entrannen, sein Strandrecht ausüben kann — dieser Mann, sage ich, steht bey mir als Cabinetsminister in Eid und Pflicht — ein Titel, den ich ihm in umgekehrten Verhältnisse gegen manche Fürsten, die ihn austhei­len, ernsthafter beylegte, als er ihn annahm. Wie der gemeinste Glaser, bedachte er nur bescheiden sein Handwerk; ich hingegen wür­digte ihn nach seinem gewaltigen Einflusse auf mein Cabinet, und konnte in dieser Beziehung ihn nicht genug ehren. Denn welch eine Ausbeute wird seine fleißige Hand nicht aus jenem bis jetzt unbe­nutzten Schachte der dort seit Jahrhunderten verhaltenen Klagestim­men zu Tage fördern! Welches Licht wird nicht mein glänzendes Mu­seum über jene politischen Todesgewölbe verbreiten! Nicht nur die armen Eingesperrten werden durch Wegräumung der alten verbli­chenen Glasscherben heller sehen, sondern auch unsre blinden Ge­schichtschreiber, die über den Seelenzustand eines Staatsverbrechers, über seine Empfindungen in der Einsamkeit des Gefängnisses, sel­ten so viel zu sagen wissen als solch eine Fensterscheibe. Wäre es in der Mitternachtsstunde, die mir über den Hals gekommen ist ich weiß nicht wie, für den Spaß nicht zu spät, einen Catalogue raison­né von diesen biographischen Bruchstücken zu fertigen, deren jedes sein eigenes Blatt verdient, so würdest du in den freyen, bittern und großen Gedanken, mit welchen hier ein Montmoranci, ein Retz, Ri­chelieu, Fouquet und Voltaire ihren gepreßten Herzen Luft schaff­ten, schon erstaunungswürdige Belege meiner Angabe finden. Und doch sind selbst diese Denkmähler der Vorzeit für nichts in Verglei­chung einer fast unglaublichen Urkunde zu achten, die in einer, wenn ich nicht irre, aus den Menechmen des Plautus genommenen Zeile das größte Geheimniß der vergangenen Zeit enthüllt, mit der Unter­schrift, statt des Namens, Vultus tyranni. Diese zwey mystischen Wor­te, dieser schlau gewählte Spruch des Dichters, zusammen gehalten mit der unbefangenen Aussage des Glasers, der diesen höchst merk­würdigen historischen Splitter aus dem Fenster eines seit hundert Jahren leer gelassenen Gefängnisses, in das ihm ein Schloßenwetter verhalf, genommen hat, verwandeln meine erstaunende Vermuthung in eine Gewißheit, vor der jeder Geschichtsforscher seine Knie beu­gen sollte. Sie zeigen unwidersprechlich, daß sie nur von einem ver­heimlichten Menschen, verstoßenen Bruder, vernichteten Fürsten, und von keinem andern als der Masque de fer herrühren können, und vermuth ich auf der Oberfläche der Erde der einzige Nachlaß dieses unbekannten Gefangenen sind. Was für Feste erwarten dich, Eduard, wenn ich diese Schätze einmal vor deinen Augen auspacken, wenn ich künftig bey jeder ankommenden Pariser Post deinen Bey­stand anrufen werde, die eingelaufenen Dokumente zu ordnen und zu schichten! Wie mag sich nicht schon ihr Ertrag während meiner Reise angehäuft haben, den meine, Gott gebe, glückliche Zurück­kunft sogleich flott machen wird! denn das war die letzte Verabre­dung mit meinem Minister. Seitdem ist kein Tag vergangen, wo ich nicht die Masse meines zunehmenden Reichthums mit kindischer Freude berechnet, mich nach dem Stapelorte, wo er anlanden wird, zurück gesehnt, und vor den schönen Mahagonischrank hingeträumt hätte, der ihn aufnehmen soll. — Allerliebst! Da verplaudere ich nun schon wieder einen Umstand, den ich dir bis jetzt höflich versteckt hielt — den wahren Grund nämlich meines Heimwehs. Keine Vor­würfe, lieber Eduard. Freundschaft und Patriotism haben viele an­ziehende Kräfte, aber — was wollen wir es läugnen? — Liebhabe­rey hat deren noch mehr.

 

     Als einen nothwendigen Nachsatz zu meiner Geschichte muß ich dir doch noch sagen, daß, sobald ich mich mit meiner Ueberlegung allein sah, ich die rechtliche Gültigkeit meines Tractats in genauere Untersuchung nahm, denn das fällt einem Sammler immer am letz­ten ein. Sie lief indessen ab wie ich wünschte. Mein Cabinetsmini­ster steht zwar bereits als Glaser in königlichen Pflichten: da ihm aber herkömmlich — ein Wort, das wohl ganz andere Abweichun­gen entschuldigt — alle und jede alte Scheiben ohne Ausnahme, so­bald er nur neue an deren Stelle einzieht, eigenthümlich zufallen; so dürfte sich wohl unter allen Dienern des Staats schwerlich Einer noch finden, der die Nebenvortheile seines Amts mit so gutem Ge­wissen rechtfertigen könnte als er; und da mir ohnehin diese Abfäl­le der Bastille mein bares Geld kosten, so ging ich damals so ruhig und zufrieden mit mir zu Bette — als heute.

 

 

*  *  *

 

 

Toulon.

 

 

den 20. Februar.

 

Das schauerhafteste Gemälde von Breugeln, dem Cabinetsmaler der Hölle, kann kein so auffallendes Gegenstück zu einem Claude­=Lorrain, dessen Pinsel in die Sonne getaucht scheint, abgeben, als mein heutiger Morgen zu meinem gestrigen. Saint-Sauveur, der, wie ich es erst dadurch erfuhr, als ein vertrauter Freund des Intendan­ten, bey ihm einkehrt, so oft er hierher kommt, trat früh in mein Zimmer, brachte mir eine Einladung von ihm für den Mittag, und, zu meinem Zeitvertreibe für den Morgen, seine schriftliche Erlaub­niß, das Arsenal zu besehen. Ich legte den Zettel neben mir auf das Coffeebret mit aller der Gleichgültigkeit, die ich für solchen militä­rischen Prunk habe, die aber dafür den Brigadier desto mehr ver­schnupfte. — „Ich sehe wohl,“ sagte er empfindlich, „du erkennst den Vorzug nicht, wie du solltest, den dir dieß Einlaßbillet vor so vielen tausend durchreisenden gelehrten Wanderern verschafft, die vergebens darnach angeln. Du mußt wissen, daß Herr von Saintaig­nan es selbst meinen Bitten nicht eher zugestand, als bis ich für dich gut sagte. Warum rümpfst du die Nase? Glaubst du etwa, daß unsere Zeughäuser so zugänglich sind, als unsere Theater und Kirchen? O nichts weniger. Dafür wirken sie aber auch mächtig auf unsere Ima­gination, wie alles Große, das sich versteckt hält, und der Glückli­che, dem es vergönnt wird sie in der Nähe zu bewundern, trägt für sein übriges Leben einen auszeichnenden Glanz davon.“ — „Du sprichst,“ erwiederte ich, „wie ein Soldat; ich aber denke wie ein Magister, der lieber während seiner Morgenbetrachtungen einer Li­queurbouteille in den Hals, sieht als einer Kanone, und ungern der leidigen Neugier einen Mundbissen von seinem Frühstück aufopfert“ — „Kürze es heute immer ein wenig ab,“ versetzte der Marquis, „und hebe auch, wenn ich dir rathen darf, deinen philosophischen Senf bis auf ein andermal auf. Die kritischen Betrachtungen eines Magi­sters über die Kriegskunst ändern den Lauf der Welt nicht um ein Haar breit; sie stören aber leicht den guten Humor. Davor mußt du dich aber heute besonders in Acht nehmen; denn die Tafel des Com­mendanten erwartet an dir einen muntern Gast, und das schöne Corps unserer Damen einen witzigen Gesellschafter. Hier ist Stock und Hut. Rühre dich, Wilhelm. Der lahme Gefreyte, den ich dir zu deiner Be­gleitung mitgebracht habe = = = — „Du also,“ unterbrach ich ihn, „hast keine Lust?“ — „Meine Geschäfte,“ zuckte er die Achseln, „wollen mir es nicht erlauben. Doch wirst du mich auch nicht ver­missen. Ich habe dir einen gesprächigen und pünktlichen Mann aus­gesucht, der selbst in dem Palaste wohnt, wo er dich einführen soll, der das weitläuftige Inventarium davon unter seiner Kreide und Auf­sicht, und für keine andern Merkwürdigkeiten der Welt einen Sinn hat. Ich wünschte nur, dein Verlangen sie zu sehen wäre so groß, als seine Freude sie dir zu zeigen.“ — Ich fühlte, ob ich meinen Beutel in der Tasche hätte. — „O nicht etwa,“ widerlegte der Marquis mei­nen Gedanken, „als sey es ihm um ein gutes Trinkgeld zu thun. Für einen so gewöhnlichen Cicerone darfst du deinen Führer nicht hal­ten. Viel zu stolz, neben der königlichen Pension von einem andern einen Groschen anzunehmen, plaudert er sich heiser, und schleppt sein gelähmtes Bein nach — ächt Französisch, bloß zur Ehre seines Monarchen, von dessen Bewunderung er voll ist. Ich will nicht zwei­feln, daß selbst ein Preuße dieses Gefühl mit ihm theilen kann, wenn er die Docke zum Schiffbau, den Waffensaal, die ungeheuern Vor­räthe in den Magazinen an Tauen, Ankern und Segeln, die Werk­stätte des Schreckens in voller Arbeit, das viele kostbare Geschütz und mehrere andere Wunder unsers Arsenals zu Gesicht bekommt. Es ist unmöglich, hier nicht von dem höchsten Erstaunen ergriffen und von der Größe eines Königs von Frankreich durchdrungen zu werden. Gönne immer deinem Begleiter dieß Schauspiel deines er­regten Enthusiasmus zur Belohnung für seine angestrengten Flech­sen. Ein Französischer Invalid verlangt keine andere. — Ach! ehe ich gehe, noch ein Wort von unserer morgenden Spazierfahrt nach Hieres. — Diese müssen wir einstellen. Wir sind zu einem Schmau­se am Bord der Vengeance gebeten, den die Seeofficiers zur Ein­weihung dieses neuen Kriegsschiffs veranstalten. Mich freut es, daß so manches Ungewöhnliche zusammen trifft, um dir den Aufenthalt in Toulon unvergeßlich zu machen — Lebe wohl!“ —  —

 

     Der liebe Brigadier! Ich verkenne zwar keinesweges seine guten Absichten; aber die Anordnung meines Zeitvertreibs versteht er nicht. Mir will nun einmal die große enthusiastische Ehrfurcht für einen Monarchen, wenn er sie mir nicht, wie unser Friedrich, auf eine feinere Art abzulocken weiß, als mit Kanonen und Schiffen, so we­nig in den Kopf, als mich witzige Einfälle reitzen, auf die man im voraus bey mir Bestellung macht. Und wie könnte ich mich vollends über den Verlust der Hierischen Gewürzinseln trösten, die mir ein Soldatengelag an einer schwankenden Schiffstafel, an die ich nicht denken darf ohne mich schon im voraus seekrank zu fühlen, so vor der Nase wegnimmt!

