ReSource / N E W S
Zeitschrift der Edition ReSource und Reihe Mitschnitt

Nr. 11 vom 18. Januar 2002
Die Zeitschrift NEWS bringt Texte, Bilder und Töne, die in einer Verbindung zum Arbeitsbereich von »literatur-live« stehen. Dabei will sie sich nicht auf die bloße Anzeige von Neuerscheinungen  des Verlags beschränken; es ist daher möglich, daß hier Texte, Bilder und Töne erscheinen, die in keinen Zusammenhängen stehen. Es kann sich erst im Laufe der Zeit zeigen, welches Gesicht diese Seite haben wird - ob sie überhaupt eins haben wird. Es lebe der Widerspruch!
Anregungen, Hinweise, Kritik, Bestellungen, etc:
--e-mail

... unser Zeichen ...
I N H A L T  :
Thümmel-Briefe #3 : Briefe von Friedrich Heinrich Jacobi, Christian Felix Weiße und Friedrich Maximilian Klinger an Moritz August von Thümmel
1) Friedrich Heinrich Jacobi 2) Christian Felix Weiße
3) Friedrich Maximilian Klinger  

Im Jahrbuch für Fränkische Landesforschung, Bd. 22, Neustadt (Aisch) 1962 teilt Horst Heldmann, bekannt durch seine Thümmel-Forschungen, vier Briefe an Moritz August von Thümmel mit. Da der Publikationsort etwas abgelegen erscheint, sollen sie hier mitgeteilt werden. Ergänzt durch kurze Hinweise Heldmanns. — Die ausführliche Lektüre der kleinen Monographie sei jedermann empfohlen.
Friedrich Heinrich Jacobi an Moritz August von Thümmel:
Die  persönlichen Beziehungen Thümmels zu dem später als Philosoph und Schriftsteller hervorgetretenen Friedrich Heinrich Jacobi haben sich wohl auf den in dem unten abgedruckten Brief zur Sprache kommenden Bereich beschränkt. Jacobi hat wahrscheinlich kein zweites Mal an Thümmel geschrieben; der Brief Thümmels, den Jacobi mit seinem Schreiben beantwortete, hat sich bisher noch nicht wieder aufgefunden.  [H. Heldmann]
[Düsseldorf, 3.4.1774]
Hochwohlgebohrner Freyherr
Hochzuverehrender Herr GeheimRath,

Eine langwierige und ziemlich ernsthafte Unpäßlichkeit ist Ursache, daß ich Dero geehrtestes Schreiben so lange habe unbeantwortet liegen laßen müßen. Ich hätte zwar das Exemplar des Agathon, welches Denenselben gebührt, und durch eine unglückliche Irrung nicht zu Ihren Händen gekommen ist, unterdeßen nach Coburg besorgen können; aber mir schien unerträglich, bey Ihnen den Argwohn zu erregen, ich hätte bloß aus Trägheit oder Nachläßigkeit das Paquet ohne alle Begleitung gelaßen. Gestern ist nun endlich ein Exemplar des Agathon auf holländisches Papier, unter EwHochwohlgebohrnen Aufschrift, mit dem Reichs=Wagen von hier abgegangen. Den begangenen Fehler, nebst allen seinen Folgen und Zufälligkeiten, wollen Dieselben gütigst verzeihen.
     Meinen Bruder, der den verwichenen Winter über zu Halberstadt gewesen ist, habe ich vergessen wegen des von EwHochwohlgebohrnen auf die Gleimischen Werke in Vorschuß empfangenen Ldor zu Rede zu stellen; er soll Denenselber von hier aus, wo er zu Ende dieses Monats eintreffen wird, ohnverzüglich Rechenschaft darüber ertheilen.
     Sehr angenehm war mir in EwHochwohlgebohrnen Schreiben die für mich so schmeichelhafte Erwähnung Dero zu kurzen Erscheinung in Düßeldorf. Der Werth welchen Dieselben auf die Bekantschaft legen, die ich zwischen Ihnen und dem Marquis de St Simon zu veranlaßen das Glück hatte, giebt mir selbst den einzigen, den ich mir anjetzt noch bey denenselben zuschreiben kan. In Ihnen verehrte ich längst einen der liebenswürdigsten Dichter; und gewiß weiß ich die Gefälligkeit zu schätzen, wodurch mir das Glück zu Theil ward, in diesem liebenswürdigen Dichter zugleich einen der liebenswürdigsten Menschen kennen zu lernen.
Ich bin mit der vorzüglichsten Hochachtung
                                                                    EwHochwohlgebohrnen

