Moritz August von Thümmel:
Gedichte, Theil 2

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Sinngedichte:
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 — Die Reise
 — Orpheus
 — Der verdorrte Feigenbaum
 — Bey einer Tragödie
 — An einen stolzen Herrn von Adel
 — Die Modelist
 — Über die Untersuchung, ob es einen Teufel gäbe
 — Zwey betrunkene Schauspieler an einen Autor
 — Auf eine Hochzeit im Herbste
 — Moral
 — Ehestandsgespräch
 — Selinde
 — Auflösung
 — Der gegründete Hass
 — Der gutthätige Nabal
 — Die Frau Gemahlinn und ihr Gemahl
 — Der Weiber Wunsch
 — Über Herrn Raspens Romanze, Hermin und Gunilde
 — Die geliebten Unterthanen
 — Als Daphne Blindekuh spielte
 — Das gehässige Mitleid
 — Auf die Geburt der Venus
 — An *** über den Angriff eines Kritikasters
 — Feinheit der Neuern
 — Auf eine alte Kokette
 — Das richtige Sinnbbild
 — Die Sinngedichte
DIE REISE.

     Der junge Hans verreist. — Ihr fragt, wohin es geht?
Von Leipzig nach Lion — von da? — ins Lazareth.
 



 

ORPHEUS.

     Schaut Orpheus klägliches Geschicke!
Voll Rachbegier zerriss die Schar
Der Weiber ihn in tausend Stücke,
Weil er ein Feind der Ehe war.

     Hört auf, ihr spröden Hagestolze,
Des Hymen Fesseln zu verschmähn:
Geschah das an dem grünen Holze,
Was wird am dürren nicht geschehn?
 



 

DER VERDORRTE FEIGENBAUM.

     Ein schreckenvoller Fluch
Traf jenen Baum, der, statt der Früchte,
Nur leere Blätter trug. —

     Ihr Nonnen! die Geschichte
Dien´ euch zum Unterrichte:
Nehmt Männer! bringet Früchte!
 



 

BEY EINER TRAGÖDIE.

     Des Stückes Held lag im Agonisiren,
Da schlich ein Arzt sich weg; doch ihn rief Phaon bald:
„Ey, wollen sie ihn schon seciren?
Er ist ja noch nicht kalt."
 



 

AN EINEN STOLZEN HERRN VON ADEL.

     Freund, wenn dein Stammbaum uns nur erst beweisen kann,
Dass Glied vor Glied von deinem Ahnherrn an
Verstand und Tugend abgenommen;
So tret´ ich deiner Meinung bey,
Dass das Geschlecht, von dem du abgekommen,
Das älteste im Lande sey.
 



 

DIE MODELIST.

     Rom weiss sich in die Zeit zu schicken,
Denkt hetrodox aus einer Modelist,
Und Pius Sextus trägt Perücken,
Vielleicht — weil diess die Tracht der Orthodoxen ist.
 



 

ÜBER DIE UNTERSUCHUNG,
OB ES EINEN TEUFEL GEBE.

     Ja, Teufel, sey! die Furcht vor seiner Kraft
Macht bürgerlich, gerecht und tugendhaft;
Doch, kann er dir die Seelenruhe rauben,
So sey er nicht! wer zwingt dich ihn zu glauben?
Wenn aber er der Laster Menge stört,
Ist dann die Welt nicht eines Teufel werth?
 



 

ZWEY BETRUNKENE SCHAUSPIELER
AN EINEN AUTOR, DER SIE NACH DER
VORSTELLUNG MIT PUNSCH TRACTIRTE.

A.

Mehr Feuer als dein Kiel hat dieser Punsch, den du uns gibst:
O hätt´st du ihn allein gezecht, als du dein Schauspiel schriebst!

B.

Dein Punsch ist glatt und deine bittersüssen Verse rauh;
Doch hitzen sie nicht wie der Punsch, sind sie doch gleich ihm lau.
 



 

AUF EINE
HOCHZEIT IM HERBSTE.