 

     Nach einem solchen grillenhaften Selbstgespräch war es wohl nicht zu erwarten, daß ich mich den Anmaßungen meines Führers gedul­dig preis geben würde. Auch trat ich ihm, um seinem prahlenden Gewäsche in Zeiten vorzubeugen, mit Worten entgegen, die zur er­sten Ansprache wohl etwas freundlicher hätten seyn dürfen. — „Hin­ken Sie nur ohne Bedenken und Complimente vor mir her, Herr Un­terofficier, und lassen Sie mir Ihre Merkwürdigkeiten jetzt unbe­schrieben. Ich bin für den Augenschein, und auch mit dem hat es keine Eile.“ — So trollte ich ihm mit meiner übeln Laune in den Hafen nach, der, im Vorbeygehen gesagt, sehr verschieden von dem reinen Wasserbecken zu Marseille, sich einer feinen Nase schon von weitem ankündigt. Wie mußte ich mein neugieriges Auge hüten, als wir dort ankamen, um nicht mehr als einen flüchtigen Blick seit­wärts zu thun, aus Furcht, die prachtvolle Facade des Arsenals möchte meinen Entschluß vereiteln, und mir die Lobrede abzwingen, auf die mein aufgeblasner Begleiter schon seine Ohren gespitzt hielt! Vielmehr drehte ich mich, wie ein eigensinniges Kind, gerade der Seite zu, die er am meisten bemüht war meiner Aufmerksamkeit zu entziehen. Daß doch ein vernünftiger Mann, ohne eben boshaft zu seyn, sich den albernen Spaß machen kann, den Stolz eines andern zu necken! — „Zu was,“ fragte ich mit verstellter Neugier, indem ich, statt seinen schlauen Winken zu gehorchen, den stinkenden Be­hälter der königlichen Galeeren ins Auge faßte, „zu was dienen denn die langen schmalen Schiffchen, die in diesem Sumpfe fest liegen?“ — „Zu Zuchthäusern für unsre Verbrecher,“ war seine kurze Ant­wort. — „Hat sie wohl Howard besucht?“ — „Kann seyn,“ erwiederte er, „ich weiß es nicht.“ — „Ich möchte wohl,“ äußerte ich, im Widerspruche mei­ner Neigung, den Wunsch, „mit Besichtigung ihrer den Anfang ma­chen!“ — „Das möchten Sie?“ spöttelte der Invalide. „Viel Glück zur sentimentalischen Reise! Mir aber werden Sie vergönnen nicht mitzugehen, sondern Ihre Zurückkunft dort zu erwarten, wo ich hingehöre.“ — Er kehrte mir nach dieser Erklärung den Rücken, und hinkte dem Portale des Zeughauses zu. Und ich? Gern hätte ich mein übereiltes Wort wieder zurück genommen; meine einfältige Laune stellte mir aber das Ding als eine Ehrensache vor, die ich gegen den Französischen Invaliden verfechten müßte, blieb in ihrer einmal ge­nommenen Richtung, und zog mich wider Willen mit sich fort bis in die nächste Galeere.

 

 

*  *  *

 

 

Ich habe zwar schon manche öffentliche Anstalten für das gemei­ne Beste gesehen, die wenig Raum einnahmen, aber noch keine, wo der Platz so benutzt und die Ersparniß alles Ueberflüssigen so sicht­bar war, als hier. Ein schwankendes Bret brachte mich zuerst in eine Kajütte, wo ein alter Kapuziner, zwischen einem Cruzifix und einer Arzeneyschachtel, die Rolle eines geistlichen und leiblichen Arztes zugleich spielte, und in seinen Bewegungen, ohne angekettet zu seyn, keinen größern Zirkel beschreiben konnte, als den ich jetzt durch meine Dazwischenkunft ausfüllte. Seine feurigen Augen, die aus dem blassen verfallenen Gesichte vorschimmerten, wie glimmende Koh­len in einem Aschenhaufen, sein langer, vor Alter gebleichter Bart, der ihm bis auf den Gürtel in krausen Wellen herab floß, und die trübe gefällige Miene, mit der er mir seinen hölzernen Sessel ein­räumte, machten schon einen starken Eindruck auf mein Gefühl: als ich aber von ihm vernahm, daß er, jung hierher versetzt, auf diesem Vereinigungspunkte der größten physischen und moralischen Her­abwürdigungen des Menschen grau geworden sey — als er einen Blick voll hoher Ergebung gen Himmel schlug, und mit rührender Stim­me bekannte, daß bloß der Gedanke an Gott und die Unsterblichkeit ihn so lange aufrecht erhalten habe; da beugte sich mein Geist mit so tiefer Ehrerbietung, als mir schwerlich je ein König durch den Höllenglanz seiner Zeughäuser abnöthigen wird, freywillig vor diesem edel denkenden, duldenden Greis. Ich wußte meiner Milzsucht, die mir doch allein das wehmüthige Vergnügen seiner Bekanntschaft verschafft hatte, nicht freundlich genug dafür zu danken. Von kei­ner Kanzel, keinem Katheder ist mir die wundervollste aller Tugen­den, die Tugend der Aufopferung, näher an das Herz gelegt wor­den, als an dieser mir heiligen Stäte. Das erhabene Beyspiel dieses frommen Dulders — wie groß und unverdächtig es auch seyn moch­te — wurde jedoch — o daß ich nur nicht zu voreilig entscheide! — von einem vielleicht einzigen übertroffen, dessen zu erwähnen ihm der Verfolg seines Gesprächs Gelegenheit gab. Er blickte mir sanft lächelnd in die feuchten Augen. — „Bemitleiden Sie mich nicht zu sehr,“ sagte er. „So lange mich noch jugendliche Wünsche be­stürmten, ich die Sonne noch nicht vergessen konnte, die mich in dem kleinen Klostergärtchen beschien, ich noch an den Lindenbaum dachte, den ich dort gepflanzt und gepflegt hatte, und der jetzt einen Glücklichern als mich beschattet — und ach, so lange sich noch mein Herz nach der Stille, der Ordnung und der Reinlichkeit“ — das, Eduard, sagte ein Kapuziner — „meines Klosters zurück sehnte, drängten sich freylich wohl manche Seufzer des Unmuths aus mei­ner Brust; doch nach und nach, Gott sey gelobt! bin ich meiner straf­baren Ungeduld Herr geworden. Die Zeit kam, die uns kühl genug macht, alle irdische Freuden so nichtig und verächtlich zu finden, als sie es in Rücksicht ihres geschwinden Vorübergehens sind. Die Zeit kam, wo wir unsre schmeichelhaftesten Hoffnungen, unsere ge­lungensten Thaten ungewiß anstaunen, und nach einer redlichen Un­tersuchung in denjenigen allein einen bleibenden Werth entdecken, die uns mit jener Welt in Verbindung setzen. Sie kam und brachte mir Trost. Ich habe sogar in meinem traurigen Wirkungskreise Blu­men der Freude aufwachsen sehen, die so herzstärkend keinem an­dern entsprießen. Oft nur ein Trunk Wassers, den ich einem Ver­schmachtenden reichte, ein kurzes Trostwort, das einen Verzweifeln­den aufhielt, erwarb mir das Zutrauen des Genesenen, die Liebe des Getrösteten, erhob mich zu ihrem Wohlthäter und machte mir den Posten lieb, auf den mich die Vorsehung gestellt hat. Gewiß würde das Entsetzen ihrer Strafe viele getödtet haben, die, dem Kreise ih­rer Freunde wieder gegeben, jetzt frohe Tage genießen, hätten sie nicht gewußt, daß am Eingange ihres Gefängnisses eine Seele noch Theilnahme für sie empfände, für sie betete, und auf ihr standhaftes Bezeigen Acht gäbe. Dort,“ — indem er auf ein Paket deutete „hebe ich Briefe auf, wie sie gewiß kein Roman rührender darlegen wird — ächte Urkunden des menschlichen Herzens, und sprechen­de Beweise, daß an keinem zu verzweifeln ist, so lange es der Dank­barkeit noch Zugang verstattet. Je unverdorbener, desto empfängli­cher für diesen Naturtrieb — je mehr es verdient geliebt zu werden, desto gefühlvoller wird es sich erwiedern. Da habe ich unter mei­nen der Kette entlassenen Correspondenten besonders Einen, der es immer noch nicht vergessen kann, daß ich um seine Freundschaft als um ein Almosen bettelte, während er, nicht auf einer Prälaten — sondern auf der Ruderbank saß — ein Mann, mein Herr, den son­derbar genug! kein Verbrechen, vielmehr die Lauterkeit seiner ho­hen Seele diesen Schrecknissen preis gab — der sich als Jüngling allen sinnlichen Freuden entriß, um die Strafe unserer strengen Ge­setze für einen Schuldigen zu büßen, der — sein Vater war.“ — „Was?“ unterbrach ich den Mönch, „sprechen Sie von dem edel­müthigen Faber aus Ganges? Der hat auf dieser Galeere = = = und Thränen verhinderten mich fortzusprechen. — „Sie kennen al­so, wie ich sehe, einen Theil seiner Geschichte?“ — „Nein, lieber Pater,“ schluchzte ich, „ich kenne sie ganz, und habe auch den recht­schaffenen Mann selbst gesehen und gesprochen.“ — „Ganz?“ wie­derholte der Mönch mein Wort; „o dessen, mein guter Herr, wer­den Sie Sich erst rühmen dürfen, wenn Sie“ — hier öffnete er die Thür nach dem Innern des Schiffs — „von daher zurück kommen.“ — Mein Blick führ erschrocken über dieß Grab der Verzweiflung, und der verpestete Luftstrom, der mir entgegen stieß, versetzte mir den Athem. Hätte Faber nicht Jahre lang hier gelitten ohne zu mur­ren, ich ware keinen Schritt weiter gegangen. — Der gutmüthige Alte, wie er mich dazu entschlossen sah, ergriff meine Hand. — „Ich will Sie zwar, aus guten Gründen, von Ihrem Unternehmen nicht abhal­ten: Sie scheinen jedoch für solch eine Anstrengung des Körpers und Geistes kaum Kraft genug zu besitzen. Hier, lieber junger Herr, trin­ken Sie zuvor ein Glas Tinto, der mit einem Liquor gegen die An­steckung versetzt ist, und nun gehen Sie in Gottes Namen. Diese Stunde der Wehmuth stärke alle Ihre übrigen Tage zur Geduld, zum Erbarmen und zu einem schuldlosen Leben!“ — Mir ward, indem ich trank, so bänglich zu Muthe, als einem, der, durch das heilige Nachtmahl vorbereitet, ein tödtliches Wagstück zu bestehen im Be­griff ist. Was für ein Gang war das, Eduard! Ich mag noch so alt werden, ich vergesse ihn nie.

 

     Sobald nur der hohle Schall meiner ersten Tritte auf das Zwischen­verdeck des Schiffs den unglücklichen Bewohnern desselben die An­kunft eines freyen Mitmenschen verrieth, bewillkommte mich ihr betäubendes Kettengerassel, das sich von einem Ende zum andern um die offene Seitenvertiefung herum zog, die unter mir ihre fau­lenden Körper bis an die Köpfe verbarg — und in dem Augenblicke streckten sie solche, wie Schildkröten aus ihren Schalen, hervor. Ich blieb, vor Schrecken gelähmt, eine Weile, wie die Bildsäule des An­tonius, der den Fröschen predigt, auf dem Fußhoden stehen, ehe ich Herz genug fassen konnte, zwischen die beyden Reihen dieser Ge­spenster durchzuschlüpfen. = = = Ach! welche tief gesunkene Men­schen! Bey jedem Schritte, der mich bey ihnen vorbey führte, küß­ten sie mir die Füße, erhoben sie, flehend um ein Almosen, ihre gefesselten Hände, und sahen mit Augen voll Schwermuth und Ei­fersucht mir auf dem folgenden nach, den ich zu dem Nachbar ihres Elends that. — Athemlos gelangte ich an das Ende dieser schauder­haften Allee. Hier lehnte ich meinen Rücken an die breterne Wand, und überblickte mit einem Herzen, das immer höher schlug, das gan­ze bewegliche, Grausen erregende Gemälde, hörte in erschütterndem Einklange die Wehklagen dieser lebendig Begrabenen aus ihrer gemeinschaftlichen Gruft zu mir herauf steigen, und erst nach eini­gen feyerlichen Minuten, die ich stillstehend der schreckenvollsten Betrachtung weihte, überwand ich die Angst vor meinem Rückwe­ge, und fühlte mich selbst stark genug, meiner Eil, meiner Sehn­sucht nach freyer Luft zu gebieten, um — dem Elend, das hier weil­te, noch einmal bedächtlicher in das hohle Auge zu sehen, und, oh­ne mein blutendes Herz zu schonen, ihm die Dolche noch tiefer einzudrücken, die es zerfleischten.