Düsseldorf d 3ten April                                                    ganz ergebenster Diener
                           1774                                                    Friedrich Heinrich Jacobi

[Umschlag:]
     An Tit:
     Herrn GeheimRath
     FreyHerrn von Thümmel
                           zu
                    Coburg

Christian Felix Weiße an Moritz August von Thümmel:
Thümmels Briefwechsel mit Christian Felix Weiße, dem Leipziger Dichter und Jugendschriftsteller, erstreckte sich über etwa 45 Jahre. Die beiden jungen Männer hatten sich während Thümmels Studienaufenthalt in Leipzig kennengelernt, wohl um 1758; sie wurden nahe Freunde und blieben es bis zu Weißes Tod 1804. [H. Heldmann]
Der Hofrath Lerse, Göthens vertrauter Freund, den er sogar nament[lich] in s. Goetz von Berlichingen aufs Theater gebracht, vormalicher Prof. in Colmar, Pfeffels College, nach der franz. Revolution zwey Jahre lang Capitain von der National=Garde, itzigen Hofmeister des reichen Grafen von Fries aus Wien, der itzt hier studirt, ein Mann voller Verstand, Gelehrsammkeit, Welt u. Menschenkenntniß, wünscht bey seyner kleinen Reise mit dem Grafen nach Gotha sehr Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, mein bester Freund, u. da ich ihn sehr oft sehe, kann ich seine gerechte Foderung, ihm zu der Ehre zu verhelfen nicht versagen. Der Erbpr. von Hessen Darmstadt ist mit ihm, aber nicht weiter als bis Weimar gegangen: sie kommen aber beyde in 8 Tagen wieder zurück. Gern schriebe ich Ihnen recht viel: aber, ich erwarte noch von Parthey Briefe, die mir noch zur Antwort auf Ihr leztes dienen soll[en]. Hoffent[lich] werde ich bal Ihren H[err]n Bruder wieder sehen: o daß er Sie doch mitbrächte, oder ich itzt Lersen hätte begleiten können! Wenigsten soll er mir viel von Ihnen sagen! Ich umarme Sie von ganzem Herzen. Ewig

L. den 5. Apr. [1796]
                                                                                                                               Ihr
                                                                                                                                         W.
Beyliegendes Programm, womit mein Sohn vorige Woche seine Professur angetreten, u. das, wie man sagt, eine wichtige publicistische Materie bey dem unfern bevorstehenden Reichsfrieden abhandeln soll, geben Sie, wer es lesen mag: vielleicht kann eine Anzeige davon in Ihrer gel. Zeitung gebracht werden.
     Unser Blankenburg ist sehr krank.

