ReSource
/ N E W S
Zeitschrift
der Edition ReSource und Reihe Mitschnitt
Nr.
12 vom 01. Mai 2002
Die
Zeitschrift NEWS bringt Texte, Bilder und Töne, die in einer Verbindung
zum Arbeitsbereich von »literatur-live« stehen. Dabei
will sie sich nicht auf die bloße Anzeige von Neuerscheinungen
des Verlags beschränken; es ist daher möglich, daß hier
Texte, Bilder und Töne erscheinen, die in keinen Zusammenhängen
stehen. Es kann sich erst im Laufe der Zeit zeigen, welches Gesicht diese
Seite haben wird - ob sie überhaupt eins haben wird. Es lebe der Widerspruch!
Anregungen, Hinweise, Kritik, Bestellungen,
etc: e-mail |
Adolph
Freiherr Knigge:
Über das
Verhältnis
zwischen Schriftsteller und Leser
aus:
Über den
Umgang mit Menschen,
3. Theil, 10. Kapitel
Aktueller Grund: der 250. Geburtstag.
Wesentlicher Grund: die uneingeschränkte Bedeutung des Buches auch für die Jetzt/Zeit.
Geb. 16.10.1752 Bredenbeck bei Hannover; gest. 6.5.1796 Bremen.
Nach der Erziehung durch Hofmeister
studierte Knigge 1769-72 Jura in Göttingen. 1772 erhielt er eine Anstellung
als Hofjunker und Assessor der Kriegs- und Domänenkasse in Kassel.
1777 wurde er weimarischer Kammerherr. Seine Tätigkeit für den
Illuminatenorden (1780-84) und sein Eintreten für die Verwirklichung
der Menschenrechte ließen den in unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen
lebenden Kleinadligen bei seinen aristokratischen Gönnern ins Zwielicht
geraten, führten schließlich zum Verlust des Vermögens
und nötigten ihn zur Anpassung an bürgerliche Lebensformen. Erst
1790 erhielt der inzwischen schwerkranke Knigge mit der Stelle als Oberhauptmann
und Scholarch von Bremen die Möglichkeit zu einem von finanziellen
Sorgen freien Leben.
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1.
Ich halte es für
billig, bevor ich dies Werk über den Umgang mit Menschen schließe,
mit meinen Lesern auch ein paar Worte über unsre wechselseitigen Verhältnisse
gegeneinander zu reden. Zuerst also einige Bemerkungen über den Beruf,
den ein Mann haben kann, ein Buch zu schreiben.
Es ist in der
Vorrede zum ersten Teil gesagt worden, daß ich die Schriftstellerei
in unsern Zeiten für nichts mehr als für schriftliche Unterredung
mit der Lesewelt halte und daß man es dann im freundschaftlichen
Gespräche so genau nicht nehmen dürfe, wenn auch einmal ein unnützes
Wort mit unterliefe. Man soll es also dem Schriftsteller nicht übel
ausdeuten, wenn er, verführt von ein wenig Geschwätzigkeit, von
der Begierde, über irgendeine Materie allerlei Arten von Menschen
seine Gedanken mitzuteilen, etwas drucken läßt, daß nicht
grade die Quintessenz von Weisheit, Witz, Scharfsinn und Gelehrsamkeit
enthält. Es ist überhaupt sehr viel schwerer, als man glauben
sollte, seine eignen Produkte zu beurteilen; nicht nur weil unsre Eitelkeit
da in das Spiel kommt, sondern auch weil die Objekte, über deren Beobachtung
wir lange gebrütet, für uns eben durch das Nachdenken, welches
wir darauf verwendet, einen solchen Wert bekommen haben können, daß
wir unsre Gedanken darüber für äußerst wichtig halten,
indes einem andern, was wir auch davon sagen mögen, unwichtig und
gemein vorkommt. Und haben wir etwa gar Sprache und Beredsamkeit nicht
in unsrer Gewalt oder sind verstimmt zu der Zeit, wenn wir unsre Gedanken
zu Papier bringen wollen, oder vergessen, daß der Gegenstand, über
welchen wir schreiben, nur durch kleine spezielle Beziehungen auf unsre
damalige Lage, die sich nicht mit übertragen lassen, uns am Herzen
liegt; oder dies Herz ist zu voll, um, was es empfindet, nach der Reihe
hererzählen zu können; so geschieht es, daß wir etwas schreiben,
welches uns, die wir alle Nebenbegriffe daranknüpfen, die dazu gehören,
das Bild auszumalen, sehr interessant scheint, jeden andern aber gähnen
macht und mit Unwillen gegen uns erfüllt. Indem es nun desfalls leicht
geschehn kann, daß selbst ein verständiger Mann, von Eitelkeit
geblendet oder durch jene Gefühle irregeleitet, ein Buch schreibt,
das andere Menschen für ein unnützes und langweiliges Buch halten,
so kann und darf es doch nie einem verständigen Manne begegnen, etwas
öffentlich vor dem Publico zu reden, das gegen Moralität und
gesunde Vernunft stritte oder wodurch er einem seiner Mitmenschen Schaden
zufügte. Denn wenngleich Schriftstellerei nur Unterredung ist, so
ist sie doch eine solche Unterredung, auf welche man sich so lange Zeit
zu besinnen Muße gehabt hat, als dazu gehört, jeden unsittlichen,
ganz schiefen und boshaften Gedanken zu unterdrücken. Ich meine daher,
alles, was das Publikum von einem Schriftsteller, der ohne zu weit getriebne
Ansprüche auftritt, fordern kann, ist, daß er durch seine Werke
nichts dazu beitrage, Korruption, Dummheit und Intoleranz zu verbreiten.