 

     So gewiß auch von den beyden Gegenbildern — der menschlichen Würde und ihres Verfalls — der Glanz des ersten eine so schwarze Unterlage entbehren kann, so dienlich kann uns doch ihr Wiederschein in den übermüthigen Stunden werden, wo das Gefühl unsrer Cultur uns mehr beweist, und höher setzt, als es sollte. Denn wer von uns hat nicht Schritte gethan, die ihn gerade auf die Galeere gebracht haben würden, wären ihm nicht glückliche, errettende Um­stände noch zur rechten Zeit in den Weg getreten? — Diese und mehr andere Gedanken, die wohl noch spitziger ausfielen, begleiteten mich über das Verdeck zurück, und schienen mir von jeder um mein Ohr klirrenden Kette einen Theil des Gewichts an die Füße zu hängen. Hätte ich mich in beschaulicher Muße auf der Dreßdner Gallerie befunden, und bey Zinks Talenten die Aufgabe zu lösen gehabt, aus dem Licht und Schatten der Gemälde ihren höhern oder niedern Werth zu berech­nen, meine Schritte würden dort nicht schleichender, nicht zögern­der und der Aesthetik nicht angemessener haben seyn können, als sie es hier den geheimen Bewegungen meines Herzens waren. Auch glaube ich kaum, Eduard, daß meiner Aufmerksamkeit nur ein Wort, nur ein Zug von Bedeutung in den tragischen Reden, in dem con­vulsivischen Geberdenspiel der armen Schächer entwischt ist, die ich, ohne mich zu rühmen, mit den Augen und Ohren eines Zent­richters belauschte.

 

Ich sah, wie hier das Joch der brüderlichen Strafen

Den steifen Hals der Eigenliebe bog,

Wie mit der Armuth und des Geitzes Sklaven

Der Wollust Sklav´ an Einer Kette zog!

Vom Kelch der Wehmuth trunken, reichte

Ich allen nun mein Geld und Ohr,

Und schrecklich brach die allgemeine Beichte

Der Büßenden aus ihrer Bucht hervor.

Der eine schrie: „O Gott! ich bleicht' an deinem Meere

Mein Bißchen Salz in deinem Sonnenschein,

Und Menschen strafen mich!“ — „Ich“ fiel ein andrer ein,

„Verbüß' an Fesseln der Galeere

Die dreymal ungewisse Ehre,

Von dreyen Weibern Herr zu seyn.“ —

Ein Dritter, stolz auf die Calotte´

Die dem beschornen Haupte blieb, *)

Sprach ernst: „Ich fühlte mich vom Gotte

Der Musen inspirirt, und schrieb —

Ich schrieb der Bücher viel, und alle

Sind längst ins Deutsche übersetzt.

Ich schrieb vom steigenden Verfalle

Des Staats ein Buch im Quart — da, Freund, hat mich zuletzt

Des Königs Wink, und des Ministers Galle,

Und Flaccus Rath: „Was nützet und ergetzt,

Das schreib!“ hierher gebracht. Der Trost in meinen Ketten,

Der einzig noch mein Schicksal mir versüßt,

Ist, daß man Rousseau's Styl am Hof, an den Toiletten,

Nicht halb so gern als meine Prosa liest.“

Beschämt wünscht' ich ihm Glück zu diesem seltnen Grade

Des guten Styls und floh, als mir auf meinem Pfade

Noch ein Gespenst zu Füßen sank:

„Ein Wort — Gott segne Sie! — ein Wörtchen nur zur Gnade,

Mein Herr! Wer hält denn wohl seit mir im Schlangenbade,

In Ems und Ronneburg die Bank?

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*) Der Abbé La Coste, der 1760 auf Zeitlebens zu der Galeerenstrafe ver­dammt wurde.

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     Und wäre mein von Mitleiden durchdrungenes Herz noch so geneigt gewesen, die Strafe dieser Unglücklichen und ihre Verschuldung so weit außer Verhältniß zu finden, als sie selbst davon überzeugt schie­nen, so würde mir doch des Spielers Kette, in Rücksicht der Verbre­chen, die, wenn ich nicht sehr falsch las, auf seiner frechen Stirn geschrieben standen, noch zu leicht und zu lang gedünkt haben. Er richtete sich, so weit sie es zuließ, unbescheidener als seine Mitge­sellen an mir in die Höhe, und bewegte seine um ein Geschenk bet­telnde Hand nicht anders, als wollte er eine Volte schlagen. Wären mir auch nur zwölf Sous von meiner Spende übrig in meinem Geld­beutel geblieben, er hätte sie nicht bekommen sollen; denn er wür­de sie doch nur gemißbraucht haben, durch ein rouge et noir mein vertheiltes Almosen in seiner Diebscasse wieder zusammen zu brin­gen. Ein derber Deutscher Fluch, den er mir für den verächtlichen Blick nachschickte, den ich ihm zuwarf, statt ihm zu antworten, prall­te mir noch in die Ohren, als ich schon, seines scheußlichen Anblicks entledigt, mich, von meinem sauern Gange in den Armen des redlichen Mannes zu erholen suchte, der dieser schrecklichen Ge­meine vorstand. Es war der erste Mönch, den ich küßte. So herzlich habe ich selbst nie die Wange eines Mädchens geküßt. Nach einigen abgebrochenen Worten, die ihm nur zu deutlich meine innere Be­wegung und meine Ohnmacht, sie ihm besser zu schildern, verrie­then, drückte ich noch einmal seine Hand an mein pochendes Herz — und er — schlug ein Kreuz über mich, als ich mich von ihm losriß.

 

 

*  *  *

 

 

Erquickender hat kaum jemals die freye Luft auf mich gewirkt, als da ich aus diesem Kerker an das Licht trat. Ich hüpfte mehr als ich ging meinem sprechsüchtigen Begleiter zu, der mich an dem Tho­re des Arsenals ungeduldig erwartete. Er konnte nicht begreifen, wie ich zwey volle Stunden an die häßliche Galeere habe verschwenden, und sie den Schaustücken entziehen mögen, die ich ja jetzt nur im Flug würde betrachten können. Da sein Zeitvertreib ungleich mehr als der meine bey der Sache im Spiel war, so läßt sich auch mein Verdruß gar nicht mit der Größe des seinigen vergleichen, als ich dastand, alle meine Taschen umwendete, und endlich mit zitternder Stimme mein Einlaßbillet  für verloren erklären mußte, so wie es mein Schnupftuch war. Das eine war für mich leichter zu entbehren als das andere. Während sich nun der Soldat unter lauten Wehkla­gen, um das wichtige Document zu suchen, so eilig auf die Beine machte, als ob es sein Gehirn wäre, das ich verloren hätte, hielt ich es für räthlicher, dem dringenden Beruf meiner Nase zu folgen, und nach dem Gasthofe zu wandern, als unter freyem Himmel seine hin­kenden Nachrichten zu erwarten; doch rief ich noch zu seinem Tro­ste ihm die Versicherung nach, daß ich den folgenden Morgen ganz dem Arsenale und ihm widmen und die heute versäumten Stunden wieder einbringen wollte. Dieser kleinliche Zufall ist mir eigentlich heute gar sehr zu passe gekommen: denn ungerechnet den Zwang, dessen er mich zwar nur vor der Hand entledigt, die Waffen unsers Erbfeindes zu bewundern, so hat er mir doch immer die Muße ver­schafft, dir in der ersten Wärme der Empfindung, die doch gewiß am ähnlichsten malt, die Scenen meines Morgens zu schildern. Zwey­tens läßt er mir auch Zeit mich abzukühlen, ehe ich in die vorneh­me Gesellschaft gehe, in die mich der Mittag einführen wird. Wohl gut, daß er in der großen Welt drey Stunden später eintritt als in der physischen. Inzwischen denke ich, sollen die Bilder, die jetzt noch so lebhaft mir vorschweben, ziemlich verblichen, und brauchbarere pour la belle conversation an ihre Stelle getreten seyn. Denn welche Dame, ich bitte dich, würde mir zuhören, wenn meine Erzählung zum Ohnmächtig werden sie aus dem hellen Speisesaale in jene dü­stre Sklaven-Barake versetzen wollte? Eben so wenig würde ich Glück bey ihr machen, wenn ich mir einfallen ließe, während sie mich anlächelt oder die Zähne stochert, dem heldenmüthigen Kapuziner ei­ne Lobrede zu halten, und an ihrer Seite seiner fünfzig, der bessern Zukunft geopferten Jahre, und der widernatürlichen Zufriedenheit zu huldigen, mit der er, ohne nur Einmal in ein schönes Auge ge­blickt zu haben, auf seinem heiligen Posten steht. Mit dir, Eduard, ist es etwas andres. Du mußtest mir wohl Ehren halber Stich halten, denn du zählst dich zu den philosophischen Köpfen. Doch diese, lieber Gott, sind mir heute selbst so zum Ekel geworden, daß es mich Wunder nimmt, wie ich mich noch im geringsten mit ihnen abgeben mag.

 

     Ihr, denen Gott zum Mitgefühle

Des Seneca, des Antonin,

Weich ausgestopfte Rednerstühle

Und einen Doctorhut verliehn,

Bestürmt mich nicht mit euerm Wortgetöse

Von Menschenkraft und Seelengröße,

Seit Fabers Glanz mich überschien!

 

     Beredt, den Widerspruch zu scheiden,

Daß Freysinn in der Sklaverey

Wohl möglich, und im höchsten Leiden

Ein Weiser Herr des Schicksals sey,

Lauscht zwar mein Ohr auf euern Wohlklang: aber

Beredter prediget mir Faber

Der Stoa Wahlspruch: Ich bin frey.

 

     War es der Geist, der in der Schule

Des Zeno Stärkungen verschrieb,

Der ihn von seinem Weberstuhle

In diese Kluft des Jammers trieb,

Wo, von dem Glück der Freundschaft abgeschieden,

Wie von der Liebe, nur der Frieden

Mit sich allein ihm übrig blieb?

 

     Nein, er ging auf dem dunklen Pfade,

Den nur der Göttliche ihm brach,

Der für uns litt, frey und gerade

Der geistigen Belohnung nach:

Sein Herz bedurfte keiner Lehre;

Er rettete der Tugend Ehre;

Er hielt, was Seneca versprach.