* * * * *

[Leipzig, 7.11.1798]
Es thut mir ordentlich weh, mein bester Freund, daß Sie unsere Gegend wieder verlassen: denn so wenig ich auch Genuß davon gehabt habe, so hat schon der Gedanke, einander in etlichen Stunden sehen zu können etwas tröstliches für mich. Wollte der Himmel! daß Sie wenigstens der Ruhe u. Zufriedenheit entgegen eilten: aber welche Ungeheuer lauschen nicht an den liminibus potentum! Wie wohl würde Ihnen u. mir seyn, wenn wir uns noch von den kleinen Anhöhen von Schönfeld u. Stötteritz einen guten Morgen bieten könnten! Gott gebe Ihnen und Ihrem Hn. Bruder nur eine feste Gesundheit. Denn für ihn ist mir bey seiner betriebsamen Thätigkeit immer leid, u. wenn man immer vielen Herrn zugleich dienen soll, macht man es selten Einem oder dem andern recht. Unsere Leipziger Herrn ware von der Güte Ihrer liebreichen Aufnahme ganz durchdrungen, u. finden Ihres Lobes u. Dankes kein Ende.
Des armen Garve Schicksal kann man sich nicht ohne Schaudern denken, u. welch ein Geist in einer so elenden Hülle! Im neusten Briefe schreibt er mir, daß er sich seiner Auflösung zu nahen hoffe, in dem die Füße heftig an zu schwellen fiengen u. bittet sehr, daß ich ihn, so lang sein Odem noch aus u. ein gieng, mit einer Zeitschrift erfreuen sollte: dieß thue ich dann treufleißig: denn wer ist mir denn noch von meinen alten Busenfreunden übrig, als Sie, meine Geliebtesten! Er schreibt mir von Ihrer Hymne. „Ich habe, sagte er, die Gedanken in derselben trefflich, aber den poetischen Ausdruck unvollendet gefunden. Mein Brief an ihn enthält eine umständliche Kritick; es wäre mir lieb, wenn Sie beydes Brief u. Hymne läsen: doch er theilt sie Ihnen auch selber mit. „Von seinen neuesten Schriften haben mir die Bruchstücke über Fr. den 2ten vorzüglich gefallen, zumal was er über unsre Schriftstellerey sagt. Das neue Buch von Kant, der Streit der 3. Facultäten, mißfällt mir sehr u. kann zu Untergrabung aller Moralität vieles beytragen. Man schreibt mir von Berlin, daß Nicolai seinen Nothanker umarbeitet u. mich sollte wundern, wenn ihm nicht jenes Veranlassung geben würde, sich aufs neue mit Kant herum zu tummeln.
An Goeschen habe ich Ihren Auftrag vollzogen. Er entschuldiget sich mit der Zerstreuung, daß sein Schwiegervater gestorben u. verspricht uns nächstens das Paquet zu übersenden, ich werde nicht ermangeln es zu erinnern. Meine Frau wird die verlangten Strümpfe baldmöglichst von Dresden verschreiben, u. empfiehlt sich nebst mir u. den Meinigen Ihrem ganzen lieben Hauße zu gnädigem Wohlwollen. Eben läßt mir Goeschen sagen, daß er Wiel. Schriften durch die Alten[.] Landkutsche hinüber schicken wolle, da sie ei[nen] großen Ballen ausmachten. Vielleicht kömmt dieser noch zur rechten Zeit an u. wäre es nicht so wird sich doch dort vielleicht noch eher eine Gelegenheit finden ihn zu transportiren.
H. Jean Paul ist vor 8. Tagen von hier nach Weimar abgeflattert. Schade um den Mann, daß er nicht schreibt, wie er spricht u. ein so gar wunderbares Ideal von einem großen u. guten Schriftsteller hat u. so überspannt in seiner Imagination ist, daß man für seinen Kopf wohl einmal fürchten muß. Keine Kritick kann er gar nicht vertragen u. will nur bewundert seyn. Ich habe ihn ungern verloren, da er viel Anhänglichkeit an mich hatte u. höchst unterhaltend war. Für das andere Geschlecht kann er ein gefährlicher Mann seyn; denn die Schwärmerey steckt an u. er strebt immer die Menschen über Sphäre mit sich hinaufzuziehen, so tief er oft wieder auf die Erde fällt.
 Nun, bester liebster Freund, reisen Sie glücklich, behalten Sie mich lieb, schreiben Sie mir ja bald! denn man Herz geht mit Ihnen, u. schicken mir bald von Ihrer Reise Etwas! Ihren gütigen Hn. Bruder erinnern Sie gelegent[lich] an Garvens Briefe! Noch einmal leben Sie wohl!