     Verwegen ändert ihr die Ordnung der Natur!
Zum holden Frühling kehrt ihr jetzt den Herbst;
Zum Sommer schafft ihr drauf den Winter um;
Das Frühjahr bringt euch, gleich dem Herbste, Frucht:
Den Winter kennet eure Liebe nie!
 



 

MORAL.

     Im Feinde Tugenden zu sehen
Sieht man sich oft vergebens um;
Doch seine Fehler auszuspähen
Wird jedes Aug ein Mikroskopium.
 



 

EHESTANDSGESPRÄCH.

ER.

Mich hungert, Schätzchen! hast du ein Gerichte
Für mich zurecht gemacht?

SIE.

Mein Engel, nein! Ich hab´ es nicht bedacht.
Sieh einmal, hier an dem Gedichte
Hab´ ich den Morgen zugebracht.
 



 

SELINDE.

     Ihr denkt, dass nur zum Scheine
Selinde ihres Mannes Tod beweine:
Ihr irrt euch; war er nicht der beste Mann?
Wen hat sie nun, mit dem sie zanken kann?
 



 

AUFLÖSUNG.

A.

Wie ist man dran mit Lindors Frau?
Alt oder jung? Das Haar ist grau;
Allein den Haaren widerspricht
Ihr junges Milch- und Blutgesicht.

B.

Ihr Haar hat sie schon mit zur Welt gebracht;
Doch das Gesicht ist erst heut früh gemacht.
 



 

DER GEGRÜNDETE HASS.

     Stax hasset die Vernunft; wie leicht ist es geschehn!
Wer liebt die Schöne wohl, die man noch nie gesehn?
 



 

DER GUTTHÄTIGE NABAL.

     Seht, Nabals Herz ist endlich aufgethaut!
Die Stadt und Vorstadt wird durch seine Lieb´ erbaut.
Ihr Eifrer, droht ihm nicht mehr mit dem Schwefelpfuhle!
Er schickt zwölf Kinder in die Schule;
Er stattet junge Mädchen aus;
Gibt allen Dürftigen, die bettelnd ihm begegnen;
Von Armen wimmelt stets sein Haus,
Die ihn mit Freudenthränen segnen;
Er baut ein Hospital, das man nach ihm benennt;
Er kleidet den Altar — wem ist diess unverhohlen?
Mit einem Wort: — er schenkt dem Himmel fünf Procent
Von dem, was er der Welt gestohlen.
 



 

DIE
FRAU GEMAHLINN
UND
IHR GEMAHL.

     Der Frau Gemahlinn ihrem Mann —
Ich wollte dir den Nahmen sagen;
Allein er geht uns hier nichts an —
Wozu auch das in unsern Tagen? —
Ward eine Sach´ einst angetragen.

     Er sprach: Die Sach´ ist von Gewicht.
Ich müsste mich des Ausgangs schämen;
Und kurz, ich kann sie nicht auf meine Hörner nehmen.

     Hier sah ihm Frau Gemahlinn ins Gesicht: —
„Mein Schatz! Sie kennen ihre Stärke nicht." —
 



 

DER WEIBER WUNSCH.

     Nur selten, dass ein Mann, der in Gebirgen gräbt,
Viel über vierzig Jahre lebt;
So wünscht demnach die Bergfrau bey der letzten Ehre,
Die sie dem sechsten Mann erweist,
Und oft vielleicht bey einer Modezähre,
Die sie dem Auge mit Gewalt entreisst,
Sich wiederum, dass sie begattet wäre.
Wer weiss, gefällt der Wunsch nicht manchen jungen Damen,
Die öfters nur zu einem Modeschein,
In Hoffnung, bald ihn wieder los zu seyn,
Sich einen lieben Gatten nahmen.
Denn manche wünscht (und nicht aus Feindschaft von Cythere,)
Dass auch ihr Mann ein Bergmann wäre.
 