 

 

*  *  *

 

 

Ein glänzender Mittag, Eduard, ein Gastmahl, wie es nicht jeder Intendant der königlichen Marine zu geben vermag, wenn er es nicht von Toulon ist, an dessen Küste die berühmten Dattelmuscheln zu Hause sind, die ihm als ein ausschließendes Vorrecht zu kommen. Ich fand an diesem Beherrscher der Hölle, die ich heute Morgens bestieg, zu meiner Verwunderung einen sanften, liebreichen Mann in seinen besten Jahren. Er empfing mich als den Freund seines Freundes mit Güte und Achtung. Unsere erste Zusprache inzwischen — ob sie gleich von beyden Theilen nur auf gemeine Höflichkeiten beschränkt war — mißlang jedoch ein wenig; so sehr hat man selbst bey gleichgültigen Gesprächen es für ein Glück zu achten, wenn man in dem Innern des andern keine verborgene Saite berührt, die traurig oder widrig zurück tönt. Seine Worte kehrten mir immer eine Spitze zu, und meine Antworten? du magst selbst urtheilen, wie klug und artig sie ausfielen.Gleich seine Frage, wie mir das Arsenal gefallen, gab mir einen Stich in das Herz. Roth bis über die Ohren, dankte ich ihm bloß für seinen Erlaubnißschein, ohne meiner Unachtsamkeit zu gedenken,die ihn vereitelt hatte. Zu sehr Weltmann, um eine unbeantwortete Frage zu wiederholen, brachte er mich sehr ungesucht auf unsern König zu reden. Mein Lob, in das er herzlich einstimmte, wäre auch nicht übel gewesen, wenn ich nur nicht dabey — ich weiß auch nicht wie mir war — einen Tadel seiner Vorliebe für die Franzosen mit eingewebt hätte; denn dazu war doch hier in der That der recht Ort nicht. Von ihm ging er auf die Annehmlichkeiten Berlins, und zugleich auf die Energie — wie er es ausdrückte — der Deutschen Nation über, ohne nur im mindesten ihren Mangel an andern guten Eigenschaften zu erwähnen. Ich hätte mich gern im Namen aller dazu bekannt, um das Schmeichelhafte, das auch für mich in seinem allgemeinen Urtheile lag, ein wenig zu mäßigen; aber ich wußte in diesem Augenblicke vor lauter erregten Patriotismus nichts an uns auszusetzen, was sich der Mühe verlohnte. — „Ich kenne zwar Ihr Vaterland nur aus einer nichts weniger als empfindsamen Reise, die ich im siebenjährigen Kriege dahin als Fähnrich that, und von der ich als Oberster einer Brigade wieder zurück kam.“ — „Ew. Excellenz wohnten also wohl der schrecklichen Schlacht bey Minden mit bey?“ — „Ja,“ antwortete er, „ich führte in derselben die Grenadiere von La Tour gegen Ihre Dragoner an.“ — Diese hingeworfenen wenigen Worte rissen — ist es glaublich? — eine alte, längst verharschte Wunde meines Herzens auf. — „So ist denn,“ sagte ich heimlich zu mir, „über dieselbe Zunge, die jetzt so freundlich mit dir spricht, das Schreckenswort: Gebt Feuer“ gegangen, das deinen armen Bruder zu Boden streckte!“ Die Thränen meines Vaters, die Verzweiflung meiner Mutter und mein eigener kindischer Schmerz traten mir jetzt so lebhaft vor die Seele, daß ich diese traurige Erinnerung nicht wieder los zu werden vermochte, ohne sie dem mitzutheilen, der sie unschuldiger Weise erregt hatte. — „Er stand,“ sagte ich, „unter demselben Regimente, das von dem Ihrigen so übel empfangen wurde, war der edelste beste Jüngling, erst achtzehn Jahre alt, als er blieb, und schon Adjudant.“ — „Schon Adjudant?“ fing er meine Worte auf; „das will im Preußischen Dienste etwas sagen, und giebt allein schon einen hohen Begriff von seinen ausgezeichneten Talenten.“ — „Das nun eben nicht,“ glaubte ich bescheiden zu antworten; die beyden Armeen arbeiteten in diesem blutigen Kriege nur zu gut für den Abgang, daß oft das ganze Verdienst, dem ein junger Officier seine schnelle Beförderung verdankte, bloß auf dem Unstande beruhte, aus einer Schlacht nach der andern gesund zurück zu kommen. Hätten meinem guten Bruder, statt selbst zu fallen, die Leichen seiner Kameraden als Stufen gedient, um so fortzusteigen wie er anfing, so zweifle ich nicht, er würde jetzt so gewiß als Ew. Excellenz = = = — Hier faßte mich der General lächelnd bey der Hand, ohne das Ende meiner Militärrechnung abzuwarten, und stellte mich der übrigen Gesellschaft vor.

 

     Bald nachher setzten wir uns zur Tafel. Hier bekam ich meinen Platz neben zwo Damen, von denen mich sogleich die eine in ein Gespräch zu ziehen wußte, das jedem, der hungriger darnach gewesen wäre als ich, vollkommene Sättigung gewähren konnte; denn es gehörte als geistige Nahrung in die Classe der Schüsseln, die man durch immer neuen Zusatz so sehr verlängern kann als man will. War ihr weiß gemacht, daß ich ein Litterator sey, oder glaubte sie es meiner listigen Miene anzusehen; genug, ich hatte noch nicht drey Löffel von der Suppe genossen, als ich schon mit ihren zwey vorzüglichsten Lieblingen des vergangenen und des laufenden gelehrten Jahrhunderts, mit Molieren und Büffon, bekannt war. — „Niemand,“ sagte sie von dem ersten, „hat feiner unsere kleinen Blößen an das Licht gezogen, und die Schleichwege zu dem Labyrinthe des weiblichen Herzens deutlicher angegeben, so daß man schwerlich jetzt einen derselben ohne Gefahr einschlagen könnte, von Männeraugen ertappt zu werden.“ — Sie blickte mir dabey so herzhaft in die meinen, daß ich sie niederschlug. — „Dadurch,“ fuhr sie fort, ist ein gewissen Zutrauen unter beyden Geschlechtern entstanden, das vieles abkürzt, und desto anziehender ist, je steifer es sich auf die Kenntniß gegenseitiger Schwächen gründet.“ — Ich hätte gern der Dame mein Compliment über den neuen Gesichtspunkt gemacht, aus welchem sie den Werth des Komikers beurtheilte; aber sie ließ mich noch nicht zum Worte. — „Er hat gewiß,“ entwickelte sie ihren Satz mit selbstgefälligem Tone, „als ein guter Bürger, der bessern Erziehung und dem natürlichen Gange unsers Jahrhunderts vorgearbeitet. Denn wer hat die Misanthrope, die Tartüffe, die Précieuses ridicules aus unserm gesellschaftlichen Zirkel vertrieben als Er?“ — „Ich dächte, Madam = = = — „Und der Zweyte,“ fuhr sie fort ohne mich anzuhören, „wie hat er sein menschenfreundliches Herz, seine umfassenden Kenntnisse, und die Harmonie der Sprache benutzt, um uns in lauter Spaziergängen zu der Quelle der wahren Natur zu führen, zu der wir ehedem höchst langweilige Umweg machen mußten! Sein Grundsatz von der Liebe, der jetzt allgemein angenommen wird, wie viel hat er nicht zur Ersparung unserer kostbaren Zeit beygetragen!“ — „Welcher, um Vergebung?“ fiel ich ihr in die Rede. — „Daß in dieser Leidenschaft,“ antwortete sie mit einer dogmatischen Miene, die ihr nicht so ganz übel anstand, „nichts gut sey, was nicht — um es kurz zu sagen — gerade zum Ziel führt. Alle unsere physischen und moralischen Handlungen standen längst unter dieser Regel: aber erst seit ihm gebietet sie auch der Liebe. Seit dem Ausspruche dieses großen Naturforschers ist das ekle Romanhafte unter uns gänzlich verschwunden, und man wird jetzt selten ein so lächerliches Paar finden, das einander gefällt, und nicht auf Büffons Gefahr damit anfinge, wo die Großältern aufhörten.“ — „Wirklich?“ war das einzige Wort, daß ich, während sie Athem holte, einschieben konnte. — „Was, mein Herr,“ überströmte mich jetzt der Fluß ihrer Beredsamkeit aufs neue, „was sagen Sie von seinem hinreißenden Style? Voltaire ist gewiß in  seinen Gedichten ein rührender, melodischer Sänger: aber ich gestehe, daß ich in beyden Rücksichten die Prose Büffons den schönsten Versen des Dichters vorziehe. Vergleichen Sie nur die Stelle, wo jener von den Schrecknissen der Natur spricht, mit dem Voltairischen Gedichte über das Erdbeben von Lissabon. Wer von beyden hat hier das Grausen der menschlichen Seele bey solchen Vorfällen am besten geschildert?“ — Indem wurde mir der Flügel einer Poularde mit Trüffeln gebracht. Der Duft davon reizte meine Zunge; aber ich ließ sie unbefriedigt, um nur endlich der ihrigen Ruhe zu verschaffen. Es gelang mir vortrefflich. — „Solche Vergleichungen,“ begann ich mit einer klugen Miene, „machen unstreitig ein großes Vergnügen; und derjenige unter den Schriftstellern, wie Madam sehr richtig bemerken, ist gewiß der größere, der es am besten versteht, durch die Magie der Sprache unsere gesunkenen Empfindungen auf ihre erste Höhe zu treiben, und sie uns gleichsam, wie auf Noten gesetzt, zur Wiederholung des Spiels wiederzugeben. Wenn Büffon zum Beispiele denselben Schauer in Ihrem Herzen zu erregen weiß, den ihnen diese schreckliche Naturbegebenheit zu der Zeit verursachte, da sie vorging, so = = = — „Welche Naturbegebenheit?“ unterbrach sie mich hastig — „Des Erdbebens von Lissabon,“ antwortete ich ganz unbefangen; und ohne mir eine Sylbe darauf zu erwiedern, drehte sich nach der andern Seite. — „Ich meinte = = = rief ich ihr nach; aber sie that nicht als ob sie mich hörte, und ich verlor alle Hoffnung, daß sie mir diesen groben chronologischen Irrthum so bald vergeben würde.

 

     Ich war so verblüfft, daß eine Weile verging, ehe ich nur daran dachte, daß ich auch zur linken Hand eine Nachbarin habe. Die gelehrte Vielsprecherin hatte allein Schuld, daß ich nicht einmal wußte, wie sie aussah. Ich erfuhr es nur zu bald. Drey brillantene Astern strahlten mir auf den ersten Blick nach ihr gerade in die Augen, blendeten mich aber lange nicht so als der junge wallende Busen, den sie verzierten. Wäre ich bey Sinnen gewesen, so würde mich dieser Anblick wenig geirrt haben. Aber, Gott mag wissen, wie es zuging! dachte ich mir die Ruhe, die ein Mann seinen Augen auf diese Höhen erlaubt, noch alltäglicher, als die Prüfungen der Hand, die Bayle, unter der Benennung quotidianae incursonis, sogar dem frommen Abadie Schuld giebt, und übertrieb ich meine Sittsamkeit, um nur nicht alltäglich zu scheinen — genug, ich kehrte betroffener um, als ein Hase vor dem Schützen, und blickte auf den Tisch mit einer Verlegenheit, die in der klugen Wendung, die sei einschlug, um sich zu verstecken, erst dadurch recht ans Licht kam. Spielend mit meinem blanken Messer, bemerkte ich das unselige London  — ich wollte es wäre Constantinopel gewesen — auf der Klinge, und ohne ein Auge davon zu verwenden, fing ich nun an meine reitzenden Nachbarin, seitwärts, mit einer ganz neuen Lobrede auf den Englischen Stahl zu unterhalten. Noch hatte ich sie nicht zu Hälfte hervor gestottert, so mischte sich ein Maltheser Ritter darein, der auf der andern Seite neben ihr saß. — „Es kann wohl nichts in der Welt,“ sagte er, „dem Englischen Stahl so sehr zur Ehre gereichen, als der Uebergang von einem solchen Bouquet, an einem solchen Platze, zu ihm.“ — Was denkst du wohl, wie sich unsere gemeinschaftliche Nachbarin dabey benahm? Sie schien sein Epigramm nicht zu hören, und antwortete nur meinen schlichten Bemerkungen. Dafür thaten jetzt meine Blicke ihr möglichstes, um ihre Schüchternheit wieder gut zu machen. Aber es währte nicht lange, so verdarb ich mein Spiel aufs neue. Ich hörte Saint=Sauveurs Stimme, sah mich nach ihm um, fand ihn an der Seite einer jungen Dame, und: „Ach wer ist denn,“ stürzte mir die Frage heraus — „dieser Engel von Mädchen, dieß ungeschminkte edle Gesichtchen zur Rechten des Brigadiers?“ — Sie blickte hin, — „Die Tochter vom Hause,“ antwortete sie gleichgültig, und legte mir geschwind überzuckerte Castanien vor, um mir, glaube ich, das Maul zu stopfen.