                                                                                                                     W.
Leipz. d. 7. Nov. 98.
Friedrich Maximilian Klinger an Moritz August von Thümmel:
[St. Petersburg, 6./18.3.1805]
Die abgedruckte Stelle aus einem Brief von Friedrich Maximilian Klinger an Thümmel bedarf einer näheren Erläuterung, zumal die übrigen Theile des Briefes zwar bereits gedruckt, aber doch nicht mehr ganz leicht zugänglich sind. Jean Paul, der sich Thümmel freundschaflich verbunden fühlte und Die „Reise" zu seinen Lieblingsbüchern zählte, hatten dennoch im Anhang zu seinem „Kampaner Thal" (1797) die schlüpfrigen Clärchen-Szenen im dritten bis fünften, besonders im vierten Teil des Thümmelschen Werkes leise getadelt. Thümmel hatte sich im siebenten Teil (1800) humorvoll gegen Jean Paul verteidigt und den Vorwurf zurückgewiesen. Während er selbst aber Jean Paul den wohlmeinenden Tadel nicht verübelte, glaubte Klinger sein Lieblingsbuch in Schutz nehmen zu müssen. Daneben sah er in Thümmels Verteidigung auch eine Entschuldigung, ein Sich-Verneigen vor dem jüngeren Dichter, das er für unberechtigt hielt, da er Thümmels Werk weit über die Schriften Jean Pauls stellte. [H. Heldmann]
. . . Jetzt auf den gewißen Mann! mich verschnupfte nur / ich tadelte nicht / daß Sie! der genialische Daemon, dem sich anmassenden Sittenrichter eine Reverenz von der Seite machten, als seyen seine Worte von Gewicht für Geister Ihrer Art. So schnell u leicht Sie auch diese Seiten Reverenz ihm machten, mußte der Mann nicht glauben, sein Urtheil sey wirklich von Gewicht? Und dann fürchtete ich etwas schrecklichers — ich muß es gestehen, und [mag] auch das Geständniß mir schaden oder nutzen; es mochte vielleicht bey der Seiten Reverenz nicht bleiben; aber der 8. 9. Thl der Reisen haben mich von aller Furcht geheilt, der Genius flog grade vorwärts kühn, kräftig, und schien von den Jeremiaden u Capuzinaden, der Männer im Thal, die nur über negative Tugenden für Freude weinen, gar nichts gehört zu haben. So wollt´ ich es, so erwartete ich es, und vortrefflich, haben Sie sich mit Ihrer Clara aus dem Netze gezogen, in dem Sie nur Leute, wie der sich anmassende Sittenrichter, verwickelt sehen konnten. Sie haben das liebliche Klärchen, das Meister und Kunstwerk der Pfaffen unter das moralische Meßer des psychologischen Anatomen / eines Lords / gebracht, der es werth ist, ein solches Experiment zu machen. Der blinde, des Versuchs würdige Zerleger oder Forscher fühlt indessen nicht, daß ihm während er experimentirt, Klärchen das Meßer, mit schöner Hand, und verhüllt, schon an das Herz oder den Hals gelegt hat. So wird nun von beyden Seiten ein Experiment gemacht, wobey ich aber für Klärchen, als von der catholischen Klerisey gebildet, wetten mögte. Sind dies nicht noch viel höhere Bildner, als die Weiber, in deren Schule der würdige Lord seine Studien gemacht, aber gewiß nicht vollendet hat, wie hoffentlich die Pfaffen Tochter ihm zeigen wird? So ist nun alles zufrieden; die Daemonen ahnden das, u der Plebs der Geister mag sie meinetwegen nach seiner Denkungsart, in seiner Einbildung zu Bridwell endigen laßen, denn für diese giebt es nur solche Zeichen der Strafe. Wir erwarten nichts weiter als den gegebenen Wink, u ist der sich anmassende Sittenrichter nicht damit zufrieden, so tröste er sich damit, daß das liebe deutsche Publikum, seine in Thränen verklärte weibliche Ideale nachschluchzt.  . . .

ReSource / NEWS erscheinen unregelmäßig.
© 2002 by Edition ReSource (Verlag Franz Josef Knape), Augsburg
Archiv:..NEWS Nr. 5 - NEWS Nr. 6 - NEWS Nr. 7 - NEWS Nr. 8 - NEWS Nr. 9 - NEWS Nr. 10 - zurück zu NEWS .

reading instead of riding