Alles übrige: Beruf zu schreiben, Wahl des Gegenstands, Einkleidung,
Ansprüche auf Ruhm, Beifall, Lob, zu stiftender Nutzen, einzunehmender
Gewinn, Hoffnung auf Unsterblichkeit - das alles ist seine Sache, und es
geht auf seine Gefahr, wenn er sich dem Schimpfe aussetzt, entweder in
der Stille zu Fuße vom Parnasse wieder herunterschleichen zu müssen
oder von der Meute der Rezensenten parforce gejagt zu werden.
2.
Wenn also ein Autor
nichts Schädliches und nichts Unsinniges sagt, so muß man ihm
erlauben, seine Gedanken drucken zu lassen; wenn er etwas Nützliches
sagt, so macht er sich ein Verdienst um das Publikum. - Aber wird deswegen
sein Buch auch gewiß gefallen? Das ist wieder eine ganz andre Frage.
Allgemeiner Beifall von Guten und Bösen, von Weisen und Toren, von
Hohen und Niedern? - Ei nun, wer wird so eitel sein, darauf Anspruch zu
machen? Aber um auch nur dem größten Teile der Lesewelt zu gefallen,
welche niedrige Mittel wählt da nicht mancher Schriftsteller? - Wer
sich nicht in Ansehung der Form, der Einkleidung, des Titels seines Buchs
nach dem Geschmacke des Jahres richtet; wer keine Anekdötchen einmischt;
wer nicht dafür sorgt, daß sein Werkchen hübsch fein gedruckt
und mit Bildlein ausgeziert sei; wer herrschende Vorurteile, Modesysteme,
glänzende Torheiten, politischen, kirchlichen, gelehrten und moralischen
Despotismus angreift oder lächerlich macht; wer sich einen Verleger
wählt, auf den die andern Buchhändler neidisch, dem sie feind
sind; wer sich nicht demütig unter den Schutz irgendeines gelehrten
Posaunenbläsers begibt; wer nicht die Schreier im Publico und die,
welche in der feinen Welt den Ton angeben, zu gewinnen sucht; wer zu bescheiden
auftritt; wer sein Buch einem Manne widmet oder in demselben einem Manne
Gerechtigkeit widerfahren läßt, dessen Verdienste beneidet,
verfolgt werden ? der wird wenigstens in dieser Generation sein Glück
als Autor nicht machen und auch sein nützlichstes Werk bald als Makulatur
behandelt sehn. Ich rate daher, die unschuldigsten unter diesen kleinen
Autorkünsten nicht gänzlich zu vernachlässigen.
3.
Reden wir jetzt aber
auch von dem Betragen, von den Pflichten des Lesers gegen den Schriftsteller.
Zuerst soll, denke ich, jener nie vergessen, daß dieser sich nicht
nach dem Geschmacke jedes einzelnen richten kann. Was für Dich in
Deiner Lage, in Deiner Stimmung höchst interessant ist, das scheint
einem andern viel leicht äußerst langweilig und unbedeutend,
und wahrlich, der Mann müßte ein Hexenmeister sein, der ein
Buch verfassen könnte, in welchem jeder für seine paar Groschen
fände, was er suchte. Es gibt Bücher, die man durchaus nur dann
lesen muß, wenn man ebenso gestimmt ist, als der Mann war, der sie
schrieb, sowie es auch andre gibt, deren Sinn und Schönheit man immer,
in jeder Laune fassen und sich eigen machen kann. Nicht immer sind darum
jene geistvoll, groß und erhaben von Inhalte, noch im Gegenteil schwärmerisch
und fieberhaft. Nicht immer enthalten darum diese lauter bestimmte, ewige
Wahrheiten, auf kalte, unwiderlegbare, allein des vollkommnen Mannes würdige,
unerschütterliche Philosophie gegründet, oder, im Gegenteile,
nicht immer gemeine, ohne Mühe leicht zu verdauende Seelenspeise.
Sei also nicht zu strenge, mein gelehrtes Leserlein, in Beurteilung eines
sonst nicht schlecht geschriebnen Buchs, oder behalte wenigstens Deine
Meinung darüber in Deinem Kopfe in welchem oft viel leerer Raum ist,
und verschreie das Buch nicht! Am wenigsten aber laß Dich verleiten,
den moralischen Charakter des Schriftstellers auf bloße Mutmaßung
bei dieser Gelegenheit anzugreifen, ihm schädliche Absichten beizumessen,
seinen Worten einen erzwungnen Sinn zu geben und seine Winke hämisch
auszudeuten. Beurteile nicht ein Buch, wenn Du nur einzelne Stellen daraus
gelesen hast, und bete nicht das Lob und den Tadel unwissender, boshafter
oder feiler Rezensenten nach.
4.
Bei der Menge unnützer
Schriften tut man übrigens wohl, ebenso vorsichtig im Umgange mit
Büchern als mit Menschen zu sein. Um nicht zu viel Zeit mit Lesung
unnützen Papiers zu verschwenden, das heißt: um nicht von Schwätzern
mir die Zeit verderben zu lassen, suche ich auch von dieser Seite nicht
neue Bekanntschaften zu machen, bis der allgemeine Ruf mich auf ein gutes
oder besonders originelles Buch aufmerksam macht. Ich bin mit einem kleinen
Zirkel alter guter Freunde zufrieden, die ich oft und immer mit neuem Vergnügen
schriftlich mit mir reden lasse. |
Eine vollständige Ausgabe des Werkes ist abrufbar bei >Gutenberg<.
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