 

     Während ich noch daran kaute, trug man das seltne Gericht auf, das ich dir schon angekündigt habe: eine Schüssel mit Dattelmuscheln. Diese werden — was du vielleicht bey deinen geringen conchyliologischen Kenntnissen nicht wissen wirst — aus großen, dem Zugang aller Elemente verschlossenen Steinen geschlagen, und dienen, wie die Reichsritterschaft dem Kaiser, bey vorfallenden Festen dem hiesigen Intendanten zu einer immediaten Beyhülfe. Der heutige Fang mußte indeß nicht so ergiebig gewesen seyn, als das Bedürfniß seiner Tafel verlangte. Er konnte dieses Staatsessen nur unter seine vorzüglichsten, das heißt, wie bekannt, nur unter seine weiblichen Gäste vertheilen. Ich ging so leer aus als die andern Herren. Glücklich jedoch für die Kenntnisse, die ich mir auf Reisen auch durch meinen Gaumen zu erwerben suche, daß der Groll einer Französin gegen einen Deutschen nie über zwei Schüsseln hinaus reicht. Ich gewann dießmal augenblicklich dabey. Meine Nachbarinnen von beyden Seiten entzogen sich auf das gutmüthigste die Hälfte des ihnen zugefallenen Antheils, so daß ich noch einmal so viel von diesen Leckerbissen bekam, als jede behielt — der gewöhnliche Fall eines Mannes zwischen zwey Weibern. Die Anbeterin von Büffon ließ sich sogar herab, mir nicht nur die Geschichte dieses merkwürdigen Schalthiers, so weit als sie bekannt ist, und das, um mich ihres Ausdrucks zu bedienen, weder der See noch dem Lande angehöre, wortreich zu beschreiben; sondern sie zeichnete mir auf eine Visitenkarte, die sie mit einem Bleystifte aus ihrem Calender zog, gerade unter ihrem gräflichen Namen und Wappen, die Figur flüchtig hin, die diese Muschel ihrer Eremitenwohnung eindrückt. Sie zeichnete nicht übel; doch war es immer, besonders auf so einer Karte, zum Verständnisse der Zeichnung sehr gut, daß ich nur auf meinen Teller sehen durfte, um nicht ungewiß über das Naturprodukt zu seyn, von dessen Abdruck die Rede war. Diesem kleinen wohlschmeckenden Insekte hatte ich es sonach einzig zu verdanken, daß unser durch das Erdbeben zerrüttetes Gespräch aufs neue wieder in Gang kam, und sich auch bis zum Ende der Tafel daran erhielt.

 

     Den Vorzug, lieber Eduard, muß man doch Französischen Gesellschaftern vor den unsrigen zugestehen, daß in ihnen der Langenweile kein Raum, und den Mitgliedern keine Zeit gelassen wird, über den Werth oder die mögliche Auslegung jedes Worts, das gesprochen wird, nachzudenken. Bey dem Ueberfluß von Beyträgen, die zur Beförderung einer vergnügten Unterhaltung eingehen, wird es nicht geachtet, wenn auch einer davon nicht so ausgesucht und vollwichtig ist, als der andere.

 

     Eine Stunde nach der Mahlzeit, die fröhlich verplaudert wurde, setzte sich ein Theil der Anwesenden an den Spieltisch; der jüngere Zirkel, dem auch ich mich anschloß, vereinigte sich zu einem Spaziergange nach dem königlichen Garten. Jeder Herr bot einer seiner Nachbarinnen den Arm; da aber die Liebhaberin der Natur die Karten meiner Unterhaltung im Mondscheine vorzog, und der schöne Busen, von dem die Dame, ehe sie ging, die Astern absteckte, dem Malteserritter zuwallte, so würde ich allein mitgeschlendert seyn, hätte nicht ein glückliches Ohngefähr mir das große Loos verschafft, die Tochter vom Hause zu führen. Indem wir nämlich die Treppe herab stiegen, kam ein Officier der Marine herauf, und hinter ihm ein Commando, worunter ich auch den lahmen Gefreyten erblickte. Er zeigte mir im Vorbeygehen das wiedergefundene Einlaßbillet, und ich hätte nicht umhin gekonnt ihm ein Wort darüber zu sagen, auf die Gefahr zehn tausend von ihm anzuhören, hätte mir nicht indem der Brigadier die Hand des schönen Kindes, das er führte, in den Arm gelegt, um dem Seeofficier, der ihn bey Seite winkte, zu folgen. Sie mußten etwas wichtiges mit einander abzuthun haben, denn mein Freund ließ sich den ganzen Abend nicht wieder sehen, und zum erstenmale vermißte ich ihn nicht. Die Gesellschaft, so bald sie in dem weitläuftigen Garten anlangte, vertheilte sich in einzelnen Gruppen zu zwey oder mehrern Personen, die sich trennten, sich vertauschten, und wieder zusammen trafen, wie es der augenblicklichen Laune einer jeden gemäß war.

 

     Ich wüßte nicht, was ich von meiner Organisation denken sollte, wenn das Zwanglose, Frohe und für mich ganz Neue dieses späten Spaziergangs seinen Zauber auf mein Herz verfehlt hätte. Es mag mir auch sonst noch so gewöhnlich seyn, meine Empfindungen aus dem verlaufenen Tage am Schlusse desselben wiederzukäuen; dießmal schien es, das gegenwärtige Vergnügen würde eine solche Grille nicht aufkommen lassen. Mein Wohlbehagen verstattete mir zur Zeit nicht, weder an meinen verbluteten Bruder noch an meine weitläufigern Verwandten auf den Galeeren zu denken. Die Farben, die mir die Abendröthe, die mir der Mond aufmischte, setzten alle andere Bilder meiner Seele in Schatten. Ach der herrliche Mond! In diesen kostbaren nächtlichen Stunden, wo sein Abglanz mir jeden auch noch so feinen Zug in dem lieblichen, reinen, unschuldigen Gesichtchen meiner Begleiterin vorführte, mußte ich ihn wohl noch lieber gewinnen, als gestern, wo er zwar ein großes, herrliches, aber doch immer nur lebloses Naturgemälde beschien.

 

     Ich habe dir zwar schon vorhin die Vorzüge des Engels an meinem Arme mit einzelnen, dem Lobe geheiligten Worten angedeutet. Aber ich weiß schon, wie es mit solchen Worten geht. So gewählt sie auch seyn mögen, gleiten sie doch über das Gehirn, wie die glänzenden Kügelchen des Quecksilbers über eine Glastafel, hinweg. Man muß sie erst auflösen und zu einer Unterlage verarbeiten, wenn man den Strahl, der uns blendet, auch in die Augen eines andern zu spielen gedenkt. Leider hat mein in Asche verwandeltes Tagebuch, an dem in dieser Rücksicht auch nichts verloren ist, bis zu der heutigen Mitternachtsstunde nur Schilderungen aus der weiblichen Welt sammeln können, wie, wenn ich das Dosenstück einer gewissen Margot ausnehme, das ich dir wohl gegönnt hätte, nicht werth waren das Cabinet eines ächten Liebhabers des schönen Geschlechts zu verzieren. Es thut mir daher recht wohl, daß ich einmal auf ein Profil gestoßen bin, das selbst neben einer heiligen Familie von Raphael kein unebenes Seitenstück abgeben würde, hätte mir nur das Original lange genug sitzen können, um mehr als einen Schattenriß von ihm zu entwerfen. Diese unvollkommene Darstellung wird indeß immer noch unendlich schätzbarer seyn, als die ausgemaltesten Stücke meiner vorigen Sammlung. Es war schon ein Zug seltener Gutmüthigkeit, daß die junge Schöne ohne Abnahme an Freundlichkeit ihre Hand aus dem Arme eines bekannten Freundes in den meinigen legte; daß sie aber auch nachher, als ihr im Garten die Wahl eines andern Gesellschafters frey stand, sich mit einem Fremden begnügte, der weder über die Tagesgeschichte der Stadt mit ihr schwatzen, noch in der ihm ungewohnten Sprache durch leichte Scherze ihr Ohr reitzen konnte, muß ich ihr schon höher anrechnen. Doch daß sie bey ihren sechzehn Jahren sich die Zeit nahm, ein Herz, das in der Nähe des ihrigen schlug, zu behorchen, daß sie verstand den verdeckten Werth desselben zu entwickeln, seine flatternden Fäden aufzufangen, mit der zartesten Fühlbarkeit ihren Gehalt zu unterscheiden, und nur die bessern dem Gewebe ihrer schönen Seele anzuknüpfen, das, Eduard, war mir vollends eine so ungewöhnliche Erscheinung, als ich je eine erlebt habe.

 

     Während mir an ihrer Seite so wohl war, brachte mich meine Erinnerung — zum Glück nur ein einzigesmal — auf meine Nachbarinnen von diesem Mittag. Es war ein krauser Gedanke. Sie hätten mir wohl zu keiner Zeit mehr zur ihrem Nachtheile einfallen können. Was wäre aus mir und meinem herrlichen Abend geworden, wenn es meiner glücklichen Albernheit nicht gelungen wäre, beyde von mir zu verscheuchen. — Was hätte ich anfangen wollen, wenn die eine so viel Geschmack an meiner Lehrbegierde, die andere an meinen sittsamen Augen gewonnen, diese zu einem empfindsamen Spaziergange mit mir ihre Astern abgesteckt, jene mir noch etwas über den Büffonischen Grundsatz zu sagen gehabt, und mich — Gott erbarme sich — zu ihrem Begleiter gewählt hätte? Dieses Bewußtsein entgangener Gefahr, wie mußte es nicht den Genuß meines gegenwärtigen Glücks erhöhen! Meine Seele hing an den Lippen dieses Kindes, das in dem lautern Ergusse seiner Empfindungen mir tausendmal beredter vorkam, als die gräfliche Virtuosin in dem ungreinigten Ausflusse ihrer Gelehrsamkeit. Wenn ich dir aber nun den Gang der Gespräche, die mich so anzogen, vorzeichnen, aus ihrem gefälligen Inhalte die Schönheit des Herzen, dem sie entflossen, an das Licht stellen will — ja, Freund, da entschlüpft mir die Feder. Solche feine Schattirungen der Rede sind ihr so unerreichbar, als nimmermehr dem Pinsel jenes ätherische Farbenspiel seyn kann, das unter unzähligen Abwechslungen dem anbrechenden Morgen voran geht. So viel kann ich dir nur sagen, daß, nachdem ich die kleine Zaubrerin einige Stunden in der Orangenallee auf= und abgeführt hatte, ich mich unmerklich in eine Stimmung versetzt sah, die, der ihrigen nachgebildet, sehr verschieden von der fröhlichen Laune war, deren ich mich vorhin rühmte. Ihre Anfangs muntern Töne gingen, ganz ungleich dem Schlage der Nachtigall, die mit einem Adagio anfängt, mir einem Allegro endigt, nach und nach in immer rührendere Noten, immer schmelzendern Flötenlaut über, und hoben und trieben mein sympathetisches Gefühl bis zum Bedürfnisse der Thränen. Ich wollte ihr von unserm Könige erzählen; ich konnte nicht. Ich versuchte von meinem Vaterlande zu sprechen; aber die Stimme versagte mir. Mir war, als ob ich in der Ferne Klagen der Unschuld, über den dunkelhellen Bergen her den Ruf der Ewigkeit hörte. Die trostarmen Vergessenen auf der Galeere erschienen mir in allem ihrem Jammer, und ich konnte der Aufforderung nicht länger widerstehen, dem Engel, der mir zuhörte, die Seelenleiden meines heutigen Morgens an das Herz zu legen. Wir hatten uns kurz vorher einem Blumenbeete gegenüber gesetzt, wohin sie einem Gärtnermädchen von ihrem Alter, das mit einem Handkörbchen dahin ging, gefolgt war. Sie nickte ihr schon im Vorbeygehen freundlich und bekannt zu, und bestimmte nun durch ihr Gutachten die Auswahl der Blumen, die jene einsammelte. Sobald mein Gespräch aber ihr Mitleiden erreichte, theilte sie nicht weiter ihre Aufmerksamkeit zwischen uns beyden. Sie verließ den Platz, als ob er zu buntfarbig für den Ernst ihrer jetzigen Empfindungen wäre, und führte mich, ohne ein Wort zu sagen, um keins der meinigen zu verlieren, nach einem dunklen Bogengange, an den eine kleine versteckte Laube stieß. Hier — wo der verschwiegene Mond nur durch die Blätter über dem grünen Rasensitze zitterte, auf den wir uns niederließen — in dieser nächtlichen Stille — allen Augen, außer jenem, verborgen, das über uns schwebte — hier, an der Seite einer weichen weiblichen Seele, denke selbst wie viel meine Erzählung unter diesen Umständen gewinnen mußte. Das liebe Kind beehrte sie mit dem reinsten Beyfall, und, „o mein armer Vater!“ schluchzte sie am Ende derselben, „welch einer Haushaltung des Kummers bist du vorgesetzt!“ — „Und welchen Wundern der Tugend zugleich!“ fiel ich ihr ins Wort, und theilte ihr nun auch, durch ihr Mitgefühl noch mehr befeuert, die Trauergeschichte des frommen Kapuziners in Ausdrücken mit, die vielleicht nie über meine Lippen wärmer gegangen sind. Durch Hülfe eines hellen Mondblicks sah ich, wie unter ihren blauen, gen Himmel erhobenen Augen ein stilles Gebet auf ihrem rosigen Munde schwebte. Ich glaubte eine Heilige in ihrer Verklärung zu sehen, und schwieg. Meine Brust war gepreßt. Sie hörte mich seufzen, drückte mir die Hand, und der Strudel hoher Empfindungen schien mich in eine andere Welt zu versetzen.