 

ÜBER
HERRN RASPENS ROMANZE,
HERMIN UND GUNILDE.

     Hermin verstand Gunilden nicht,
Als sie von jenem Stein, der an dem Berge lag,
Nur allegorisch mit ihm sprach,
So wie noch itzt ein kluges Mädchen spricht.
O, wär´ an mich der Antrag doch von ihr gekommen!
Ich hätte für den schweren Stein,
Der will ja nicht getragen seyn,
Ich hätte Sie auf meinen Arm genommen,
Und, ohne lang nach ihrem Sinn zu fragen,
Sie selbst den Berg hinangetragen.
 



 

DIE GELIEBTEN UNTERTHANEN.

     Denkt, seine Bauern liebt der Junker und sein Schreiber:
Der Schreiber liebt ihr Geld, der Junker ihre Weiber.
 



 

ALS
DAPHNE BLINDEKUH SPIELTE.

     So gern er auch verborgen bliebe,
Entzückt dein Reiz doch jedermann:
Verbunden sah man dich für den Gott der Liebe
Mit offnen Augen itzt für seine Mutter an.
 



 

DAS GEHÄSSIGE MITLEID.

     Warum mag Flavien doch stets an jedem Ort
Der Chloe Fehltritt so gereuen?
Ist´s Tugend, die sie zwingt? — Nein, kaum kennt sie diess Wort:
Ihr Alter ist´s, das kann der Jugend nicht verzeihen.
 



 

AUF DIE
GEBURT DER VENUS,
EIN GEMÄHLDE VOM HERRN PROFESSOR TISCHBEIN IN KASSEL.

     Diess ist die Göttin, die vom Schaum des Meers geboren war;
Es träufelt noch vom Schaum ihr nasses Haar;
Wie schauert sie vor Kälte, die das Wasser gibt!
Doch seht, wie Bacchus sie umarmt und zärtlich liebt!
Nun wird sie — Leben gab ihr schon der Künstler ein —
Nun wird sie bald erwärmet sein.
 



 

AN ***
ÜBER DEN ANGRIFF EINES KRITIKASTERS.

     Marphurius siegt ohne Zeifel
Durch seine luftige Substanz:
Zerhaust du ihn, wie Michael den Teufel,
Gleich wird er wieder ganz.
 



 

FEINHEIT DER NEUERN
IN EINEM BEYSPIELE.

     Ein neuer Dionys rief von der Seine Strande
Sophistenschwärme her für seinen Unterricht.
Ein Plato lebt in seinem Land,
Und diesen Plato kennt er nicht.
 



 

AUF
EINE ALTE KOKETTE.

     Mit ihrem Bette geht es so,
Wie dort im Evangelio,
Als die Geladenen nicht kamen:
Sie nimmt die Blinden und die Lahmen.
 



 

DAS RICHTIGE SINNBILD.

     Cotill, der uns so oft mit seinen Schriften straft,
Cotill lässt sich ein Petschaft fassen.
Das Sinnbild seiner Autorschaft,
Das, denkt er, müsse artig lassen.
Er schlägt´s dem Künstler vor, der wagt es zu versprechen,
Geht voll Erfindung fort, und sticht, was er erfand —
Was konnt´ er auch wohl anders stechen? —
Ein Schreibezeug und eine Hand.
 



 

DIE SINNGEDICHTE.

     Der Wahrheit Hülle, die Homer, Virgil
Und Flaccus schuf, und die auf Enkel fortgeerbet
Der Neuern Witz frisch aufgefärbet,
Ward alt; es kostete zu viel
Der Kunst und dem Genie, die Wahrheit neu zu kleiden.
Was war zu thun? — Ein Trödler nahm mit Freuden
Den theuern Stoff, schnitt alle Blumen aus,
Und Sinngedichte wurden draus.


Die Gedichte wurden der folgenden Ausgabe entnommen:
Poetische Schriften des Herrn Moritz August von Thümmel.
Wien, gedruckt und verlegt bey F. A. Schrämbl, 1792