 

     Indem tönte die Gebetglocke eines nahen Nonnenklosters in unsere Stille herüber. „Ach! ist es schon so spät?“ fuhr sie jetzt von der Rasenbank auf, und eilte durch den finstern Bogengang dem bunten Lustbeete zu, von welchem wir hergekommen waren. Ich folgte ihr, doch nur von weitem, nach, wie sie zu erwarten schien, sah, wie sie sich neben das Körbchen setzte, das die junge Gärtnerin indeß mit Hyazinthen, Mayblumen und Granatenblüthen gefüllt und hingestellt hatte, und sah, als ich näher herbey kam, wie sie mit thränendem Auge eine einzelne geruchlose, eine Passionsblume, heraus nahm, an ihre Brust steckte, die Hand sinken ließ und sich in tiefes Nachdenken verlor. Ich lehnte mich zitternd an einen Orangenbaum in einer mäßigen Entfernung von ihrem Sitze. Drey feyerliche Pulse der Klosterglocke weckten sie wie aus dem Schlafe. Sie sah sich erschrocken und noch erschrockener um, bis das Mädchen, das sie erwartete, aus dem Gewächshause gelaufen kam. — „Geschwind, Marie,“ rief sie, und trug ihr das Körbchen einige Schritte entgegen, „noch ist die Pfortenthüre nicht verriegelt, aber — eile.“ Indem ward sie meiner gewahr, kam auf mich zu, und da ihr meine großen Augen nur zu deutlich verriethen, was in mir vorging, war dieß dem lieben Kinde schon hinreichend, meine Neugier zu befriedigen.

 

     „Meine Unruhe über das Körbchen ist Ihnen gewiß aufgefallen. — Es ist ein festgesetzter Tribut, den ich einer Freundin im Kloster übersende, so oft ich diesen Garten besuche. Sie ging hier gern und öfters mit mir spazieren, liebte das erste Grün des Frühlings, liebte die Blumen so sehr, und kann jetzt hinter den hohen Mauern nicht einmal mit einem Blicke das geringste Gräschen erreichen. Ueber ihre bewegliche Geschichte, mein Herr, hätte ich mich beynahe mit meinem Geschenke verspätet — ich würde mirs nicht verziehen haben. Ich kann mir die Freude der guten Agathe so lebhaft denken, wenn sie aus dem Betstuhle in ihre Zelle zurück kommt und meine Blumen findet, die ihr die Versicherung geben, daß ich in dem Garten bin, mich nach ihr sehne, und ihr so lange in der Nähe bleibe, bis sich keine Glocke mehr hören läßt. Das habe ich dem guten Kinde bey unsrer letzten Umarmung versprochen. In drey Wochen geht ihr Probejahr zu Ende — o wie zittre ich für sie! Denn ach! mein Herr, sie wählt das Kloster — ein schreckliches Unglück, wen es trifft! — nicht aus Neigung, sondern aus Noth, weil sie keine Verwandte, kein Vermögen, und in der weiten Welt nur an mir eine Freundin hat, die ihr nicht helfen kann! Bald muß sie dem Andenken auch dieser feyerlich entsagen; Gott wolle ihr beystehen, daß sie es willig thue!“ — Ein Thautropfen, der unter diesen Klagen der Freundschaft aus den Augen der schönen Beterin in den Kelch der Trauerblume an ihrem Busen herab fiel, erschütterte wie ein elektrischer Schlag meine Nerven. — „Ach! wenn meine Erzählung,“ konnte ich kaum in abgebrochenen Worten herausbringen. „Ihr edles, theilnehmendes Herz gerührte hat, o wie haben Sie es wieder vergolten!“ — Wir wußte beyde vor Wehmuth nicht wieder zur Sprache zu kommen, bis das dumpfe Geläut gänzlich verhallt war. Da erst kehrte ihre Fassung zurück; aber meine blieb aus. — „Ich habe Sie, mein Herr,“ fing sie gelassener an, „bis in die Nacht aufgehalten, ohne daran zu denken, wie unbekannt mit meinem Kummer und wie fremd Sie mir sind. Aber eben darum waren Sie mir in diesen Feyerstunden meiner Betrübniß kein überlästiger Zeuge. Lassen Sie uns jetzt gehen, mein Herr. Die Gesellschaft ist längst aus einander. Am Ende des Gartens erwartet mich, wie allemal, meiner Gouvernante.“ — In stiller, andächtiger Ehrfurcht folgte ich nun diesem wundervollen Geschöpfe, das unter der Hülle hoher weiblicher Schönheit einen Geist besitzt, der mir so überirdisch vorkam, als müsse er schon vor ihrer Geburt in den Reihen der Seligen geglänzt haben. Halte dieß nicht für eine schwülstige Phrase, Eduard; denn wahrlich ich wüßte dir die Empfindungen meiner Seele nicht natürlicher und verständlicher auszudrücken.

 

     Im Fortgehen kam uns in der Allee die ältliche Dame entgegen, die weniger das Ansehen hatte, Aufseherin des Fräuleins, als ihre ältere Freundin zu seyn. Sie empfing ihre holde Vertraute, die mir die letzten Stunden des nun entflohenen Tages zu der unvergeßlichsten Epoche meines Lebens erhoben hat, sie empfing sie mit schweigender, aber darum nicht weniger herzlichen Umarmung, in der gewiß schon alles lag, was zu ihrem gegenseitigen Verständnisse gehörte und keiner Worte bedurfte. Nur mir hatte sie etwas zu sagen — aber was? Der Brigadier sey auf einen Augenblick da gewesen, und habe ihr, weil er nicht Zeit gehabt mich aufzusuchen, das Schnupftuch zugestellt, das mir diesen Morgen entkommen wäre. —  — Wenn du dir einen Mann vorstellst, der unter bänglichem Gefühle des Lebens sich über den Erdball erhebt, seine Blicke in die Tiefen der Ewigkeit senkt, und an Gott und Unsterblichkeit sauget, und dem in diesen Augenblicken ein Weib in das Ohr schreyt: Mein Herr, Sie haben ein Loch in dem Strumpfe — so kannst du ungefähr errathen, wie mir in der kostbaren Minute meiner vielleicht ewigen Trennung von dem erhabenen Kinde eine so gleichgültige Nachricht und der Anblick meines einfältigen, längst vergessenen Schnupftuchs gefallen mußte. Ich steckte es mit weit mehr Aergerniß ein, als ich bey seinem Verluste hatte, machte der jüngern Dame im Geist und in der Wahrheit, der ältern hingegen bloß nach dem gewöhnlichen Schnitte, meine Verbeugung, und ging nun, die Arme in einander geschlagen, langsamen Schritts meine Straße.

 

 

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Das wilde Lärmen, in welchem ich den goldenen Anker wiederfand, war mir nach meiner jetzigen Stimmung äußerst zuwider. Den Schlaf zwar konnte es mir nicht rauben — der floh meine Augenlieder ohnehin — aber es mußte mich doch, wenn es anhielt, nicht wenig in dem ruhigen Ueberblicke meines verlebten Tages, und, worauf ich mich besonders freute, in der Wiederholung der vielen süßen Empfindungen stören, die ich aus der Geistesüberströmung meiner vortrefflichen Gesellschafterin habsüchtig nur zusammen getragen, und gleichsam in Masse und mit der Hoffnung nach Hause gebracht hatte, sie dort mit aller Muße zu ordnen und zu zergliedern. Der Wirth, als er mir vorleuchtete, gab mir, als Ursache des Nachtgetümmels in seinem Gasthofe, die Hinrichtung eines Deliquenten an. — „Bey solchen Gelegenheiten,“ setzte er hinzu, „gewinnt unser eins am meisten; denn kein Schauspiel macht und erhält das Volk munterer und durstiger als dieses.“ — „Der rohe Mensch ohne Cultur,“ warf ich zur Antwort hin, giebt viele dergleichen Räthsel zu lösen.“ — „Thun Sie dem cultivirten Menschen nicht Unrecht,“ verhöhnte mich der Wirth; „einer ist wohl so unerklärbar als der andere: doch, mein Beruf ist es heute nicht zu philosophiren, sondern meinen Zechgästen Wein aufzutragen.“ Er wollte nun gehen; ich vertrat ihm die Thür. — „Nur noch ein Wort, lieber Mann! Können Sie mir wohl Bescheid geben = = = — „O ja,“ unterbrach er mich, „vollkommen.“ — „Wissen Sie doch noch nicht, worüber,“ fuhr ich ihn an. — „Vermuthlich doch,“ versetzte er, „über den Tod des Gehenkten; denn heut wird nur davon gesprochen.“ — „Nichts weniger,“ gab ich zur Antwort; „was geht mich der Gehenkte an! Die Rede ist von der liebenswürdigen Tochter des Herrn Intendanten, deren Bekanntschaft ich heute gemacht habe.“ — „Läuft ziemlich auf Eins hinaus,“ kauderwälschte der betrunkene Kerl. „Nächster Tage wird Fräulein Clärchen“ — der Name gab mir einen Stich durchs Herz — „auch nicht viel besser als executirt seyn.“ — „Herr!“ polterte ich ihn an, „Sie sind nicht gescheut, oder haben mich nicht verstanden. Um mich kurz zu fassen, wollte ich nur fragen, ob Fräulein Clärchen das einzige Kind des Herrn von Saintsignan sey?“ — „Seine einzige Tochter ist sie,“ antwortete er mir jetzt besonnener. „Doch vergeben Sie, ich will nur einen Blick auf meine untere Wirthschaft werfen, und bin sogleich wieder zu Ihren Diensten.“ Mit dieser Versicherung flog er, vor einer Stunde, zur Stube hinaus, ohne sich weiter um mich zu bekümmern. —

 

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     Ach, mein Eduard! bis hierher hatte ich geschrieben, und da ich dir nichts mehr zu erzählen hatte, war ich eben im Begriffe zu Bette zu gehen, als der Wirth sachte die Thür öffnete, und, da er mich noch aufsah, herein trat. — „Endlich,“ hustete er mir entgegen, „ist es ruhig in meinem Hause. Mein Tagewerk ist vollbracht, bis auf die Erklärung, die ich Ihnen von meiner vorigen Rede noch schuldig blieb. Sie erkundigten sich nach Fräulein Clärchen. Das schöne Mädchen scheint Eindruck auf Sie gemacht zu haben. Sie sind nicht der erste Fremde, dem das widerfährt. Executirt — sagte ich? Nun das war nur scherzweise. Ich würde von der ganzen Sache nichts wissen: aber die Dame, die Sie bey ihr werden gesehn haben, und ihre Gouvernante von Jugend auf, ist meiner Frauen Schwester; durch sie erfahren wir alles. Nächster Tags, sagte ich? Hören Sie nun wie ichs meine. Künftigen Sonntag, wird seyn der vier und zwanzigste, feyert Fräulein Clärchen ihren sechzehnten Geburtstag; aber wie? Sie setzt sich ganz früh mit meiner Schwägerin in einen zugemachten Wagen, in Begleitung eines Geistlichen, schneeweiß gekleidet, wie ein armer Sünder, steigt nicht weit von Marseille bey den Ursulinerinnen aus, laßt sich ihr langes Haar abschneiden, tritt ihr Probejahr an, und wird in einer Zelle begraben. Der Zirkel ihrer Freunde und Bekannten mit aller seiner Cultur trinkt dann, so gut als heute meine Gäste, ein Glas mehr als gewöhnlich. Sieht das nicht ganz wie eine Execution aus, mein Herr?“ — „Um Gottes willen,“ brach ich jetzt los, „um Jesus Barmherzigkeit willen, Herr Wirth, besinnen Sie Sich. Ich spreche von Fräulein von Saintaignan — von der Tochter des hiesigen Herrn Intendanten.“ — „Und spreche ich denn von einer andern?“ erwiederte er. — „Dieses herrliche Geschöpf, sagen Sie, würde Nonne?“ — „Ganz gewiß, mein Herr! Wundert Sie das?“ — „Aber, bester Mann,“ trat ich ihm jetzt mit gefalteten Händen näher, „wäre es denn möglich, daß ein so verständiger Vater seine einzige Tochter, einen solchen Engel = = — „Vermuthlich damit sie es bleiben soll,“ fiel mir der Wirth in die Rede, „bestimmte sie — nicht ihr Herr Vater — zum Kloster — da thun Sie ihm Unrecht — sondern die Mutter that es vor zehn Jahren auf ihrem Sterbebette.“ — „Aber was, ich beschwöre Sie, was brachte denn diese aberwitzige Frau auf diesen barbarischen Einfall?“ — „Ich will nicht mit ihnen um Worte streiten,“ antwortete der Wirth; „aber wer kann das genau wissen? Was ich darüber habe schwatzen hören, will ich Ihnen mittheilen. Der Beichtvater, erzählen einige, habe es der Sterbenden zur Bedingung ihrer Seligkeit gemacht. Dawider wäre nichts einzuwenden. Es ist die Schuldigkeit dieser Herren; aber, ich glaub es nicht einmal. Meine Schwägerin auch nicht. Diese war bey der seligen Marquise bis zu ihrem Verscheiden, und hatte Fräulein Clärchen auf dem Schooße. Auf der andern Seite vor dem Bette kniete der Sohn, der um zehn Jahre älter als die Tochter, natürlich der Mutter auch zehnmal lieber war. Und in diesen bangen Minuten, wie sich meine Schwägerin ausdrückt, wurde das Schicksal der beyden Kinder für die Zukunft entschieden. Die Dame machte, was diesen Punkt betrifft, den Dominicaner. der sie einsegnete, durch eine förmliche Urkunde zum Executor — da haben Sie´s ja — ihres letzten Willens, dessen Vollstreckung, wie gesagt, nächsten Sonntag seinen Anfang nimmt, und in Jahresfrist der Schwester den Schleyer, dem Bruder die ganze mütterliche Erbschaft zuspricht. Er wird dadurch einer der reichsten Herren im Lande, und er verdient es. Ein wohl gebildeter, braver Officier, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt.“ — „Wenn Sie wahr sprächen, Herr Wirth,“ schluchzte ich, „würde er die Erbschaft nicht annehmen.“ — „Er sollte sie nicht annehmen?“ schrie der Kerl, „sollte die schönen Güter in der Normandie, sollte die Plantagen in Saint=Domingo nicht annehmen? Ist denn der letzte Wille einer Mutter nicht umumstößlich? Wird denn das Fräulein nicht Zeitlebens gut aufgehoben? und war ihr denn die Wahl des Klosters nicht frey gestellt?“ — „Der letzte Unsinn einer schwachköpfigen, sterbenden Schwärmerin,“ beantwortete ich mit Bitterkeit seine gehäuften dummen Fragen, „die niemand darüber zu Rathe zieht als einen Dominicaner, kann weder Kraft bey ihren Erben, noch Gültigkeit vor Gerichte haben.“ — „Um Vergebung,“ wendete der Wirth dagegen ein, „Frau von Saintaignan war nichts weniger als eine schwachköpfige, war vielmehr eine sehr kluge, rechtschaffene und empfindsame Dame, und das Vermögen, über das sie Vorsehung traf, kam von ihr her. Ich sehe auch bey Gott nichts unkluges und nicht halb so viel unbilliges in so einem Testamente, als bey einem Majorate; denn jenes erhält die Familie nicht allein auf Erden, sondern auch im Himmel bey Ansehen.“ — „Gehen Sie, Herr Wirth,“ unterbrach ich ihn, „Sie haben vorhin sehr richtig über Ihren Beruf geurtheilt: Philosophie liegt wirklich ganz außer Ihrer Sphäre. Gehen Sie und schaffen Sie mir ein Glas Limonade.“ — Er ging; doch ehe ich mich noch im geringsten von meinem Schrecken erholt hatte, stand er mit seiner Bouteille und seinem Geschwätze wieder vor mir. — „Da Sie doch,“ sagte er, indem er mir einschenkte, „eine Flasche Limonade nöthig haben, um über das Schicksal Fräulein Clärchens Ihr Blut zu beruhigen, wie viel werden Sie nicht brauchen, wenn Sie erst die Geschichte des Bruders erfahren!“ — „Ich mag sie gar nicht wissen, Herr Wirth. Was so eine Seele angeht, ist mir ganz gleichgültig.“ — „Das wird es Ihnen nicht bleiben; lassen Sie mich nur erst erzählen. Daß Fräulein von Saintaignan den Schleyer annimmt, gereicht keinem Menschen zum Nachtheile, so wenig als ihr selbst. Ihr Herz ist noch nicht vergeben, und das Kloster befreyt sie von allen Nachstellungen. Wenn einem Manne aber, wie dem jungen Marquis, des Heilands wegen eine Braut untreu wird, so ist dieß wohl ein seltneres Unglück, und unserm jungen Herrn muß es noch viel schmerzhafter fallen, weil sein Schwesterchen vielleicht noch mehr Antheil daran hat als der Heiland.“ — Jetzt erst schenkte ich seiner Erzählung meine ganze Aufmerksamkeit. — „Die junge schöne Prinzession von Montbasson,“ fuhr er fort, „wurde hier unter der Aufsicht meiner Schwägerin mit Fräulein Clärchen zugleich erzogen. Erstere war von jeher dem Bruder bestimmt; dem ungeachtet gewannen die beyden jungen Leute einander lieb, die Zeit verging, der Tag ihrer Vermählung war schon festgesetzt, und der Bräutigam wurde nächstens von der Armee erwartet. Dieser Zwischenraum, so kurz er war, warf alles über den Haufen. Die Freundschaft zur Schwester stritt schon lange in dem Herzen der Prinzessin mit der Liebe zum Bruder, und, was wohl noch nie erhört ist, sie siegte. Die schöne Verlobte entschloß sich kurz, schrieb ihrem Bräutigam einen bethränten Abschiedsbrief, flüchtete, ehe sich meine Schwägerin dessen versah, in das Kloster, das ihre Gespielin gewählt hat, und erwartet dort nun schon seit acht Wochen die baldige Wiedervereinigung mit ihr auf Leben und Tod. Dergleichen heldenmüthige Entschließungen, mein Herr, dergleichen Freundschaft, Treue und Hingebung ist nur in unserer Religion möglich. Wenn auch sonst nichts ihre Göttlichkeit bewiese, solche Beyspiele würden es allein thun. Der junge Herr, sagt man, soll untröstlich seyn. Das ist begreiflich. Man wird freylich eine Schwester gelassener einkleiden sehen, von der man erbt, als eine geliebte Braut, die alles mitnimmt und dem Himmel aufhebt, was wir schon als uns zugehörig betrachteten, und das unserer Phantasie von unersetzlichem Werthe scheint.“ — „Wer hart genug ist,“ antwortete ich, „eine solche Schwester dem Moloch — der Mönchswuth zu opfern, verdient statt der Schmeicheley eines liebenden Auges die Umarmungen der Furien. Gott tröste und segne nur die beyden trefflichen Mädchen — was kümmert mich der unnatürliche Bruder!“

 

     Der Wirth schlich während meines heftigen Ausfalls gähnend davon. Ich schlüpfte in meine Kammer — aber woher sollte mir der Schlaf kommen? — stürzte wieder heraus, setzte mich an meinen Schreibtisch, und sitze noch da, fluche der geistlichen Verrätherey an der Menschheit, und zanke zur Abwechslung mit dem Schicksale. Ich kann mich nicht trösten über den Verlust, den Welt, Tugend und Freude durch die Mordthat an diesem unvergleichlichen Mädchen erleidet. Jetzt erst begreife ich ihre Erschütterung, als die Klosterglocken zum nächtlichen Gebete läuteten; jetzt erst fühle ich das ganze Gewicht der stillen Thräne, die ihr über die Wange in den Kelch der Passionsblume rollte; erst jetzt wird mir es klar, warum ihre Bewunderung des ausduldenden Kapuziners sich in Beben und Gebet verlor, warum ihr Auge so gerührt über den Blumen hing, die sie ihrer eingekerkerten Agathe darbrachte, und ich verstehe die Wehklage über ihr Unvermögen der verwaisten Armen zu helfen.

 

     O du, deren melodisch tönende Trauerstimme mir das Herz jetzt schneidend durchdringt, wohl hattest du recht: ich entdecke mit Stolz den Sinn deiner Rede, daß ich zwar unbekannt mit deinem Kummer, doch des Mitgenusses deiner Schwermuth nicht ganz unwürdig sey. Hält mich auch der Nachschwung in die lichtvolle Höhe der Unsterblichkeit, aus der du, gleich einem Engel, auf diesen Todtenhügel herab schimmerst, immer noch fern von dir, so giebt mir doch schon der mindeste Nebenstrahl deines heutigen Abglanzes alle Ehre und Würde wieder, die ich in der niedern Sphäre des Leichtsinns und der Wollust verlor. — Dich, die jeden Kreis erheitert, jeden geselligen Trieb veredelt, konnte ein Vater, der Lebensgenuß, Freuden und Feste liebt, zu der Einsamkeit eines Klosters verdammen? — eines Klosters? wo deine von ihm entsprossene und sorgsam gepflegte Jugendblüthe, bey den höchsten Ansprüchen auf Gefallen und Liebe, wo deine sanften Herzenserwartungen und jene geheimen Ahndungen mütterlichen Entzückens — einem Götzenbilde zum unnützen Weihrauch dienen, und die Keime zu den reichsten Ernten menschlichen Glücks in dem Darrofen einer Zelle dumpf werden und vertrocknen sollen? — Unglückliches Kind! Entferne dich, wie die Tugend vom Laster, von deinem abscheulichen Bruder, der die Stirn hat, das Verbrechen seiner Erbschaft mit dem letzten Willen einer in Wahnsinn sterbenden Mutter zu beschönigen. Entferne dich, noch ist es Zeit, von den arglistigen Lockungen der frömmelnden Sirenen, die dich in den Strudel ihrer Langenweile zu ziehen drohn. Erhalte deine holde Munterkeit der freyen, mit dir verwebten Natur — fern von dem heiligen Schneckengang eines ungebrauchten strafbaren Lebens. Und entflöhest du als Bettlerin dem undankbaren Lande, dessen Zierde du bist, so würdest du doch die Sonne auf= und untergehen, den Wald grünen, die Saatfelder wogen sehen, würdest die Lerchen singen, den Bach rieseln hören, und in dem großen Tempel Gottes eine redlich freywillige Dienerin seiner ausgespendeten Liebe seyn. —

 

     Dreymal habe ich die niedergelegte Feder wieder erhoben, und meine Herzensangst durch das Adagio der Elegie zu besänftigen versucht; aber das Vorgefühl der unnennbaren Leiden, denen das unbefangene Kind, zur Feyer seines Geburtstags, entgegen geht, foltert mich zu sehr, um meinen Schmerz täuschen zu können. — Muß sie denn hin, die arme Verlockte, wo schon so viel lebendig begraben wurden, die ihr an Schönheit, Tugend, und Frohsinn gleich waren: nun so stärke sie Gott bey dem Erwachen ihres Bewußtseyns! Er lasse ihr vollen Ersatz in der Freundschaftquelle der Unnachahmlichen finden, die dem ehelichen und mütterlichen Berufe freywillig entsagt, um jeden Kelch mit ihrer Jugendgespielin zu trinken, und auf denselben Stufen, gleichen Schritts mit ihr, in die Region der Auserwählten zu steigen! Möge der Gedanke untrennbarer Vereinigung euch immer als ein lachender Genius zur Seite stehen und durch dieses kurze Leben begleiten, ihr göttlich verschwisterten Seelen!  — Zwo Blumen — so denk ich mir euch — zwo herrliche Blumen im Thale, umringt von unübersteiglichen Felsen, die, der Kenntniß der Menschen und ihrer Neugier ewig verborgen, ihr blühendes Daseyn in dem leeren Lufraume verdunsten — aber ein Engel des Himmels hat sie unter seiner Obhut, sonnet, pfleget und schmückt sie, und findet Wohlgefallen an ihrer Eintracht und Schönheit. — Wer kann sagen, daß sie Unrecht leiden? Wer kennt den Umfang ihrer Bestimmung? — An dieses tröstende Bild will ich mich halten und mein Hauptküssen damit polstern, und so oft ich murrend = =

 

*  *  *

 

     Gott! was ist mir begegnet! Es lag, Eduard — während der drey Stunden, die ich dir vorjammerte, lag eine der schauderhaftesten Nachrichten auf meinem Pulte. Ich entdeckte sie, da ich mir eine Thräne abtrocknen wollte, die mir meine Trauer um das schöne, edle, duldende Kind entriß. Indem ich mein Schnupftuch entwickelte, fiel ein Brief heraus. Hier ist sein Inhalt.

 

     „So sehr ich auch für Ueberraschungen bin, lieber Wilhelm, so hätte ich derjenigen doch gern entbehrt, die du mir heute zu sehr unge­legner Zeit verschafft hast.“ —

 

     Was zum Henker, dachte ich bey mir selbst und legte meine fla­che Hand auf das Blatt, will der Marquis mit diesem spitzigen Eingange? Ich konnte es nicht errathen, und las fort. —

 

     „Ich würde mich über meinen verlornen Spaziergang kaum getröstet haben — das Glück, das dir ward, gehörte mir, du führtest Clärchen, und ich inzwischen mußte deine tollen Geschäfte bey ihrem Vater vertreten — wäre mir nicht zu einiger Entschädigung der Spaß geblieben, dich am Ende mit den Folgen deiner angenehmen Zerstreuung, die alle deine Schritte durch die Welt begleitet, selbst stärker noch zu überraschen als du mich.“ —

 

     Zur Sache, lieber Marquis, rief ich voller Ungeduld. Ach, ich erfuhr sie nur zu geschwind!

 

     „Dein verlornes Schnupftuch und dein unbenutztes Einlaßbillet haben sich wieder gefunden. Ich soll dir das erstere im Namen des Königs überliefern. In Ansehung des andern wird dich das darüber gehaltene Protocoll verständigen, das ich von dem Herrn Intendan­ten Erlaubniß habe dir im Auszuge mitzutheilen:

 

     „Nachdem der angeblich aus Chursachsen gebürtige Ehrlieb Fürchtegott Freyherr von ...., der seit drey Jahren wieder­holter Betrügereyen halber, sonderlich in verbotenen Spielen, auf die königlichen Galeeren allhier gebracht worden, heute dato sich des Verbrechens schuldig gemacht, und eingestanden hat, daß er die­sen Morgen die Unachtsamkeit eines andern hier durchreisenden Deutschen, der die Galeeren besah, benutzt, und mit derselben Hand, die er nach einem Almosen jenem entgegen streckte, nicht nur des­sen Taschentuch, sondern auch einen Erlaubnißschein zur Besichti­gung des königlichen Arsenals, diebischer Weise entwendet, und bey­des eine Stunde nachher einem Englischen Herumstreicher für sechs Livres verkauft habe. Nachdem ferner nur gedachter aus Glocester gebürtiger Vagabond sich in anständige Kleidung arglistig versteckt, und unter dem angemaßten, auf dem Einlaßschein ausgedruckten Na­men des rechtmäßigen Eigenthümers sich Zugang in das Arsenal zu verschaffen kühnlich versucht, und nicht vermocht hat, seine dabey hegende verrätherische Absicht zu läugnen, solche vielmehr durch sein wörtlich folgendes Geständniß außer allem Zweifel gesetzt ist u.s.w. — Als haben die königlichen Admiralitäts=Gerichte allhier für Recht erkannt, und sprechen demnach für Recht: daß beyde genannte, ihrer Verschuldung überführte Gaudiebe, und zwar der Englische Matrose, nachdem ihm der Name, den er sich fälschlich zugeeignet, abgenommen, und sein eigner ehrenverlustiger an die Stelle gesetzt worden, auf das im Hafen vor Anker liegende, noch uneingeweihete neue Kriegsschiff Vengeance gebracht, dem zur Vollstreckung des Urtheils bereits angewiesenen Officier daselbst überliefert, und vor Untergang der Sonne an den Mastbaum aufgekhüpft und gehenkt werden, bis der Tod erfolge. v.R.w.“

 

*  *  *

 

     Bey den letzten Worten — unheimlicher ist mir in meinem Leben nicht zu Muthe gewesen — entfiel der Brief meinen zitternden Hän­den, das Athemholen, das mir während des Fortlesens schon schwer genug ankam, schien jetzt ganz auszubleiben. Für alles in der Welt hätte ich ich nicht gewagt mich umzusehen; denn mir war immer, als ständen von den beyden Gehenkten der Freyherr auf der einen, der Matrose auf der andern Seite meines Lehnstuhls, um mich über ihre Hinrichtung zur Verantwortung zu ziehen. In diesen scheuen Augenblicken sprudelte mein abgebranntes Licht, verlosch, und al­le Schrecknisse der Nacht stürzten über mich zusammen. Mein brau­sender Kopf — was ist doch der Mensch für eine armselige Maschi­ne! — drückte sich, wie im Vorgefühl der Erdrosselung, zwischen die Achseln, Galle überlief meine Zunge, und häßlicher Krampf sträubte mein Haar. So verschwitzte und verhorchte ich eine lange peinliche Stunde in einer Todesangst, die von den Gehenkten auf mich vererbt schien. — Endlich — es war die heftigste Erschütte­rung meiner gespannten Nerven, aber auch die letzte — hörte ich von weitem ein Posthorn schmettern, und einen Wagen vor das Haus fahren. Der Postillion — ich hätte ihm billig für den blinden Passa­gier ein Trinkgeld bezahlen sollen — brachte mir meine entlaufene Vernunft zurück. Ermannt sprang ich von meinem heißen Lehnstuhle auf, hob die Vorhänge und öffnete das Fenster. Mein Grausen ver­flog. Ich sah lebende Menschen, und den Anbruch des Morgens schon hell genug, meinen furchtbaren Brief weiter zu lesen. Schamroth und lächelnd hob ich ihn vom Boden auf, las herzhaft die Mordgeschichte noch einmal sammt der Nachschrift, die ich dir noch abschreiben will.

 

     „Damit du nun auch hörst,“ fährt Saint-Sauveur fort, „wie erbau­lich sich dein Landsmann bey seinem Uebergang in die andere Welt betrug, so lege ich dir einen Auszug der Anzeige des Officiers bey, der die Execution commandirt hat. —  — „Und als nun beyde Verur­theilte auf dem Verdeck zusammen trafen, weigerte sich jeder die Leiter zuerst zu besteigen. Da sich die Sonne schon stark neigte, befahl ich, um keinem Unrecht zu thun, den Streit durch Würfel zu

entscheiden, deren auch sogleich drey gebracht wurden. Zur Kenntniß des menschlichen Herzens, wenn es bis auf einen gewissen Grad verdorb­en ist, verdient angemerkt zu werden, daß die Freude des Deut­schen, bey Erblickung derselben unmäßig war. Als er sie von dem Engländer, der zuerst warf, übernahm, küßte er sie, rieb sie warm zwischen den Händen, und: „Es geht doch nichts über ein Hasardspiel­!“ sagte er, warf, und verlor durch einen Punkt weniger den ause­tzten Preis. Unwillig, doch entschlossen, machte er sich nun auf Weg. Indem ihm der Strick um den Hals gelegt wurde, sagte er zum Nachrichter: Ich bin aus der Uebung gekommen. In den Bä­dern besonders in Ronneburg, verstand ichs besser. Hätte ich den Satz Würfel gehabt, die mir der dortige Kammerpräsident abnehmen ­ließ, der Engländer sollte, bey meiner Cavaliers=Parole, eher gebammelt haben als ich. Noch ein Wort, lieber Freund, mache Er Seine Sache gut: ich kann Ihn belohnen; denn ich habe die drey Wür­fel dem Rumor heimlich eingesteckt; die gehören nun Sein. Sie können Ihm etwas eintragen, ich will Ihm sagen wie: Schreibe Er unter meiner Adresse nach Leipzig, so kommt der Brief sicher an meinen nächsten Blutsfreund. Diesem biete er sie an. Er macht ge­wiß einen guten Handel; denn die Würfel eines Gehenkten sind schon etwas werth. Sie sollen nie fehlen, sagt man: Schade daß ich nicht selbst versuchen kann, was daran ist! Eile Er aber, damit der Kauf, vor der Michaelis=Messe = = = Hier stieß ihn der Nachrich­ter von der Leiter.“

 

     „Aus dem, was du gelesen hast, darf ich wohl voraussetzen, daß dir morgen das schmalste Mittagsbrot anderwärts schmackhafter dünken ­wird, als das prächtigste Fest unter dem Mastbaume der Ven­geance. Die angenommene Einladung ist leicht wieder abgesagt. Laß uns also, was wohl das klügste ist, mit dem Tage von hier aufbre­chen, damit wir noch vor Untergang der Sonne, die du heute deinem ­Landsmann hast auslöschen helfen, unser schuld= und straffreyes ­Thal erreichen. Dort wird es dir hoffentlich eher behagen, die reichhaltige Geschichte des verlaufenen Tags in eigene stille Betrach­tung zu ziehen, als umringt von Fragern und Zuhörern. — Wo wolltest du Zeit hernehmen, die Neugier aller zu befriedigen, in deren Mäuler du gerathen bist? Auf den Malteser Ritter allein müßtest du eine gute Stunde rechnen. Er ist zu sehr Genealogist, um nicht bey Gelegenheit des Mastbaums — den Stammbaum des gehenkten Edelmanns bis auf den nun ausgegangenen Zweig zu beleuchten, Ahnenprobe mit ihm anzustellen, und dabey zu bedauern, daß eine solche Stiftsfähigkeit, für die mancher ehrliche Bürger gern Haus und Hof hingeben würde, wenn er sie dadurch erlangen könnte, so schändlich verloren gegangen sey. Hast du nun für dergleichen genealogische Ergetzungen keinen Sinn, trauest du dir nicht Festigkeit genug zu, den Bemerkungen deiner moralischen Tischnachbarin, dem viel sagenden höflichen Stillschweigen des Intendanten, den Sticheleyen deines lahmern Begleiters, mit Einem Worte, allen den Folgen von Heute, gesetzten Schritts morgen entgegen zu treten; so halte dich gegen fünf Uhr früh, wo ich bey dir vorfahren werde, so deiner Abreise gefaßt.

Saint=Sauveur.“

 

 

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Das trifft ganz vortrefflich zusammen! Eben schlägt es. Ich bin völlig, noch von gestern her, gekleidet, und höre, wenn ich mich nicht irre, den Wagen des Marquis über die Gasse herrollen. — Richtig er ists.

 

den 21. Februar.

 

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Grimma,

gedruckt bey Georg Joachim Göschen.

 

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